hes“, giert, eg … Furcht uschte .
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E xposé
Treibhaus Tristesse Eine Fiktion
Kishore Sumac
Kampf um Liebe und Würde im Geflecht gnadenloser Gier
Kishore Sumac
Der Inhalt
D
eviant, ein vierzigjähriger Gelegenheitsjournalist, treibt durch das anonyme Leben einer Großstadt im „Letzten Reich“. Ihre Herrscher – Gelddrucker, Polittechnokraten und Wirtschaftskriminelle – plündern die
Menschen gnadenlos aus, die unter der „ewigen Lüge“ leben müssen. Er selbst wohnt an der Kante der Ghettos zwischen den „Tälern der Asche“. Dort veröden die Seelen – gehetzt, entwürdigt und versinken in täglicher Tristesse.
Die „Leguane der Macht“ haben einen ewi-
In dem einzigen Park der Stadt lernt Deviant
gen Krieg entfacht, in dem Freund und Feind
die Krankenschwester Innocentia kennen und
ständig wechseln und der die Bewohner in
verliebt sich in sie. Die geheimnisvolle Frau
pausenloser Angst hält. Humanistische Wer-
behütet traumatisierte, stumme Kinder und
te werden durch Ideologie ersetzt, welche die
verbirgt ein grausiges Geheimnis.
Menschen unter einer Lawine von Maßregelungen und Konfusionen begräbt, die sie resi-
Er zieht als Journalist in den Krieg und steht
gnieren lässt.
in Vernichtung und grellster Verzweiflung, zusammen mit den belogenen Soldaten. Als
Der Konzern „Global Profitable Deals“ (GPD)
Deviant zurückkehrt ist er entschlossen, Inno
will zur Einweihung des neuen Regierungs-
centias Grauen zu beenden und die geheimen
komplexes eine Firmenchronik erstellen las-
Machenschaften der „GPD“ zu veröffentlichen.
sen. Ihr Bauingenieur Blei leitet das Projekt und entscheidet sich für Deviant. Beide ken-
Das Regierungsviertel wird mit einer obszö-
nen sich von früher, waren Freunde.
nen Orgie fürs Volk eingeweiht. Dort zerfließen die Gegensätze zwischen Opfer und Täter.
Blei verzweifelt, als er einen Sabotageauftrag
Die Freunde sehen sich zum letzten mal und
von der „GPD“ erhält. Widerwillig brutalisiert
jeder muss sich entscheiden, ob er im Treib-
er sich, um die Liebe seiner Frau Sorbette, der
haus untergehen, oder auf Leben und Tod um
Erbeignerin des Konzerns, zurückzugewinnen
Liebe und Würde kämpfen will.
und weiß doch, dass diese Klammer sein Leben zerquetschen kann.
Leseprobe
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City Die Stadt durchzogen fünf Ringe; von den Slums in den Ebenen beginnend zum vierten Ring, einem farblosen Teppich aus Mietshäusern, Baracken, Hüttchen und Verstecken. Dort fraßen sich schmutzige Gassen endlos wie blinde Maden durch den Filz aus altem Beton und Lehm. Die Gebäude richteten sich, je näher sie den inneren Bereichen kamen auf, als wären die Unteren gefallen, als lägen sie auf Seite oder Rücken, hilflos, ergeben, wie sterbende Käfer. Im dritten Distrikt wohnte er selbst. Hier taumelten die Menschen über dem Abgrund – vergiftete, verwundete Wesen, in Auflösung und Vergessenheit gefangen. Im zweiten Ring, abgeriegelt durch den breiten Highway, glänzten schon die Bürgerhäuser – wie Furunkel. Mit Geziere und billigem Pomp wollten sie sich über ihr Mittelmaß heben. Blank geputzt, geordnet, schabloniert. Ja, die wollten ins Auge der Blendung hinein, in die Straße der verlogenen Stimmen, direkt auf den Machtberg. Nah am Gipfel, unter Deviants stürzendem Blick, im Zentrum, drängte sich die Behäbigkeit der breiten Boulevards bis auf die Höfe und Passagen – wo Kitsch und Unsinniges in den Auslagen prahlte, wo Tempel der Ablenkung und des Verplemperns Nester aus Behaglichkeit und Genuss vortäuschten und eine aufgepflanzte Sorglosigkeit gezüchtet wurde, welche die Oberfläche des Lebens zum kargen Grund des Daseins werden ließ und das Fundament der ideologischen Manipulation, der frechen Verführung und der willigen Unterwerfung bildete. Hier spreizten sich trügerische Gestalten wie die Höflinge vor Jahrhunderten. Fassade und Kleidung bestimmte über Zweck, Berechtigung und Grad der eigenen Wichtigkeit in diesen Ghettos der Eitelkeiten, wo in langweiliger Achtlosigkeit die Zeit versickerte. Kulturstätten, zu Gesinnungsschleusen verkommen, reckten sich empor. Geschäftigkeit und Markt überstopften die gerasterten Hirne mit Lawinen von Nutzlosem und rundeten die Tage platt ab.
Leseprobe – Treibhaus Tristesse
Deviant sah neben dem Regierungskastell und dem gläsernen Wolkenkratzer der GPD den Park, der wie verschüttete Farbe die kantigen Silhouetten der finsteren Machtportale umfloss. Er sah Wiesen, das kleine Waldstück, das sich bis an die dunklen Mauern lehnte, den Teich, die Kapelle, das Krematorium mit dem Friedhof, ein Gärtnerhäuschen und das rote Gemäuer der geheimnisvollen Klinik. |
Globale Deals „Da sind Sie ja schon, kommen Sie rüber zur Sitzecke. Kaffee?“ Die Luft war eng, mit Überfluss verstopft. Blei brauchte eine kurze Zeit, um den fahlen Geruch ohne Mühe einzuatmen. Durch die Leblosigkeit hindurch redete Meläna gut gelaunt von den brillanten Zahlen an der Börse. „Und Sie, mein Lieber, haben daran Ihren Anteil. Wir werden unseren Aufwärtstrend noch steigern und einige hohe Herren von nebenan“, er nickte mit dem Kopf zur Regierungszentrale, „wollen ihre Privateinlagen erhöhen und die Kosten gesenkt sehen. Die haben uns neunzig Prozent aller Gelder für unsere Prestigeobjekte als Fördermittel rüber gereicht. Das deckt bei weitem alle unsere Kosten. Die fordern jetzt ihren Lohn. Wir haben großzügig gerechnet. Da sind für jeden noch eine Menge Appetithappen drin. Diese Politiker bedienen sich natürlich ausgiebig. Aber mir soll`s recht sein.“ „Was meinen Sie damit?“ „Blei, Blei. Manchmal frage ich mich, ob Sie wissen, wie das Geschäft funktioniert. Wir pumpen den politischen Entscheidungsträgern die Hosen voller Geld, bis ins dritte Untergeschoss ihrer uferlosen Hierarchie. Man weiß nie, wozu man diese Hinterbänkler mal brauchen kann. Die sind besessen von Geltungsdrang und Gier und köpfen jeden, den sie können, wenn es ihnen dient. Eine hungrige Meute, die sich leicht lenken lässt, wenn sie genügend Futter hinschmeißen. Wir bekommen die Generalaufträge, dafür gibt es Aufsichtsratsposten für diese Aufgestelzten. Müssen sich aus den Entscheidungen raushalten. Aber sie dürfen vor die Kameras, den Unsinn von dem harten Kampf um die Arbeitsplätze verbreiten. Außerdem muss die Justiz alles absegnen, das lässt diese gefräßigen Grillen im rechtsfreien Raum schweben. Bald bin ich Minister und oberster Richter. Dann sind die Wege noch kürzer. Wir wollen nun, lieber Blei, unsere Gewinne maximieren, haben eine neue Strate-
Leseprobe – Treibhaus Tristesse
gie. Sie bekommen eine verantwortungsvolle Aufgabe. Ist die Arbeit getan, erhöhen wir uns die Vorstandsgehälter, den Sesselfurzern ihre Diäten, verkaufen den Eseln draußen mit den Freunden der Presse den ganzen Mist als Aufschwung oder Reform und alle sind zufrieden. Wir drücken die Hebel, Blei. Diese ganze muffige Stadt gehört uns, jedes Haus, jede kleine Fratze … auch das Land – und wir weiten das Areal. Wir expandieren und verdienen wieder. Wir werden mit den satten Gewinnen von dem sozialen Bausäckel Hilfsprojekte in Kriegsgebieten anschieben, Blei. Da klebt das ganz große Geld. Unsere Helfer und Partner sorgen für die Krisen, damit für den Absatz. Jeder wird beliefert. Wir sind neutrale, seriöse Händler im Staatsauftrag. Die Toten, die Morde, das Elend – alles nicht unser Bier. Die Rüstungsindustriellen wollen, dass ihr Kram zum Einsatz kommt, der muss zerstört werden, damit die weiterproduzieren können. Auf dieser Ebene gibt es keine Feinde. Ein nie versiegender Kreislauf. Eine gigantische Bereicherungsmaschinerie. Und danach, wenn alles zerbombt ist und in Trümmern liegt, bauen wir auf. Human versteht sich. Milliarden sage ich, Milliarden! Wir helfen bei der Rohstoffplünderung? Aber gern, natürlich, sehr gern. Wir helfen! Selbstverständlich brauchen wir die Justiz, auch die Politiker – alle Segensgeber. Es läuft zu unserer Zufriedenheit – übrigens seit vielen hundert Jahren sehr erfolgreich. Wie ist der Kaffee? Direkt von unser firmeneigenen Plantage. Als Dank für unsere Entwicklungshilfe.“ „Sie spielen Gott.“ – „Nein, Blei, wir sind Gott und Sie dürfen in unserem Olymp wohnen. Einige Stufen tiefer, aber voller Privilegien. Haben Sie Ihrer reizenden Frau zu verdanken …“ |
Wieder lachte Meläna, brummte zufrieden, schmatze selig wie ein sattes Kind. Er stand auf, ging geräuschlos durch den gläsernen Raum. Seine selbstherrliche Maske täuschte Blei nicht. Jetzt umkreiste er ihn, die Arme wie Katapulte hinter dem Rücken verspannt. „Sie meinen die geleasten Menschen?“, fragte Blei. „Das sind Zeitarbeiter. Mann, verquatschen Sie sich bloß nicht. Was kosten die uns?“ – „Mit Vermittlungsprovisionen circa fünf Taler die Stunde. Davon bekommen die Abgestellten zwei.“ – „Im Verhältnis sind die ja richtig satt. Arbeiten bei Tag und haben keinen Abzug für Unterbringung. Verdienen mehr als die Lurchen im Dunkeln. Gut, das regle ich selber mit den Verleihbossen. Richtige Halsabschneider sind das. Nun zum größten Posten, den Subunternehmen.“ „Denen müssen wir angemessene Verträge anbieten.“
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„Schon klar, Blei, wegen der Öffentlichkeit. Wir sind ja schließlich die Guten und fördern die Arbeit. Aber Papier ist geduldig. Meine schwarzen Wölfe lauern schon. Unsere Verträge mit den Kleinfirmen sind ein kompliziertes Netzwerk von Fallen, ein Minenfeld, das diese Deppen niemals durchschauen – meist verwurstelt mit der öffentlichen Hand, die knochenhart ist. Bezahlen selten. Die machen uns das vor. Da müssen wir auch härter werden. Gut, für die ist es leicht, müssen nichts erwirtschaften, brauchen sich nur zu bedienen – klar, dass da keiner raus will. Also, drücken Sie die Auszahlungsanteile für die Suppis.“ „Wie soll das gehen?“ – „Ich habe Ihnen bereits Spezialtrupps organisiert, da ich Ihre dämliche Fragerei und Gedankenschwere vorausgesehen habe. Wenn die Firmen ihre Arbeit nicht korrekt ausführen, gibt es kein Geld! Nacharbeit muss in kürzester Zeit geschehen. Steht in den Verträgen. Der Schaden muss so groß sein, dass die ordnungsgemäße Fristeinhaltung unmöglich wird. Außerdem werden Sie das nächste Gewerk rein schicken. Wir bezahlen nicht und fordern Schadensersatz. Die Abnahme machen Sie mit denen, kündigen die Verträge. Und schmeißen Sie noch ein paar Leute von unserem Logistikteam raus. Die haben ihren Job gemacht. Sitzen doch hoffentlich nur auf Praktikantenstellen oder Projektverträgen. Wir wollen bald ein großes Fest geben.“ Das Raubtier sprang ihn an. Melänas Stimme fauchte, seine Augen waren Schießscharten, schmal, zentriert. Über dem Schädel spannte sich die braune, fleckige Haut wie ein angegossenes Visier. Er war der Magnat, der kein Zögern duldete. Wie Sumpf schluckten die jahrhundertealten Teppiche das Zischen der Wortklingen. Blei spürte einen schmerzhaften Druck im Kopf, der durch die Ohren in sein Hirn raste. Ein Surren wie gespannte Seile, wie Fesseln, die festgezurrt wurden. Er stemmte sich dagegen, zwang sich zu gelassener Akzentuierung. „Bis jetzt gibt es wenige Mängel, die Leute arbeiten gut. Die alten Meister verstehen ihr Handwerk.“ „Mensch Blei, dafür haben wir meine Truppen!“ „Sie meinen … Sabotage auf unserer eigenen Baustelle?“ „Sabotage, ach Bauleiter, was für ein böses Wort. Die Truppen sollen nach dem Rechten sehen …, sind halt Tölpel. Da geht schon mal ein bisschen Porzellan kaputt. Verschwiegene, verschlossene, vulgäre Jungs. Ein wenig – wie soll ich sagen – tollpatschig, aber zuverlässig.“ Blei schaute in das Gefräß seines Gegenübers – grinsend, gepudert, selbstzufrieden. Wozu sollte das alles gut sein?
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„Doktor Meläna, das sind abartige, illegale Mittel. Es sollte andere Wege geben.“ „Werden Sie erwachsen, Mann. Was heißt hier illegal? Was heißt hier, andere Wege? Wir bestimmen, was legal ist. Wir geben die Richtung vor. Bald bin ich Justizminister. Ich bin dann selbst das Recht, die Legalität in Persona. Gesetze werden von Menschen gemacht, genau wie Wahrheiten und Streitigkeiten.“ Verächtlich zogen sich seine Lippen durch das fahle Gesicht – ein Schmiss. „Alles entspringt unserem Kopf. Mein Hund schert sich einen Dreck um solche Definitionen. Der will fressen und es warm haben und wartet auf seinen Tritt. Was wird Ihre Frau sagen, wenn Sie kneifen? Sie schaffen es nie, wenn Sie so zimperlich sind. Es gibt viel weniger Sieger als Verlierer. Sie haben zumindest die Chance, einen profitablen Job zu behalten. Also los, Mann.“ Melänas schwarze Augen glühten fassungslos. Blei wusste – für den gab es keine anderen Gedankenbahnen mehr. Der glaubte an seinen Gott, an sich, seine Macht, die Herrschaft seines Denkens und Handelns. Er war der Magnat, sah sich als Pharao des letzten Reiches, war ein Lederherz. Blei stand auf, schaute durch die abgetauten Scheiben auf die riesigen Gerüstkräne und Hochhauspyramiden. Sie standen wie vergessene, halbfertige Spielzeugtürme in den klebrigen Straßen. Alle Ritzen voller Bewegung, Surren, Krabbeln. Wirklich. Menschen sind Ameisen, von hier oben betrachtet. Das ist seine, des Sonnengottes Perspektive. Aus klimatisierten Räumen, durch geräuschgeschützte Fenster, sieht er seine Realität. Auf dieser baut er seine Entscheidungen und Phantasien auf. Ein General im Sandkasten, der Menschenleben in Haufen isoliert, verschiebt, vernichtet. ‚Diese perverse Machtkälte‘, dachte Blei. „Ich plane nicht alles durch, damit sie hier herkommen und mich nach Richtigkeiten fragen. Meinen Sie etwa, ich muss mich vor Ihnen rechtfertigen? Sie haben ja sogar Angst vor Ihrer Frau.“ Verächtlich verzog er seine engen Lippen. „Sie sind abhängig, von ihr, von mir und von den Launen Trichines. Sie können nicht wählen. Sie sind ein Knecht! Hören Sie! Ein Knecht. Also, Knecht, reißen Sie sich zusammen und machen Sie Ihren Job. Dann vergesse ich das Gespräch. Ansonsten schmeiß ich Sie raus, mit Hausverbot. Sie sind in fünf Minuten vor der Tür, werden diese Räume nie mehr betreten und die Presselakaien erfinden so bizarre Geschichten, dass selbst die Köter draußen einen Bögen um sie machen! Dann sind sie tot! Verstanden?“ Blei drehte sich um. Er hatte im Spiegel der Scheiben bemerkt, dass Meläna aufgesprungen war, gestikulierte. Er roch den bitteren Atem in seinem Gesicht und sah hinaus. Vor ihm klafften die eisigen Schluchten der Straßen. Groß und erhöht er-
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schien das Bild in seinem Rücken. Ihn ekelte die durchsiebte Luft, dieser überblitzte Schnick-Schnack, all das Silber an den Scheiben, das Gold der Rahmen, die offenen Drohungen und seine eigene Feigheit. ‚Sie können nicht wählen’, zuckte es durch seinen Kopf. ‚Knecht…’! „Ich werde es tun. Lassen Sie mich gehen.“ „Natürlich, mein Lieber. Trinken Sie Ihren Kaffee, gepflückt in der Nähe des Paradieses. Ich werde dafür sorgen, dass Sie auch mal dahin fahren. Ausspannen.“ Meläna war in den riesigen Ledersessel gerutscht. Eingeschlungen in eine rote Samtdecke wie in einen Zenturioumhang, verschmolz sein Körper zu einem breiten, flammenden Bildnis der Macht – von der untergehenden Sonne übergossen. Er lachte, schüttelte sich wie ein Beben, das den Raum schwanken ließ. Vielfach vergrößert warf die Spiegelung der Scheiben seine Gestalt wie eine große Finsternis aus der Dämmerung des Zimmers über die gesamte Glasfront, über den zusammengeduckten Blei, über die Hochhäuser und die Gassen und Hütten der fernen Ringe, bis an den künstlichen Horizont, hinter dem das Todesrad des Krieges funkend raste. |
Liebe Deviant saß zurückgelehnt auf dem Cafehausstuhl und blinzelte in die warme Sonne. Er hörte das Geschirr klappern, das Absetzten von Teetassen, Geplauder – und dazwischen das helle Auflachen Innocentias. Wie weicher Wind umflossen diese Geräusche ihn, waren einfach da, lösten still seine Spannungen auf. Er kannte diesen Teil des Parks, der direkt am Rand der City lag, noch nicht. Innocentia hatte ihn hierher gezogen, die heute so klare Augen hatte, so leicht war, die ihn umschwirrte, ihn sanft geküsst hatte … diese Leichtigkeit, dieser innere Friede, waren noch unbegreiflich für Deviant … Das kleine Cafehaus hatte zur Straße hin einen Eingang, etwas grau, etwas abgenutzt. Ging man durch die beiden geduckten Räume, die im Flair einer kleinbürgerlichen Maske erstart waren, öffnete sich ein halbrunder, heller Wintergarten – mit Terrasse, wo Deviant an einem Tischchen saß, rauchte und die Weite der Wiese nur durch die wenigen, aber riesigen Platanen durchbrochen wurde. Der Kellner hatte einen großen Stapel weißer Papierservietten verloren, die der Wind wie blitzende Wellen zwischen Stühle und Tische und über die Gräser trieb.
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Innocentia war lachend aufgesprungen. Sie jagte den gleißenden Flügeln nach, wie flinken Schmetterlingen. Deviant konnte den Augenblick nicht halten, dieses Spielende, diese einfache Unbeschwertheit, in der einem das Rätsel des Daseins zuzwinkerte, das ohne Sinn schien und ohne Raum – und doch lag darin das höchste Glück, die kindliche, die einzige Freiheit. Ohne zurückzufinden zur Kindlichkeit blieb der Himmel fern für die Menschen. ‚Das Denken und Grübeln begräbt das Leben‘, dachte er. Deviant öffnet die Augen, wendet den Kopf – Innocentia plaudert und kichert zum Kellner, während sie mit ihm die eingefangenen Schmetterlinge faltet. Der Ober dreht sich zum Caferaum, gibt der Serviererin Zeichen, hält zwei Finger in die Höhe, deutet auf eine Espressotasse, nickt zu Innocentia. Die lacht Deviant an, vollkommen frei, winkt … Er hebt seinen schweren Arm, spreizt die enge Hand, die wie mit Gummis gehalten wird, sein Lächeln klemmt …, aber sie sieht es nicht, ist zu weit weg, sie spielt und ist ganz dabei. Nichts fehlt ihr jetzt. Keine Vergangenheit quält sie und kein Morgen …, das sie nicht kennt. Wenn er sie alle anschaut – Innocentia, Logos, die Schmahls, die Kinder – sieht er manchmal diese Patina über ihren Augen, sichtbar gewordene Angst …, ein Geheimnis, ein grausiges, dass ihm keiner verrät, das alle verbergen wollen vor ihm, vor sich selbst, das dennoch ihr Leben zerfrisst, ihr aller Leben! Er weiß es doch, weiß alles!, kennt doch ihre Qual …; aber auch er lässt diese perverse Bedrohung, die so abstrakt bleibt, so krank, so unvorstellbar, nicht aus den Gleisen der Verdrängung, will sie vergessen, damit seine Seele nicht erstarren muss, nicht zerspringt. Es gelingt nicht; diese Dämonen reißen jedes Glück auf ... Er sieht sie tänzeln, flattern, diese Herrliche – und weiß es doch …, wenn er die Limousinen sieht – alle zwei Wochen, mit Meläna, mit hohem Staatsgesindel, mit Lederherzen voll und kalten Leguanen. Er weiß alles, er sieht doch die stummen Münder der Kinder, die leeren Blicke, die schweren Bewegungen und deren greise, gebrochene Körper … und die Hassträume Innocentias …, nachts, wenn ihr Atem zu rasen beginnt, wenn die Dämonen in sie einfahren, sie hinunter zerren in ihre Hölle …; seine Kraft reicht nicht aus, ihre spastischen Bewegungen niederzudrücken – wie eine riesige Spinne wirft sie dann Arme und Beine gegen die Dunkelheit, schreit, schreit, dass ihm das Blut gerinnt …, auch er schreit …, aber er kann sie nicht herrausreißen aus den Klauen …, bis er ihren Kopf fasst, fest, wie eine Muschel sich schützend schließt …, dann zwingt er sein Gesicht neben das ihre, flüstert …, seine Lippen berühren die heißen Ohren …, flüstert ihr zu – zarte, weiche Worte …
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„Liebste ...“ und langsam dringt dieser Klang in sie ein und wie Licht das Dunkel auflöst, so kommt sie zurück, erschöpft, sinkt neben ihn – dann sieht sie ihn an, so eindringlich, dass der warme Schauer auf seiner Haut bleibt, bis er langsam einschläft, nur noch spürt, dass sie seine Hände hält, ganz fest, doch ohne die Kraft der Muskeln, so magnetisch anziehend, wie nur Säuglinge und kleine Kinder einen Finger halten können … Später gingen sie durch das Gras, das fleckig war von den Schatten der Blätter. Die Sonne hockte auf dem Dach der Klinik, sank ein, Sekunde für Sekunde, wie in einen Sumpf – und mit dem Grau kam die Kühle. Sie saßen auf der Bank am See und Innocentia sprach bestimmt und leise, wenn sie von ihrem Vater erzählte, vom Hof, vom Tod, vom Brand, wenn sie von ihrem eigenen Grauen sprach und von Sebastian, ihrem Bruder, und dass sie ihm helfen müsse, bei ihm sein muss! Sie sagt das zum ersten Mal und sieht ihm dabei in die Augen, ungetrübt, ganz fest, die ganze Zeit – und weiß, was er sagen wird … und sie weiß, dass jetzt die Zeit ist, dass sie es hören will von ihm, dass sie es begreifen kann … Jetzt. „Wir werden uns befreien, Innocentia. Niemals mehr werden wir unser Leben von anderen bestimmen lassen. Niemals mehr wird uns jemand quälen. Wir kehren zurück zu uns selbst. Gemeinsam. Wir können es endlich.“ Ihr Gesicht stand blass und zart vor ihm, klar glänzten die Augen und alles in ihr schrie: ‚Ja, Liebster, ja!’ Deviant nahm sie in den Arm, zog sie an sich, ganz eng – und sie waren eins – und keine Gedanken kamen, denn ihr Puls durchraste sein Blut.
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Urheberrecht und Copyright – alle Rechte vorbehalten jegliche Vervielfältigung des Textes, auch elektronische Weitergabe und Speicherung, sind untersagt.
Der Autor Kishore Sumac • geboren 1964 in Brandenburg / Havel • wohnt im Landkreis MOL, nahe Berlin • Berufe: Profisportler, Dipl. Sportwissenschaftler, Physiotherapeut, Dipl. Medizinpädagoge
Schreiben: • vorrangig Lyrik, Erzählungen • Treibhaus Tristesse – erster Roman
Rezension Der Dichter Kishore Sumac stößt den Leser
in die Enge, lässt uns verstört zurück, um dann
hemmungslos in das entwurzelte Dasein sei-
das Blei des Himmels wieder aufzuschmelzen,
ner Figuren. Ihre inneren Kämpfe sind fühl-
mit Weichheit und Hingabe und der tief wur-
bar; wir werden selbst paralysierte Massen-
zelnden Kraft unseres transzendenten Seins.
menschen. Wir finden uns wieder, jeder für sich, in der Er lässt uns schonungslos vom Gift der Gier
Tristesse konstruierter Wichtigkeiten, oder im
und dem Blut des kalten Egoismus trinken –
Herzstillstand eines Kusses.
alles in einem beängstigend realen Kaleidoskop vielschichtiger Charaktere, in dem trüben
Wir werden dort berührt, wo routinierte Pro-
Treibhaus einer Großstadt, voller Sarkasmus,
paganda und aufgehetzte Konditionierung
Zärtlichkeit und Heimtücke.
einen kalten Wall errichtet haben, dort und dahinter, wo das wahrhaftige Herz unserer
Mit stilsicherer Vielfalt und bildgewaltiger
Lebendigkeit pulsiert und die Trommeln der
Sprache macht er uns zu Beteiligten, treibt uns
Angst sich auflösen können.
Das Buch Autor: Kishore Sumac „Treibhaus Tristesse“ – Roman, ca. 500 Seiten 1. Auflage 2015, Strausberg Verlag: Samay Verlag ISBN-Nr.: 978-3-9817188-0-5
Titeldesign / Satz / Layout: Carolin Oelsner Schriftausführung: Margita Schmidt Druck: CPI Marketing: André Jontza
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