SINGAPUR SEPTEMBER 2009

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Colombo,22.09.09

Richard Lang

Singapur (Singapore) ist eine Reise wert

Der langegestreckten malaischen Halbinsel direkt vorgelagert liegt das heutige Singapore ( von Singha – der Löwe & Pura,Pur,Pore – Stadt). Die Stadt des Löwen entstand dort, wo früher ein einfaches fischerdorf lag. Und das ist nur 400 Jahre lang her. Der Stadtstaat mit rund 4,5 Millionen Einwohnern hat sich aus Löwe und Fischerdorf sein Kennzeichen entwickelt. Es steht im Hafen als auch hoch oben auf dem Berg als Denkmal – ist allenthalben aber als Souvenir zu kaufen. Ursprünglich von einem Engländer als Stadt erdacht, war es über Jahrzehnte und sogar die ersten Jahrhunderte für viele Südchinesen Verheißung und Verderben zugleich. Auf den überfüllten Schiffen schafften es in der Regel weniger als 20 % der Wagemutigen diese Insel lebend zu erreichen. Die meisten starben unterwegs, eingepfercht , erkrankt, hungernd – schließlich dem Meer übergeben. In 2-geschossigen Häusern fanden sie im 1.Stock erstmals Unterkunft. Es gab drei Arten der Untermiete: Ohne Fenster und ohne Heizung – billig; Heizung oder Fenster – da musste man schon in die Tasche greifen, um diese Miete zahlen zu können und schließlich Fenster UND Heizung. Diese Variante stand nur jenen offen, die es „geschafft“ hatten, die eine feste Stellung hatten, „ihren“ Arbeitsplatz. Im Erdgeschoss aber lebten die Hausherren, die schließlich meist auch die Arbeitgeber waren. Es gibt sie noch – diese ersten Häuser- im chinesischen Viertel , in „China Town“. Jetzt will man die letzten vor dem Abriss retten. Jede Nation braucht ihre Geschichte – auch Singapore wird sich zunehmend dieses Wertes bewusst.


Dass die Singapurer einem dieses locker und fast emotionslos erzählen („So erging es meinem Urgroßvater, als er aus Südchina kam“) versteht man erst, wenn man die erste halbe Stunde durch Singapur gefahren ist und allmählich bemerkt, dass dieses nicht der Spleen des Flughafen-Obergärtners war, eine Natur- und vor allem Blumenlandschaft zu erschaffen, die ihresgleichen sucht, sondern, dass diese Blumen und Alleen, ein Überfluss an tropischen Gewächsen und englischem Rasen Singapur IST.

Daneben und dahinter, auf dem Hügel ( und es gibt überall Hügel und versteckt Ecken, in die sich makellose Straßen hineinverlieren, um dann in die 5-spurige Stadtautobahn zu münden), vor und hinter den Hochhauskulissen, am Ufer , im Hafen und mittem im Zentrum: hier wurde den Tropen der Zahn des Wildwuchs gezogen, aber nur, um Beton und Asphalt, Glas und Edelstahl erneut durch Sträucher und Bäume, Blumen und Rasen zu bedecken- diesmal durch Menschenhand gelenkt zum „tropischen Garten“ gestaltet. Kaum eine AutobahnStahlabsicherung, kein Brückengeländer, keine Wand, keine Beton Überführung, die nicht von prachtvollen Blumen soweit zugedeckt wäre, dass man sie eher erraten muss, als man sie sieht.


Singapore ist mit sich selbst zufrieden; es ist in vieler Hinsicht Spitzenklasse: perfekte Sauberkeit, keine sichtbare Armut, keine sichtbare Vernachlässigung, keine Bettler und Obdachlosen, Licht allenthalben, besonders nachts eine Kulisse aus strahlenden Farben und Perlenketten- eine „Märklin-Welt“ , über die sich scheinbar alle vor Stolz die Hände reiben. Die Konsumseite der Stadt ist Weltspitze; sie schlägt in ihrer urbanen Substanz locker das selbsternannte Eldorado der Golfstaaten. Mit 9 Museen, zahlreichen Kunstzentren und ca. 60 Galerien ist Kunst überproportional gut vertreten – beim näheren Hingucken ist viel Kommerz dabei und vor allem viel „Service“, die Haupt“WARE“, die Singapur offenbar handelt.

Es gibt nahezu keine industrielle Produktion– dazu ist der Stadtstaat zu klein. Aber es wird meist das Feinste vom Feinsten eingeführt und weiterverkauft. Singapore ist ein grandioser Umschlageplatz für Waren und Dienstleistungen. Wenn bei Mercedes die Vorfahrt eingebaut sein soll, so ist in Singapore der Handel eingebaut: im Hafen und auf dem Flughafen, am Fluss, in den zahlreichen Riesenkaufhäusern: das Feinste vom Feinsten – und das Teuerste dazu. Eine bis ins Kleinste funktionierende Organisation erweckt Vertrauen , aber auch Verdacht. Der „große Bruder“ scheint lächelnd über dem Wohlergehen aller zu wachen. Ob diese vielen sich rankenden Kletterpflanzen nicht auch zahlreiche Beobachtungskameras beiläufig


verdecken? Das ist eine „schöne, neue Welt“, vielleicht anders, als sie sich Huxley vorgestellt hatte – und dann doch wiederum dem Geiste nach sehr ähnlich. Kritische Wahrnehmung erscheint unpatriotisch. Ab und an dachte ich auch an Schweden, das bevölkerungsmäßig ein Bruder Singapurs sein könnte – aber vor allem es in einer anderen Hinsicht ist: Man ist stolz auf sein Land, seine Ordnung, seine Regierung. Darin sieht man den seinen „Kindern“ liebevoll zugewandten Übervater, dessen Autorität niemand in Frage stellt. Als man uns sagte, jeder junge Mann müsse mit 18 Jahren 3 Jahre lang Militärdienst leisten, wurde uns auf unsere skeptische Nachfrage nicht nur erklärt, WARUM das nötig sei, sondern vor allem, wie gut das allen jungen Menschen täte, wie schön, dass die jungen Leute schon nach dem 3.Monat einmal pro Woche nach Hause dürften, um ihre Wäsche von den Eltern waschen zu lassen.

Und dann doch: ich kann mir kaum vorstellen, dass jemandem diese japanisch anmutende Gartenlandschaft missfallen könnte. Dass jemand über diese Straßenführungen (Unter- und Überführungen) klagen könnte, über Straßenmarkierungen, exemplarische Beschilderungen , über Rolltreppen, die in die überdachten Fußgängerüberführungen montiert wurden, über Glas und Edelstahl an allen Ecken, über imposante Kunstmonumente auf öffentlichen Plätzen, über die zwanzigtausend Taxen, die Tag und Nacht unterwegs sind, um neben Hoch- und Untergrundbahnen, neben Bussen für eine reibungslose Mobilität der Menschen zu sorgen.


Wem das aber doch irgendwo ein ungutes Gefühl in der Magengrube verursacht, braucht nur die Welt von China-Town, von Little India aufzusuchen, eine Stadt, eher ein Markt in der Stadt mit Tempeln und Kirchen, Moscheen und vor allem Basaren. Und auf dem Weg dahin sieht man jenseits von eleganten Wohnhäusern, Hochhäusern,Malls oder mal versteckten Villen : Golfanlagen, Parks und kleine gepflegte Forste. Die bislang „nur“ bis 50 Stockwerke hohen – eigentlich ökologisch exemplarischen Wohnanlagen sollen demnächst auf die doppelte Höhe und mehr in den Himmel reichen. Hier kann man sein Geld sicher fühlen, hier kann man investieren, nicht nur Touristen geben dieser Stadt eine große Zukunft ( alles, was man sich nur denken kann, wird als „Touristen-Paket“ angeboten: von der Nacht-Safari zum Infotainment, zu Sport und Spaß auf der Sentosa-Insel- vorzüglich, muss man mit Respekt sagen) , auch zahlreiche Investoren verlegen ihre Residenz und ihre „Lebensmitte“ gerne her. Damit gehört es zum Straßenbild, dass neben Toyotas und Nissans eben viele Mercedes, Porsche, BMW und Ferrarri und Maserati unterwegs sind.

Und wieder und immer wieder das eigene Erstaunen: In all den 4 Tagen haben wir kein einziges (!) schmutziges Auto gesehen. Alle scheinen direkt aus der Schampoo-Wäsche zu kommen. Und an keinem Gebäude wächst – wie so sehr in den Sri Lanka-Tropen gewohnt – der Schimmelpilz. Werden alle Gebäudemauern regelmäßig neu gestrichen ? Hat Singapore – unweit des Äquators gelegen – ein Geheimmittel gegen TROPEN gefunden, gegen ihre Feuchtigkeit, gegen Skorpione, Schlangen und das Tropenfieber, den Schweiß und Schwindel des irrlichternden Menschenopfers? Können klug angelegte urbane Räume mit vielen Klimaanlagen , schützende Schatten herrlicher Bäume (alle wie im Bilderbuch) und vielleicht die Brise, die fächelnd über diesen Zipfel zwischen Malaysia und Indonesien streicht, eine Medaille ohne Kehrseite schaffen: das reine Paradies?


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