AUSGABE Nr. 04 Onlinemagazin palastmagazin.de © christof kurz www.chris-kurz.de
DIE KRÖNUNG DER besten FILME
Papas Kino ist tot
Edgar Reitz und der neue deutsche Film
VORWORT PALAST Nr.4
VORWORT
PALAST Nr.4
Vorwort Edgar Reitz erschuf mit seinem Lebenswerk HEIMAT - EINE DEUTSCHE CHRONIK ein vielschichtiges Bild Deutschlands zwischen 1919 und 2004. Dennoch ist HEIMAT keine Geschichtsstunde sondern vielmehr das Portrait einer Familie, welche exemplarisch für die Ideale ihrer Zeit steht. Reitz erkundet den Begriff der »Heimat« und entdeckt, dass es sich dabei weniger um einen Ort, als um ein nicht greifbares Gefühl der Herkunft und Zugehörigkeit handelt. Diese Ausgabe des Palastmagazines widmet sich dieser umfangreichen Trilogie und versucht die Methoden ihrer Inszenierung zu durchleuchten.
Christof Kurz
HEIMAT
EDGAR REITZ
HEIM
»Würde man einem Lebewesen von über Deutschland geben wollen, so von Edgar Reitz empfehlen« Unter der Namen HEIMAT – EINE DEUTSCHE CHRONIK verbirgt sich eine Beschreibung der Entwicklung Deutschlands zwischen 1919 bis 2004, allerdings aus der persönlichen Perspektive einer ganzen Familie. Im Prinzip handelt es sich um eine Familienchronik, die in einer brisanten Zeit erzählt wird. Edgar Reitz versucht sich mit seinem umfassenden Werk dem Begriff der »Heimat« zu nähern, für ihn ist Heimat ist etwas Verlorenes und hat mit Erinnerungen bzw. dem Akt des Erinnerns zu tun, mit Kindheit, mit frühen Erfahrungen, die ein Mensch macht, und ist etwas, was man als Erwachsener immer auf eine sehnsüchtige Weise
sucht, im Film erlangen Erinnerungen eine ganz essenzielle Bedeutung, dort bezeichnet die Tätigkeit des Erinnerns das Zusammensetzen von Bruchstücken zu einem großen Bild. Reitz benennt den Film als das große Gedächtnis der Menschheit, den Menschen wird durch dieses Medium die Fähigkeit des Erinnerns auf eine ganz eigene Art gelehrt. In unserer Zeit ist die Wahrheit selbst ist ein einziges Produkt der Filmästhetik und der Inszenierung.
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SPEZIAL
n einem fremden Planeten Auskunft o m端sste man ihm den Heimat Zyklus
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Der alte Film ist tot wir Glauben an den neuen
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»PAPAS KINO IST TOT« 1962 erklärt Edgar Reitz mit 26 anderen deutschen Filmemachern auf den Oberhausener Kurzfilmtagen den konventionellen deutschen Film für abgelöst. Er gehört zu den Regisseuren, die den »neuen deutschen Film« prägen. Filmemacher wie Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge und Werner Herzog vertreten unter Anderem diese Theorie des Filmens. Auf einer Pressekonferenz unter dem Titel »Papas Kino ist tot« wird das Konzept von 26 Filmemachern erläutert. Im Prinzip findet man hier Ansätze Adornos Kritik an der Kulturindustrie verwirklicht, denn man vertritt die Theorie, dass Kulturgüter immer mehr zu Waren
verkommen und dabei sämtlichen Anspruch aufgeben. Ein Interesse an Realismus, Tragik, am Scheitern, an sozialen und politischen Konflikten in der Gesellschaft bezeichnet diese Bewegung. Der Film braucht neue Freiheiten und muss sich von den Konventionen der Branche loslösen. Untersucht man die heutige Unterhaltungsindustrie, so kann man dieselben Mängel aufdecken, die schon 1962 angeprangert wurden. Das Motto des Oberhausener Manifests lautet: »Der alte Film ist tot, wir glauben an den neuen«.
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ORTE UND
IHRE
MENSCHEN Edgar Reitz war 1966 Kameramann bei Alexander Kluges [Abschied von Gestern] und begann schon dort ein Konzept für eine Dokumentation zu entwickeln, in der er sich mit dem Hunsrück [seiner Heimat] auseinandersetzt. Sein Dokumentarfilm Geschichten aus den Hunsrückdörfern inspiriert Edgar Reitz zu seinem großen Lebenswerk HEIMAT – EINE DEUTSCHE CHRONIK. Edgar Reitz stammt selbst aus dem Hunsrück und verbrachte seine Studienzeit in München. HEIMAT basiert unter anderem auf Fragmenten seiner Erinnerung und den zahlreichen Charakteren seines Lebens. Vor den Dreharbeiten zum Prolog der HEIMAT, bewohnte er mehrere Monate ein traditionelles Haus im Hunsrück um seine Erinnerungen wieder etwas zu verschärfen und sich den Lebensgewohnheiten seiner Figuren noch etwas mehr zu nähern. Der oben erwähnte Dokumentarfilm über den Hunsrück wurde zum Prolog, hier wird schon klar, dass es beim Heimatzyklus nicht um pure Informationsbeschaffung geht, sondern um die Vermittlung eine Men-
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schenbildes in einer ganz besonderen Gesellschaft. Geschichten aus der Region, Kriegsanekdoten und Erzählungen der Arbeiter im Schieferabau und der Edelsteinschleifereien formen ein ganz besonderes Bild der dortigen Lebensumstände. Der Begriff der HEIMAT wird in Edgar Reitz Werk zu einer Variablen, einem sich veränderndem nicht greifbaren Gefühl, das die Protagonisten prägt. Die Geschichte formt die Heimat der Bewohner, die im Zentrum der Erzählungen um die HEIMAT stehen. Im Prolog wird das Leben in den Hunsrückdörfern – dem Ursprung der Protagonisten – wiedergegeben. Einerseits geht Reitz auf traditionelle Elemente wie Volksgesänge und Sagen ein, auf der anderen Seite treten immer wieder die dort lebenden Individuen in den Mittelpunkt. Reitz zeigt eine Einheit zwischen Ort und Mensch, es manifestiert sich schon ein klares Bild des Lebens im Hunsrück in den Köpfen der Zuschauer. Er zeichnet ein Bild der Traditionen und des Weggehens.
Die Fähigkeit mit Traditionen zu brechen und »wegzugehen« ist eine Eigenschaft, die man schon im Kindesalter in die Wiege gelegt bekommt – diese These ist ein immer wiederkehrendes Motiv der HEIMAT-Reihe. Dieser Dokumentarfilm zeigt schon zahlreiche ästhetische Verbindungen zur eigentlichen HEIMAT-Trilogie und stellt auch eine Art Fingerübung für Edgar Reitz dar. Szenen von Farbe und Schwarzweiß wechseln sich immer wieder ab. Reitz sagt selbst, dass sämtliche Erinnerungen an seine Jugend und die großen Filme dieser Zeit immer in Schwarzweiß sein werden. Der Farbfilm hat dennoch seine Berechtigung, durch den Kontrast von S/W und Farbe wird z.B. das Blühen der Kirschbäume umso schillernder und emotionaler dargestellt. In der für das Verstehen des Hauptwerkes nicht unerheblichen Dokumentation, wird klar, dass Reitz auch viele seiner Kindheitserinnerungen aus dem Hunsrück in diesem Prolog ausarbeitet.
»Die Fähigkeit des Weggehens wird einem in die Wiege gelegt«
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FILM UND WIR 2006 blickt Reitz noch einmal auf sein großes Lebenswerk zurück und stellt fest, dass HEIMAT, für ihn eine gänzlich subjektive Erzählung, vom Publikum oft als abgefilmte Realität verstanden wird. Es ist aber exakt das Gegenteil der Fall, die Poesie des Filmes unterscheidet ihn von der Realität und verhindert gleichzeitig auch, dass der Film selbst eine Dopplung der Realität wird. Ganz im Sinne Aristoteles ist Das Abbild immer ein ästhetisches Produkt! Die Erfindung des Mediums Filmes basiert schließlich auf der Täuschung des Auges, die Kamera zerhackt zeitliche Abläufe und stellt eine Geschichte auf eine kompakte aber gänzlich realitätsfremde Art und Weise dar. Interessant ist hier besonders der Bezug zu den gegenwärtigen Fortschritten im Bereich der Unterhaltungsmedien: Reitz betont besonders, dass weder die immer wiederkehrende 3D Technik, noch hochauflösende Flachbildschirme eine Steigerung an Realitätsbewusstsein im Film hervorrufen können, denn die Wahrnehmung lässt sich nicht Täuschen. Das »Hier und Jetzt« ist ein von allen Sinnen geprägtes Erlebnis.
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RKLICHKEIT »Das Abbild ist ein ästhetisches Produkt«
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HEIMAT I Eine deutsche Chronik Neu ist hier, dass in Anlehnung an den klassischen Heimatfilm, wieder Dialekt gesprochen wird, übrigens ein Stilmittel, das die Filmemacher des Neuen Deutschen Filmes auszeichnet. Reitz erzählt in einem Interview, dass der Dialekt eines Menschen einen ungefilterten Einblick in die Herkunft eines Menschen bietet, er will seine Figuren keineswegs der Lächerlichkeit preisgeben. Im selben Gespräch erläutert er, dass zahlreiche seiner Rollen mit Laien besetzt wurden, die er vor Ort bei der Recherche kennengelernt hat. Seine Geschichten sind Momentaufnahmen und keine Chronik [wie seine Filmreihe von Kritikern oft bezeichnet wird] Das Ende des ersten Weltkrieges markiert den Beginn des HEIMATZYKLUS. Wir befinden uns in dem fiktiven Hunsrückdorf Schabbach und werden in die Konstellationen der Bewohner zueinander eingeführt. Paul kehrt aus der Kriegsgefangenschaft zurück und nimmt den Platz in seiner Familie wieder ein. Durch sein handwerkliches Geschick beschert er dem Dort das erste Radio, dennoch ist
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er nie wirklich zuhause angekommen, der Krieg hat ihn verändert Schabbach ist jedoch gleich geblieben, seine Ankunft wird kaum wahrgenommen. 1928 verschwindet er zunächst spurlos um späteren Verlauf der Geschichte wieder aufzutauchen. Ein paar Jahre später bekommt man als Zuschauer schon mit wie die Juden im Nachbarort diskriminiert werden und die Weichen zum Nationalsozialismus gelegt werden. Eduart, Pauls Bruder, erfährt 1933 den Nationalsozialismus am eigenen Leib, als er sich in Berlin befindet. Bald ist er Mitglied der SA und steigt 1935 zum Ortsbürgermeister auf. 1938 beginnt sich das Bild Schabbachs langsam zu verändern, Bagger und Baumaschinen legen neue Straßen und Villen an. 1939 kommt Post vom einstigen Kriegsheimkehrer Paul. Er ist mittleriweile ein erfolgreicher Geschäftsmann in Amerika und wird zum Sinnbild des »Weggehens«.
Maria bekommt einen Sohn: Hermann, einer der wichtigsten Charaktere im weiteren Verlauf der Geschichte. In den folgenden Episoden erfährt man von zahlreichen Kriegsgreuel, dem Verlust der Menschlichkeit im Krieg und den entmenschlichten Methoden der Kriegspropaganda. Nach dem Krieg kommen die Amerikaner nach Schabbach und das Leben dort nimmt gänzlich neue Züge an. Hermann, mittlerweile ein junger Mann, interessiert sich für Kunst und Musik und will die Enge des dörflichen Lebens verlassen. Nach dem Abitur verlässt er das Dorf, und kommt erst viele Jahre später nach Schabbach zurück. Hier Endet der erste Teil der HEIMAT, welcher elf Spielfilme enthält.
»Das hört überhaupt nicht mehr auf mit den Neuen Zeiten«
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HEIMAT Chronik einer Jugend Da die erste HEIMAT-Reihe sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern einen großen Erfolg verbuchen konnte, sah sich Reitz ermutigt seine Erzählung fortzusetzen. 1993 wurde HEIMAT II CHRONIK EINER JUGEND in 13 Teilen ausgestrahlt und erzählt die Geschichte zwischen 1960 und 1970. Hermann, lebt in München und geht dort seiner kreativen, musikalischen Ader nach. Die dörfliche Enge Schabbachs weicht der großen Offenheit der Stadt Münchens. Reitz zeichnet ein umfangreiches Bild der Studenten- und Künstlerszene um 1960. Die Dreiecksbeziehung Hermanns, eines Komilitonens Juan und Clarissa steht zunächst im Mittelpunkt. Liebe, Eifersucht und Neid machen diese Beziehung aber längerfristig unmöglich und treiben Clarissa sogar zu einer Abtreibung. In einer Kinovorstellung erfährt man vom Tod John F. Kennedys, hier wird gezeigt, wie beiläufig die
Charaktere Zeuge der Geschichte werden. Neue Freiheiten, Liebe und später auch Leid führen Hermann aber letztendlich in die Arme einer ehemaligen Schulfreundin, die er auch heiratet. Diese Ehe scheitert schließlich und Hermann muss sich nach seinem großen Ausflug in die schöne Welt der Fantasie der puren Ernüchterung stellen. Clarissa hingegen wird erfolgreiche Cellospielerin und feiert Auftritte in Amerika. Reitz inszeniert DIE ZWEITE HEIMAT bewusst entgegen der aufkommenden hektischen Clipästhetik, die das Fernsehen um 1993 zu dominieren beginnt. Schön sind auch einige völlig stille Momente wie z.b die kleine Episode in der Esther, Tochter einer Jüdin welche damals nach Dachau deportiert wurde, an den Leidensort ihrer Mutter zurückkehrt.
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II Die dörfliche Enge weicht der städtischen Weite
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HEIMAT II Chronik einer Zeitwende Vom Aufgeben und der Erschliessung einer neuen Heimat
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Erzählt wird die Zeit zwischen 1989 und 2000. Hermann und seine Studentenliebe Clarissa erleben am 9.November 1989 eine Art persönliche Wiedervereinigung und beschließen sich in der Nähe von Schabbach niederzulassen. Ein starker erzählerischer Kontrast umgibt diese Geschichte: Während die Bewohner der DDR ihre alte Heimat aufgeben, beschließt Hermann sich mit seiner alten Heimat zu versöhnen. Durch die große Zahl der Sender im deutschen Fernsehen und den großen Quotendruck hinter dem eine ganze Industrie steht, musste HEIMAT III erheblich gekürzt werden und wurde in lediglich sechs Teilen ausgestrahlt. Auf der erhältlichen DVD ist glücklicherweise das komplette Werk erhalten, aber dieser Umstand verdeutlicht die Problematik, mit welcher das zeitgenössische Kulturprogramm zu kämpfen hat – seine Drahtzieher
sind keine Künstler mehr, sondern Geschäftsleute die am Tag nach der Ausstrahlung keine Kritiken lesen, sondern ausschließlich Einschaltquoten interpretieren. Die Clipästethik hat gewonnen. Besonders auffällig ist, dass sich die Charaktere im Laufe ihres Lebens immer wieder begegnen und ganz besondere Fortschritte gemacht haben. Jeder Einzelne ist von seinen ganz persönlichen Erfahrungen gezeichnet.
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DIE
INSZENIERU DER HEIMAT Heimat als Gefühl der Zugehörigkeit und der Geborgenheit
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UNG 1984 wurde der erste Teil der Heimat-Reihe im deutschen Fernsehen gesendet. Zu dieser Zeit war das ein sehr bemerkenswertes Ereignis, betrachtet man die Zeit, in der Reitz seine elfteilige Reihe veröffentlicht, so fällt auf, dass der Begriff »Heimat« politisch nicht unumstritten war. Im Gegensatz zum klassischen Heimatfilm wird diese Heimat weder kitschig noch überzeichnet dargestellt, man könnte fast schon von einer Art neuem TV-Realismus sprechen, den Reitz begründet hat. Außergewöhnlich, auch aus filmischer Sicht, war auch die Tatsache, dass HEIMAT auf das für Fernsehproduktionen unübliche 35mm Filmmaterial gedreht wurde – was der Reihe einen unvergleichlich filmischen Charakter einhaucht. Der Wandel der Zeit ist mitunter der echte Hauptdarsteller, denn die Charaktere der Serie werden stets mit den technischen Neuerungen der Gegenwart konfrontiert, müs-
sen sich aber auch den politischen Umständen ihrer Zeit stellen. Inszenatorisch wird HEIMAT gerade aus heutiger Zeit interessant. Dreh und Angelpunkt der Geschichte ist die Küche der Familie, in der viele wichtige Gespräche stattfinden und auch die ganzen Bräuche der jeweiligen Zeit dargestellt werden. »Heimat« ist also das Dorf Schabbach, die Familie und ihr zentraler Ort, die Küche. Reitz fasst Heimat sozusagen als Gefühl der Zugehörigkeit und Geborgenheit auf. Es steckt sehr viel Bedeutung in den einzelnen Figuren der HEIMATReihe, jeder Charakter steht für ein eigenes Ideal, sei es seine kreative Ader zu verwirklichen, eine Familie zu Gründen, auf alten Werte zu bestehen oder eben aus diesem Kreis auszubrechen und Neues zu entdecken.
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Der Sprecher welcher die Filme kommentiert betont, dass Schabbach für seine Bewohner der Mittelpunkt der Welt sei und obwohl es zwei Weltkriege gab, das Dorf unverändert wie vor hundert Jahren blieb. Erst nach dem Wirtschaftwunder weicht die Kontinuität ganz Langsam der Veränderung. Währungsreform 1948 kommentiert Katharina Simon [Die Großmutter] wie folgt: »Das hört überhaupt nicht mehr auf mit den Neuen Zeiten«, eine bedeutende Aussage, die im Kern genau das Lebensgefühl beschreibt, was Reitz mit HEIMAT ausdrücken will. Im Laufe der ersten elf Folgen [HEIMAT I] verhärtet sich das Gefühl, dass HEIMAT eben nicht nur Geborgenheit und Zugehörigkeit bedeutet, sondern auch Enge und Einschränkung transportiert. So bildet die Filmreihe auch eine interessante Analogie zum Begriff der »Familie«, es ist schwer aus einer Familie herauszutreten und sich seiner Wurzeln zu entreissen – man wird immer von seinen Eltern und Verwandten gebranntmarkt sein. Reitz hält mit HEIMAT keine trocken Geschichtsstunde ab, er sagt in einem Interview, er sehe »Geschichte« als das »Leben Vieler«, getreu diesem Motto setzt HEIMAT den Fokus auf seine Figuren und zeigt die technischen und
politischen Einflüsse um sie herum lediglich als beiläufigen, für den Zuschauer aber durchaus imposanten Nebeneffekt. [technische Revolutionen wie z.B. die Einführung des Farbfernsehens] Ein Film enthält prinzipiell drei Zeitebenen: Die Zeit in der der Film gedreht wurde, die Zeit in der er spielt und die Zeit in der das Publikum den Film sieht. Insofern ist das Zeiterlebnis eines Filmes eine sich ständig wandelnde Erfahrung – ähnlich dem umschriebenen Begriff der Heimat. »Heimat« ist weniger ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl. Besonders jene Zeitumstände zu denen jeglicher Diskurs fehlt, d.h. zu welchen der Zuschauer keine Verbindung mehr besitzt, sind besonders interessant. Die beiden Weltkriege kennt man lediglich aus objektiven Geschichtsbüchern oder emotionalen Beschreibungen Verbliebener. Reitz‘ Realistischer Blick auf jene Ereignisse bieten einen gänzlich neuen Eindruck auf solche Geschehnisse, da sie aus der subjektiven Perspektive einer ganzen Familie erzählt werden – eben eine Art neuer deutscher Heimatfilm.
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»Geschichte« bedeutet das »Leben Vieler«