crescendo Premium 07/2016

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AUSGABE 07/2016 DEZEMBER 2016 – JANUAR 2017

www.crescendo.de 7,90 EURO (D/A)

PREMIUM AUSGABE

CD

inkl.

SCHWERPUNKT REFORMATION Alle Hintergründe, Veröffentlichungen und Termine zum Martin LutherJubiläumsjahr 2017

EIN TEE MIT ... Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl

Die Mezzosopranistin wird nach der Babypause noch mehr gefeiert als zuvor

+ Die besten Weihnachts-CDs B47837 Jahrgang 19 / 07_2016

Mit Beihefter CLASS: aktuell

MOZARTWOCHE 2017 Stiftung Mozarteum Salzburg 26. Januar bis 5. Februar 2017 Mozarts „Requiem“ in der ­P ferdechoreographie des ­Franzosen Bartabas


BB Promotion GmbH in association with Sundance Productions, Inc. NY presents a production of Michael Brenner

DER ORIGINAL BROADWAY-KLASSIKER

17. – 20.11.16 · MUSICAL THEATER BREMEN 22. – 27.11.16 · MUSICAL THEATER BASEL 14. – 18.12.16 · WIENER STADTHALLE, HALLE F 21. – 31.12.16 · COLOSSEUM THEATER ESSEN 03. – 15.01.17 · THEATER 11 ZÜRICH 11. – 22.04.17 · ALTE OPER FRANKFURT 25.04. – 14.05.17 · DEUTSCHES THEATER MÜNCHEN €/Anruf aus dem Festnetz, Mobilfunk max. 0,60 €/Anruf) Tickets: 01806 - 10 10 11 (0,20 · www.westsidestory.de


P R O L O G

CRESCENDO -TV

WINFRIED HANUSCHIK Herausgeber

Liebe Leser, ein ereignisreiches Jahr neigt sich dem Ende zu. Ein Jahr, das von einigen bislang nicht vorstellbaren politischen Irrungen und Wirrungen geprägt war – ob Brexit, Erdogan, Terroranschläge in Deutschland und Frankreich oder die Wahl eines Milliardärs zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, der nicht nur die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, sondern auch die eigene Verfassung ablehnt! („Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“) Bei manchen Internetkommentaren, zuletzt sogar auf der crescendo-Webseite, habe ich den Eindruck, dass auch erstaunlich viele deutsche Bürger in ihrer realen oder empfundenen Bedrohung unser eigenes Grund­ gesetz aus den Augen verloren haben, das ebendiese Rechte garantiert. Offensichtlich hängt das Wohl unserer Gesellschaft jetzt an uns, den kultivierten Menschen. Im eigentlichen Sinne ist „Kultur“ nämlich keine Freizeitbeschäftigung, sondern eine Haltung: die Überzeugung, dass wir Menschen gemeinsam glücklicher, stärker und erfolgreicher sind als allein und in Feindschaft. Einige Menschen, die sich ihr Leben lang dafür

einsetzten, haben uns in diesem Jahr verlassen, wie Pierre Boulez, Neville Marriner, Peter Sadlo und Johan Botha. Am Schlusstag unserer Produktion erreichte uns die Nachricht, dass der kanadische Sänger und Songwriter Leonard Cohen verstorben ist – Lang Lang und Max Richter fühlten sich übrigens sofort dazu animiert, ihm Hommagen am Klavier zu spielen und posteten diese umgehend auf ihren Facebook-Seiten. Am meisten fehlt uns Nikolaus Harnoncourt, den wir für seine Klugheit und Geradlinigkeit immer sehr geschätzt haben. Darum war es uns eine große Freude, mit seiner Frau, Alice Harnoncourt, unsere neue Reihe „crescendo trifft ...“ zu eröffnen: Auf youtube.de/crescendomagazin sehen Sie jeden Freitag ein kurzes Gespräch mit einer Persönlichkeit der klassischen Musik. Dort plauderte Alice Harnoncourt sehr offen über das gemeinsame Leben mit ihrem berühmten Mann. Das zweite Interview ist ebenfalls bereits online zu sehen: Wir trafen Antonio Pappano, der über die besondere Energie von Musik spricht. Wenn Sie keine Folge verpassen möchten, können Sie dort einfach auf „abonnieren“ klicken (kostenlos). Das Schwerpunktthema dieser Ausgabe ist das Jubiläum des Jahres 2017, in dem das ganze Land „500 Jahre Reformation“ feiert. Das mit dem „ganzen“ Land meine ich ernst: Denn wir bekommen durch das Jubiläum einen freien Tag geschenkt – Dienstag, 31. Oktober wird im Jahr 2017 ein nationaler Feiertag sein. In crescendo behandeln wir das Thema aus musikalischer Sicht. Dabei fiel uns vor allem auf, dass die protestantische Kirchenmusik deutlich breiter aufgestellt ist als die katholische und Johann Sebastian Bach es am Ende in beide Gesangbücher schaffte. Das gesamte Dossier finden Sie ab Seite 59. In diesem Sinne, ein frohes Weihnachtsfest

Fotos Titel: Holger Hage; Matthias Baus; Mirko Joerg Kellner

An dieser Stelle ist keine Abo-CD vorhanden? Sie sind Premium-Abonnent, aber die CD fehlt? Dann rufen Sie uns unter 089/85 85 35 48 an. Wir senden Ihnen Ihre Abo-CD gerne noch einmal zu.

Winfried Hanuschik ONLINE PREMIUM-SERVICES: TRETEN SIE EIN! Ihre Abo-CD In der Premium-Ausgabe finden Sie nicht nur doppelt so viel Inhalt: mehr Reportagen, Porträts, Interviews und ­ Hintergründe aus der Welt der Klassik – in einer besonders hochwertigen Ausstattung, sondern auch unsere ­ crescendo Abo-CD. Sie ist eine exklusive Leistung unseres ­crescendo Premium-Abonnements. Premium-Abonnenten erhalten sechs Mal jährlich eine hochwertige CD mit Werken der in der aktuellen Ausgabe vorgestellten Künstler. Mittlerweile ist bereits die 63. CD in dieser crescendo Premium-Edition erschienen.

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Dezember 2016 – Januar 2017

* Als Premium-Abonnent registrieren Sie sich beim ersten Eintritt mit Ihrer E-Mail-Adresse und Ihrer Postleitzahl. Alle anderen crescendo Premium-Käufer oder -Leser brauchen für die erstmalige Registrierung den Registrierungscode. Dieser lautet für die aktuelle Ausgabe: Registrierungscode:

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P R O G R A M M

Rolando Villazón inszeniert

D V D : 733708 Blu -r ay: 733804

LaTraviata

„Visuell spektakulär“ The Huffington Post

Mit Olga Peretyatko, Atalla Ayan Simone Piazzola, Emiliano Gonzalez Toro Tom Fox, Balthasar-Neumann-Ensemble Balthasar-Neumann-Chor Pablo Heras-Casado

3 Opernfilme

DVD: 2.110374-77 Blu-ray: NBD0052-54

mit hochkarätiger Besetzung

GIUSEPPE VERDI: Rigoletto & La Traviata GIACOMO PUCCINI: Tosca Plácido Domingo, José Cura, Catherine Malfitano, Ruggero Raimondi, Vittorio Grigolo, Eteri Gvazava u.v.a. Zubin Mehta Drei herausragend inszenierte Opernfilme in einem exklusiven, edel gestalteten Box-Set, produziert von Andrea Andermann

16 ALISON BALSOM Die Trompeterin über ihr neues Album und ihre Prominenz.

44 SCHEIBEN ZUM FEST Unsere diesjährige Auswahl an Weihnachts-CDs.

STANDARDS

KÜNSTLER

HÖREN & SEHEN

03 .... PROLOG Der Herausgeber stellt die Ausgabe vor 06.... ENSEMBLE Mit unseren Autoren hinter den Kulissen 08.... BLICKFANG Die Aufführung Palestrina von 2010 10 .... OUVERTÜRE Ein Anruf bei ... Thomas Hengelbrock Tabelle: Luther, Schönberg und Gandhi im Vergleich 30.... PERSONALIEN Zum Tod von Neville Marriner 35.... IMPRESSUM 46.... R ÄTSEL 59 .... K LASSIK IN ZAHLEN 70.... KOMMENTAR Axel Brüggemann über die Bedeutung ­christlicher Musik 82.... HOPE TRIFFT ... ... Tom Service, den bekanntesten britischen Klassikmoderator

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14..... EIN TEE MIT ... Schauspieler Udo Wachtveitl 16..... A LISON BALSOM Ein Treffen mit der Trompeterin in Paris 18..... OLIVIER CAVÉ Der smarte Schweizer über seine Mentoren 22.... HOWARD ARMAN Der Brite über seine neue Rolle als Chef des BR-Chors 24..... ELINA GARANČA Ein entspanntes Gespräch mit der Mezzosopranistin, die mit 40 sehr geerdet wirkt 28.... ECHO KLASSIK Die schönsten Momente der wichtigsten KlassikPreisverleihung des Jahres

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31..... DIE WICHTIGSTEN EMPFEHLUNGEN DER REDAKTION 32.... ATTILAS AUSWAHL Unser Chef-Rezensent empfiehlt Nachhaltiges für den Gabentisch 42.... U NERHÖRTES & NEU ENTDECKTES Christoph Schlüren über den norwegischen Komponisten Ketil Hvoslef 44.... W EIHNACHTEN Die schönsten Scheiben zum diesjährigen Fest

EXKLUSIV FÜR ABONNENTEN Hören Sie die Musik zu u­ nseren Texten auf der ­crescendo Abo-CD – exklusiv für Abonnenten. Infos auf den Seiten 3 & 80

Dezember 2016 – Januar 2017

Fotos: Florence Grandidier; Jason Joyce / Warner Classics; Marcus Höhn / DG

Mitschnitt aus dem Festspielhaus Baden Baden 2015

10 THOMAS HENGELBROCK „Wie ist die Akustik in der neuen Elbphilharmonie?“, fragten wir den Dirigenten.


AUDIO/STEREOPLAY LESERWAHL 2016

Mehr Klangfaszination

nuLine 264 ›Ein veritabler Überflieger‹ 7/16

Fotos: Kasskara / ECM Records; Illustration: Claudia Prinz; Schloss Hellbrunn

TESTSIEGER

58 GIDON KREMER Der lettische Violinist kümmert sich in seiner Heimat um den Nachwuchs.

59 MARTIN LUTHER Alles zum bevorstehenden Jubiläum 500 Jahre Reformation.

73 REISE SPEZIAL Kulturdestinationen, die zu jeder Jahreszeit Saison haben.

ERLEBEN

GESELLSCHAFT

LEBENSART

48.... DIE WICHTIGSTEN TERMINE UND VERANSTALTUNGEN IM HERBST 54.... MOZARTWOCHE Bartabas choreografiert ein Pferdeballett zu Mozarts Requiem 56.... K ISSINGER ­W INTERZAUBER Heiße südamerikanische Rhythmen wie auch wohlige Weihnachtstradition bestimmen das diesjährige Festival 58.... BALTIC SEA DISCOVER TOUR Warum sich Gidon Kremer und Kristjan Järvi um junge Musiker aus der Ostsee-Region kümmern

59..... SCHWERPUNKT: 500 JAHRE REFORMATION Ein Dossier zum Jubiläumsjahr 2017 60.... LUTHER UND DIE MUSIK Musikwissenschaftler Konrad Küster über die Wirkung des Reformators auf die klassische Musik 64.... DAS LEBEN DER ANDEREN Die Bedeutung der lutherschen Kontrahenten in Bezug auf ihre musikalische Wirkung 66.... LUTHERMANIA Im Jahr 2017 wird man an Martin Luther nicht vorbeikommen, auch bei Playmobil nicht 69..... LUTHER ­KOMPONIERT Welche Musik spielte und komponierte der Reformator selbst? 72..... WOHER ­KOMMT EIGENTLICH ... Vom Himmel hoch ...?

Standboxen bis 1600 €

›Nicht die schlanke Form unterschätzen – klanglich saßen wir in unserem Test vor einer HochenergieKanone, die wie kaum ein anderer Lautsprecher mit dynamischen Details umzugehen wusste‹ Audio 7/16

73..... R EISE & KULTUR Acht Sonderseiten zu den Destinationen Salzburg, Aix-en-Provence, Konstanz, Monte-Carlo und den Städten zwischen Rhein und Mosel 81..... WEINKOLUMNE John Axelrod über den passenden Wein zum Luther-Jahr 2017

nur 15 cm Frontbreite

Made in Germany

nuLine 264: Klangstarke Eleganz, 260/180 Watt. Handwerkliche Ausführung in Schleiflack Weiß und Schwarz oder Holzversion Nussbaum. 785 Euro/Box (Preise inkl. 19% MwSt, zzgl. Versand) Nur vom Hersteller: www.nubert.de ■ Günstig, weil Direktvertrieb ab Hersteller Nubert electronic GmbH, Goethestr. 69, D-73525 Schwäbisch Gmünd ■ 30 Tage Rückgaberecht ■ Hörstudios in D-73525 Schwäbisch Gmünd, D-73430 Aalen und D-47249 Duisburg ■ Bestell-Hotline mit Profiberatung, in Deutschland gebührenfrei 0800-6823780

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Ehrliche Lautsprecher


E N S E M B L E

Hinter der Bühne

JETZT NEU!

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern und Mitarbeitern, die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.

ALBRECHT MAYER »VOCALISE«

TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL Manche unserer Autoren werden mit der Zeit zu echten Insidern, weil sie den Künstler oder die Künstlerin schon öfters trafen und interviewten. Teresa Pieschacón begegnete der Sopranistin Elīna Garanča mehrfach für unsere Ausgabe, und die beiden Damen scheinen sich so gut zu verstehen, dass Garanča – sonst eher zurückhaltend – diesmal sogar sehr familiäre und persönliche Dinge preisgab. Das sehr lesenswerte Interview finden Sie auf Seite 24.

KONRAD KÜSTER Als wir für unseren Schwerpunkt „500 Jahre Reformation“ einen Autor suchten, stießen wir auf Konrad Küster, der sogar ein eigenes Buch zum Thema „Luther und Musik“ verfasste. Küster ist im Hauptberuf Professor für Musikwissenschaft an der Universität Freiburg, und die lutherische Musikkultur ist für ihn schon immer ein zentrales Forschungsgebiet gewesen, stets aber in Verbindung mit der katholischen und der außerkirchlichen Musiktradition. Küster hat sich in mehreren Büchern bereits mit Bach und Mozart befasst; italienische Musik der Zeit Heinrich Schütz’ war das Thema seiner Habilitationsschrift von 1994. Seine Gedanken zu Luthers Wirkung auf die Kirchenmusik lesen Sie auf Seite 60.

Albrecht Mayer lässt die Oboe singen mit reizvollen Arrangements vokaler Werke von Händel bis Fauré. Albrecht Mayer im Konzert: 29. 11. Köln | 2. 12. Ludwigshafen | 4. 12. München

WWW.ALBRECHTMAYER.COM

THE ART OF ANNE-SOPHIE MUTTER »MUTTERISSIMO«

Die größte Schwierigkeit eines Themenschwerpunkts, der sich auf das Jahr 1517 bezieht, liegt in der Gestaltung der Optik, denn von Martin Luther gibt es genau zwei Dinge: sein von Lucas Cranach gezeichnetes Porträt und seine Thesen. Daher entschieden wir uns, eine unserer Lieblingskünstlerinnen mit der Illustration des Themas zu beauftragen. Wenn Ihnen die Handschrift bekannt vorkommt: Claudia Prinz gestaltete auch schon ein Cover unserer Premium-CD. Mehr zu Claudia Prinz unter www.claudiaprinz.de.

2 CDs – erhältlich ab 9. 12. 2016 »Die beste Geigenvirtuosin unserer Tage« FAZ

WWW.ANNE-SOPHIE-MUTTER.DE

6www.deutschegrammophon.com

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Dezember 2016 – Januar 2017

Fotos: privat

CLAUDIA PRINZ


Meine Klassik Die Neuheiten

Barocke Arien von Monteverdi bis Händel joyce-didonato.de

Barocker Glanz der Trompete zu den Festtagen alison-balsom.de

Brillante Flötenkonzerte aus Potsdam emmanuel-pahud.de

Kult-Aufnahmen von 1953-64 in modernstem Remastering 3 CD-Edition

Münchner Philharmoniker Maßstab für Klang und Interpretation mphil.de

Oper Deluxe: Referenzaufnahmen in modernstem Remastering und luxuriöser Ausstattung

warnerclassics.de

MEINE KLASSIK


B L I C K F A N G

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Dezember 2016 – Januar 2017


Glaubenskrieg

Foto: Wilfried Hösl

„Das ist die neue Zeit, die in ihm gährt“! Das Thema „Reformation“ wird reichlich klanggewaltig auch in Hans Pfitzners Palestrina verhandelt. Die Oper spielt im Jahr 1563, kurz vor Abschluss des Trienter Konzils. Befangen, irrational und grotesk debattieren die Kirchenfürsten über Zukunft der Kirchenmusik und Sprache der Liturgie. Der Komponist Palestrina lässt sich währenddessen von den Engeln selbst – inklusive seiner verstorbenen Frau – eine Messe in die Feder diktieren, die die Kleriker von der Notwendigkeit der Freiheit der Musik überzeugt. Uns gefällt die poppige Inszenierung von Christian Stückl 2010 an der ­Bayerischen Staatsoper.

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O U V E R T Ü R E

„Große Wärme, perfekter Klang“ crescendo: Herr Hengelbrock, ganz direkte Frage: Wie klingt sie Sie sind ein Meister der historisch informierten Aufführungsdenn jetzt, die neue Elbphilharmonie? praxis. Müsste man nicht auch die Räumlichkeiten dazu historisch Thomas Hengelbrock: Sie klingt wirklich ganz fantastisch! Sie hat eine passend wählen? ausgesprochen gelungene Mischung zwischen Sinnlichkeit und Deut- Es ist wichtig, dass man sich um die Aufführungsbedingungen, die lichkeit, zwischen großer Wärme und schöner Mischung des Klangs manchmal in eine Partitur eingeschrieben sind, kümmert. Nehmen und zugleich einer großen Durchhörbarkeit. Es ist außerdem bemer- Sie zum Beispiel eine große Messe von Johann Caspar von Kerll: Die hat ein sehr langsames, harmonisches kenswert, dass der Klang wirklich auf allen Tempo, ist für die Aufführung in ganz groPlätzen wunderbar ist – von ganz unten bis hinauf unters Dach. ßen Kirchen und Kathedralen geschrieben. Hatten Sie denn Einfluss auf das akustiWenn wir eine solche Musik in einem sehr trockenen Konzertsaal aufführen, verliert sie sche Fein-Tuning des Bauwerks? schnell ihren Reiz und Zauber. Es gibt MuNein, das war auch in der Bauplanung nicht vorgesehen. Es gab einen Entwurf des Insik, die sich wirklich nur in Kirchen entfalnenarchitekten, beziehungsweise – was die ten kann, die mit einer langen Nachhallzeit akustischen Parameter angeht – von Herrn rechnet. Und es gibt genau das Gegenteil: Toyota. Dieser wurde dann auch eins zu eins Kammermusik, die für kleine Räume geumgesetzt. schrieben ist, die eine unheimliche DeutlichNa dann haben wir ja Glück gehabt, dass keit und Transparenz verlangen. es so gut geklappt hat ... Gab es Räume, die Sie ganz besonders insNicht nur Glück! Herr Toyota hat wirklich piriert haben? ein Meisterstück abgeliefert. Er war in den Als junger Künstler spielte ich zum ersten vergangenen zwei Monaten in allen Proben Mal im Orchester des Concertgebouw. Als dabei und hat selbst immer wieder gesagt: alle anderen Musiker weg waren und der „I’m so happy, I’m so happy!“ Saal komplett leer war, stelle ich mich dort Wie geht man als Dirigent grundsätzlich hin und spielte Tschaikowsky, Bach-Chaan die Akustik eines neuen Hauses, insbeconne und vieles mehr. Ich konnte mich nicht satthören am Klang dieses herrlichen sondere eines so großen, heran? Thomas Hengelbrock (58) ist Chefdirigent Saales. In dem Fall ist die Akustik so anders als in des NDR Elbphilharmonie Orchesters Wie ist Ihre Vision vom perfekten Raum? der Hamburger Laeiszhalle, dass sich das Orchester da komplett neu finden und aufstellen muss. Wir haben Es gibt schon einige Räume, die speziell für klassisches Konzertresehr viel experimentiert: mit den Sitzpositionen, mit der Podesterie, pertoire gebaut wurden und den Anforderungen sehr gut genügen mit der Aufstellung. Das sind Prozesse, die Zeit brauchen und je nach wie eben das Concertgebouw in Amsterdam, der Musikvereinssaal Repertoire auch sehr verschieden sind. Eine bestimmte Aufstellung in Wien, die Philharmonie in Paris und ab sofort ganz sicher die funktioniert für einen bestimmten Saal sehr gut, für einen anderen Elbphilharmonie. Aber ich möchte jetzt auch mal ganz explizit das nicht – da steht man als Dirigent in der Elbphilharmonie vor den glei- Konzerthaus in Dortmund nennen und nicht zu vergessen eines der chen Aufgaben, wie man sie im Grunde genommen als Dirigent über- schönsten Häuser, die es überhaupt in Europa gibt: den wunderbaren all in der Welt hat ... Aber es ist schön, wenn man diese Aufgaben an alten Saal in Wuppertal, der leider viel zu wenig bespielt wird, was der Finanznot der dortigen Kommunen geschuldet ist. Interview: Maria Goeth einem der bestklingenden Orte der Welt bewältigen kann.

PLAYLIST Welche Werke hört Peter Dijkstra privat? Und vor allem, warum?

Sein neues Album: „Soli Deo Gloria“ (BR Klassik)

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1. Robert Schumann: Dichterliebe op. 48; Fritz Wunderlich und Hubert Giessen Wunderlich ist für mich der beste Sänger, den es je gegeben hat: welch eine Textbehandlung, ­farbenreiche Stimmgebung und manchmal auch einfach nur herrlicher Wohlklang! 2. James MacMillan: Miserere; The Sixteen, Peter Phillips Im Bereich A-cappella-Chormusik des 21. Jahrhunderts gehört MacMillan zu den interessantesten Komponisten. Sein Miserere ist ein absolutes Highlight der modernen Chormusik! 3. Johann Sebastian Bach: h-Moll Messe; BR-Chor, Concerto Köln Für mich die größte Oratorienkomposition überhaupt und eine Aufnahme, die mich mit großem Stolz erfüllt: der krönende Abschluss der Reihe mit Hauptwerken des Thomaskantors, mit dem BR-Chor, Concerto Köln und herausragenden Solisten. 4. Lars Jansson Trio: Witnessing Unverfälschter schwedischer Jazz: eine Kombination aus klanglicher Schönheit, Lässigkeit und rhythmischem Drive. Ein Groove, der ansteckend wirkt. Großartig! 5. Brahms: Sinfonien; Berliner Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt Die Aufnahme hat mich beim ersten Hören fast erschüttert: Werke, die ich gut kenne, sind mir wie neu erschienen. Harnoncourts Suche nach Wahrheit hat mich sehr inspiriert.

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Dezember 2016 – Januar 2017

Foto: Büro für internationale Kulturprojekte GmbH; Iwan Baan

Ein Anruf bei Dirigent Thomas Hengelbrock, der bereits in der spektakulären frisch fertiggestellten Elbphilharmonie proben durfte.


HERAUSRAGENDE

NEUHEITEN

BEI SONY CLASSICAL

JONAS KAUFMANN DOLCE VITA Das aktuelle Album mit den schönsten italienischen Klassikern wie Volare, Torna a Surriento, Parlami d’Amore Mariù, Core ‘ngrato, Passione, Caruso u.a. Aufgenommen in Sizilien mit dem Orchestra del Teatro Massimo di Palermo.

LANG LANG NEW YORK RHAPSODY

www.jonaskaufmann.com

www.langlang.com

Mit seinem neuen Album schafft Lang Lang ein faszinierendes musikalisches Portrait seiner Wahlheimat New York. Mit Gershwins Rhapsody in Blue mit Herbie Hancock am zweiten Klavier, Tonight von Leonard Bernstein und Musik von Aaron Copland u.v.a.

SOL GABETTA LIVE MIT DEN BERLINER PHILHARMONIKERN Die neue CD mit dem berühmten Cellokonzert von Edward Elgar unter Sir Simon Rattle und dem virtuos-verspielten ersten Konzert von Bohuslav Martinu˚ unter der Leitung von Krzysztof Urban´ski. www.solgabetta.com

MARTIN STADTFELD CHOPIN + Martin Stadtfeld kombiniert die 24 Chopin-Etüden mit eigenen Improvisationen, die er zwischen die Etüden eingebettet hat. www.martinstadtfeld.de

TEODOR CURRENTZIS DON GIOVANNI Currentzis’ Aufnahmen von Mozarts Le nozze di Figaro und Così fan tutte mit MusicAeterna wurden weltweit als Ereignis gefeiert. Jetzt erscheint die lang erwartete Aufnahme des Don Giovanni. Limitierte Erstauflage als hochwertiges Büchlein mit CD. www.teodor-currentzis.com

REGULA MÜHLEMANN MOZART ARIEN Die junge Schweizer Sopranistin wurde bei den Salzburger Festspielen für ihre Auftritte in Opern von Mozart hochgelobt. Auf ihrem Debüt-Album mit dem Kammerochester Basel singt sie mit ihrem „glockenrein, hell leuchtenden Sopran“ ausgewählte Mozart Arien und das berühmte Exsultate, Jubilate. www.regulamuehlemann.com

www.sonyclassical.de

www.facebook.com/sonyclassical


O U V E R T Ü R E

Echte Reformatoren Passend zu unserem Schwerpunktthema „500 Jahre Reformation“ haben wir Martin Luther einmal mit anderen Aufrührern verglichen: Arnold Schönberg und Mahatma Gandhi.

MARTIN ­LUTHER

ARNOLD ­SCHÖNBERG

MAHATMA ­GANDHI

Was ist ihre Reform?

Langzeitwirkung

Promi-Status weltweit

Als „Junker Jörg“ auf der Wartburg untergetaucht, „vertrieb er den Teufel mit Tinte“ und übersetzte getreu dem Motto „Tu’s Maul auf!“ die Bibel neu. Wenn auch seine 95 Thesen wahrscheinlich nie an das Portal der Kirche zu Wittenberg geschlagen wurden, sie haben die Reformation ausgelöst. Luther wandte sich gegen Ablasshandel wie Hexenverfolgung und forderte die „Freiheit eines Christenmenschen“.

Die UNESCO erhob Werke Luthers in den Stand eines Weltdokumentenerbes. 7.000 Tisch­ reden sind überliefert, unzählige Predigten, 350 Druckerzeugnisse, 2.500 Briefe sowie eine Unzahl von Sprichwörtern wie „Aus einem traurigen Arsch fährt kein fröhlicher Furz“. Selbst crescendo widmet dem Herrn einen Schwerpunkt.

Knapp eine Milliarde bekennt sich heute weltweit zum Protestantismus, sein Leben wurde ein Kinofilm und die schwindelerregende Auflagenzahl seiner Bibelübersetzung wird 2017 durch Editionen von Fußballguru Jürgen Klopp, Hühner-Cartoonist Peter Gaymann, Kinderbuchkönig Janosch sowie dem „Wind of Change“-Vocalero Klaus Meine getoppt.

Arnold Schönberg war Komponist, Maler und, weil er die Zahl 13 fürchtete, Triskaidekaphobiker. Geboren an einem 13. und verstorben an einem 13., erdachte er die Dodekaphonie, die Zwölftonmusik, ein System mit eigener Kompositionstechnik, das den bis dahin verwendeten Tonraum öffnete. Mit zwölf Tönen in Reihe führte er die Musik ins Atonale.

Schönberg machte Musikgeschichte und hielt fest: „Die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts wird durch Überschätzung schlecht machen, was die erste Hälfte durch Unterschätzung gut gelassen hat an mir.“ „Ich erwarte, 125 Jahre alt zu werden und dann noch den Anfang meines Erfolges zu erleben!“ Der bisher älteste Mensch starb aber mit 122 Jahren.

Thomas Mann befürchtete: „Schönberg wird mir die Freundschaft kündigen“ und sorgte dafür, dass dessen Theorie in der Literatur einen prominenten Platz bekam. In seinem Roman „Doktor Faustus“ setzte Thomas Mann der Zwölftonmusik Schönbergs ein Denkmal. Fachlicher Berater war Theodor Adorno. Manns Befürchtung sollte sich bewahrheiten.

Der einstige Rechtsanwalt Mohandas Karamchand Gandhi gilt als Begründer des gewaltfreien Widerstands. Mahatma, „die große Seele“, wie er genannt wurde, brachte den Mut auf, der ihm als Kind fehlte: „Ich war ein Feigling. Ich wurde geplagt von der Angst vor Dieben, Geistern und Schlangen. Dunkelheit war ein Horror für mich.“

Gandhi, der Geige spielte und sich im Tanz unterrichten ließ, wurde zum Vorbild der Friedensbewegung. Atomkraftgegner wie Bürgerrechtler berufen sich auf ihn, sein Name wurde zum Synonym für den Widerstand ohne Gewalt, die Bewahrung der Menschenrechte, ja, die Freiheit schlechthin. Puh, so einen bräuchte man in diesen Tagen wieder!

1947 erlangte Indien durch Gandhis Widerstandsbewegung die Unabhängigkeit von der Kolonialherrschaft Großbritanniens. Ausgerechnet ein Brite, der preisverwöhnte Regisseur Richard Attenborough, ließ Gandhis Biografie zum preisgekrönten Leinwandepos werden. Acht Oscars bekam der Film, seither verwechselt man Ben Kingsley mit Gandhi, der aber bekam nie den Friedensnobelpreis.

Bochumer Konzertsaal eröffnet: Rund 37.000 Besucher feierten am 29. und 30.10. die Eröffnung des Anneliese Brost Musikforum Ruhr. Sein Konzertsaal fasst 964 Zuschauer. +++ Gema einigt sich mit Youtube: Nach sieben Jahren Streit hat sich die Verwertungsgesellschaft Gema mit Youtube über Lizenzgebühren geeinigt. Von nun an sind Zehntausende bislang für deutsche Nutzer gesperrte Musikvideos auf der Plattform zu sehen. +++ Nils Landgren preisgekrönt: Der schwedische Jazzmusiker erhält den mit 20.000 Euro dotierten Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein. +++ Marcus Bosch verlässt Nürnberg: Mit Ende der Spielzeit 2017/2018 wird Marcus Bosch seine Tätigkeit als Generalmusikdirektor des Staatstheaters und der Staatsphilharmonie Nürnberg beenden, um einem Ruf als Professor für Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater München zu folgen. +++ Wegen politischer Unstimmigkeiten ausgefallen: Ein für Mitte November geplantes Konzert der Dresdner Sinfoniker in Istanbul wurde vom Auswärtigen Amt abgesagt. Das Konzert, zu dem der türkische Präsident Erdogan persönlich eingeladen war, hätte das Massaker an der Armeniern thematisiert, ein für die Türkei kontroverses Thema.

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Dezember 2016 – Januar 2017

Fotos: Arnold Schönberg Center

VON STEFAN SELL


O U V E R T Ü R E

Mann legt die Metropolitan Opera lahm Opernleidenschaft in allen Ehren, doch in New York schoss ein Mann dabei weit übers Ziel hinaus: Als er bei einer Vorstellung von Rossinis Guillaume Tell in der Metropolitan Opera eine undefinierbare weiße Substanz in den Orchestergraben kippte, wurde wegen Terrorverdacht ein Großeinsatz der Polizei ausgelöst. Die Vorstellung musste zum Ärger des Publikums abgebrochen, die Abendvorstellung abgesagt werden. Laboranalysen ergaben schnell, dass es sich nicht etwa um gefährliche Erreger handelte, sondern um Asche: Um seinem verstorbenen Mentor – einem großen Opernfan – zu huldigen, hatte der Mann dessen Urne ins Orchester entleert. Polizei und Management der MET einigten sich mittlerweile darauf, von einer Anzeige abzusehen. ■

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PA S   D E   D E U X Unsere Rubrik mit Doppelgängern aus der Klassikwelt. Diesmal: Alexander Melnikov und Peter Lorre

Fotos: Molina Visuals; gemeinfrei

Fragwürdige Bestattungsidee

Gerade ist die erste CD von Alexander Melnikovs Gesamteinspielung der Prokofjewschen Klaviersonaten erschienen. Dabei fiel uns seine Ähnlichkeit zu Peter Lorre auf, der 1931 als Bösewicht in Fritz Langs Film M – Eine Stadt sucht einen Mörder seinen schauspielerischen Durchbruch feierte. Bei Melnikov geht es hoffentlich etwas weniger mörderisch, dafür aber umso wohlklingender zu!

A ndrás Sc hif f Ludwig van Be ethoven The Piano Sonat as

Im Un i ve r s a l Ve r t r i e b

D i e ko mp l e t te n K l av i e r s o n a te n vo n Lu d w i g van B e e t h ove n, li ve in d e r To nh all e Zü r i c h au fg e n o mm e n. Mi t b i s h e r u nve r ö f fe nt li c hte n Zu g a b e n „En c o r e s a f te r B e e t h ove n∑ – We r ke vo n S c hu b e r t, Moz ar t, H aydn, B e e t h ove n u n d B a c h. Ho c hwe r t i g e r S c hu b e r mi t e l f CD s in s o r g f äl t i g g e s t al te te n K l ap p c ove r n u n d e in e m 256 _ s e i t i g e n Bu c h mi t G e s p r ä c h e n z w i s c h e n A n dr á s S c hi f f u n d M ar t in M eye r s ow i e e in e m n e u e n Tex t vo n S c hi f f, in d e m e r ü b e r Zu g ab e n r e f l e k t i e r t .

„ En c o r e s a f t e r B e e t h ove n “ i s t au c h a l s Ei n ze l _Ve r ö f fe n t l i c hu n g e r h ä l t l i c h. 11_ C D B ox u n d Ei n ze l _ C D a b 25. 11. i m H a n d e l.

w w w. andras _ sc hif f . de w w w. ecmrec ords. c om


K Ü N S T L E R

Auf einen Tee mit ...

UDO WACHTVEITL VON MARIA GOETH

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Foto: Robert Kittel

Schauspieler und Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl (59) im „La Sophie“ in seiner Nachbarschaft im Münchner Stadtteil Au

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Dezember 2016 – Januar 2017


„ES WAR WIRKLICH EIN PROBLEM, WENN MAN EIN MÄDCHEN GUT UND HÜBSCH FAND UND SIE HATTE EINEN SCHLECHTEN MUSIKGESCHMACK“

crescendo: Herr Wachtveitl, haben Sie mal Blockflöte gespielt? Udo Wachtveitl: Ja, ein ekstatisches Blockflötensolo beim Song Bitte mach mir ein Kind von Funny van Dannen. Das habe ich 2006 in der Muffathalle vor ungefähr 1.200 Leuten gespielt. Sie wurden also als Kind mit Instrumentalunterricht „gequält“... Überhaupt nicht. Ich hab mir das als Erwachsener selber beigebracht. Ist ja nicht so schwer: (lacht) Je mehr Löcher zu sind, desto tiefer ist der Ton. Dann war Blockflöte nicht Ihr Einstiegsinstrument. Aber als Jugendlicher sollen Sie in einer Schulband Gitarre gespielt ­haben. Was man halt so macht, um ein toller Typ zu sein. Kreischende Mädels? Kreischende Mädels waren natürlich das Hauptinteresse, (lacht) aber so arg haben Sie dann doch nicht gekreischt. Das waren eben erste Versuche auf dem Instrument, alles selbst beigebracht. Aber dann hatte ich mit 19 Jahren dummerweise einen sehr schweren Autounfall, und ich konnte die Hand nicht mehr richtig drehen. Das heißt, Barré-Greifen ist seitdem schwierig bis unmöglich. Ich hatte nicht den Biss und das musikalische Wollen wie Django Reinhardt, der nach einem Unfall selbst mit zwei Fingern noch spielte. In der BR-Serie Im Schleudergang mimen Sie sogar einen ehemaligen Opernsänger ... Die Folge 18 war sehr gut, weil er da wirklich singt: (singt) „Ich bin der Prodekan, man sieht mir’s gar nicht an ...“ Das habe ich original eingesungen. Da glaubt man, dass er ein Opernsänger war, man glaubt aber auch, dass er nie Erfolg hatte. Gerade haben Sie den Erzähler in einer Händel-Biografie auf Hörbuch gesprochen. Welche Musikerbiografie würden Sie sonst gerne einlesen? Ich würde gerne mal was über Frank Zappa machen, der seine Finger ja auch ins Klassische ausgestreckt hat. Er hat sich für komplizierte Musik interessiert, diese ganzen Einflüsse der Populärkultur aufgenommen. Mir gefällt, dass er wie Prince zum großen Teil ein Autodidakt war, ein Selfmademan. Wie läuft so eine Hörbuchproduktion eigentlich konkret ab? Für zehn Folgen brauchen wir zwei Tage. Die Musikbeispiele sind meistens noch nicht vorgemischt, ich stelle sie mir also vor. Wenn es sehr wichtig ist, dass ich mich darin einfühle, lasse ich sie mir vom Schneideraum einspielen. Wenn ich Fragen habe, sind mit Toningenieur, Autor und Abteilungsleiter sehr kompetente Gesprächspartner da, wenn es zum Beispiel um die Betonung fremdländischer Komponistennamen geht. Wir sind also zu viert, ich einsam im „Aquarium“ – einer Kanzel, wo mich große Scheiben einfassen –, die anderen draußen. Ein ziemlich geheimnisloser Vorgang. Die große Kunst ist, den Text zu fassen, den kulturellen Bezug herzustellen und gut zu sprechen. Der Tatort ist das Fernseh-Heiligtum der Deutschen. Nervt es Sie manchmal, dass die Leute immer den Kommissar mithören? Bei allem, was man erfolgreich und publikumswirksam macht, setzt man sich dieser Gefahr aus. Der leider schon verstorbene

Manfred Krug war lange Zeit nicht nur der Tatort-Kommissar, sondern auch der Telekom-Mann. Ich selber kenne inzwischen alle Witze und bin

immun dagegen. Nervt es nicht trotzdem, dass man so stark auf diese eine Rolle reduziert wird? Wenn man nichts anderes machen würde, wäre das schon so. Der Tatort beschäftigt mich aber nur drei oder vier Monate im Jahr. In der Wahrnehmung denken die Leute, ich mache seit 20 Jahren nichts anderes. Wie Sie wissen, mache ich aber auch Hörbücher und sehr viele Lesungen, halte Vorträge, und ich habe auch ein durchaus vorhandenes Bedürfnis nach Muße. In Mexiko habe ich einen Film über Waffenschieber gemacht, der dazu geführt hat, dass die staatsanwaltlichen Ermittlungen wieder aufgenommen wurden. Gerade bin ich mit einem Dokumentarfilm über die Reformation beschäftigt. Hat man Sie im wirklichen Leben denn mal als Kommissar ­missbraucht? Ehrlich gesagt, nein. Angeblich ist das Klausjürgen Wussow, der den Dr. Brinkmann in der Schwarzwaldklinik gespielt hat, öfter passiert. Also er wurde tatsächlich für einen Arzt gehalten. Aber: Ich habe für mich selbst in einer brenzligen Situation schon mal Nutzen aus der Rolle gezogen, weil ich dieses „Hey, bleib mal stehen!“ so oft durchexerziert hatte: Mir hat jemand mein Fahrrad geklaut, und der sagte dann, ich soll seine Lederjacke loslassen, sonst sticht er mich ab. Ich habe aber nicht losgelassen ... bis die Polizei 20 Minuten später endlich kam. Noch mal zurück zur Musik: Was hört Udo Wachtveitl so privat? Also das Allermeiste, was im Radio dudelt, kann ich nicht ertragen. Da bin ich ein „Worthörer“ – Deutschlandfunk, Bayern 5 und Bayern 2 decken das ganz gut ab. Wenn Musik, dann eher komplexer und anspruchsvoller. Nehmen Sie zum Beispiel Zappa, Bob Dylan und Bach. Ich möchte in der Musik eine Seele spüren. Viele Musik ist ohne menschliche Regung, geht vom Ohr direkt ins Rückenmark, wo sie vielleicht zu ein paar Zuckungen führt. Sie ist dann aber auch nicht mehr als eine Rückenmarksreizung. Das ist wie Rosenkranzbeten: Es geht nicht mehr um den Inhalt, sondern nur noch um das rhythmische Ritual. Ich möchte auch nicht dauernd beschallt werden, dafür ist mir Musik zu wertvoll. Aber Sie waren doch bestimmt auch in Clubs früher ... Klar, aber da ist man aktiv hingegangen, und zwar für die Musik. Natürlich manchmal auch, um jemanden kennenzulernen. Aber da war es ja ganz gut, dass die Musik einen der Mühe enthoben hat, dauernd intelligent und witzig zu sein. Wir waren so ab 14 Jahren wirklich versessen aufs Musikhören und Tanzen – Jungs, die gerne tanzen, sind heute ja seltener geworden. Musik hat eine große Rolle gespielt, auch als Identitätsfaktor. Es war wirklich ein Problem, wenn man ein Mädchen gut und hübsch fand und sie hatte einen schlechten Musikgeschmack. Das war nicht nur irgendein Attribut, sondern eine Charakterfrage. ■ „Händel. Die Macht der Musik. Eine Hörbiografie von Jörg Handstein“, Udo Wachtveitl, Bernhard Schir, Gert Heidenreich u. a. (BR Klassik) 15


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Zum Schmelzen Seit Alison Balsom mit einem James-Bond-Regisseur liiert ist, interessiert sich plötzlich auch der Boulevard für die Trompeterin. Dabei ist sie in der Klassikszene schon lange der Inbegriff einer neuen, sehr selbstbewussten Künstlergeneration. V O N V E R E N A F I S C H E R - Z E R N I N

ALISON BALSOM LIVE AUF JUBILO TOUR 12.12. Osnabrück Europa-Saal 13.12. Nürnberg Meistersingerhalle 14.12. Hamburg Laeiszhalle 16.12. Braunschweig Stadthalle 17.12. Hannover NDR Landesfunkhaus

Foto: Jason Joyce / Warner Classics

18.12. Düsseldorf Tonhalle

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ie relativ ist doch Berühmtsein. Anfang Oktober Eine Kostprobe dieser Vielfalt bietet die jüngste CD „Jubilo“. dichtete die englische Boulevardzeitung Daily Balsom feiert, jahreszeitlich passend, die Barockzeit mit Werken von Mail: „Winslet’s ex Mendes falls for Trumpet Crum- Bach, Corelli, Torelli und Fasch. „Ich wollte den Glanz der Epoche pet.“ Sinngemäß – und halbwegs salonfähig ausge- hörbar machen“, sagt sie. „Sie war das goldene Zeitalter der Tromdrückt – heißt das ungefähr: „Winslets Ex-Mann Mendes pete.“ Dazu hat sie einen illustren Kreis von Mitstreitern versammelt: verknallt sich in heiße Trompeterin.“ Winslet ist natürlich Stephen Cleobury leitet den Choir of King’s College Cambridge und die Hollywoodschauspielerin Kate Winslet, der Regisseur Sam begleitet Balsom, die auf der modernen Trompete Bach-Choräle und Mendes, um den es geht, taucht immerhin namentlich auf – doch Choralvorspiele spielt, an der Orgel der Kapelle des King’s College. wer nun die bewusste Trompeterin ist, verrät die Überschrift nicht. Für das Musizieren mit der Academy of Ancient Music unter Pavlo Dabei ist die Engländerin Alison Balsom selbst ein Star, sie Beznosiuk verwendet Balsom die im Barock übliche Naturtrompete. räumt vom ECHO Klassik bis zum Gramophone Award regelmäßig Man muss den Wechsel zwischen historischem und moderdie begehrtesten Auszeichnungen ab. Aber sie ist eben ein Star der nem Instrumentarium und die Wahl unterschiedlicher StimmtonKlassikwelt. Und die, das beweist die Schlagzeile der Daily Mail ein- höhen dramaturgisch nicht für gelungen halten, aber erhellend ist es mal mehr, ist im Boulevard zum Glück noch eine Nische. allemal, was Balsom sich dabei gedacht hat. Balsom tut das Ihrige dazu, das zu ändern. Wenige InterpreEtwa, dass sie die Sekundschritte in Melodiestimmen der ten sind so unermüdlich als Botschafter ihres Instruments unter- Bach-Choräle mit der Naturtrompete schlicht nicht hätte spielen wegs wie sie. Die 38-Jährige spielt barockes Repertoire genauso können. Das Instrument hat eben nicht mehr Töne als die Naturengagiert, wie sie zeitgenössische tonreihe, und das sind in der Gegend Werke uraufführt. Zugleich hat sie um den Kammerton A herum nur ES GEHT HIER UM DIE TROMPETE, UND einige, für unsere Ohren obendrein keine Scheu, die Tempel der Hochkultur zu verlassen. Neben ihrem häufig unsauber klingende. WIR SIND NICHT DER BOULEVARD Pensum an herkömmlichen KonzerErst in höheren Lagen kann die ten, zehn pro Monat sind keine SelNaturtrompete auch diatonisch spietenheit, absolviert sie auch Auftritte len. Das ist der Grund, weshalb das vor dem ganz breiten Publikum. Sie war bei der Londoner „Last barocke Solorepertoire so hoch liegt. Für die Zeitgenossen war es Night of the Proms“ und der „The Late Show with David Letter- höchst anspruchsvoll. Die wenigen guten Spieler genossen gesellman“ zu Gast, ihre YouTube-Clips sind kaum zu zählen, die Nut- schaftliche Anerkennung weit über ihre Zunft hinaus. zerkommentare euphorisch. „Schön, intelligent und mit einem Es braucht eine perfekte Beherrschung der Lippenspannung, Lächeln, das das Herz zum Schmelzen bringt“, seufzt einer. „Sie ist um die eng benachbarten Naturtöne zu erwischen und bei Bedarf einfach wunderbar.“ die Intonation auszugleichen. Der Lohn der Mühe ist ein farbiger Mit anderen Worten: Balsom ist die ideale Projektionsfläche, Klang, der der menschlichen Stimme näher ist als der Klang der ein Glücksfall für jede Marketingabteilung. Entsprechend werden modernen Trompete. „Ich liebe diese Variabilität“, sagt Balsom. ihre grazile Gestalt und ihr Mädchengesicht für jede ihrer CD-Pro- „Mit der Naturtrompete kann ich mich ins Ensemble mischen.“ duktionen inszeniert: Balsom dramatisch in großer Robe, Balsom Balsom verfügt über eine ganze Palette an Ausdrucksnuancen cool in alten Jeans, Balsom androgyn im Hosenanzug. Ein Vollprofi und intimeren Klangschattierungen. Sie gehört einer Generation auch in der Außendarstellung. von Trompetern an, die nicht mehr ausschließlich dem metallischZum Gespräch in einem Hamburger Hotel erscheint sie per- heroischen Klangideal huldigen. Die Trompete kann eben auch fekt geschminkt in herbstlich dezenter Kleidung. Sie ist mal eben anders, mag ihr auch spätestens seit ihrem biblischen Auftritt auf für einen Tag von London hergeflogen. Ihren sechsjährigen Sohn dem Schlachtfeld vor Jericho der Ruf eines Kriegsinstruments hat sie vorher noch zur Schule gebracht, aber von Hetze oder anhängen. Müdigkeit ist ihr nichts anzumerken. Sie setzt sich, bestellt mit leiBalsoms Neugier und stilistische Offenheit kommen nicht von ser Stimme ein Glas Wasser und ist spürbar ganz da, ganz im ungefähr. Ihr Lehrer am Pariser Conservatoire war der Schwede Moment. Hört zu und denkt nach, bevor sie antwortet, anstatt Stan- Håkan Hardenberger, der mit seinem wandlungsfähigen Spiel und dardsätze abzuspulen. Die durchgestylten, platinblonden Hoch- zahlreichen Kompositionsaufträgen den Imagewandel der Tromglanzbilder sind bald vergessen. Balsom spricht über ihr Instrument pete mit herbeigeführt hat. wie über einen guten Freund: voller Liebe und mit einer DetailEine zierliche Frau an einem über Jahrhunderte männlich kenntnis, die längst nicht bei jedem Musiker anzutreffen ist. konnotierten Instrument, auch das dürfte zu Balsoms Erfolg beige„Die moderne Trompete steckt immer noch in den Kinder- tragen haben. Doch so mädchenhaft sie auf der Bühne lächelt, für schuhen“, sagt sie. „Unsere Aufführungstradition reicht sehr kurz eine Karriere wie die ihre braucht es Stehvermögen. Balsom weiß zurück. Wir haben keinen Paganini wie die Geiger.“ Und dann genau, wie viel sie von sich preisgibt – oder wie wenig. Dass ihr schwärmt sie von Kollegen wie Reinhold Friedrich oder Tine Thing neuer Lebensgefährte Sam Mendes auf einem anderen künstleriHelseth: „Es gibt so viele Arten, Trompete zu spielen!“ schen Gebiet arbeitet – die meisten dürften ihn als Regisseur zweier Jeder glaubt, die Trompete zu kennen. Doch wenn Balsom James-Bond-Filme kennen –, findet sie nicht weiter bemerkenswert: davon erzählt, tun sich Welten auf. Maurice André nennt sie einen „Ich liebe viele Kunstformen. Kreative Leute haben sich immer Pionier, er habe die Piccolotrompete überhaupt erst bekannt etwas zu sagen.“ Mehr verrät sie nicht über die gemacht. Mit Hingabe schildert sie die unterschiedlichsten Liaison. Modelle, erklärt Züge, Klappen und Löcher, die klanglichen Es geht hier schließlich um die Trompete, Eigenheiten großer und kleiner Instrumente und die Bedeutung und wir sind nicht der Boulevard. ■ der modernen Pumpventile, die im frühen 19. Jahrhundert in Aktuelle CD: „Jubilo“. Bach, Corelli, Torelli, Fasch (Warner) Paris erfunden wurden. 17


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Derstille Virtuose Sein erstes Konzert gab Olivier Cavé mit der Camerata Lysy unter der Leitung von Yehudi Menuhin. Dann wurde der Schweizer der Liebling von Maria Tipo und gehört heute zu den feinsinnigsten ­Pianisten seiner Generation. Ein Treffen in Paris. VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL

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ie Wege der Liebe sind unergründlich, das gilt auch ten Porzellankännchen serviert. Am Vorabend hat der Schweizer für jene zwischen Musikern und ihrem Instrument. Pianist neapolitanischer Herkunft ein Konzert im Salle Gaveau Mal begegnen sich die Protagonisten auf klassischen gegeben. Auf dem Programm stand Mozart pur, darunter seine Pfaden, mal finden sie über verschlungene Irrwege Klavierkonzerte Nr. 25 und Nr. 5, dargeboten von Cavé und dem zueinander, mal spielen verrückte Zufälle eine Rolle, Divertissement unter der Leitung von Rinaldo Alessandrini, mal wegweisende Begegnungen. Bei Olivier Cavé stand am Beginn außerdem die Jupitersinfonie und Auszüge aus der Serenade Nr. 99 seiner Liebe zum Klavier die Hilflosigkeit seiner Eltern. „Ich war ein KV 320 „Posthorn“. Für den schmalen Mann Ende 30 war es sein seltsames Kind“, sagt der Pianist und lacht – zumindest haben ihm zweites Konzert in Frankreich, bislang ist er vor allem in den USA das seine Eltern erzählt. Auffallend still, in sich gekehrt und ver- unterwegs, außerdem konzertiert er regelmäßig in der Schweiz, wo schlossen sei er gewesen, und seine Eltern suchten nach einem Mit- er 1977 auf die Welt gekommen ist. Doch es scheint nur noch eine tel, um ihn aus sich herauszulocken. Erst probierten sie es mit Sport. Frage der Zeit, bis er auch die anderen europäischen Bühnen bespielen wird. Ebenso klar scheint: Olivier Als das nichts half, versuchten sie ihr Glück mit Cavé wird dies nicht mit pathetischem Gestus, Musik. Das wirkte. Mit vier Jahren fing Olivier „DIE GANZE MUSIK mit voranpreschendem Stargebaren und Cavé an, Klavier zu spielen, und es dauerte VON M ­ OZART IST OPER. tosendem Virtuosentum tun, viel eher wird er nicht lange, da war es um ihn geschehen. „Ich die Podien mit leisen Schritten erobern, mit habe mich verliebt in das Klavier und fortan DAS ALLES IST THEAfeiner Poesie, reflektiert und ehrlich. nicht mehr aufgehört zu spielen“, erzählt Cavé, TER ... MIT HUMOR, MIT Olivier Cavé ist kein Sturm-und-Drangdem das Spielen von Anfang an auffallend Typ, kein ungestüm emotionaler Spieler, der leichtfiel. „Es war sehr einfach für mich“, sagt TRAGÖDIE, MIT UNTERsich in die Tasten stürzt, als vergäße er die der Künstler mit dem konzentrierten Blick und SCHIEDLICHEN FIGUREN Welt um sich herum. Cavé ist ein kritischer hebt fast entschuldigend seine beiden Hände. UND SZENERIEN“ Denker und feinsinniger Maler, der die Farben Bis heute sei das so. Geht es jedoch um die für mit zarten Pinseln tupft, bestimmt und wohlihn gültige Interpretation, wird aus dem spieleüberlegt die Linien zieht und Klanggemälde risch agierenden Techniker ein akribischer Perfektionist, der monatelang an den Phrasen feilt und die Stücke von ausgewogener Ästhetik und wohl dosierter Farbigkeit entstebis in den letzten Ton durchdringen will: „Ich habe eine sehr klare hen lässt. Erlebt man Cavé mit Mozart, etwa beim Konzert im Salle Idee von einem Stück, davon, wie es im Endeffekt klingen soll. Gaveau oder auf seinem jüngsten Album mit eben jenen Werken in gleicher Besetzung, so ist es, als würde man einem eindringlichen Daran tüftle ich bis zuletzt.“ An einem lauen Herbsttag Ende Oktober sitzt Olivier Cavé in Erzähler bei der Arbeit lauschen. „Die ganze Musik von Mozart ist der Lobby des Hotel Le Bristol in Paris, bestellt ein Omelett und Oper. Das alles ist Theater … mit Humor, mit Tragödie, mit unternippt am Kaffee. Es ist noch früh am Morgen, vor den Schwingtü- schiedlichen Figuren und Szenerien. Wenn ich diese Musik spiele, ren des Hotels schwirrt bereits das Leben der Großstadt, im Inne- dann fühle ich mich durch und durch gut“, sagt Cavé und strahlt. ren eilen flüsternd die Kellner herbei, und der Tee wird in geblüm- Für den Pianisten, der sich insbesondere dem barocken und dem 18

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Foto: Marco Borggreve

Pianist Olivier Cavé: „nicht der Sturm und Drang-Typ“

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OLIVIER CAVÉ LIVE 15.12. Lugo, Italien Teatro Rossini

Foto: Marco Borggreve

15.01. Sierre, Schweiz Art et Musique

klassischen Repertoire verschrieben hat, steht Mozart am jüngsten Ende einer Reihe bemerkenswerter Einspielungen, die einen intensiven Eindruck vermitteln von seinem musikalischen Selbstverständnis. Auf seiner Debüt-CD widmete er sich Sonaten von Domenico Scarlatti, dann folgten ein viel beachtetes Album mit Werken von Muzio Clementi und eine Bach-CD mit dem Titel „Nel Gusto Italiano – Concerti, Capriccio ed Aria“. Sein erstes Konzert gab Olivier Cavé im September 1991, begleitet von der Camerata Lysy unter der Leitung von Yehudi Menuhin. Für den gerade mal 13-jährigen Cavé war das eine Schlüsselerfahrung. „Das gemeinsame Musizieren mit Yehudi Menuhin war unglaublich. Als Kind war mir gar nicht so sehr bewusst, mit wem ich hier auf der Bühne stehe. Ich habe es damals einfach nur genossen. Erst später wurde mir klar, was für ein Geschenk das war.“ Die Begegnung mit Menuhin hat Cavés weiteres Leben geprägt, auch deshalb, weil der erfahrene Künstler Cavés Eltern eindringlich ans Herz legte, ihren Sohn weiter zu fördern. Für Olivier Cavé selbst war ab diesem Augenblick klar, dass er Pianist werden wollte. Geahnt hatte er seine Berufung schon früher. Als er acht Jahre alt war, das Klavier war längst ein vertrauter Freund und Lebensbegleiter geworden, da schenkten ihm seine Eltern eine CD der Pianistin Maria Tipo. Die italienische Künstlerin spielte darauf Werke von Scarlatti, und wenn sich Olivier Cavé recht erinnert, hat er sie an die 2.000 Mal angehört. „Ich habe diese CD geliebt“, erzählt Cavé, und blickt er heute auf die Passion seiner Kindertage zurück, so war sie der Anfang all dessen, was ihn auch heute noch beseelt und beglückt: „Diese Musik ist so voller Freude – das ist ein einziger Genuss.“ Olivier Cavé war schon bald klar, dass er bei Maria Tipo studieren wollte. „Ich war vollkommen darauf fixiert gewesen, diese Künstlerin kennenzulernen“, sagt Cavé, und es gehört zu den glücklichen Fügungen seines Lebens, dass er tatsächlich ganze zehn Jahre in der musikalischen Obhut von Tipo an seinem Klavierspiel feilen konnte. Nach Studien am Konservatorium Sitten und am Konservatorium Lausanne begann er, an der Musikschule von Fiesole schließlich mit Maria Tipo zu arbeiten. Sie hat ihm ein breites Spektrum an Werken nähergebracht und in ihm darüber hinaus die Liebe zu jenem Repertoire gestärkt, das ihn bis heute am innigsten begleitet. Scarlatti, Clementi, Bach … all jene Komponisten, die für Olivier Cavé heute zu seinen engsten Begleitern zählen, hat er mit Maria Tipo erst wirklich kennen- und lieben gelernt. Gleichwohl: Auserwählter Zögling von Tipo zu sein, bedeutete, die Zuwendung, aber auch den Druck einer musikalischen Übermutter zu genießen. „Es war wahnsinnig hart, mit Tipo zu arbeiten“, erzählt Cavé im Rückblick, und was sie von ihren Stu20

denten forderte, sei enorm gewesen. Während er in der Schweiz noch sechs Monate Zeit gehabt hatte für die Erarbeitung einer BeethovenSonate, standen bei Tipo bisweilen gleich vier Sonaten in nur einem Monat auf dem Programm. Ein forderndes Pensum, vorangetrieben von einer Frau mit eisernem Willen und enormer Präsenz. „Maria Tipo ist eine sehr, sehr starke Person“, sagt Cavé und unterstreicht mit seinen Händen jedes seiner Worte mit Nachdruck. „Sie gibt alles für einen, aber sie verlangt auch alles.“ Bis heute verbindet ihn mit der mittlerweile 84-Jährigen eine enge Beziehung, und spricht er von seiner Zeit als ihr Schüler, so wählt er ohne Zögern den Begriff der „musikalischen Mutter“. Doch wie das manchmal so ist bei Müttern und ihrem Nachwuchs – die Kinder gehen ihren eigenen Weg. Das war auch bei Olivier Cavé der Fall. „Ich bin heute ein anderer Pianist als damals“, sagt er nachdenklich, und würde Maria Tipo ihm heute bei seinem Spiel zuhören, so ist er sich nicht sicher, ob ihr das Ergebnis gefiele. „Ihre Welt ist auch meine“, das stellt Cavé fest. Die gemeinsame Welt, das ist Scarlatti, das ist Bach und das ist auch Mozart. Ihre Zugänge zu diesem klingenden Kosmos allerdings sind mittlerweile sehr verschieden. Während Maria Tipo nach wie vor in einer traditionellen Spielweise verwurzelt ist, hat sich Olivier Cavé daran gemacht, die Musik von allem Antiquierten und Überladenen zu befreien und filigran und agil ihren Wesenskern zu ergründen. Dazu benutzt er kaum Pedal, orientiert sich, obwohl er den modernen Konzertflügel benutzt, am Klangcharakter des historischen Hammerklaviers und zeigt sich als ebenso smarter wie zugewandter Interpret. Spielt Olivier Cavé Mozarts Klavierkonzerte, tritt er weniger als Solist, denn als Kammermusiker auf, der mit dem Orchester in einen lebendigen, vertrauten Dialog tritt. Fern allem wuchtig Massiven lockt er so einen geradezu jungfräulich anmutenden Mozart hervor, der scherzt und tänzelt, der umgarnt und verführt und das Publikum schließlich zu begeisterten Jubelrufen hinreißt. Cavé hat sowohl die Schweizer als auch die italienische Staatsbürgerschaft. Doch spricht er von Scarlatti, von Neapel und den italienischen Märkten, dann wird klar, welcher Nation sein Herz gehört. „Ich lebe zwar in der Schweiz und ein paar Monate im Jahr auch in den USA“, sagt Cavé und nimmt einen Schluck Wasser. „Der Musiker in mir aber ist durch und durch Italiener.“ Dann lacht er herzhaft und eilt zum Ausgang. In wenigen Stunden startet sein Flieger. Es geht nach Italien. ■ Aktuelle CD: Mozart: Piano Concertos k. 415, 175, 503, Olivier Cavé, Divertissement, Rinaldo Alessandrini (Alpha). Track 10 auf der crescendo Abo-CD: Andante aus Klavierkonzert Nr. 25 C-Dur www.crescendo.de

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r e k i s s a l k ts h c a n h Wei unter sich WEIHNACHTEN IN LEIPZIG Besinnliche Werke von Leipziger Komponisten mit dem Thomanerchor und dem Gewandhausorchester

CHRISTMAS WITH PAVAROTTI (2CD) Weihnachtslieder und Klassiker aus aller Welt feat. Sting, Eric Clapton, Stevie Wonder, Lionel Richie, Die Drei Tenöre u.a.

LUTHERSCHE WEYHNACHT Weihnachtskompositionen von Bach, Schütz, Praetorius u.a. mit einem Vorwort von Margot Käßmann Ab 2. Dezember im Handel

BERLINER PHILHARMONIKER THE CHRISTMAS ALBUM Mit Traditionals und Werken von Bach, Mozart, Tschaikowsky u.a.

WUNDERLICH – DAS WEIHNACHTSALBUM Traditionelle Weihnachtslieder gesungen von der schönsten lyrischen Tenorstimme des 20. Jahrhunderts

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Dirigent Howard Arman ist seit dieser Spielsaison Nachfolger von Peter Dijkstra beim Chor des Bayerischen Rundfunks

Mit Herz, Hand und Verstand Er dirigiert, arrangiert, komponiert und moderiert – für Howard Arman ist diese Vielfalt ganz normal. Weil er nun auch den Chor des Bayerischen Rundfunks leitet, sprachen wir mit dem umtriebigen Engländer über seinen neuen Job, die Faszination vieler Stimmen und warum auch O Tannenbaum ein sehr interessantes Arrangement ist. VON UTE ELENA HAMM

crescendo: Lassen Sie uns kurz über Ihr erstes Konzert als künstlerischer Leiter des BR-Chors im Oktober sprechen. Sie hatten es unter das Motto „Krieg und Frieden“ gestellt ... Howard Arman: Das war ein relativ großer Schritt, so ein Programm als Antrittskonzert zu präsentieren. Denn gerade in so einem Moment ist die Aufmerksamkeit besonders groß und das, was man normalerweise einfach als Programmidee sehen würde, ist plötzlich ein Statement. Deshalb war ich doppelt froh, wie gut das Konzert aufgenommen wurde. Es gab fantastische Zeitungskritiken, Getrampel im Saal, und das, obwohl es ein sehr ungewöhnliches Programm mit viel Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert war. Auch für mich selber war das ein wunderbarer Abend. Was fasziniert Sie an der Arbeit mit einem Chor? Zum einen das Repertoire: Die Chorliteratur enthält unzählige Schlüsselwerke der Musikgeschichte und spiegelt viele ihrer 22

entscheidenden Momente wider. Ich liebe es auch, dem komplexen Verhältnis zwischen Wort und Ton immer wieder neu zu begegnen, und nicht zuletzt fasziniert mich die Arbeit mit 40, 50 oder 100 Menschen, die wie ein Wesen funktionieren, das eine eigene Persönlichkeit hat. Welchen Anspruch haben Sie an sich selbst als Chordirigent? Klangsinnlichkeit und hohe Chordisziplin sollen sich nicht gegenseitig ausschließen. Das ist bei jedem Stück ein heiliger Gral, und das ist es, was ich immer suche. Eine Interpretation ist nicht lebensfähig, wenn einer dieser Partner fehlt. Aber welche Rolle spielt bei einem Konzertprogramm dann ein Motto wie eben beispielsweise „Krieg und Frieden“? Zunächst funktioniert es als Überschrift, die die Aufmerksamkeit bewusst in eine gewisse Richtung lenken soll. Für mich deutet das auch darauf hin, dass die einzelnen Werke im Programm durch www.crescendo.de

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Fotos: Astrid Ackermann

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ihre Gegenüberstellung leierten“ Liedgut um? sozusagen zu einem GesamtManche Arrangements auf werk geworden sind. Und diese dieser CD sind sehr nahe an Gegenüberstellung lässt uns der Vorlage und manche vielleicht auch die individuellen distanzieren sich davon. Stücke in einem neuen Kontext Interessanterweise ist gerade O betrachten. Kontexte zu Tannenbaum ein sehr freies Der Chor des Bayerischen Rundfunks schaffen und neue Sichtweisen Arrangement. Denn ich kann anzuregen, sind zwei der mit dem wunderbaren wichtigsten Bestandteile einer Bewusstsein arbeiten, dass die „AUCH WENN MAN KEIN BESONDERS Programmplanung, die sich die Leute diese Melodie kennen, RELIGIÖSER MENSCH IST ODER MAN aktive Teilnahme des Zuhörers und das heißt für mich, dass als Ziel setzt. ich diese Melodie, während WEIHNACHTEN GAR NICHT FEIERT, HAT Gehört dazu auch, über Musik alle vielleicht mitsummen, auf DOCH JEDER FÜR DIESE MELODIEN EINEN zu sprechen? Sie selbst irgendwelche ungewöhnliche WARMEN PLATZ IN SICH“ moderieren auch oder machen Wege führen kann. Einführungen zu Ihren Deshalb der Titel „ChristKonzerten. mas Suprises“? Die Frage ist, über wie viel Genau, aber das ist nicht Wissen verfügt ein Hörer im Vorhinein, ist es vergleichbar mit dem provokant gemeint. Man soll gewisse Dinge wiedererkennen und Wissen, mit dem der Komponist gerechnet hat? Wir dürfen davon kann sich am Unerwarteten freuen. ausgehen, dass jeder Komponist mit den Hörgewohnheiten und Die CD ist schon jetzt im November erschienen, wann haben Sie Erwartungshaltungen seiner Zeit gerechnet haben muss. Verfügen eigentlich die Aufnahmen dafür gemacht? wir über diese Wahrnehmung in unserer heutigen Zeit? Fehlende Wir hatten drei Aufnahmetermine und der erste davon war Ostern. Informationen dieser Art mit dem gesprochenen Wort zu vervollNatürlich waren wir gedanklich alle woanders. Die Musiker und ständigen, kann uns zu einem tieferen Verständnis verhelfen, die Sänger sagen immer, wie sollen wir das machen, es schneit obwohl das Wort nie das ersetzen wird, was durch Musik gespronicht, es ist nicht kalt – aber man braucht diese klimatischen chen werden soll. Vielleicht lautet deshalb die Antwort auf diese Hilfsmittel nicht, um wunderschöne, stimmungsvolle Aufnahmen Frage: Auch wenn es nicht ideal ist, können wir das Wort manchzu produzieren. Viele dieser Lieder sind in jedem Einzelnen seit mal gut gebrauchen. seiner Kindheit tief verankert. Auch wenn man kein besonders Sie sind Dirigent, aber sie arrangieren und komponieren auch. religiöser Mensch ist oder man Weihnachten gar nicht feiert, hat Ich weiß, dass diese Idee, dass jemand für sein eigenes Ensemble doch jeder für diese Melodien einen warmen Platz in sich. Sie komponiert und arrangiert, eigentlich ein Auslaufmodell ist. Ich rufen etwas wach und beim Musizieren erlebt man das wieder. selber kann diese Dinge letztlich schwer voneinander trennen. Ich Welche Bedeutung hat Weihnachten für Sie? will immer für die Ensembles, mit denen ich gerade zusammenarWeihnachten hieß für mich oft, umgeben von Notenblättern an beite, schreiben. Die zwei Tätigkeiten, das Komponieren und das einem Tisch zu sitzen, weil diese Arrangements für irgendein Dirigieren, ergänzen sich und befruchten sich gegenseitig. Das Konzert irgendwo fertig werden mussten. Und natürlich habe ich Arrangieren ist auch deshalb wichtig, weil es mir die Möglichkeit Weihnachten sehr oft musizierend verbracht. In meiner Zeit beim gibt, unseren Programmen eine sehr individuelle Note zu geben, MDR und auch danach hatte ich immer am Christmas Day, am wie zum Beispiel im Falle unserer neuen Weihnachts-CD. ersten Weihnachtsfeiertag, ein Konzert. Ich freue mich besonders, Diese Weihnachts-CD ist Ihre erste Produktion mit dem dass ich dieses Jahr mit dem BR-Chor gleich drei WeihnachtskonBR-Chor. Wie kam es dazu? zerte dirigiere. Die Idee zu dieser CD entstand aus meiner Lust zu arrangieren Noch ist Herbst, aber sagen Sie, was wünschen Sie sich zu und daraus, dass ich immer wieder Programme für WeihnachtsWeihnachten? konzerte erstellen musste. Ich wollte etwas Neues machen, etwas Ich habe eigentlich keine besonderen Weihnachtswünsche für Unterhaltendes und zugleich Anspruchsvolles. Grundlage meiner mich persönlich. Aber ich werde es als Geschenk empfinden, das Bearbeitungen sind volkstümliche und populäre Weihnachtslieder eine oder andere neue Arrangement bis Weihnachten zu schreiben vom Barock bis ins 20. Jahrhundert, die in vielen verschiedenen und aufzuführen. Und ich empfinde es als Privileg, wenn man Teil Stilrichtungen auf dieser CD liebevoll parodiert werden. Und dass vom Weihnachtsfest anderer Menschen und sie zudem aus verschiedenen Ländern stammen, unterstützt diese deren musikalische Begleitung zu Weihnachten Barrierelosigkeit der Weihnachtsbotschaft, das hat etwas Völkersein darf. Das finde ich wirklich sehr schön. ■ verbindendes. „Christmas Surprises“, Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Auf Ihrer CD sind viele Weihnachtsklassiker, wie zum Beispiel Rundfunkorchester, Thomas Hampson, Howard Arman (Sony) O Tannenbaum. Wie geht man mit so einem fast schon „ausge23


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„MEINE ELTERN WOLLTEN EIGENTLICH, DASS ICH KULTURATTACHÉE WERDE“

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»Alles sehr gut« Mit 40 Jahren, zwei Kindern und Engagements an den größten Opern- und Konzerthäusern der Welt steht kaum eine Sängerin besser da als Elīna Garanča. Ein Gespräch über das Leben und ihre Mutter und Lehrerin, die leider im vergangenen Jahr verstarb.

Foto: Holger Hage

VON TERESA PIESCHACON R AFAEL

crescendo: Frau Garanča, unlängst wurden Sie 40. „Mit 20 regiert ihrer Welt zusammenkamen. Von Kindesbeinen an war ich im Theater, mit sechs Jahren bin ich in einem Bühnenmärchen als Prinzesder Wille“, sagt Amerikas Gründervater Benjamin Franklin … sin aufgetreten, später kamen Auftritte in Musicals dazu. Elīna Garanča: Das stimmt! Einen Teil Ihrer Kindheit verbrachten Sie auch auf dem Bauern„… mit 30 der Verstand …“ hof Ihrer Großmutter. Dort haben Sie den Kühen auf der Wiese … Na ja! kleine Lieder vorgesungen. Wie war die Reaktion? „… und mit 40 das Urteilsvermögen.“ (lacht) Hoffentlich! Mit meiner Mutter, die vor einem Jahr starb, (lacht) Es heißt ja, Kühe geben bei der Musik von Mozart mehr sprachen wir viel über den Sinn des Lebens. Ich sagte ihr, ich steuere Milch. Ich weiß nicht, ob sie das bei mir taten, (lacht) obwohl Freunauf die 40 und bald auch auf die 50 zu, die für eine Sängerin viel- dinnen von mir sagen, ich sei „die beste singende Melkerin und die leicht nicht mehr so toll sind. Sie sagte nur: Das Beste kommt noch. beste melkende Sängerin“. Fakt war: Ich brauchte einfach Publikum, Irgendwie hatte sie Recht. Ich bin jetzt 20 Jahre auf der Bühne und schon als kleines Mädchen. Kühe scheinen Ihr Schicksal zu bestimmen: kann das Leben viel mehr genießen. Früher Mit 17 wollten Sie auch Schauspielerin wermusste ich mir und den Leuten, die mir verden. Bei der Aufnahmeprüfung sollten Sie traut haben, etwas beweisen. Inzwischen bin „ES HEISST JA, KÜHE unter anderem eine Kuh auf der Wiese darich gelassener. Die Kinder sind da, mein Mann, stellen. meine Laufbahn. Wir führen ein privilegiertes GEBEN BEI DER MUSIK (lacht) Und bin durchgefallen! Ich musste also Leben, der Preis ist allerdings hoch, das Leben VON MOZART MEHR Sängerin werden. Dass es so hart werden wird, ist oft anstrengend. Aber wir sind die Herren MILCH. ICH WEISS hätte ich nicht gedacht. Ich habe mal ein Konunseres Lebens. zert mit 39,4 Grad Fieber durchgestanden. Die Etwas philosophischer geht es bei August NICHT, OB SIE DAS Menschen sollen wissen, wie sehr dieser Beruf Strindberg zu: „Wenn man 20 ist, hat man das BEI MIR TATEN “ einen auch körperlich in Anspruch nimmt. Welträtsel gelöst; mit 30 fängt man an, darüTechnisches Können, Disziplin und Kontrolle ber nachzudenken, und mit 40 findet man es sind unabdingbar für die Interpretation. Vieunlösbar.“ les muss erarbeitet werden; die Stimme darf Oh! (lacht) Ja, das liegt daran, dass man als junger Mensch unbedingt manches verändern will, dann aber feststellt, nicht überstrapaziert werden, denn sie ist mein einziges Kapital. dass es nicht geht. Man muss wohl auch zu akzeptieren lernen, dass Ein weinender Schauspieler ist nicht immer einer, der das Publibestimmte Dinge auch ohne einen weitergehen, dass man nicht kum zum Weinen bringt. Es geht nicht darum, dass die Leute mit unersetzbar ist. Das begreift man erst später. Ich bin sehr froh mit mir persönlich mitleiden, sondern mit meiner Figur. Die muss ich spielen und das kann ich nur, wenn ich die Kontrolle über meine dem, was ich erreicht habe. Obwohl Ihre Mutter, die Mezzosopranistin und Gesangspäda­ eigenen Gefühle habe. Deshalb muss man so viel arbeiten. Ich darf gogin Anita Garanča, zunächst nicht an Ihre Opernkarriere mich auch nicht von Stimmungen hinreißen lassen. Das würde glaubte. „Du hast deine Stimme verraucht“, soll sie zu Ihnen mich früher oder später verbrennen. Dann habe ich irgendwann keine Stimme mehr beziehungsweise kann andere Rollen nicht gesagt haben ... (lacht) Als sie das sagte, war eine Karriere jedenfalls zu Ende: meine mehr singen. Raucherkarriere. Meine Mutter war besorgt, sie wusste, wie viele „Ein bisserl oben, ein bisserl in der Mitte und ein bisserl unten“, Jahre es brauchte, bis man die Stimme im Griff hat. Es sind ja nicht beschrieb Christa Ludwig Ihre Stimme. nur der Applaus und das schöne Kleid. Sondern tatsächlich harte (lacht) Ich bin froh, dass ich nicht ständig mit einer Sopranistin aus Arbeit. Meine Eltern wollten eigentlich, dass ich Kulturattachée der Vergangenheit verglichen werde. Das kann ziemlichen Druck werde. Dabei hatte meine Mutter früh darauf geachtet, dass wir mit ausüben. Historische Mezzos gibt es kaum. Eine Primadonna wird 25


K Ü N S T L E R

ELĪNA GARANČA LIVE

Foto: Holger Hage

01.02.2017 Berlin

lediglich auf die zehn größten Partien reduals „Ausländer“ einen Exoten-Bonus, dürPhilharmonie ziert und mit der Callas oder Tebaldi verglifen eine andere Meinung haben. In unserem 03.02.2017 Baden-Baden chen. Wir aber haben ein sehr breites ReperLand würden wir anders sprechen. Festspielhaus toire, von den Hosenrollen bis hin zum lyriIm Kommunismus musste man ja auch 05.02.2017 München schen französischen Repertoire und den aufpassen … Gasteig dramatischen Wagner-Partien. Meine Generation hatte das große Glück, 08.02.2017 Frankfurt Hatte die Stimmfarbe Ihrer Mutter eigentdass sie nicht mehr die Probleme eines Kurt Alte Oper lich Ähnlichkeit mit Ihrer? Masur oder Mariss Jansons hatte. Mein 14.02.2017 Düsseldorf Am Anfang nur die Sprechstimme. Am TeleLeben konnte ich in der freien Welt aufTonhalle fon hat man uns oft verwechselt, die Jungs bauen. haben sie zu Dates eingeladen und bei mir In Ihrer Biografie betonen Sie, wie wichtig haben Kollegen der Akademie über die Stues für einen Künstler ist, Nein zu sagen. denten geschimpft. (lacht) Ich habe dann Unbedingt. Das habe ich schon zu Beginn eine Minute zugehört und gesagt: „Wissen meiner Laufbahn gemacht. Dem sehr Sie, meine Mutter ist nicht zu Hause.“ Dafür mächtigen Opernimpresario der Wiener kam meine Mutter an und fragte mich: „Ah, Staatsoper, Ioan Holender, sagte ich den mit dem also triffst du dich!“ (lacht) Irgendersten Vorstellungstermin ab, weil ich das wann habe ich das Repertoire gewechselt, sie Gefühl hatte, dass meine Stimme nicht in war ja mehr eine Lied-Interpretin. Nach Topform war. Auch sein Angebot, die meinen zwei Geburten hat sich meine Charlotte (Massenet Werther) zu singen, Stimme verändert. Ich höre mich ähnlich nahm ich zunächst nicht an, weil ich zu wie meine Mutter phrasieren. Mein Vater dem Zeitpunkt noch Ensemblemitglied in sagt, dass er meine CD mit lettischen KomFrankfurt war und Perfektionistin bin. ponisten nicht anhören kann, weil sie ihn zu Ich fühlte mich noch nicht so sicher. Die Sängerin Garanča: „Von 50 A ­ ufführungen sehr an meine Mutter erinnert. Wiener Staatsoper ist schließlich ein sind nur wenige wirklich gut“ Mit der Aussage, Sie bekämen nur „Hebberühmtes Opernhaus. Die Wiener Kritiammen-Rollen“ in Lettland, packten Sie 1999 einen 40 Kilo ker und das Publikum sind nicht einfach. Angebote kommen schweren Koffer und setzten sich in Riga in den Bus in Richtung ständig, aber man muss sich darüber im Klaren sein, was man Meiningen, wo Sie an der Oper einen Vertrag hatten. Hätte Ihre kann, welche Grenzen man hat und wie viel man der eigenen Mutter unter anderen politischen Umständen in Lettland Karri- Stimme zumuten kann. ere machen können? Warum fällt es vielen Ihrer Kollegen so schwer, Nein zu sagen? Es war eine andere Generation, die ihr Leben geschlossen hinter Weil sie nicht die Selbstsicherheit haben, die Stärke, die Reaktion dem Eisernen Vorhang führte. Meine Mutter ist zwar viel verreist auf eben dieses Nein zu akzeptieren oder zu ertragen. Ich kenne und wurde bejubelt. Aber sie war kein Wanderer, sie wollte immer viele, die sich beklagen, ihr Agent treibe sie in eine Richtung, die wieder nach Hause. Ich bin gerne unterwegs, ich mache mir überall sie eigentlich nicht wollten. Ich sage meinen Agenten, was ich will ein Zuhause. Als Künstlerin hätte sie mit ihrer Begabung und ihrer und wozu ich mich imstande fühle. Man muss König seines Lebens Stimme durchaus Karriere machen können, aber sie war nicht hart sein. Viele entscheiden über dein Leben, ohne die Konsequenzen genug für dieses Leben, das oft sehr einsam ist. Dazu kam eine Kno- zu bedenken, die eine „falsche“ Rolle für einen Sänger, der stimmchentuberkulose, die ihr sämtliche Schleimhäute ruinierte. So lich darauf nicht vorbereitet ist, haben kann. musste sie eine Gesangslaufbahn aufgeben. Als Pädagogin aber Hat Ihnen dieses offensive Nein je geschadet? wurde sie sehr glücklich. Geschadet hat es mir nie. Und wenn, dann habe ich das ja nicht Auf Ihren ersten Meininger Honorarscheck waren Sie so stolz, mitbekommen. (lacht) Vielleicht hat mancher über mich gelästert, dass Sie ihn eingerahmt in Ihrer Wohnung aufgehängt haben. meine Karriere hat dies nicht beeinflusst. Ich hatte kritische Eltern, (lacht) Ach, ich war ein Mädchen vom Lande. Ich konnte kein die mir beibrachten, selbstkritisch zu sein. Von 50 Aufführungen Deutsch und wusste nicht, was ein Scheck ist, ich habe Deutsch in sind nur wenige wirklich gut. den Trash-Daily-Talks der 90er von Arabella Kiesbauer und In Paris werden Sie bald erstmals die Santuzza aus Mascagnis Bärbel Schäfer gelernt. Cavalleria rusticana singen. Eine Kostprobe geben Sie auf Ihrer Mich hat erstaunt, wie offen Sie über Gagen reden. Warum neuen CD „Revive“. machen viele Künstler ein Geheimnis daraus? Ich bin jetzt 40 geworden, meine Mutter ist gerade verstorben. Ich Alle stehen im Wettbewerb, es geht um Status, jedes Haus hat seine kann diese Verismo-Partie und andere dramatische Partien wesentGagenstruktur. Die Agenten wollen diesen Wettbewerb nicht öffent- lich freier angehen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Natürlich verlich diskutieren. Es sollen kein Neid, keine Begehrlichkeiten geweckt misse ich meine Mutter täglich, würde ihr so viel erzählen, aber sie werden oder Diskussionen in der Art, warum bekommt „sie“ mehr, war eine sehr starke Persönlichkeit. Ihre Kritik war für meinen Wer„wir singen doch das gleiche Repertoire“ – „du hast aber vielleicht degang als Sängerin sehr wichtig, hat mich aber auch eingeschränkt. nicht die gleiche Persönlichkeit“ etc. „Die ersten 40 Jahre unseres Lebens liefern den Text“, schreibt Meine persönliche Interviewerfahrung: Künstler, die hinter dem Arthur Schopenhauer, „die folgenden 30 den Eisernen Vorhang aufgewachsen sind, kommen mir direkter und Kommentar dazu“. weniger verstellt vor als solche aus dem Westen, die oft politisch (lacht laut) Dann wird es noch einige Interviews korrekt und darauf bedacht sind, nicht das „Falsche“ zu sagen. geben! ■ Ich glaube, das liegt daran, weil wir hier „Ausländer“ sind. Wir „Revive“, Elina Garanča (DG) leben zwar teilweise hier, kommen aber nicht von hier und haben 26

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K Ü N S T L E R

So war der ECHO KLASSIK Auch in diesem Jahr kamen die Stars nach Berlin, um sich ihre Preise abzuholen. Wir mischten uns in die Menge und führten nicht nur informative, sondern vor allem unterhaltsame Interviews.

CRESCENDO LIVE Klar, der Superstar des Abends war Anna Netrebko; die Sopranistin spazierte mit UniversalMusic-Boss Frank Briegmann über den roten Teppich und traf dort ZDF-Kaffeekränzchen-­ Talker Ralph Morgenstern, wir interviewten unterdessen David Garrett, Khatia Buniatishvili, Jonas Kaufman, und Friederike Roth vom Berolina Ensemble (unten rechts). Alfred Brendel musste auf sein Interview erst warten und plauderte dann ganz entspannt mit crescendo-Redakteurin Maria Goeth über Humor in der Musik. Alle Interviews mit den Gewinnern sind übrigens weiterhin bei uns auf der Website www.crescendo.de einsehbar.

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CRESCENDO FOTOBOX Zu später Stunde baten wir die Gäste und Preisträger, sich neben unserer Lounge vor die Linse zu begeben, zu einem sogenannten SnapCube. Man bestimmt dabei selbst, wann der Auslöser gedrückt wird, es ist eine Art Selfie ohne Handy, und das geschossene Foto kommt ein paar Sekunden später bereits entwickelt aus dem Kasten! Spaß hatten unter anderem das Ensemble Capella de la Torre, Krystian Nowakowski mit Pianistin Aurelia Shimkus, die Damen von Salut Salon und Ralf Pleger, dessen Film „Die Florence Foster Jenkins Story“ gerade in die Kinos kam.

XAVIER DE MAISTRE LES ARTS FLORISSANTS

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© Jean-Baptiste Millot

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La Harpe Reine Musik am Hof von Marie Antoinette Als 1770 die junge österreichische Erzherzogin Marie Antoinette am französischen Hof ankam, hatte sie eine Harfe im Gepäck. Das Instrument hatte sehr an Bedeutung verloren, aber durch sie kam es wie nie zuvor in Mode, und es bildete sich ein umfangreiches Repertoire heraus mit klarer Trennung von Harfen- und Klaviermusik. Dieses Repertoire wird von Xavier de Maistre und Les Arts Florissants in einem virtuosen und mitreißenden Programm auf historischen Instrumenten wieder zum Leben erweckt, aber es sind auch Harfentranskriptionen auf den Spuren von Haydn (Sinfonie „La Reine“) und Gluck zu hören.

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P E R S O N A L I E N

K I R ILL ­P ETRENKO U N D ANDREA Z IE T Z SCHM AN Frischer Wind bei den Berliner Philharmonikern! In den kommenden Jahren stehen gleich zwei bedeutsame Personalund damit auch Generationenwechsel an: Ab 2017 startet Andrea Zietzschmann als neue Intendantin. Derzeit leitet die im baden-württembergischen Schwenningen geborene Musikwissenschaftlerin beim NDR in Hamburg den Bereich Orchester, Chor und Konzerte. Somit wird sie im Januar 2017 noch das NDR Elbphilharmonie Orchester (ehemals NDR-Sinfonieorchiester) in seine frisch fertiggestellte neue Heimstätte begleiten, bevor sie wenige Monate später ihr neues Amt in Berlin antritt. Zuvor war Zietzschmann als Orchestermanagerin und später als Musikchefin beim Hessischen Rund-

funk tätig. Berlin ist ihr aber nicht fremd: 1997 gründete sie zusammen mit Claudio Abbado das ebenfalls an der Spree ansässigen Mahler Chamber Orchestra, dessen Intendantin sie bis 2003 war. Ab 2019 stößt dann Kirill Petrenko als neuer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und Nachfolger von Sir Simon Rattle zu ihr. Petrenko ist derzeit Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper und gastiert als Opern- und Konzertdirigent weltweit an allen großen Häusern. Auch Petrenko ist in Berlin kein Fremder: Von 2002 bis 2007 war er als Generalmusikdirektor an der Komischen Oper der Bundeshauptstadt im Amt.

IVÁN FISCH E R Und noch ein weiterer Personalwechsel steht in Berlin an: Der ungarische Dirigent Iván Fischer wird seinen Vertrag beim Berliner Konzerthausorchester nicht über 2018 hinaus verlängern. Er wolle seine Dirigiertätigkeit reduzieren und sich mehr Zeit zum Komponieren nehmen. Der Orchestervorstand bedauert diesen Entschluss und möchte ihn zum Ehrendirigenten ernennen. Gerne wird Fischer

MAURO ­B IG O NZET T I Erst seit Februar ist der römische Tänzer und Choreograf Mauro Bigonzetti als Ballettchef der Mailänder Scala im Amt. Nun hat er seinen Rücktritt bekannt gegeben. Offizielle Begründung sind Rückenprobleme. Allerdings hatte es um seine Person von Anfang an einen öffentlichen Diskurs gegeben: ein zeitgenössischer Choreograf als Ballettchef einer renommierten Kompagnie? Zuletzt war es offenbar auch zu Streitereien zwischen ihm und den Tänzern gekommen. Bigonzetti, der eigentlich einen dreijährigen Vertrag mit der Scala unterzeichnet hatte, war Nachfolger des ehemaligen russischen Startänzers Machar Wasijew, der ans Moskauer Bolschoi-Theater gewechselt war.

in Zukunft als Gastdirigent für Konzerte wiederkehren. Fischer hatte entscheidend zur Profilierung des Klangkörpers beigetragen: durch experimentierfreudige, ausgefallene Konzertprogramme lockte er wieder mehr Besucher in die Konzerte des Orchesters.

G E S T O R B E N

Es war in den 50erJahren, als Neville Marriner quasi in seinem Wohnzimmer die Academy of St Martin in the Fields aus der Taufe hob. Damals noch als zweiter Geiger beim London Symphony Orchestra beschäftigt, kam ihm die Idee, mit zwölf seiner Kollegen Konzerte in einer Barockkirche am Londoner Trafalgar Square zu geben – sie sollte zum Namensgeber einer der erfolgreichsten KlassikEnsembles der Welt werden. So klar, so schlank, so transparent hatte man Vivaldi, Mozart und Haydn selten gehört! Um auch größer besetzte Werke Uraufführungs-Dirigenten von Strawinsspielen zu können, wechselte der sym- kys Sacre du Printemps. Große Popularipathische Brite mit dem weißen Roll- tät erlangte die Academy of St Martin in kragenpulli schon bald ans Pult – Mar- the Fields 1984 durch die Einspielung des riner hatte in den USA Dirigieren bei Soundtracks zu Miloš Formans OscarPierre Monteux studiert, dem legendären prämiertem Film Amadeus. Marriner 30

war unter anderem Gründer und Leiter des Los Angeles Chamber Orchestra und Chefdirigent des Minnesota Orchestra. Auch in Deutschland war er aktiv: Von 1983 bis 1989 leitete er das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart. Für seine musikalischen Verdienste wurde er 1985 durch Königin Elizabeth II. geadelt. Marriners über 600 Einspielungen von mehr als 2.000 verschiedenen Werken sind preisgekrönt – unter anderem mit mehreren Grammys. Am 2. Oktober ist Neville Marriner im Alter von 92 Jahren gestorben. Noch wenige Tage zuvor hatte er ein Konzert im italienischen Padua gegeben. Zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte er einmal: „Ich würde sterben, wenn ich aufhören würde zu dirigieren.“ Maria Goeth

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Fotos: Werner Bethsold; Kai Bienert; Marco Borggreve

S I R NE VIL L E MARRINER


HÖREN & SEHEN •

Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Schlürens Entdeckung: Ketil Hvoslef (Seite 42) Die besten Weihnachts-CDs (Seite 44)

Neue Welten

Uwaga!

Klassik goes Balkan Kaufhausbeschallung verfolgt fühlen. Das Original versteckt sich oft ziemlich gut hinter der Uwaga!schen Neuerfindung. Und das Schönste: Auf Musik mit Herzblut und gekonnte Virtuosität muss man bei Uwaga! trotzdem nicht verzichten, weder bei den vermeintlichen Klassikern noch bei den wirklich eigenen Stücken. „swan fake“ und „mozartovic“ – zwei Crossover-Einspielungen, die Laune machen! UH

Foto: Ebbert&Ebbert/Fotografie

Ob Mozarts Türkischer Marsch, Tschaikowskys Schwanensee oder Mahlers Adagietto – (zu) viel gespielte und (zu) viel gehörte Klassik-Hits bekommen von Uwaga! ein neues Gewand verpasst. Uwaga!, das sind zwei Geigen, ein Akkordeon und ein Kontrabass – und die vier Dortmunder Jungs schicken mit ihren neuen Alben die Klassiker in den Balkan, in den Jazzkeller und/oder auf die Pop-Bühne. Mit Schwung, Humor und viel Kreativität putzt die Ensemble-Band alle Ohren einmal kräftig durch, die sich von der klassischen

Uwaga!: „swan fake“ und „mozartovic“ (Ars Produktion)

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H Ö R E N & S E H E N

Die Empfehlungen von Attila Csampai

NACHHALTIGES FÜR DEN GABENTISCH Zum Jahresausklang empfiehlt unser Chefrezensent Alben, die es in sich haben, und Interpreten mit starkem Profil von dem 26köpfigen Hamburger Ensemble Resonanz unter Riccardo Minasi mit elektrisierendem Drive und ansteckender Spiellaune wiederbelebt worden sind. So rabiat und forsch attackierend, Die Orchesterwerke und Konzerte J. S. Bachs wie die munteren Hanseaten hier ihren großen Vorfahren wachrütsind ja bestens bekannt und auch diskogra- teln, hat man die diese mit Brüchen und Überraschungen nur so phisch breit gestreut: Aber wer kennt schon den gespickten „Versuchsanordnungen“ des Barock-Terminators C.P.E. reichen Schatz seiner gut 200 Kantaten, die nur noch nicht gehört: Es sind die stürmischen Vorboten der Zeitenstrotzen vor musikalischen Schönheiten und Empfindungstiefe. wende. Das brachte den umtriebigen Leiter der Berliner Lautten Compagney Wolfgang Katschner auf die Idee, aus dieser „Wunderwelt“ drei SCHUBERT: IMPROMPTUS D899; MOMENTS neue instrumentale Suiten zusammenzustellen, die jeweils unter MUSICAUX D780; 6 GERMAN DANCES D820. Lars Vogt (Ondine) einem Motto einer Grundstimmung folgen. Sämtliche Vokalparts Track 11 auf der crescendo Abo-CD: Allegretto aus 4 Impromptus wurden in den Instrumentalsatz integriert, so dass hier unter Anwendung des barocken „Parodieverfahrens“ drei ganz neue InstDer 46jährige Lars Vogt zählt zu den interessanrumentalwerke entstanden sind, in denen keine einzige Originaltesten Pianisten seiner Generation: Ein exzelnote verändert wurde: „Bach without words“ ist ein hochinteressanlenter Kammermusiker, wie er erst unlängst mit ter, rundum überzeugender Versuch, einmal auch die weniger den Violinsonaten Brahms’ (und seinem Partner Christian Tetzlaff) bekannten, entfernten Sterne des Bachschen Universums neu unterstrich, und ein kluger Interpret, der auch im Solorepertoire erstrahlen zu lassen, und da die vierzehn Mitglieder seines Barock- ausgetretene Pfade meidet, und bedächtig die Seelenlandschaften konsorts wieder auf höchstem Niveau musizieren, also sich mit hinter den Strukturen auslotet. In seinem neuen Schubert-Album Herzblut, historischer Sensibilität und preußischer Akribie ins Zeug öffnet er ganz neue Perspektiven auf die emotionale Basis und den legen, bietet ihr neues Bach-Album auch einen farbenprächtigen, in erzählerischen Kern von so populären späten Miniaturen wie den jedem Detail wohlschmeckenden Ohrenschmaus. ersten vier Impromptus und den Moments musicaux, und es gelingt ihm da mit raffinierter, feinsinniger Agogik, neben dem inneren lyrischen Duktus auch das immense Verzweiflungspotenzial dieser C.P.E. BACH: 4 SYMPHONIES WQ 183; kleinen Juwelen zu entfachen, und sie so fast als instrumentale 6 SONATAS WQ 184. Ensemble Resonanz, Riccardo Minasi (Es-Dur) Metamorphosen von Liedern, von zärtlich ausgeformter „KlangTrack 7 auf der Abo-CD: Allegro assai aus Sinfonie G-Dur rede“ zu identifizieren, weitab von aller üblichen Etüdenhaftigkeit. Keine Frage: Bis heute hat Carl Philipp Emanuel, Man gewinnt sogar den Eindruck, als sei Schubert hier seiner Zeit der zweite Bach-Sohn, aus dem mächtigen weiter voraus als in den noch Beethovens Schatten stark geprägten Schatten des Vaters nicht heraustreten können, Sonaten: Ein berührendes Psychogramm. obwohl er zu den größten Revolutionären der Musikgeschichte zählt: Ein Prophet und unerhörter Neuerer, der schon wenige Jahre TRANSCENDENTAL – DANIIL TRIFONOV nach dem Tod Johann Sebastians die Barockmusik im Alleingang PLAYS LISZT Daniil Trifonov (DG) buchstäblich aus den Angeln hob, und das erstarrte System des einheitlichen Affekts durch den Einbruch einer völlig neuartigen, Nicht nur unter Klavierexperten gilt der Russe unberechenbaren Gefühlssprache ad absurdum führte. Zu den Daniil Trifonov als eine Art Wunderpianist. spektakulärsten Arbeiten seiner späten Hamburger Jahre zählen die Selbst solche Ikonen wie Martha Argerich sind vier kurzen Orchester-Sinfonien mit 12 obligaten Stimmen, die jetzt völlig verzaubert von seiner unglaublichen TechBACH WITHOUT WORDS

Lautten Compagney Berlin, Wolfgang Katschner (dhm)

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DIE DEUTSCHE STAATSPHILHARMONIE RHEINLAND-PFALZ

DAS SINFONIEORCHESTER DER METROPOLREGION

GALAKONZERT nik, und einer Anschlagskultur, die „Zartes mit Dämonie“ kombiniere. Jetzt hat der 26jährige ein Doppelalbum mit allen Etüden Liszts veröffentlicht, also die neben den Paganini-Etüden auch die fünf Konzertetüden und die 12 wirklich grenzwertigen Études d’exécution transcendante, einem bis heute unterschätzten, revolutionären Opus. Was Trifonov mit diesen nachtschwarzen Visionen anstellt, ist schlicht sensationell, ja befremdlich und gefährlich zugleich, und enthüllt endlich deren „transzendentalen“ und albtraumhaften Charakter: Hier verschmelzen beängstigende Präzision, höchste Klangkultur und dämonische Virtuosität zu völlig neuartigen Chiffren des Bizarren und Utopischen, als hätte Liszt hier bereits die Schrecken des 20. Jahrhunderts vorausgeahnt. Dieses Album ist ein Meilenstein, mehr noch, ein Monument, das unser Liszt-Bild verändern wird. KORNGOLD / CONUS: VIOLINKONZERTE, MUCH ADO ABOUT NOTHING, ELÉGIE.

Der junge Salzburger Geiger Thomas Albertus Irnberger hat in wenigen Jahren eine beeindruckende Diskographie vorgelegt: Zuletzt entstaubte er mit seinem ähnlich resoluten Klavierpartner Michael Korstick die Violinsonaten Beethovens von aller falschen Gefühligkeit. Auf seinem aktuellen Album aber zeigt sich der 31jährige von seiner virtuosen und ausdrucksstarken Seite: Mit dem perfekt harmonierenden Israel Symphony Orchestra hat er zwei selten gespielte Violinkonzerte sehr suggestiv wiederbelebt. In dem (von Heifetz 1947 uraufgeführten) Violinkonzert des Hollywood-Emigranten Erich Wolfgang Korngold beschwört Irnberger mit großem, glutvollem Ton die nostalgische Schönheit und den melodischen Reichtum des von Filmmusiken inspirierten Werks, während er das völlig unbekannte, 1897 entstandene Violinkonzert des Russen Jules Conus, als Meisterwerk rehabilitiert und mit unwiderstehlicher Leidenschaft und virtuoser Brillanz dessen spätromantischen Klangzauber aufblühen läßt. Mit diesen beiden wunderbaren Entdeckungen unterstreicht Irnberger nicht nur ein weiteres Mal seine geigerische Souveränität, sondern auch seine für sein Alter verblüffende gestalterische Reife. MOZART: DON GIOVANNI. Wächter, Taddei, Sutherland, Alva, Schwarzkopf u.a. Philharmonia Orchestra & Chorus, Carlo Maria Giulini (Warner)

Das dramma giocoso Don Giovanni gilt gemeinhin als Gipfelwerk der gesamten Gattung, und zugleich als schwärzeste Oper Mozarts: Seine Kunst der musikalischen Menschengestaltung erreicht hier den höchsten Grad von Wirklichkeitsnähe, psychologischer Wahrhaftigkeit und metaphysischer Tiefe. Als beste, sängerisch hochwertigste Studioaufnahme der Oper gilt bis heute die 1959 unter Carlo Maria Giulini entstandene Londoner Stereo-Produktion, die jetzt von Warner in einer exzellent restaurierten CD-Edition neu aufgelegt wurde. Sie nutzt zum einen konsequent die Möglichkeiten der modernen Stereo-Technik zur präzisen Ausleuchtung des komplexen Partiturgewebes, verströmt aber dennoch genügend BühnenAtmosphäre ohne die übliche Studio-Sterilität. Ein weiteres entscheidendes Plus ist das hochkarätige Starensemble, das bis in die Nebenrollen hinein mit den besten Mozart-Sängern der Zeit besetzt war – von Eberhard Wächters kernig-intelligentem Don Giovanni und Joan Sutherlands jugendlich-intensiver Donna Anna bis zu Piero Cappuccillis bitterem Masetto und der wirklich furiosen Elvira Elisabeth Schwarzkopfs: Ein Gesangfest der Extra-Klasse – bis heute der Maßstab. 33

Elīna Garanča | Foto: Paul Schirnhofer

Thomas Albertus Irnberger; Barbara Moser; Israel Symphony Orchestra, Doron Salomon (Gramola)

ELĪNA GARANČA 23. FEBRUAR 2017 Mannheim Rosengarten 19:30 Uhr

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ORCHESTER DES JAHRES

Karel Mark Chichon Dirigent Werke von Tschaikowsky, Verdi und Massenet Präsentiert von:

KARTEN: Tel. 0621- 3367333 www.reservix.de ww.staatsphilharmonie.de

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H Ö R E N & S E H E N

Alte Musik

Georg Friedrich Händel

In Händels Sinne

Foto: Gisela Schenker

Für das Album „Mitologia“ hat sich der im letzten Jahr verstorbene Barockmusik-Visionär Alan Curtis mit seinem Ensemble Il complesso barocco bereits 2012 auf eine spannende Spurensuche begeben und beleuchtet in 14 Opernarien, Duetten und Kantatenextrakten sinnstiftend und detailverliebt die Einflüsse der klassischen Mythologie auf Georg Friedrich Händels Musik. Das Album vereint einige der letzten gemeinsamen Aufnahmen von Alan Curtis und Il complesso barocco und macht einmal mehr offensichtlich, warum der amerikanische Cembalist viele Jahrzehnte als Pionier der historischen Aufführungspraxis gefeiert wurde. In den beiden rein instrumentalen Titeln, der Ouvertüre und der Gavotte aus Händels Oratorium Semele, kommt die formvollendete Spielfreude der Musiker zur Geltung. In den Arien und Duetten schlüpfen die Sängerinnen Christiane Karg (Foto) und Romina Basso in verschiedene Rollen und laden unter anderem als Herkules-Gattin Deïaneira, als Sirene Parthenope oder als Nymphe auf den Olymp der Barockmusik ein. KK

Georg Friedrich Händel: „Mitologia“, Christiane Karg, ­Romina Basso, Il complesso barocco, Alan Curtis (dhm)

Johann Sebastian Bach

Francesco Cavalli

Barockes Feuer

Entdeckung

Der erste Eindruck täuscht: Das italienische Barockensemble Zefiro scheint in seiner Aufnahme der Bachschen Orchestersuiten die momentanen Grenzen von schneller, weiter, fetziger auszuloten. Was dem einen neubarockes Feuer, ist dem anderen schon wieder zu penetrant, und die trügerische Erinnerung meint, einen Hauch mehr an tänzerischer Entspanntheit z. B. bei Concerto Köln und punktierte Feierlichkeit bei der Akademie für Alte Musik vorgefunden zu haben. Doch der Vergleich zeigt: Concerto Köln wirkt trotz schnellerer Tempi entspannt-beschwingt, die Zefiristen, trotz im Schnitt etwas lässigerer Tempi, vorwärtsstürmend – auch weil sie in bestimmten Sätzen gezielt auf Wildheit setzen. Zefiro überspringt die kleinere zweite der vier Suiten, bietet dafür aber zwei rekonstruierte Kantatenchoräle im französischen Stil. Damit passt alles auf nur eine – unbedingt hörenswerte – CD. JL

Francesco Cavalli ist ein eher unbekannter Komponist des italienischen Hochbarock. Kinderlos, sein nahendes Ende vor Augen, schrieb er sein eigenes Requiem: ein musikalisches Vermächtnis im altertümlichen Stil, an Monteverdi, Gabrieli oder Palestrina erinnernd. Wie für Landratten alle Wale einander gleichen, aber dem Meereskundler ein Blick auf die Flosse genügt, um das Tier beim Vornamen zu nennen, so wird ein Kenner des frühen Barock diesem Werk deutlich mehr entnehmen als der meist bei Bach haltmachende Musikliebhaber. Aber wer wäre besser geeignet als Alexander Schneider und sein Ensemble Polyharmonique, uns bei der Hand zu nehmen, um die nur auf den ersten Eindruck strenge, nüchterne Schönheit von Cavallis Musik zu erkunden?! Der klein besetzte Chor hilft, die üppige und gleichermaßen trockene Akustik der Grumbacher Kirche gefühlsbetont mit Transparenz zu füllen. JL

Bach: „Ouvertures“, Zefiro, Alfredo Bernardini (Arcana) Track 1 auf der crescendo AboCD: Ouvertüre in B-Dur 34

Kammermusik

Francesco Cavalli: „Requiem“, Ensemble Polyharmonique, Alexander Schneider (Raumklang) Track 9 auf der crescendo AboCD: Requiem aeternam

Amaryllis Quartett

Traum in Gelb

Das Streichquartettschreiben habe er „direkt von Mozart gelernt“, bekannte Arnold Schönberg. Auf der neuen Doppel-CD „Yellow“ des Amaryllis Quartetts mengt sich Mozarts Mut des sogenannten Dissonanzenquartetts und die Frische seines Jagdquartetts tatsächlich hervorragend mit dem spätromantischen und doch schon in neue Tonalitäten aufbrechenden zweiten Streichquartett Schönbergs. Das Amaryllis Quartett musiziert zugänglich, dynamisch und sehr organisch-homogen – und das trotz des Wechsels seiner Bratscherin während der Einspielung: Für die nach zehn Jahren scheidende Lena Eckels komplettiert nun Tomoko Akasaka das Ensemble. „Yellow“ ist die fünfte und letzte CD einer Farbenreihe des Quartetts, allesamt mit Paarungen neuerer und älterer Komponisten. Die Farbwahl basiert auf einem durch Schönberg inspirierten Gemälde Kandinskys, einem gelben Farbenrausch! MG

Amaryllis Quartett: „Yellow – String Quartets by Wolfgang Amadeus Mozart and Arnold Schoenberg“ (Genuin)

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H Ö R E N & S E H E N

IMPRESSUM The Singers Unlimited

VERLAG

Engelsgesang Das amerikanische Vokal-Quartett The Singers Unlimited war in den 1970er-Jahren die weltweit erfolgreichste A-cappella-Formation neben den Swingle Singers. Sie produzierten für das legendäre Schwarzwälder Jazz-Label MPS bis 1980 15 LPs, darunter vier pure Vokalalben mit raffinierten Overdubs. Ihr zweites Album „Christmas“ mit alten und neuen amerikanischen Weihnachtsliedern war ein Welterfolg und wurde jetzt von Edel im Rahmen ihrer AAA-Reissue-Edition neu remastert. Die typischen soften Arrangements von Gene Puerling gehen noch heute sofort unter die Haut, weil die drei Herren und die Sopranistin Bonnie Herman so lupenrein und klangschön intonierten, wie man es zuvor von einem irdischen Quartett noch nie gehört hatte. Auch wenn hierzulande kaum eines dieser „Carols“ bekannt sein dürfte, verströmen die vier einen vokalen Zauber, der der amerikanischen Vorstellung von Engelsgesang sehr nahekommt. Dieses Album macht süchtig. AC

Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-741509-0, Fax: -11 info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring

HERAUSGEBER Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de

VERLAGSLEITUNG Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de

CHEFREDAKTEUR Robert Kittel (RK, verantwortlich)

ART DIRECTOR Stefan Steitz

REDAKTION Maria Goeth (MG)

SCHLUSSREDAKTION Maike Zürcher

KOLUMNISTEN John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC), Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)

The Singers Unlimited: „Christmas“, Gene Puerling (MPS)

MITARBEITER DIESER AUSGABE Ralf Dombrowski (RD), Verena Fischer-Zernin, Malve Gradinger (GRA), Ute Elena Hamm (UH), Julia Hartel (JH), Katherina Knees (KK), Benedikt Kobel, Corina Kolbe (CK), Konrad Küster, Jens Laurson (JL), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Ruth Renée Reif, Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Dorothea Walchshäusl (DW), Burkhard Weitz

PROJEKTLEITUNG PLUS REGIONAL Liselotte Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de

VERLAGSREPRÄSENTANTEN Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: L. Richter-Lux | richter-lux@crescendo.de Hifi & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de

AUFTRAGSMANAGEMENT Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de

GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE Nr. 20 vom 09.09.2016

DRUCK Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig

Solo

Foto: Stephan Reising

VERTRIEB

Hardy Rittner

Rau, spröde, wunderbar Lange habe er Brahms nicht gemocht, fand seine Musik „zu träge, zu fettleibig“, sagt der deutsche Pianist Hardy Rittner. Als er eines Tages auf einem Erard-Flügel von 1854 Brahms spielen durfte, änderte er seine Meinung: „Das Dicke, Massige war weg. Die Satztechnik wurde plötzlich plausibel.“ Und: „Brahms’ Virtuosität entsteht durch die Struktur an sich, durch Klangschichten, durch Akkordschichten“ und profitiere deshalb besonders von den klanglich schlankeren Instrumenten der Zeit. Für diese Aufnahme mit Brahmsens virtuosen Variationszyklen, die gleichzeitig den Abschluss seiner vielbeachteten Brahms-Gesamteinspielung auf historischen Klavieren bildet, sitzt er an einem Steinway-&-Sons-Flügel von 1860 (Seriennummer 553). Hardy Rittners Brahms könnte nach Brahmsens Brahms klingen, der selbst kein Tastenlöwe war: rau, spröde, unsentimental, strukturiert. Ohne romantisches Pathos. Wunderbar. TPR

Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstr. 77, 20097 Hamburg www.as-vertriebsservice.de

ERSCHEINUNGSWEISE crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert­häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei­träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.

ABONNEMENT Das crescendo premium-Abo umfasst sieben Ausgaben, inklusive­„crescendo Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet 49,90 EUR pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 1.1.2012). Versand ins europ. Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 5,Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres, jederzeit fristlos. Abo-Service crescendo, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-8585-3548, Fax: -362452, abo@crescendo.de Verbreitete Auflage: 75.560 (lt. IVW-Meldung 1I/2016) ISSN: 1436-5529 geprüfte Auflage

(TEIL-)BEILAGEN/BEIHEFTER: CLASS: aktuell Sonderveröffentlichung Reise & Kultur

DAS NÄCHSTE CRESCENDO ERSCHEINT AM 31. JANUAR.

Johannes Brahms: „Piano Works Vol. 5“, Hardy Rittner (MDG) 35


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Doulce Mémoire

Vergessene Renaissance-Schätze Bereits der Name des Ensembles ist Programm, nennt es sich doch nach einem der größten Schlager der Renaissance: dem Chanson Doulce Mémoire von Pierre Regnault alias Sandrin von 1537. Vergessene Vokal-und Instrumentalmusik aus dieser Zeit will der französische Flötist und Gründer des Ensembles Denis Raisin Dadre wiederbeleben. Etwa die frühen Madrigale von Philippe Verdelot (um 1480 bis um 1530). Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war der Franzose wohl nach Italien gekom-

men und kam dort zu Ehren, als Giulio de Medici ihn 1524 zu seiner Inthronisation zu Papst Clemens VII. einlud und er es zum meistpublizierten Komponisten seiner Zeit in Italien brachte. Spannend Dadres Ansatz, der Vokalversion eines Verdelotschen Madrigals gleich eine instrumentale und verzierte Version folgen zu lassen, die inspiriert ist von dem Lehrbuch eines Zeitgenossen: dem venezianischen Blockflötisten, Gambisten und Hofmusiker des Dogen Sylvestro Ganassi. TPR

Alte Musik

Foto: Doulce Memoire

Philippe Verdelot und Sylvestro Ganassi: „Madrigali Diminuiti“, Ensemble Doulce Mémoire, Denis Raisin Dadre (Ricercar) Track 8 auf der crescendo Abo-CD: Fantasia sopra se mai provasti von Melchior De Barberis

Carmina Burana

Die Walküre

Bach, Bach, Bach!

Volltreffer mit ­Bonus

Plastische Walküre

Der Herzchirurg Christiaan Barnard konnte ohne ihn nicht operieren, der Schriftsteller Maarten t’Hart ohne ihn nicht leben. Und Beet­ hoven fand: „Nicht Bach, Meer sollte er heißen.“ Vom „Geheimnis Bach“ spricht auch der Erzähler (Christian Baumann) auf dieser 15-teiligen Box mit Bachs Matthäus- und JohannesPassion, der h-Moll-Messe und dem Weihnachts­ oratorium. Dazu Werkeinführungen von Markus Vanhoefer und Wieland Schmidt. Mit dem BRChor, Concerto Köln und der Akademie für Alte Musik Berlin trifft konventionelle auf historisierende Aufführungspraxis, ein etwa 40-köpfiger Chor (Bach hatte weniger als 16 Sänger) auf Spezialisten, die auf alten Instrumenten musizieren. Dank Peter Dijkstra, der auf Ausgleich und Klangrede setzt, entflammt kein Wettstreit. Alle Interpreten – inklusive der vorzüglichen Solisten – treten vollständig in den Hintergrund und überlassen es ganz Bachs Musik, ihr Wissen um die letzten Dinge auszusprechen. TPR

Johann Sebastian Bach: „Soli Deo Gloria“, Johannes-Passion, Matthäus-Passion, Messe ­h-Moll, Weihnachtsoratorium, BRChor, Concerto Köln, Akademie für Alte Musik Berlin, Peter Dijkstra (BR-KLASSIK), ­ 15 Audio-CDs bzw. 6 DVDs Track 2 auf der crescendo AboCD: Gloria in excelsis Deo aus: Messe in h-Moll

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Oper

Johann Sebastian Bach

Es sind Lieder über das Leben, die Liebe und den Wein, die Carl Orff mit der Vertonung der mittelalterlichen Profangedichte Carmina Burana geschaffen hat. Nicht selten geht es darin bewusst derb zu. Der vielleicht größten Gefahr bei der Interpretation – das Ganze nämlich zu einem reinen Krakeel und Tamtam verkommen zu lassen – erliegen Dirigent Matthias Georg Kendlinger, die von ihm ins Leben gerufenen K & K Philharmoniker und der Ukrainische Nationalchor Lviv nicht. Lebendig und spannungsreich musizieren sie das Werk und schaffen dabei kontrastreiche Klangbilder voller Tiefe. Auch die Solisten Anna Shumarina (Sopran), Tilmann Unger (Tenor) und Stepan Drobit (Bariton) überzeugen durch die nuancenreiche Gestaltung ihrer Parts, die teils eine hohe stimmliche Flexibilität verlangen. Als toller Bonus ist dem Album eine DVD beigefügt, die den Konzertmitschnitt dokumentiert. Ein Volltreffer! JH

Die Einspielung des Wagnerschen Rings ist stets ein Sakrileg. Wenn dann noch ein asiatisches Orches­ ter mit einer Aufnahme aus Live-Mitschnitten auf den Plan tritt –selbst wenn es sich mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra unter Jaap van Zweden um eines der renommiertesten der östlichen Welt handelt –, mag die Skepsis noch wachsen. Umso mehr überraschte das Orchester letztes Jahr bereits mit dem Rheingold, das nun in der Walküre seine Fortsetzung findet. In vergleichsweise langsamen Tempi ist der Klang verblüffend ehrlich, plas­ tisch, ohne falsches Pathos, fast oratorienhaft – zuweilen beinahe ein wenig distanziert. Der als Liedsänger berühmte Matthias Goerne wirft mit seinem Rollendebüt als Wotan einen interessanten neuen Blick auf die Figur. Ihm stehen mit Stuart Skelton und Heidi Melton als Siegmund und Sieglinde zwei solide, überzeugende Kollegen zur Seite. Petra Lang als Brünnhilde ist gelegentlich etwas intonations- und ausspracheschwach, dafür erlebt man mit Falk Struckmann einen charakterstarken Hunding. Auch wenn die erfreulich erschwingliche Aufnahme vielleicht nicht mit den ganz großen mithalten mag – sie ist in jedem Fall eine hörenswerte Bereicherung fürs CD-Regal. MG

Richard Wagner: „Die Walküre“, Hong Kong Philharmonic Orchestra, Jaap van Zweden (Naxos) Track 13 auf der crescendo Abo-CD: Wer meines Speeres Spitze fürchtet

Carl Orff: „Carmina Burana“, Ukrainischer Nationalchor Lviv, K & K Philharmoniker, Matthias Georg Kendlinger (DaCapo) www.crescendo.de

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Buch

John Eliot Gardiner

Familie Mann

Bach intensiv

Intimes Familienporträt

In seinem Elternhaus hing eine Kopie des berühmten Bach-Porträts von Elias Gottlob Haußmann – streng und furchteinflößend. Doch dann entdeckte der berühmte Dirigent John Eliot Gardiner die vielen anderen Facetten des Thomaskantors: sein Genie, seine unglaubliche Klangkraft, sogar das Tänzerische und Humorvolle in seiner Musik. Wohl kaum ein Künstler drang tiefer in Bachs Werk ein, so brachte Gardiner zum 250. Todesjahr des Komponisten Woche um Woche dessen sämtliche 198 ­Kirchenkantaten zur Aufführung. Doch Gardiner ist nicht nur Praktiker: Soeben ist sein knapp 700 Seiten umfassendes Buch „Bach – Musik für die Himmelsburg“ in einer vom Hanser Verlag preisgekrönten Übersetzung von Richard Barth auch auf Deutsch erschienen. Darin schafft Gardiner ein umfassendes Porträt Bachs – vor allem seiner Kirchenmusik – vor dem Hintergrund seiner Zeit: detailverliebt und sehr persönlich! MG

Sie sind eine der legendärsten Künstlerfamilien der Welt: der große Literat Thomas Mann, seine Frau Katia und die – allesamt schreibenden – sechs Kinder Erika, Klaus, Golo, Monika, Michael und Elisabeth. Die Briefe, die sie untereinander verschickten, sind nicht nur einzigartige Zeitzeugnisse, sondern auch schonungslos offen, frappierend intim, brillant wortgewaltig, zuweilen urkomisch und unverwechselbar charakterreich. Sie erzählen von Liebe, Krankheit, Eifersucht, Zuneigung und Geld – insbesondere während und nach der Zeit, als im „Tollhaus“ Deutschland der Nationalsozialismus grassiert und die Familie in die USA emigriert. Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein haben 199 Briefe aus sechs Jahrzehnten (1919–1981) zu einer beinahe voyeuristischen Familienschau kompiliert – weit über die Hälfte davon war bisher unveröffentlicht. So fleißig wie im Schreiben war die einzigartige Familie übrigens auch im Aufbewahren ihrer Korres­ pondenz: Die Herausgeber haben sich für ihre Auswahl durch mehr als 2.000 Briefe gearbeitet! MG

Tilmann Lahme, Holger Pils und Kerstin Klein (Hrsg.): „Die Briefe der Manns. Ein Familienporträt“ (Fischer)

John Eliot Gardiner: „Bach – Musik für die Himmelsburg“ (Hanser) Rapunzel

Kinder

Märchen ohne Grenzen Als Projekt zum Grenzenüberwinden hat Ute Kleeberg, Leiterin des Labels See-Igel, die CDProduktion „Rapunzel“ initiiert. Wie immer besteht ihre Grundidee darin, Worte und Töne gemeinsam eine Geschichte erzählen zu lassen. Das Besondere: Die Musikeinheiten, die abwechselnd mit den Textpassagen erklingen, setzen sich aus Bach-Suiten (eingespielt von Konstanze von Gutzeit, Solo-Cellistin des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin) und syrischer Musik von Marwan Alkarjousli zusammen. Dabei wirkt die Kom-

19 - 28 MAI

2017

bination der Oud-Klänge mit dem Grimmschen Text, der übrigens von Schauspielerin Eva Mattes wunderschön gelesen wird, erstaunlich plausibel. Ob jedoch die CD und das Mitlesen des beilegten arabischen Textes ein ganzheitliches Deutschlernen von Geflüchteten unterstützen, ist eher fraglich. Schließlich hat das Grimm-Deutsch, so ästhetisch es ist, nur noch wenig mit unserer heutigen Alltagssprache zu tun. ASK

„Rapunzel – Ein Märchen von den Brüdern Grimm“, Eva Mattes (Edition See-Igel)

DEUTSCHES MOZARTFEST WELTKLASSE IN AUGSBURG SPURENSUCHE mit

L‘ARPEGGIATA / NURIA RIAL / STEVEN ISSERLIS MAXIMILIAN HORNUNG / NILS MÖNKEMEYER / ANTJE WEITHAAS MICHAEL WOLLNY / VINCENT PEIRANI WINDSBACHER KNABENCHOR / VINCENZO CAPEZZUTO BENJAMIN APPL / SIBYLLA RUBENS / REINHARD GOEBEL NEOBAROCK / ARD-PREISTRÄGER 2015 & 2016 u.v.m. Partner des Deutschen Mozartfests

PROGRAMM und TICKETS unter

www.MOZARTSTADT.de


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Solo

Oper

Alexandre Tharaud

„Tharaud plays Rachmaninov“, Alexandre Tharaud, Royal Liverpool Philharmonic Orches­ tra, Alexander Vedernikov (Erato)

Radikal neu

Die dämonisch-düstere Ouvertüre lässt bereits erahnen, dass Don Giovanni keine reine Komödie ist. Am Ende des „dramma giocoso“ schickt Mozart den dreisten Lüstling bekanntlich in die Hölle. Mit provozierender Verve erkunden Teodor Currentzis und sein russisches Originalklang-Ensemble MusicAeterna den doppeldeutigen Charakter der Oper. Damit schaffen sie ein radikal neues Klang­erlebnis. Auch die Sängerbesetzung ist erstklassig. In der Hauptrolle beeindruckt Dimitris Tiliakos mit seiner farbenreichen Baritonstimme. Karina Gauvin berührt als liebeskranke Donna Elvira, und Myrtò Papatanasiu verleiht der Figur der Donna Anna tragische Tiefe. Der stimmgewaltige Bass Mika Kares gibt den Komtur, der Don Giovanni zum Schluss als Statue wiedererscheint. Currentzis, von der Kritik als „Klassikrebell“ gefeiert, hat mit Don Giovanni seine Einspielung von Mozarts Da-Ponte-Trilogie überzeugend komplettiert. CK

Foto: Robert Kittel

Rachmaninow ­entschlackt Wer bei Rachmaninows Klavierwerk bislang an schwelgerisches Pathos und voranstürmende Tastenlöwen denken musste, wird auf dem jüngsten Album Alexandre Tharauds eines Besseren belehrt. Der französische Pianist, der sich bislang vor allem mit seiner Interpretation von Ravel einen Namen gemacht hat, widmet sich nun dem russischen Großmeister und präsentiert ein interessant konzipiertes Programm vom 2. Klavierkonzert op. 18 in c-Moll über die fünf Morceaux de fantaisie bis zur Vocalise op. 34 und zwei Stücken für sechs Hände. Dabei entzieht er der Musik des russischen Meisters konsequent alles wuchtig Opulente und mystisch Soghafte. Stattdessen durchleuchtet er sie mit bestechender Transparenz und Kompromisslosigkeit in der Klanggestaltung, wählt hierfür teils ungewohnt langsame Tempi und arbeitet jeden Farbwechsel heraus. Alles wird sichtbar, manche Nuance erst jetzt entdeckt. Der Zauber jedoch geht mitunter verloren. DW

Don Giovanni

Wolfgang Amadeus Mozart: „Don Giovanni“, Teodor Currentzis, MusicAeterna (Sony)

Reinoud van Mechelen

Intensiv ausgeleuchteter G ­ efühlskosmos Sie ist nicht nur göttlich, sie ist auch überaus irdisch: In der Musik von Bach spiegeln sich zutiefst menschliche Emotionen wider und kaum werden diese so direkt erfahrbar wie in seinen Werken für Gesang. Auf dem Album „Erbarme dich“ ergründet der Tenor Reinoud van Mechelen diesen Bachschen Gefühlskosmos und präsentiert verschiedene Tenorarien aus Kantaten Johann Sebas­ tian Bachs, die jeweils mit Instrumentalstücken, mal für Flöte (Anna Besson), mal für Orgel (Benjamin Alard) kombiniert werden. Durch die außergewöhnliche Zusammenstellung der Stücke ergibt sich ein facettenreiches Gesamtkunstwerk, das durchwegs transparent, mitunter fast eine Idee trocken inszeniert ist und sich dem Faszinosum Bach ebenso demütig wie unverwandt annähert. Van Mechelen brilliert dabei mit seiner äußerst kultivierten Tenorstimme, mit der er in fließenden Legatolinien weich und warm die Arien gestaltet. DW

Johann Sebastian Bach: „Erbarme Dich“, Reinoud van Mechelen, A nocte temporis (Alpha) Track 5 auf der crescendo Abo-CD: Lass, oh Fürst der Cherubinen

Lisa Batiashvili

Makellos

38

Foto: Anja Frers

Wenn Daniel Barenboim von seiner Solistin Lisa Batiashvili in höchsten Tönen schwärmt, hat das gute Gründe. Es gibt heute kein besseres Geigenspiel als das, was sie hier in den Violinkonzerten von Tschaikowsky und Sibelius zu Gehör bringt. Wenn ich von absoluter technischer Makellosigkeit spreche, ist weit mehr gemeint als schwindelerregende Virtuosität und Perfektion. Ihre Tongebung ist von geradezu überirdischer Schönheit und bewusstester Flexibili-

tät, auch im kraftvollsten Forte geschmeidig und wohlklingend. Und sie spielt mit einer empfindsamen Musikalität, einer Intuition der bezwingenden Erfassung der Linie und des Zusammenhangs, die ihresgleichen suchen. Zumal das Tschaikowsky-Konzert erklingt mit einer veredelten Emphase, verzaubernden Sanglichkeit und fesselnden Präsenz, die turmhoch alles sentimental effektverhaftete Feuerwerk überragt, das wir gewohnt sind. Überragend, auch exquisit begleitet, eine neue Referenz. cs

Tchaikovsky, Sibelius: „Violin Concertos“, Lisa Batiashvili, Daniel Barenboim, Staatskapelle Berlin (DG) www.crescendo.de

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Solo

Le Concert de la Loge

Aufregende Erkundungen

Dieses Album ist ein Ereignis, birgt es doch alles in sich, was man sich von einer neuen Einspielung erhofft: spannende Zugänge, berührende Darbietungen, herausragende Interpreten. Der Geiger Julien Chauvin begibt sich mit seinem Ensemble Le Concert de la Loge auf Spurensuche rund um Haydns Sinfonie Nr. 85 in B-Dur „La Reine“ und setzt sie ans Ende eines Programms, das die weitgehend unbekannte Sinfonie Nr. 4 in c-Moll von Henri-Joseph Rigel ebenso umfasst wie die Sopranarien Io d’amore, oh Dio! mi moro von Giuseppe Sarti und Semplicetto, ancor non sai von Johann Christian Bach, die von Solistin Sandrine Piau beide mit Verve und mitreißender Emotionalität dargeboten werden. Le Concert de la Loge tut sein Übrigens dazu und weckt die Werke mit humorvoller Spielfreude zum Leben. Die Musik vibriert und schwirrt, sie federt und tanzt und zieht den Hörer glühend in ihren Bann. DW

Ein außergewöhnliches Buch über Musik und ihre Geschichten

Joseph Haydn: „La Reine“, Le Concert de la Loge, Julian Chauvin, ­ Sandrine Piau (Aparte) Track 6 auf der crescendo Abo-CD: Andante spirituoso aus: Sinfonie Nr. 4 C-Moll op. 12 von Rigel Kim Kashkashian & Lera Auerbach

Bratschenreise Wer ist wohl das Zielpublikum einer Transkription von Schostakowitschs 24 Präludien op. 34, seiner ersten Tonartenumsegelung (nicht zu verwechseln mit der späteren Bach-Hommage, den Präludien und Fugen op. 87) für Bratsche und Klavier? Die, die das Werk so sehr kennen und lieben, dass sie es auch aus der Bratschenperspektive hören wollen. Oder jene, die das Werk vielleicht nicht kennen, aber von den Künstlern Kim Kashkashian (Viola) und Lera Auerbach (Klavier) angezogen werden. Sowie Bratscher. Aus welchen Gründen die Reise auch erfolgt, Hauptsache angekommen, denn die 24 Miniaturen gleichen, besonders in diesen Transkriptionen, einem Kaleidoskop voller Farben, von heiter bis bewölkt. Der Übergang zu Arcanaum von Lera Auerbach, der wichtigsten russischen Komponistin ihrer Generation (geb. 1973), ist fast nahtlos: In einer mediativen Suche nach ungegebenen Antworten schlängeln sich die beiden Instrumente tonal durch die Noten. Das Resultat klingt nicht unähnlich der Musik Tigran Mansurians oder Valentin Silvestrovs, zweier anderer ECM-Favoriten. Berückend. JL

Dmitri Shostakovich u. a.: „Arcanum“, Kim Kashkashian, Lera Auerbach (ECM) Jiří Kylián

Tanz

Ganz große Tanzkunst

Man kann nie genug von Jiří Kylián sehen, diesem Jahrhundert-­ Choreografen, der den US-Pionier-Stil Martha Grahams zu einem neoklassisch getönten weit und elegant in den Raum schwingenden europäischen Modern Dance fortschrieb – und sich über die Jahre immer wieder stilis­ tisch und inhaltlich erneuerte. In La cathédrale engloutie (Die versunkene Kathedrale) von 1975 erkennen wir den frühen Kylián: Die großzügig und weich in Claude Debussys gleichnamiges Prélude Nr. 10 hineinfließenden Bewegungen für zwei Paare erzählen in poetischer Schwebe von jungen Beziehungen. Silent Cries (Stille Schreie) von 1986 deutet Debussys Prélude à l’après midi d’un faune als fast expressionistische Selbsterkundung eines Faunwesens, subtilst interpretiert von Kyliáns Exfrau Sabine Kupferberg. Und in dem 2006 mit dem Filmemacher Boris Pavel Conen realisierten Streifen Car Men gelingt Kylián slapstick-surreal eine rasant bewegte Parodie auf Carmen, hier Chefin einer Auto-Schrotthalde. GRA

Jiří Kylián’s „Car Men“, A film by Boris Paval Conen & Jirí Kylián, Netherlands Dans Theater. Additional Ballets: „Silent Cries“, „La Cathédrale Engloutie“ (Arthaus Musik) 39

1168 Seiten • Geb. mit Schutzumschlag • € 49,99 [D] Auch als E-Book erhältlich

Wurde Mozart ermordet? Warum fürchtete sich Franz Liszt vor Freitagen? Und wer um alles in der Welt war Elise? In einem umfassenden Werk beantworten die beiden Musikexperten Rainer Schmitz und Benno Ure alle Fragen, die sich Liebhaber der klassischen Musik, Konzertgänger und Opernenthusiasten kaum zu stellen wagen – fesselnd, unterhaltsam und informativ.

Siedler www. siedler-verlag.de


H Ö R E N & S E H E N

Solo Antje Weithaas

Leidenschaftliche Romantik

Foto: Giorgia Bertazzi

Die Uraufführung seines dritten und letzten Violinkonzerts durch den Virtuosen Joseph Joachim erlebte Max Bruch 1891 als Triumph. Schon während der Proben war er davon überzeugt, dass „die Sologeige auch an den pathetischen oder leidenschaftlichen Stellen überall aufs Schönste zur Geltung kommen wird“. Antje Weithaas hat das Werk jetzt mit der NDR Radiophilharmonie für das Osnabrücker Label cpo eingespielt. Die ästhetisch äußerst ansprechende Interpretation lässt vergessen, dass dieses Werk im Schatten des weitaus bekannteren ersten g-MollViolinkonzerts steht. Weithaas nähert sich der Musik wohltuend unprätentiös, einfühlsam und zugleich technisch souverän. Besonders eindrucksvoll ist das fast überirdisch schwebende Adagio. Auf dem Album sind außerdem das Konzertstück op. 84 und die an Robert Schumann erinnernde Romanze op. 42 zu hören. Eine Entdeckung für alle Liebhaber der Musik der Romantik. CK

Max Bruch: „Violin Concerto 3, Romanze, Konzertstück“, Antje Weithaas, NDR Radiophilharmonie, Hermann Bäumer (cpo/NDR)

Orchestre de l’Opéra National de Paris

Nussknacker

Beethoven-­Sinfonien im Gesamtpaket

Märchenhaft

Es ist ein sinfonisches Mammutwerk und unzählige Dirigenten haben sich daran versucht. Nun wurde unter dem Dirigat von Philippe Jordan eine neue Einspielung sämtlicher Beethoven-Sinfonien im Blu-Ray-Format veröffentlicht, die als im besten Sinne solide bezeichnet werden kann. Mit dem Orchestre de l’Opéra National de Paris hat Jordan ein wendiges und präzises Ensemble zur Verfügung, das seine detailreiche und geschliffene Interpretation der Klassiker in all ihren Nuancen umzusetzen vermag. Beethoven unter den Händen von Jordan kommt energetisch daher, schwungvoll, dynamisch und transparent, wirklich neue Blickwinkel auf den Komponisten und seine beeindruckende Tonsprache aber finden sich kaum. So bietet die Box zusammen mit dem hochwertig gestalteten Booklet und den verschiedenen Blu-Rays, die sich mit differenziertem Sound zeigen, eine gelungene neue Gesamteinspielung. Im besten Sinne solide eben. DW

Beethoven: „Complete Symphonies“, Philippe Jordan, Orchestre de l’Opera National de Paris (Arthaus)

40

Konzert

Blumenwalzer, Tanz der Zuckerfee und russischer Trepak: Peter Tschaikowskys weihnachtliche Ballettmusik fasziniert Kinder ebenso wie Erwachsene. Wenn Zinnsoldaten aufmarschieren und der Nussknacker sich in einen schönen Prinzen verwandelt, werden wohl viele Erinnerungen an den ersten Theaterbesuch wach. Die Münchner Symphoniker haben den unverwüstlichen Evergreen unter Leitung ihres Chefdirigenten Kevin John Edusei auf einem Doppelalbum eingespielt. Nach der verkürzten Ouverture miniature aus der Nussknacker-Suite sind populäre Ohrwürmer aus dem letzten Akt und das rauschende Finale zu hören. Auf der zweiten CD liest der Schauspieler Max Müller, bekannt aus der Fernsehserie „Die Rosenheim-Cops“, eine Erzählung des französischen Romanciers Alexandre Dumas. Seine Geschichte eines Nussknackers inspirierte Tschaikowsky zu seinem Stück. Ein ideales Geschenk, das unter jeden Tannenbaum passt. CK

Tschaikowsky: „Der Nussknacker“ und Dumas: „Geschichte eines Nussknackers“, Münchner Symphoniker, Kevin John Edusei, Max Müller (Solo Musica) Track 12 auf der crescendo Abo-CD: Marsch der Zinnsoldaten

Staatskapelle Dresden

Grandseigneur am Pult Carl Maria von Webers schwungvolle OberonOuvertüre, Ludwig van Beethovens virtuoses Violinkonzert und Johannes Brahms’ erhabene Sinfonie Nr. 1 standen auf dem Programm, als sich Bernard Haitink im Herbst 2002 als neuer Chefdirigent der Staatskapelle Dresden vorstellte. Eine CD mit dem Mitschnitt seines Antrittskonzerts des traditionsreichen Orchesters ist jetzt beim Label Profil herausgekommen. Der Niederländer, auch mit inzwischen 87 Jahren noch regelmäßig auf den großen Bühnen präsent, dirigiert mit zurückhaltender Noblesse. Mit dem WeltklasseGeiger Frank Peter Zimmermann als kongenialem Partner Haitinks erstrahlt Beethovens Konzert in einem subtilen Goldglanz. Meis­ terhaft gelingt es Zimmermann, sein Instrument zum Singen zu bringen. Mit einer unüber­hörbaren Reminiszenz an Beethovens Neunte endet die Brahms-Sinfonie, in der sich auch der warm leuchtende Bläserklang des Orchesters bestens entfalten kann. CK

Weber: „Ouvertüre zur Oper Oberon“, Beethoven: „Konzert D-Dur für Violine und Orchester“, Brahms: „Symphonie Nr.1 c-Moll“, Frank Peter Zimmermann, Staatskapelle Dresden, Bernard Haitink (Profil)

lten onnent er ha Als neuer Ab (siehe S. 80) D DV Sie diese www.crescendo.de

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H Ö R E N & S E H E N

DIE CHRISTOPH-SCHLÜREN-KOLUMNE

Unerhörtes & neu Entdecktes

JENSEITS ALLER VERTRAUTEN NISCHEN Der norwegische Komponist Ketil Hvoslef

O

b ein Komponist ein Originalgenie ist, wird oft ganz besonders Werke wie das wunderbar auf das Soloinstrument genug nicht von der zeitgenössischen Rezeption zugeschneiderte transparente Kontrabasskonzert, das durchweg feserkannt, und manch einer, der zunächst als Außen- selnde Klarinettenquintett, das symphonisch-zyklisch zusammenhänseiter gilt, kommt erst posthum zu verdienten Ehren. gende 1. Violinkonzert mit seinem tief berührenden langsamen Satz Bei dem großen Norweger Ketil Hvoslef scheint sich oder die Beethoven-Fantasie für Klavier solo empfohlen – in letzterer das Blatt nun doch noch zu Lebzeiten zu wenden. 1939 in Bergen als findet fernab erkünstelter Collage eine Vereinigung der Tonsprachen Sohn Harald Sæveruds, des überragenden norstatt, die in ihrer natürlichen Folgerichtigkeit wegischen Sinfonikers der klassischen atemberaubend ist. Nachdem es auf dem TonträModerne, geboren, suchte er sich früh seinen germarkt lange still um ihn war, scheint man in MAN FINDET ganz eigenen Weg. In seinem Schaffen fließen seiner Heimat nun endlich zu begreifen, welch KEIN GRAMM heterogenste Elemente zusammen, die sich unerschöpflicher Reichtum hier vorliegt. Das kaum klassifizieren lassen: obsessiv und Label Lawo hat mit einer von dem Geiger-KomSENTIMENTALITÄT zugleich spielerisch entwickelnde Arbeit aus ponisten Ricardo Odriozola initiierten Gesamtkurzen, prägnanten Motiven, die ein verwegeaufnahme seiner Kammermusik begonnen, und nes Netzwerk bilden; Rock- und Jazzmusik; jedes Werk konfrontiert uns zugleich mit seiner eine Art weltumspannende Folklore, die niemals Zitat ist und eine unverkennbaren Tonsprache und jeweils vollkommen individueller natürlich bizarre Landschaft entstehen lässt, die keiner Tradition Formung. Zwei Folgen liegen bislang vor, und sein Schaffen bildet zuzuordnen ist; die Freude am Spiel und die absolute Unvorherseh- eine singuläre Brücke von der Weiterentwicklung der Errungenschafbarkeit der Form, die zugleich doch stets organisch zusammenhän- ten der klassischen Moderne zur avancierten Rockmusik, wie sie so gend wirkt. Da er weder Traditionalist noch modischer Neutöner – unnachahmlich King Crimson geprägt haben. Man höre nur etwa was auch immer das heute noch heißen mag – ist, ist seine Musik Duo Due für Violine und Cello oder das Quartetto percussivo, das den bislang weder in sinfonischen Abonnementkonzerten noch auf Begriff der Minimal Music rigoros aus allen vertrauten Nischen Neue-Musik-Festivals heimisch geworden. Er hat sich nie darum he­rausführt. Nicht weniger zu empfehlen ist eine bei Simax erschiegekümmert, sondern in unbeirrbarer Unabhängigkeit stets nur die nene CD „Seonveh“ mit seiner Musik für und mit Gitarre(n), die auch essenzielle Aussage gesucht. Obwohl man vergeblich nach der Ver- das herrlich offene Doppelkonzert für Flöte, Gitarre und Streicher entankerung im Herkömmlichen suchen wird, eignet seihält. Mehr Freude kann zeitgenössische Musik nicht bereiten, nen Werken immer etwas Musikantisches, und bei aller ohne je auf billige Klischees zurückzugreifen. Hvoslef sagt bewussten Reduktion des Tonmaterials hat sie immer selbst über sein Schaffen: einen improvisatorischen Zug. Dabei wird er niemals „Ich versuche, meiner Umgebung gegenüber immer so schwelgerisch und man findet kein Gramm Sentimengegenwärtig und intuitiv empfänglich zu sein, dass talität, aber auch kein System, das scheinbare ich Musik schreiben kann, deren Ausdruck so direkt Sicherheit verleihen würde. Seine Musik ist wie derjenige der Volksmusik ist. Das hat nichts zu immer abenteuerlich und selbst in den schroffstun mit romantischen Konzepten wie Naturmystiten Ausbrüchen finden sich Leichtigkeit, Selbstzismus oder dergleichen. Es ist einfach so, dass ich ironie und lyrischer Zauber. Und nie weiß man, gegen die intuitive Faulheit kämpfe, die ein Kennzeiwas hinter der nächsten Biegung lauert! chen der modernen Zivilisation zu sein scheint.“ n Hvoslef ist vor allen Dingen ein phänomeChamber Music Works Vol. 1 & 2 (Lawo) naler Instrumentalkomponist, aus dessen Œuvre vor Seonveh. Music for Guitar (Simax) allem die Vielzahl höchst charakteristischer SoloKlaviertrios von Hvoslef, Valen und Egge (Lawo) konzerte und teils äußerst unkonventionell besetzter Oboenkonzerte von Hvoslef und Sæverud (Lawo) Kammermusik hervorstechen. So seien dem Hörer 42

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H Ö R E N & S E H E N

Jazz

Wolfgang Muthspiel

Selbst ein Musiker vom Format des Gitarrenmeisters Wolfgang Muthspiel hat noch Träume. Einer davon war es, sein Trio um Klavier und Trompete zu erweitern, allerdings nicht um irgendwelche Musikanten, sondern Erstligisten wie Brad Mehldau und Ambrose Akinmusire. Zu seiner eigenen Überraschung war die Erfüllung gar nicht schwer. Tatsächlich bedurfte es nur einiger Telefonanrufe und eines gut organisierten Kalenders, und das Ensemble traf sich im Januar 2016 in der Provence, um im stimmungsvollen Studio von La Buissonne „Rising Grace“ aufzunehmen. Neben dem Bandleader gehörten außerdem der Bassist Larry Grenadier und Drummer Brian Blade zum Team, sodass eigentlich kaum noch etwas schiefgehen konnte. Zehn Stücke schafften es schließlich auf das Album, zehn energetisch sehr unterschiedliche stilistische Stellungnahmen von kammerjazzig verhalten bis dezent lärmend. Aus dem Traum wurde ein elegantes Songkonvolut, mehr pastell als grell. RD

Wolfgang Muthspiel: „Rising Grace“, Ambrose Akinmusire, Brad Mehldau, Larry Grenadier, Brian Blade (ECM)

Foto: Laura Pfleifer/ECM Records

Traum in Pastell

Grégory Privat Trio

Karibik im Geiste Martinique, Toulouse, Paris. Und inzwischen Europa. Grégory Privat findet seinen Weg in die jazzmusikalische Landschaft der Gegenwart von der Peripherie schrittweise ins Zentrum. Bislang als Sideman von Kollegen wie dem Saxofonisten Jacques SchwarzBarth oder dem Trompeter Stéphane Belmondo unterwegs, präsentiert „Family Tree“ den 32-jährigen Pianisten aus dem französischen Outre-Mer-Département nun mit eigenem Trio zusammen mit dem Bassisten Linley Marthe und dem Schlagzeuger Tilo Bertholo. Es ist ein Wegweiser in Richtung gestalterische Eigenständigkeit, die er bislang noch mit Vorsicht formuliert. Auf der einen Seite phrasiert Privat mit karibischer Leichtigkeit, perlend melodiös und rhythmisch von wogendem Flow getragen. Zugleich aber bleibt er einem europäischen Klangideal verpflichtet, das von einem Klaviertrio vor allem Harmonie erwartet. „Family Tree“ ist daher viel Paris und ein wenig Martinique. Das inverse Pendant steht noch aus. RD

Grégory Privat Trio: „Family Tree“, Linley Marthe, Tilo Bertholo (ACT)

Masters of perfection Das ganze Know-How von Marantz in einer neuen musikalischen Gesamtheit, mit eleganten Linien und außergewöhnlicher Leistung. Sorgfältigst ausgewählte Bestandteile und neueste technologische Standards bereichern den Vollverstärker PM6006 und seinen Begleiter, den CD-Player CD6006. Sie sind die weiterentwickelten Nachfolger des preisgekrönten 6005er Stereo-Duos. Mit klanglicher Raffinesse verführt die neue Kombination anspruchsvollste Musikliebhaber, die auf der Suche nach der besten Leistung sind. Erleben Sie die einzigartigen Eigenschaften dieser ausgezeichneten Stereo-Kombination von Marantz beim autorisierten Fachhändler in Ihrer Nähe.

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H Ö R E N & S E H E N

Klang-Lametta Gute Musik gehört zu Weihnachten wie Spekulatius und Tannenbaum. Aber wie lässt sich im Dickicht der Weihnachtsscheiben die richtige finden? Wir haben uns durchgewühlt und ein paar schöne Neuerscheinungen herausgepickt. VON MARIA GOETH

Alte Bekannte Und sie sind doch immer wieder schön, die Nostalgieklassiker von Ihr Kinderlein kommet über Stille Nacht und Leise rieselt der Schnee bis zu Süßer die Glocken nie klingen. Christoph Israel hat mit prominenten Solisten eine CD mit diesen Weihnachts-Urgesteinen arrangiert und produziert: Max Raabe ist ebenso vertreten wie Thomas Quasthoff, Katharina Thalbach oder Cassandra Steen. Ein Wiederhören mit alten Freunden!

Christoph Israel: „Ein Wintermärchen. Weihnachtslieder aus Deutschland“, Deutsches Filmorchester Babelsberg (Universal)

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Septura

Mit Posaunen und Trompeten Durch den strahlenden Blechbläserklang der sieben Jungs von Septura wird man unmittelbar in festliche Stimmung katapultiert. In beeindruckenden Arrangements erklingen weihnachtliche Werke von Palestrina und Schütz über Bach bis Tschaikowsky und Rachmaninow. Selten hat man eine reine Blechformation so abwechslungsreich und sanglich gehört.

Bach, Händel, Rachmaninow, Warlock u. a.: „Christmas with Septura“ (Naxos)

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Dezember 2016 – Januar 2017

Illustration: www.KeraTill.com

Max Raabe, Katharina Thalbach u. a.


H Ö R E N & S E H E N

Götz Alsmann

Schöner Groove

Choir of Clare College

Offenbarung Eigentlich ist die Musik auf dieser CD ausnahmslos für das EpiphaniasFest, also das Offenbarungsfest am 6. Januar, gedacht und damit stark von der Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenland inspiriert. Aber keine Angst: Wir verraten niemandem, wenn Sie diese wohlklingenden Chorwerke schon etwas früher auflegen. Der Choir of Clare College in Cambridge beweist dabei einmal mehr seinen Ruf als einer der führenden Universitätschöre der Welt.

Er kann es einfach: Das Münsteraner Multitalent Götz Alsmann bringt schon seit mehreren Jahren die schönsten traditionellen Winter- und Weihnachtslieder sowie deutsche und amerikanische Schlager zum Swingen. 2006 und 2015 waren mit enormem Erfolg bereits Vol. 1 und 2 seiner „Winterwunderwelten“ herausgekommen. Unter dem Titel „Winterwunderwelten. Die Sammlung“ wurden sie nun um eine dritte CD mit Live-Mitschnitten erweitert und zusammengefasst.

Götz Alsmann und die WDR Big Band: „Winterwunderwelten. Die Sammlung“ (Roof)

Choir of Clare College: „Mater ora filium. Music for Epiphany“, Graham Ross (harmonia mundi)

Cappella Gabetta

Italienische Raritäten Reine Instrumentalmusiken waren im Italien des späten 17. und frühen 19. Jahrhunderts eine Rarität, enthielt die Weihnachtsliturgie doch nur Werke mit Gesang. Eine kleine, umso erlesenere und beliebtere Sammlung solcher Werke gab es dennoch, und das Barockensemble Cappella Gabetta – gegründet von der weltberühmten Cellistin Sol Gabetta, ihrem Bruder Andrés und Musikerfreunden – hat sich ihrer zu Recht angenommen. Die CD vereint barocke Prachtstücke aus den damaligen Musikhochburgen Bologna, Neapel, Rom und Venedig.

Cappella Gabetta: „Christus Concertos“, Vivaldi, Locatelli, Corelli, Zavateri (dhm) Nils Landgren

Lässig, jazzig Bereits zum fünften Mal hat der schwedische Posaunist, Sänger und Jazz-Meister Nils Landgren seine „musikalische Familie“ um sich versammelt, um neue Christmas Songs zu entdecken und alte wiederzubeleben. Das Ergebnis ist eine relaxte Compilation, bei der auch manch Altbekanntes abgestaubt und mit frischem Lack zu hören ist.

Nils Landgren: „Christmas with my Friends V“, Jonas Knutsson, Johan Norberg u. a. (ACT)

Les Musicien de Saint-Julien

Joyeux Noël „Noëls“ sind französische Lieder, die assoziationsreich die Geburt Christi feiern. Virtuos und einfallsreich verarbeiteten etliche Barockmusiker diese Weisen, die damals jedermann geläufig waren, zu echten Meisterwerken: etwa Charpentier, Delalande oder Gervais. Das Ensemble Les Musiciens de Saint-Julien hat nun einige dieser Stücke mit viel Liebe ausgewählt, ergänzt und sie zusammen mit dem prominenten Kinderchor Maîtrise de Radio France eingespielt.

Les Musiciens de Saint-Julien: „Noël Baroque“, François Lazarevitsch, Maîtrise de Radio France, Sofi Jeannin (Alpha)

Dunedin Consort

Bereite dich, Zion! Ein richtiger Musikliebhaber wird den Advent nicht ohne eine gute Prise Weihnachtsoratorium begehen wollen. Unter den diesjährigen Neueinspielungen lohnt sich beispielsweise die des schottischen, 1995 gegründeten Dunedin Consorts. Nach dem großen Erfolg ihrer letztjährigen Einspielung des Bachschen Magnificat und der Weihnachtskantate zieht das preisgekrönte Ensemble nun mit dem großen Oratorienklassiker nach.

Johann Sebastian Bach: „Christmas Oratorio“, Dunedin Consort, John Butt (Linn Records) 45


R Ä T S E L

GEWINNSPIEL Wer verbirgt sich hinter diesem Text? Gibt Schlimmeres, als direkt in eine Gaststube geboren zu sein, sozusagen an den Nabel des Zapfhahns. Macht ja auch irgendwie Sinn in einer Stadt, die ihre uralte Braukultur quasi schon im Namen trägt. War ne ziemliche Rasselbande daheim, aber Musik hat mich schon immer interessiert. Gottseidank gab’s da auch Leute, die gesehen haben, dass ich nicht unbegabt bin – und schon ging’s weg von daheim Richtung Westen. Hab allerhand gelernt und dann sogar ein Stipendium für Bella Italia gekriegt. Da ging’s dann noch mal richtig weiter mit dem klingenden Wahnsinn. Die rocken’s halt einfach, die Italiener! War eine sonnige Zeit. Nach meiner Rückkehr hat man sich regelrecht um mich gerissen, schönes Gefühl. Ich zog ins Sächsische, was dann auch so ziemlich meine neue Heimat wurde. Aber dann kam der Krieg. Da musste man froh sein, wenn überhaupt jemand noch den Nerv hatte, sich für Musik zu interessieren. Eine absolut furchtbare Zeit. Musste meine Erwartungen da ordentlich zurückschrauben. Auch danach ist so was natürlich nicht gleich gegessen. Mein Orchester

hatte eigentlich überhaupt kein Geld. Ich war echt froh, dass ich mir wenigstens noch ein bisschen was nebenbei verdienen konnte, vor allem bei Partys von reichen Leuten. Das peppte die Portokasse auf. Ich hab wirklich alles Mögliche gemacht. Aber religiöse Musik war schon mein Steckenpferd. Ich weiß, nächstes Jahr ist Reformationsjubiläum. Ich hab mich da viel damit beschäftigt. Außerdem ist Gesang ja auch voll mein Ding. Aber ich hab eben – wie gesagt – auch unheimlich viel im Zusammenhang mit Partys gemacht, auch für berühmte Politiker. Meine Auslandserfahrung hat mir auf jeden Fall viel gebracht. Kann ich jedem empfehlen. Total inspirierend sowas. Konnte da einiges davon auch in Deutschland einbringen. Aufs Alter bin ich dann noch mal nach Hause zurückgekehrt. Bin aber nicht der Typ, um einfach in Rente zu gehen. Ich hab immer weitergemacht, da waren noch mal ein paar richtig coole Projekte dabei. Irgendwie wundert’s mich fast, dass ich trotz Krieg und anderen Widrigkeiten dann doch noch ziemlich steinalt geworden bin. ■

RÄTSEL LÖSEN UND PHILIP GLASS GEWINNEN! Wer oder was ist hier gesucht? Wenn ­S ie die Antwort kennen, dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort „Alltags-Rätsel“ an die crescendo-­Redaktion, Rindermarkt 6, 80331 München oder per E-Mail an ­ gewinnspiel@crescendo.de. Unter den richtigen ­Einsendungen verlosen­wir die CD-Box „Philip Glass – The complete Sony recordings“ (Sony). ­Einsendeschluss ist der 31.12.2016. Die Gewinnerin unseres letzten Alltagsrätsels ist Karin Winter aus Orenhofen. Die Lösung war natürlich der „Kontrabass“.

DER CARTOON Von Benedikt Kobel*

Martin Luthers Musik *Benedikt Kobel ist Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper und zeichnet regelmäßig auf seinem Blog www.staatsoperblog.at. Ausgewählte Zeichnungen finden Sie auch in seinem neuen Buch „Jagdglück“ (Amalthea Verlag).

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Dezember 2016 – Januar 2017


ERLEBEN Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im Dezember und Januar im Überblick (ab Seite 48). Der Kissinger Winterzauber (Seite 56) | Unterwegs mit dem Baltic Sea Philharmonic Orchestra (Seite 58)

21. bis 31. Dezember und weitere Termine

West Side Story begibt sich in der preisgekrönten Inszenierung des Choreografen Joey McKneely erneut auf Welttournee. McKneely folgt der Originalchoreografie von Jerome Robbins, die unter anderem durch ihre zu großen Tänzen ritualisierten Kampfszenen beeindruckt. Von Robbins stammte damals auch die Idee, Shakespeares Drama ­Romeo und ­Julia in die New Yorker Westside-Slums der 50er-Jahre zu versetzen. Mit den Kompositionen von Leonard Bernstein, dem Libretto von Arthur Laurents und

den Songtexten von Stephen Sondheim, entstand ein Meisterwerk, das von tragischer Liebe, Einwanderungskonflikten, Kriminalität und Hoffnungslosigkeit erzählt. Ein Ensemble aus jungen Darstellern und Donald Chan am Pult, der Bernstein noch in Meisterkursen kennenlernte, verspricht ein überwältigendes Erlebnis. Essen, Colosseum Theater, 21. bis 31.12., Frankfurt, Alte Oper, 11. bis 23.04., München, Deutsches Theater, 25.04. bis 14.05., www.bb-promotion.de

Foto: Nilz Boehme

WEST SIDE STORY

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E R L E B E N

Dezember 2016 / Januar 2017

DIE WICHTIGSTEN VERANSTALTUNGEN AUF EINEN BLICK Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals

25.11. BASEL (CH) OPER Ariane et Barbe-Bleue / P. Dukas 25.11. BREMEN THEATER AM ­GOETHEPLATZ Hänsel und Gretel / E. Humperdinck 26.11. BERN (CH) STADTTHEATER Le Nozze di Figaro / W. A. Mozart 26.11. CHEMNITZ OPER Pique Dame / P. Tschaikowsky 26.11. DORTMUND OPER Die Zauberflöte / W. A. Mozart 26.11. FREIBURG THEATER Die Sache Makropulos / L. Janáček 26.11. HALLE AN DER SAALE OPER Tosca / G. Puccini 26.11. HANNOVER OPERNHAUS Die englische Katze / H. W. Henze 26.11. LEIPZIG OPER Lucia di Lammermoor / G. Donizetti 27.11. DORTMUND OPER Gold! / L. Evers 03.12. DARMSTADT GROSSES HAUS Tosca / G. Puccini 03.12. DUISBURG THEATER Der Graf von Luxemburg / F. Léhar 04.12. AACHEN THEATER Orphée et Eurydice / C. W. Gluck 04.12. BERLIN STAATSOPER IM SCHILLER THEATER Manon Lescaut / G. Puccini 04.12. DRESDEN SEMPEROPER Hoffmanns Erzählungen / J. Offenbach 04.12. ESSEN AALTO MUSIKTHEATER Lohengrin / R. Wagner 04.12. KÖLN OPER Candide / L. Bernstein 04.12. SALZBURG (A) ­L ANDESTHEATER Idomeneo, Rè di Creta / W. A. Mozart 04.12. WIEN (A) OPER Falstaff / G. Verdi 09.12. MANNHEIM OPERNHAUS Hercules / G. F. Händel 09.12. WIEN (A) VOLKSOPER Die Zirkusprinzessin / E. Kálmán 10.12. KIEL OPER Evita / A. L. Webber 11.12. BONN THEATER Don Giovanni / W. A. Mozart 11.12. KÖLN OPER Die Heinzelmännchen zu Köln / I. Hoffmann 12.12. WIEN (A) THEATER AN DER WIEN

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1. bis 23. Februar, Deutschlandtournee

ELĪNA GARANČA

Foto: Karina Schwarz / DG

PREMIEREN

Elīna Garanča besitzt alles, was eine großartige Sängerin auszeichnet: eine wunderbare Stimme, eine stupende Technik und die Fähigkeit, sich vielfältigen Charakteren anzuverwandeln. Mit ihrem Tourneeprogramm „Revive“, das auch auf CD vorliegt, stellt sie ­dies erneut unter Beweis. Arien aus dem großen romantischen Repertoire hat sie ausgewählt und zu einer Reise durch unterschiedliche Klang- und Gefühlswelten zusammengefügt. Sie wendet sich Frauengestalten zu, die von einem tragischen Schicksal aus der Bahn geworfen wurden. Elīna Garanča selbst hat gerade eine Lebenskrise überwunden. 2015 starb nach schwerer Krankheit ihre Mutter, und Elīna Garanča verlor eine wichtige Vertraute und künstlerische Ratgeberin. Was sie aufnehme, sei immer auch Spiegel ihrer eigenen emotionalen und psychischen Situation, betont sie. Den Verlust verkraftet zu haben, stärke sie, sich neuen gesanglichen Herausforderungen zu öffnen. Das Programm umfasst Arien aus Saint-Saëns Henry VIII, Massenets Opern Hérodiade und Werther sowie aus Mussorgskys Boris Godunow, aber auch aus Francesco Cileas Oper Adriana Lecouvreur über die tragische Liebesaffäre der französischen Schauspielerin und aus Ambroise Thomas’ Oper Mignon nach Goethes Roman ­Wilhelm Meister. Begleitet wird Elīna Garanča auf ihrer Tournee von ihrem Ehemann, dem Dirigenten Karel Mark Chichon, und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz. Berlin, Baden-Baden, München und andere Städte, www.berin-artmanagement.de

Don Giovanni / W. A. Mozart 15.12. BASEL (CH) OPER Carousel / Rodgers, Hammerstein 16.12. FRANKFURT AM MAIN ­BOCKENHEIMER DEPOT The Cave / S. Reich, B. Korot 16.12. HOF GROSSES HAUS Die Maske in Blau / F. Raymond 17.12. BADEN (A) STADTTHEATER Der Carneval in Rom / J. Strauß 17.12. GIESSEN GROSSES HAUS Oberon / C. M. von Weber 17.12. KAISERSLAUTERN THEATER Die Csárdásfürstin / E. Kálmán 17.12. KASSEL OPERNHAUS Luisa Miller / G. Verdi 17.12. LUZERN (CH) BÜHNE Die Zauberflöte / W. A. Mozart 28.12. KIEL OPER Die Reise nach Reims / G. Rossini 01.01. BONN THEATER Giulio Cesare in Egitto / G. F. Händel 02.01. SALZBURG (A) ­L ANDESTHEATRER Orfeo² / C. W. Gluck 08.01. FRANKFURT AM MAIN OPERNHAUS Xerxes / G. F. Händel 08.01. HAMBURG GROSSES HAUS Otello / G. Verdi 14.01. CHEMNITZ OPER Südseetulpen / B. Schweitzer 14.01. FREIBURG THEATER Crusades / L. Vollmer 15.01. AACHEN THEATER Il Trittico / G. Puccini 15.01. BERLIN STAATSOPER IM SCHILLER THEATER King Arthur / H. Purcell 19.01. WIEN (A) THEATER AN DER WIEN The Fairy Queen / H. Purcell 20.01. DRESDEN SEMPEROPER Alles Schwindel / M. Spoliansky 20.01. FRANKFURT AM MAIN OPERNHAUS Ernani / G.Verdi 21.01. REGENSBURG THEATER Freax / Moritz Eggert 21.01. DORTMUND OPER Die Blume von Hawaii / P. Abraham 21.01. ESSEN AALTO MUSIKTHEATER Rigoletto / G. Verdi 21.01. HALLE AN DER SAALE OPER Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny / K. Weill 22.01. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS Médée / M.-A. Charpentier 27.01. BASEL (CH) OPER Don Giovanni / W. A. Mozart

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Dezember 2016 – Januar 2017


26. November bis 4. Dezember und 7. bis 15. Januar

Fotos: Fotos: Schloss Elmauj; Marco Borggreve (2); Dario Acosta/DG; Sim Canetty-Clarke; Dennis Veldman; Florian Merdes; Mark Hanauer; Gregor Schneider und VG Bild-Kunst, Bonn 2016; ORF Radio Symponieorchester

SCHLOSS ELMAU 8. VERBIER FESTIVAL UND 63. KAMMERMUSIKWOCHE Eine schöne Tradition ist es geworden, dass das große Festival der Westschweiz auf Schloss Elmau die „stars of tomorrow“ der klassischen Musik vorstellt. Acht Tage lang erfreuen die jungen Musiker die Schlossgäste mit Kammermusik in allen Facetten. Erwartet werden auch die ganz Jungen wie der 15-jährige Violinist Daniel Lozakovich. Er spielt Mozart mit dem Verbier Festival Chamber Orches­ tra unter Gábor Takács-Nagy. Der 14-jährige Pianist Alexander Malofeev gibt ein Solokonzert mit Werken von Liszt, Ravel, Rachmaninow und Leopold Godowsky, der selbst einst ein pianistisches Wunderkind war. Einblicke in die kreative junge Kammermusik-Szene Frankreichs eröffnet die Kammermusikwoche. „Vive la France“ lautet das Motto, unter dem Solisten und Ensembles wie Les Vents Français in das romantische Hochtal der bayerischen Alpen kommen. Schloss Elmau, www.schloss-elmau.de

Kunstkalender gemalt von Kindern mit

Behinderung

Jetzt bestellen: Tel.: 06294 4281-70 E-Mail: kalender@bsk-ev.org www.bsk-ev.org

20. bis 29. Januar

BONN BEETHOVEN-WOCHE Sie gilt als eines der größten Werke des 20. Jahrhunderts. Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, die vor 80 Jahren uraufgeführt wurde, zeichnet sich durch extreme kompositorische Dichte aus. Das Ensemble Resonanz und das Schlagquartett Köln unter Emilio Pomàrico bringen sie in der Beethoven-Woche zur Aufführung. Unter dem Motto „Grenzüberschreitungen“ widmet sich das Kammermusikfest Grenzerfahrungen vom Barock bis zur Gegenwart. Zu hören gibt es die 16 Rosenkranzsonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber, bei denen 14 verschiedene Violin-Stimmungen zum Einsatz kommen, ebenso wie die vom Vietnamkrieg angeregte Komposition Black Angels von George Crumb. Die Bratschistin Tabea Zimmermann, die als künstlerische Leiterin des Festes fungiert, widmet sich in einem Soloabend neben Bach, Hindemith, Strawinsky und Ligeti der Sonate … an den Gesang eines Engels von Bernd Alois Zimmermann. Komponiert 1955 als zwölfteiliges Requiem auf den Tod seiner Tochter Barbara, zeigt es sachte Grenzgänge zwischen Tönen und Geräuschhaftem. Inspiriert wurde das ambitionierte Programm von der großen Sonate für Hammerklavier op. 106, mit der Beethoven das Vorstellungsvermögen seiner Zeit sprengte. Es ist das Schlüsselwerk des Festes. Im Eröffnungskonzert erklingt es auf einem historischen Forte­ piano, und zum Ausklang spielt es Pierre-Laurent Aimard auf einem modernen Flügel. Bonn, Beethoven-Haus, www.beethoven-haus-bonn.de

Ab 24. November

FILMSTART „FLORENCE FOSTER JENKINS“ „Music is my life”, schwärmt Meryl Streep mit verzücktem Lächeln. Sie spielt Florence Foster Jenkins, jene amerikanische Koloratursopranis­ tin, die als schlechteste Sängerin der Welt in die Geschichte einging. 1868 geboren, finanzierte sie sich mit dem Erbe ihres Vaters im Alter von 44 Jahren eine Gesangskarriere. Allerdings hatte sie sich bei ihrem ersten Mann mit Syphilis angesteckt, und die Behandlung hatte ihr Gehör geschädigt. An der Seite von Hugh Grant als fürsorglichem Ehemann, der den Traum seiner Frau erfüllen möchte, und von Simon Helberg, ihrem Klavierbegleiter, zaubert Meryl Streep unter der Regie von Stephen Frears ein bewegendes Porträt dieser glamourösen und doch so tragischen Künstlerin auf die Leinwand. Schauspielerische Glanzleistung ist der furiose Auftritt der 76-jährigen Sängerin in der Carnegie Hall. Filmstart, www.constantin-film.de

27.01. DESSAU GROSSES HAUS Lady Hamilton / E. Künneke 28.01. BERLIN KOMISCHE OPER Petruschka, L’Enfant et les Sortilèges / I. Strawinsky, M. Ravel 28.01. DARMSTADT GROSSES HAUS Faust / C.Gounod 28.01. GIESSEN GROSSES HAUS Der Barbier von Bagdad / P. Cornelius 28.01. WIEN (A) VOLKSOPER Das Wunder der Heliane / E. W. Korngold 29.01. BERN (CH) STADTTHEATER Faust / C.Gounod 29.01. BONN THEATER, Attila / G. Verdi

KÜNSTLER GÖTZ ALSMANN 26.11. Göttingen, Stadthalle 03.12. Beverungen, Stadthalle 08., 09.12. Düsseldorf, Savoy Theater 11.12. Troisdorf, Stadthalle 15.12. Dortmund, Konzerthaus 20.12. Köln, Philharmonie

AMARYLLIS QUARTETT 24.11. Hamburg, Laeiszhalle

HOWARD ARMAN 03.12. München, Herkulessaal der Residenz 17.12. München, Prinzregententheater 11., 12., 15.01. Hamburg, ­Elbphilharmonie

ALISON BALSOM 12.12. Osnabrück, OsnabrückHalle 13.12. Nürnberg, Meistersingerhalle 14.12. Hamburg, Laeiszhalle

16.12. Braunschweig, Stadthalle 17.12. Hannover, NDR Landesfunkhaus 18.12. Düsseldorf, Tonhalle

DANIEL BARENBOIM 03., 05.12. München, Gasteig 12., 13.12. Berlin, Philharmonie 17., 18.12 Wien (A), Musikverein 12.12. Köln, Philharmonie 31.12., 02.01. Berlin, Schiller Theater 09., 10.01. Berlin, Philharmonie 11.01. Wien (A), Musikverein

CECILIA BARTOLI 27.11. München, Prinzregententheater 29.11. Wien (A), Musikverein 01.12. Graz (A), Musikverein 12.12. Zürich (CH), Tonhalle 31.12., 02., 04., 06., 08., 10.01, Zürich (CH), Opernhaus 11.02. Dortmund, Konzerthaus 13.02. Hamburg, Elbphilharmonie

LISA BATIASHVILI 24.11. Lugano (CH), LAC 31.12, 02.01. Berlin, Schiller Theater 05.01. Köln, Philharmonie 12., 13.01. Frankfurt am Main, Alte Oper

ANDREA BOCELLI 15.01. Zürich (CH), Hallenstadion

CAPELLA GABETTA 25.11. Halle, Konzerthalle Ulrichskirche 13.12. Schaffhausen (CH), Musik-Collegium 14.12. Stuttgart, Liederhalle 15.12. Ingolstadt, Stadttheater 16.12. Potsdam, Nikolaisaal 19.12. Wien (A), Musikverein

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E R L E B E N

26. Dezember bis 8. Januar, Erl

TIROLER FESTSPIELE ERL

Foto: Peter Kitzbichler

Festpielhaus Erl

Die Tiroler Festspiele Erl seien das einzige Festival, das eine Wintersaison präsentiere, freut sich Gründer und Leiter der Festspiele ­Gustav Kuhn und verspricht ein Winterfest schöner Stimmen. Die Saison beginnt am zweiten Weihnachtsfeiertag mit Rossinis BelcantoOper L’italiana in Algeri in einer Neuinszenierung von Wolfgang Berthold und unter der musikalischen Leitung von Kuhn. Darüber hinaus werden drei Konzerte mit Arien und Ensembles bedeutender Belcanto-Komponisten sowie vier Kammermusikabende und drei Specials geboten. Dabei gibt es auch eine Neuentdeckung Kuhns: Der 22-jährige Patrick Hahn präsentiert sich im Special „Neujahrs-Hahnsinn“. Zum Aus20.12. Freiburg, Konzerthaus 30.12. Luzern (CH), KKL 31.12. Riehen (CH), Landgasthof Riehen

CAMERON CARPENTER 27.11. Baden-Baden, Festspielhaus 02.12. Hamburg, Laeiszhalle 05.12. Berlin, Konzerthaus 07.12. Düsseldorf, Tonhalle 11.12. Hannover, Landesfunkhaus 13.12. München, Prinzregententheater 22.12. Köln, Philharmonie

JOSÉ CARRERAS 14.12. Berlin, Kongress-& Messecenter 15.01. Frankfurt am Main, Alte Oper

TEODOR CURRENTZIS 02., 09., 16., 21.12. Zürich (CH), Oper 12., 13.01. Wien (A), Konzerthaus 15.01. Dortmund, Konzerthaus 16., 17.01. Graz (A), Musikverein 19.01. Bregenz (A), Festspielhaus

PLÁCIDO DOMINGO 22., 25., 28., 31.01. Wien (A), Staatsoper

ENSEMBLE POLYHARMONIQUE 14.01. Cloppenburg 15.01. Nordwalde

ENSEMBLE RESONANZ 20.01. Hamburg, Elbphilharmonie

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JOHN ELIOT GARDINER 02.12. Frankfurt am Main, Alte Oper 06.12. München, Gasteig

GERMAN BRASS 28.11. Hamburg, Kirche St. Michaelis 01.12. Düsseldorf, Tonhalle 02.12. Kusel, Fritz-Wunderlich-Halle 03.12. Schwäbisch Gmünd, Schönblick 04.12. Frankfurt am Main, Alte Oper 08.12. Dresden, Frauenkirche 09.12. Würzburg, Hochschule für Musik 17.12. Leipzig, Ev.-Luther. Gemeinde St. Thomas 18.12. Hannover, Markuskirche

SOL GABETTA 30.11 Grünwald, August Everding Saal 01.12. Essen, Philharmonie 14.12. Stuttgart, Liederhalle 15.12. Ingolstadt, Stadttheater 16.12. Potsdam, Nikolaisaal 19.12. Wien (A), Musikverein 20.12. Freiburg, Konzerthaus 13.01. Mannheim, Rosengarten 14.01. Luzern (CH), KKL 15.01. Regensburg, Universität 17.01. Berlin, Philharmonie 18.01. München, Philharmonie 20.01. Frankfurt am Main, Alte Oper 22.01. Bremen, Glocke 23.01. Hannover, NDR Sendesaal 26.01. Düsseldorf, Tonhalle

klang des alten Jahres und als Auftakt des neuen zeigt Kuhn noch einmal seine Erfolgsproduktion von Verdis La Traviata. Musikalisch geleitet von Tito Ceccherini singen und musizieren Orchester und Chorakademie der Festspiele. Die Sänger kommen aus der Nachwuchs­ kaderschmiede der Festspiele, der Accademia di Montegral. Und diese Förderung junger Talente ist ein weiteres Anliegen von Kuhn. Sie ist sein Gegenentwurf zur Musik- und Opernindustrie. Zum Abschluss der Festspiele gibt es die beliebte Matinee mit Gustav Kuhn am Pult und ­Jasminka Stančul am Klavier. Es erklingen Werke von ­Webern, ­Beethoven und Tschaikowsky. Erl, Festspielhaus, www.tiroler-festspiele.at 27.01. Braunschweig, Stadthalle 28.01. Hannover, NDR Sendesaal 29., 30.01. Baden-Baden, Festspielhaus 31.01. Stuttgart, Liederhalle

ELĪNA GARANČA 01.02. Berlin, Philharmonie

THOMAS HENGELBROCK 03.12. Essen, Philharmonie 04.12. Freiburg, Konzerthaus 06.12. Zürich (CH) Tonhalle 07.12. Frankfurt, Alte Oper 15., 16.12. Hamburg, Laeiszhalle 17.12. Bremen, Glocke 11.–31.01. Hamburg, Elbphilharmonie

DANIEL HOPE 27.11. Düsseldorf, Museum Kunstpalast 01.12. Berlin, Konzerthaus 02.12. Baden-Baden, Festspielhaus 06.12. Zürich (CH), ZKO-Haus 08.12. Zürich (CH), Predigerkirche 09.12. Bern (CH), Zentrum Paul Klee 11.12. Aachen, Altes Kurhaus 12.12. Bonn, Beethoven-Haus

PHILIPPE JORDAN 20., 21.12. Wien (A), Konzerthaus 22.12. München, Gasteig

KIM KASHKASHIAN 20.01. Neumarkt in der Oberpfalz, Reitstadel 22.01. Dortmund, Konzerthaus

K&K PHILHARMONIKER ­MATTHIAS GEORG KENDLINGER 07.12. Koblenz, Rhein Mosel Halle 06.12. Köln, Gürzenich 09.12. Münster, Halle Münsterland 27.12. Graz (A), Congress 28.12. Friedrichshafen, Graf-Zeppelin-Haus 02.01. Stuttgart, Liederhalle 05.01. Berlin, Konzerthaus 09.01. Regensburg, Audimax 11.01. Lausanne (CH), Théâtre de Beaulieu 14.01. Zürich (CH) Kongresshaus 16.01. Kirchberg (A), arena365

GIDON KREMER 06.12. Basel (CH), Martinskirche 08., 09., 10.12. Berlin, Philharmonie

NILS LANDGREN 30.11. Timmendorfer Strand, Maritim Seehotel 02.12 Kiel, Kieler Schloss 03.12 München, St. Matthäus 04.12. Berlin, Passionskirche 05.12. Basel (CH), Martinskirche 06.12. Villingen, Franziskaner Konzerthaus 07.12. Zürich (CH), Neumünster-Kirche 09.12. Wiesbaden, Lutherkirche 10.12. Hamburg, Mehr! Theater 11.12. Brilon, Farben der Musik Festival 12.12. Hilchenbach, Evang. Kirche

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Dezember 2016 – Januar 2017


29., 30. und 31. Dezember

BERLIN BERLINER PHILHARMONIKER

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Foto: Silvano Ballone

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Winter in Schwetzingen – das bedeutet die Wiederentdeckung verschollener Meisterwerke des Barocks. Heribert Germeshausen, Operndirektor und künstlerischer Leiter des Festes, richtet den Blick auf die Neapolitanische Schule, jene von Scarlatti begründete Operntradition, die im 18. Jahrhundert tonangebend wurde. Sie bringt bewegendes Geschehen auf die Bühne, unterbrochen von ausdrucksstarken, gefühlvollen Arien, in denen die Sänger mit improvisierten Verzierungen und Koloraturen glänzen können. Als letzter Vertreter dieser Schule gilt Niccolò Antonio Zingarelli, der vor allem als Lehrer von Bellini und Donizetti bekannt ist. Seine Oper Giulietta e Romeo, die Germeshausen in diesem Winter im Rokokotheater vorstellt, markiert den Gipfel einer fast 150-jährigen Entwicklung. Gipfel02_Crescendo_02081116.indd Schwetzingen, verschiedene Spielorte, www.winterinschwetzingen.de

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SCHWETZINGEN WINTER IN ­SCHWETZINGEN – DAS BAROCK-FEST

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25. November bis 28. Januar

Leben mit dem Ruhm

2. Dezember

FRANKFURT AM MAIN SIR JOHN ELIOT GARDINER „Ein unergründliches Genie“ nennt Sir John Eliot Gardiner die Musik von Johann Sebastian Bach. Gardiner kennt das Werk von Bach wie kaum ein anderer. Das stellte er in zahlreichen Dirigaten und zuletzt mit seiner monumentalen Bach-Biografie unter Beweis. Als „Gegenentwurf zum gesitteten, verschmelzenden Wohlklang“ rief er 1964 den Monteverdi Choir ins Leben. Er sollte den Geist der Musik spüren lassen, ihre festliche Freude und ansteckende Begeisterung. Mit dem Chor und den English Baroque Soloists gastiert er in der Alten Oper. Auf das Programm nahm er das Magnificat, die „betörend schöne“ Weihnachtskantate Süßer Trost, mein Jesu kömmt sowie die nur aus den Sätzen Kyrie und Gloria bestehende Lutherische Messe. Frankfurt am Main, Alte Oper, www.alteoper.de

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08.11.16 15:51

Umjubelt, gefeiert, umschwärmt. 53 Künstlerinnen und Künstler erzählen vom fragilen Glanz ihrer Karrieren. Der Wochenkalender für alle, die Musik lieben.

60 Bl./58 Fotos/farbig/€ 22,–/ ISBN 978-3-0347-8017-9

Fotos: Fotos: Schloss Elmauj; Marco Borggreve (2); Dario Acosta/DG; Sim Canetty-Clarke; Dennis Veldman; Florian Merdes; Mark Hanauer; Gregor Schneider und VG Bild-Kunst, Bonn 2016; ORF Radio Symponieorchester

Ein „Elefantenkonzert“ nannte Rachmaninow sein Drittes Klavierkonzert, eine Komposition höchster Schwierigkeit. 1909 auf seinem Landgut beendet, sollte es ihm das sehnlichst gewünschte Auto bringen und das Zugpferd für seine Amerikatournee werden. Daniil Trifonov, den die Londoner Times als „den erstaunlichsten jungen Pianisten unserer Zeit“ bezeichnete, wagt sich mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle an dieses virtuose Stück leidenschaftlicher russischer Musik. Rattle präsentiert mit seinem Orches­ ter ferner Dmitri Kabalewskis Ouvertüre zu der nach einem Roman Romain Rollands gestalteten Oper Colas Breugnon und Dvořáks Slawische Tänze. Zum Ausklang führt er mit Orchesterstücken aus William Waltons Façade in die Welt des britischen Humors. Berlin, Philharmonie, www.berlinerphilharmoniker.de

23. November bis 31. Dezember

MÜNCHEN WINTERFESTIVAL TOLLWOOD „Wunderbarer Sänger, tolle Show“, sagt Thomas Quasthoff über Sven Ratzke. Der Bühnenkünstler begeistert das Publikum mit seinen schillernden, glanzvollen Auftritten. Mal ist er Rocker, mal androgyne Diva, mal entfacht er ein Feuerwerk stimmlicher Leidenschaft, mal findet er ganz leise Töne. Mit einer Achterbahnfahrt

www.arche-kalender-verlag.com

ARCHE KALENDER 51


E R L E B E N

12. bis 21. Januar

BERAUSCHENDE ENERGIE Gespräch mit dem Projektleiter des Bundesjugendorchesters Sönke Lentz über die gemeinsame Deutschlandtournee „Gipfeltreffen – Reformation“ von Bundesjugendorchester und Bundesjugendballett.

vergleicht er selbst seine theatralischen, zwischen Chanson und Cabaret changierenden Vorstellungen. Für seine Silvester-Gala auf dem Münchner Tollwood-Festival gestaltet er ein Programm aus den Höhepunkten seiner Shows. Das Festival zeigt in seinem Theaterzelt ein abwechslungsreiches Programm aus Musik, Zirkus und Theater, darunter auch vieles für Kinder. München, Theresienwiese, www.tollwood.de

30. und 31. Dezember sowie 1. Januar WIEN MUSIKVEREIN

crescendo: Herr Lentz, unter dem Titel „Gipfeltreffen – Reformation“ begeben sich Bundesjugendorchester und Bundesjugendballett anlässlich des 500-jährigen Reformjubiläums gemeinsam auf Tournee. Was erhoffen Sie sich?

Sönke Lentz: Das „Gipfeltreffen“, so die überwältigende Erfahrung der letzten Tournee, gibt berauschende Energie frei. Die besten Musiker und die besten Tänzer einer Generation auf einer Bühne, dazu ein packendes Thema, zu dem die Jugendlichen selber arbeiten, und mit John Neumeier, Alexander Shelley sowie Michel van der Aa ein überragendes Künstlerteam – das verspricht musikalische Höchstleistung, künstlerische Tiefe und auch eine Prise Humor.

Gustavo Dudamel dirigiert die Wiener Philharmoniker beim Silvesterkonzert sowie beim Neujahrskonzert im blumengeschmückten, goldverzierten Großen Saal des Wiener Musikvereins. Er ist der jüngste Dirigent, der sich am Pult des traditionsreichen Orchesters mit Werken der Strauß-Dynastie und deren Zeitgenossen befassen darf. Natürlich sind beide Konzerte und auch die ­Voraufführung des Neujahrskonzerts am 30. Dezember bereits ausverkauft. Doch wird das Konzert wie immer traditionell in mehr als 90 Länder übertragen und auch auf Tonträger gepresst. Vergangenes Jahr sahen mehr als 50 Millionen TV-Zuschauer das Konzert. So kann man also auch dieses Jahr wieder bequem zu Hause in Walzer-, Polka- und ­G alopp-Seligkeit schwelgen. Und wer zum Jahreswechsel 2017/18 sein Glück versuchen will, eine Karte zu bekommen, der kann sich auf der Website der Wiener Philharmoniker – und nur dort – für die Verlosung anmelden. Wien, Anmeldung zur Verlosung, www.wienerphilharmoniker.at

Tanzprojekt des Bundesjugendballetts

Foto: Peter Adamik

2. Dezember bis 19. Februar

Auf dem Tourneeprogramm stehen unter anderem zwei zeitgenössische Werke. Zhang Disha choreografiert „Ein feste Burg“ von Enjott Schneider, und der Choreograf Andrey Kaydanovskiy widmet sich der Uraufführung einer Komposition von Michel van der Aa. Können Sie dazu etwas verraten?

Das Thema Reformation sehen wir eng mit Luther verbunden, aber in der heutigen Zeit viel globaler. Wir müssen den Blick weiten für unterschiedliche, auch konträre, vielleicht sogar abwegige Ansätze. Deswegen haben wir ein internationales und interkonfessionelles Künstlerteam zusammengestellt. Für die Musik ist es wunderbar, mit dem Ballett eine weitere Bedeutungsebene dazuzugewinnen. Worin sehen Sie die Hauptaufgabe des Bundesjungendorches­ ters, welchen Stellenwert nimmt es innerhalb der Orchesterlandschaft ein?

Dieses Orchester gibt es nur einmal in Deutschland. Es vereint die besten jungen Musikerinnen und Musiker. Unser Ziel ist es, qualifizierte Entscheidungen zum weiteren Lebenslauf zu ermöglichen. Dies gelingt mit erstklassigen Dirigenten, Dozenten, Pädagogen, einem breiten Spektrum an künstlerischen Impulsen und viel Zeit. Mir macht die zunehmende Verkürzung aller Ausbildungsphasen große Sorgen, und ich kämpfe für die Ausstattung und Unterstützung, Wege, Irrwege, Intensität und Muße zu ermöglichen. Wenn wir das European Youth Orchestra retten wollen, dürfen wir das Bundesjugendorchester, die Landesjugendorchester und die weitverzweigte Orchesterarbeit darunter nicht außer Acht lassen. Wie sehen Ihre nächsten Pläne für das Orchester aus?

Wir freuen uns unter anderem auf das gemeinsame Konzert mit Mitgliedern unseres Patenorchesters, den Berliner Philharmonikern, das unter der Leitung von Sir Simon Rattle bei den Osterfestspielen Baden-Baden stattfindet. Hamburg, Berlin, Dresden und andere Städte, verschiedene Spielorte, www.bundesjugendorchester.de und www.bundesjugendballett.de

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BONN GREGOR SCHNEIDER: „WAND VOR WAND“

Gregor Schneiders Kunstwerke verstören. Sie schlagen den Betrachter auf eine unerklärliche Weise in Bann, rühren an Unbewusstes und wecken verdeckte Ängste. Mitte der 80er-­ Jahre begann Schneider, im Haus seiner Familie „Wand vor Wand“ zu bauen, indem er in die bestehenden Räume neue setzte, die die sie aufnehmenden Räume nachbilden. Mit „Totes Haus u r“ gewann er 2001 auf der Biennale in Venedig den Goldenen Löwen. Seither schuf er ein weites und komplexes Werk, in dem deutsche Geschichte und persönliche Existenz einander überlagern. Für seine Bonner Ausstellung zeichnet er anhand von Schlüsselwerken den Verlauf seiner Karriere nach. Zu sehen sind eine Auswahl von Malereien aus den Jahren 1982 bis 1985, eine Dokumentation früher Werke sowie Räume aus dem „Haus u r“ und jüngste Arbeiten, in die kulturell und historisch wichtige Bauwerke eingebunden sind. Bonn, Bundeskunsthalle, www.bundeskunsthalle.de

16. und 17. Dezember

WIEN „CHRISTMAS IN VIENNA“ Ein „Fest der Stimmen, der Freude und des Friedens“ verspricht das ORF Radio-Symphonieorchester unter Erwin Ortner mit seinem Weihnachtskonzert „Christmas in Vienna“. Die berühmten Sopranistinnen Angela Denoke und Vesselina Kasarova sowie der junge russische Tenor Dmytro Popov, der bereits an allen gro­ ßen Opernhäusern gesungen hat, und der österreichische Bariton Günter Haumer aus dem Ensemble der Wiener Volksoper feiern mit. Special Guest ist die junge holländische Trompeterin Melissa Venema. Aber auch die Wiener Singakademie und die Wiener Sängerknaben finden sich ein im Jugendstilambiente des prächtigen Großen Saals. Wien, Konzerthaus, www.rso.orf.at

www.crescendo.de

Dezember 2016 – Januar 2017


29., 30. und 31. Dezember

LEIPZIG BEETHOVENS NEUNTE „Es gibt keine großartigere Hymne an die Liebe, die Gemeinschaft, die unsterbliche Hoffnung und die höchsten Ideale“, schrieb einst der Musikwissenschaftler Kurt Pahlen über Beethovens Neunte. In Leipzig hat ihre Aufführung ­lange Tradition. Bereits zwei Jahre nach der ­Uraufführung kam es zur ersten Wiedergabe. Mendelssohn etablierte sie dann endgültig auf dem Spielplan des Orches­ters. Der Brauch, sie am Silvesterabend aufzuführen, geht auf Arthur Nikisch zurück. Dieses Jahr dirigiert der designierte Kapellmeis­ ter des Gewandhausorchesters ­Andris Nelsons. Leipzig, Gewandhaus, www.gewandhausorchester.de

10. Dezember

Grenzüberschreitungen

BERLIN LESUNG MIT MUSIK

13 Veranstaltungen inspiriert von der ‚Hammerklaviersonate’

Unter dem Titel „Weihnachtsschmaus“ liest die bekannte Schauspielerin Nina Hoger in der Seniorenresidenz weihnachtliche Texte von ernst bis heiter. Musikalisch umrahmt wird sie von ­Ulrike Röseberg am Cello. Berlin, Tertianum Residence, www.berlin.tertianum.de

14. Januar, München

Ensemble Accentus Austria

Tabea Zimmermann

Künstlerische Leitung

Mit: Pierre-Laurent Aimard, Michael Behringer, Amandine Beyer, Ensemble Resonanz, Gli Incogniti, William Hagen, Miriam Helms Ålien, Mairéad Hickey, Uxía Martínez Botana, Alexander Melnikov, Meta4, Hille Perl, Bruno Philippe, Emilio Pomàrico, Ella van Poucke, Quatuor Strada, Timothy Ridout, Lee Santana, Schlagquartett Köln, Daniel Sepec, Cédric Tiberghien, Stephen Waarts

beethoven.de/woche

NEUJAHRSKONZERT

Foto: Ensemble Accentus Austria

Fotos: Fotos: Schloss Elmauj; Marco Borggreve (2); Dario Acosta/DG; Sim Canetty-Clarke; Dennis Veldman; Florian Merdes; Mark Hanauer; Gregor Schneider und VG Bild-Kunst, Bonn 2016; ORF Radio Symponieorchester; PR

Kammermusikfest 20.–29. Januar 2017

Mit einem musikalischen Faschingsschwank vom Wiener Kaiserhof des 17. und 18. Jahrhunderts wartet das 1992 von dem Gambisten Thomas Wimmer ins Leben gerufene Ensemble Accentus Austria auf. Die auf historischen Instrumenten spielenden Musiker widmen sich seit Jahren den vielfältigen Kunstströmungen, aus ­denen die Musik im habsburgischen Kaiserreich erwuchs. Einflüsse aus Deutschland, den Niederlanden, Spanien, Italien, Ungarn und sogar dem Osmanischen Reich verbanden sich zu einem fruchtbaren Gemisch, das seine Triebkraft über die Klassik hinaus beibehielt. Viele Schätze heute unbekannter Musik konnte das Ensemble bereits heben. Für seinen Faschingsschwank hat es Kompositionen von Francesco Conti, Heinrich Ignaz Franz Biber und Johann Heinrich Schmelzer zusammengestellt. Seit dem Mittelalter herrschte in Wien zwischen dem Dreikönigstag und Aschermittwoch das närrische Treiben der Karnevalszeit. Mit Serenaden, farbenprächtigen Maskenbällen, Marionettenspielen und anderen Vergnügungen wurde ausgelassen und fröhlich gefeiert. Die Höhepunkte der höfischen Festivitäten waren die Karnevalsoper sowie die „Bauernhochzeit“, bei der Kaiser und Kaiserin die Rollen von Wirt und Wirtin im fiktiven „Gasthaus zum Schwarzen Adler“ einnahmen und als Gastgeber geladene Gäste unterhielten. München, Prinzregententheater, www.tonicale.de

13.12. Dresden, Himmelfahrtskirche 15.12. Fürth, St. Pauls Kirche 16.12. Bonn, Pauluskirche 17.12. Bochum, Christuskirche 18.12. Köln, Kulturkirche 19.12. Darmstadt, Staatstheater 20.12. Düsseldorf, Johanniskirche

LAUTTEN COMPAGNEY 27.11. Halle, Historisches Waisenhaus 01.12. Bochum, Schauspielhaus 10.12. Berlin, Gethsemane-Kirche 11.12. Berlin, Pauluskirche Zehlendorf 21.12. Wien (A), Musikverein 26.12. Berlin, Dom 28.12. Schwetzingen, Rokokotheater 31.12. Berlin, Gethsemane-Kirche 15., 16., 17.01. Lübeck, Theater 22.01. Großhansdorf, Waldreitersaal 28.01. Schwetzingen, Rokokotheater

ALBRECHT MAYER 27.11. Illertissen, Vöhlinschloss 29.11. Köln, Philharmonie 02.12. Ludwigshafen, BASF-Feierabendhaus 04.12. München, Prinzregententheater 10., 11.01. Dortmund, Konzerthaus 29.01. Halberstadt, Rathaussaal

REINOUD VAN MECHELEN 22., 26., 28., 31.01. Zürich (CH), ­Opernhaus

ANNA NETREBKO 18., 21., 27. 12. München, Staatsoper

SANDRINE PIAU 12., 15., 20.01. Hamburg, ­Elbphilharmonie

ANNA PROHASKA 01.12. Frankfurt, Alte Oper 02., 10., 18.12. Berlin, Schillertheater 19., 21., 23., 26., 28., 30.01. Wien (A), Theater an der Wien

ALEXANDRE THARAUD 30.01. Kempen, Kulturforum ­Franziskanerkloster, Paterskirche 31.01. Neuss, Zeughaus

DANIIL TRIFONOV 29., 30., 31.12. Berlin, Philharmonie, 07., 08.01. Zürich (CH), Tonhalle

UWAGA! 25.11. Helmbrechts, Festival Kulturwelten 03.12. Castrop-Rauxel, Henrichenburg 09.12. Ahrensburg, Marstall 10.12. Süßstedt, Noltesche Scheune 13.12. Essen, Philharmonie 14.01. Nürtingen, Theater im Schlosskeller

LARS VOGT 08.01. Berlin, Konzerthaus

ANTJE WEITHAAS 11.12. Bern (CH), Zentrum Paul Klee 13.01. Bonn, Beethoven-Haus

PRETTY YENDE 27., 30.11. und 02.12. München, ­Bayerische Staatsoper

FRANK PETER ZIMMERMANN 02., 03., 04.12. Berlin, Philharmonie 10.12. Elmau, Schloss Elmau 16.12. Dortmund, Konzerthaus 24., 25., 29.01. Münster, Großes Haus

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E R L E B E N

BALLERINEN IM GALOPP Während der Mozartwoche wird in Salzburg musiziert, gesungen, rezitiert und galoppiert. Im Mittelpunkt steht ein fulminantes Pferdeballett von Bartabas. VON K ATHERINA KNEES

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ie Mozartwoche mit Leben zu füllen, ist eine programmatische Win-Win-Situation für die Akteure vor und hinter den Kulissen. Marc Minkowski und Matthias Schulz haben für ihr letztes gemeinsames Festival wieder viele renommierte Künstler versammelt. Neben Renaud Capuçon, András Schiff, Kit Armstrong, Steven Isserlis und Fazil Say sind auch die Wiener Philharmoniker dabei, wenn es darum geht, im winterlichen Salzburg Mozarts Werk zu huldigen. 2017 steht die theatralische Aufführung einer Pferdechoreografie der berühmten Académie Équestre de Versailles zu den Klängen von Mozarts Requiem im Mittelpunkt. Mit dem Pferdeballett knüpft der französische Theatermacher und kreative Tausendsassa Bartabas an den Erfolg seiner spektakulären Inszenierung Davide penitente an, die 2015 erstmals in Salzburg zu sehen war und alle Anwesenden samt der künstlerischen Leitung nachhaltig begeis54

terte. Für den Pferdefreund Marc Minkowski stand damals fest: Auch in seinem letzten Programm sollen die Pferde wieder tanzen, diesmal zu Mozarts Requiem. Minkowski wird höchstpersönlich am Pult seines Ensembles Les Musiciens du Louvre stehen, es singen Genia Kühmeier, Elisabeth Kulman, Julien Behr und Charles Dekeyser sowie der Salzburger Bachchor. Die 1693 errichtete imposante Felsenreitschule gibt dem virtuosen Pferdeballett einen authentischen Rahmen. Das übrige Programm ist ebenso vom gemeinsamen Willen seiner Macher durchdrungen, die Mozartwoche mit einem fulminanten Finale an die Nachfolgerin Maren Hofmeister zu übergeben, und legt in diesem Jahr den Fokus auf die Künstlerfreundschaft zwischen Wolfgang Amadé Mozart und Joseph Haydn. Die wertschätzende Beziehung der beiden Komponisten spiegelt sich in ihrem Schaffen mehrfach wider und bietet hinreichend Stoff für eine spanwww.crescendo.de

Dezember 2016 – Januar 2017


MOZARTWOCHE 2017

Mozarts Requiem in der Interpretation des französischen Pferdekünstlers und Theatermachers Bartabas

nende Woche voller Konzerte. Die Essenz, die Minkowski und Schulz für ihr Festival gewonnen haben, wird beispielsweise durch einen Auftritt von Yannick Nézet-Séguin und dem Chamber Orchestra of Europe zum Ausdruck gebracht, die neben Haydns Sinfonie in e-Moll und Beethovens 1. Sinfonie auch Haydns Cellokonzert in C-Dur mit Jean-Guihen Queyras im Gepäck haben. Das Mozarteumorchester Salzburg bringt unter der Leitung von Pablo Heras-Casado mit Hoboken I:94, I:96 und I:100 drei weitere HaydnSinfonien zur Aufführung und das in Salzburg beheimatete renommierte Hagen Quartett spielt an zwei Abenden jeweils drei der sechs Erdödy-Quartette. Ebenfalls auf den Spuren Haydns wandelt die halbszenische Aufführung Salomons Reisen, ein inszeniertes Konzert, das sich vor allem um Impresario Johann Peter Salomon dreht und verschiedene Werke aus Mozarts Feder mit einem fiktiven Faden verbindet, den der Tenor Michael Schade mit dramaturgischem Fingerspitzengefühl geknüpft hat. Rubén Dubrovsky dirigiert das Bach Consort Wien, Christiane Karg, Michael Schade und Manuel Walser sind die Gesangssolisten. Genau genommen ist Mozarts Geist in Salzburg das ganze Jahr über allgegenwärtig. Ob in der Hofstallgasse, in der Getreidegasse oder im Park von Schloss Mirabell – irgendwie hat man immer das Gefühl, er müsste gleich höchstpersönlich um die Ecke biegen. Wie sehr Mozarts Schaffen gegenwärtig ist, zeigen im Rahmen der Mozartwoche auch Werke zeitgenössischer Komponisten, die – von Mozart inspiriert – die musikalische Brücke ins Hier und Jetzt schla-

Foto: Matthias Baus

Stiftung Mozarteum Salzburg 26. Januar bis 5. Februar 2017 Informationen und Kartenservice: Telefon: +43-(0)662 87 31 54 tickets@mozarteum.de www.mozarteum.at

gen und sich darüber hinaus der Musikvermittlung widmen. Die Osttiroler Musicbanda Franui präsentiert mit ihrem Mozart-Projekt „Ennui. Geht es immer so weiter?“ unter anderem eine Sammlung von Divertimenti, Kassationen und Serenaden, die mit der Rezitation von Texten von Søren Kierkegaard, Erik Satie, John Cage, Alberto Moravia und Ernst Jandl kombiniert werden, gelesen von Peter Simonischek. Eine weitere Uraufführung steht mit Johannes Maria Stauds Werk Fugu Advanced ins Haus, bei der das Mozart Kinderorchester gemeinsam mit Maestro Minkowski auf der Bühne steht. Unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin wird Rolando Villazón mit den Wiener Philharmonikern einen Abend mit Mozarts großen Orchesterarien gestalten. Beim Konzert in D-Dur für Violoncello und Orchester von Joseph Haydn mit dem Solisten Steven Isserlis steht Adam Fischer am Pult der Wiener Philharmoniker. Die Sopranistin Anna Prohaska lässt gemeinsam mit dem Ensemble Il Giardino Armonico unter der Leitung von Giovanni Antonini die Kantate Berenice che fai und Rezitative und Arien aus den Mozart-Opern Le nozze di Figaro, Die Entführung aus dem Serail und Lucio Silla erklingen. Für ihr Abschiedsprogramm ist Marc Minkowski und Matthias Schulz eine musikalische Zusammenstellung mit perspektivischer Tiefenschärfe gelungen, die viele spannende Solisten und Ensembles versammelt und dem Publikum abwechslungsreiche Einblicke in Mozarts Oeuvre erlaubt, die sich über Künstlergespräche, Einführungsvorträge und ein vielfältiges Filmprogramm noch vertiefen lassen. n 55


E R L E B E N

Klazz Brothers Cuba Percussion

VON KERZEN UND LEUCH­ TENDEN DRUMSTICKS

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Der Kissinger Winterzauber hat sie alle: heiße südamerikanische Rhythmen, selten gehörte Instrumentenkombinationen, Klassik, Jazz und Rock, aber auch wohlige Weihnachtstradition. VON JULIA HARTEL

s gibt viele gute Gründe, dem unterfränkischen Bad Kissingen einen Besuch abzustatten. Und wenn es im Winter weihnachtlich glitzert und der Schnee die Parkanlagen in eine Märchenlandschaft verwandelt, sorgt der Kissinger Winterzauber, „Das Festival zur 4. Jahreszeit“, noch für die zusätzliche Prise Genuss. Die diesjährige Ausgabe der Reihe erstreckt sich über die drei Wochen zwischen dem 16. Dezember 2016 und dem 7. Januar 2017. So ist der eine Teil der Veranstaltungen bestens dazu geeignet, sich durch erstklassige musikalische Darbietungen vorweihnachtlich verzaubern zu lassen – und Tickets für die Programmpunkte von Teil zwei machen sich zusätzlich ausgezeichnet unterm Weihnachtsbaum. Der Vorverkauf läuft seit dem 1. September. Ein besonderes Merkmal des Kissinger Winterzaubers besteht in seiner Vielfalt: Freunde „klassisch klassischer“ Musik können hier ebenso auf ihre Kosten kommen wie Rock- oder Jazz-Fans. Das Programm, verrät Bruno Heynen, Leiter der Veranstaltungsabteilung der Bayerisches Staatsbad Bad Kissingen GmbH, sei auch dieses Jahr wieder ein Stückchen „experimentierfreudiger und mutiger“. 56

Als Beispiel hierfür kann gleich das Eröffnungskonzert der Band Klazz Brothers & Cuba Percussion am 17. Dezember im Max-Littmann-Saal dienen: Unter dem Motto „Christmas meets Cuba“ treffen dort in der Besetzung Piano, Kontrabass, Schlagzeug und Percussion weltbekannte Weihnachtsmelodien auf kubanische Rhythmen. Die Musik der fünf Künstler wurde unter anderem zweimal mit dem ECHO KLASSIK ausgezeichnet, und ihre Carmen Cubana war sogar schon im Kino zu hören: im Hollywood-Erfolgsstreifen „Hitch – der Date-Doktor“. Ähnlich Ungewöhnliches bis Überraschendes verspricht das Konzert von Wildes Holz den Besuchern. Am 22. Dezember will das Trio im Kurtheater die Vielseitigkeit eines vielleicht unterschätzten Instruments unter Beweis stellen: der Blockflöte. Denn in Kombination mit Gitarre und Bass wagt sich diese bei Wildes Holz sogar an beliebte Weihnachtslieder im Punk- und HardrockStil heran – wer sich den Sound nicht vorstellen kann, sei auf verschiedene Kostproben unter www.wildes-holz.de verwiesen. Am ersten Weihnachtsfeiertag lädt das Kurorchester um 10.30 Uhr zu einer Matinee mit Weihnachtsliedern im Jazz- und Swing-Stil ein. Der Klangkörper mit seiner Dirigentin Elena Ioswww.crescendo.de

Dezember 2016 – Januar 2017


Fotos: Mirko Joerg Kellner; Harald Hoffmann; Markus Buberl; Simon Neumann; Andreas Lander

Wildes Holz Double Drums

Ron Spielmann

Carry Sass

sifova wurde offiziell von Guinness World Records als Orchester Reggae, Ragga- und Latin-Grooves. Wally Warning wurde unter anderem bekannt durch seinen sommerlichen Radiohit No Monmit den meisten Auftritten jährlich anerkannt. Wer es noch schwungvoller mag, dürfte am 29. Dezember im key; er spielt Gitarre, Cuatro, Ukulele, Bass, Djembé, Foot-Stomp Kurtheater bei Alexander Glöggler und Philipp Jungk richtig sein. und Shruitbox. Ami ist an Gitarre und Bass zu erleben. Wer es traditionell klassisch liebt, wird im Programm des Als Percussion-Duo Double Drums stellen die beiden hier ihr neuestes Programm „Groove Symphonies“ vor, das eigentlich Kissinger Winterzauber natürlich auch fündig. Da wären etwa schon die Bezeichnung „Show“ verdient hätte. Neben einer Viel- die Matinée classique mit dem Trio Condimento am 18. Dezemzahl von – teils exotischen – Schlaginstrumenten kommen hier ber im Rossini-Saal, bei der Kammermusik von Haydn, Beethogern auch mal ein Verkehrsschild, eine Säge oder ein Pappkarton ven und Brahms zu hören ist, das Neujahrskonzert mit den Berlizum Einsatz. Sanfter und melodischer geht es zu, wenn die zwei ner Symphonikern unter Lior Shambadal oder das AbschlusskonMusiker das Marimbafon zum Klingen bringen. Und nicht zuletzt zert unter dem Motto „Viva Italia!“ mit der Staatsoper Braunschweig optisch ist einiges geboten, zum Beispiel bei der „LED-Nummer“, und ihrem Dirigenten Gerd Schaller am 7. Januar. Festliche Stimbei der der Saal nur noch durch die Drumsticks erhellt wird ... Auf mung verspricht außerdem die Weihnachtsgala im Max-Littmehrere Fernseh- und viele Liveauftritte können Double Drums mann-Saal am 23. Dezember mit dem Tölzer Knabenchor, dem schon zurückschauen, immer zur großen Begeisterung des Publi- Blechbläsersextett Ensemble Classique, der Harfenistin Barbara kums. Die zum größten Teil selbst geschriebenen Stücke vereinen Gasteiger und dem Schauspieler Christian Wolff als Erzähler. Und auch Ballettbegeisterte kommen beim Kissinger WinKlassik, Pop und Weltmusik. Ebenfalls „zwischen den Jahren“ kommt eine Band nach Bad terzauber nicht zu kurz. Märchenhaft wird es am 27. Dezember Kissingen, auf die es letztes Jahr in Person des Trompeters Rüdi- im Kurtheater mit dem klassisch Russischen Ballett aus Moskau, ger Baldauf sozusagen schon einen kleinen Vorgeschmack gab: das zur Musik von Peter Tschaikowsky vor handgemalten Bühdie ­Heavytones. Die Formation ist unter anderem bekannt aus nenbildern die Geschichte vom Dornröschen „erzählt“. Die DarStefan Raabs Show TV total und hat schon diverse Stars von James bietung der erstklassigen Tänzer dürfte gerade für Familien inteBrown über Michael Bublé bis hin zu Kylie Minogue begleitet. ressant sein. Ebenfalls im Kurtheater bringt am 6. Januar die Doch die acht Männer haben auch Eigenkompositionen im Reper- Deutsche Tanzkompanie aus Neustrelitz das Tanz-Epos Die Nibetoire. Stilistisch bewegen sie sich zwischen Funk, Rock, Pop und lungen auf die Bühne (Libretto und Dramaturgie: Oliver HohlJazz. Sie werden am 30. Dezember im Max-Littmann-Saal auf der feld). Untermalt von einer vielfältigen Musikmontage von Richard Wagner bis Rammstein, stellt das Ensemble in 25 Bildern die mitBühne stehen. telalterliche Sage um den Drachentöter Sollte jemand mit grauer Winterlaune KISSINGER WINTERZAUBER Siegfried, König Gunther und Königin ins neue Jahr gestartet sein, könnte er sich 16. Dezember 2016 bis 7. Januar 2017 Brunhild tänzerisch dar. Dabei erklingen am 2. Januar bei Wally und Ami Warning Informationen & Kartenservice: aus dem Off immer wieder Passagen aus das Gegenmittel holen: Die beiden sind Telefon: +49-(0)971-804 84 44 dem mittelhochdeutschen Originaltext. n Vater und Tochter und verzaubern ihr Pubkissingen-ticket@badkissingen.de www.kissingerwinterzauber.de likum mit einem Mix aus lässigen Roots57


E R L E B E N

MUSIK AN DER SEE

Foto: Baltic Sea Philharmonic / Peter Adamik

Unterwegs mit dem Baltic Sea Philharmonic Orchestra, das mit Kristjan Järvi und Gidon Kremer zwei sehr prominente Leiter vorweisen kann.

Das Baltic Sea Philharmonic Orchestra an der Ostsee

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ielleicht ist es der Wind, der einem immerzu salzig und kühl um die Nase weht. Vielleicht aber ist es auch die See, deren Wogen brechen und wallen. Was den baltischen Geist letztlich ausmacht, bleibt ein Rätsel. Fest steht: Er wird geprägt vom Leben in der Nähe des Meeres und der archaischen Schönheit der Natur. Dieser Geist verbindet, auch über Ländergrenzen hinweg, und trifft er auf Musik, so beginnt er zu strahlen. Die Baltic Sea Music Education Foundation pflegt das Zusammenspiel aus Natur und Kultur schon länger. Seit Ende 2015 gibt es nun auch das Baltic Sea Philharmonic, ein Orchester, das unter der Leitung des Dirigenten Kristjan Järvi junge Musiker aus zehn Ländern der Ostseeregion zusammenbringt und in konzentrierten Probenphasen außergewöhnliche Konzertprogramme erarbeitet. Im September war das junge Ensemble zur Baltic Sea Discovery Tour aufgebrochen und hat von Litauen über Russland bis Deutschland Städte an den Küsten bereist. Im Gepäck: das Violinkonzert von Mieczysław Weinberg und Werke rund um das Thema „Schwan“. Im zweiten Teil der Reise mit an Bord: Gidon Kremer und einige Musiker seiner Kremerata Baltica. Mit Kristjan Järvi und Gidon Kremer prägen in diesen Tagen zwei musikalische Lichtgestalten die Arbeit des Baltic Sea Philharmonic, die – zumindest auf den ersten Blick – unterschiedlicher kaum sein könnten. Järvi, ein drahtiger Amerikaner Anfang 40, der die Musik mit dem gesamten Körper einfordert, der rockt und springt und lauthals lacht auf der Bühne und spätestens bei den Zugaben des Orchesters nicht selten ins Publikum hüpft und die Zuschauer zum Tanzen animiert. „Seriöse Musik – was soll das bitte sein?“, fragt Järvi in der Lobby eines Danziger Hotels und fährt sich schwungvoll durch die schulterlangen Haare. „Seriös ist alles, was man mit Liebe macht.“ Seine estnischen Wurzeln kultiviert er natürlich als Leiter des Baltic Sea Philharmonic: „Letztlich geht es bei unserem Projekt um das, was unsere menschliche Natur ausmacht – jenseits der Leistungs- und Ellbogengesellschaft, verbunden mit dieser Erde, mit der Kraft unserer Umwelt.“ Und dann Gidon Kremer, der 69-jährige Geigenvirtuose aus Lettland und Leiter der längst legendären Kremerata Baltica, die bald ihr 20-jähriges Jubiläum feiert. Kremer ist ein leiser, freundlicher 58

und bestimmter Musiker, ein weiser Denker und kritischer Freigeist, der die Gefälligkeit scheut. „Ich suche nach ungewöhnlichen Projekten und nach vernachlässigten Werken wie dem Weinberg-Konzert“, sagt Kremer. Steht der Geiger auf der Bühne, ist kein Ton ohne Seele und keine Geste zu viel. Kremer sagt: „Ich finde nicht, dass Musik zur Unterhaltung da ist. Wenn ich spiele, möchte ich den Menschen etwas mitgeben und ihnen einen tieferen Sinn in der Musik aufzeigen. Das ist eine große Verantwortung, die wir als Musiker hier haben.“ Was Järvi und Kremer eint, ist eine humanistische Vision von Musik. „Und die Reaktionen der Zuhörer sind fantastisch“, sagt Järvi. Erst am Abend zuvor hat es die Konzertbesucher im Saal des Europäischen Solidarność-Zentrums in Danzig kaum mehr auf ihren Sitzen gehalten. Mittlerweile sind die Instrumentalisten längst in Kopenhagen angekommen, gerade sitzen sie im Probenraum des Konzerthaus Kopenhagen, wenig später werden sie auch hier abermals die Zuhörer begeistern. Musiker wie der russische Klarinettist Alexey Mikhaylenko, 30 Jahre alt, der die „ganz besondere Atmosphäre des Orchesters“ schätzt und „die unglaubliche Energie von Järvi“. Oder Musiker wie Nils Bieswig, ein 27-jähriger Bratscher aus Detmold, oder Miranda Erlich, eine 20-jährige Kontrabassistin aus Karlsruhe – beide sind sie erst kurz dabei, beide haben sie bereits ungemein viel gelernt. „Die Zusammenarbeit mit Gidon Kremer ist großartig“, sagt Erlich. „Er hat eine solche Erfahrung, kann uns so vieles zeigen und spüren lassen – das ist ein Geschenk.“ In diesem Augenblick sitzt der Virtuose von Weltrang im Jeanshemd und Dreitagebart neben Järvi vor dem Orchester und setzt an zum ersten Satz des Weinberg-Konzerts. Immer wieder hält er leise Zwiesprache mit dem Dirigenten, dann grinst er zufrieden in die Menge und hebt den Bogen. „Wir suchen nach Persönlichkeiten, nach Musikern mit Charisma, die offen sind füreinander“, hat Järvi die Idee des Baltic Sea Philharmonic beschrieben. Und Kremer sagt: „Wenn es um Musiker geht, urteile ich nach Tönen und nach Augen.“ Kristjan Järvi, Gidon Kremer und ein bunter Haufen junger Musiker. Die Reisegefährten könnten unterschiedlicher kaum sein. Ihr Geist aber ist derselbe. Dorothea Walchshäusl n www.crescendo.de

Dezember 2016 – Januar 2017


GESELLSCHAFT Schwerpunkt: 500 Jahre Reformation Martin Luther und seine Beziehung zur Musik (Seite 60) Die wichtigsten Veranstaltungen und Veröffentlichungen zum Jubiläumsjahr (Seite 66)

KLASSIK IN ZAHLEN

Anzahl der gläubigen Christen weltweit geschätzt: ca. 2,4 Milliarden davon Katholiken: ca. 1,2 Milliarden

davon Protestanten: ca. 800 Millionen

Christen in Deutschland Katholiken: ca. 23,8 Millionen Protestanten: ca. 22,3 Millionen

Anzahl der Lieder im Gesangbuch Katholisches Gotteslob: 280 (im Stammteil) Evangelisches Gesangbuch: 567 (im Stammteil)

Berühmte Komponisten im Gesangbuch Katholisches Gotteslob: 1* Evangelisches Gesangbuch: 7**

**Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Martin Luther, Michael Praetorius, Heinrich Schütz, Georg Philipp Telemann, Ralph Vaughan Williams

Foto: ebraxas/Fotolia.com

*Johann Sebastian Bach (wer sonst ...)

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Luthers Vermächtnis Welche Funktion hatte eigentlich die Musik im Kontext der Reformation? VO N KO N R A D KÜ S T E R

Illustration: Claudia Prinz für crescendo

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utherische Musik: Bei diesem Stichwort werden vielen Musikbegeisterten auf Anhieb einige Werke in den Sinn kommen, besonders von Johann Sebastian Bach (traditionell bevorzugt die Matthäus-Passion und das Weihnachtsoratorium) oder von Heinrich Schütz (etwa aus der Geistlichen Chor-Music von 1648). Mit dem Jahr 1517, auf das sich das Reformationsjubiläum 2017 bezieht, hat diese Musik kaum mehr zu tun, als dass sich das Luthertum eben allgemein von dem Datum her definiert, an dem Martin Luther seine 95 Thesen in Wittenberg veröffentlichte. Welche Funktion die Musik in diesem Kontext hat, ist erstaunlich schwer zu klären. Ohnehin lässt sich die Reformation nicht an einem einzigen Ereignis festmachen, denn der reformatorische Prozess, der das westliche Christentum ebenso prägte wie die mit ihm verknüpften Gesellschafts- und Kultursysteme, überspannt das gesamte 15. und 16. Jahrhundert. Auf dem Konstanzer Konzil (1414–1418) wurde Johann Hus wegen seiner reformatorischen Haltungen verbrannt; die Ideen gärten in den folgenden Jahrzehnten weiter, und noch im Frühjahr 1517 ging in Rom ein Konzil ergebnislos zu Ende, dessen Ziel erneut eine Reform der katholischen Kirche gewesen war. Diese Bestrebungen fanden dann endlich 1563 ihren Abschluss, mit dem Trienter Konzil; es bewirkte keine „Gegenreformation“, sondern hatte einen modernen Katholizismus zur Folge. Gleichfalls 1563 wurde der Heidelberger Katechismus als Bekenntnisschrift der Calvinisten formuliert; wie ein Schlusspunkt all dieser Entwicklungen wirkt die „Konkordienformel“ der Lutheraner, die erst 1577 entstand und für Sachsen sogar zu einer verfassungsähnlichen Staatsgrundlage wurde. All diese Entwicklungen hatten immense kulturelle Folgen: Italienische Barockkunst ist ohne die reformatorischen Entwicklungen ebenso wenig denkbar wie die Orgelmu-

sik, die im niederländischen Calvinismus blühte. Erstaunlich nun: Das, was man als „lutherische Musik“ begreift, ist Resultat nicht nur des Luthertums, sondern auch Frucht dieser sehr viel breiter gelagerten, multikonfessionellen „Reformation“. Mit Blick auf die Musik greift der Begriff „Luther-Jahr“ also zu kurz. Ohnehin geht es 2017 weniger um Luther selbst als um jene grundstürzenden Entwicklungen des 15. und 16. Jahrhunderts. Sicher, sie haben die Kirche gespalten, und mit Glaubensfragen wurden Krieg und Unterdrückung – mit furchtbaren Folgen – begründet. Erst ein mühevoller und blutiger Weg führte aus jenem „reformatorischen Prozess“ zu den europäischen Individual- und Freiheitsrechten. Dasselbe gilt für das kulturelle Erbe dieser Länder. 1517 ist lediglich ein plausibles Schlüsseldatum dieser Entwicklungen, Luther selbst einer der entscheidenden Akteure. Im Kulturellen und Gesellschaftlichen ist dieses Reformationsjubiläum aber ein Fest, das Katholiken und Reformierte genauso betrifft wie Lutheraner. Die Musik nun macht dies besonders deutlich. Nur muss man sich von manchen liebgewonnenen Bildern lösen, die uns das 19. Jahrhundert in puncto „lutherische Musikkultur“ vererbt hat. Damals wurde in Preußen der (in seiner Zeit revolutionäre) Versuch unternommen, ein gemeinsames kulturelles Erbe zu definieren. Zu diesem Staat gehörten seit 1815 mit Wittenberg, Eisleben und Erfurt wesentliche Luther-Orte, und das Reformationsjubiläum 1817 war eines der ersten Ereignisse, die diese Kulturkonzepte prägten. In sie wurde auch die Musik eingebettet, die damals erst allmählich als „kulturelles Erbe“ begriffen wurde. Doch niemand kam auf die Idee, Luther habe Gottesdienst und Kirchenmusik anders erlebt, als es damals üblich war: also deutschsprachig und mit vielfältigem Gemeindegesang. Tatsächlich war beides aber zu Luthers Zeit kaum entwickelt. Luther pflegte bis zu seinem 61


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Tod 1546 eine Messfeier, in der die alten, aus dem Mittelalter tra- ses neuen italienischen Stils zur Lebensaufgabe machte: eines Stils, dierten Gesänge (wie Introitus und Alleluja oder Kyrie und Gloria) dessen Verbreitung von der „katholischen Reformation“ besonders das Gerüst bildeten. Je größer ein Ort war, desto häufiger waren die gefördert worden war. Elemente lateinisch: Das Bildungsbürgertum der Zeit verstand sie, Ähnlich italienisch-katholische Anregungen prägten die ebenso die nachwachsenden Generationen an den „lutherischen mitteleuropäisch-lutherische Musik auch im gesamten so konLatein(!)-Schulen“. Dort lag der Lateinunterricht bei den Kantoren, fessionellen 17. Jahrhundert. Den wesentlichen Anstoß zur die außerdem für die Musik verantwortlich waren. Um 1800 war explosionsartigen Erweiterung des lutherischen Liedgutes gab diese Verbindung gerade abgeschafft worden; Sprach- und Musik- die weltliche italienische Aria mit ihren strophischen Texten unterricht waren fortan zweierlei. Nur dieses Aktuelle prägte also und leicht fasslichen Melodien. Sie ließen sich leicht nachsingen die preußischen Kulturvorstel– und mitsingen wie später lungen, nicht das historisch im lutherischen Gottesdienst. Korrekte. Und die moderne lutherische „ERST EIN MÜHEVOLLER UND BLUTIGER WEG Ähnlich steht es auch Kirchenmusik des späteren FÜHRTE AUS JENEM REFORMATORISCHEN um das „lutherische Gemein17. Jahrhunderts verdankt delied“, das mit Luther kaum PROZESS ZU DEN EUROPÄISCHEN INDIVIDUAL- der Musikpflege römischer etwas zu tun hat. Seine Jesuiten ihre entscheidenden UND FREIHEITSRECHTEN“ Gemeinde hörte im GottesImpulse. Das größte Werk, dienst vorwiegend zu und sang das in der Nachfolge entgerade einmal das Glaubensbestand, sind die Membra Jesu kenntnis (Wir glauben all an einen Gott); „Lieder“ jüngeren Ver- Nostri von Dieterich Buxtehude; und ohne diese Anregungen ständnisses erklangen während des Abendmahls, aber gesungen hätte es eine lutherische Kirchenkantate Bachs nicht gegeben. von den Lateinschülern, nicht von der Gemeinde (die sich viel eher Diese Perspektiven waren für das 19. Jahrhundert nicht absehauf das Abendmahl selbst konzentrieren sollte). Kurz: Die Rolle bar. Entsprechende Einblicke verdanken wir erst dem späteren 20. der Musik im Gottesdienst Luthers war nicht wesentlich anders als Jahrhundert: der Grundlagenforschung zu italienischer Renaisvor 1517 – und völlig anders, als das 19. Jahrhundert uns dies über- sance- und Barockmusik und der Aufgeschlossenheit der Altemittelt hat. Musik-Bewegung. Für das alte Preußen dagegen hatte die Musik Zu diesen Irrtümern des 19. Jahrhunderts gehört auch, dass des katholischen Italien jenseits des Horizonts gelegen, ähnlich die die Kirchenmusik des Luthertums eigentlich erst nach der Lösung Orgelmusik des nordwestlichen Mitteleuropa. Doch beide waren von katholischen Gebräuchen entstanden sein könne – als eine für die lutherische Kultur und ihre traditionellen Musikstars ideeigene Kulturform. Richtig ist zwar: Die Musik hatte im Luther- ale Orientierungspunkte: für Schütz wie für Bach. tum eine herausragende Bedeutung, denn sie war für das Lob GotUnd so schließt sich der Kreis. Die „lutherische“ Musik macht tes theologisch unverzichtbar. Weil durch den Kreuzestod Jesu die verständlich, warum das Reformationsjubiläum 2017 kein LutherSünden der Welt hinweggenommen sind (sodass sich niemand vom Jahr ist, sondern – ausgehend vom Brennpunkt 1517 – ein zen­ Fegefeuer freikaufen müsse), ist jeder Gläubige Gott zu Dank ver- trales Gedenkjahr europäischer Kultur. In evangelischen Kirchen pflichtet. Gott selbst ist ewig; also muss auch das Gotteslob ewig erklingen heute katholische Oratorien des französischen 19. Jahrsein. Lobpreis aber ist gleichbedeutend mit Musik. Und die dank­ hunderts, ebenso Musik von Arvo Pärt, der sich zur russischerfüllte „ewige Musik“ des Himmels muss ihren Widerschein schon orthodoxen Kirche bekennt, oder auch das Lied Lobe den Herren, auf Erden haben: nicht zuletzt in der „großen“ Kirchenmusik. den mächtigen König der Ehren‚ dessen Schöpfer (Joachim NeanSie aber entstand nicht in Abgrenzung vom Katholizis- der) Calvinist war. Diese überkonfessionelle Offenheit bestand nur mus, sondern in Orientierung an ihm. Große Kirchenmusik der im 19. Jahrhundert nicht; ansonsten hatte lutherische MusikkulLuther-Zeit war ohnehin dieselbe wie im Spätmittelalter – mit tur dauernd eine „ökumenische“ Dimension (ob nun gewollt oder einer Schlüsselfunktion bei Josquin Desprez (gestorben 1521), den nicht). So lädt das Reformationsjubiläum Luther bewunderte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde die 2017 dazu ein, Einengungen des Konfeslutherische Musik dann von Ideen völlig umgekrempelt, die in der sionellen abzustreifen und viel eher das nachreformatorisch-katholischen Praxis entstanden waren: Dort vielfältige Miteinander westlicher Kirwaren leicht fassliche Text-Musik-Beziehungen populär geworden. chenmusikströmungen in den Blick zu Dass dies auch für Lutheraner (mit der Bedeutung des Bibelwornehmen: von der Reformationszeit bis in tes in der Verkündigung) attraktiv war, liegt auf der Hand. Thüunsere Gegenwart. n ringen, Augsburg und Hamburg wurden zu ersten Fixpunkten Der Autor Konrad Küster schrieb auch ein Buch zum Thema: dieser Kunst; Sachsen folgte in einigem Abstand. Dort profilierte „Musik im Namen Luthers – Kulturtraditionen seit der Reformasich dann Heinrich Schütz als Musiker, der sich die Pflege dietion“ (Bärenreiter)

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Wider die himmlischen ­Propheten Die anderen Reformatoren stritten über die Bedeutung des Abendmahls, über religiöse Bilder – und auch über die Musik im Gottesdienst gerieten sie sich in die Haare. Zu einem friedlichen Nebeneinander haben sie erst lange nach ihrem Tod gefunden, und zwar in den Liedern des Evangelischen Gesangbuches. VON UTE ELENA HAMM

„Himmlische Propheten“, „Schwärmer“, nennt er sie, „Abergeist- die Affen thun“, schreibt er in Wider die himmlischen Propheten. liche“ und „Rottengeister“ – Martin Luther spart in seiner Schrift Um seine Vision und Version des deutschsprachigen geistlichen Wider die himmlischen Propheten von 1525 nicht an Polemik, wenn Lieds durchzusetzen, nutzt Luther seinen Einfluss auf den Herer über missliebige Reformationskollegen spricht. Denn es ist ein ausgeber des ersten Gesangbuchs, Johann Walter (1496–1570). nicht zu unterschätzender Streitpunkt unter den Reformatoren: das 1524 erscheint das Geystliche gesangk Buchleyn, auch das Wittenberger Chorgesangbuch genannt, Singen im Gottesdienst. Das geistmit insgesamt 38 deutschen Lieliche Lied in der Volkssprache ist „THOMAS MÜNTZER IST EINER dern – allein 24 davon stammen Garant für den Erfolg der reforaus Luthers Feder. Doch ganz so matorischen Idee, gerade jetzt, wo DER RADIKALSTEN UNTER DEN konsequent verbannt Luther die durch den Buchdruck nicht nur REFORMATOREN. ER IST EIN Lieder seiner reformatorischen die Bibel, sondern eben auch LiedBILDERSTÜRMER ERSTEN RANGES“ Widersacher dann doch nicht. Das blätter und Gesangbücher zum Lied Kommt her zu mir, spricht erschwinglichen Massenprodukt Gottes Sohn, heute EG 363, von werden. Dessen ist sich Luther sehr bewusst und entsprechend groß ist seine Sorge, dass sich die Lie- dem Müntzer-Anhänger Georg Grünwald nimmt er nämlich auch der zum Beispiel seines Kontrahenten Thomas Müntzer (um 1489– in die Sammlung auf. Dass trotz Luthers vehementer Ablehnung heute auch Müntzer im Evangelischen Gesangbuch mit einem Lied 1525) allzu sehr verbreiten. Müntzer ist einer der radikalsten unter den Reformatoren. Er vertreten ist, ist paradoxerweise dem Katholizismus zu verdanken. ist ein Bilderstürmer ersten Ranges, er lehnt nicht nur die (Hei- Müntzers deutsche Übertragung des lateinischen Hymnus Condiligen-)Bilder in den Kirchen ab, sondern auch jegliche Form von tor alme siderum als Gott, heilger Schöpfer aller Stern wurde nämkunstvoll komponierter Musik. Die althergebrachten Gesänge lich zuerst im katholischen Gotteslob aufgenommen und kam über übersetzt er in die Volkssprache, wie übrigens auch alle anderen diesen Weg als EG 3 1993 auch ins Evangelische Gesangbuch. Was Luther über das Singen und Musizieren im Gottesdienst gottesdienstlichen Elemente. Allerdings setzt er die neuen deutschen Wörter einfach unter die alten Noten, ohne zum Beispiel denkt, ist deutlich: Er will „alle Künste, sonderlich die Musika, auf Sprachbetonungen zu achten. Das ist dem sprach- und musik- gerne sehen im Dienste des, der sie gegeben und geschaffen hat“, empfindsamen Luther ein Dorn im Auge, er ist absolut gegen diese so schreibt er es im Vorwort zum Wittenberger Chorgesangbuch. schnelle und rücksichtslose Vorgehensweise: „Es müssen beide, Das, was er für selbstverständlich hält, bereitet den oberdeutschText und Noten, Accent, Weise und Geberde aus rechter Mutter- schweizerischen Reformern allerdings erheblich mehr Kopfzerbresprach und Stimme kommen; sonst ist alles ein Nachahmen, wie chen. Ulrich oder Huldrych Zwingli (1484–1531) kommt zu dem 64

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Schluss, dass es eine geistlich akzeptable Musik nicht geben kann, und verbannt Instrumente und Gesang gleich ganz aus dem Gottesdienst. „Tempelgemurmel“ nennt Zwingli den Kirchengesang und begrüßt stattdessen das „fromme, inwendige Gebet“. Aber trotzdem ist auch er heute mit dem Lied Herr, nun selbst den Wagen halt (EG 242) im Evangelischen Gesangbuch als Liedautor vertreten. Der im übrigen hochmusikalische Zwingli schätzte das Liedersingen nämlich durchaus – für den Hausgebrauch. Im Gegensatz zum Zürcher Zwingli werten die Konstanzer Reformatoren um Johannes Zwick (1496–1542) das Singen als „frei Ding, das sein mag oder nit, je nach dem es Gott zu Lob dienet und den Menschen mag nütz und gut sein“. Sie machen sich, wenn auch nicht für die Figuralmusik, so doch für den Liedgesang im Gottesdienst stark. Bei der Auswahl der Lieder für sein Nüw gsangbüchle (1540) zeigt sich Johannes Zwick übrigens um einiges unverkrampfter als der starrköpfige Luther: Denn nicht nur dessen Lieder nimmt er neben seinen eigenen und denen anderer reformatorischer Dichter in seinem Gesangbuch auf, sondern auch Lieder von katholischen Autoren. Zwick ist damit schon zu Zeiten der Reformation ein Vorreiter der Ökumene. Sein Lied All Morgen ist ganz frisch und neu steht heute zum Beispiel sowohl im Evangelischen Gesangbuch (EG 440) als auch im katholischen Gotteslob (GL 710). Eine der ersten Städte, die zum Zentrum reformatorischer Umwälzungen werden, ist Straßburg – und was die Musikfrage betrifft, stellt sie sich übrigens ganz auf die Seite von Luther. Seine Erfindung, das gereimte Psalmlied, nehmen die Freunde und Kirchenmusiker Wolfgang Dachstein (1487–1561) und Matthias Greiter (um 1495–1550) zum Vorbild, alle Psalmen als Lieder systematisch zu erschließen. Dafür entwickeln sie einen eigenen Melo-

dietyp, der besonders praktikabel sein soll, nämlich mit einer Sammelnote zu Beginn, einem gleichmäßigem Rhythmus und nur wenigen Sprüngen. Unter der Federführung des Reformators Martin Bucer (1491–1551) erscheint 1541 eine prachtvolle Gesangbuchausgabe. Der liturgische Gesang unter EG 180.1 im Evangelischen Gesangbuch heute, Ehre sei Gott in der Höhe, geht zum Beispiel auf diese Straßburger Ausgabe zurück. Darin nehmen aber vor allem die besagten Psalmlieder den wichtigsten Platz ein. Von denen ist Johannes Calvin (1509–1564) übrigens restlos begeistert – und das, obwohl er wie sein schweizerischer Landsmann Zwingli zuerst erhebliche Bedenken wegen der sinnlichen Reize von Musik hat. Zurück in seiner Heimat Genf stellt er nach Straßburger Vorbild aus 125 Melodien insgesamt 150 Lieder zu jedem Psalm zusammen. Instrumentalmusik und Chorgesang sind zwar weiterhin nur für das gesellige Musizieren erlaubt, aber auch die Hausmusik profitiert von dem Melodienschatz in Calvins Genfer Psalter. Ganz nebenbei wird nun auch im Alltag öfter religiöse Musik gemacht, was vor allem den beliebten vierstimmigen Vertonungen von Claude Goudimel (um 1514–1572) zu verdanken ist. Auch sein Erbe findet sich heute im Evangelischen Gesangbuch, nämlich der vierstimmige Satz Brunn alles Heils, dich ehren wir (EG 140). Auch das zeigt: Die Lieder der Reformation waren richtige Selbstläufer und schrieben ihre ganz eigene Erfolgsgeschichte. Die Reformatoren hatten vor rund 500 Jahren in ihrem Streit das enorme Potenzial ihrer Lieder schon richtig erkannt – aber sie hätten wohl nicht damit gerechnet, dass sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden und sie durch ihre Lieder am Ende gemeinsam für die Reformation Pate stehen. n 65


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Luthermania Das Lutherfieber lodert heiß! Unglaublich, mit was für einer Vielfalt von Aktivitäten und Neuerscheinungen das Reformationsjubiläum näher rückt. Wir haben uns im Veranstaltungs- und Medien-Dschungel umgesehen und Hörens- und Sehenswertes für Sie ausgewählt. VON MARIA GOETH

Januar bis Oktober 2017 in Wittenberg, Hannover, Stuttgart, Düsseldorf u. v. m.

Der Musikproduzent Dieter Falk und der Musicalautor Michael Kunze haben ein „Pop-Oratorium“ komponiert, das als opulentes Chorprojekt mit Event-Charakter auf moderne, unterhaltsame und unkonventionelle Weise davon erzählt, wie die Reformation die Gesellschaft in Sachen Wissenschaft, Kunst und Musik nachhaltig geprägt hat. Bei den Aufführungen stehen jedes Mal 1.500 bis 2.500 Sängerinnen und Sänger aus Kirchen-, Pop-, Gospel-, Schul- und Jugendchören gemeinsam auf der Bühne und lassen sich auf das großformatige Musikexperiment ein, das neben Martin Luthers Geschichte auch die Lust am Singen transportiert. Der buntgemischte Projektchor ist das Herzstück von Dieter Falks Musikspektakel, nur die Solistenrollen werden von professionellen Musicaldarstellern übernommen. Mindestens zehn Aufführungen des Pop-Oratoriums sind für 2017 geplant – unter anderem wird das sogenannte „Projekt der 1.000 Stimmen“ als großes Open-Air-Konzert in der Lutherstadt Wittenberg inszeniert. Das ZDF wird die finale Aufführung am Sonntag, 29.10.2017, aufzeichnen und zeitversetzt übertragen. Der genaue Ausstrahlungstermin wird noch bekanntgegeben. Alle Informationen auch unter www.luther-oratorium.de

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„1.000 Stimmen für Martin Luther“


CDs & BÜCHER Johann Sebastian Bach war eifriger Vertoner von Luther-Texten. Chorus Musicus und Das Neue Orchester haben eine satte vier CDBox mit diesen Kantanten herausgebracht. Bach: „Luther Kantaten“, Chorus Musicus Köln, Das Neue Orchester, Christoph Sperling (dhm) Unterschiedliche Fassungen der „Reformations-Hits“ wie Ein feste Burg ist unser Gott finden sich auf dieser CD. Auch die ChoralAuswahl der Gächinger Kantorei trägt die „Marseillaise der Reformation“ im Titel und widmet sich den Reformationsklassikern. „Ein feste Burg ist unser Gott“ (Hänssler Classic). Track 3 auf der crescendo Abo-CD: Wir glauben all an einen Gott Die Inspiration durch Luther wirkte auf Komponisten aller Jahrhunderte. Mit prominenten Klangkörpern wie dem Hilliard Ensemble, dem Tölzer Knabenchor oder dem Gewandhausorchester Leipzig spürt „The Sound of Martin Luther“ diesen Werken nach. „The Sound of Martin Luther“ (Warner Classics) Die Doppel-CD „Luthers Lieder“ vereint alle 35 Gesänge des Theologen in Chorsätzen, Choralkantaten und Bearbeitungen für Orgel vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. „Luthers Lieder“ (Carus) Track 4 auf der crescendo Abo-CD: Nun komm, der Heiden Heiland Ein Luther-Hörbuch ist beim Silberfuchs Verlag erschienen: eine klingende Biografie mit zahlreichen Originalzitaten und mit Musik von Stefan ­Weinzierl. „Martin Luther: Das Hörbuch“ (Silberfuchs Verlag)

LUTHER DIGITAL Geballte Luther-Info-Power: Die Übersichtsseite zum ­Reformationsjubiläum: www.luther2017.de Digitale Luther-Ausstellung mit Postern und 3-D-Objekten: www.here-i-stand.com Mulitmediaportal des MDR zu „500 Jahre Reformation“: www.mdr.de/reformation500

VERANSTALTUNGSHIGHLIGHTS 2017 31.10. Bundeseinheitlicher Feiertag Zur Feier des 500. Reformationsjubiläums wird der Reformationstag am 31. Oktober 2017 ein gesetzlicher Feiertag im gesamten Bundesgebiet! Nationale Lutherausstellungen 12.04.–05.11. „Der Luthereffekt. 500 Jahre Protestantismus“, ­Deutsches Historisches Museum Berlin 04.05.–05.11. „Luther und die Deutschen“, Wartburg, Eisenach 15.05.–05.11. „Luther! 95 Schätze – 95 Menschen“, Augusteum Wittenberg Infos unter: www.3xhammer.de Kirchentage, Europäischer Stationenweg und Weltausstellung Reformationssommer der evangelischen Kirche in Deutschland und des Deutschen Evangelischen Kirchentags: www.r2017.org 95 Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten

Gottesdienste im Supermarkt, im Finanzamt, im Bergwerk u. a. www.2017.ekir.de Giacomo Meyerbeer „Der Prophet“ Opernpremiere an der Deutschen Oper Berlin. Termin wird noch bekanntgegeben 01.01.–31.12. Konzerte der lautten compagney BERLIN Tournee mit drei verschiedenen Konzertprogrammen zu Luther.

Auch der Buchmarkt feiert den Reformator mit vielfältigen Neuerscheinungen: Die Deutsche Bibelgesellschaft bringt zum Jubiläum das Werk Lutherbibel ­revidiert heraus. Mit Der Mensch Martin Luther (Fischer Verlag) hat sich die Oxford-Historikerin ­Lyndal Roper an eine neue, tiefgehende Luther-Biografie gewagt. Ein opulenter Band mit über 100 Abbildungen. Auf die Kraft von Luthers eigenen Worten setzt das Große Lesebuch (Fischer Verlag): Es kompiliert seine wichtigsten auf Deutsch verfassten Texte, etwa „Ein Sermon von Ablass und Gnade“, „Von den guten Werken“ und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Den Fokus auf die 95 Thesen (Reclam), mit denen Luther die Welt revolutionierte, legt ein neues, von Johannes Schilling herausgegebenes Buch. In Originaltexten mit Übersetzungen und Kommentaren werden die Glaubensstreitigkeiten gut verständlich aufbereitet. 67


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Nanu?! Neben mehreren hundert Veranstaltungen und Dutzenden CD- und BuchNeuerscheinungen entdeckten wir auch allerlei Skurriles und Lustiges rund um Luther. Unsere Lieblingsfundstücke aus dem reformatorischen ­Kuriositätenkabinett ...

Kuriose ­Audienz

7,5 Zentimeter ist das putzige Kerlchen groß. Zum Reformationsjubiläum darf natürlich auch die Playmobilfigur „Martin Luther“ nicht fehlen – inklusive Schreibfeder und Bibel in der Hand, dazu ein Beileger mit Kurzinformationen zum Thema. Kein Wunder, dass die Figur zwischenzeitlich sogar vergriffen war. Als crescendo-Redaktionsliebling „Luthi“ hat sie als Maskottchen für die Produktion dieser Ausgabe aber ihren Dienst erfüllt.

Foto: cdpa / picture alliance / Giorgio Onorati

Luthi

Moment mal. Was ist das denn? Ein Gipeltreffen zwischen Papst Franziskus und Martin Luther? Im Oktober empfing das katholische Kirchen-oberhaupt eine ökumenische Delegation von über 1.000 Pilgern aus Mitteldeutschland. Unter dem Motto „Mit Luther zum Papst“ waren sie nach Rom gekommen, um ihre 95 teils provokanten Thesen zur Zukunft der Ökumene vorzulegen. Mit im Gepäck: eine purpurrote LutherStatue. Papst Franziskus empfing alle seine Gäste wohlwollend – auch die Statue, und nahm sich über eine Stunde für sie Zeit.

Evangelischer Strom Im baden-württembergischen Bibe­ rach an der Riss befindet sich mit St. Martin eine der ältesten Simultankirchen, also von beiden Konfessionen gleichermaßen genutzte Gottteshäuser, Deutschlands. Doch wie ein faires System für die Nebenkostenabrechnung finden? Na klar, einen Stromzähler, bei dem man von evangelischem auf katholischen Strom umschalten kann. Inzwischen wurde der Zähler übrigens gegen ein einfaches Modell ausgetauscht, und die beiden Gemeinden haben sich auf eine Pauschale geeinigt: Was für ein schöner Schritt in Richtung Ökumene. Elektrisierend!

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Na dann, Prost! Dass Mönche in Sachen Kulinarik keine Kostverächter waren, ist allgemein bekannt. Auch Martin Luther trank gerne Wein und Bier, was überdies gesünder war, als das oftmals verschmutzte Brunnenwasser zu konsumieren. Im Luthermuseum in Wittenberg lässt sich Luthers Bierkrug bewundern – allerdings ist nur der hölzerne Teil original, die silberne Fassung wurde später von einem Bewunderer hinzugefügt. Wer den Krug virtuell drehen und wenden möchte, findet ein 3-D-Modell auf www.here-i-stand.com.

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LUTHER KOMPONIERT Er hat es auch selbst getan: Luther spielte nicht nur die Laute, sondern dichtete und komponierte. VON BURKHARD WEITZ

In den nun folgenden zwölf Monaten dichtete Luther Martin Luthers Wertschätzung kam nicht von ungefähr. Schon in der Lateinschule in Eisenach (ab 1497) lernte er Musiktheo- 24 Lieder, darunter Aus tiefer Not schrei ich zu dir (nach Psalm rie und sang im Chorus Musicus der Georgenkirche. Das Chor­ 131). Auch die Melodie stammt von ihm. Sie bezeugt sein gestühl, auf dem der damals 14-Jährige saß, ist noch dort. Und musikalisches Gespür. Mit dem zweiten Wort „tiefer“ fällt die er sang im Schülerchor Eisenacher Kurrende. Mit anderen Sän- Melodie eine Quinte abwärts, um mit „Not“ auf einen klagern zog er zu reichen Bürgern, um „Parteken“ zu erbetteln, genden Halbton über dem Ausgangston anzusteigen. Johann Kleingeld. „Partekenhengste“ hat Luther die Kurrendesänger Walter setzte die Lieder mehrstimmig und veröffentlichte sie später genannt. Er gehörte auch zum Schülerkreis um die Patri- 1524 in einem Chorgesangbuch. Ein feste Burg ist unser Gott zierfamilie Cotta, wo man in geselliger Runde Lieder und mehr- schrieb Luther 1529 als Trostlied zur Vergewisserung der stimmige Motetten sang. Später studierte Luther in Erfurt Theo- Gläubigen: Gottes Wort stürzt den Teufel, Christus behält das Feld. Eine Schweinfurter logie und Musik. Er spielte die Gemeinde soll 1532 mit ihm Laute. Ein Kommilitone pries EINE SCHWEINFURTER GEMEINDE einen altgläubigen Priester ihn als gelehrten Musiker und während der Messe niederPhilosophen. SOLL 1532 MIT EIN FESTE BURG gesungen haben. Die Jugend Kein Wunder, dass IST UNSER GOTT EINEN ALTGLÄUBIGEN skandierte das Lied in Luther schon 1523 die Musik Schweinfurts Straßen. Bald im Gottesdienst aufzuwerPRIESTER WÄHREND DER MESSE ­ darauf wurde die Reformaten begann – nachdem ihn 95 NIEDERGESUNGEN HABEN tion eingeführt. Thesen, diverse DisputatioAuch sonst dienten nen und ein mutiger Auftritt Lutherlieder als Protestvor dem Kaiser in Worms berühmt gemacht hatten. 1523 forderte er „deutsche Gesänge, songs. Ein altgläubiger Prediger wurde mit Luthers Ach Gott, die das Volk unter der Messe singe“. Die führte er in Witten- vom Himmel sieh darein überstimmt. Göttinger Handwerker berger Gottesdiensten ein. Schon bald druckte man hierfür übertönten an Fronleichnam das Kyrie-eleis einer Prozession mit deutschen Psalmliedern. Hildesheim verbot Straßen­ Gesangbücher – mit Gebeten, Liturgie und Erläuterungen. Markenzeichen der Evangelischen wurde jedoch der Pro- gesänge 1524. In Braunschweig wurden 1526 Schustergeseltestsong. Am 1. Juli 1523 wurden in Brüssel reformatorisch len beim Priester angezeigt, weil sie evangelische Lieder sangesinnte Augustinermönche verbrannt. Luther war schockiert. gen. Luther nutzte auch weltliche Vorlagen. Vom Himmel Im Stil fahrender Sänger erklärte er die Gequälten zu Helden. hoch, da komm ich her (1535) lautete zuvor „Ich kumm aus Sein Lied machte die Runde: „Mit Freuden sie sich gaben drein, fremden Landen her / und bring euch viel der neuen Mär. / mit Gottes Lob und Singen. / Der Mut war den Sophisten / Der neuen Mär bring ich so viel, / mehr dann ich euch hie klein / für diesen neuen Dingen, / dass sich Gott ließ so mer- sagen will.“ Luther macht den fahrenden Sänger zum Verken.“ Gesang erwies sich als starkes Werbemittel. Weitere Lie- kündigungsengel. 1539 fügte er eine eigene Melodie hinzu. In der folgten: „Nun freut euch lieben Christeng’mein / Und lasst einer Oktave vom höchsten bis zum tiefsten Ton beschreibt uns fröhlich springen, / dass wir getrost und all in ein / mit das Lied die Niederkunft der Engel auf die Erde. Kein anderer Lust und Liebe singen“ – erschienen Ende 1523 im Nürnberger Dichter ist in evangelischen Gesangbüchern so stark vertreAchtliederbuch, der ersten reformatorischen Liedsammlung. ten wie Luther. n Vier der acht Lieder darin sind von Luther. 69


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Der Axel-Brüggemann-Kommentar

LOBET DEN GESANG! Martin Luther hat jedem Menschen eine Stimme gegeben. Die Musik war für ihn so wichtig wie der Buchdruck. Ein Erbe, das wir nicht aus der Hand geben sollten. Was sagt es eigentlich über die Musik in der Kirche aus, wenn – wie den trug, nehmen, Michael Praetorius, der für Herzog Heinrich neulich in Malmö – der Papst, ein katholischer Kardinal und zwei Julius von Braunschweig Luther-Lieder vertonte, ob wir Heinrich protestantische Pfarrer im weißen Golf-Car vorfahren, um Mar- Schütz verehren oder Johann Sebastian Bach, der ausgerechnet mit tin Luther zu ehren und aus den Boxen der Song You’ll Never Walk seiner Johannes-Passion ein Meisterwerk protestantischer Musik Alone gespielt wird? Zugegeben, Rodgers & Hammerstein ist damit schuf und den Satz von Luthers Tischreden in Klang übersetzte, ein Gänsehaut-Stück gelungen, aber es macht schon in unseren wonach „die Noten den Text lebendig machen“ – für sie alle war Fußballstadien wenig Sinn, etwa wenn Dortmund-Fans ihrem Ver- die Musik nicht allein der Geist der Kirche, sondern auch die Illusein auch in der Krise Treue schwören. Als Soundtrack der Ökumene, tration des Fleisches Jesu und Klang-Kitt im Glauben an das Gute, in der Katholiken und Protestanten Seite an Seite marschieren wol- Schöne und Hehre. Es dauerte Jahrhunderte, bis wenigstens die musikalische Ökulen, wirkt er fast absurd. Denn im Original, dem Musical Carousel, geht es eigentlich um eine schwangere Frau, der Trost versprochen mene besiegelt war. Bereits in seinem Büchlein „Aus dem Geiste der Liturgie“ machte der damalige Bischof Joseph Ratzinger keinen wird, weil ihr Mann gestorben ist. Es scheint aber auch nicht ganz leicht zu sein, Musik für das Unterschied mehr zwischen dem Katholiken Mozart und dem ProMiteinander der christlichen Konfessionen zu finden. Irgendwie testanten Bach – beide, so der spätere Papst, seien für ihn eine Art scheinen jene Zeiten noch nicht überwunden zu sein, in denen Gottesbeweis und ihre Musik die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Herrn aufzunehmen. Das die Kirchentrennung auch Musizieren, so Ratzinger, sei die Trennung des liturgischen eine Form des Gebetes, der Soundtracks bedeutete. WähBACH SCHUF AUSGERECHNET EIN Kommunikation mit Gott. Ob rend die Protestanten Bach MEISTERWERK PROTESTANTISCHER MUSIK dieser Gott nun protestantisch spielten, wurde in katholischen oder katholisch sei, spielte Kirchen Mozart gespielt. Und für ihn zunächst keine Rolle – tatsächlich gibt es Historiker, die behaupten, dass der Gesang für den Protestantismus mindestens Hauptsache, Gott werde Klang. Und damit war Ratzinger vollkomso bedeutend war wie die Erfindung des Buchdrucks. Schließlich men auf der Linie Luthers, der bereits sagte: „Der Teufel braucht haben sich die großen protestantischen Komponisten immer auch nicht alle schönen Melodien für sich.“ Vielleicht ist es eine Frage der der Philosophie Luthers verschrieben: deutsche Texte, eine musi- Zeit, bis dieser Pragmatismus des Schönen auch als Grundlage für kalische Durchdringung der biblischen Geschichte – und vor allen ein gemeinsames Abendmahl dienen kann. Und dennoch unterschied Ratzinger die Musik durchaus in Dingen: Jedes Gemeindeglied bekam eine eigene Stimme. Luther selbst wusste um die emotionale Bedeutung der Musik Kompositionen des Himmels und der Hölle: Während das Barock für die Messe und für die Massen. Lieder wie Ein’ feste Burg ist unser und die Klassik für ihn einen direkten Draht nach oben darstellen, Gott wurden, wie Heinrich Heine es formulierte, zur „Marseiller weil sie uns zur Besinnung führen, verabscheut er Rock und Pop als Hymne der Reformation“, zu Revolutionsliedern, hinter denen sich musikalische Formen der Zerstreuung und der Ablenkung. Es ist spannend, zu sehen, wie in der Kirche noch immer um die Ablassgegner im Namen Gottes vereinten. Die Musik war eine wesentliche Säule in der Propaganda der Kirchenspaltung, ein Dis- Musik gestritten wird, während die Geistlichkeit des Klangs in einer tinktionsmerkmal zwischen protestierenden Protestanten und kon- aufgeklärten Gesellschaft immer weniger Bedeutung zu haben scheint. Einer der spannendsten Interpreten Bachscher Musik ist sicherlich ventionellen Katholiken. Egal, ob wir Johann Walter, den Urvater der protestantischen der Organist Cameron Carpenter – ein ausgesprochener und kämpfeMusik, dessen Chorgesangbuch die Ideen Luthers in die Gemein- rischer Agnostiker. Für ihn ist die Orgel schon lange kein Instrument 70

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Part of the ceiling fresco depicting the Life of St John the Baptist by Mattia Preti at St John’s Co-Cathedral

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Chrismehr, das die Allmacht Gottes verkörpert, sondern lediglich eine perfekte Maschine, die nötig ist, um den perfekten Klang zu erzeu- tentum gehört, egal, ob wir glauben oder nicht, zu unserer Tradigen. „Es mag sein“, sagt Carpenter, „dass der Glaube Bach inspiriert tion, hat unsere Kultur und unsere Moral geprägt – Bach ebenso hat, aber letztlich ist alles, was wir heute haben, seine Noten – und die wie Mozart, Luther ebenso wie der Papst. Und Merkel hat nicht sind auch jenseits der biblischen Botschaft deutbar.“ Das Orgelspiel ganz Unrecht, wenn sie beobachtet, dass derzeit ausgerechnet ist für Carpenter kein Gottesdienst, sondern eine postmoderne Show, Menschen mit weitgehend unchristlichem Hintergrund (Menschen, die Menschenrechte allein auf Deutsche beziehen, bei in der Mensch und Maschine miteinander verwachsen. Allein daran, aber auch daran, dass Protestanten und Katho- denen Mitmenschlichkeit stets in nationalen, ethischen und geoliken sich zur Feier Luthers ausgerechnet auf ein Musical verstän- grafischen Grenzen gedacht wird) Luthers Idee des gemeinsamen Singens kapern. digen, lässt sich erkennen, dass ANZEIGE Hier wäre es auch an die Bedeutung und die einst der Zeit, dass sich die Kirselbstverständliche Zuordnung chen selbst mit der Bedeuder Musik zu einer Konfestung der Musik und ihrer sion heute keine gesellschaftTradition auseinandersetliche Bedeutung mehr haben. zen. Sicher, noch immer sinIst die Musik also willkürlich gen über 800.000 Menschen geworden, kann sich jeder den in über 30.000 KirchenchöKlang zu Eigen machen? Ist an ren. Gleichzeitig aber steckt der aktuellen Bedeutung und die Kirchenmusik in einer der Lesart der Musik nur der Krise: Kantoren, OrganisZustand unserer Welt, die in ten und andere Kirchenmuviele Einzelgruppen zerfallen siker müssen inzwischen oft ist, abzulesen? mehrere Gemeinden paralSicher nicht! Martin lel betreuen; während vor 20 Luthers Idee der Musik als 2017 Jahren noch 85 Prozent der Sinnstiftung für die MasT E AT RU M A N O E L Kirchenmusikstellen Vollsen und als Identifikation des M A LTA zeitstellen waren, sind es Einzelnen mit einer Gruppe heute nur noch 40 Prozent, ist heute so aktuell wie je. Valletta, Maltas Hauptstadt und UNESCO-Welterbe, stellt mit ihrem sowohl an der Spitze der sogeDas einzige Problem: Diese historischen Teatru Manoel, barocken Palästen und Kirchen zum fünften Mal die Kulisse für dieses einzigartige Barockmusik-Festival. nannten A-Stellen als auch in Erkenntnis wird inzwischen der breiten Masse, dort, wo auch von jenen genutzt, denen 12. bis 28. Januar 2017 besonders viele Menschen in es nicht unbedingt um das www.vallettabaroquefestival.com.mt den Gemeinden mit Musik in Gute, um das Humanistiwww.teatrumanoel.com.mt Berührung kommen würden, sche, um die Menschenliebe wird gespart. Die Verflachung und die Liebe zu allen Mender musikalischen Qualität schen geht, so wie Jesus sie ist gerade in protestantischen predigte. Es ist schon absurd, Gottesdiensten zu beobachwenn ausgerechnet Gruppen ten, und es ist erschreckend, wie Pegida sich versammeln, For all bookings and further information: dass die Kirchen, die einst um gemeinsam WeihnachtsT: +356 2124 6389 | bookings@teatrumanoel.com.mt Horte für Uraufführunlieder zu singen und damit gen waren, Orte, an denen die Werte des „christlichen nach dem Klang unserer Zeit Abendlandes“ hochhalten wollen. Ausgerechnet die Rechte beruft sich dabei auf eine im Grunde geforscht wurde, heute lieber Popsongs auf Gitarre zupfen. Mit 1166. Teatru - Baroque Advert -sollen German eine - 90wx126h.indd 17/08/2016 Pärt 12:48 und Gubaidulina sind in den lutherische Idee: Die Ungehörten, jeder Einzelne, eigene 1Ausnahme von Penderecki, Stimme bekommen. Dass die Umsetzung der protestantischen Idee letzten Jahren kaum wegweisende Kompositionen entstanden. widerspricht, stört die Rechte wenig: Ihr Chorgesang auf den Plät- Kein Wunder, dass Kirchen, die so sträflich mit ihrer eigenen Trazen in Dresden ist nicht der Gesang individueller Geister, sondern dition umgehen, für einen Festakt der Ökumene nichts anderes der Wutgesang einer Masse, deren Chorleiter den Weg diktiert – die einfällt als You’ll Never Walk Alone! Wenn wir in diesen Wochen und Monaten also nicht nur das Weihnachtslieder der Pegida haben vielleicht christlichen Ursprung, Weihnachtsfest begehen, sondern auch den Geburtstag Luthers sind aber ein Verrat an ihrer christlichen Idee. Es ist viel über Angela Merkel gelacht worden, darüber, dass sie feiern, könnte das Anlass sein, dass wir die Bedeutung der Musik in einer Rede sagte: „Man muss ja nun wirklich nicht zu Pegida und wieder ins Zentrum christlicher, aber auch gesellschaftlicher Werte AfD gehen, um christliche Weihnachtslieder singen zu dürfen.“ Mer- rücken: Luther hat erkannt, dass das gemeinsame Singen eine Mögkel fragte zu Recht: „Wie viele von uns tun denn das noch auf den lichkeit ist, jedem Menschen eine Stimme zu geben. Bereits vor Weihnachtsfeiern unserer Kreisverbände? Und wo läuft (statt christ- Jahrzehnten haben die christlichen Konfessionen festgestellt, dass licher Lieder) irgendein Tammtammtamm oder Schneeflöckchen, Musik – egal, ob sie von Bach oder Mozart stammt – Einheit stiften Weißröckchen? All das erinnert ein bisschen an den alten Ratzin- kann, und ja: Selbst für Atheisten und Agnostiker spielt christliche ger, für den Helene Fischer vielleicht ebenfalls aus der Hölle kommt. Musik zumindest eine traditionelle Rolle. Angela Merkel hat Recht: Aber Merkel fragt durchaus zu Recht: „Wie viele christliche Weih- All das sollten wir uns nicht von anderen aus den Händen nehmen nachtslieder bringen wir denn unseren Kindern und Enkeln bei?“ lassen. Musik bedeutet Menschlichkeit – und es ist christlicher und Ihre Befürchtung ist, dass uns durch den Verlust unserer christlichen nicht-christlicher Auftrag, mit diesem Erbe verantwortungsvoll, demokratisch und humanistisch umzugehen. Tradition auch „ein Stück Heimat verloren geht“. ■ 71


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WOHER KOMMT EIGENTLICH ... „Vom Himmel hoch ...“? VON STEFAN SELL

Alle haben sie es gespielt, variiert, bearbeitet und neu komponiert: Hassler, Prätorius, Schütz, Schein und Pachelbel, die Liste scheint endlos. Für Bach waren Melodien, die solche Möglichkeiten bargen, nicht unantastbar. Er zeigte in seiner ganzen Kunst des Kontrapunkts mit „Einige canonische Verænderungen / über das / Weynacht-Lied: / Vom Himmel hoch da / komm ich her. / vor die Orgel mit 2. Clavieren / und dem Pedal“, wie tastbar seine „Veränderungen“ sein konnten. Für das Weihnachtsoratorium verwendete er Vom Himmel hoch ... gleich dreimal: Ach, mein herzliebes Jesulein, Schaut hin, dort liegt im finstern Stall und Wir singen dir in deinem Heer. Hatte Bach das Werk 1748 in Sachen Kontrapunkt eigentlich schon auf den Punkt gebracht, gedachte der Bachverehrer Strawinsky 200 Jahre später, mit seinen Choralvariationen über das Weihnachtslied „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ für Chor und Orchester nach J. S. Bach (1955/56) durch weitere Kontrapunkte zu punkten. Als Mendelssohn mit der Matthäus-Passion eine Renaissance der Werke Bachs auslöste, führte seine Beschäftigung mit Bachs Kompositionen zu verschiedenen Bearbeitungen von Chorälen und Kantaten. Zum Jahreswechsel 1831 weilte er in Italien, wo ihn „ein kleines Büchlein mit Luther’s Liedern“ begleitete. Mendelssohn hatte sich vorgenommen: „da will ich viel Komponieren“ und schuf eine Choralkantate des Weihnachtsliedes, die im Schlusssatz zum barockhaft opulenten Breitwandformat kulminiert. 1914 verfasste Max Reger für seine „30 kleinen Choralvorspiele“ op. 135a ein Choralvorspiel, nachdem er elf Jahre zuvor eine Choralkantate aus der unsterblichen Melodie kreiert hatte. Doch woher kommt eigentlich eines der populärsten Weihnachtslieder? Zur Reformationszeit wurde Vokalmusik häufig mit Laute begleitet, bevor das Cembalo ihr den Platz nahm. Luther spielte Laute, an die 40 Lieder hat er komponiert. Meistersänger Hans Sachs verlieh ihm den Titel „Wittenbergische Nachtigall“. Eines der „Nachtigall“-Lieder wurde etwas Besonderes. Es war Weihnachten 1535. Luther hatte die Bibel bereits übersetzt, da suchte er nach einer Idee für ein passendes Weihnachtslied für seine Kinder. Ein Krippenspiel sollte aufgeführt werden, etwas Szenisches wäre schön. In Sprachgewalt erprobt, nahm der Reformator dazu ein beliebtes Reigenlied, das üblicherweise mit verteilten Rollen auf einer Sommerwiese tanzend gesungen wurde. Das Lied 72

hieß Ich kumm auß frembden landen her und bring euch vil der newen mär. Es war ein Kranz- und Rätsellied, bei dessen Singen man hoffen konnte, ein „Kränzlein“ zu gewinnen, wenn man das Rätsel löste. Schließlich und endlich aber geht es in diesem Lied darum, dass ein junger Mann um eine Jungfrau wirbt, was damals, so scheint’s, so heikel war, dass dies Lied hier und da verboten wurde. Noch 1866 erkannte Ludwig Uhland, dass „an dem abendlichen Ersingen des Kranzes auch eine verfängliche Deutung haftet“. Luther konnte gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen hatte er ein Lied, das jeder kannte und alle singen konnten, zum anderen konnte er ein Lied mit „verfänglicher Deutung“ in ein geistliches Lied mit Weihnachtsbotschaft verwandeln, war er doch der Meinung, „der Teufel brauche nicht alle schönen Melodien für sich allein zu besitzen“. Gleich in der ersten Strophe fand er all das, was er suchte: „Ich kumm aus fremden Landen her und bring euch viel der neuen Mär der neuen Mär bring ich so viel mer dann ich euch hie sagen will“ und machte daraus: „Vom Himmel hoch da komm ich her. Ich bring’ euch gute neue Mär, Der guten Mär bring ich so viel, Davon ich singn und sagen will.“ Die Eingangsformel war etwas, mit der das fahrende Volk die Leute auf den Märkten zusammentrommelte, um sie mit Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch zu unterhalten. Geschickt montierte Luther den Text um und ließ sich aus seiner frisch übersetzten Bibel von der Weihnachtsgeschichte nach Lukas (2,8–14) inspirieren. Jetzt klang es nach Verkündigung und Gotteslob. 15 Strophen wurden es, er nannte es „Kinderlied auff die Weihenachten“. Die Melodie aber, wie wir sie heute kennen, schrieb Luther erst vier Jahre später dazu. Aus der einstigen Kontrafaktur war ein eigenständiges Lied geworden: Vom Himmel hoch da komm ich her. Wer zu Weihnachten wieder einmal in Engelbert Humperdincks Oper Hänsel und Gretel geht, darf sich darauf freuen, im Melodieverlauf des Abendsegens ein Hauch von Luthers wundervollem Weihnachtslied zu hören. Man achte auf Takt drei und vier. n www.crescendo.de

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REISE & KULTUR Ein crescendo Themenspecial // Winter 2016 / 2017 Stadt – Feiern Sie ein musikalisches Osterfest in Aix-en-Provence | Land – Festivalfrühling im Fürstentum ­Monaco an der Côte d’Azur | Fluss – Entdecken Sie die „Romantic Cities“ zwischen Rhein und Mosel

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Das winterliche Salzburg mit Blick auf die Festung Hohensalzburg © Tourismus Salzburg GmbH; Schloss Hellbrunn

WINTERZAUBER In der Adventszeit präsentiert sich das romantische Salzburg von seiner beschaulichsten Seite. Auf Musik muss man aber in keiner Saison verzichten.

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enn die idyllischen Christkindlmärkte zu einem biläum. Dirigent Christian Thielemann und Intendant Bummel durch Salzburg einladen, stimmt sich Peter Ruzicka knüpfen zu dem Anlass an die Traditidie Festivalstadt bereits auf die nächsten mu- on Herbert von Karajans an. Vera Nemirovas Neuinsikalischen Höhepunkte ein. Das Adszenierung schließt das ikonenhafte Bühnenbild und die Ausstattung von ventsingen im Großen Festspielhaus – in Hellbrunner Adventzauber 1967 ein. Viele aus Bayreuth bekanndiesem Jahr zum 70. Mal – bietet einen Vorgeschmack auf die Mozartwoche von te Starsänger werden hier zu erleben 26. Januar bis 5. Februar. Wer noch ein sein. Und bei den Pfingstfestspielen Weihnachtsgeschenk sucht, kann seiim Juni entführt die künstlerische Leiterin Cecilia Bartoli das Publine Lieben mit einem Kulturwochenende in Salzburg erfreuen. Die Musik des kum zu einer musikalischen Schottberühmtesten Sohns der Stadt steht auch landreise. diesmal im Zentrum der hochkarätig beMit ihren zahlreichen Sehenssetzten Konzerte. Marc Minkowski, künstlerischer Leiter würdigkeiten hat die als UNESCO-Weltkulturerbe der Mozartwoche, dirigiert eine theatralische Aufführung ­geschützte Stadt an der Salzach das ganze Jahr über des berühmten „Requiems“. Ein weiterer Schwerpunkt Saison. liegt auf Joseph Haydn, von dem populäre Werke wie die Der Salzburg-Liebhaber kann unter www.salz„Sinfonie mit dem Paukenschlag“ oder die glanzvolle „Nel- burg.info/pauschalen verlockende Packages buchen für das Wochenende zu zweit oder die Kulturreise für die sonmesse“ aufgeführt werden. Im April feiern die Salzburger Osterfestspiele ganze Familie. Vielfältige Möglichkeiten, um das baromit Richard Wagners Oper „Die Walküre“ ihr 50. Ju- cke Juwel neu zu entdecken oder wieder zu besuchen.

Informationen Tourismus Salzburg Auerspergstraße 6 5020 Salzburg Telefon +43-(0)662-88 98 70 www.salzburg.info

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Kultur in Salzburg www.salzburgeradventsingen.at www.christkindlmarkt.co.at www.hellbrunneradventzauber.at www.mozarteum.at www.osterfestspiele.at www.salzburgfestival.at

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© Simon Fowler; Caroline Doutre

R E I S E   &   K U L T U R

Der Place d’Albertas in Aix-en-Provence in der Architektur des 18. Jahrhunderts Renaud Capuçon

OSTERN IN SÜDFRANKREICH Große Interpreten sind beim Festival de Pâques in Aix-en-Provence zu erleben. Auch im Frühjahr besticht die Universitätsstadt durch Charme und französische Lebensart.

Festival de Pâques 10. bis 23. April 2017 Grand Théâtre de Provence 380 Avenue Max Juvénal F -13100 Aix-en-Provence Tickets +33-(442)-91 69 69 www.festivalpaques.com

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Sauveur „Stabat Mater“ von Pergolesi auf. Philippe Herreweghe dirigiert Bachs Matthäus-Passion unter Mitwirkung namhafter Solisten und des Collegium Vocale Gent. Bei Konzerten der Bamberger Symphoniker, des Chamber Orchestra of Europe, des Orchestre National de France und des Royal Philharmonic Orchestra stehen Werke vom Barock bis zur Moderne auf dem Programm. Auch bekannte Pianisten wie Nelson Freire, András Schiff, Khatia Buniatishvili oder Jean-Yves Thibaudet sind dabei. Kammermusik mit Capuçon und seinen Freunden kommt ebenfalls nicht zu kurz. Unter der milden Frühlingssonne lädt die Geburtsstadt des Malers Paul Cézanne zwischendurch zu einem Bummel über typische Straßenmärkte ein. Dort lassen sich köstliche Spezialitäten aus der Region probieren, etwa das Konfekt „Calissons“ mit Mandeln, kandierten Melonen und Orangen oder einfach nur ein Glas Roséwein.

© Caroline Doutre

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nmitten in einer zauberhaften Landschaft liegt die südfranzösische Stadt Aix-en-Provence mit ihren prächtigen Barockpalästen, baumbestandenen Plätzen und gemütlichen Cafés. Und nicht nur im Sommer spielt dort die Musik. Dank des Engagements des Gründungspartners des Osterfestivals, der CIC Bank, kann jedes Jahr ein hochkarätiges Programm konzipiert werden. Unter der künstlerischen Leitung des Geigers Renaud Capuçon zieht das Festival von Jahr zu Jahr mehr Gäste an. Zum 450. Geburtstag des italienischen Komponisten Claudio Monteverdi eröffnen Sir John Eliot Gardiner, die English Baroque Soloists und der Monteverdi Choir die fünfte Festivalausgabe mit der Oper „Il ritorno d’Ulisse in patria“. Passend zur Osterzeit sind an mehreren Abenden geistliche Vokalwerke zu hören. Die Countertenöre Valer Sabadus und Christophe Dumaux führen mit der Cappella Gabetta in der gotischen Kathedrale Saint-

Orpheus Opernreisen Individuelle Opern- und Konzertreisen für anspruchsvolle Musikliebhaber. Spezielle Arrangements zum Festival. Beratung und Buchung: +49-(0)89-383 93 90 www.orpheus-opernreisen.de

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© Nils Hasenau; Jörg Lehmann

Vintage, gepaart mit modernem Design, sorgt in der „Colette“ für ein zeitgemäßes Ambiente Jahrgangssardine

FRANZÖSISCHES FLAIR IN KONSTANZ Spitzenkoch Tim Raue erobert den Bodensee mit seinem Brasserie-Konzept in der Tertianum Premium Residence.

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ach München und Berlin eröffnete der vielfach ausgezeichnete Sternekoch Tim Raue nun auch in der größten Stadt am Bodensee eine klassisch-französische Brasserie. Das „Colette Tim Raue“ haucht den ehemaligen Räumlichkeiten des Gasthaus ­K rone, eines langjährigen Traditionslokals Badens, neues L ­ eben ein. Die Innenausstattung, von den Berliner Architekten Ester Bruzkus und Patrick Batek entworfen, schafft eine Wohlfühlatmosphäre, die Jung und Alt gleichermaßen anspricht: Leger und stilvoll reihen sich klassische Brasserie-Elemente in der Ausstattung aneinander. „Boeuf Bourguignon mit Speck, Champignons und Schalotten“, „Pot au Feu mit Gemüse und Kräutern“ oder „Bouillabaisse, Croûton & Rouille“ sowie die „Madame Colette Crêpes“ auf der Speisekarte sind die kulinarische Umsetzung des räumlichen Konzepts, das erwarten lässt, dass sich die Brasserie zu einem neuen Lieblingsplatz für Genießer am Bodensee entwickeln wird. Das Colette gehört zu den Tertianum Premium Residences, einer Wohnresidenz mit exzellentem Service und anspruchsvollem Angebot aus den Bereichen Gesundheit und Aktivität, Kulinarik und Genuss sowie Kultur und Reisen, mit Dependancen in Berlin, München und Konstanz. Brasserie Colette Tim Raue Brotlaube 2a 78462 Konstanz Telefon +49-(0)7531-128 51 07 Öffnungszeiten: Mi–So 12–15 & 18–23 Uhr www.brasseriecolette.de

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© JCVINAJ; Visitmonaco

Grimaldi-Forum am Strand-Quartier: Spielstätte der Festivaleröffnung am 17. März 2017

Opéra de Monte-Carlo

FRÜHLING AN DER RIVIERA Printemps des Arts de Monte-Carlo: Ein traditionsreiches Musikfestival mit neuen Akzenten

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Informationen Musikfestival Printemps des Arts de Monte-Carlo 12 Avenue d’Ostende 98000 Monaco Telefon +377-93 25 54 04 verdure.sophie@printempsdesarts.mc www.printempsdesarts.mc

© Visitmonaco

© JM Emporte

n Deutschland ist es oft noch winterlich, wenn das Fürstentum Monaco an der Côte d’Azur hochkarätige Konzert- und Musikaufführungen bei milden Temperaturen bietet. Französische Renaissancemusik, der Komponist Hector Berlioz und ein Pianozyklus mit u. a. Hélène ­Grimaud stehen im Fokus des 33. Festival Printemps des Arts de Monte-Carlo.Vom 17. März bis 8. April präsentieren sich jeweils an den Wochenenden renommierte Künstler und Klangkörper sowie junge Talente. Zur Eröffnung spielt das hr-Sinfonieorchester unter Andrés Orozco-Estrada Berlioz’ „Symphonie fantastique“. Mit Konzerten, Klavierrecitals, Oper und Tanz spannt das Festival einen weiten Bogen vom 11. bis zum 21. Jahrhundert. Auch außereuropäische Musikkulturen bilden einen Schwerpunkt. 2017 treten das kongolesische Orchestre Symphonique Kimbanguiste und das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo gemeinsam auf. So fusionieren zwei

Kulturen auf der Bühne in einem Konzert unter den Dirigenten Armand Diangienda Wabasolele und Julien Leroy. Neben traditionellen Musikorten wie dem Opernhaus, dem Grimaldi Forum oder dem Auditorium ­Rainier III. werden das Ozeanografische Museum, der Yacht Club Monaco und die Villa Ephrussi de Rothschild auf dem Cap Ferrat zur Konzertbühne. Auf dem Platz vor dem Spiel­ casino startet außerdem eine Überraschungstour quer durch Monaco mit Musik von Bach bis zur Gegenwart. Internationale Reiseveranstalter haben Packages zum Festival für Kurzurlauber im Programm. Diese umfassen Eintrittskarten für Konzerte, Ausstellungen, Vorträge und Cocktailempfänge sowie die Unterbringung in erstklassigen Hotels. Von Monaco aus können Besucher die touristisch attraktive Region von Cannes über Nizza bis Menton sowie das Hinterland der französischen und italienischen Riviera entdecken. Das Festival Schirmherrschaft: I.K.H. die Prinzessin von Hannover • jährlich von Mitte März bis Mitte April • Musikrepertoire vom 11. bis 21. Jahrhundert • über 500 Künstler aus der ganzen Welt • ein Dutzend Spielstätten in und um Monaco • NEU: das festivaleigene CD-Label! • ein Leitmotiv: Miterleben!

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Die Schallplatte erlebt einen neuen Boom

Impressum Verlag Port Media GmbH Rindermarkt 6, D-80331 München www.crescendo.de E-Mail: info@portmedia.de Telefon +49-(0)89 74 15 09-0 Fax +49-(0)89 74 15 09-11 Herausgeber Winfried Hanuschik (v.i.S.d.P)

mposant ragt der Loreley-Felsen inmitten malerischer Rheinkurven in die Höhe. Die Legende von der schönen Zauberin, die Schiffer mit ihrem Gesang ins Verderben stürzt, lockt Touristen aus aller Welt in das Obere Mittelrheintal. Ein idealer Ausgangspunkt für die Erkundung der als UNESCO-Welterbe geschützten Landschaft ist Koblenz. Eine Seilbahn führt hinauf zur Festung Ehrenbreitstein, dem größten militärischen Bollwerk nach Gibraltar. Von dort aus blickt man auf das Deutsche Eck, wo Rhein und Mosel zusammenfließen. Koblenz ist einer von acht Partnern im Städteverbund „Romantic Cities“, der Besuchern der Region Kultur und Kulinarik nahebringen will. Bei einer Sonderschau im Landesmuseum Mainz präsentiert die Generaldi-

rektion Kulturelles Erbe RheinlandPfalz ab Frühjahr 2017 spektakuläre archäologische Funde. Im international renommierten Netzwerk „Great Wine Capitals“ repräsentiert die Stadt das größte deutsche Weinanbaugebiet Rheinhessen. Ein guter Tropfen lässt sich auch auf einem der vielen Feste in der historischen Altstadt von Neustadt an der Weinstraße genießen. Zu einer Begegnung mit der deutschen Geschichte laden nicht nur die prächtigen romanischen Kaiserdome in Mainz, Worms und Speyer, sondern auch die von den Römern gegründete Stadt Trier ein. In Trier kann man außerdem einen der stimmungsvollsten Weihnachtsmärkte besichtigen. Rund um das Jahr bieten die Edelsteinmanufakturen in Idar-Oberstein erlesene Geschenke für alle Anlässe.

INFORMATIONEN Städte zwischen Rhein & Mosel (Romantic Cities) c/o Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH Telefon: +49-(0)261-91 52 00 E-Mail: info@romantic-cities.com www.romantic-cities.com

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Redaktion Petra Lettenmeier Autor Corina Kolbe Artdirector Sven Kretzer Schlussredaktion Maike Zürcher Anzeigen Liselotte Richter-Lux, Petra Lettenmeier, Heinz Mannsdorff www.crescendo.de/media E-Mail: anzeigen@portmedia.de Telefon +49-(0)89 74 15 09-20 Fax +49-(0)89 74 15 09-11 Verbreitung Reise & Kultur erscheint in der ­Gesamtauflage von crescendo, in Teilauflagen von Italien-Magazin, Frankreich-Magazin und DIE ZEIT und ist bundesweit in ausgewählten Reisebüros erhältlich. Verbreitete Auflage 132.000 Expl. crescendo Themenspecials unterliegen der Auflagenkontrolle durch die IVW Druck Westermann, D-38104 Braunschweig

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L E B E N S A R T

DER MÜLLER-THURGAU AUS SACHSEN-ANHALT Welcher Wein passt zu Martin Luther? Unser Experte weiß es und reist für uns in dessen Heimat.

Klar, auch hier geht es noch einmal um den Müller-Thurgau, benannt nach ihrem Ent- Müller-Thurgau inzwischen sogar in Länberühmtesten Protestanten, doch Martin decker, Hermann Müller aus dem Schwei- dern wie Slowenien und Luxemburg (dort Luther war nicht unbedingt Weinkenner, zer Kanton Thurgau. Müller (1850 –1927) wird er als Rivaner bezeichnet) oder Neusondern in erster Linie ein großer Biertrin- kreierte einen Riesling mit hervorragender seeland, Ungarn und Schweiz (wo er als ker. Und seine Liebe für den Gerstensaft Aprikosennote, gemischt mit grünen Apfel- Riesling-Silvaner verkauft wird), und überkann man sehr schnell mit einem seiner und Pfirsicharomen und der frühen Reife all erkennt man ihn an seiner fruchtigen eines Silvaners. Diese wurde Ende des 20. Note und Frische. Manche Winzer in SüdtiZitate zusammenfassen: „Derjenige, der Jahrhunderts schnell zur beliebtesten rol und im Friaul (vor allem das tolle WeinBier trinkt, wird schnell schlafen und Rebsorte im deutschen Weinanbau. gut Pojer & Sandri) produzieren aus dieser wer lange schläft, sündigt nicht; wer Dieser Wein verfügt nicht über die Sorte auch echte Spitzenweine. Sogar in nicht sündigt, kommt in den Himmel!“ England wird die Sorte Vielleicht ist es auch interessant zu wisangebaut und erfreut sich sen, dass Catherine, Luthers Ehefrau, DER MÜLLER-THURGAU TEILT großer Beliebtheit. in der hauseigenen Badewanne Bier Aber, um bei Luthers braute. MIT DEM PROTESTANTISMUS AUCH Heimat nahe Eisleben zu So wie sich das Christentum erst DIESEN EUROPÄISCHEN ALTE WELTbleiben, empfehle ich den entwickeln musste, reformierte sich ANSPRUCH auch vom Preis her sehr ja auch die Kreation alkoholischer angenehmen Kloster Getränke. Doch welcher Wein passt Pforta Müller-Thurgau. zur Reformation und ihrer Musik, Komplexität alter Jahrgangsweine, Das Kloster Pforta Weingut gehört übridie vor allem mit Mendelssohn aber er ist sehr zugänglich für eine gens dem Land Sachsen-Anhalt selbst und Bartholdy und Johann Sebastian große Zielgruppe – so wie der Pro- ist voller Geschichte: Im Jahr 1154 beganBach verknüpft ist? testantismus es ja auch irgendwie nen die Mönche dieses Klosters im Gebiet Geografisch muss man – Pfortenser Köppelberg bereits, Wein anzusein musste. finde ich – da in Luthers Heimat Er teilt mit dem Protestantis- bauen. Dieses Gebiet ist noch heute eines Sachsen-Anhalt. Die nördlichste mus auch diesen europäischen der populärsten Weinanbaugebiete SachWeinregion Deutschlands ist „Alte-Welt-Anspruch“. Es gibt den sen-Anhalts. Santé. bekannt für ihre Weißweinsorte n

John Axelrod ist Musical Director des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher („Wie großartige Musik entsteht ... oder auch nicht. Ansichten eines Dirigenten“) und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. 81


H O P E

T R I F F T

Die Daniel-Hope-Kolumne

GUTER SERVICE

Daniel Hope: Tom, sollen wir auf Deutsch oder Englisch miteinander reden? Tom Service: Lieber Englisch, aber ich kann auch ein bisschen Deutsch, ich habe es sogar in der Schule gelernt und dann habe ich auch noch mal einen Sprachkurs in Wien gemacht. Da fällt mir gleich eines der Konzerte ein, die mich in meinem Leben mit am meisten berührt haben: das Stück Ekklesiastische Aktion von Bernd Alois Zimmermann, dirigiert von Hans Zender und ganz vielen bekannten Musikern. Es besteht ja nur aus einem Satz! Und das im Konzerthaus in Wien. Wahnsinn … Du sprichst also auch noch mit einem leichten Wiener Akzent … Ja, vielleicht. Ich kann das aber nicht beurteilen. (lacht) Für mich bist du die Stimme der klassischen Musik in England, du bist Star­ moderator, du präsentierst Fernsehsendungen, du hast deine eigene BBCRadiosendung. Jetzt haben wir einen Brexit. Meinst du, das hat negative Auswirkungen auf die klassische Musik hier in Großbritannien? 82

Daniel Hope (r.) mit Tom Service in London

Nein, denn für mich hat es niemals eine so große und tolle Generation an klassischen Künstlern gegeben. Ich meine das ernst: Schau dir doch die britischen Dirigenten und Komponisten und Kulturinstitutionen an: Sie geben sich nicht damit zufrieden, den immer gleichen Besuchern das gleiche Programm runterzuspielen, sondern sie wissen, dass sie heute eine viel größere Gruppe an Klassikinteressierten begeistern müssen. Denn ich frage dich: Was ist denn sonst deine Aufgabe als Komponist oder Musiker? Da gebe ich Dir völlig Recht. Das heißt aber, du würdest gerne die zeitgenössische Musik durch neue Konzepte zugänglicher machen? Auf jeden Fall! Wichtig ist nur, dass diese Musik inhaltlich mit dem Stoff des Lebens zu tun hat. Das Problem ist, dass man immer denkt, zeitgenössische Musik sei

nur eine leere Blase und habe nichts mit dem wahren Leben zu tun. Aber das ist ein Irrtum. Ich war im vergangenen Jahr in Donaueschingen, bei den Musiktagen, das war unglaublich offen und überhaupt nicht ideologisch. Man kann dort komplett anders sein und ich fand das spannend und sehr positiv. Du bist absolut leidenschaftlich, wenn es um klassische Musik geht und bist auch mit einer der besten Geigerinnen der Welt, Alina Ibragimova, verheiratet. Sprecht ihr zu Hause auch über was anderes als Musik? Ganz ehrlich: Wir sprechen fast gar nicht über Musik. Wir haben eine wunderbare Katze, über die sprechen wir viel. Was soll man auch die ganze Zeit über Musik reden? Dann sage ich nach einem Konzert: „Ja, das hast du toll gespielt, Alina“, aber was soll sie sagen? Ich habe ja nichts gemacht (lacht). Nein, da sprechen wir lieber über andere Themen, aber es ist natürlich eine große Ehre für mich, sie zur Frau zu haben. Ich danke dir, Tom. n www.crescendo.de

Dezember 2016 – Januar 2017

Foto: privat

Unser Lieblingsgeiger und Kolumnist traf BBC-Moderator Tom Service, der ja nebenbei mit einer der besten Geigerinnen der Welt verheiratet ist.


LIVE IN CONCERT 2017 F I L M M U S I K 06.10.2017 – Nürnberg 21.10.2017 – Hamburg 26.10.2017 – Düsseldorf 29.10.2017 – München 05.11.2017 – Stuttgart 10.11.2017 – Hannover 14.11.2017 – Hamburg 18.11.2017 – Frankfurt 19.11.2017 – Berlin 08.12.2017 – Augsburg TICKETS UNTER:

www.klassikradio.de


WEIHNACHTSLIEDER AUS DEUTSCHLAND ALS CD, DOWNLOAD UND STREAM

Ein Wintermärchen CHRISTOPH ISRAEL

MAX RAABE

WEIHNACHTSLIEDER AUS DEUTSCHLAND

GREGOR MEYLE

DEUTSCHES FILMORCHESTER BABELSBERG

CASSANDRA STEEN

MAX RAABE GREGOR MEYLE KATHARINA THALBACH CASSANDRA STEEN THOMAS QUASTHOFF ALBRECHT MAYER

KATHARINA THALBACH

ALBRECHT MAYER

THOMAS QUASTHOFF

EINE WUNDERVOLLE SAMMLUNG TRADITIONELLER DEUTSCHSPRACHIGER WEIHNACHTSLIEDER NEU ARRANGIERT VON CHRISTOPH ISRAEL INSTRUMENTIERT VOM DEUTSCHEN FILMORCHESTER BABELSBERG WWW. WINTERMAERCHEN. INFO


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