CLASS aktuell 1-2009

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2009/1

C LASS AKTUELL

CLASS a k t u e l l Association of Classical Independents in Germany

Noch Fragen? Beethoven und Mendelssohn mit dem Beethoven Quartett

Prinz Louis Ferdinand von Preußen Der Abschluss einer Erfolgsserie

Musik aus der Heide Mittelalterliches aus den Klöstern der Lüneburger Heide

So jung im Herzen … Sir Roger Norrington feiert seinen 75. Geburtstag

Historische Orgel in neuer Schönheit Ullrich Böhme spielt Sauer-Orgel der Leipziger Thomaskirche

Happy Birthday, Chandos Das britische Erfolgslabel wird 30 Jahre alt

Joseph Haydn Baumeister einer Epoche

Interview mit FRIEDRICH KLEINHAPL


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05.03.2009

12:01 Uhr

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...16 klassische audiophile Hörbeispiele

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ES FERENC E R L A CLASSIC

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Leidenschaftlich! Pasticcio, Intermezzo, Furioso, New Dimension, Inspirations – die audiophilen Klangsammlungen von MDG haben absoluten Sammlerwert unter den Audiophilen und genießen Referenzcharakter bei den klassischen Soundingenieuren. Nun steht appassionato bereit, um mit feinsten, natürlich aufgenommenen Klangbeispielen jede Audio-Kette musikalisch auf den Prüfstand zu schicken oder einfach musikalisch zu erfreuen.

Überwältigend! „Die Botschaft ist klar: Dabringhaus und Grimm steht für exquisite Interpretation und geniales Klangkonzept. Seit 1978 entdecken die Tonmeister und Produzenten Werner Dabringhaus und Reimund Grimm klassisches Repertoire vom Allerfeinsten. Die Tonmeister von MDG haben in ihrer langen und erfolgreichen Zeit klanglich Überwältigendes eingespielt. Einige der Perlen haben sie nun zusammengefasst…“ (Stereoplay) Philosophisch! „Die Produktionsphilosophie dieser kleinen, aber feinen Firma ist kurz umrissen: so wenig Gerät wie möglich für soviel natürlichen Klang wie möglich. ‚Verschlimmbesserer’ wie Filter, Nachhallgerät, Regelverstärker u.a. sind tabu, aufgenommen wird mit sowenig Mikrofonen wie möglich in einem jeweils geeigneten Raum.“ (Tonmeisterinformation)

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm Tel. 05231-93890 Alle 16 Titel sind für begrenzte Zeit zum Sonderpreis im Fachhandel erhältlich!

Vertrieb: Codaex Deutschland GmbH Tel. 089-82000233 - Fax 089-82000093 Gramola Wien: klassik@gramola.at MusiKontakt Zürich: info@musikontakt.ch


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CLASS a k t u e l l iat ion of soc Cl As

Im Vorwort eines Klassikmagazins rechnet der Leser mit Namen wie Karajan und Callas,

CLASS aktuell 1/2009

Paganini und Pavarotti, Villazón und Villa-Lobos. Ich möchte zur Abwechslung mal einen

Inhalt

ganz anderen Namen ins Spiel bringen: Freddy Breck. Der hat so Schnulzen gesungen

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wie „Bianca“ und „Rote Rosen“ – und ich sehe schon, wie sich Leser und Leserin mit

Interview mit dem Cellisten Friedrich Kleinhapl

Grausen abwenden. Selbst wenn ich hinzufüge, dass viele von Freddy Brecks Schlagererfolgen auf klassischen Melodien beruhen, will das Naserümpfen auf des Lesers

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Riechorgan nicht weichen. Freddy Breck und die Klassik: Das ist wie Bierbrauwasser, beworben mit Edvard Griegs „Morgenstimmung“. In jeder Hinsicht geschmacklos.

Micky Maus und Kaffeelikör

Schwingung direkt ins Herz

Musik aus der Heide Die Klostermusik der Lüneburger Heide

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Prinz Louis Ferdinand von Preußen Der Abschluss einer Erfolgsserie

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Die Dimension des Göttlichen Das Trio Cantraiano erweckt uralte Sonnengesänge zu neuem Leben

Nun muss ich Sie aber bitten zu bedenken: Nicht jeder Mensch genießt das Glück, einen Konzertmeister zum Vater zu haben. Nicht jedes Kindergartenkind wird vom Babyschnuller direkt an die Blockflöte umgewöhnt. Nicht jeder Teenie wird am Wochenende von einer

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Hardy Rittner spielt Brahms im Originalklang

bildungsbeflissenen Erbtante ins Sinfoniekonzert verschleppt. Mit anderen Worten: Es gibt Menschen, für deren musikalische Erleuchtung erst ein Freddy Breck daherkommen musste – so wie einst Johannes der Täufer den Messias ankündigte. Warum sonst sollte

Bravourstück

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Mitten wir im Leben sind Siebenbürgische Passionsmusik

jemand auf die Idee verfallen, ein Stück mit dem todlangweiligen Titel „Capriccio Italien“ 11

auszuchecken, wenn nicht, um darin die „Bianca“-Melodie zu suchen?

Stefan Irmer präsentiert Sigismund Thalberg

Überhaupt Tschaikowsky: Kann einem jungen Menschen irgendetwas spießiger, uncooler, prätentiöser erscheinen als Tschaikowsky? Nie hätte ich als Rockmusik-begeisterter

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Vicky Leandros’ Schmachtschlager von den wilden Schwänen („Tanz der Schwäne“ aus 21

aber man konnte ihnen nicht entkommen. So wenig wie der Brauwasserwerbung.

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Noch Fragen? Beethoven und Mendelssohn im Dialog mit dem Beethoven Quartett

Wie hätte ich dem wilden Ginastera jemals begegnen sollen ohne den Eklektizisten Keith Emerson? Die Bekanntschaft mit Dukas’ Impressionismus verdanke ich dem Zauberlehrling Micky Maus. Borodins russischen Charme vermittelten mir die Broadway-Autoren

Historische Orgel in neuer Schönheit Ullrich Böhme spielt restaurierte Sauer-Orgel der Leipziger Thomaskirche

Viele Wege führen zur klassischen Musik. Und dass man auf verschlungenen Pfaden oft interessantere Entdeckungen macht als auf viel befahrenen Autobahnen, das weiß jeder.

So jung im Herzen … Sir Roger Norrington feiert seinen 75. Geburtstag

„Exposition“ (mit einem Thema aus „Romeo und Julia“). Nicht unterschlagen darf ich Schwanensee) und eben Freddy Brecks „Bianca“: Ich habe sie wahrscheinlich gehasst,

High End 2009 Leistungsschau der Edel-Elektronik

Konzertzugabe „Nutrocker“ (Marsch aus der Nussknacker-Suite), ohne Walt Disneys Film „Fantasia“ (mit fast der kompletten Nussknacker-Suite) oder Deep Purples rockende

Joseph Haydn Baumeister einer Epoche

Teenager den Spaß an Tschaikowsky entdeckt ohne Dieter Hildebrandts Kabarettsendung „Notizen aus der Provinz“ (1. Klavierkonzert, Kopfsatz), ohne Emerson Lake & Palmers

Leichtes Spiel

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Happy Birthday, Chandos Records Das britische Erfolgslabel wird 30 Jahre alt

Wright und Forrest, die aus Borodins Melodien Musicalsongs machten, an denen selbst Jazzmusiker nicht vorbeikamen. Und für die Entdeckung von Khatchaturians BallettMelancholie stehe ich ganz in der Schuld des Filmregisseurs Stanley Kubrick sowie eines

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Neuveröffentlichungen vorgestellt von CLASS

beliebten Kaffeelikörs. Übrigens: Freddy Breck ist kurz vor Weihnachten gestorben. Ich werde ihn nicht vergessen und wünsche auch Ihnen viele Entdeckungen am Wegesrand.

Blickpunkte

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CLASS - Katalog Service Die neuen Klassik-Kataloge sind da

Ihr Hans-Jürgen Schaal

Auflage: 137.500 Titelfoto: © Christian Jungwirth · www.bigshot.at Grafik: Ottilie Gaigl CLASS Association of Classical Independents in Germany e.V. Bachstraße 35, 32756 Detmold www.class-germany.de · class@class-germany.de

AUSGABE 2009/1

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Photos: © Christian Jungwirth

FRIEDRICH KLEINHAPL

Schwingung direkt ins Herz

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riedrich Kleinhapl war im Frühjahr 2009 zu Gast im Musiksalon der Tageszeitung Die Presse im Wiener Musikverein. Im Gespräch mit Musikkritiker Dr. Wilhelm Sinkovicz entstand dabei ein aufschlussreiches Porträt des Musikers, das in der Folge auszugsweise wiedergegeben wird. Sinkovicz: Herr Kleinhapl, Sie gelten als besonders ausdrucksstarker Cellist. Was bedeutet das Violoncello für Sie?

Kleinhapl: Es ist mein Leben. Das Cello hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Seine Nähe zur menschlichen Stimme, der intensive Kontakt zum Körper des Cellisten – kein anderes Instrument wird beim Spielen so umarmt wie das Cello. Physisch wie psychisch überträgt

Friedrich Kleinhapl mit Andreas Woyke

sich seine Schwingung direkt ins Herz. Außerdem liegt es im idealen Frequenzbereich des menschlichen Ohrs, ist mit seinen klanglichen Möglichkeiten unglaublich farbenreich, vielschichtig und ausdrucksstark. Wie sind Sie zum Cello gekommen? Sie stammen ja nicht wie viele andere Musiker aus einer Musikerfamilie.

Im Haus meiner Eltern spielte ständig klassische Musik. Dabei hatte es mir als dreijähriges Kind ein altes großes Radiogerät besonders angetan. Wenn ich mich daneben ins Regal zwängte, konnte ich mein Ohr ganz nah an das Radio legen und die Schwingungen spüren. So wurde ich zur musikalischen Früherziehung gebracht. Mit 4 oder 5 Jahren hatte ich dann den Wunsch, Dirigent zu werden, wofür ich ein Streichinstrument erlernen wollte. Meine Lehrer empfahlen mir das Cello. Dabei bin ich geblieben, fasziniert von seinem Klang und seiner Wirkung. Wie ging es dann weiter?

Zuerst Konservatorium, mit 14 Jahren Wechsel an die Musikhochschule Graz. Dabei hatte ich das Glück, in den Jahren vor meinem Diplom regelmäßig Unterricht bei dem renommierten Professor Phillippe Muller in Paris zu erhalten. Nach Ende meines Studiums zog ich schließlich mit einem Stipendium für zwei Jahre ganz nach Paris, um bei Muller meine Ausbildung zu beenden.

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AUSGABE 2009/1

Er hat Sie also als Cellist maßgeblich geprägt?

Ich verdanke ihm, wie Chronopoulos und einigen anderen Lehrern, sehr viel. Außerdem hat mich Muller inspiriert, meine Technik noch einmal völlig zu verändern und meinen eigenen, persönlichen Weg zu suchen. Darüber hinaus hatte ich aber auch das Glück, vielen anderen großen Musikerpersönlichkeiten zu begegnen wie Yehudi Menuhin, Claudio Abbado, Tibor Varga. Allen voran aber dem berühmten Cellisten Paul Tortelier, der mich enthusiastisch ermutigte, den solistischen Weg einzuschlagen. Für jeden Solisten spielt Klang eine große Rolle. Doch bei Ihnen hat man den Eindruck, dass Klang so etwas wie ein Leitthema darstellt. Das geht aus den Booklet-Texten Ihrer CDs ebenso hervor wie aus Ihrer Webseite.

Schon sehr früh hat sich so etwas wie eine Klangvision in meinem Kopf festgesetzt, die ich dann durch viele Jahre wie besessen zu realisieren versuchte. Endlos habe ich dabei an meiner Bogentechnik, meinem Vibrato gearbeitet. Ebenso intensiv war aber auch die klangliche Optimierung meines Instruments. Jetzt habe ich das Gefühl, diesen Klang gefunden zu haben. Worauf führen Sie es zurück, dass Sie diese Klangvision, wie Sie es nennen, jetzt erreicht haben?

Das hängt mit dem jetzigen Instrument zusammen. Ich habe das Glück, seit 1998 auf Celli aus der Sammlung der Österreichischen Nationalbank zu spielen. Seit Juni letzten Jahres spiele ich ein Instrument, das für mich fast wie aus einer anderen Welt ist: ein Cello von Giovanni Battista Guadagnini, Piacenza 1743. Dieses Instrument war für mich von Anfang an mehr als ein Violoncello – fast wie ein Wesen mit einer ungeheuren Persönlichkeit und Kraft.


CLASS a k t u e l l Die neue Einspielung: Ludwig van Beethoven Sonaten op. 5 Nr. 1, 2 und op. 69 Ars 38 035 (HybridSACD)

Und wie versteht man sich nach sechs Jahren intensiver Zusammenarbeit, wenn man in Europa, den USA, China reist und konzertiert? Daneben haben Sie bereits Ihre fĂźnfte gemeinsame SACD verĂśffentlicht. Wie setzt sich Ihr Repertoire zusammen? Wie entwickelt es sich?

Ich konzentriere mich auf das Konzertrepertoire, die Cello solo Literatur und auf das Duo Cello-Klavier. Ich bin zutiefst Romantiker. In dieser Stilepoche ist mein Herz immer schon aufgegangen. Nach schweren gesundheitlichen Krisen in meinem zweiten Lebensjahrzehnt fand eine Ă–ffnung zur zeitgenĂśssischen Musik statt, danach zu Bachs Solosuiten. Im Augenblick entdecke ich die Klassik, die fĂźr mich als expressiven Musiker sicherlich zum Schwierigsten gehĂśrt, gleichzeitig aber auch zum Spannendsten. An Ihrem Repertoire fällt aber auch auf, dass Sie auch unbekanntere Literatur und UrauffĂźhrungen spielen.

Das stimmt. Ich habe viele Konzerte uraufgefĂźhrt, wurde daher schon als UrauffĂźhrungs-Spezialist bezeichnet. Mich interessieren aber auch selten gespielte Konzerte wie beispielsweise die von Rozsa, Rota, Honegger, Korngold oder Friedrich Gulda. Sie sind also prinzipiell offen fĂźr Neues?

Solange ich es emotional verstehe, ja. Schwierig wird es, wenn ich nur einen rationalen Zugang finde. AuĂ&#x;erdem verkĂźmmere ich emotional, wenn es keine MĂśglichkeiten gibt, das Cello klingen zu lassen. Etwas mehr Neugierde wĂźrde ich mir auch von Veranstaltern wĂźnschen. Viele groĂ&#x;e Werke weniger bekannter Komponisten werden oft nur selten gespielt. Interessante Stil Ăźbergreifende Experimente werden oft pauschal und vorschnell in die Cross-Over Ecke abgeschoben.

Wunderbar! Musikalisch sind Andreas Woyke und ich wesensverwandt in unserem expressiven und emotionalen Spiel. Da hat sich so etwas wie blindes Verständnis und Vertrauen entwickelt. Das heiĂ&#x;t, Sie finden leicht zu gemeinsamen Interpretationen?

Zumindest gibt es nur wenige Diskussionen und ErĂśrterungen bei der Erarbeitung neuer Literatur. Nach der anfänglich analytischen Auseinandersetzung kann sich eine Interpretation so meist aus sich selbst heraus weiterentwickeln und vor allem in jedem Konzert ‚neu entstehen’. Das grenzt manchmal schon an ein Mysterium des gegenseitigen Verstehens im Augenblick. Und was war Ihr bisher schĂśnstes Konzerterlebnis?

Konzerte wie in der Londoner Wigmore Hall oder im Wiener Musikverein waren sehr beglĂźckend. Herausragend war dabei sicherlich meine Begegnung mit Valery Gergiev und dem Mariinsky Orchester, mit denen ich im letzten Jahr Antonin Dvoraks Cellokonzert gespielt habe. Gergievs begeisterte Reaktion nach dem Konzert hat dazu natĂźrlich auch beigetragen.

Diese Literatur war mir immer schon sehr wichtig. Dabei lag mein Wunsch seit je her in einem festen Duo. Seit 2003 spiele ich fix mit dem deutschen Pianisten Andreas Woyke.

Joseph Haydn Die sieben letzten Worte unseres ErlĂśsers am Kreuze Anja Schiffel Cappella Coloniensis Bruno Weil ARS 38044 (2 Hybrid-SACD)

Diskographie: Schubert, Schnittke: Sonaten und Lieder Ars 38 028 (HybridSACD)

Olivier Messiaen

Franck, Rachmaninow: Sonaten

Le Banquet CĂŠleste

Ars 38 025 (HybridSACD)

J.S. Bach: Solosuiten Nr. 1, 3 und 5 Ars 38 018 (HybridSACD)

Johannes Brahms: Sonaten und Lieder Ars 38 015 (HybridSACD)

Ihrer umfassenden Diskografie ist zu entnehmen, dass das Duo Cello-Klavier fĂźr Sie eine bedeutende Rolle spielt.

Felix Mendelssohn Bartholdy Gesamtwerk fĂźr Orgel Vol. I Martin Schmeding Kuhn-Orgel der Philharmonie Essen ARS 38046 (Hybrid-SACD)

Dmitri Schostakowitsch: Sonaten Ars 38 003 (HybridSACD)

Gulda, Neumeister: Cellokonzerte

La NativitĂŠ du Seigneur Wolfgang Sieber, Kuhn-Orgel der Philharmonie Essen ARS 38037 (Hybrid-SACD) Exklusiv-Vertrieb fĂźr Deutschland:

Ars 368 403 (CD)

weitere Informationen unter: www.kleinhapl.com / www.ars-produktion.de

AUSGABE 2009/1

Note 1 Musikvertrieb GmbH

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Einspielungen auf Cantate:

God sy gelovet Kloster Lüne

Musik aus der Heide

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Loff unde ere Kloster Medingen

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Wy wullen alle vrolick syn Kloster Ebstorf

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Vorlehn uns freden gnediglich Kloster Walsrode

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Herre unser Herrscher Kloster Isenhagen

Mittelalterliche Musik aus den Klöstern Walsrode, Wienhausen, Medingen, Isenhagen, Lüne und Ebstorf in Ersteinspielung mit dem Ensemble devotio moderna unter der Leitung von Ulrike Volkhardt

m weitläufigen Gebiet der Lüneburger Heide gab und gibt es bis heute eine Reihe von Frauenklöstern, die nach der Reformation als evangelische Einrichtungen weitergeführt wurden. In den Archiven der sechs Lüneburger Klöster (bzw. in externen Bibliotheken) befinden sich zahlreiche bislang unbekannte Musikhandschriften des Mittelalters, die in ihrer Einzigartigkeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Geschichte der Klöster in der Lüneburger Heide sind. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts hatten immer wieder Musikwissenschaftler einzelne, offensichtlich besonders interessante Manuskripte beschrieben. Hierbei wurden allerdings z.B. in Unkenntnis der zeitgenössischen Notationspraxis scheinbar unnotierte Lieder mit „Neuschöpfungen“ des Editors versehen. Die Hannoveraner Musikerin Prof. Ulrike Volkhardt und die Musikwissenschaftlerin Dr. Ulrike Hascher-Burger haben nun, auf der Basis inzwischen erheblich erweiterter Kenntnisse der mittelalterlichen Musikhandschriften und ihrer Tradierung eine erste systematische Sichtung des musikalischen Materials in allen Lüneburger Klöstern vorgenommen, bei der erstaunliche Funde, vor allem an „versteckten“ Orten wie auf und in Einbänden von Rechnungs- und anderen Büchern (wiederverwertete, nicht mehr im Gebrauch befindliche Pergamente, teils aus karolingischer Zeit), gemacht wurden. Die beiden Forscherinnen haben die Musik neu transkribiert und instrumentiert. Fundierte Wissenschaft, künstlerische Praxis und Erfahrung in der Vermittlung von Inhalten beider Aspekte wirkten bei diesem Projekt in einzigartiger Weise zusammen. So wurde für die Aufnahmen der „übersetzten“ Musik sogar eigens mittelalterliches Instrumentarium rekonstruiert.

Dies war möglich, weil erstmalig auch die Ikonographie der Musikausübung systematisch erfasst wurde – die Schreiber der meist prachtvoll ausgestatteten mittelalterlichen Handschriften haben immer wieder Musiker in Aktion abgebildet – was insofern von enormer Bedeutung ist, als es im Mittelalter kaum schriftliche Hinweise zu Instrumenten und musikalischer Praxis gibt. Ausgewählte Beispiele dieser ganz besonderen musikalischen Welt werden nun, eingespielt vom Ensemble devotio moderna, auf dem Label CANTATE erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wobei jede CD unter einem eigenen Thema steht. Neben klösterlichen Tagesabläufen wird auch musikalisch jeweils eine besondere liturgische Feier zum Schwerpunkt gemacht. Die CDs sind mit ausführlichen, illustrierten Booklets ausgestattet, die in allen Aspekten über diese einzigartige Musikkultur unterrichten. Diese Reihe bietet eine einzigartige Möglichkeit, in eine uns ferne (und, bezüglich z.B. der teils heute noch gesungenen Choräle) zugleich doch so nahe Musikkultur einzutauchen. A. Rainer

Danck unde Loff Kloster Wienhausen

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AUSGABE 2009/1


CLASS a k t u e l l

Prinz Louis Ferdinand von Preußen Zum Abschluss der Serie: Trio Parnassus mit Folge 3

würde, denn noch wenige Monate vor seinem Tode publizierte er eine ganze Reihe durchweg hörenswerter, zumeist für kleinere Formationen geschriebene Kammermusiken, über deren eloquente Eigenständigkeit wir nur staunen können. Dazu gehören auch die drei auf der abschließen-

Prinz Louis Ferdinand von Preußen Andante mit Variationen op. 4, Quartett op. 5 und Larghetto op. 11 Trio Parnassus; Thomas Selditz, Viola Stanislau Anishchanka, Kontrabass MDG 303 1549 2

Foto: Wilfried Hösl

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m Herbst 2008 erhielt das Trio Parnassus den „ECHO Klassik” für seine fulminante Einspielung des Klaviertrios op. 1 und der Suite op. 23 von Erich Wolfgang Korngold, und bei den derzeit laufenden Verhandlungen um den BBC-Award gehören die drei Musiker ebenfalls zu den heißesten Anwärtern, weil ihre Auseinandersetzung mit der Kammermusik von Peteris Vasks nicht nur den lettischen Komponisten selbst über die Maßen entzückte. Was dabei ganz generell überrascht, ist das Fingerspitzengefühl, mit dem das Ensemble von Wolfgang Amadeus Mozart bis zur aktuellen Gegenwart den jeweiligen Puls der Werke ertastet und selbst solche Raritäten wie die Trio-Kompositionen von Woldemar Bargiel oder jetzt wieder Louis Ferdinand von Preußen gerade deshalb „entdeckt”, weil man nie nach unsinnigem Bedeutungsdunst strebt, sondern die Partituren ganz einfach beim Worte nimmt. So löst sich unversehens Clara Wiecks Halbbruder aus der Schulmeisterlichkeit, die ihm oberflächliche Enzyklopäden angeheftet haben, und so wird aus dem Neffen des „Alten Fritz” tatsächlich jener „Romantiker der klassischen Periode”, den der oft so treffsichere Robert Schumann in ihm erkannte. Auf zwei CDs hat das Trio Parnassus im Verbund mit einigen musikalischen Freunden die delikaten Kreationen des Hohenzollern-Prinzen bislang dargeboten. Jetzt beendet eine dritte Produktion die Serie, in der wir einen Künstler vor uns sehen, der sowohl als Schaffender wie auch als Pianist in Fachkreisen hohe Wertschätzung erfuhr und durchaus hätte stilbildend wirken können, wenn er nicht ob seines soldatischen Wagemutes im falschen Moment am falschen Ort gewesen und am 10. Oktober 1806 bei der Schlacht von Saalfeld umgekommen wäre: „In hohem Grade geistreich, von feiner Lebensbildung, voll Witz, Belesenheit und Talenten mancher Art, unter anderem für die Musik, denn er konnte auf dem Klavier für reinen Virtuosen gelten”, beschrieb General Carl von Clausewitz, der berühmte Militärstratege, den Kameraden, der da mit eben mal 34 Jahren auf dem zweifelhaften Felde der Ehre seinen schöpferischen Geist ausgehaucht hatte. Louis Ferdinand muss geahnt haben, dass er ein Opfer seines aristokratischen Berufs werden

Prinz Louis Ferdinand von Preußen Sämtliche Klaviertrios Vol. 1 Trios opp. 2 + 10 MDG 303 1347-2

Sämtliche Klaviertrios Vol. 2 Trio op. 3, Klavierquartett op. 6 Trio Parnassus, Thomas Selditz, Viola MDG 303 1361-2

Erich Wolfgang Korngold Trio op. 1 / Suite op. 23 für 2 Violinen, Violoncello und Klavier Trio Parnassus; Matthias Wollong, Violine MDG 303 1463-2

P¯eteris Vasks Klaviertrio / Klavierquartett Trio Parnassus; Avri Levitan, Viola MDG 303 1513-2 (CD) MDG 903 1513-6 (SACD)

Woldemar Bargiel Sämtliche Klaviertrios Vol.1 Trio op. 20 & op. 37 MDG 303 0805-2

Sämtliche Klaviertrios Vol.2 Trio op. 6 / Adagio op. 38 Sonate op. 10 MDG 303 0806-2

Aktuelle Konzerte: Trio Parnassus

den dritten CD des Trio Parnassus veröffentlichten Stücke, zu deren Einspielung Yamei Yu, Michael Groß und Chia Chou ihre Kollegen Thomas Selditz und Stanislau Anishchanka eingeladen haben. Und wir fragen uns unwillkürlich, was denn wohl aus diesem Prinzen geworden wäre, der irgendwo zwischen Haydn und Danzi begonnen, vor Carl Maria von Weber wie Carl Maria von Weber komponiert und gegen Ende seines kurzen Lebens expressive Regionen des Ausdrucks erreicht hat, die namentlich in dem beinahe ETA-Hoffmannesken „Kreisleriana” des Opus 11 erahnen lässt, was unter den Händen von Frédéric Chopin und Robert Schumann klingende Realität werden sollte. Eckhardt van den Hoogen AUSGABE 2009/1

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09. 25. 26. 27. 30. 03. 05. 09. 10. 12. 21.

04. 04. 04. 04. 04. 05. 05. 05. 05. 07. 08.

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23. 05. 06. 04. 18. 26.

08. 09. 09. 10. 10. 11.

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Darmstadt Münsingen Stuttgart Nagold Madlitz Warwick Southampton Nottingham London Stuttgart Santa Maria de Vilabertran, Spanien Graus, Spanien Brüssel, Flandernfestival Brüssel, Flandernfestival Usedom Festival Stuttgart Ingolstadt

Weitere Informationen: www.trioparnassus.com


Sonnengesänge Werke von Frank Michael, Michael Töpel, Jörg Duda, Thomas D. Schlee, Thomas Buchholz, Walter Steffens und Bernhard Schneyer Trio Cantraiano Brigitte Krey, Sopran, Ele Grau, Flöte Albert Kaul, Klavier

Felix Mendelssohn

Audiomax 703 1545-2

Felix Mendelssohn Sämtliche Streichquartette Oktett op. 20 Orchesterwerke arr. für Violine, Violoncello und Klavier zu 4 Händen: Die Hebriden op. 26 Sinfonie Nr. 1 op. 11 Sinfonie Nr. 5 op. 107 Ruy Blas op. 95 Leipziger Streichquartett 5 CDs MDG 307 1571-2 Limitierte Auflage UVP 39,95 EUR "exzellentes Niveau" (Fono Forum) "längst überfällig" (Ensemble) "schieres musikalisches Feuer" (NMZ) "sehr überzeugend und klangprächtig, sie sind in dieser Hinsicht sicher mit das Beste, was derzeit zu haben und zu erleben ist." (Crescendo)

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm

Vertrieb: Codaex Deutschland GmbH Tel. 089-82000233 - Fax 089-82000093 Gramola Wien: klassik@gramola.at MusiKontakt Zürich: info@musikontakt.ch

Die Dimension des Göttlichen klingt wunderbar „Trio Cantraiano“ lässt uralte Sonnengesänge und -gedichte lebendig werden

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onatelang soll der bewusst in Armut lebende und 1228 heilig gesprochene Franz von Assisi in gesuchter Einsamkeit in einer finsteren Hütte verbracht haben, als er – völlig lichtblind und Trio Cantraiano www.trio-cantraiano.de der Verzweiflung nahe – den „Sonnengesang“ dichtete. Drei Musiker setzen auf die Kraft der Sonne: Das Trio schildert das Auflodern der Empfindungen beim Cantraiano interpretiert uralte Sonnengesänge Anblick der aufsteigenden Sonne. und -gedichte, die von Komponisten des 21. JahrFrank Michael vertont in „Sonnengesänge, hunderts eigens für das Trio vertont wurden. verwehend“ Poesie von Nikolaus Cybinski, deren Brigitte Krey (Sopran), Ele Grau (Flöte, Altflöte) Knappheit und Melancholie den Komponisten und Albert Kaul (Klavier) verbinden dabei von jeher fasziniert. Der Österreicher Thomas antike Kulturen und lebendige Gegenwart und Daniel Schlee interpretiert mit seiner Komposibringen die Dimension des Göttlichen, die allen tion ein 1946 entstandenes Gedicht des Lyrikers literarischen Vorlagen immanent ist, klangvoll Reinhold Schneider. Durch die Kombination von zum Strahlen. Sopran und Altflöte kostet er die speziellen FarWalter Steffens hat Franz von Assisis „Dank ben der klanglichen Grenzbereiche des tiefen an Gott für alle seine Kreaturen“ in Annäherung Instrumentes aus und nutzt das komplette Spekan alte kirchenmusikalische Kompositions- trum der Flöte. Zwei auf zeitgenössischen Texten techniken als Bicinium für Sopran und Alt- basierende Werke von Bernhard Schneyer und flöte gesetzt. Der „Sonnen.Lieder.Zyklus“ von Michael Töpel runden eine exklusive Aufnahme Thomas Buchholz entstand nach Texten von ab, die im wahrsten Sinne unerhörte Klänge Louize Labé, Friedrich Hölderlin und Georg Heym dokumentiert. Thomas Trappmann und reflektiert die späten Sonnen der Liebe. Jörg Duda legt seiner „Es war die Nachtigall und Komposition zwei Gedichte zunicht die Lerche ...“ grunde. Der erste Gesang (nach Liebes-Lyrik und -Musik aus Eduard Mörike) beschreibt den fünf Jahrhunderten Trio Cantraiano statischen Zustand samtweicher Brigitte Krey, Sopran Stille zwischen Traum und WaEle Grau, Flöte chen vor Tagesanbruch. Das zweiGunther Friedrich, Klavier te Lied (nach Theodor Körner) Audiomax 703 1284-2

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CLASS a k t u e l l WERGO

Neu bei WERGO Helmut Lachenmann Dal niente … Kammermusik

Hardy Rittner

Bravourstück Brahms im Originalklang, kraftvoll, expressiv und mit emotionaler Tiefe

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it Brahms Vol. 1 gelang Hardy Rittner ein Paukenschlag, der in der Musikwelt äußerst positiven Widerhall fand. Nun legt der hochbegabte junge deutsche Pianist seine zweite Aufnahme mit den frühen Klaviersonaten Nr. 1 und 3 vor – auf einem bisher nicht dokumentierten, hervorragend

Johannes Brahms Frühe Klavierwerke Vol. 2 / Sonaten op. 1 + 5 Hardy Rittner, Ignaz Bösendorfer-Flügel 1849/1850 aus der Sammlung von Gert Hecher, Wien SACD: MDG 904 1538-6

Johannes Brahms Frühe Klavierwerke Vol. 1 / Sonate Nr. 2 op. 2 Variationen op. 9, Balladen op. 10 Hardy Rittner, Flügel von Johann Baptist Streicher 1851 aus der Sammlung von Gert Hecher, Wien CD: MDG 604 1494-2 / SACD: MDG 904 1494-6

restaurierten Bösendorfer-Flügel aus dem Jahr 1849/50, den der in Wien lebende Sammler Gert Hecher zur Verfügung stellte. „Ein Programm stelle ich nicht gerne fest, ohne den Saal – und hauptsächlich den Flügel zu kennen“, äußert sich Brahms in einem Brief. Dass er den zwei Jahre vorher entstandenen 235 cm Flügel des Wiener Klavierbauers Ignaz Bösendorfer mit seinem unvergleichlich erdigen, dunklen Klang sehr schätzte, ist genau so gewiss. So ist es im Sinne des 19. Jahrhunderts absolut logisch, Flügel zu verwenden, die die jeweiligen Stücke klanglich unterstützen. Unzählige Lieder, Klavierstücke und Streichquartette hatte Brahms schon komponiert, verworfen und umgehend vernichtet, bis er sich mit op. 1 erstmals öffentlich positionierte. Ganz bewusst schafft er Bezüge zu Beethoven: Hier ein Hinweis auf die „Hammerklavier-Sonate“, da werden Verbindungen zur „Waldsteinsonate“ erkennbar… Mit der f-Moll-Sonate op. 5 entwickelt Brahms die fünfsätzige symmetrische Sonatenform, die sich Bélá Bartók später mit seiner „Brückenform“ zueigen machte. Kurz vor Schluss erklingt erstmals das Motto f-a-e (Frei Aber Einsam), das für Brahms sein Leben lang von Bedeutung blieb. Und Anklänge des „Deutschlandliedes“ mögen als Signal der Hoffnung auf ein geeintes demokratisches Vaterland gelten. Hardy Rittner präsentiert auch auf seiner zweiten SACD in aufregend authentischem Klanggewand einen stürmischen Brahms, der sich immer im Grenzbereich des klanglich gerade noch Darstellbaren bewegt. Wie scheinbar mühelos der Pianist die spieltechnischen Widrigkeiten der Wiener Prellmechanik mit feinstem Klangsinn und ungebremster Musizierlust zu verbinden weiß, ist beeindruckend. Und bei jedem Wiederhören tun sich neue Aspekte auf: Bravo! Lisa Eranos

AUSGABE 2009/1

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Ignaz BösendorferFlügel 1849/50

Das Ensemble Phorminx zeigt zentrale Stationen aus dem Schaffen Helmut Lachenmanns auf: ausgehend von dem Cellosolo „Pression“ aus dem Jahre 1969 über Werke wie „Dal niente“ für Klarinette, „Toccatina“ für Violine oder „temA“ für Flöte, Singstimme und Cello bis hin zum Trio „Allegro sostenuto“ von 1986–88. Es sind Stationen, die sich in die Kontinuität seiner wichtigsten kompositorischen Frage- und Problemstellungen einreihen lassen, die aber ebenso nachdrücklich einen stets voranschreitenden Entwicklungsgang dokumentieren, der nirgendwo zum Stillstand kommt oder sich gar zu einem „Stil“ beruhigt. „Dal niente … Kammermusik“ präsentiert das Ergebnis einer engen Zusammenarbeit von Ensemble und Komponist. „Empfehlung – musikalisch wie aufnahmetechnisch auf hohem und höchstem Niveau“ (Neue Zeitschrift für Musik) „Virtuos … ein Feuerwerk der Techniken des 20. Jahrhunderts“ (Fono Forum) Vertriebe Deutschland: Note 1, 06221/720351 · info@note-1.de Österreich: Lotus Records, 06272/73175 · office@lotusrecords.at Schweiz: Tudor, 044/4052646 · info@tudor.ch

WERGO Weihergarten 5 · 55116 Mainz · Germany service@wergo.de · www.wergo.de


Mitten wir im Leben sind Siebenbürgische Passionsmusik

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lte kirchenmusikalische Traditionen leben in einer Ersteinspielung zeitgenössischer Musik wieder auf: Hans Peter Türk hat eine Karfreitags-Passionsmusik für Soli, Chor und Orgel komponiert, die seit ihrer Uraufführung vor zwei Jahren nicht nur in den protestantischen Kirchen seiner Heimat Siebenbürgen oft zu hören ist. Anklänge an 1000 Jahre Musikgeschichte ordnen sich in dem dreiteiligen Werk den Texten aus einem alten Gesangbuch unter, die aus Teilen des Matthäus-Evangeliums, Chorälen und Psalmen bestehen. Siebenbürgen ist eine alte Kulturlandschaft, deren deutsche Siedlungsgeschichte in die Zeit des Nibelungenliedes zurückreicht. Es ist ein Gebiet, in dem sich die Einflüsse mehrerer Kulturen überschneiden, und eine geistliche Landschaft, die in ihren deutschsprachigen Teilen vom Protestantismus und authentischen Musiktraditionen geprägt ist. In diesem Umfeld wuchs Hans Peter Türk auf, der früh seinen eigenen Vater verlor und sich stattdessen von einem Kirchenmusiker prägen und ausbilden ließ. Seinem großen Talent und der Fürsorge seines Mäzens verdankt es Türk, dass er trotz Rumäniens Diktatur ohne Parteimitgliedschaft promovieren und eine Stelle als Lektor für Tonsatz annehmen durfte. Erst 1990 reiste er zu Verwandten nach Deutschland, kehrte aber immer ins siebenbürgische Klausenburg zurück, wo der 68-Jährige heute als Komponist und Musikwissenschaftler lebt. Der Ursprung von Türks Passionsmusik liegt in den Dorf- und Wehrkirchen seiner Heimat, in denen traditionell Passionsmusiken aufgeführt werden. Und dennoch ist sein Werk alles andere als schlicht. Im Gegenteil: Er lässt die frühe mittelalterliche Mehrstimmigkeit anklingen, nutzt und erweitert die Formen- und Figurensprache des Barock, setzt starke Dissonanzen ein und hebt kunstvoll die Grenze zwischen Sprache und Musik auf. Große Bedeutung kommt dabei der Orgel zu.

Die Farben ihrer Register ergänzen die musikalischen Konturen von Jesus, Judas oder Pilatus, die Gewalt ihrer Klangfülle überwältigt nach nüchtern gesprochenen Textstellen und sie vermag zugleich Erinnerungen an die Flöte spielenden Hirten in den siebenbürgischen Bergen zu wecken. Die tragenden Säulen dieser Ersteinspielung, die Meißner Kantorei 1961, unter der

Hans Peter Türk (*1940) Siebenbürgische Passionsmusik für Karfreitag Solisten / Meißner Kantorei 1961 Ursula Philippi, Orgel Christfried Brödel, Ltg. MDG 902 1554-6 (SACD)

Die Meißner Kantorei 1961 unter der Leitung von Christfried Brödel Hans Peter Türk (Abb. links)

Aktuelle Konzerte: Aufführungen der Passionsmusik:

Leitung von Christfried Brödel, und die Organistin Ursula Philippi, haben auch die Uraufführung an der historischen SauerOrgel in Hermannstadt / Siebenbürgen und die deutsche Erstaufführung im März 2008 in der Dresdner Kreuzkirche mitgestaltet. Den Klangeindruck der Uraufführung gibt bei dieser Aufnahme die hervorragend klingende Sauer-Orgel (1904) in der Stadtkirche Burgstädt mit ihrer romantischen Vielfalt exzellent wieder. Eine ebenso willkommene wie faszinierende Entdeckung! Thomas Trappmann

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04. 04. 2009 Burgstädt, Stadtkirche 05. 04. 2009 Leipzig, Michaeliskirche 09. 04. 2009 Sendung der Passionsmusik im Mitteldeutschen Rundfunk a-cappella-Programm: 13. 08. 2009 Leisnig, St. Matthäi-Kirche 14. 08. 2009 Rochlitz, Kunigundenkirche 15. 08. 2009 Leipzig, Nikolaikirche Das Notenmaterial wird auf Anforderung von der Meißner Kantorei 1961 kostenlos als pdf-Datei geliefert und kann frei kopiert werden. www.meissner-kantorei.de


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Stefan Irmer liebt das Besondere und wurde als herausragender Interpret unbekannter und selten gespielter Werke der Klavierliteratur bekannt. Für seine Einspielung der späten Sonaten von Clementi bei MDG erhielt er den französischen Schallplattenpreis „CHOC“. Die Aufnahme sämtlicher Klavierwerke von Rossini verhalf ihm zum internationalen Durchbruch und wurde für die beste editorische Leistung des Jahres mit dem „Echo Klassik 2008“ ausgezeichnet.

Leichtes Spiel Stefan Irmer präsentiert Sigismund Thalberg, einen der bedeutendsten Pianisten des 19. Jahrhunderts Aktuelle Konzerte:

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ür Sigismund Thalberg war Gioacchino Rossini ein musikalischer Held. Ihm widmete der deutsche Tastenvirtuose und Komponist nicht nur zahlreiche seinerzeit kaum nachspielbare Opernphantasien, er vermochte auch dessen meisterhaften Gesangsstil wie kein anderer aufs Klavier zu übertragen. Wen wundert es, dass sich Stefan Irmer von diesem italienischen Einfluss in Thalbergs Musik inspirieren lässt, um den erfolgreichen Aufnahmen sämtlicher Klavierwerke Rossinis nun eine furiose Ersteinspielung der Etüden von Sigismund Thalberg folgen zu lassen. An Thalberg kam Mitte des 19. Jahrhunderts in der adeligen Musikwelt Europas kaum jemand vorbei. Es war die Zeit der reisenden Virtuosen und des künstlerischen Wettstreits. Für Heinrich

Heine war er „der“ Gentleman-Pianist. Der deutsche Dichter stellte den in Genf geborenen Sohn einer Baronin und eines Fürsten auf eine Stufe mit Chopin und Liszt. In Sachen Etikette und Ausstrahlung zog er den virtuosen deutschen Romantiker sogar dem großen Konkurrenten Liszt vor. Auch Clara Schumann lobte das Spiel des in der Öffentlichkeit ausschließlich mit eigenen Werken auftretenden Pianisten in den höchsten Tönen: „Ihm missglückt kein Ton, seine Läufe kann man mit Perlenreihen vergleichen, seine Oktaven sind die schönsten, die ich je gehört.“ Nach seinem phänomenalen Debut in Paris 1835 bereiste Thalberg als Konzertpianist die ganze Welt. 1863 – welche Parallele zu Rossini – zog er sich völlig aus dem Musikleben zurück,

Backkatalog / Diskografie Gioacchino Rossini: „Péchés de Vieillesse“ Vol. 1: MDG 618 0654-2 Vol. 3: MDG 618 1108-2 Vol. 5: MDG 618 1353-2 Vol. 7: MDG 618 1426-2

Vol. 2: MDG 618 0918-2 Vol. 4: MDG 618 1260-2 Vol. 6: MDG 618 1386-2 Vol. 8: MDG 618 1448-2

Muzio Clementi: Klavierwerke Vol. 1: 3 Sonaten op. 40 MDG 618 0651-2 Vol. 2: 3 Sonaten op. 50 MDG 618 0652-2 Vol. 3: Sonate op. 25, 4-6; 33, 1+2 MDG 618 0653-2

George Onslow: Grand Septuour op.79, Nonett op. 77 Stefan Irmer, Klavier, MDG 301 1480-2 Consortium Classicum

Sigismund Thalberg (1812-1871) 12 Études op. 26 Fantaisie op. 33 + 40 Stefan Irmer, Klavier MDG 618 1551-2

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Stefan Irmer 11. 03. 2009

Luxemburg, Nationaltheater

03. 04. 2009

Zwickau, Schumannhaus

09. 05. 2009

München, Prinzregententheater

Weitere Informationen: www.stefan-irmer.de

um sich bis zu seinem Tode 1871 erfolgreich dem Weinbau zu widmen. Die zwölf Etüden op. 26 stellen ein komplettes Kompendium von Thalbergs legendärem Klavierstil dar, dem man die „magische dritte Hand“ unterstellte, und der bis heute für jeden Virtuosen schon allein handwerklich eine Herausforderung darstellt. Sie wurden in zwei Heften a 6 veröffentlicht und widmen sich jeweils einer ganz speziellen klavieristischen Thematik. Die Fantasie über Themen aus der Rossini-Oper Moses aus dem Jahr 1837 ist Thalbergs bekannteste Komposition. Zwar liegt die Inspiration in Rossinis Opermelodien, es sind allerdings nur wenige Originalzitate, die der Komponist als Inspirationsquelle für eigene Erfindungen nutzt. Und natürlich steigert er seinen ebenso orchestralen wie klanglich differenzierten Klaviersatz letztlich zu einem unfassbaren Klangrausch. Noch intensiver und mit selbstverständlich höchster Brillanz verarbeitet er die Rossini-Vorlage La Donna del Lago in seiner Fantasie op.40. All dieses geht in Stefan Irmers unaufdringlicher Virtuosität und seinem klangsinnigen Spiel eine hervorragende klangliche Symbiose mit dem Steinway-Konzertflügel von 1901 ein, den MDG mit gewohnt perfekter Klangbalance auslotet. Lisa Eranos


Joseph Haydn

Mit anderen Worten: Wie kaum ein anderer stand Haydn mit einem Bein noch im Hochoder Spätbarock, mit dem anderen aber schon in der Überwindung der Wiener Klassik durch die Romantik. Und er schaffte es, die verschiedenen Stile, den sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts in der so genannten „Mannheimer Schule“ anbahnenden Stilwandel, fortgeführt in der Zeit des „Sturm und Drang“, als ein gewisser Carl Philipp Emanuel Bach mit seinen Orchesterwerken das Publikum zum Weinen brachte, all dies zu kanalisieren und eine neue, gültige Formensprache zu finden, die das Stilempfinden einer ganzen Musikepoche prägen sollte: die Zeit der „Wiener Klassik“. Die Instrumentalmusik dieser Zeit gründet auf zwei Gattungen: Sinfonie und Streichquartett. Und für beide fand Haydn die gültige Form, ohne dies überhaupt beabsichtigt zu haben, denn der langjährige Kapellmeister in Diensten des Fürstenhauses Esterhazy war alles andere als ein Theoretiker. Und doch folgte er, der offenbar nie einen wirklich planmäßigen Unterricht in Komposition genossen hatte, der von allen „großen“ Komponisten wohl am meisten Autodidakt war, einem systematischen musikalischen Denken, das ihn die klassischen Formen finden ließ. Dies ist umso erstaunlicher, als er sein Leben vorwiegend als Kapellmeister in der Abgeschiedenheit eines Landsitzes zubrachte. Er sagt selbst: „Ich war von der Welt abgesondert, niemand in meiner Nähe konnte mich an mir selbst irremachen und quälen, und so musste ich original werden.“

Baumeister einer Epoche

Die Sinfonien

Joseph Haydn (1732-1809) im Porträt von Thomas Hardy (1791)

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ndank ist der Welt Lohn, wie wir alle aus leidvoller Erfahrung wissen. Auch in der (europäischen) Musikgeschichte stoßen wir immer wieder auf Persönlichkeiten, die zu Lebzeiten hoch geschätzt, vielleicht auch dekoriert wurden, dann aber in Vergessenheit gerieten oder der Geringschätzung anheim fielen. Dieses Schicksal erlitt, zumindest Teile seines Schaffens betreffend, auch Joseph Haydn, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 200. Mal jährt. Der Komponist, der europaweit das Publikum zu „standing ovations“ hinriss, wurde späterhin eher milde als „Papa Haydn“ belächelt – ein zwar liebenswerter, aber doch ein bisschen verstaubter Meister aus vergangener Zeit. Mozart, ja, und Beethoven – was für große Geister! Aber Haydn? Na ja, die Sinfonie

mit dem Paukenschlag, oder die Abschiedssinfonie – ein lustiger Vogel ist er ja wohl gewesen, der gute Papa Haydn. Was für drollige Einfälle! Und dann natürlich die „Schöpfung“. Das ist schon was. Und die „Sonnenquartette“. Aber die ganz großen Meisterwerke, die haben in dieser Epoche eben doch Mozart oder Beethoven geschrieben. Der Haydn ist eher was zum Anwärmen, im Konzert sozusagen die Vorgruppe für den Starauftritt. Wer so denkt, tut einem Künstler bitter unrecht, ohne den die nicht in Frage stehende Meisterschaft eines Mozart oder eines Beethoven nicht denkbar gewesen wäre. Haydn wurde 1732 in Rohrau, Niederösterreich, geboren, als Bach, Händel und Telemann noch auf der Höhe ihres Schaffens standen, und starb 1809, als Beethoven bereits ein Name war.

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Im Alter von 29 Jahren wurde Haydn auf Schloss Esterhazy angestellt, und hier entwickelte er sich über die nächsten dreißig Jahre zu einem hauptsächlich sinfonischen Komponisten. Davor war er Kapellmeister bei Baron Fürnberg in der Nähe von Melk; dort begann er, Streichquartette zu schreiben, danach wurde er Musikdirektor im böhmischen Lukavec bei Graf Morzin. Obwohl präzise Daten fehlen, so muss es doch in dieser Zeit, von 1757 an, gewesen sein, als er seine ersten Sinfonien schrieb. Stilistisch sind sie als Werke anzusehen, die italienische und österreichische, leichte und ernsthafte, traditionelle und moderne Elemente verbinden und überwiegend dreisätzig sind. Strukturell gesehen besteht jeder Satz aus zwei Teilen, die jeweils wiederholt werden. Sie wurden für die ursprüngliche Besetzung Streicher, 2 Oboen, 2 Hörner und eine Bassgruppe geschrieben, die aus


Sinfonien

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Haydns Haus in der Vorstadt Windmühle, unbezeichnete Lithographie (1840)

Sinfonie A & B + W.A. Mozart Fagottkonzert B-Dur / Violinkonzert Nr. 1 Ensemble il capriccio Musicaphon M56886

Nikolaus I., „der Prachtliebende“, Graf und später Fürst Esterházy de Galantha (1714 - 1790)

Cello, Kontrabass, Fagott und Cembalo bestand. In den langsamen Sätzen spielten nur die Streicher. Schon in seinen ersten Versuchen im Bereich der Sinfonik (nicht weniger als 104 Werke in dieser Gattung sollte er schreiben) finden sich Versuche, eine ausgewogene, „symmetrische“ Form zu finden, wie dies die auf Musicaphon (M 56886) erschienene Einspielung der „Sinfonien A und B“ durch das Ensemble il capriccio unter Leitung von Friedemann Wezel sehr deutlich nachvollziehen lässt. Direkt daran anschließend, ebenfalls in historischer Aufführungspraxis, ist die Haydn-Aufnahme der Sinfonien 1 bis 5 von Hyperion mit Roy Goodman und der Hanover Band – ein großartiges Hörvergnügen (CDH 55111). Mit seinem lebendigen und kraftvollen Spiel und der Klarheit im Ausdruck gelingt es dem Orchester sehr überzeugend, das ganz besondere Flair dieser Musik einzufangen. Diese einfallsreichen Interpretationen gehören zu den besten Aufnahmen der HaydnSinfonien auf historischen Instrumenten. Wie Haydn seinen kompositorischen Ansatz weiterentwickelte, schließlich zu einem an Ebenmaß nicht mehr zu übertreffenden Ganzen fand, lässt sich wunderbar an Spätwerken studieren: den „Londoner Sinfonien“. Wie war es überhaupt zu diesen Werken gekommen? 1790 starb Fürst Nikolaus von Esterhazy; sein Nachfolger war völlig unmusikalisch, entließ die gesamte Hofmusik und schickte Haydn in Pension. Dieser akzeptierte darauf ein lukratives Angebot des Konzertunternehmers und Musikers Johann Peter Salomon, 1791–1792 und nochmals 1794–1795 nach England zu gehen und dort seine Werke aufzuführen. Das Publikum stürmte die Konzerte, und Haydn erwarb schnell Ruhm und Vermögen. Und „nebenbei“ entstanden so einige seiner bekanntesten Werke, darunter die

„Sinfonie mit dem Paukenschlag“, die „Militärsinfonie“, die „Londoner Sinfonie“… Es ist der Haydn Philharmonie unter Leitung von Adam Fischer zu verdanken, dass wir nicht nur eine ältere Gesamtaufnahme, sondern jetzt frisch auf SACD für das Label MDG eingespielt auch eine absolut spannende Neuaufnahme eben dieser Londoner Sinfonien vorliegen haben. Der bis heute unveränderte Haydn-Saal des Esterhazy-Schlosses bildet bei diesen Aufnahmen die historische Klangkulisse, ein barocker Ballsaal, dessen wunderbar kostbaren Marmorboden Joseph Haydn einst gegen schlichte Holzdielen austauschen wollte: Der Fürst gehorchte – und das alles nur der bemerkenswerten Akustik wegen, welche sich den vorliegenden Aufnahmen wohltuend mitteilt. Vermutlich die erste Sinfonie, die Haydn in London präsentierte, war die Sinfonie Nr. 92 – er dirigierte sie ein zweites Mal in Oxford, als man ihn dort zum Doktor der Musik machte. Aufgrund dieser Aufführung hat sich für die Sinfonie der Beiname „Oxford“ eingebürgert. Eigentlich müsste man sie eher „Paris“ nennen, denn Haydn hatte sie ursprünglich für die „Loge Olympique", eine freimaurerische Pariser Konzertgesellschaft, geschrieben. In London traf Haydn zweifellos auf ausgesprochen aufmerksame und mitdenkende Zuhörer – doch zugleich scheute er sich nicht, seine Uraufführungen mit Überraschungseffekten zu garnieren. Der berühmteste davon findet sich im langsamen Satz der Sinfonie Nr. 94, die Haydn am 23. März 1792 in seiner zweiten Londoner Konzertsaison uraufführte. Dass Haydn mit dem Paukenschlag aus heiterem Himmel die in seinem Konzert eingeschlafenen Engländer zu wecken gedachte, dementierte er später heftig. Die schier atemberaubende audiophile Variante des Paukenschlags bei Adam Fischer (MDG 901 1325-6) hätte den Meister noch mehr begeistert... Haydns Augenzwinkern übertrug sich auch auf die Musikanten, was man auf MDG 901 1441-6 überprüfen kann: Inmitten einer Aufführung der

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Sinfonien 1 – 5 The Hanover Band / Roy Goodman, Dirigent Hyperion CDH 55111

Sinfonien Nr. 60 und Nr. 61 / Ouvertüre D-Dur Heidelberger Sinfoniker / Thomas Fey, Ltg. hänssler CLASSIC 98.522

Sinfonien Nr. 88 + 101 Ouvertüre „L’isola disabitata“ MDG 901 1441-6 (SACD)

Sinfonien Nr. 92 + 94 Ouvertüre „La fedeltà premiata“ Haydn-Philharmonie / Adam Fischer, Leitung MDG 901 1325-6 (SACD)


Sinfonien

Sinfonien Nr. 97 + 102 Ouvertüre „L’anima del filosofo“ Haydn-Philharmonie Adam Fischer, Dirigent MDG 901 1452-6 (SACD)

Londoner Sinfonien Vol.2 Sinfonien 94, 101, 102 Collegium Musicum 90 Richard Hickox, Dirigent Chandos CHAN 0662

Sinfonien 95,103,104 Collegium Musicum 90 Richard Hickox, Dirigent Chandos CHAN 0655

Sinfonie 100 / Sinfonia Concertante L’isola disabitata Netherland Chamber Orchestra Gordan Nikoliç, Violine und Dirigent Pentatone PTC 5186300

Haydn-Saal des Esterházy-Schlosses

Ouvertüre zur Oper „La fedeltà premiata“ verschwanden die Hornisten von der Bühne, um im geeigneten Moment an anderer Stelle des Konzertsaales erneut ins Spiel einzugreifen – eine Überraschung nicht nur für den Dirigenten und das Publikum, sondern auch für den Hörer dieser Mehrkanalproduktion. Noch mehr Verwirrung stiftete der österreichische Komponist in London, als er dort die Aufführung seiner Sinfonien bei den „Salomon’s Concerts“ höchstpersönlich leitete. Eigentlich wäre diese Aufgabe dem Konzertmeister Johann Peter Salomon zugefallen. Doch selbst die britische Presse räumte ein, dass Haydns Dirigat einen Großteil des Erfolgs der Konzertreihe ausgemacht hatte. Seinen Freund Salomon „ehrte“ er ausdrücklich am Ende des Trios mit dem Hinweis „Salomon solo“, einer winzigen, absolut belanglosen Passage, die der gefeierte Solist eine Oktave höher zu spielen hat – „ma piano“, wie der Komponist augenzwinkernd anmerkt (MDG 901 1452-6). Einen anderen interpretatorischen Ansatz verfolgt das Niederländische Kammerorchester, bei dem der musikalische Leiter und Konzertmeister Gordan Nikoliç vom ersten Pult aus das Orchester leitet. Dies folgt dem historischen Vorbild, denn noch bis in Haydns Zeit hinein gab es den Dirigenten, wie wir ihn kennen, nur in absoluten Ausnahmefällen – wenn die Besetzung und Komplexität eines Werkes eine Leitung vom ersten Pult (oder durch den Cembalisten) nicht zuließ. Auf Pentatone (PTC 5186300) ist eine SACD erschienen, die Haydns „Sinfonia concertante“ und die Sinfonie Nr. 100 vorstellt. Die Sinfonia Concertante wurde am 9. März 1792 aus der Taufe gehoben, und Publikum und Presse reagierten außergewöhnlich enthusiastisch auf das Werk. Am 31. März 1794 stellte Haydn dem Publikum seine Sinfonie Nr. 100 vor, die „Militärische“, die in späteren Ausgaben auch unter dem Titel „Türkische Sinfonie“ erschienen ist. In jüngster Zeit wird das Stück öfters als antimilitaristische und Anti-Kriegs-Sinfonie interpretiert. Es ist aber durchaus fraglich, ob das der Intention Haydns gerecht wird. Dass Haydn in seinen Londoner Sinfonien neben der üblichen Streicherbesetzung je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte verwendet, zeigt zwar die Partitur an – aber so gut wie in den auf Chandos erschienenen Aufnahmen (0662, 0655) mit dem Collegium Musicum 90

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unter der Leitung von Richard Hickox konnte man es bislang kaum hören! Hickox grundiert die Musik nicht nur, er formt einen räumlichen, reliefartigen Körper, hier satt, dort elegant, hier durchscheinend, dort wie aus dem Innersten des Klangs. Hickox' „barocker“ Sound erreicht klassische Schwerelosigkeit, gerade indem man ihre intensive Erdung spürt. Sinfonien aus früherer Zeit (Nr. 60 und 61) haben, zusammen mit der Ouvertüre Hob. Ia:7, vol. 10, die Heidelberger Sinfoniker unter der Leitung von Thomas Frey auf Hänssler (98.522) veröffentlicht. Der Einführung in dieses Programm durch Eckardt van den Hoogen sind viele interessante Bemerkungen über Haydns Kompositionsweise zu entnehmen, weshalb hier auszugsweise zitiert sei: „Verloren gingen in der Nacht vom 18. November 1779, als das gesamte Theater von Schloss Esterhazy abbrannte, auch viele Partituren Haydns. So dürfte die Musik zu mehreren Marionettenopern endgültig dahin sein, bis auf einige Fragmente, die sich durch Übernahme in andere Stücke erhielten wie die Ouvertüre D-Dur Hob. Ia:7. Ursprünglich endete daher das Presto auch nicht mit dem heutigen Konzertschluss: Den ergänzte Haydn erst, als er den Satz für die zweite Fassung seiner Sinfonie Nr. 53 benutzte. Überhaupt: Haydn und das Presto! Nehmen wir nur das Finale der Sinfonie Nr. 61 D-Dur von 1776: Ob ‚programmatisch’ oder nicht – nur ein unheilbarer Melancholiker wird hier gleichgültig bleiben angesichts der raffinierten Andeutungen einer kleinen ‚Chasse’. Wer könnte es sich leisten, im Kopfsatz ein zweites ‚Thema’ zu verwenden, das aus nichts als der Grundkadenz besteht, wer die Luftlöcher komponieren, die dem Flötensolo vorangehen, das dann doch eine Art Thema wird? Haydn tut es, und alles wirkt selbstverständlich und unbeschwert. Klar ist bei der 60. Sinfonie der Ursprung des Werks, in dem sich alle Erztugenden Joseph Haydns wie Perlen aufreihen. Was 1774 die Musik zu der Komödie ‚Le Distrait’ von JeanFrançois Regnard war, das fügte Haydn zu einem Konzertwerk aus sechs Sätzen, das er einfach ‚Sinfonie’ nannte! Er präsentiert uns eine Ouvertüre nebst mehreren Entr’actes, die ein wenig unorthodox verlaufen: Im Andante sollen die Streicher in eine, die Bläser aber in eine ganz andere Stimmungsrichtung; im Trio des Menuetts kippt, was tragisch anhebt, durch die falschen Vorzeichen der Oboe und ersten Violine ins Lächerliche; das Presto hätte die eine oder

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Oper

Acide / Festa teatrale Haydn Sinfonietta Manfred Huss, Dirigent BIS-SACD-1812

Messen

Eigenhändige Partitur der Einlagearie „Chi vive amante“ von Joseph Haydn für die Partie der Erissena in der Oper „Alessandro nell’Indie“ von Francesco Bianchi

andere formale Korrektur nötig. Nun aber, wo wir glauben könnten, eine etwas ‚unmögliche’ Sinfonie sei zu Ende, folgt das eigentliche Adagio: Léandre, der ‚Zerstreute’, hat nicht vergessen – im Gegensatz zu dem Kapellmeister und den ersten Geigen, die vor dem Anfang des kurzen Nachspiels auf jeden Fall hätten nachstimmen sollen. So prescht man Prestissimo los und bemerkt erst nach einigen Takten den Fehler.“

Oper Nicht weniger als dreimal ist Haydn in seinem Leben durch Feuer zu Schaden gekommen. Man kann nur darüber spekulieren, wie viele Werke des Meisters auf diese Weise unwiederbringlich verloren gingen. Bei dem erwähnten Brand im Theater, wen wundert es, sind natürlich vor allem Bühnenwerke verbrannt. Ohnehin wird Haydn heute vor allem als Komponist von Sinfonien, Streichquartetten und Klaviersonaten wahrgenommen – dabei ist sein Schaffen im Bereich der Vokalmusik nicht weniger umfangreich, aber abseits der späten Oratorien („Schöpfung“, „Jahreszeiten“) kaum bekannt. Sein frühester Versuch im Bereich der Oper war „Acide“, ein „Festa teatrale“, geschrieben für die Hochzeit von Fürst Anton Esterhazy und Gräfin Maria Theresia Erdödy am 11.1.1763 in Eisenstadt. Dieses Frühwerk ist jetzt auf BIS als SACD erschienen; es musiziert die Haydn Sinfonietta Wien unter der Leitung von Manfred Huss (BIS-SACD-1812). Vier Arien und die meisten Rezitative dieser Urfassung sind verlo-

ren, doch konnte Manfred Huss für diese Einspielung auf spätere Ergänzungen Haydns zurückgreifen, die der für eine zweite, nicht mehr realisierte Produktion 1773 geschaffen hatte.

Messen Mit seinen zwölf „Londoner Sinfonien“ hatte Joseph Haydn den Gipfel der Kunst erobert. Die Jahre, in denen er als Pionier, Experimentator, Wegbereiter und Visionär dieser Gattung der Instrumentalmusik ungeahnte Perspektiven erschlossen hatte, fanden in der unvergleichlichen Werkreihe ihre Vollendung und ihr Ziel. Es war undenkbar, dass Haydn nach seinen triumphalen Gastspielen in London, nach seiner Rückkehr in den Dienst der Esterhazys, noch einmal Sinfonien schriebe – zumal unter der Herrschaft des neuen Fürsten, eines arroganten Lebemannes von konservativem musikalischem Geschmack. Doch ihm, Nikolaus II., stand nach derlei ohnehin nicht der Sinn. Obwohl dieser Aristokrat eine alles andere als fromme Gesinnung an den Tag legte und das Vermögen seiner Vorväter bei luxuriösen Vergnügungen und ungezählten Affären verprasste, hegte er eine an Bigotterie grenzende Vorliebe für die Kirchenmusik. Und so wurde dem aus England heimgekehrten Esterhazy’schen Kapellmeister Haydn die Pflicht auferlegt, „aus billiger Anordnung“ seines Regenten „alljährlich eine neue Mess zu komponieren“, die am oder zum Namenstag der Fürstin Maria Josepha Hermenegild in Eisenstadt aufgeführt werden sollte: Jahr um Jahr an den Festen Mariae Geburt oder Mariae Namen im September. Diesem Anlass und Auftrag verdanken wir fünf jener sechs Messen, die der

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Harmoniemesse Solisten, Gächinger Kantorei Stuttgart Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR Heiligmesse Solisten, Oregon Bach Festival Chorus und Orchestra Helmuth Rilling, Dirigent hänssler CLASSIC 98.538

Sämtliche Messen Collegium Musicum 90 Richard Hickox, Dirigent Chandos CHAN 0734

Große Orgelmesse / Missa Celensis Collegium Musicum 90 Richard Hickox, Dirigent Chandos CHAN 0674


Klavierwerke

Joseph Haydn um ca.1770 Porträt von Ludwig Guttenbrunn

Klaviersonaten 23, 24, 32, 37, 40, 41, 43, 46, 50, 52 Marc-André Hamelin Hyperion CDA 67554 (2 CDs)

Klavierkonzerte D-Dur, F-Dur, D-Dur, G-Dur Ronald Brautigam, Concerto Copenhagen / Lars Ulrik Mortensen BIS-CD-1318

Komponist an der Wende zum 19. Jahrhundert schuf, bewegende Zeugnisse einer tiefen, reflektierten Religiosität und eines musikalisch überreichen Spätwerks. Ludwig van Beethoven sprach ehrfürchtig von den „unnachahmlichen Meisterstücken des großen Haydn“. Zwei dieser Meisterwerke sind nun auf Hänssler erschienen (98.538): Die „Harmoniemesse“ (mit der Gächinger Kantorei) und die „Heiligmesse“ (mit dem Oregon Bach Festival Choir). Die Leitung der Aufnahme hat Helmuth Rilling. Eine der wenigen Aufnahmen von Haydns „Mariazeller Messe“, die auf CD erhältlich ist, ist auf Chandos 0674 erschienen – zusammen mit der „großen Orgelmesse“. Und wer sich sämtliche Messen Haydns anhören will, dem sei Chandos 0734 empfohlen: Richard Hickox' mit Lob überhäufte Edition (mit dem Collegium Musicum 90) ist nun endlich auch gesammelt in einer Box erhältlich. Auf historischen Instrumenten interpretiert, kommen die teilweise nahezu unbekannten Werke hier besonders zur Geltung.

Sonstige Orchesterwerke und Konzerte, Kammermusik

Klaviersonaten 20, 39, 40, 43, 50 Malcom Bilson CLAVES CLA 50-2501

Klavierwerke Capriccio G-Dur, Sonaten e-Moll, c-Moll, Es-Dur, Variationen f-Moll, Fantasie C-Dur András Schiff Hungaroton HDVD32441 (DVD)

Vor seiner langen und erfolgreichen Zeit als musikalischer Direktor am Schloss Esterhazy war Haydn als junger Komponist Musikdirektor des Grafen Karl von Morzin auf Schloss Lukavec bei Pilsen. Im 18. Jahrhundert gab es an diesen Höfen eine so genannte „Harmoniemusik", eine Orchesterbesetzung aus Holz- und Blechbläsern, die ungefähr um 1770 entstand und besonders für Freiluftkonzerte oder Tafelmusiken eingesetzt wurde. Die für eine auf Campanella unter Best.nr. C130069 erschienene CD von Hansjörg Schellenberger und dem Haydn Ensemble eingespielten 8 Divertimenti schrieb Haydn für die Harmoniemusik des Grafen Morzin. Divertimenti hatte der Hofkapellmeister zur abendlichen Unterhaltung der Herrschaften natürlich auch in kleinerer Besetzung zu schreiben. Das Belvedere-Trio Wien hat zehn der Baryton-Trios (Lieblingsinstrument des Fürsten Esterhazy) für die moderne Besetzung Violine, Viola und Cello adaptiert, eine Bearbeitung, die übrigens auch Haydn selbst bei vielen dieser Trios vornahm – wohl, um ihre Verbreitung zu fördern. Das Baryton war eben ein zu exotisches Instrument.

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Überhaupt hat Haydn ja nicht nur Sinfonien komponiert. Zum Haydn-Jahr 2009 hat BIS eine Zusammenarbeit mit der Haydn Sinfonietta Wien begonnen, die vor allem auf die Einspielung wenig bekannter Werke des Meisters abzielt, incl. Bühnenmusiken, Konzertarien und Orchesterwerke. BIS-CD-1796 bringt mit den Werken für Baryton, hier allerdings in Originalinstrumentierung, und den acht Notturni für den König von Neapel, entstanden 1790, sowie den sechs Scherzandi von 1761 Kompositionen, die einen weiten Zeitraum abdecken und weithin unbekannt sind. Die meisten Konzerte Haydns für Tasteninstrumente und Orchester scheinen eigentlich für die Orgel gedacht gewesen zu sein. Allesamt entstanden sie vor 1784, zu einer Zeit, als Mozart seine ersten Meisterwerke in diesem Genre vorlegte. Ob Haydn die Komposition von Klavierkonzerten aufgab, nachdem er Mozart gehört und festgestellt hatte, dass er auf diesem Gebiet mit dem jungen Kollegen nicht konkurrieren konnte? Auf einer mehrfach ausgezeichneten Einspielung hat sich Ronald Brautigam als Spezialist für historische Aufführungspraxis dieses Genres angenommen. Er musiziert am Fortepiano auf BIS-CD-1318 zusammen mit dem Concerto Copenhagen unter der Leitung von Lars Ulrik Mortensen. Um 1781 war eine enge Freundschaft zwischen Haydn und Mozart entstanden, dessen Werk er schon über Jahre hinweg beeinflusst hatte. Die zwei Komponisten genossen es, in Streichquartetten zusammen zu spielen. Haydn war sehr von Mozarts Werk beeindruckt. Es ist augenfällig, dass Haydn zu dieser Zeit großenteils aufhörte, Opern und Konzerte zu schreiben – zwei der Gattungen, in denen Mozart am stärksten war. Mozart dagegen arbeitete

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Klavierwerke

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Klaviertrio 12, 25, 27, 29 Wiener Klaviertrio MDG 342 1556-2

Die Londoner Sonaten No 60-62 Ludger Rémy / Broadwood Hammerflügel von 1794 Audiomax 704 0251-2

Kammermusik Joseph Haydns eigenhändiges „Verzeichnis der Operntextbüchern“

hart daran, sechs Streichquartette zu schreiben, die mit dem Niveau mithalten konnten, das Haydn mit seiner kurz davor vollendeten Reihe op. 33 erreicht hatte; als Mozart damit fertig war, widmete er die Quartette seinem Freund. Drei dieser herausragenden Streichquartette Haydns aus op. 33 hat vor einiger Zeit das Quatuor Terpsychorde auf historischen Instrumenten (Darmsaiten) bei Claves eingespielt (CLA50-2608). Mit diesen Werken schuf Haydn einen grundlegenden Wandel in Form und Stil des Streichquartetts. So tritt das Scherzo an die Stelle des Menuetts, und zwar meist im zweiten Satz, die Rhythmik ist von subtilen Kontrasten geprägt, und die breit angelegte Melodik verhilft einer tiefen Emotionalität zum Durchbruch. Die thematische Arbeit ist von bemerkenswerter Intensität; hier kommt der seit Johann Sebastian Bach verloren geglaubte „Klangraum“ wieder in seiner ganzen Fülle zum Tragen. Später entstandene Quartette aus op. 77 und 103 legt das Edding Quartet auf EtCetera KTC 1379 vor. Die leidenschaftliche und farbenreiche Darbietung in historischer Aufführungspraxis lässt uns fast glauben, dass diese Quartette Haydns gerade erst komponiert wurden. Im Jahr 2007 gründeten die beiden Musiker Paul De Clerck und Ageet Zweistra das Edding

Quartet in der Vorstellung, das „klassische Streichquartett – Repertoire“ auf historisch korrekten Instrumenten und mit dem den Musikern ganz eigenen Verständnis von Interpretation vorzutragen. Eine Sonderstellung im Schaffen nehmen „Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“, eine Passionsmusik für Orchester aus dem Jahr 1786, die Haydn im Auftrag eines Priesters für die traditionelle Karfreitagszeremonie in der kleinen Kapelle Santa Cueva im südspanischen Càdiz komponiert hatte, bevor er sie später selbst fürs Streichquartett bearbeitete. Die Vorgaben für den Hofkapellmeister in Schloss Esterhazy waren präzise: Sieben Instrumentalsätze in getragenem Tempo sollten im Wechsel mit der Lesung und der Deutung der Christusworte als Meditationsmusik vorgetragen werden, um den Gläubigen Gelegenheit zur Andacht zu geben. Für belebende Dynamikwechsel und andere Kunstgriffe des Komponistenhandwerks blieb da kein Spielraum. Zuerst bittet Jesus um Vergebung für seine Peiniger, dann wendet er sich an die Mitgekreuzigten, schließlich steht Maria im Mittelpunkt… Einem Erdbeben gleich, schildert Haydn im letzten Satz den Tod des Gekreuzigten: Synkopen, Akzente auf leichten Taktzeichen, rhythmische Figuren, die sich nicht mehr in den Dreiertakt einfügen – der Boden gerät ins Wanken, die Schwerkraft wird aufgehoben, die

Streichquartette op. 77 Nr. 1 + 2 / op. 103 Edding Quartet KTC 1379

Divertimenti für Holzbläser Haydn Ensemble Berlin Campanella C 130060

Streichquartette op.33 Nr.1,2,5 Quatuor Terpsycordes AUSGABE 2009/1

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Claves CLA50-2608


Kammermusik

Musik für Fürst Esterházy u. d. König v. Neapel Haydn Sinfonietta / Manfred Huss, Dirigent BIS-CD-1796 (6 CDs)

Die sieben letzten Worte des Erlösers am Kreuz Leipziger Streichquartett MDG 907 1550-6 (SACD)

Divertimenti Hob. IV: 6-11 Paul Meisen, Flöte / Ernö Sebestyen, Violine Martin Ostertag, Violoncello MDG 302 0363-2

Konzerte

Katastrophe ist da. Wie sich das anhört, erfahren wir auf der brandaktuellen SACD-Einspielung mit dem wie immer hervorragenden Leipziger Streichquartett (MDG 907 1550-6) Das Wiener Publikum sehnte sich nach hochwertigen Alternativen zum Streichquartett. Mit seinem e-Moll-Trio (Hob. XV:12) erfüllte Haydn 1789 noch vor seinen England-Reisen die Erwartungen voll und ganz. Kaum fertig gestellt, wurde es ihm von seinen Verlegern schon förmlich aus den Händen gerissen. Was kaum einer bemerkte: Den unterhaltsamen Gesellschaftston früherer Jahre hatte der Komponist längst hinter sich gelassen. Er schuf ein außergewöhnlich kontrastreiches und leidenschaftliches Werk, das deutlich den Einfluss seiner Sinfonien zeigt. Angespornt durch die Erfolge seiner Werke sowie die Erwartungen von Publikum und Verleger, ließ sich Haydn während der zweiten England-Reise in den Jahren 1794/95 zusätzlich von der Pianistin Therese Jansen-Bartolozzi zu seinen bedeutendsten Trios inspirieren. Die Tochter eines Aachener Tanzlehrers war für Haydn damals eine der begabtesten Pianistinnen überhaupt, hielt er in seinem Londoner Notizbuch fest. Haydn widmete ihr die beiden Trios C-Dur und Es-Dur (Hob. XV:27 und 29) und stand ihr außerdem bei der Hochzeit mit einem Kunsthändler als Trauzeuge zur Seite. Das Wiener Klaviertrio lässt mit seiner exquisiten Aufnahme von vier Klaviertrios aus der mittleren und späten Schaffensphase aufhorchen, darunter das äußerst populäre „Zigeunertrio“ (MDG 342 1556-2) Keine Frage: Hier finden Wiener Charme und sprichwörtlicher Haydnscher Witz zu einer zwingenden und absolut elektrisierenden Wiedergabe.

Klavierwerke

Joseph Haydn, Trompetenkonzert Es-Dur, Sinfonie Nr. 83 „La Poule“ Michael Haydn, Trompeten-Concerti, Serenade Wolfgang Bauer, Trompete Württembergisches Kammerorchester Heilbronn, Ruben Gazarian, Dirigent MDG 601 1395-2 (CD) MDG 901 1395-6 (SACD)

Haydns besonderes Verdienst ist es, zur Entwicklung der Sonatenform von einem einfachen, von der „Sonata bipartita“ herkommenden Formschema zu einer subtilen und flexiblen musikalischen Ausdrucksform beigetragen zu haben. Die meisten seiner Werke sind in dieser so genannten „Sonatenhauptsatzform“ gehalten. Er erfand auch die Sonatenrondoform, die Variationsform mit zwei Themen, und er war der erste bedeutende Komponist, der Fuge und kontrapunktische Elemente in die klassische Form einbrachte. Ein zentrales Charakteristikum von Haydns Musik ist die Entwicklung von größeren Struk-

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turen aus sehr kleinen und einfachen musikalischen Motiven heraus. Die Musik ist formal oft recht konzentriert, und die wichtigen musikalischen Ereignisse eines Satzes können sich rasch entfalten. All dies ist natürlich auch in seinen Klavierwerken zu beobachten, sehr schön in einer Interpretation von zehn Klaviersonaten durch Marc-André Hamelin auf Hyperion (CDA67554). Hamelin spielt klar und präzise, entwickelt sehr behutsam und mit kultiviertem Pedal einen feinen Klang, kehrt ungewöhnliche Harmoniewechsel mit Genuss hervor und sorgt durch subtile Phrasierung für hübsche Überraschungen. Seit Alfred Brendel hat das wohl niemand besser gemacht. Wer sich mehr für historische Aufführungspraxis begeistern kann, der mag sich für zwei Einspielungen mit den Spezialisten Malcolm Bilson und Ronald Brautigam interessieren. Bilson hat für Claves (CLA50-2501) fünf Klaviersonaten an einem historischen Schanz-Fortepiano aufgenommen, die ihm ganz besonders am Herzen liegen. Und Ronald Brautigam, der „König des historischen Ungeheuers namens Fortepiano“ (The Times), hat zwischen 1999 und 2004 für BIS das gesamte Werk Haydns für Klavier solo aufgenommen: die 55 Sonaten, Tänze und Variationen, Die sieben letzten Worte... Diese Leistung wurde 2004 mit dem Cannes Classical Award belohnt. Diese Aufnahmen sind jetzt als Gesamtausgabe erhältlich (BIS-CD-1731). Eingespielt wurde auf einem 1992 von Paul McNulty in Amsterdam fertig gestellten Nachbau eines Flügels von A. G. Walter (ca. 1795). Eine ganz andere interpretatorische Welt betreten wir mit der bei Hungaroton unter Nr. HDVD 32441 auf DVD Video erschienenen Liveaufnahme von unterschiedlichen Klavierwerken durch András Schiff, der in seiner unnachahmlichen Art auch in die Werke einführt. Und diese Aufnahme steht auch deshalb am Ende dieses kleinen Rundgangs durch Neuerscheinungen mit Werken des Jubilars, weil sie zusätzlich einen einführenden Film enthält: „Joseph Haydn und die Familie Esterhazy“. Es bleibt zu hoffen, dass in diesem Jubiläumsjahr noch so manche Entdeckung auf den CD-Markt kommen wird – bei vielleicht keinem der großen Komponisten der „Wiener Klassik“ gibt es noch so viel zu entdecken wie bei Joseph Haydn. A. Rainer

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CLASS a k t u e l l

HIGH END 2009: Der Beste Ton – Das Beste Bild M.O.C. München – Lilienthalallee 40 80939 München-Freimann Termin: 21. – 24. Mai 2009 Täglich von 10 bis 18 Uhr Fachbesucher: Do, 21. Mai 2009 Eintritt: Tageskarte 10 Euro

Die HIGH END als Leistungs-

www.highendsociety.de

schau der Edel-Elektronik für den besten Ton und das beste Bild Zum 28. Mal in Folge haben Liebhaber hochwertiger Unterhaltungselektronik die Gelegenheit, sich auf der HIGH END Messe von den neuesten Entwicklungen der Branche begeistern zu lassen. Die HIGH END ist Europas Dreh- und Angelpunkt für Liebhaber des guten Tons und des perfekten Bildes. Die weltweit führenden Anbieter für hochwertige Unterhaltungselektronik zeigen auf der HIGH END wieder einmal, was im Ton- und Bildbereich heutzutage alles möglich ist und in der Regel durchaus auch erschwinglich bleibt. Freunde feinster Klangqualität und eines echten Heimkino-Erlebnisses finden auf mehr als 18.000 qm Ausstellungsfläche das neueste Angebot der Unterhaltungselektronik.

Klangerlebnisse der besonderen Art garantierten nicht nur hochwertige technische Pretiosen, sondern auch die verschiedenen Live Musik Darbietungen während der Messe. Ein umfassendes Programm aus Workshops, Vorträgen, Vorführungen und Livemusik rundet das Messeerlebnis ab. Auch dieses Jahr bietet die HIGH END dem Messebesucher wieder ein facettenreiches musikalisches Unterhaltungsprogramm mit zahlreichen Live-Konzerten.

Audiophile Schätze im „Tonträgerdorf“

Die HIGH END präsentiert Technik und Genuss für Auge und Ohr Auch dieses Jahr werden wieder alle wichtigen Hersteller und Importeure der hochwertigen Unterhaltungselektronik auf der HIGH END vertreten sein. Das Themenspektrum reicht vom Analog-Plattenspieler über HDTV bis zum AV-Receiver mit mobilem MP3-Player-Anschluss. Die HIGH END kombiniert klassische HiFi-Wiedergabe und moderne Multimediasysteme miteinander. Neben dem Trend zu hoch auflösenden Bildern wird das moderne Wohnzimmer immer mehr zum Knotenpunkt für die multimediale Vernetzung des gesamten Haushalts. Musikserver erobern zwischenzeitlich das Wohnzimmer der Kunden und dennoch stehen traditionelle und zukunftsweisende Technologien gleichberechtigt nebeneinander. Interessierte Besucher können auf der HIGH END die komplette Bandbreite der Unterhaltungselektronik mit allen Sinnen erfahren: Von der bewährten Zweikanaltechnologie über Verstärker, Plattenspieler und High-Tech-Lautsprecher bis zu Festplattenservern, drahtlosen MulitroomAudiosystemen und LCD und Plasmascreens. Eben genau so, wie der Untertitel es auch schon verspricht: „Der Beste Ton – Das Beste Bild“. AUSGABE 2009/1

Umfangreiches Rahmenprogramm mit Live-Musik

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Audiophile Schätze fristen in der Musikbranche ein Nischendasein. Bei der HIGH END können Fans erlesener Tonträger eine große Vielfalt musikalischer Schätze entdecken und kaufen. Im „Tonträgerdorf“ auf der HIGH END sind die Hersteller und Importeure erlesener Software positioniert. Hier gibt es exemplarische Aufnahmen, musikalische Raritäten, Sammlerstücke und Klangperlen von ca. 130 Labels auf CD, SACD, DVD und Vinyl.


Joseph Haydn Sinfonien Nr. 1, 96 und 101 und Porträt Roger Norrington „Dirigent zwischen Stuttgart und Berkshire“ SWR music / hänssler CLASSIC Best.-Nr. 93.904 (DVD)

Aktuelle Konzerte:

So jung im Herzen ... Sir Roger Norrington feiert seinen 75. Geburtstag

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r hat sich inzwischen als Markenzeichen etabliert, der „Stuttgart Sound“. Seit Roger Norrington im Jahr 1998 das Amt des Chefdirigenten des Radio Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR übernahm, hat er beharrlich ein Ziel verfolgt: die Übertragung der Informationen aus der historischen Aufführungspraxis auf einen modernen Sinfonieorchesterapparat. Neben all jenen Anforderungen, die das Musizieren mit historischen Instrumenten in Bezug auf Orchesterbesetzung, Sitzordnung, Artikulation, Bogenführung, Notenlängen, Phrasierung oder Zeitmaß stellt, steht vor allem die Aneignung des „Klangs früherer Zeiten“ im Zentrum von Norringtons Klangideal: jener „reine Ton“, welcher „der normale Klang eines jeden Orchesters von Bachs bis hin zu Mahlers Zeiten war“ (Norrington) und auf den im 20. Jahrhundert das üblich gewordene Dauervibrato folgte. In der Rückschau scheint Norringtons Weg hin zum „Stuttgart Sound“ geradezu vorgezeichnet. Nach dem Studium am Royal College of Music in London gründete er zunächst mehrere Ensembles, die sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet fühlten: 1962 den Schütz Choir und 1968 die London Baroque Players, mit denen er überwiegend Repertoire des 17. und 18. Jahrhunderts aufführte. 1978 folgten die London Classical Players, mit denen er die Aufführungspraxis mit Originalinstrumenten in der Zeit von 1750 bis 1900 erforschte. Mit spektakulärem Ergebnis: Auf die vielfach ausgezeichnete Einspielung mit Beethovens Sinfonien folgten aufregende Aufnahmen mit Wer-

ken von Haydn, Mozart, Mendelssohn, Schubert, Schumann, Brahms, Wagner und Bruckner. Angesichts dieses Repertoires überrascht es nicht, dass Norrington seit den 1980er Jahren (bis heute) auch bei den großen Sinfonieorchestern in Berlin, Leipzig, Wien, Amsterdam, Paris, New York, Cleveland, Boston, San Francisco, Los Angeles, Chicago und vor allem London als Gastdirigent gefragt ist. Ab Ende der 1990er Jahre schließlich sollte es Norrington aber nicht etwa mit einem Klangkörper aus den Musikmetropolen Europas, sondern mit dem RSO Stuttgart gelingen, seine Vision einer historisch informierten Aufführungspraxis mit einem modernen Sinfonieorchester zu verwirklichen. Den schlanken, vibratolosen und farbigen Klang, den Norrington erzielte und der wegen seiner Einzigartigkeit als „Stuttgart Sound“ bekannt wurde, hat das Label SWR music / hänssler CLASSIC von Beginn an dokumentiert. So sind bis heute rund 40 mit viel Kritikerlob bedachte CD- und DVD-Aufnahmen entstanden, in deren Zentrum das klassisch-romantische Orchesterrepertoire steht: von Beethoven, Berlioz, Schubert, Mendelssohn, Schumann über Brahms, Bruckner und Tschaikowsky bis hin zu Mahler. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat kürzlich an den Jubilar, der am 16. März seinen 75. Geburtstag feiert, einen besonderen musikalischen Wunsch gerichtet: „Würde Roger Norrington einmal in Bayreuth antreten, so würden die Wagnerianer eine kolossale Überraschung erleben.“ Ein Versuch wäre es allemal wert! Michael Sawall

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12. 13. 15. 16.

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Stuttgart, Liederhalle, Beethovensaal Stuttgart, Liederhalle, Beethovensaal Luxemburg, Philharmonie London, Southbank Centre, Royal Festival Hall Wien, Konzerthaus, Großer Saal Thessaloniki, Megaron Athen, Megaron Berlin, Philharmonie Schwetzinger Festspiele, Schloss, Rokokotheater

W. A. Mozart – Essential Symphonies I-VI SWR music / hänssler CLASSIC Best.-Nr. 93.230 (6 CDs)

P. I. Tschaikowsky Sinfonie Nr. 5 in e-Moll op. 64 Suite „Der Nussknacker“ op. 71a SWR music / hänssler CLASSIC Best.-Nr. 93.254 (CD)


CLASS a k t u e l l Die Sauer-Orgel der Thomaskirche zu Leipzig Werke von Marcel Dupré, César Franck, Eugène Gigout, Franz Liszt und Max Reger Thomasorganist Ullrich Böhme ROP6017 / Super-Audio-CD

Historische Orgel in neuer Schönheit Thomasorganist Ullrich Böhme spielt restaurierte Sauer-Orgel der Leipziger Thomaskirche

Fotos: Matthias Knoch

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ollte ich von der Schönheit der einzelnen Instrument denkmalgerecht zu restaurieren und Stimmen sprechen, so würde der Bericht in ihren originalen Zustand zurückzuführen. Bände füllen“, schreibt Thomasorganist Damals absolutes Neuland: Nie zuvor war ein Karl Straube 1908 im Abnahmegutachten für die großes spätromantisches Orgelwerk mit pneuerweiterte Sauer-Orgel. Die Orgel der Leipziger matischer Traktur restauriert worden. Die aufThomaskirche, an dem Straube zahlreiche wändigen Arbeiten durch die Orgelwerkstatt Werke Max Regers erstmals spielte, darf als ein Christian Scheffler aus Sieversdorf sollten erst Meisterstück Wilhelm Sauers gelten. Der 2005 beendet sein. Zahlreiche Restaurierungen renommierte Meister des Orgelbaus hatte das in Deutschland orientieren sich seit 1988 an Instrument 1908 zu einer der größten und be- dem Leipziger Konzept, darunter die der deutendsten Orgeln des Landes erweitert – mit Sauer-Orgeln des Berliner und des Bremer der Berliner Domorgel Doms, der Erlöserkirche auf einem Niveau, von Bad Homburg oder der den klanglichen MögMühlhausener Marienlichkeiten im Raum der kirche. Thomaskirche gleichFür seine Vorstellung wohl noch begünstigt. der detailgenau rekonsSeit ihrer Einweihung truierten Sauer-Orgel hat im Jahr 1889 hatte die Böhme drei Werke von Orgel der Thomaskirche Marcel Dupré, César ein bewegtes Schicksal. Franck und Eugène Auch im Detail liebevoll restauriert: Ursprünglich mit 63 ReGigout ausgewählt, die die Register und freie Kombinationen gistern und mechanidie dezent französischen scher Traktur erbaut, Anflüge des Instruments wurde sie schon 13 Jahre charakteristisch zur Wirspäter auf das pneumakung bringen. Mit Max tische System umgestellt. Regers Fantasie und Fuge 1908 erfolgte auf Verd-Moll op. 135 b erklingt anlassung von Thomasein Werk, das aufs Engsorganist Karl Straube die te mit der Orgel der Erweiterung auf ihre Thomaskirche und ihrem heutige Größe von 88 Organisten Karl Straube Stimmen. Nach mehreren verbunden ist. Auch Franz Umbauten unterschiedliLiszts großes Variationscher Konsequenz ist es werk in f-Moll über Weidem heutigen Thomasornen, Klagen, Sorgen, Zaganisten Ullrich Böhme gen hat eine besondere zu verdanken, dass die Beziehung zur ThomasOrgel jetzt wieder im kirche: Es setzt sich mit originalen Zustand von einer Kantate auseinan1908 erklingt. Bereits der, die Johann Sebastian Zum ersten Mal auf CD: Die Sauer-Orgel 1987 entwickelte er den Bach hier aufgeführt hat. erklingt wieder in der originalen Klangpracht wie vor 100 Jahren. Wunsch, das historische Teres Feiertag AUSGABE 2009/1

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Noch Fragen? Beethoven und Mendelssohn im Dialog mit Peter Gülke und dem Beethoven Quartett

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ier finden Sie alles, was Sie über die Kunst der Fuge wissen, hören und sehen wollten und nicht zu fragen wagten.“ Diese Aussage könnte über der Debut-Einspielung des Beethoven Quartetts gestanden haben, das mit einer klug disponierten Zusammenstellung zum B-A-C-H-Motiv mit Werken von Bach, Beethoven und Krenek aufhorchen ließ. Das 2006 von Mitgliedern des ehemaligen Sonare Quartetts gegründete Beethoven Quartett hat sich zum Ziel gesetzt, Konzertzyklen zu präsentieren, die Musikgeschichte erfahrbar machen. Die Konzeption umfasst nicht nur die

aber die angefangene Arbeit vollenden. Trotz des Titels und des Gebrauchs von Choralsatz und Kirchentonart ist das Quartett keine Programmmusik im engeren Sinne sondern absolute Musik. Und schon der Beginn markiert ein leicht als Ableitung von B-A-C-H zu erkennendes Motiv, das dann in immer neuen Umschreibungen nicht nur als Motto und Keimzelle des gesamten Quartetts gesehen werden kann. Mendelssohn schrieb sein jugendliches Meisterwerk 1827 im Alter von nur 18 Jahren nach dem Studium dieser gerade im Druck erschienenen späten Streichquartette Beethovens. Beethovens Werke als Gipfel der bislang erreichten Kunst des Streichquartetts beeindruckten den jungen Mendelssohn, forderten ihn aber gleichzeitig zur eigenen schöpferischen Auseinandersetzung mit der Gattung heraus. Noch im Todesjahr Aktuelle Konzerte:

Auf der Basis des großen Vorbilds Beethoven vollbringt Mendelssohn gleichzeitig einen wahren Geniestreich: Nicht mehr bis in einzelne Bestandteile quasi atomisierte Motive Beethovens bestimmen sein Quartett: Es ist – ganz im Sinne der Romantik – ein „Gefühl“, das in Form des schlichten Klavierliedes „Ist es wahr?“ das ganze Werk durchzieht und es gleichsam umklammert: „Du wirst es im ersten und letzten Stücke mit seinen Noten, in allen vier Stücken mit seiner Empfindung sprechen hören.“ Mit dem Lied als Inspiration und Grundlage wird das Quartett op. 13 somit zu einem großen „Lied ohne Worte“, zu einem Experiment auf dem Weg hin zu Mendelssohns ganz eigener lyrischer Form, die die Grenzen von absoluter und programmatischer Musik verwischt. Die Aufnahme ist im exzellenten 222- SACDMehrkanalformat erschienen, und das Beethoven Quartett vermag technisch und musikalisch zu überzeugen. Und wer es genau wissen will, findet in Peter Gülkes ebenso klug wie eloquent vorgetragenen Anmerkungen und passenden Klangbeispielen auf der beiliegenden DVD Antworten auch auf alle Fragen, die man sich nie zu fragen traute. Es bleibt die Empfehlung: Ansehen und Anhören. Unbedingt! Cordelia Berggötz Ab 15. 04. 09 erhältlich: Ludwig v. Beethoven: Streichquartett op. 132 Felix Mendelssohn Bartholdy: Streichquartett op. 13 BeethovenQuartett audiomax 946 1573-6 / Hybrid-SACD + DVD

Beethoven Quartett 29. 04. 2009 Zürich

Beethoven Quartett mit Jacek Klimkiewicz, Angela Schwartz, Hideko Kobayashi und Laurentius Bonitz

30. 04. 2009 Hasliberg-Goldern

Foto: © Ute Schendel

02. 05. 2009 Schloss Heiligenberg

programmatische Gestaltung der Zyklen, sondern bezieht auf raffinierte Weise auch das Medium Film in einer DVD mit ein, die auf außergewöhnliche Weise mit der filmischen Umsetzung durch den Regisseur Jan Schmidt-Garre („Bruckners Entscheidung“, „Celibidache“) zur Erläuterung des Konzeptes beiträgt. Doch was verbindet op. 132 mit dem frühen Mendelssohn op. 13? Beethovens Quartett a-Moll op. 132 trägt die Umstände seiner Entstehung in den Satzbezeichnungen: Im Zentrum des Werkes steht der „Heilige Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit“ überschriebene langsame Satz. In der Tat war Beethoven während der Komposition 1825 ernsthaft erkrankt, konnte dann

03. 05. 2009 Köln 05. 05. 2009 Duisburg 10. 05. 2009 Bonn 27. 05. 2009 Frankfurt/Main 11. 06. 2009 Basel Weitere Informationen: www.beethovenquartett.de

Beethovens gelang Mendelssohn mit op. 13 ein Werk voller Anspielungen, das nicht nur in der Bauart der Sätze, sondern auch an einzelnen Stellen überdeutlich Bezug auf Beethovens op. 132 nimmt, wenn etwa am Ende des Adagios in der hohen Lage die Beethovensche „Heilige Danksagung“ anklingt.

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J. S. Bach: Contrapunctus XVIII Ludwig v. Beethoven: Streichquartett op. 131 Ernst Krenek: Streichquartett No 1 op. 6 BeethovenQuartett audiomax 946 1517-6 / Hybrid-SACD + DVD


CLASS a k t u e l l

Happy Birthday, Chandos Records – alles Gute zum 30. Geburtstag!

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rian Couzens war, als er sich im Mai 1979 mit seiner eigenen Schallplattenfirma selbständig machte, in der Branche schon ein alter Hase. Er hatte für EMI und RCA als Produzent und Toningenieur gearbeitet und kannte sich sogar mit der künstlerischen Seite des Geschäfts aus: Er hatte als Arrangeur mit dem Komponisten Ron Goodwin zusammengearbeitet („Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ und „Agenten sterben einsam“ gehören zu den mehr als 30 Filmmusiken, an denen er beteiligt war) und hatte auch selbst komponiert. Das junge Unternehmen Chandos hatte einen guten Start – bald schon brauchte Brian Couzens Unterstützung und erhielt sie von seinem Sohn Ralph. Gemeinsam lenkten sie den Familienbetrieb zu den neuen Horizonten der 80er Jahre: Chandos gehörte zu den Pionieren von CD und Digitaltechnik. Von Anfang an setzte die Firma auf seltenes, bisher vernachlässigtes Repertoire und traf damit den Nerv des Publikums. So schlug beispielsweise die Aufnahme von zwei Klavierkonzerten des BeethovenZeitgenossen Johann Nepomuk Hummel mit dem Pianisten Stephen Hough in Deutschland ein wie eine Bombe: Nach einer hymnischen Besprechung in der FAZ war die Nachfrage kaum zu befriedigen. Mit einer 30 CDs umfassenden Jubiläumsbox feiert Chandos jetzt seine 30-jährige Erfolgsgeschichte in der ganzen Breite des seither aufgenommenen Programms: Künstler wie der kürzlich verstorbene Richard Hickox, Neeme Järvi, Bryden Thomson, Mathias Bamert und viele andere haben Musik englischer Komponisten wie Walton und Bax, von Mozart-Zeitgenossen wie Vanhal oder Werke von Schostakowitsch und Respighi (um nur wenige Beispiele zu nennen) in die Sammlungen der Musikliebhaber gebracht. „Wenn ich die letzten dreißig Jahre zurückblicke, erinnere ich mich an die harte Arbeit, besonders in den frühen Tagen, als Ralph und ich alles machten. Ich hatte die Gelegenheit mit wunderbaren Künstlern zu arbeiten und ich denke,

”serious about classical music“ – dieses Motto ist Teil des Firmenlogos auf dem Briefpapier von Chandos Records. Und ernst mit der Musik meinte die Firma es von Anfang an, ist sie doch 1979 gegründet worden, kurz bevor der neue Tonträger CD die Klassikbranche aus einer ihrer vielen Umsatzkrisen erlöste. Brian Couzens, der Gründervater von Chandos, setzt bis heute auf die Musikliebhaber als treue Kunden und auf stabile Partnerschaften zwischen sich und seinen Künstlern.

Firmeninhaber Brian und Ralph Couzens am Mischpult und im Gespräch mit dem Dirigenten Charles Mackerras

wir haben einige gute Einspielungen gemacht. Meine Philosophie war immer, schöne Aufnahmen zu produzieren, die die Leute hören wollten. Ich habe den Fortschritt von der LP und MC zur CD und DAT und weiter zum Musikdownload gesehen und es ist heute schon eine ganz andere Welt verglichen mit damals, als ich anfing Schallplatten zu machen. Ich bin stolz auf Chandos und alles, was wir in diesen dreißig Jahren erreicht haben: die Preise, die Kritiken, die Verkäufe, doch vor allem auf die Aufnahmen selbst. Ich hoffe, Ralph wird diese Flamme noch viele Jahre weiter tragen.“ So lautet das Resümee von Brian Couzens, dem Gründer von Chandos Records. Heute leitet Ralph Couzens das Unternehmen als Managing Director. „Wenn man ganz von unten beginnt wie ich, dann lernt man eine Menge über die Industrie und wie es da läuft. Ich habe acht Jahre lang Aufnahmegeräte hin- und hergeschleppt, beobachtet und den Künstlern und dem Klang zugehört. So ist, angefangen bei meinem AUSGABE 2009/1

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Vater, der „Chandos-Sound“, wie er manchmal genannt wird, entstanden. Und bis heute, dreißig Jahre lang, hat dieser Sound allen Anforderungen der Zeit standgehalten und wird nach wie vor respektiert. Wir brauchen natürlich gute Künstler für diesen Sound; alles, was wir tun, ist, ihn so natürlich wie möglich einzufangen. Wir haben großes Glück mit den Künstlern gehabt, die wir davon überzeugen konnten, mit uns aufzunehmen. Ich möchte ihnen allen heute für ihre Treue und Hilfe über all diese Jahre danken. In dreißig Jahren ist manches sehr anders geworden – aber eins hat sich erfreulicherweise nicht verändert: Es gibt immer noch ein Publikum für die Klassik mit Appetit auf neues Repertoire und Qualitätsaufnahmen. Und da wir die Klassikliebhaber immer noch haben, werden wir weiterhin gute Originaleinspielungen von gelegentlich vernachlässigtem Repertoire machen und dabei immer die Qualität im Auge behalten. Die Flamme strahlt so hell wie eh und je!“ Detmar Huchting


Im Blickpunkt Kammermusik

Georg Friedrich Händel (1685-1759) Kantaten und Triosonaten Sonaten HWV 386a, 388, 390a Pensieri notturni di Filli HWV 134 Agrippina condotta a morire HWV 110 Johanna Koslowsky, Sopran Musica Alta Ripa MDG 309 0399-2

Mit einem erfrischenden Programm erweist „Musica Alta Ripa“ dem großen Georg Friedrich Händel seine Reverenz zum 250. Todestag. Johanna Koslowsky vermag ihre Stimme höchst elegant und biegsam zu führen. Mit einem glasklaren Timbre tritt sie in engen Dialog mit dem auf historischen Instrumenten musizierenden Ensemble, das einst mit dieser Aufnahme sein Debut bei MDG feierte. Für den jungen Händel boten die vier Jahre in Italien eine einmalige Inspiration: Auf Einladung der Medici besuchte er zuerst Florenz, dann reiste er nach Rom. Hier lernte er die Scarlattis kennen, hier traf er sich mit Corelli, und hier durfte er seine Kompositionen den literarisch-musikalischen Zirkeln der Stadt präsentieren. Für dieses Umfeld sind die beiden Kantaten dieser Aufnahme entstanden. Sie spiegeln einerseits die Mystik der schlafenden Phyllis wider und erweisen andererseits der antiken Historie Roms eine gelungene Reverenz.

Rollenspiel Der Blockflöte kommt bei dieser Einspielung eine bedeutsame Rolle zu: In der c-Moll-Sonate (HWV 386a) übernimmt dieses heute oftmals gering geschätzte Instrument die erste Stimme und tritt in der Kantate „Pensieri notturni di Filli: Nel dolce del’oblio“ in ein reizvolles Duett mit der Sopranstimme. Musica Alta Ripa pflegt seit 25 Jahren ein ausgefeiltes Barockmusik-Repertoire. Erstklassige Instrumentalisten, intelligent und musikalisch in jeder Beziehung, präsentieren sie die Werke mit lebendigen Tempi und faszinierender Spiellaune.

Decacorde Pekka Jalkanen: Präludi, Fantasia, Nokturni John Dowland: Lacrimae Pavan, A Fancy J. S. Bach: 3. Lautensuite Mari Mäntylä, zehnsaitige Gitarre

Franz Schubert Forellenquintett Variationen auf Trockne Blumen Klaviertrios in Es-Dur Martin Helmchen, Christian Tetzlaff, Antoine Tamestit, Marie-Elisabeth Hecker, Alois Posch, Aldo Baerten

ABCD 261 / Alba 6417513102611

PTC 5186334 / Pentatone

Die Decacorde ist eine Kreuzung zwischen Laute und moderner Gitarre – sowohl den Klang wie auch die Geschichte des Instruments betreffend. Die Bezeichnung „Decacorde“ geht auf den französischen Hofmusiker Louis-Gabriel Besson zurück. Ein ganz besonderer Experte für dieses Instrument war der italienische Gitarrist und Komponist Ferdinando Carulli. Die moderne Decadorde wurde in den 1960er Jahren von dem berühmten Gitarristen Narcisco Yepes und dem Gitarrenbauer Ramirez zu ihrer jetzigen Form entwickelt.

Von besonderem klanglichem Reiz Mit ihrem dunklen, lautenartigen und kräftigen Ton ist die Decacorde oft besser zur Wiedergabe von Renaissance- und Barockmusik geeignet als die moderne Gitarre, vor allem deshalb, weil die Bassnoten tatsächlich so gespielt werden können, wie sie notiert sind. Wobei Mari Mäntylä auf ihrer Einspielung beweist, dass durchaus auch zeitgenössische Musik sich sehr reizvoll mit dem Sound der Decacorde verbinden kann. Eigentlich schade, dass nicht viel mehr Gitarristen auf dieses schöne Instrument zurückgreifen.

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An Pianistennachwuchs gibt es keinen Mangel. Es vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht eines der führenden Plattenlabels einen neuen Jungstar aus dem Hut zaubert. Ihr Haltbarkeitswert ist gleichwohl unterschiedlich: Da sind jene, die mit viel Marketingaufwand gepusht, bereits nach ein oder zwei Aufnahmen wieder im Nichts verschwinden. Andere hingegen kommen auf eher leisen Sohlen daher und haben das Zeug zu einer länger währenden Karriere. Zu letzteren zählt ohne Zweifel der junge Berliner Pianist Martin Helmchen. Mit seinem hochvirtuosen und zugleich unprätentiösen Stil hat sich Helmchen in wenigen Jahren in der internationalen Musikszene einen hervorragenden Ruf erarbeiten können. Ein schöner Beleg dafür ist eine Konzertreihe in seiner Heimatstadt: Das Konzerthaus Berlin ernannte den gerademal 26-Jährigen in der Spielzeit 2008/2009 zum „Artist in Residence“ und übertrug ihm die Gestaltung einer eigenen Reihe mit insgesamt elf Konzerten: mit dem Konzerthausorchester unter Lothar Zagrosek, mit Kammermusikern des Orchesters und als Solist. Seit 2007 ist Martin Helmchen Exklusiv-Künstler von PentaTone. Nach hoch gelobten Aufnahmen mit Klavierkonzerten Mozarts und Solo-Werken von Schubert präsentiert er sich auf seiner neuesten CD als Kammermusiker und interpretiert in verschiedensten Besetzungen Werke von Schubert. Trotz seiner jungen Jahre kann Helmchen bereits auf reichlich Erfahrung als Kammermusikpartner zurückblicken: Er spielte auf allen namhaften Festivals für Kammermusik, mit Partnern wie Boris Pergamentschikow, Tabea Zimmermann, Christian Tetzlaff und vielen anderen.

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Agostino Steffani (1654-1728) Sonate da Camera Quartetto Erasmus Isidoro Taccagni, Cembalo CON 2038 / Concerto 8012665203827 / Ersteinspielung

Steffanis Kammersonaten wurden Anfang des 18. Jahrhunderts in Holland von Estienne Roger veröffentlicht. Obwohl die Werke gattungstechnisch gesehen „Instrumentalmusik“ darstellen, enthalten sie doch vokal gedachte Elemente. Dies ist nicht verwunderlich, denn alle sechs Sonaten beziehen sich auf Opern aus Steffanis Feder. Viele Sätze sind sogar direkt den Opern entnommen, andere entstammen Balletten, die zwar bei Aufführungen der Opern gespielt wurden, aber von Steffani nicht notiert wurden.

Große Musik für kleine Besetzung Gattungstechnisch handelt es sich um typische barocke Triosonaten für zwei Violinen, Viola und Basso continuo (d.h. Cello und Cembalo). Doch gibt der Komponist häufig Hinweise auf die Verwendung von Blasinstrumenten wie Oboe und Fagott; im Barock war eine spezifische Zuweisung von Musik zu einem Instrument eher untypisch. Wie kein anderer hat Steffani, lange Zeit Kapellmeister in Stuttgart, sich um die Verbreitung des venezianischen Geschmacks in Europa verdient gemacht. Ohne jede Frage war er einer der ganz bedeutenden italienischen Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts. Großen Einfluss hatte er auf einen der Jubilare dieses Jahres, Georg Friedrich Händel. Dieser hatte von ihm 1710 den Posten des Chor- und Musikdirektors am Hannoveraner Hof übernommen.


CLASS a k t u e l l Kammermusik

Ottorino Respighi Sämtliche Werke für Violine und Klavier; Vol. 3: Bearbeitungen barocker, italienischer Violinsonaten Ilona Then-Bergh, Violine Michael Schäfer, Klavier GEN 89116 / GENUIN Reihe Un!erhört

Aller guten Dinge sind drei – ThenBergh und Schäfer vollenden RespighiZyklus bei GENUIN Höchstpunktzahl für den Repertoirewert verdient nicht nur diese neue CD mit Werken von Ottorino Respighi für Violine und Klavier, sondern die komplette Reihe, die hier einen Abschluss findet. Mit den drei Tonträgern haben die Geigerin Ilona Then-Bergh und der Pianist Michael Schäfer eine geradezu unerhörte Repertoirelücke geschlossen: Nun liegt (endlich) das Gesamtwerk des großen italienischen Komponisten für diese Besetzung vor. In der Öffentlichkeit ist Respighi hauptsächlich für seine Mittelmeerluft atmenden, explosiven und hochemotionalen symphonischen Dichtungen bekannt, mit denen er seine Zuhörer in seine Heimat entführt: Die Pinien von Rom, Römische Feste, Römische Brunnen... Der Kammermusikliebhaber kann sich nun auf die großen Gefühle Respighis im kammermusikalischen Format freuen, auf französischen Grand Salon – made in Italy – und auf vollblütige NovecentoAdaptionen alter italienischer Meister. In den beiden Münchner Künstlern hat das aufstrebende Leipziger Label GENUIN berufene Anwälte für die ungemein farbige und anspruchsvolle Musik Respighis gefunden, die mit Detailgenauigkeit und Weitblick zu Werke gehen. Es bleibt jedem Hörer selbst überlassen, ob er den großen, spätromantischen Sonaten oder den liebevollen Barock-Bearbeitungen Respighis den Vorzug gibt. Hörenswert sind sie alle!

Théodore Dubois (1837-1924) Remember – Werke für Violine und Klavier Stépanie-Marie Degand, Violine Laurent Martin, Klavier LID 030219709 / Ligia Digital 3487549901970

Franz Schubert Quintett A-Dur „Die Forelle” D 667 op. 114 Robert Schumann Klavierquintett Es-Dur op. 44 Carmina Quartett Kyoko Tabe – Petru Iuga SM 133 / Solo Musica

Dubois? Noch vor 15 Jahren galten als Vertreter der französischen Romantik nahezu ausschließlich Berlioz, Gounod und Massenet. Erst allmählich gerieten andere Komponisten wieder ins Rampenlicht, wie Guiraud, Rabaud, Pierné und eben Dubois. Théodore Dubois studierte am Pariser Conservatoire bei Antoine François Marmontel, François Bazin, François Benoist und Ambroise Thomas. Er war 1861 Rompreisträger, ab 1855 Organist des Invalidendomes und wurde 1859 Chordirigent an Sainte-Clotilde, während dort César Franck die große Orgel spielte. 1877 bis 1896 wirkte er als Organist an der Madeleine. Seit 1871 war er Harmonielehrer, seit 1896 Direktor des Conservatoire. Dubois schuf großartige Werke im romantischen Sinn, die dabei doch erstaunlich modern wirken.

Spätromantik entdeckt Moderne Seine Neigung zu Dissonanzen und Betonung des Rhythmischen teilt er mit seinem deutschen Kollegen Max Bruch in diesen hier vorgestellten Werken, die um 1915 entstanden. Eine wichtige Wiederentdeckung französischer Spätromantik.

Diese Einspielung konnte in 2008 bereits den „Record Academy Award of Japan”, vergleichbar mit dem amerikanischen Grammy, in der Kategorie Kammermusik gewinnen. Das Jahr 1842 gilt als das „kammermusikalische Jahr“ Schumanns. Gemeinsam mit seiner Frau Clara studiert Schumann Streichquartett-Partituren von Mozart und Haydn am Klavier. Er fühlte sich aber damals noch nicht fähig, durch eigene Werke Ebenbürtiges zu schreiben. Einmal begonnen, arbeitete Schumann unermüdlich und vollendete zwischen dem 2. Juni und dem 22. Juli die drei Streichquartette op. 41. Die daraus gewonnene Erfahrung im Umgang mit den Streichinstrumenten, bewog ihn dazu im September dem Streichquartett sein ihm so vertrautes Instrument, das Klavier, an die Seite zu stellen. Damit begab er sich auf kompositorisches Neuland. Kein bedeutender Komponist zuvor hatte sich an dieser Kombination versucht. Bei dem zweiten Werk dieser Einspielung, Schuberts Forellenquintett, steht das Melodische ganz im Zentrum. Weit weniger aufgewühlt als die beiden anderen, mit Liedkompositionen Schuberts verbundenen Werke, die „Wanderer-Phantasie“ C-Dur für Klavier und das d-Moll-Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, widerspiegelt es eine der heitersten Zeitspannen Franz Schuberts. Es ist voll von wunderbarer Musizierlust und Heiterkeit, ohne je an Ernsthaftigkeit zu verlieren. Die „Financial Times“ reihte die Formation als eine der führenden Streichquartette dieser Zeit ein. Das Quartett erhielt viele renommierten Auszeichnungen für seine CD-Einspielungen.

AUSGABE 2009/1

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Joseph Wölfl (1773-1812) Streichquartett in C-Dur (Op. 30 Nr. 2) Streichquartett in D-Dur (Op. 30 Nr. 3) Streichquartett in Es-Dur (Op. 30 Nr. 1) Pratum Integrum Orchestra Soloists CM 0032006 / Caro Mitis (SACD hybrid) / 4607062130308

Wölfl, einst populärer Komponist und Pianist, stammte aus Salzburg. In seiner Vaterstadt wurde er von Leopold Mozart und Michael Haydn ausgebildet. Mit Beethoven lieferte er sich in Wien zur Freude des Publikums lebhafte Zweikämpfe als Pianist, als Komponist beherrschte er meisterhaft alle Genres und tat sich durch die Vielfalt seiner Stilistik hervor. Eine Europatournee führte ihn 1801 nach Paris, wo er gleich mehrere Jahre lang als gefeierter Pianist blieb (er wurde als „aufregendster Pianist Europas“ bezeichnet).

Werke eines Überfliegers Nach nicht näher geklärten „Unregelmäßigkeiten“ musste er 1805 Paris überstürzt verlassen; sein weiterer Lebensweg bleibt im Dunkeln. Schließlich landete er in London, wo seine Karriere allerdings nicht mehr sehr erfolgreich verlief. Er starb unerwartet mit nur 39 Jahren im denkwürdigen Jahr 1812, das die Alte Welt erschütterte und als Scheidepunkt der Epochen angesehen wird – als ob er es vorgezogen hätte, im 18. Jahrhundert zu bleiben. Von seinen 18 Streichquartetten wurden für diese SACD drei frische, originelle Werke aus dem Jahr 1805 ausgewählt.


Im Blickpunkt Kammermusik

Conlon Nancarrow (1912-1997) Ausgewählte Studien arrangiert für Bläserquintett von Raaf Hekkema Calefax Reed Quintet Ivo Janssen, Klavier MDG 619 1548-2

Streichinstrumente

Elgar, Ravel, Sibelius, Vaughan Williams u.a. Homage Ehrung von 12 Meisterexemplaren der Geigenbaukunst James Ehnes, Eduard Laurel ONYX 4038

Das Player Piano lebt! Diesmal in einem Arrangement für Bläserquintett und Klavier: Conlon Nancarrow komponierte Mitte des 20. Jahrhunderts fast immer für die Rolle, weil er glaubte, kein Mensch könne seine Musik je live spielen. Das niederländische Ensemble Calefax belehrt den US-Amerikaner mit einer Aufnahme von 14 seiner „Studies“ postum eines Besseren: Niemals zuvor haben die musikalischen Experimente Nancarrows so geklungen wie in dieser Version des Saxophonisten Raaf Hekkema. Versprochen!

Rollentausch Conlon Nancarrow stanzte seine Werke eigenhändig ins Papier. Ein Notenblatt haben seine Studies nie gesehen, bevor sie erstmals auf dem Pianola erklangen. Die aktuelle Calefax-Einspielung haben wir dem niederländischen Hornisten und Musikmanager Jan Wolff zu verdanken, einem glühenden Verehrer von Nancarrows Musik. Nach erfolgreicher Premiere im Beisein des Komponisten war der Damm gebrochen und Calefax arrangierte in der Folge ein gutes Dutzend Player-Piano-Werke von Nancarrow für Bläserquintett und Klavier, die erst vor kurzem bei Wolffs Abschiedsfeier als Muziekgebouw-Direktor in Amsterdam (ur)aufgeführt wurden. Das Rohrblatt-Quintett Calefax ist auf allen Bühnen dieser Welt zu Hause. In mehr als 600 Konzerten haben die Musiker mit viel Humor und Erfolg ihr breites und garantiert immer spezielles Repertoire präsentiert, wobei sie sich auf keine etablierte Rolle festlegen: Man präsentiert Alte Musik bis zu den Klassikern ebenso ungebremst, wie Jazz und zeitgenössische Kompositionen in Original und bisweilen aberwitzigsten Arrangements. Hochvirtuos und immer feinst geblasen …

Auf seiner neuesten CD „Homage“ erweist der Geiger James Ehnes, Grammyund Gramophone Award Gewinner im Jahr 2008, den berühmtesten Geigenbauern der Welt seine Referenz. Im Mittelpunkt dieses außergewöhnlichen Projektes stehen insgesamt 12 der bedeutendsten jemals hergestellten Violinen und Violas. Die wertvollen Exemplare von Stradivari, Guarneri, da Salò und Guadagnini stammen ohne Ausnahme aus der Fulton Collection, der wichtigsten Privatsammlung der Welt. So konnte man beispielsweise noch nie Stradivaris La Pucelle bisher in einer Aufnahme hören und Guarneris Lord Wilton war das letze Instrument von Yehudi Menuhin. James Ehnes präsentiert eine sorgfältig zusammen gestellte Auswahl von 21 Musikstücken und zeigt an ihnen die Charakteristika und Vorzüge des jeweils verwendeten Instruments. Abgerundet wird das Programm durch zwei Bonus-Tracks, auf denen jedes Instrument mit dem gleichen Ausschnitt aus einem Stück zu hören ist. Eine wunderbare Gelegenheit, die klanglichen Qualitäten der einzelnen Instrumente miteinander zu vergleichen. Die beigefügte DVD beinhaltet die vollständige Aufführung der Werke sowie Interviews, in denen mehr über die Instrumente selbst, die Wichtigkeit des Bogens, Ehnes’ Beziehung zur Fulton Collection und über die Vorbereitungen zur Aufnahme zu erfahren ist. Von der DVD sagt Ehnes selber, dass sie für jeden Liebhaber großartiger Instrumente sehens- und natürlich auch hörenswert ist. David Fulton berichtet über seine Leidenschaft diese Seltenheiten zu sammeln und warum er seine Kostbarkeiten James Ehnes anvertraut und dass er ihn mit David Oistrach vergleicht.

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Johann Sebastian Bach 6 Sonaten & Partiten Viktoria Mullova ONYX 4040

Als „Eiskönigin“ wurde sie schon bezeichnet – die russische Geigerin Viktoria Mullova, deren Spiel so gar nicht russisch anmutet. Seit einigen Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit Barockmusik, hat zuletzt mit Ottavio Dantone Bach-Sonaten und mit Il Giardino Armonico unter Giovanni Antonini Vivaldi-Konzerte eingespielt. Viktoria Mullova ist es hier auf beeindruckende Weise gelungen, ihre ausgereifte Technik, die sie auf der modernen Geige besitzt, auf ihr barockes Spiel zu übertragen. Wie selbstverständlich spielt sie ihre mit Darmsaiten bespannte Guadagnini (1750) mit einem barocken Bogen. Barockmusik ganz ohne Vibrato zu spielen, lehnt Mullova dagegen strikt ab: Sie setzt das Vibrato sehr gezielt ein, differenziert es in seiner Art, in seiner Schnelligkeit und Weite. Der Kritik entgegnet sie selbstbewusst: „Man kann so viele unterschiedliche Sachen machen mit verschiedenen Vibratos. Und es gab eine Zeit, da hat man jede Note mit viel Vibrato gespielt, dann gab es eine Phase, wo man Vibrato nur als Farbe nutzte. Es stimmt einfach nicht, dass man Barockmusik ohne Vibrato womöglich schief spielt. Das war immer das, was die modernen Musiker über authentisches Spiel gesagt haben.“ Nach ihrer Aufnahme von drei Partiten Anfang der 1990er Jahre auf einer modernen Geige für Philips präsentiert Viktoria Mullova nun für Onyx eine Gesamtaufnahme sämtlicher Sonaten und Partiten Bachs auf zwei CDs. Mullovas Spiel überzeugt einmal mehr durch einen schlanken Klang mit sparsamem, klug eingesetztem Vibrato und einen differenzierten, beweglichen Ton ohne jede Schwere.

AUSGABE 2009/1

Ligeti, Bloch, Britten Solosonaten Walton Cello Konzert Pieter Wispelwey Jeffrey Tate, Sydney Symphony ONYX 4042

Neben der außergewöhnlichen technischen Meisterschaft seines Cellospiels ist es vor allem sein persönlicher und unverkennbarer Interpretationsansatz, der ihn auszeichnet. Darüber hinaus ist Wispelwey einer der ganz wenigen Cellisten seiner Generation, der sich sowohl der historischen Aufführungspraxis als auch der Interpretation der jüngsten Celloliteratur widmet. So reicht denn sein Repertoire dementsprechend auch von Johann Sebastian Bach bis hin zu Elliott Carter. Knapp 20 CDs hat Wispelwey seit Anfang der 1990er Jahre für das holländische Label Channel aufgenommen und dafür viel Kritikerlob und höchste Auszeichnungen (Diapason d’or, Gramophones Editor’s Choice usw.) geerntet. Die vorliegende Aufnahme nun markiert den Beginn einer längerfristig angelegten Zusammenarbeit von Wispelwey mit dem Label Onyx. Im Mittelpunkt steht das Cellokonzert von William Walton, das Wispelwey auf seinem Guadagnini-Cello (1760) spielt. Werke für Cello solo von Bloch, Britten und Ligeti, für die Wispelwey auf ein Stradivarius-Cello (1698) zurückgreift, runden das Programm ab.


CLASS a k t u e l l Tasteninstrumente

MDG 341 1309-2

Rampes historisch informierter Ansatz, seine im Stil der Zeit ergänzten Verzierungen und quasi improvisierte Ausschmückungen bei Wiederholungen machen neben dem Gebrauch der Instrumente der Mozart-Zeit den besonderen Reiz dieser auch klanglich überzeugenden Einspielung aus.

Überflieger Siegbert Rampe und das Aufnahmeteam von MDG mussten bis nach Tempe/Arizona reisen, um den klaren Klang des Hammerclaviers einzufangen, das 1992 in der Werkstatt von Barbara und Thomas Wolf in Washington D.C. nach einem Vorbild des Wiener Clavierbaumeisters Johann Schantz entstanden ist. Auf dem mit Jalousieschweller (!) und einem „Machine Stop“-Pedal zum Umregistrieren während des Spiels ausgestatteten Shudi-Cembalo präsentiert Rampe eine klanglich extrem spannende Version der zwölf Variationen KV 265 (300e) über „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Wer am historischen Klangbild von Mozarts Werken für Tasteninstrumente interessiert ist, wird an Siegbert Rampes stets klugen, stilsicheren und oft mitreißenden Interpretationen nicht vorbeikommen.

Player Piano 8 Michael Denhoff (*1955) 12 Inventionen op. 88 Candenabbiaer Glockenbuch op. 78a Bösendorfer Grand Piano und Fischer Grand Piano mit Ampico Selbstspiel-Mechanik MDG 645 1408-2

Noch nie hat ein Komponist nach Nancarrow so umfangreich zeitgenössische Kompositionen fürs Selbstspielklavier ersonnen und zur Aufführung gebracht. Der heute in Bonn lebende Michael Denhoff hat zwei Dutzend Inventionen und Etüden geschrieben und auf den liebevoll restaurierten Original-Instrumenten von Jürgen Hocker als Vol. 8 der Player-Piano-Reihe bei MDG eingespielt. Die enormen technischen Möglichkeiten der Ampico-Selbstspielmechanik werden von Komponisten seit 90 Jahren genutzt. Zuerst überschritten Strawinsky, Hindemith, Casella u. a. die Grenzen der manuellen Spielbarkeit. Dann sorgte Nancarrow mit seinen extravaganten auf Lochstreifen gestanzten Studies für Furore: Wir erinnern uns an vielstimmige Triller und unwirkliche Klangorkane mit 100 Anschlägen pro Sekunde… Die Wiedergabe kompliziertester Metren und Rhythmen in absoluter Präzision sowie eine stufenlose Dynamik von pp bis ff sind weitere Vorteile des um 1920 hervorragend ausgereiften Ampico-Systems, das in dieser ambitionierten MDG-Reihe ein lebendiges Denkmal erhält. In bewusster Anlehnung an J.S. Bach gab Denhoff seinen Werken den Titel „Inventionen“, weil sie dessen kontrapunktische Techniken nutzen und erweitern. Der Gesamtzyklus umfasst zwölf Stücke für zwei Player Pianos. Jede „Invention“ hat dabei ihr eigenes, unverwechselbares Gesicht – von der Ein- bis zur Zwölfstimmigkeit. Ein Aufenthalt am Comer See verhalf Michael Denhoff zu einer weiteren Idee: Die seit Ewigkeiten ungleich gestimmten Glocken zweier entfernt stehender Kirchen faszinierten ihn so sehr, dass daraus die 13 Etüden seines Cadenabbiaer Glockenbuchs entstanden, die er dann zu einer speziellen Fassung für zwei Selbstspielklaviere umarbeitete.

AUSGABE 2009/1

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CHSA 5070

Wolfgang Amadeus Mozart Sämtliche Clavierwerke Vol. 9 Siegbert Rampe Cembalo und Hammerklavier

2 SACDs

Leonard Bernstein

MASS R. Scarlata, Kristjan Järvi, Tölzer Knabenchor, Tonkünstler-Orchester, Absolute Ensemble, Chorus sine nomine, Company of Music

Codaex Deutschland GmbH Landsberger Straße 492 81241 München infode@codaex.com


Im Blickpunkt Orgel

Olivier Messiaen (1908-1992) Sämtliche Orgelwerke Hans-Ola Ericsson BIS-CD-1770 7318591770725

Olivier Messiaens Bedeutung für die Orgelmusik des 20. Jahrhunderts beschreiben zu wollen, hieße Eulen nach Athen tragen. Der eigenwillige Organist und Komponist hat Musik geschrieben, die sich jeder Kategorisierung entzieht. Modale Tonarten des Mittelalters treffen bei ihm auf indische Rhythmen, dazwischen rufen die Vögel, deren Gesang Messiaen zeitlebens faszinierte... Zwischen 1989 und 1992 hatte Hans-Ola Ericsson sich diesem einzigartigen Schaffen bereits gewidmet. Damals spielte er die großen, bekannten Werke an der Grönlund-Orgel in der Kathedrale von Lulea in Schweden ein. Die mehrfach prämierten Aufnahmen entstanden nach ausgiebigster Absprache mit dem Komponisten und können daher als autorisiert gelten.

Denkmal für einen Eigenwilligen Die Box enthält darüber hinaus Ersteinspielungen dreier posthum zugänglich gewordener Werke aus den 1920er Jahren (Monodie, Offrande au Saint Sacrement und Prélude), die Ericsson an der 2006 von Gerald Woehl in der Katharinenkirche von Oppenheim erbauten Orgel vornahm. Ein 232seitiges Booklet informiert ausführlich über alle Aspekte der Werke und das Leben des Komponisten. Darüber hinaus gibt es noch Aufnahmen der Vogelrufe, wie sie in Messiaens Orgelmanuskripten aufgezeichnet sind.

Klavier

Morton Feldman (1926-1987) Späte Klavierwerke Vol. 2 For Bunita Marcus Steffen Schleiermacher, Klavier

Frédéric Chopin Klaviersonaten Nr 2 & 3, 2 Nocturnes, Berceuse u.a. Marc-André Hamelin

MDG 613 1522-2

CDA 67706 / Hyperion

Die Serie mit den späten Klavierwerken von Morton Feldman gewinnt an Kontur. Das Werk der 2. Folge ist Bunita Marcus, Feldmans Schülerin und über viele Jahre engste Vertraute, gewidmet. Opulent wirken die Kompositionen von Morton Feldman eigentlich nie. Minutenlang operiert der Künstler mit wenigen Einzeltönen, die er immer wieder in ihrer Reihenfolge, ihrem Rhythmus und auch in ihren Oktavlagen austauscht. Wirkliche Akkorde tauchen in diesem gut 70 Minuten langen Werk erst spät auf. Dafür überraschen vereinzelte winzige Störmomente die Zuhörer: Wie ein Schatten huscht hin und wieder ein schnelles Motiv vorüber, das die vermeintlich strahlende „Idylle“ stets als gefährdet und instabil entlarvt.

Seine ungeheuren technischen Fähigkeiten verbunden mit originärer Musikalität und überquellender interpretatorischer Phantasie haben den franko-kanadischen Pianisten Marc-André Hamelin in den letzten Jahren in die Riege der führenden internationalen Klaviervirtuosen aufsteigen lassen. Neben exotischer, vergessener oder kaum spielbarer Klavierliteratur widmet er sich auch immer wieder dem gängigem Klavierrepertoire, zuletzt Haydn, Brahms oder Schumann. Auf seiner neuesten Aufnahme interpretiert Hamelin erstmals jenen Komponisten, dessen Name untrennbar mit der Entwicklung des modernen Klavierspiels verbunden ist: Frédéric Chopin (18101849). Im Zentrum stehen die Klaviersonaten Nr. 2 und 3, Klassiker der romantischen Klaviermusik, abgerundet wird das Programm durch einige von Chopins schönsten Miniaturen. Hamelins pianistischen Fähigkeiten kommen bei Chopin einmal mehr eindrucksvoll zur Geltung: Die kraftvollen Passagen gestaltet er impulsiv und energiegeladen, wunderbar warmherzig und einfühlsam dagegen die lyrischen Momente, und die technisch anspruchsvollen Passagen meistert er mit einer unvergleichlichen Brillanz und Leichtigkeit. In einem Interview erklärte er sein Verständnis von Virtuosität, als die erhöhte Form des Gebrauches aller Mittel, die einem Künstler zur Verfügung stehen, um eine Konzeption umzusetzten. Leider bedeute es für die meisten nur Geschwindigkeit. Angesprochen auf die Auswahlkriterien seines Repertoires erzählt er von seiner Leidenschaft, Musik zu sammeln, von seinem riesigen Fundus aus Bibliotheken, von Musikliebhabern, genug, um zehn Leben damit zu verbringen alles durchzuhören, zu spielen.

Lichtgestalt Feldman lässt Motive und Klänge seiner Musik immer wieder in anderem Licht erscheinen. Seine Nähe zur Malerei ist hierbei offenkundig: Mondrian, Rothko und Pollock liefern ihm Ideen und Claude Monet ist für Feldman der erste Maler, „der ins Licht geschaut hat … bei den Klängen ist es genauso – sie überlagern sich.“ Steffen Schleiermacher arbeitet seit 1988 als freischaffender Komponist und international gefeierter Pianist. Er hat sich ausschließlich auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisiert und gilt als einer der wichtigsten NeueMusik-Interpreten unserer Zeit. Seine klug disponierte Gesamtdiskographie – auch als Leiter des Ensemble Avantgarde – zeichnet exemplarisch ein faszinierendes Bild der aktuellen Musikströmungen.

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AUSGABE 2009/1

Theodor Leschetizky (1830-1915) Klavierkonzert, Klavierwerke Hubert Rutkowski, Klavier Rzeszów Philharmonic Orchestra, Tomasz Chmiel AP 0191 / Acte Prealable 5902634751912

Leschetizky war Ende des 19. Jahrhunderts einer der bedeutendsten europäischen Musiker. Insbesondere als Pädagoge wurde er berühmt; er hat beinahe 2000 Pianisten ausgebildet. Zu seinen Schülern gehörten u.a. Artur Schnabel, Ignacy Jan Paderewski, Henryk Melcer, Ingacy Friedman, Miecyslaw Horszowski, Benno Moiseiwitsch, Elly Ney, Paul Wittgenstein... die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Und auch die führenden Pianisten des 20. Jahrhunderts sind letztlich Nachfolger der Leschetizky-Schule, darunter Sviatoslav Richter, Vladimir Horowitz, Sergei Prokofiev, Alexander Scriabin, Van Cliburn wie auch John Cage.

Der Übervater des Klaviers 1862 hatte Leschetizky zusammen mit Anton Rubinstein ein Musikkonservatorium in St. Petersburg gegründet. 1878 ließ er sich in Wien nieder und widmete sich privatem Unterrichten und Komponieren. Das letzte Mal trat er konzertierend 1887 in Frankfurt am Main auf. Er starb 1915 in Dresden. Sein künstlerisches Erbe umfasst über 50 Werke, darunter Klavierwerke, das hier eingespielte Klavierkonzert und zwei Opern. Paderewski und Essipoff hatten viele seiner Kompositionen im Repertoire. Seine Werke erfreuten sich generell großer Beliebtheit und wurden weltweit aufgeführt, gerieten dann aber in Vergessenheit. Hier sind echte Entdeckungen zu machen.


CLASS a k t u e l l Klavier mit Orchester

Ludwig van Beethoven Klavierkonzerte Nr. 1 & 2 Kent Nagano Mari Kodama Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Orchester

Märsche von Jakob Pazeller Blasorchester der ungarischen Armee Tibor Kovács, János Pontok, Zsolt Csizmadia HCD 16887 / Hungaroton 5991811688721 / Ersteinspielung

AN 2 9955 / Analekta

Mari Kodama zählt Dank ihrer großen Musikalität und ausdrucksvollen Virtuosität zu den interessantesten Pianistinnen ihrer Generation. Ihre Fähigkeit, dem Klavier scheinbar anstrengungslos eine beeindruckende Klangfülle zu entlocken und einen ebenso warmen wie lyrischen Ton zu erzeugen, sowie ihre begeisternde technische Brillanz gehören zu den herausragenden Eigenschaften ihres Musizierens. In Osaka geboren, lebt Mari Kodama seit ihrer Jugend in Europa. Sie studierte Klavier am Pariser Musikkonservatorium und setzte später ihre Ausbildung bei renommierten Pianisten wie Murray Perahia, Andras Schiff und Tatiana Nikolaeva fort. Heute ist Mari Kodama regelmäßig Gast der großen Orchester in Japan, Europa und den USA und tritt in den wichtigsten Konzertsälen der Welt und bei führenden Festivals auf. Für das Label PentaTone spielt sie gerade eine Gesamtaufnahme der Klaviersonaten Beethovens ein. Die ersten Folgen wurden von der Presse begeistert aufgenommen, ein Rezensent etwa schrieb, ihre „Appassionata“ sei „noch feuriger als die Pollinis“. Beethoven – hier nun die ersten beiden Klavierkonzerte – steht auch im Mittelpunkt des vorliegenden Programms. Begleitet wird sie von ihrem Mann Kent Nagano am Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Die Aufnahme, entstanden im Juni 2006, bildet zugleich den Abschluss einer äußerst erfolgreichen Zusammenarbeit: Nagano hatte von 2000 bis 2006 als Chefdirigent und künstlerischer Leiter dem Orchester voran gestanden und war – als Ausdruck der Verbundenheit – von den Musikern zum Ehrendirigenten ernannt worden.

Josef Bohuslav Foerster (1859-1951) Sämtliche Sinfonien Vol. 2 Sinfonie Nr. 3 + 4 Sinfonieorchester Osnabrück Hermann Bäumer, Ltg. MDG 632 1492-2

Pazeller (1869-1957) wirkte zunächst in Wien als Konzertmeister im Orchester von Friedrich Strauss; mit 26 Jahren war er bereits Dirigent am Carl-Theater. 1896 trat er in die k.u.k. Armee ein und wurde so Militärkapellmeister der ÖsterreichUngarischen Donaumonarchie.

Aus Kaisers Zeiten In den Sommermonaten gehörte es zu seinen Aufgaben, im namhaften Kurort Herkulesbad (südliche Grenzregion Siebenbürgens) die Kurgäste zu unterhalten. Hier schrieb er 1903 den Walzer „Souvenir de Herkulesbad“, der ihm innerhalb kürzester Zeit Weltruhm eintrug. In Anerkennung seiner Erfolge wurde er nach Budapest versetzt, wo er, wirtschaftlich längst gesichert, eine Familie gründete. Nach 1945 entzogen ihm die Kommunisten seine Pension, und der Deportation entging er nur wegen seines schlechten Gesundheitszustandes. Doch Pazeller komponierte unverdrossen; er hinterließ eine Oper, zwei Operetten, ein Ballett, drei Ouvertüren, fünf Fantasien, zahlreiche Walzer, Interludien, Lieder und Märsche: mehr als 200 Kompositionen.

In der Mitte seines Lebens gelang Josef Bohuslav Foerster sein Meisterstück: Die vierte Sinfonie des böhmischen Komponisten ist sicher sein ambitioniertestes Werk. Und seine dritte Sinfonie rundet eine eindrucksvolle Aufnahme mit dem Sinfonieorchester Osnabrück unter der Leitung von Hermann Bäumer ab.

Das Meisterwerk Zu Beginn seiner Hamburger Zeit komponierte Foerster seine 3. Sinfonie mit dem Titel „Das Leben“. Hier zeigt sich ein hochtalentierter, von den unterschiedlichsten musikalischen Einflüssen inspirierter Komponist. Mal glaubt man Anklänge an Wagner zu hören, dann wieder von Dvorák, schließlich von Bruckner oder doch von Mahler. Foersters Botschaften sind subtil. Wie individuell und mit viel Feingefühl er seine dritte Sinfonie gestaltet hat, erfahren aufmerksame Zuhörer dennoch – und sind umso mehr verzaubert von slawischer Terzenseligkeit und natürlich einem böhmisch klingenden Scherzo. Am Karfreitag 1904 begann Foerster die Komposition der „Osternacht“. Eine reine Meditation sollte es nicht werden, im Gegenteil: Den ersten Satz widmet er den Ostertagen, wie der Erwachsene sie erlebt, im zweiten Satz schildert er die Feiertage mit den Augen eines Kindes. Dann ein Gebet und schließlich das Finale zur Feier des auferstandenen Heilands… Was für ein liebenswertes Sujet, dem sich Dirigent und Orchester mit Hingabe widmen.

AUSGABE 2009/1

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Dedications Nordgren: Solemnity-Euphony for 19 strings Vasks: Musica appassionata per orchestra d‘archi Eliasson: Sinfonia per archi Ostrobothnian Chamber Orchestra, Juha Kangas ABCD 245 / Alba (SACD hybrid) 6417513102451 / Ersteinspielungen

Es beginnt mit einer Vision, und es mündet in eine Tradition. Das ist der Traum vieler Kreativer, und manche entfalten die Kraft und Intelligenz, ihre Vision schließlich auch zu verwirklichen. Ein solcher Visionär ist der finnische Dirigent Juha Kangas. Von Herkunft Volksmusikant, sozusagen ein fiedelnder Spielmann mit klassischer Ausbildung, machte er bald eine steile Karriere als international gefragter Dirigent.

Ein Visionär macht Musikgeschichte Am Konservatorium in Kokkola, einem 35.000 Einwohner zählenden finnischen Provinznest, gründete er ein Streichorchester mit Kindern, das schließlich semiprofessionell und heute voll professionell arbeitet: Das Ostrobothnian Chamber Orchestra, derzeit eines der weltbesten Streichorchester. Und Kangas setzt sich stets für zeitgenössische Musik ein, insbesondere für das Werk seiner Freunde Pehr Henrik Nordgren, Anders Eliasson und Peteris Vasks. Diese SACD legt davon Zeugnis ab.


Im Blickpunkt Lied

Lieder von Clara Schumann, Alma Mahler-Werfel und Lili Boulanger Maria Riccarda Wesseling, Mezzosopran Nathalie Dang, Klavier CLA 50-2904 / Claves 7619931290423

Dies ist bereits Wesselings drittes Album für Claves und kommt zu einem Zeitpunkt heraus, da sie auf den Wogen des Erfolgs schwimmt. Die Wesseling singt, seit sie sich erinnern kann. Schließlich entschied sie sich, es beruflich zu tun. Besonders intensiv beschäftigte sie sich mit den Opern Händels, wovon diverse Einspielungen Zeugnis ablegen. Die Interpretation zeitgenössischer Komponisten sieht sie aber auch als wichtige Aufgabe; sie hat bereits in Opern von Saariaho, Reimann, Eötvös und Sciarrino gesungen. Bei der Weltpremiere von Henzes Oper „Phaedra“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden sang sie die Titelpartie. Derzeit fällt sie an der Pariser Oper mit brillanten Aufführungen auf. Und doch vermag sie sich immer wieder in die kleine Form des Kunstliedes zu versenken. Die Intimität dieser hier eingespielten Lieder kommt ihr besonders entgegen, um eben auch eine ganz andere Seite ihres künstlerischen Vermögens zeigen zu können.

Romantische Bekenntnisse Fast alle für diese CD ausgewählten Lieder haben die Komponistinnen in ihrer Jugendzeit, teils in frühester Jugend geschrieben – wobei man sagen muss, dass Lili Boulanger, die ja schon mit 25 Jahren starb, auch kein anderer Lebensabschnitt beschieden war. Wunderbar zarte Lieder, die von Liebe und Sehnsucht handeln, verbindet die Sängerin zu einem großartigen romantischen Stimmungsbild.

Vokalmusik

Scottish and other Songs von Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven sowie Trio d-Moll von Haydn Daniely Bechly, Sopran Trio Kairos M 56880 / Musicaphon 4012476568805 / (SACD hybrid)

Das Zeitalter der Aufklärung wollte das gesamte Wissen und Können der Menschheit gegen den Widerstand weltlicher und geistlicher Machthaber für jeden Bürger zugänglich machen. Der Zeitraum von 1730 bis 1800 brachte eine bürgerliche Emanzipation hervor, der eine konzentrierte Sammlung von Wissen, Denken, Fühlen und Handeln zu verdanken ist. Dieser Sammlungs-Leistung haben wir auch auf musikalischem Gebiet viel zu verdanken, was sonst verloren wäre. Auch in Schottland trachtete man nach einer umfangreichen Sammlung des Volksliedgutes der Insel.

Thomson, der Liedsammler Mehrere Verleger und Herausgeber konkurrierten in der Zeit des Scottish Enlightenment mit Sammelbänden schottischer, irischer und walisischer Lieder. Besondere Bedeutung erlangte George Thomson (1757-1851) aus Edinburgh, der „fleißigste“ auf diesem Gebiet, der 50 Jahre lang der Hauptinitiator für die Volksliedsammlungen in Schottland sein sollte. Ihm gelang es, auch Joseph Haydn und später Ludwig van Beethoven für die musikalische Auf- und Ausarbeitung des gesammelten Materials zu verpflichten. Einige der Ergebnisse werden hier vorgetragen von Daniela Bechly, gebürtige Hamburgerin, aber seit 1993 in England ansässig (1987 bis 1993 an der Deutschen Oper Berlin tätig), und dem Trio Kairos, das auf Musicaphon bereits ein sehr erfolgreiches Debut mit den „Klaviertrios der 20er Jahre“ hatte (Musicaphon M 56872).

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Abbey Road a cappella Atrium Ensemble

Die Kunst der Emma Kirkby Geistliche und weltliche Werke

M 56893 / Musicaphon 4012476568935

von Händel, Bach, Böddecker, Couperin, de Lalande, Scarlatti, Ariosti, Amodei sowie Lautenlieder von Dowland, Johnson, Blow, Schütz, d‘India, Boesset.

Die letzte Zusammenarbeit der Beatles, eines ihrer berühmtesten Alben, gesungen von vier Männern (hoher und mittlerer Tenor, Bariton und Bass) ohne Instrumentalbegleitung – geht das überhaupt? Es geht, und wie! Die behutsamen Transkriptionen Frank Schwemmers erfassen durchweg hervorragend die Stimmung der Songs, und die wesentlichen Elemente werden mit wirklich unglaublicher Virtuosität von den vier Sängern umgesetzt, so dass man sich manches Mal an die Ohren fasst und fragt, ob da wirklich nur vier Sänger und nicht ein ganzes Ensemble am Werk sind.

Beatles mal klassisch Und so wirken die Songs trotz des fehlenden Instrumentariums keineswegs unvollständig, aber klanglich halt anders und neu. Nach zwei Aufnahmen mit romantischem Liedgut (M 56848 und M 56876) ist dies die dritte Veröffentlichung dieses Ausnahme-Ensembles bei Musicaphon – ein Vergnügen nicht nur für Beatles-Fans, die mit dem Original vertraut sind.

AUSGABE 2009/1

Emma Kirkby, Sopran Jakob Lindberg, Laute London Baroque, Theatre of Early Music u.a. BIS-CD-1734 7318591734352

Pünktlich zum 60. Geburtstag der Künstlerin am 26.2.2009 brachte BIS auf vier CDs die Highlights der bisherigen Zusammenarbeit mit der Ausnahmesopranistin heraus, die 2007 vom BBC Magazine auf Platz 10 unter die „20 größten Sopranistinnen aller Zeiten“ eingereiht wurde und sich seit ihren Anfängen in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts unschätzbare Verdienste um die Wiederentdeckung und -belebung der Alten Musik erworben hat. Dabei hatte sie ursprünglich gar nicht die Absicht, das Singen zu ihrem Beruf zu machen. Als Studentin der klassischen Philologie in Oxford und dann als Schullehrerin sang sie aus reinem Vergnügen in Chören und kleinen Ensembles, wobei sie sich in der Musik der Renaissance und des Barock am meisten zu Hause fühlte. 1971 stieß sie zum Taverner Choir; 1973 begann ihre langjährige Zugehörigkeit zum Consort of Musicke. Es folgten langfristige Beziehungen mit London Baroque, dem Freiburger Barockorchester, L’Orfeo und dem Orchestra of the Age of Enlightenment. Von ihr liegen derzeit weit über 100 Einspielungen vor.

Happy Birthday, Emma! Als Geburtstagsgeschenk nicht an sie, sondern an ihre Fans erschien nun also die Box vorwiegend mit Kantaten und Arien des Barock und Lautenliedern der englischen Renaissance. Als besonderes Highlight bietet die Box die Ersteinspielung einer Solokantate von Christoph Graupner „Ach Gott und Herr“.


CLASS a k t u e l l Oper

Michael Haydn (1737-1806) Responsorien zur Heiligen Woche Purcell Chor Orfeo Orchestra, György Vashegyi HCD 32596 / Hungaroton 5991813259622 / Ersteinspielung

Die Kompositionen für die Karwoche des Jahres 1778 sind grandiose Beispiele für Chorkompositionen im stilo antico. Das Responsorium – ein Wechselgesang von Solist und Gemeinde – ist in der katholischen Liturgie einer der üblichen Gesangstypen der heiligen Messe und des Stundengebets. Die Form geht auf den Synagogalgesang zurück und gilt somit als eine der ältesten Gesangsformen der christlichen Kirche. Mit seinen homophonen, isorhythmischen Sätzen, die nach einem vollkommenen, innigen Ausdruck der Bibelverse streben – als ob sich ihr Komponist, allen äußerlichen Prunk ausschließend, ausschließlich auf die „innere Stimme konzentrieren würde – folgte Michael Haydn den Spuren solch großer Meister der Kirchenmusik wie Victoria und Ingegneri gegen Ende des 16. Jahrhunderts oder Jomelli und Zelenka um die Mitte des 18. Jh.

Salzburger Meisterwerke Er schrieb die Stücke in drei Versionen (a cappella, Chor mit Orgel, Chor mit Orgel und Violone). Bei der Premiere am 15.4.1778 im Salzburger Dom wirkte auch der mit der Familie Mozart befreundete Kastrat Francesco Ceccarelli mit.

Emilio Arrieta (1823-1894) La conquista di Granata Cantarero, Ibarra, Bros, Odena, Rubiera, Miles Sinfonischer Chor und Orchester Madrid, Jesús Lopez Cobos

Baldassare Galuppi (1706-1785) L‘Olimpiade Tucker, Rosique, Invernizzi, Basso, Gottwald Venice Baroque Orchestra, Andrea Marcon Regie: Dominique Zito

CDS 618 / Dynamic 8007144606183 / Ersteinspielung

CDS 33545 / Dynamic (DVD Video) 8007144335458 / Ersteinspielung

Seit über 150 Jahren schlummerte diese Oper in den Archiven. Der Komponist, aus Navarra gebürtig, begann nach einer Ausbildung am Mailänder Konservatorium in Harmonielehre und Komposition eine Karriere als Sänger in Mailand, begann parallel aber Opern zu schreiben.

„L’Olimpiade“ schrieb Galuppi für die Eröffnung der Karnevalssaison am Mailänder Teatro Ducale im Dezember 1747 auf ein Libretto des berühmten Metastasio. Es war dies einer der Titel, die Metastasio selbst als zu den in Europa meistgespielten und wieder aufgenommenen zählte („L’Olympiade“ wurde nicht weniger als hundert Mal vertont), auch wenn er nicht in der Lage war, die „beste der Musiken, die ihn vertont haben“ anzugeben – da er sich nie von Wien weg bewegte, um die diversen Aufführungen zu verfolgen. Galuppis Vertonung erfolgte 14 Jahre nach der ersten Inszenierung mit Musik von A. Caldara und erfuhr über 30 Jahre hinweg eine Reihe von Wiederaufnahmen und Neuinszenierungen in ganz Europa.

Aus Spaniens Blütezeit Er gewann später die Gunst der jungen spanischen Königin Isabella II., die ihn am Madrider Hof zum „Maestro de canto“ und Hofkomponisten machte. Er durfte sein eigenes Theater bauen und hatte weitgehende künstlerische Freiheiten. „La Conquista di Granata“ hatte ihre erfolgreiche Erstaufführung in Madrid im Oktober 1850. Das Auftragswerk sollte einen ruhmreichen Moment der spanischen Geschichte feiern, nämlich die Einnahme von Granada 1492 durch die katholischen Könige Ferdinand von Aragon und Isabella von Kastilien. Es wurde ein Libretto von Temistocle Solera gewählt, der vor allem als Textdichter für Verdis „Nabucco“ in die Geschichte einging. Trotz der Begeisterung des Publikums geriet die Oper merkwürdigerweise in Vergessenheit, bis sie 2006 in einer Produktion des Teatro Real in Madrid wiedererstand. Hierbei folgte man der kritischen Ausgabe des Werkes von Ramón Sobrino und Maria Encina Cortizo. Diese Wiederentdeckung ist eine wichtige Bereicherung des italienischen Opernrepertoires des 19. Jahrhunderts, zugleich eine Wiedergutmachung an einem Komponisten von europäischer Statur. Die Aufführung erfolgte konzertant.

Detektivische Meisterleistung Die einzige Partitur wurde in Mailand aufbewahrt, war aber unvollständig. Das mag erklären, warum das Werk später nicht mehr aufgeführt wurde, obwohl das Werk so lange Zeit überaus erfolgreich gewesen war. Der Dirigent Andrea Marcon nahm sich in Zusammenarbeit mit der Musikwissenschaftlerin Claire Genewein der Rekonstruktion des Werkes an. Schließlich fanden sie die eröffnende Sinfonia in einer Bibliothek in Regensburg und das Finale in London, so dass die buffoOper auf ein Libretto von Pietro Metastasio endlich 2006 in Venedig wieder auf die Bühne gebracht werden konnte.

AUSGABE 2009/1

31

Vicente Martín y Soler (1754-1806) Il burbero di bon cuore De la Merced, Chausson, Gens, Pirgu, Diaz Orquesta Titular del Teatro Real Orquesta Sinfónica de Madrid, Christophe Rousset Regie: Irina Brook CDS 33580 / Dynamic (DVD Video) 8007144335809 / Ersteinspielung

Das Lustspiel in zwei Akten basiert auf einer der bekanntesten und amüsantesten französischen Komödien von Carlo Goldoni, Le bourru bienfaisant. Mit triumphalem Erfolg hatte die Oper am 4.1.1786 am Wiener Burgtheater Premiere. Mozart gefiel das Werk so gut, dass er zwei „Ersatzarien“ für dieses Werk komponierte, die beide auch Eingang in diese Produktion des Teatro Real de Madrid fanden. Aus Valencia war der Komponist gebürtig, der damals unter dem italianisierten Namen Vincenzo Martini eine der absoluten Größen im europäischen Musikleben war. Den entscheidenden Durchbruch hatten ihm drei Opern gebracht, die er auf Libretti von Lorenzo da Ponte zwischen 1786 und 1787 in Wien herausbrachte, darunter eben „Il burbero di buon coure“. Sehr rasch wurde das Werk in ganz Europa populär. Und dies sicher nicht nur dank der heiteren Handlung, sondern vor allem wegen der raffiniert einfachen, anmutig und mit großem Farbenreichtum orchestrierten Musik. Die Handlung wird von ihr perfekt gelenkt, ohne unnötige Längen, so dass die Szenen mit drängendem Rhythmus aufeinander folgen und der Geschichte ein Gefühl frischer Natürlichkeit verleihen. Die Regisseurin Irina Brook, Tochter des bekannten englischen Regisseurs Peter Brook, hatte mit dieser Inszenierung ihr Debut am Teatro Real. Sie versetzte die Handlung in unsere Zeit, wobei sie mehrere Stile und Epochen mixt, was neben der leichten, heiteren Musik Solers das Werk zu einer wirklich amüsanten Abendunterhaltung macht.


CLASS Katalog Service

Pan Classics Seit einem radikalen Neuanfang 2005 präsentiert sich das schweizerische Label Pan Classics als Plattform für Ensembles aus den Bereichen Kammermusik und Alte Musik. Im Katalog finden sich zahlreiche international renommierte Künstler und Ensembles. Das Wiener Streichsextett, Isabelle Faust, Roland Pöntinen, um nur wenige zu nennen. www.panclassics.com

Enja Mit über 500 Produktionen seit 30 Jahren weltweit wohl etabliert im Jazz- und Weltmusikbereich. Mitte 2005 erweitert um die Klassik-Linie Marsyas mit Veröffentlichungen von Sabine Meyer, Michael Riessler, Janina Baechle, Daniel Schnyder, Reinhold Friedrich u.a. www.enjarecords.com

Coviello Hochwertige Aufnahmen mit vielfach ausgezeichneten Solisten, Orchestern und Spezialensembles garantieren einmalige HörErlebnisse, ob in der authentisch interpretierten Alten Musik, im klassischen Kammermusikund Orchesterrepertoire, in bisher unerhörten Raritäten, in der Neuen Musik oder in genreübergreifenden Projekten. www.covielloclassics.de

Timpani Es gibt nur wenige Labels deren Katalog so viele spannende musikalische Entdeckungen aufzuweisen hat wie das französische Label TIMPANI. Der Schwerpunkt liegt hier allerdings nicht nur auf seltenem, französischem Repertoire des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sondern auch auf internationaler zeitgenössischer Musik. www.timpani-records.com

GLOR Classic Das neue Label GLOR Classics veröffentlicht anspruchsvolle Gesangs- und Chorliteratur in höchster Qualität. Im Zentrum des außergewöhnlichen Repertoires stehen Interpretationen der EuropaChorAkademie unter ihrem Leiter Joshard Daus und namhaften Gastdirigenten wie Sylvain Cambreling und Michael Gielen. www.glor-classics.de

Hyperion Das britische Label präsentiert Musik des 12. – 21. Jahrhunderts in allen Stilrichtungen und Perioden. Das Repertoire umfasst das gesamte Spektrum der Musik – Orchester- und Kammermusik, Instrumentalmusik, Chor- und Sologesang, geistliche und weltliche – oft exklusiv auf Hyperion. Bislang sind über 1400 CDs erschienen. www.hyperion-records.co.uk

MDG Hörvergnügen garantiert! Christian Zacharias, Frank Bungarten, Elisabeth Leonskaja, Steffen Schleiermacher, Adam Fischer, Roman Kofman, Consortium Classicum, Ma'alot Bläserquintett, Hardy Rittner, Siegbert Rampe, Claudius Tanski, Trio Parnassus, Musica Alta Ripa, Leipziger Streichquartett, Ensemble Villa Musica, Wiener Klaviertrio, Mozart Piano Quartet … www.mdg.de

Hänssler Classic Der Hänssler CLASSICKatalog stellt rund 800 Musikproduktionen – CDs, SACDs und DVDs – vor, darunter Raritäten des Musikrepertoires sowie preisgekrönte Aufnahmen herausragender Musiker wie Helmuth Rilling, Michael Gielen, Sylvain Cambreling, Roger Norrington, Vokalensemble Stuttgart, Johannes Moser, Gerhard Oppitz, Thomas Fey u.a. www.haenssler-classic.de

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Genuin Fast 150 Titel im Katalog 2009 - das Leipziger Klassik-Label GENUIN stellt ein umfangreiches Programm, darunter zwei neue Editionen, mit Musik des 17.-21. Jahrhunderts vor, die bereits begehrenswerte Auszeichnungen wie den Diapason d'Or oder Nominierungen für den Midem Classical Award erhalten haben. www.genuin.de


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