"Mozart!" Sonderseiten der Deutschen Mozartgesellschaft in crescendo 02/14

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Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

MOZART! 03

FEStiVALthEMA: »MOZARt uND RichARD StRAuSS« Was hat Mozart im Fin de Siècle zu suchen? F1-Rennfahrer

14 ADRIAN SUTIL

© Sauber Motorsport AG

und Kammersängerin Brigitte Fassbaender im Doppel-Interview

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4 MONAtE pROBEN – BAStELN – SchRAuBEN

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MOZARt-ORt AthEN: »WiR BRAuchEN DiE MuSiK!«

Die »Zauberflöte« in Trier – oder warum von Musikvermittlung auch das Theater profitiert

»Don Giovanni« in Krisenzeiten

… und: neue Mozart-Bücher und CDs – unsere Empfehlungen


über »das Wunder Mozart« zu schreiben, hielt der Komponist Richard Strauss für unmöglich. Die Deutsche Mozart-Gesellschaft (DMG) geht – so gesehen – ein Wagnis ein, in dem sie den Kosmos und die Aktualität ihres Namenspatrons auch schriftlich ergründet. Mit den folgenden Seiten erweitern wir erstmalig die Crescendo-­Premium-Ausgabe mit »Mozart!« und freuen uns darauf, Ihnen unter diesem Namen zweimal im Jahr neue Mozart-Orte, interessante Interview­ partner, Kritiken oder auch ungewöhnliche Vermittlungsprojekte vorstellen zu dürfen, die jeweils ihren ganz eigenen Bezug zum »Wunder Mozart« haben. Als Auftakt steht das Verhältnis von Richard Strauss zu Mozart im Blickpunkt. Dessen 150. Geburtstag nehmen wir als willkommenen Anlass, seiner Liebe zum – und Sehnsucht nach dem Mozartschen Kunstideal nachzuspüren. Fast mag man von einer Wahlverwandschaft sprechen, denn die Mozart-Verehrung blieb an keine bestimmte Phase des Strauss’schen Schaffens gebunden. Zu Karl Böhm soll er einmal gesagt haben, dass er allein für die Komposition der beiden einleitenden Streichertakte des Masken-Terzetts aus Don Giovanni drei seiner Opern geben würde. Unser besonderer Dank gilt dem Herausgeber von Crescendo, Winfried Hanuschik, der den Gedanken der Kooperation gerne aufgegriffen und von Anfang an unterstützt hat. Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen Ihr

editorial Thomas Weitzel, Präsident der Deutschen Mozart-Gesellschaft

Ein »Strauss« mit Mozart 63. Deutsches Mozartfest in Augsburg vom 17. – 25. Mai 2014 Das traditionsreiche Deutsche Mozartfest feiert ausnahmsweise einmal nicht nur seinen Namensgeber, sondern auch den diesjährigen Jubilar Richard Strauss. Dessen 150. Geburtstag ist willkommener Anlass, den bekennenden Mozartianer einmal in die schönsten Säle Augsburgs einzuladen. Der hätte sich darüber sicher gefreut, war sein verehrter und bewunderte Kollege für ihn doch schlicht »das Wunder Mozart«.

Informationen zum Festival finden Sie unter www.mozartgesellschaft.de Tickets beim Besucherservice des Theaters Augsburg, Tel: 0821 / 32 44 900 oder online unter www.theater-augsburg.de

Evgenia Rubinova

Hier einige Highlights für diejenigen, die sich ihren persönlichen »Strauss« ­klassisch und geschmackssicher zusammenstellen möchten: 17. Mai  ❙  Eröffnung Ev. St. Ulrich Veronika Eberle, Violine Württembergisches Kammer­ orchester Heilbronn, Ltg.: Ruben Gazarian 20. Mai  ❙  Kleiner Goldener Saal Richard Strauss und die Wiener Schule Armida Quartett mit Maximilian Hornung

24. Mai  ❙  Ev. Hl. Kreuz «un-er-hört« Bayerische Kammer­ philharmonie Evgenia Rubinova, Klavier Albrecht Mayer, Ltg. und Oboe 25. Mai  ❙  Parktheater im ­Kurhaus Liedmatinée Sophia Brommer, Sopran Nicholas Rimmer, Klavier

Außerdem: Mittagskonzerte, Meisterkurse und ein wissen­schaftliches Symposium.

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Foto Thomas Weitzel © Klaus Lipa

Liebe Mitglieder der DMG, liebe Crescendo-Leser,


FestiVAltheMA

© Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln

Ernst von possart (1841 – 1921) in einem porträt von Franz von lenbach (München, um 1880). Als generalintendant der Münchner hoftheater war possart zusammen mit den Dirigenten hermann levi und richard strauss seit 1893 maßgeblich für die »Mozart-renaissance« der Münchner hofoper verantwortlich.

Wunder, Welterlösung, Offenbarung der Seele richArD strAuss und MozArt von Melanie Wald-Fuhrmann Richard Strauss hat in seinem künstlerischen Leben manches Mal die Seiten und den Stil gewechselt. Einer Leitfigur indes blieb er stets treu: Mozart. Ihn dirigierte er häufiger als ein Dutzend seiner Dirigentenkollegen zusammen. Von ihm ließ er sich für seine eigenen Werke inspirieren. Warum? Wenn man Richard Strauss nach seiner Musik für die einsame Insel gefragt hätte, wäre sicherlich zuerst der Name Wolfgang Amadé Mozarts gefallen: der langsame Satz aus dem g-Moll-Streichquintett, Ferrandos »Un’aura amorosa« aus dem ersten Akt der Così fan tutte, Susannas Gartenarie (»Deh vieni, non tardar«) und Cherubinos »Voi, che sapete« aus dem Figaro, aus Don Giovanni die Zerlinenarien, Donna Annas »Non mi dir, bel idol mio« sowie Don Ottavios »Dalla sua pace«, schließlich wohl auch noch Belmontes »O wie ängstlich, o wie feurig« aus der Entführung aus dem Serail. Strauss liebte die »welterlösende Mozartsche Melodie« Strauss war ein enthusiastischer Bewunderer Mozarts – und im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen handelte es sich dabei nicht nur um Lippenbekenntnisse. Seine Bewunderung speiste sich aus intimer Kenntnis der Werke und schlug sich in einem außerordentlichen Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

dirigentischen Engagement für den seit den 1870er Jahren zunehmend seltener aufgeführten Mozart nieder. Fand man auf den Spielplänen anderswo meist nur Don Giovanni, Figaro und Zauberflöte, so setzte Strauss auch die als unmoralisch verschriene Così fan tutte sowie den vergessenen Idomeneo auf seine Programme. Was Strauss an Mozart liebte, das lässt sich an seiner persönlichen »Hitliste« leicht ablesen: das schmelzende Melos. In seinen Notizen, Interviews und Briefen findet man immer wieder Loblieder auf die »welterlösende Mozartsche Melodie«, ihre unmittelbare Schönheit und Ausdruckskraft sowie ihre weiten Bögen. Für Strauss stand die Musikgeschichte nicht für sich selbst, sondern in einem direkten Bezug zu den übrigen kulturellen Entwicklungen seit der Antike. »Das letzte Kapitel der Weltweisheit« oder auch »einer 3000jährigen Culturentwicklung« habe mit Bach begonnen und sei dann mit Mozart, Beethoven, Schubert und Wagner zum Höhepunkt (und Abschluss) gelangt. Mozart ist in diesem System derjenige, in dessen Melodien 3


»die menschliche Seele geoffenbart wurde, um deren Entdeckung und Deutung sich die Denker von Jahrtausenden bemüht haben«. Das ist ein bisschen über Wagner und seinen Mentor Alexander Ritter vermittelter Schopenhauer, das ist aber v. a. die Ansicht eines Komponisten, der auch in seinem eigenen Schaffen von der schön und expressiv gestalteten Melodie ausging, und eines Menschen, der sich nicht am Beginn von etwas Neuem, sondern am Ende von etwas Altem stehen sah. Bis 1914 hatte Strauss schon 234 Mozart-Opernabende dirigiert Das nahe Verhältnis zu Mozart wurde Strauss freilich schon an der Wiege gesungen: Das »musikalische Glaubensbekenntnis« seines Vaters, Solo-Hornist in der Münchner Hofkapelle, »galt der Trinität Mozart (über allen), Haydn, Beethoven«. In seiner Jugend begleitete er den Vater unzählige Male auf dem Klavier, wenn dieser die Mozartschen Hornkonzerte spielte. Und in der Hofoper sowie in den Sinfonie- und Kammermusik-Programmen seiner Heimatstadt konnte er das damals gängige Mozart-Repertoire kennen lernen. So nimmt es nicht Wunder, dass die Beschäftigung mit Mozarts Werken Strauss’ ganzes Leben durchzog: Als junger Komponist versuchte er, den drei Wiener Klassikern und hier namentlich Mozart nachzueifern. Und als er durch die relativ spät begonnene Begeisterung für Wagner schließlich seinen eigenen Stil gefunden hatte, blieb Mozart doch eine Referenz und Inspiration für ihn. Noch eines seiner letzten Werke, die Sonatine für 16 Blechbläser Nr. 2, widmete er »den Manen Mozarts«. Als Dirigent setzte er immer wieder Mozart-Werke, v. a. die Opern, auf seine Programme. Sowohl in Weimar als auch als Münchener Kapellmeister debütierte er mit der Zauberflöte. Als erster Dirigent überhaupt spielte er zwischen 1926 und 1928 mit den Berliner Philharmonikern die drei letzten Sinfonien ein. Raymond Holden hat in seinem Buch »Richard Strauss – A musical life« vorgerechnet, dass Strauss bis 1914 sage und schreibe 234 Aufführungen von Mozartopern dirigierte. Im selben Zeitraum gab es in London immerhin 96 Vorführungen, in Paris hingegen nur zwei und in Köln drei. Mozart lieben und doch sich selbst treu bleiben: Ein Spannungsfeld, das Fantasie und Kreativität beflügelte Zwei Phasen seines Schaffens standen ganz besonders im Zeichen Mozarts: Die erste umfasst die Jahre von 1896 bis 1898, als Strauss Hofkapellmeister in seiner Heimatstadt wurde. Zusammen mit

dem Hoftheaterindendanten Ernst von Possart brachte er Neuproduktionen von Don Giovanni, der Entführung, Così fan tutte und der Zauberflöte heraus, die einen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche Mozartpflege gewinnen sollten und geradezu als Mozart-Renaissance gelten. Der künstlerische Ansatz war geprägt von Werktreue und dem Bemühen um größtmögliche stilistische Authentizität: Neuübersetzungen nah am italienischen Original, ein mit den Autographen abgeglichenes Notenmaterial, keine Striche, eine schlanke Orchesterbesetzung, historisierende Kostüme und ein passender Aufführungsraum, das Residenz- (heute Cuvilliés-)Theater. Strauss selbst begleitete die Rezitative von einem historischen Fortepiano aus und entzückte die Zuhörer mit passenden kleinen motivischen Interpolierungen: historisch informierte Aufführungspraxis avant la lettre, sozusagen. 1931 – man feierte den 175. Geburtstag Mozarts – fügte Strauss diesen Bemühungen mit einer Bearbeitung des Idomeneo noch ein Kapitel hinzu. Die zweite Phase betrifft sein kompositorisches Wirken: Nach den Sensationserfolgen von Salome und Elektra bemühte sich Strauss ab 1910 um einen neuen Musiktheaterstil, der sich mithilfe Mozartischer Inspirationen aus der allzu engen Wagnernachfolge löste. Der Rosenkavalier, Ariadne und Die Frau ohne Schatten sind in je verschiedener Weise ein Versuch, Mozart in die Gegenwart zu übertragen: im Rokoko-Stoff, in der Anlage als Komödie, in einem behutsamen Wiederaufgriff des Nummernprinzips oder in der Neuinterpretation der Märchenoper. Kurze Zitate legen die Reverenz offen: Das Schluss-Duett des Rosenkavalier, »Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein« beispielsweise wirkt wie eine verträumte Erinnerung an das Duett von Pamina und Papageno »Könnte jeder brave Mann«. Das Lied des Harlekin »Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen« aus der Ariadne ist nach dem Thema der A-Dur-Sonate KV 331 gemodelt. In der Kartenspielszene von Intermezzo klingt kurz die Figaro-Ouvertüre an. Wer Fortschritt nur als die Freiheit von jeglicher Traditionsbindung verstehen konnte, hat Strauss deswegen des Rückschritts und Konservatismus geziehen. Wer genauer hinhört, muss indes Strauss recht geben, der mit Bezug auf den Rosenkavalier sagte: »Mozartscher Geist stieg unwillkürlich in mir auf, aber ich bin mir doch selbst treu geblieben.« Wie bei den meisten Zeitgenossen klang in dem Kampfruf »Zurück zu Mozart« immer auch ein »Weg von Wagner« mit. Und doch ist Strauss einer der wenigen, die Mozart- und Wagnerbegeisterung nicht nur miteinander vereinbaren, sondern auch produktiv nutzen konnten.  ❙

Deutsches Mozartfest 2014 · Symposium

»Blick zurück nach vorn: Richard Strauss und / mit / nach Mozart« Sa 17. / So. 18. Mai 2014 · Bildungs- und Begegnungszentrum Zeughaus In Kooperation mit dem Leopold-Mozart-Zentrum Augsburg Spezialisten der Strauss-Forschung und der deutschen Kulturgeschichte um 1900 beleuchten verschiedene Facetten der Beziehung »Strauss –Mozart« und stellen sie in ihren geschichtlichen Kontext: von der für Strauss prägenden Mozart-Renaissance in seiner Vater­

stadt München über seine eigenen Mozartdirigate in Berlin und Wien bis hin zu seiner eigenen Sicht auf Mozart und seine komponierenden Auseinandersetzung mit ihm. Genaueres zum Inhalt und Ablauf unter www.mozartgesellschaft.de oder in der Tagespresse.  ❙

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Der Bürger als Edelmann in der Bearbeitung von Hugo von Hof­mans­thal, nach Molières Komödie. Uraufführung vom 25.10.1912 am Kleinen Haus des Hoftheaters Stuttgart, Regie: Max Reinhardt

Rokoko-begeisterung

»Vorwärts zu Mozart!«

von Wolfgang Fuhrmann Während im 19. Jahrhundert nur wenige Werke Mozarts zum Repertoire gehörten und der Komponist als historisch gewordene Figur galt, ändert sich dies in den Jahrzehnten um 1900 fast dramatisch: Mozarts Musik wird im Zuge einer allgemeinen »Rokoko«-Begeisterung plötzlich zum Vorbild und Maßstab all jener, die der monumentalen Orchesterapparate und pathetischen Bekenntniswerke müde geworden waren. »Nichts vermag die Identitätskrise, von der die bürgerliche Gesellschaft […] erfaßt wurde, besser zu verdeutlichen als die Geschichte der Kunst und Literatur zwischen 1870 und 1914. Es war die Zeit, als sowohl die schöpferischen Künste als auch ihr Publikum die Orientierung verloren.« So hat der vor kurzem verstorbene große österreichisch-englische Historiker Eric J. Hobsbawm die Jahrzehnte um 1900, das »imperiale Zeitalter«, in seinem gleichnamigen Buch charakterisiert. So paradox es klingt: Zu dieser Krise des Fin de siècle, die sich auch auf die Musik erstreckte, gehört auch die Mozart-Renaissance. Worin zeigt sich diese Orientierungs- und Identitätskrise? In einem Schlingern zwischen dem Drang nach »Fortschritt« und »Zukunftsmusik« in monumentalen Opern, Oratorien und Symphonien einerseits und andererseits dem Rückgriff auf die »festen Formen« aus Barock – Bach für die Deutschen, François Couperin für die Franzosen – und Klassik, die die Romantik des 19. Jahrhunderts geglaubt hatte, hinter sich lassen zu können. Der Rosenkavalier, die Ariadne auf Naxos, die Bühnenmusik zu Molières Bürger als Edelmann bei Richard Strauss oder Gustav Mahlers schlanke Vierte Symphonie, das sind Beispiele für eine solche Suche nach vereinfachter Tonsprache und reduzierten klanglichen Mitteln.

Auf der Suche nach »moderner Klassizität« Mozart spielte dabei stets die Rolle eines Leitsterns, eines Sehnsuchtsbilds, nicht nur in den Mozart-Variationen eines Max Reger, der einmal schrieb: »Ich bete jeden Tag: Gott der Allmächtige möchte uns einen Mozart senden; der thut uns so bitter noth!«, in den Opern des als »giovane Mozart redivivo« (als wiedergeborener junger Mozart) gepriesenem Ermanno Wolf-Ferrari und nicht zuletzt dank der Münchner Bemühungen von Hermann Levi und Richard Strauss um »authentische« Aufführungen von Mozarts Opern. Es war eine Suche nach »moderner Klassizität«, wie Heinz Tiessen schon 1911 mit Bezug auf Strauss geschrieben hatte, lange bevor Ferruccio Busoni nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs mit seinem kleinen Manifest »Junge Klassizität« der Zeit ein Stichwort gab. Und der Mozart-Anbeter Busoni widmete sich gerade in den wenigen Jahren, die ihm noch blieben, intensiv und immer wieder Mozart (dessen Klavierkonzerte er, damals ungewöhnlich für einen Virtuosen seines Ranges, in Berlin 1921/22 aufführte). 1919 schrieb er: »Die meisterliche Gestaltung und die Spielfreudigkeit müssten wieder zu ihrem Rechte gelan­ ubjektivismus ist zu viel gen. Des Grübelns und Tiefsinn’s und des S

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© Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Ludwigsburg

Mozart im Fin de siècle


Bildbeschreibung folgt noch

© Landesarchiv Baden-Württemberg – Staatsarchiv Ludwigsburg

Bei der vom Komponisten geleiteten Uraufführung bildetet der Opernakt Ariadne auf Naxos den Schluss eines Zwitterwerkes, das aus Schauspiel (Der Bürger als Edelmann) und Oper bestand

g­ ewesen. Auch der unnötigen Geräusche. Man sollte – sagt Schopenhauer – Ungewöhnliches mit gewöhnlichen Worten sagen und nicht umgekehrt. Also Mozart und Goethe.« Bei all dem ging es nicht bloß um eine Nachahmung älterer Musik, um eine Stilkopie, die so tot wäre wie eine Mozartfigur aus Porzellan. Es ging um den Eindruck, dass mit dem übersteigerten Expressionismus, der bedeutungsschwangeren Weltanschauungsmusik, den üppigen, mit viel Blech und Schlagzeug gepanzerten Orchesterapparaten der Jahrhundertwende Leichtigkeit, Klarheit, Einfachheit, Ordnung und gerade dadurch auch Ausdruck verlorengegangen seien. Wer den Ausdruck »Zurück zu Mozart!« geprägt hat, scheint nicht mehr festzustellen – aber um die Jahrhundertwende kursierte er und löste so viele Missverständnisse aus, dass der Dirigent Felix Weingartner, selbst als Opernkomponist Epigone Wagners, ihn umformulierte in: »Vorwärts zu Mozart!« und erklärte: »Mit unseren modernen Ausdrucksmitteln im Geiste Mozarts zu schaffen, das wäre vielleicht das Richtige.« Wie hat man sich das vorzustellen? 1904 hatte der Komponist und Klavierpädagoge Rudolf Maria Breithaupt (1873 – 1945) in einer Glosse mit dem Titel »Mehr Mozart!« verfasst, in der er Mozart als ein Gegenwicht zum eigenen Zeitalter »schneidender, eiskalter Materialprinzipien und positivistischer Erkenntnislehren« empfahl. »Die Kunstmittel sind zu ungeahnter Höhe entwickelt«, diagnostiziert Breithaupt an der Musik seiner eigenen Zeit – mit besonderem Bezug auf Strauss’ Heldenleben übrigens –, »aber der Ideengehalt ist nicht in gleicher Weise gewachsen.« So fordert er: »Mehr Mozart: mehr positive Erfindung und süsseren melodischen Kern!!« Mozart soll »weniger kontrapunktisches Kraftmeiertum und mehr natürli-

ches Tonspiel« verbürgen, »Grundakkorde und Gefühls-Grundbegriffe«. Und er erklärt: »Mozartisch sein heisst: musikalisch-melodisch sein, und musikalisch sein, heisst: in die Tiefe lauschen, auf sich lauschen, und Klang werden lassen, was ›unverhofft gelingt‹, was notwendig ist.« Mozart als Elixier, auch gegen die Décadence Solches »Mozartisch sein« war übrigens nicht durchweg mit einer strikten Abwendung von der Romantik und vor allem von der übermächtigen Figur Richard Wagners verbunden, der ja selbst auf seine Weise Mozart verehrt hatte. Viele Mozartianer waren auch Wagnerianer. Das gilt für alle Protagonisten der Münchner »Mozart-Renaissance«, namentlich für Strauss – aber auch für Reger, oder eine so gefeierte Mozart- und Wagner-Sopranistin wie Lili Lehmann. In ihren 1913 erschienen Memoiren »Mein Weg« über den Meister von Bayreuth schrieb Lehmann: »Seine Kraftentladung wirkte elektrisierend auf die Zeitgenossen, und ob gewollt, ob nicht, abklärend auf das Urteil der Besten seiner Zeit, indem er die einfache Größe, das gesunde göttliche Genie Mozarts, nur um so erkennbarer hervortreten, nur um so anbetungswürdiger erscheinen läßt. Gesund, das ist’s! Mozarts Genie ist gesund, und unverdorben, was er uns gegeben. Mozart beglückt, beruhigt, ohne auf Schmerz und Tränen zu verzichten, die er in seiner Größe so einfach, so erhaben gezeichnet hat.« Diese Suche nach Gesundheit in einer Zeit, die sich viel auf ihre Décadence, ihre Nervosität und ihrer zerrütteten, übersensiblen Nerven zugute hielt, sollte Mozart verbürgen. Seine Musik galt auch als eine Art Medizin.  ❙

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Empfehlungen BÜCHER und CDs Bücher

Malte Krasting: Mozart. Così fan tutte. Kassel / Leipzig: Bärenreiter / Henschel 2013 (Opern­füh­ rer kompakt), 136 Seiten. Die Reihe Opernführer kompakt sieht ihre Bände als ideale Begleiter für Opernabende. Ob als einführende Lektüre in Handlung und Werkkontext vor dem Besuch oder zum schnellen Nachschlagen der Ausführungen zu Come scoglio während der Pause, für beides eignet sich auch der Band zu Così fan tutte. Im Rundumpaket zur Oper sind biographische Informationen ebenso enthalten wie Hinweise zur Positionierung des besprochenen Werkes im weiteren Opernschaffen Mozarts und ein kulturgeschichtlicher Abriss zum späten 18. Jahrhundert. Die Kapitel zu Werkgenese und -analyse zeichnen sich nicht nur durch Textgenauigkeit aus (die Figur des Guglielmo wird konsequent in der bei Mozart und Da Ponte überlieferten Schreibweise »Guilelmo« vorgestellt), sondern machen Interpretationsangebote, die zum eigenen Nachdenken anregen. Der Werkbesprechung folgen drei Kapitel zur Werkrezeption bis in die Gegenwart. Der Dramaturg Malte Krasting orientiert sich an geschichtsträchtigen Inszenierungen hauptsächlich des deutschen Sprachraums und bietet damit gleichzeitig einen Einblick in allgemeine Entwicklungslinien im Bereich der Opernregie. Beschlossen wird

die Übersicht durch Hinweise auf Referenzeinspielungen sowie eine Zusammenstellung von filmischen und literarischen Verarbeitungen. Zahlreiche über das Buch verteilte »Informationskästchen« geben ferner Auskunft zu den eigentlich brennenden Fragen: Serviert Despina das Frühstück tatsächlich um sechs Uhr morgens? Mit welchem Schiffstyp legen Guilelmo und Ferrando ab? Daneben erhält jeder Protagonist einen Steckbrief, italienische Wortspiele werden aufgeschlüsselt oder die Personenkonstellation visualisiert. Damit erreicht der Band sein Ziel, »Musikfreunden« auf hohem Niveau ein Werk und ­ möglichst viele seiner Facetten näher zu bringen. Michaela Kaufmann

Hans-Joachim Fritz: Mozarts La Clemenza di Tito. Die Geschichte einer Oper. Köln etc. Böhlau Verlag 2013, 372 Seiten, 16 z. T. farbige Abbildungen. Erklärtes Anliegen dieses Buches ist der Nachweis, dass Mozarts La Clemenza di Tito gegenüber den drei Da Ponte-Opern und der Zauberflöte weder eine Absage an deren aristokratiekritische und aufklärerisch-humanistische Tendenz, noch einen musikdramatischen Rückschritt bedeuten. Anders als in der älteren Mozart-Literatur häufig dargestellt, seien zukunftsweisende dramaturgische Neuerun-

gen und die Politisierung des Bühnen­geschehens das Kennzeichen dieser letzten Oper des Meisters. Zunächst aber wird in den ersten Kapiteln vor allem das Sujet der Oper – der Titus-Stoff – nebst dem Topos der Cle­menza ausführlich abgehandelt. Es folgt eine mit interessanten Kom­mentaren versehene, freilich im Verhältnis zum Ganzen deutlich überdimensionierte Synopse des berühmten Librettos von Pietro Metastasio, das Mozart und seinem Librettisten als Vorlage diente. Die folgenden Kapitel sind dann den zahlreichen Eingriffen gewidmet, die der Hofpoet Caterino Mazzolà sehr ver­mut­ lich in Zusammenarbeit mit Mozart vorgenommen hat. Hier nun bündelt der Autor alle Ergebnisse der jüngeren Mozartforschung, die das eingangs be­ nannte Grundanliegen stützen und fügt ihnen einige weitere hinzu. Auch die These, dass das musikdramatische Konzept von Mazzolà und Mozart als eine aufklärerisch motivierte Politisierung des Dramas und zugleich als Artikulation einer humanitären Gesellschaftsuto­ pie begriffen werden kann, wird überzeugend erörtert. Den durchaus bedenkenswerten Kri­tiken an der künstlerischen Qua­ lität des Werks indes stellt sich der Autor nicht, sondern behauptet lediglich das Gegenteil. Als Abhandlung über das musik­ dramatische Konzept der Oper und deren weltanschaulichen Implikationen kann man dieses Buch gewiss jedem Opernfreund empfehlen. Das musikalische Fachpublikum wird jedoch nähere Ausführungen zur Musik Mozarts schmerzlich vermissen. Außer­dem hält das Buch nicht das, was es dem Titel

nach verspricht: Es ist jedenfalls keine »Geschichte einer Oper«, zu der ja ganz wesentlich ihre Rezeptionsgeschichte gehörte. Zu dieser aber gibt es lediglich im letzten Kapitel des Buches auf 8 von insgesamt 372 Seiten einen kursorisch verkürzten Überblick. Hartmut Grimm

Marko Simsa und Silke Brix: Mozart für Kinder. Nachtmusik und Zauberflöte. Hamburg: Jum­ bo Ver­lag 2013, 31 Seiten und AudioCD. Klassische Musik ist schwer zugänglich. Dieses Klischee versucht der Schauspieler und Autor Marko Simsa zu überwinden. Mozart für Kinder. Nachtmusik und Zauberflöte entstand aus einer gleichnamigen Theateraufführung. Mit sympathischem österreichischen Akzent erzählt Simsa auf der beiliegenden CD die Geschichte von Mozarts Leben, die auch als Text zum selber Vorlesen beiliegt. ­ Kurze meist ein- bis zweiminütige Musik­ ausschnitte untermalen die­ se. Text, Zeichnungen und Musik fügen sich zu einer Zeitrei­ se, bei der die Kinder auch selbst aktiv werden können: als Dirigent der Kleinen Nachtmusik (15) oder als Tänzer zum Menuett aus Don Giovanni (18). Die Aufnahmen der CD sind durchweg gut, die Illustrationen Brix’ farbenprächtig und mit bewegtem Duktus gezeichnet, … Fortsetzung auf Seite 16.

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kritik

Petrenko und Bosse enttäuschen mit Mozarts »La Clemenza di Tito«

Alle Fotos © Wilfried Hösl

Bayerische Staatsoper München, Premiere 10.02.2014

Von Dieter David Scholz Sie war mit Spannung erwartet worden, die Premiere von Mozarts Dramma serio La Clemenza di Tito an der Bayerischen Staatsoper in München. Die erste Produktion des Stücks seit 15 Jahren und das Hausdebüt des aus Stuttgart stammenden Regisseurs Jan Bosse. Vor allem aber ist es die zweite Premiere des neuen Generalmusikdirektors Kirill Petrenko, der nach seinem spektakulären Debüt mit Richard Straussens Frau ohne Schatten in München einen triumphalen Einstand gab. Eine »porcheria tedesca!«, eine »deutsche Schweinerei!« soll die Kaiserin angeblich ausgerufen haben, bei der Uraufführung des Titus 1791 in Prag. Dennoch wurde Mozarts letzte Oper, zugleich die letzte Opera seria überhaupt, bis Anfang des 19. Jahrhunderts häufig gespielt. Dann geriet die Huldigungsoper für Leopold II. für lange Zeit in Vergessenheit. Das über vierzig Mal von verschiedenen Komponisten vertonte Stück des berühmten Librettisten Pietro Metastasio über die Herrschertugend der Großmut geriet beim Publikum in Misskredit. Mozart hatte die Oper unter großem Zeitdruck zwei Jahre nach dem Sturm auf die Bastille für die böhmische Krönung des Habsburgerkaisers Leopold II. geschrieben. Es ist ein Werk über das Grundproblem des aufgeklärten Herrschers, Macht und Humanität vereinen zu wollen. Der Schauspielregisseur Jan Bosse, der mit diesem Spätwerk Mozarts erst seine vierte Oper inszeniert, liest das

Stück als die »Sehnsucht des Absolutismus nach vorangegangenen Kriegszügen«, Titus ist für ihn eine zerrissene Herrschergestalt. Der britische Tenor Toby Spence leiht ihr seine rauhe, grobe Stimme. Kein Mozarttenor des feinen Klangs. Gerecht und gnadenvoll rühmt man Kaiser Titus. Er ist ein scheinbar Unfehlbarer, der – nach dreifacher Änderung seiner Heiratspläne – in seinem Umfeld für ein Gewirr aus enttäuschter Liebe, frustriertem Begehren, Eifersucht und Verrat sorgt. Als sein Freund und Vertrauter Sesto seiner Widersacherin Vitellia verfällt, und einen Brandanschlag auf den Herrscher verübt, steht für Titus alles Gefühl in Frage. Wem kann man noch trauen? Das Private und das Politische berühren sich, Kalkül und Intrige, Macht und Emotion. Tara Erraught singt den Sesto, kann allerdings nicht an die stimmlichen Sensationen in dieser Partie anknüpfen, die man an diesem Hause in der Vergangenheit erlebte (man denke nur an Brigitte Fassbaender). Und das Vitellia-Rollendebüt der lettischen Sopranistin Kristine Opolais, die mit ihrem Einspringen als Rusalka in der ersten Premiere der Saison 2011/2012 in München ihren internationalen Durchbruch feierte, überzeugt eher durch Lautstärke und Espressivität als durch Kultur und Ebenmaß des Gesangsvortrags. Immerhin sang einmal eine Julia Varady diese Partie.

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Toby Spence als Tito

Tara Erraught als Sesto, Kristīne Opolais als Vitellia

Insgesamt ist diese neue Münchner Mozartproduktion alles andere als ein Fest schöner Stimmen! Schon an unbedeutenderen, kleineren Häusern hat man Mozarts Titus in besseren Besetzungen gehört. Von einem überzeugenden Münchner Mozartensemble jedenfalls kann man ebensowenig sprechen wie von einer originellen Inszenierung. Es ist vor allem der Gegensatz von Schein und Sein, Fassade und Wirklichkeit, die Jan Bosse in München inszeniert. Eine Studie über die Mechanik menschlicher Gefühle. Stéphane Laimé hat Bosse dazu eine in ihrer Mechanik transparente Bühne gebaut, die die Säulenarchitektur des schönen Münchner Zuschauerraums jenseits des hochgefahrenen Orchestergrabens fortsetzt und zum antiken Amphitheater rundet, auf dem Kaiser Titus seine Auftritte hat. Dessen pompöse Selbstinszenierung in weiß weicht nach der Pause schwarzer Desillusionierung. Ein im wahrsten Sinne des Wortes schwarz-weißes Inszenierungskonzept, das von statischer Personenführung geprägt ist. Von den völlig überflüssigen Videoprojektionen zu schweigen. Die Orchestermitglieder wechseln nach der Pause ihre Hemdenfarbe. Alle Kulissen sind verschwunden. Ein nacktes Bühnenhaus mit sichtbarer Technik demonstriert: Alles nur Fassade. Die Sänger entledigen sich der zwischen Barock und Moderne changierenden, übertrieben kari-

kierenden Kostüme von Victoria Behr mehr und mehr. Wir haben verstanden! Die Inszenierung ist leider so plakativ wie die musikalische Lesart Kirill Petrenkos, die vor allem auf pauken-knallige Effekte und extrem aus­g estaltete Affekte setzt. Er beweist zwar immer wieder aufhorchen lassende Arbeit am Detail. Doch verfällt er darüber oft in lähmende Augenblicksverliebtheit und vergisst den großen Zusammenhang. Es ist kein Mozart aus einem Guss. Jede Nummer der Oper steht für sich, wird skelettiert, analysiert und scheinbar neu zusammengesetzt. Die Tempodynamik Petrenkos ist extrem: Retardierende Langsamkeit wechselt sich mit gehetzter Schnelligkeit ab. Grossbögige Spannung und einheitlicher dramatischer Fluss fehlen Petrenkos Dirigat. Es ist ein gegen den Strich gebürsteter Mozart ohne Charme und Eleganz. Leider läßt das Bayerische Staatsorchester es auch an klanglicher Brillianz mangeln, vor allem bei den Streichern. Die Holzbläser überzeugen weit mehr. Sehr schön sind die Soli der Bassettklarinette und des Bassetthorns. So erstaunliche Stärken Kirill Petrenko mit Richard Strauss und Richard Wagner bewiesen hat, so enttäuschend schwach zeigt er sich in diesem Titus als Mozartdirigent. Mozart scheint seine Sache nicht zu sein. Mozartglück jedenfalls, wie man es in vergangene Zeiten an der Bayerischen Staatsoper hörte, klingt anders.  ❙

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Musikvermittlung

Die Zauberflöte als Lebenshilfe

von Dieter Lintz In unserer Rubrik »Musikvermittlung« wollten wir eigentlich zeigen, wie gut ausgetüftelte Projekte Kindern in ihrer Entwicklung helfen können. Dass ein solches zugleich eine wahre »Lebenshilfe« für ein Stadttheater bedeuten kann, zeigt gleich unser erster Beitrag aus Trier: Hier haben die integrative Porta-Nigra-Schule und das Theater Trier zusammen Zukunftsweisendes gestaltet. Es war ein Experiment: 80 geistig behinderte Schüler in einer Produktion der Zauberflöte, gemeinsam mit dem kompletten Orchester, dem Chor und den besten Solisten, im großen Haus des Theaters. Vier Monate intensive Probenarbeit, zum größten Teil in der Freizeit der Künstler, der Lehrer und der Schüler gelegen. Mit allen Unwägbarkeiten, die es mit sich bringt, wenn man als tragendes Element in eine Produktion Kinder und Jugendliche einbaut, deren Handeln auf der Bühne nur begrenzt berechenbar ist. Regisseur und Choreograph Jean-Pierre Lamperti und der Trierer Generalmusikdirektor Victor Puhl erarbeiteten eine Fassung, die Kernelemente von Mozarts Zauberflöte auf einer Länge von 75 Minuten zusammenfassten. Die Charaktere blieben erhalten, aber die Darstellungsformen wurden verändert. Tamino und Pamina wandelten sich in Tanz-Figuren, Sarastro, Papageno und die Königin der Nacht blieben Sänger. Die Handlung wurde der Erlebniswelt der Kinder angepasst: Vor dem Weisheitstempel wachten Disco-Türsteher, die Feuerprobe war eine Art Casting, bei dem neben Tamino und Pamina auch Schüler der Porta-Nigra-Schule ihre künstlerischen Fähigkeiten demonstrieren durften – von Rap bis »Freude, schöner Götterfunken«. Das alles wirkte freilich nicht wie abstrakte Dramaturgen-Fantasie, sondern logisch und lebensnah. Die Jury des Junge-Ohren-Preises 2013 lobte an der Inszenierung »die ­Begeisterung, den Ideenreichtum, den Witz und das Finger­spitzengefühl« Ein Abenteuer war es allemal. »Ich konnte nicht einfach sagen: So machen wir das, und dann wird das umgesetzt«, erinnert sich Regisseur Lamperti, der zwar schon mit Kindern gearbeitet hatte, aber nie mit Behinderten. Sein Rezept: »Viel Improvisation«. Auch Schüler Dominik, zum ersten Mal auf einer Bühne, brauchte Mut: »Alles war neu, und man wusste nicht, was rauskommt«, sagt der 15-Jährige, der einen patzigen Türsteher spielte. Ein wesentliches Ziel war, möglichst alle Schüler in die ­Produktion einzubinden. So übernahmen sie kleine Chor- und Instrumental-Aufgaben, Komparsenrollen, Gastauftritte, kümmerten sich aber auch um die Gestaltung – nebst Auf- und 10 Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft


Buchtipp Wie die Zauberflöte mit behinderten Kindern erarbeitet werden kann: Carla Klimke / Klaudia König-Bullerjahn: Beinahe die Zauberflöte: Ein musikalisches Märchen – Praxisbeispiele für voraussetzungslose kulturelle Teilhabe. Dortmund: Verlag Modernes Lernen 2013, 96 Seiten

Geschafft: Papageno und ­Papagena (Evelyn Czesla) feiern im großen Kreis das Finale der Zauberflöte. Im Hintergrund: Dirigent Victor Puhl

Alle Fotos © Friedemann Vetter

Anstehen für die Casting-Show im Weisheitstempel: Papageno (Amadeu Tasca, rechts) macht mit Hilfe der Zauberflöte den Weg frei

Abbau – der Dekoration. Das durchaus komplizierte Bühnen-Geschehen lief unerwartet geschmeidig – dank cleverer, Barrieren meidender Regie und engagierter Lehrer hinter den Kulissen. Und vor allem dank des Zaubers der Zauberflöte, der sich auch – wie in diesem Fall – Menschen erschloss, die ansonsten mit der Kunstform Oper nie in Berührung kommen. Es gab zwei restlos ausverkaufte Vorstellungen mit jeweils über 600 Besuchern – ein Vielfaches an Karten wäre verkaufbar gewesen, wenn das Theater in seinen engen Dispositionsplänen weitere Aufführungen hätte unterbringen können. Die Produktion aus dem Jahr 2013 erhielt regional und überregional große Anerkennung, unter anderem mit dem »Junge-Ohren-Preis« des bundesweiten Netzwerks Junge Ohren und mit dem Ehrenpreis des Verbandes Sonderpädagogik. »Wir sind jetzt Profis!« freut sich Christine (18). Für die Schüler und ihre Schule war das Projekt mit einer enormen öffentlichen Anerkennung und Wertschätzung verbunden. Und mit einem »Erfolgserlebnis, das noch lange nachwirkt«, wie es der Lehrer und Initiator Gerd Dahm rückblickend formuliert. Bei der Premierenfeier im Theaterfoyer flossen bei vielen Familien Tränen der Rührung und der Freude. Nicht minder wichtig war der Erfolg auch für das Theater, denn er kam in einem entscheidenden Moment: Der Trierer Stadtrat diskutierte gerade darüber, ob er das Haus angesichts finanzieller Nöte nicht von einem Ensemble- in ein Bespiel-Theater umwandeln solle. Die spartenübergreifende Gemeinschaftsarbeit an der Zauberflöte und das Interesse des Publikums waren gewichtige Argumente für die Ratsfraktionen, die Umwandlungspläne ad acta zu legen. Die Kommunalpolitiker machten aber auch deutlich, dass sie solche soziokulturellen Projekte künftig häufiger von ihrem Theater erwarten.  ❙ Wie formiert man aus runden Platten den­ Körper ­einer Riesenschlange? Regisseur Jean-Pierre ­Lamperti (links) probiert es aus.

Die Zauberflöte von W. A. Mozart wird häufig für die musikpädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen herangezogen. Eine aktuelle Besprechung dazu finden Sie in unseren Rezensionen auf Seite 7.

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Mozart-Ort

»Wir brauchen die Musik« – Klassische Musik in Zeiten der Krise Im Jahr 1976 war Baubeginn, fünfzehn Jahre später war sie fertiggestellt: die Megaron-­Konzerthalle, auch Heimat auch des Staatsorchesters Athen

von Theodora Mavropoulos »Davon kann man kein Orchester mehr bezahlen«, sagt Posaunist Kostas Avgerinos. Der Mitvierziger spielt seit über 20 Jahren im Staatsorchester Athen. Wie viele andere befindet sich auch dieses Ensemble am Rande der Existenz. Vor fünf Jahren hatte das Orchester noch gut eine Million Euro an staatlicher Unterstützung pro Jahr zur Verfügung, mittlerweile beträgt das jährliche Budget nur noch 6500 Euro. »Mein Gehalt wurde bis heute um fast die Hälfte gekürzt«, berichtet Avgerinos. »Außerdem herrscht ständig die Unsicherheit, dass das Orchester gänzlich geschlossen wird und wir Musiker unseren Arbeitsplatz verlieren«, so der Familienvater. Griechenland befindet sich im siebten Jahr der Rezession. Die Sparmaßnamen im Lande haben auch die Musikszene hart getroffen: Staatliche Budgets für Musikhäuser, Orchester und Konservatorien wurden seit 2010 um über die Hälfte (52%) gekürzt. Im Juni 2013 löste Ministerpräsident Antonis Samaras die staatliche Rundfunkanstalt ERT auf und damit auch ihr Orchester. Dennoch gibt die Musikszene Griechenlands nicht auf: Und so spielt auch Kostas Avgerinos im Orchester »Recht auf Musik« mit, das seit Oktober 2013 quer durch Griechenland zieht, um an Musikgymnasien zu spielen. »Wir wollen den Schülerinnen und Schülern Mut machen, an ihrer Leidenschaft festzuhalten und uns mit ihnen austauschen«, sagt der Posaunist. Doch für eine Zukunft als Musiker sieht es in Grie-

chenland momentan schlecht aus. Auch der Tenor Christos Kechris sieht wenig Chancen, in seiner Heimat beruflich Fuß zu fassen: »Es gibt generell viel zu wenige Konzerthäuser und Orchester – das wird in Zeiten wie diesen natürlich nicht besser«, bedauert der 31-jährige. Seinen Abschluss am staatlichen Konservatorium Athen machte Kechris vor fünf Jahren. Seitdem bekommt er immer wieder Engagements, doch mittlerweile meistens im Ausland. In Griechenland werde man so schlecht bezahlt, davon könne man kaum leben, sagt er. Doch es gibt auch Projekte, die Hoffnung wecken. So etwa die »Oper im Koffer«, bei der auch Kechris mitsingt. Sie wurde vor gut zwei Jahren von Myron Michailidis, dem Intendanten der National­ oper Athens, ins Leben gerufen.

Themen sind im heutigen Griechenland total aktuell. Und das Komödiantische ist eine gute Möglichkeit, um zwar die Probleme aufzuzeigen, trotzdem aber auch unseren Optimismus vermitteln zu können.« Oper bedeute ein bisschen Glanz im oft schwierigen Alltag und das sei besonders in Krisenzeiten wichtig, ist sich Intendant Michailidis sicher. Im Jahr 2011 übernahm er die Nationaloper mit Schulden von ca. 17 Millionen Euro und schraubte diese bis heute auf knapp fünf Millionen Euro herunter. Zwar wurde ihm in dieser Periode die Finanzierung des Hauses um nahezu die Hälfte gekürzt. Trotzdem schaffte es Michailidis, die Produktionen fast zu verdoppeln.

Die »Oper im Koffer« kann dem schwierigen Alltag ein wenig Glanz verleihen

Zum Beispiel indem er dafür sorgte, dass Requisiten und Kostüme umgestaltet und mehrfach verwendet werden – ganz nach seinem Motto: Produktionen müssen nicht teuer, sondern gut sein. Damit überzeugt er auch private Finanziers: Ein Sponsor hat sich gefunden, der die »Oper im Koffer« finanziert. Nach den Stationen in Athen tourt die Truppe durch ganz Griechenland. »Wir brauchen die Musik, weil sie nicht einfach zur bloßen Unterhaltung dient. Die Musik in Krisenzeiten ermöglicht eine kurze Auszeit vom meist schwierigen Alltag,« sagt Michailidis. So können die Menschen wieder auftanken.  ❙

Umsonst und an öffentlichen Plätzen, etwa in Bibliotheken oder in kleinen Stadttheatern, werden bekannte Opern in leicht gekürzter Fassung aufgeführt. Zur Zeit wird Mozarts Don Giovanni gegeben. »In Mozarts Kompositionen und insbesondere in seinen Opern findet ein großartiges Zusammenspiel von dramatischen Elementen und Humor statt«, so Kechris. Mozart kommentiere durch die Oper Themen wie Betrug, Verbrechen und Tod – aber eben auf eine komödiantische Art und Weise. »Diese

Mit einem guten Konzept lässt sich sogar ein Sponsor finden

12 Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft

Alle Fotos © Raphael Kominis

Athen


Das Staatsorchester Athen

Eine Oper als Kraftpaket aus Dramatik und Humor: Der Tenor Christos Kechris (rechts) bei den Proben zu Mozarts »Don Giovanni«, zusammen mit Sofia ­Kianidou (Sopran) und Alexandras Eyklidis (Dirigent)

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Interview

Kammer­sängerin Brigitte Fassbaender Kammersängerin Brigitte Fassbaender stand drei Jahrzehnte lang als gefeierte Mezzosopranistin auf der Bühne, in Opern, Konzerten und Liederabenden. Nun mischt sie sich als Regisseurin und Intendantin u. a. des Richard-Strauss-Festivals weiter in die Musikszene ein. Im Mai ist sie Schirmherrin des 63. Deutschen Mozartfestes. Frau Fassbaender, welches erste musikalische Erlebnis ist Ihnen besonders deutlich in Erinnerung geblieben? Wenn mein Vater zuhause gesungen hat. Ich saß dann immer unter dem Flügel und hörte zu. Ganz besonders eingeprägt hat sich mir Schumanns »Dichterliebe«, die mein Vater zusammen mit seinem Begleiter für Liederabende vorbereitete. Was hatte Mozart für Sie in Ihrer Kindheit für eine Bedeutung? Das war der Leib- und Magenkomponist der Familie. Mein Vater war einer der berühmtesten Mozart-Sänger seiner Zeit. Ich selbst empfand Mozart als ungemein beflügelnd und beglückend. Ein paar Takte seiner Musik und man war in einer anderen Welt. Wann war für Sie klar, dass Sie Profimusikerin werden wollten? Meine Stimme habe ich schon als Kind entdeckt. Sie klang anders als sonst die Kinderstimmen. Aber dann habe ich das wieder in mir vergraben. Ich wollte es nicht wahrhaben, das war ein ganz merkwürdiger Prozess. Es brach sich erst wieder am Ende der Schulzeit Bahn. Da kam der Wunsch auszuprobieren, was da gewachsen war: eine Stimme, die berechtige, diesen Beruf zu versuchen. Mein Vater, der auch mein Lehrer wurde, war glücklich, dass damit dieser wunderbare, aber schwere Beruf – diese Berufung – in der Familie weiterging. Was ist schwerer beim Musizieren: anfangen oder aufhören?

Es ist spannend und herausfordernd anzufangen und es ist befreiend und erleichternd aufzuhören. Es kommt ganz darauf an, in welcher Stimmung und Atmosphäre man ist. Welches ist Ihr musikalischer Lieblingsort? Die Wigmore Hall und das Covent Garden Opera House in London. In beiden habe ich am liebsten gesungen, weil dort das beste und klügste Publikum ist. Das besterzogene, disziplinierteste, gleichzeitig wohlwollendste und kenntnisreichste. Wenn Sie Wolfgang Amadé Mozart gewesen wären, was hätte Ihnen am besten daran gefallen? Wahrscheinlich gar nichts. Mozart hatte ein schweres Leben, es war ein Tanz auf dem Vulkan. Die Herausforderungen, denen er gegenüberstand, und seine Genialität, die sicher für ihn auch spürbar war, das hätte mir gefallen. Aber nicht diese schweren Lebensbedingungen, die schwere Kindheit, mit vielen Krankheiten und Sorgen, und die ungeheure Hektik. Der kam ja gar nicht zu sich selber, außer im Musizieren. Er hatte ein unglaublich erfülltes Leben, was wunderbar ist, aber leben hätte ich es so nicht wollen. Welche Musik berührt Sie am tiefsten? Die Musik von Franz Schubert ist die große Liebe meines Lebens. Sie löst ein immenses Staunen in mir aus – über so viel Schöpferkraft und Schöpferfreude. Sein Liedschaffen insbesondere und seine Kammermusik sind unerschöpfliche Quellen unbegreiflicher Ent­

deckungen. Schubert ist weit über seinen Zeitgeist hinausgewachsen. Er kommt aus der Klassik und weist ganz stark in den Expressionismus. Ein anderer Komponist, dessen Musik mich tief berührt und beglückt, auch in ihrer handwerklichen Perfektion, ist Richard Strauss. Seine Musik ist mir sehr nah. Was würden Sie gern musikalisch noch erleben? Eine Revolutionierung und ein Wiederaufblühen der Liederabende, und das Mitgehen des Publikums dabei. Ich würde die Steifheit und das Zelebrieren der Kunst abschaffen. Es sollte etwas Selbstverständliches sein, das dem Menschen in einem Dialog zwischen Sänger und Publikum ganz nahe gebracht wird. Lieben Sie schnelle Autos? Früher habe ich sie sehr geliebt, auch ihr Design. Ich fuhr einen Mercedes 220 Sportcoupé. Mein Vater war zeitweise Porschefahrer. Inzwischen kann man ja nicht mehr schnell fahren, da finde ich es immer etwas albern – wenn man in so einem Auto mit 130 km/h dahintuckern muss. Haben Sie sich als Sängerin schon mal so gefühlt wie ein Rennfahrer auf der Rennstrecke? Ja natürlich! Singen ist ein Hochleistungssport und verlangt dieselbe Konzentration, wie sie ein Rennfahrer, Spitzenreiter oder Spitzenfußballer aufbringen muss. Da geht es immer ums Ganze. ❙  Das Interview führte Julika Jahnke.

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© Rupert Larl

Die Perfektionistin


»Auch am Klavier kann ich schnell unterwegs sein, (je nach Stimmung).«

Interview

Der Perfektionist © Sauber Motorsport AG

Formel 1-Rennfahrer adrian sutil Die Welt kennt Adrian Sutil eigentlich nur im Cockpit von rasanten Autos. Doch der Formel 1-Rennfahrer hätte genauso gut am Klavier durchstarten können. Sein Vater gehörte den Münchner Philharmonikern an, seine Mutter war Pianistin und auch er selbst stand schon als Kind vielfach auf der Bühne. Herr Sutil, an welches frühe musikalische Erlebnis können Sie sich besonders gut erinnern? Im Alter zwischen vier und zwölf Jahren hab ich am meisten musiziert, mit sechs Jahren stand ich zum ersten Mal auf der Bühne. Sehr deutlich in Erinnerung geblieben ist mir zum Beispiel ein größerer Auftritt damals vor mehreren hundert Leuten. Als kleiner Junge hat man da auch mal etwas nervöse Hände. Da musste ich mich beruhigen, alles hinkriegen, durfte keinen Fehler machen. Und das ist ganz ähnlich zu dem, was ich jetzt mache in der Formel 1. Da ist Präzision gefragt. Man hat dann halt nur eine Chance: eine Stunde, in der man das, was man kann, zu 100% zeigen muss. Es war mit sehr viel Arbeit und Disziplin verbunden, das Klavierspiel so zu erlernen. Aber es war eine schöne und besondere Zeit. Sie hatten damals sogar vor, Profimusiker zu werden. Warum haben Sie doch eine andere Laufbahn eingeschlagen? Als ich dreizehn war, kam die Idee, mit dem Rennsport anzufangen. Das Klavier war da ein wenig langweilig geworden. Ich brauchte diesen Adrenalinkick. Zuerst habe ich mit dem Cart-Fahren angefangen und das war genau mein Ding. Das war auch sehr professionell und etwas, das sehr viel Gefühl und Disziplin erfordert. Und ich bin ein sehr wettbewerbsfähiger Mensch, ich möchte mich sehr gern messen mit anderen und brauche diese Herausforderung jeden Tag. Im Gegensatz zum Klavier, wo es mir schwerfiel, zwei bis drei Stunden auf dem Stuhl zu sitzen und zu üben, wollte ich aus dem Go-Cart gar nicht mehr raus. Was ist schwerer für Sie – beim Rennfahren beziehungsweise beim Musizieren – anfangen oder aufhören? Beim Rennfahren ist eher das Aufhören schwierig. Das ist wie eine Droge. Zum Anfangen brauche ich da keine Überwindung. Ich bin der erste, der in ein Auto einsteigt und versucht, es bis ans Limit zu bewegen. Mit der Musik konnte ich eben aufhören. Da hab ich mal eine Stunde geübt und das reichte mir dann auch. Das ist der Grund, warum ich Rennfahrer geworden bin und nicht Pianist.

Haben Sie einen musikalischen Lieblingsort oder einen Ort, den Sie besonders mit Musik verbinden? Der einzige Ort, den ich wirklich mit Musik verbinde, ist mein Zuhause in Gräfelfing. Oder auch die erste Zeit, als wir in Herrsching am Ammersee gelebt haben, weil wir damals am meisten Musik gemacht haben. Welches musikalische Ereignis würden Sie gern einmal erleben? Ich geh gerne mal in die Oper, ins Theater oder ins Konzert. Ich war früher natürlich häufig bei den Münchner Philharmonikern und hab dann auch meine Eltern spielen sehen. Ich war ein kleiner Junge und saß im Saal und wollte eigentlich lieber wieder raus und spielen gehen. Es wird Zeit, dass ich wieder einmal zu den Münchner Philharmonikern gehe, denn meine Stiefmutter ist da zur Zeit immer noch aktiv. Sind Sie auch beim Musizieren gerne schnell? Ich spiele sehr gerne schnell und ich kann das auch ganz gut. Meine Finger sind sehr flink. Aber manchmal spiele ich auch gern langsam, ein bisschen verträumt. Man braucht vor allem sehr viel Gefühl und je nach Stimmung kann man ja entsprechend spielen. Ein paar Stücke kann ich immer noch gut und das genieße ich dann auch. Das erinnert mich an meine Kindheit – und ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Es ist auf jeden Fall etwas, worauf ich stolz bin. Ein Instrument zu spielen ist etwas Besonderes und besonders Klavier ist eines der schönsten Instrumente. Gibt es für Sie Ähnlichkeiten zwischen dem konzentrierten Musizieren und dem Absolvieren einer Rennstrecke? Es gibt schon Ähnlichkeiten: diese Präzision, die Disziplin. Wenn man beim Rennen einen kleinen Fehler macht, entscheidet das über Sieg oder Niederlage. Dasselbe passiert beim Klavierspielen auf der Bühne: Jeder hört jeden Fehler. Wenn man eine Taste falsch trifft, ist das ganze Stück versaut und man hat eben nicht alles rausgeholt. Und diese Perfektion ist das Entscheidende – in beiden Disziplinen. ❙  Das Interview führte Julika Jahnke.

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Empfehlungen Bücher und CDs Fortsetzung von Seite 7. … insbesondere die Tanzenden der Ballszene. Allerdings irritiert an dieser Stelle das gezeigte Bläser­ ensemble, da auf der CD Streicher das Don Giovanni-Menuett spielen (19). Dies tut dem Ziel des Buches jedoch keinen Abbruch, eine lebendige Einführung in das Werk Mozarts zu bieten (empfehlenswert ab 3 Jahren). Alexis Ruccius

CDs

W. A. Mozart: Klavierkonzerte Nr. 15 & Nr. 27. Martin Helmchen. Netherlands Chamber Orchestra unter der Leitung von Gordon Nikolić. PentaTone classics 2013. Nachdem im September 2007 bereits Mozarts Klavierkonzerte Nr. 13 & 24 bei PentaTone classics erschienen sind, stellen Martin Helmchen und das Netherlands Chamber Or­ches­ tra unter Gordon Nikolić ein weiteres Mal zwei sehr verschiedene Klavierkonzerte derselben Tonart (B-Dur) gegenüber. Diese Gegenüberstellung lässt

vor allem die kompositorische Entwicklung Mozarts hörbar werden. In der Interpretation von Martin Helmchen bestechen die äußerst klar akzentuierten temporeichen Läufe von KV 450, die mit großer Leichtigkeit gestochen scharf vorgetragen werden, ebenso wie die sensible Gestaltung der langen Spannungsbögen im Larghetto von KV 595. Bedauerlich ist einzig, dass sich Orchester und Solist bei der dynamischen Entwicklung der Musik eher zurückhalten. Janine Wiesecke

Klavierkonzerte Nr. 14 KV 449, Nr. 17 KV 453, Nr. 21 KV 467, Nr. 26 KV 537 »Krönungskonzert«. Maria João Pires. Wiener Phil-

harmoniker, Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von Claudio Abbado. Deutsche Grammophon 2013 Klavierkonzerte No. 25 KV 503, No. 20 KV 466. Martha Argerich. Orchestra Mozart unter der Leitung von Claudio Abbado. Deutsche Grammophon 2014. Wieviel auch die Mozart-Interpretation am kürzlich verstorbenen Dirigenten Claudio Abbado verloren hat, dokumentieren zwei Neuerscheinungen mit Klavierkonzerten. Die beiden 2013 in Luzern eingespielten Konzerte hat Abbado vor 40 Jahren mit Argerichs Lehrer Friedrich Gulda in klassisch gewordenen Aufnahmen vorgelegt. Im Vergleich zu deren glühender Intensität und unverzärtelter Ernsthaftigkeit wirkt die neue Aufnahme merkwürdig entrückt: Der stärker transparente, aufge­fächerte Klang des Orchestra Mozart und das zurückhaltende, ziselierte, in keinem Moment virtuos auftrumpfende Spiel Argerichs entkleiden sogar das d-Moll-Konzert weitgehend seiner Dramatik. Stattdessen wirken die Werke wie Kammermusik für großes Ensemble, so sensibel und genau reagieren hier Pianistin und vor allem die Holzbläser aufeinander. Insgesamt kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass dieser Aufnahme schon etwas von Abschied und Vermächtnis innewohnt. Mozart scheint

hier mit den Ohren etwa eines ­ aurice Ravel gehört: aus eiM nem unüberbrückbaren historischen Abstand und mit dem Gefühl der Unwiederbringlichkeit, zugleich aber auch mit einem gewissen exquisiten Sinn für Nuancen. Fein ausgehörte Nuancen zeichnen auch die Einspielung mit Maria João Pires aus. Wie sehr sie den besonderen musikalischen Gestus Mozarts verinnerlicht hat, zeigen nicht nur ihr außerordentlicher Sinn für die rhythmische und metrische Gestaltung selbst feinster motivischer Nuancen, sondern auch ihr Blick für die dynamische Form-Gestaltung. Besonders in den ruhigen mittleren Sätzen findet sie die richtige Balance zwischen Ausdruckswillen und der klanglichen Feinheit und Leichtigkeit, nach denen Mozarts Klavierkompositionen verlangen. Abbado schafft es, diese Ausgewogenheit des Klanges mit beiden Orchestern aufzugreifen, wenngleich die Stücke mit dem Chamber Orchestra of Europe besonders hervorstechen. Hier gelingt nicht nur ein wunderbar feiner, transparenter Klang der Streicher und eine präzise Motivgestaltung, das Ensemble zeigt vor allem eine hohe Sensibilität für die dynamischen und agogischen Bewegungen der Pianistin. Wolfgang Fuhrmann, Paul Elvers

Impressum Deutsche Mozart-Gesellschaft e. V. Mozarthaus · Frauentorstraße 30 · 86152 Augsburg Telefon: +49 (0)821 / 51 85 88 E-Mail: info@mozartgesellschaft.de Präsident: Thomas Weitzel

Schriftleitung: Melanie Wald-Fuhrmann Redaktion und Geschäftstelle: Julika Jahnke Layout: Esther Kühne

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