Vortrag∗ zum Thema Entfaltung findet statt: ein Stadtteil als Bildungs-, Kultur- und Lebensraum?! Im Rahmen der Veranstaltungsreihe ›Wissen bewegt: Stadt gestalten im Dialog‹ Dr. Dieter Scheidemann, Stadtbeigeordneter der Landeshauptstadt Magdeburg
13. April 2012
∗ Der Vortrag wurde am Freitag den 13. April im Thiem 20, Magdeburg-Buckau gehalten. Es gilt das gesprochene Wort.
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Sehr geehrte Damen und Herren, im Rahmen der Veranstaltungsreihe ›Wissen bewegt: Stadt gestalten im Dialog‹ geben Sie mir heute als Auftakt zum Kooperations- und Forschungsprojekt ›Kultur macht Stadt‹ die Gelegenheit, meine Vorstellungen und Überlegungen zu Chancen und Möglichkeiten von Kooperationsprojekten zwischen Universität und Stadt zu erläutern, vor allem aber zur städtebaulichen Entwicklung von Kulturstandorten darzulegen. Gestatten Sie mir als Demjenigen, der innerhalb der Landeshauptstadt Magdeburg für die Stadtentwicklung zuständig ist, bitte zunächst einen etwas weiteren Rahmen. Spätestens seit 2005 Richard Florida sein Buch ›Cities and the Creative Class‹ veröffentlicht hat, wissen wir, dass die Kreativität bei der Entwicklung von Städten eine wesentliche Rolle spielt. Florida geht davon aus, dass die Kreativität nunmehr die grundlegende Kraft für die Weiterentwicklung und das Wachsen von Städten ist. Durch die Globalisierung in einer fast post-industriellen Gesellschaft werden die Produkte weltweit ähnlicher oder aber bestimmen Marken weltweit das Image. So besetzt der ›Mini‹ von BMW den Platz als Fortbewegungsmittel für eine junge, akademisch ausgebildete und erfolgreiche soziale Gruppe. Dies ist in Amerika genau so wie in Europa oder Asien. Die Produkte haben weltweite Geltung. Dieser Vereinheitlichung setzt Florida die Ausprägung der Städte als eigenständige, mit Alleinstellungsmerkmalen behafteten Plätzen entgegen. Städte müssen unverwechselbar sein und bieten so die Basis und den Anziehungspunkt für die Herausbildung einer kreativen Klasse. Hierzu bedarf es nach Florida des Talentes, der Toleranz und des besonderen Platzes. Tatsächlich hat der Produktionsfaktor Kreativität die anderen Produktionsfaktoren in den Hintergrund gedrängt. Städte sind also gut beraten, über ein größtmögliches Potential einer kreativen Gruppe zu verfügen, damit ihre Weiterentwicklung gewährleistet ist. Die Bildung und Entwicklung kreativer Quartiere in Städten scheint indes unterschiedlichen Abläufen zu unterliegen. Im Folgenden werde ich die Situation sehr großer Städte, Metropolen, und kleinerer Großstädte, Regiopolen, und letztlich die Situation hier vor Ort darstellen.
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Metropolen In Metropolen scheint es Zyklen der Entwicklung von kreativen Quartieren zu geben. Dies ist in Brüssel nicht anders als in Berlin oder Hamburg. Gerade aber auch deutsche Großstädte scheinen ein immer wiederkehrendes Phänomen in der Ausprägung dieser Quartiere zu haben. Wenn ich die Stadtteile Schwabing, Kreuzberg oder das Schanzenviertel nenne, können Sie diese Bereiche sofort den Großstädten München, Berlin und Hamburg zuordnen. In allen drei Städten waren die besagten Quartiere zunächst keine herausgehobenen und von den Immobilienwerten her nicht lukrative Bereiche. Vielmehr boten sie durch geringe Mieten die Möglichkeit zur Ansiedlung vielfältiger sozialer Gruppen, nicht zuletzt für Kreative und Künstler. Diese Städte verfügen durch das urbane, spannungsreiche Umfeld über eine besondere Anziehungskraft für diese Gruppe. Gleichwohl wandelt sich fast regelmäßig diese Entwicklung dahingehend, dass sich andere soziale Gruppen des Quartiers bemächtigen und letztlich diese städtischen Gebiete schick und luxuriös, aber eben auch teuer werden und sich die kreative Klasse zurückzieht oder arrangiert. Die Erfahrungen aus dem Hamburger Schanzenviertel hat Christoph Schäfer in seiner Veröffentlichung ›Die Stadt ist unsere Fabrik‹ niedergelegt. Das setzt auch einen (scheinbaren) Gegenpunkt zu Richard Florida: »Richard Florida meint mit Creative Class eigentlich all diejenigen, die etwas zu sagen haben; für ihn gehören auch BWLer dazu, Manager sowieso, die oberen 20%, die sich selbst gerne als ›Macher, Denker und Entscheider‹ beschreiben. Der Rest der Menschheit ist Zuarbeiter, ausführender Assistent. Anscheinend fällt kaum jemandem auf, dass all das, was als neues Paradigma einer postfordistischen Produktionsweise beschrieben wird, auf den Straßen der Welt jeden Tag von den kapitalfernsten Bewohner/-innen der Metropolen ganz genauso geleistet wird: •
Arbeit im Netzwerk,
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Produktion eines attraktiven Images,
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Internationale Ansprache der Kundschaft,
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Motivation der Belegschaft (so vorhanden),
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Produktion eines kommunikativen, sozialen Mehrwerts zum eigentlichen Produkt und 3
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Einkaufen als Erlebnis.
Mit all dem verkauft man nicht nur den neuesten Designer-Sportwagen, sondern auch Nachos auf den Straßen von Mexico-Stadt. Deshalb aber sage ich Euch: Die Multitude ist größer als die kreative Klasse. Die Stadt ist unsere Fabrik.« Mit Interesse werden wir also verfolgen, wie die Entwicklung des Schanzenviertels in Hamburg weiter verläuft.
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Regiopole Der Begriff Regiopole wurde auf einer Tagung der Universität Kassel am 14.09.2006 erstmals von den Professoren Jürgen Aring und Iris Reuther verwendet. Die sogenannten kleineren Großstädte, die keine Eigenschaften einer Metropole nach der Definition John Friedmanns ›The World City Hypotheses‹ besitzen, scheinen andere Situationen hinsichtlich der kreativen Quartiere zu haben. Hier scheint die kritische Masse schlichtweg eine andere zu sein und sich zunächst das Bewusstsein für einen kreativen Ort herausbilden zu müssen. Symptomatisch möchte ich die wunderbare Veröffentlichung von Jana Scheerer, ›Das Bielefelder Gefühl‹ heranziehen. Ansatz ist die These, dass es Bielefeld eigentlich gar nicht gibt. Dies ist quasi die Steiger-ung des Merkmales Provinz in die Auflösung des Ortes selbst. Die These wird von Verschwörungstheoretikern, deren Theorie nicht zu-let-zt durch Udo Lindenbergs Liedzeile ›Sehen wir uns nicht auf dieser Welt, sehen wir uns in Bielefeld‹ gestützt wird, verbreitet. Gleichwohl kokettieren die Bielefelder Künstler mit dieser These und haben als Bielefelder Kunstverein die Sammlung „Das Bielefelder Gefühl“ herausgegeben. So zeigt sich hier, dass die kreativen Quartiere in diesen Städten weniger von einer Verdrängung bedroht sind, als vielmehr einer ständigen Selbstfindung unterliegen. Es gilt also, hier Kreative und Künstler zusammen-zuführen und überhaupt an den Ort zu binden. Diese Situation könnte für die kleineren Großstädte durchaus positiv wirken.
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Magdeburg Die Situation vor Ort in Magdeburg ist von der Situation in den Regiopolen geprägt. Stadtplanerisch ist es also zunächst wichtig, an Standorten, die das Potential hierzu haben, eine kritische Masse zusammenzuführen. Dies geschieht in der Stadt in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Sicherlich ist der Wissenschaftshafen ein kreativer Ort, hier indes weniger geprägt durch Künstler als vielmehr durch die Hochschulen, das akademische Potential und die Institute und Ausgründungen aus den Hochschulen. Ein anderes Spektrum bildet sich im Forum Gestaltung in der Brandenburger Straße. Hier wird an die Traditionen der Stadt im Bereich von Design, Mode und Gestaltung in vielfältiger Form angeknüpft. In Buckau haben wir einen dritten Standort zur Zusammenführung, kreativer, künstlerischer Aktivitäten. Diese Aktivitäten gilt es zu entfalten. Dabei erscheint es aus stadtplanerischer Sicht wichtig, dass Buc-kau als Entwicklungsansatz die südöstlichen Bereiche der Stadt einbezieht. Gerade ein Austausch zum Wasserturm Salbke mit dem dortigen Künstlerverein erscheint sinnvoll. Die Stadt kann diese Prozesse nur begleiten, sollte sie auch nicht steuern oder lenken. Die Besetzung eines Standortes sollte ohne Vereinnahmung passieren. Insofern hoffe ich, dass die Kooperation mit der Universität den Besonderheiten des Standortes Rechnung trägt und in jedem Fall erfolgreich ist. Der Stadtteil Buckau ist eingebunden in das Forschungsvorhaben ›Kooperation konkret‹ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Rahmen des experimentellen Wohnungsund Städtebaus (ExWoSt). Die Leitung des Forschungsvorhabens liegt in Händen des Bundesinstituts für Bau, Stadt und Raumforschung (BBSR). Der eigentliche Forschungsschwerpunkt ist die Bündelung verschiedener Fördertöpfe für die Stadtentwicklung. Neben Magdeburg nehmen fünf weitere Städte in Deutschland an dem Forschungsvorhaben mit unterschiedlichen Themen teil. Das Magdeburger Thema ist der Kunst- und Kulturstandort Buckau. Die spannende Frage ist: Wie lässt sich Buckaus Entwicklung der letzten Jahre zum Kunst- und Kulturstadtteil unterstützen und verstetigen und für eine positive weitere Entwicklung des Stadtteils nutzen? Hierzu wurden in einem Workshop drei Projekte entwickelt, die in dem Forschungsvorhaben verfolgt und finanziell unterstützt werden: 6
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Kulturmanagement,
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ein Kunst- und Gewerbehof
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temporäre Kunstaktionen.
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Zum Teilprojekt Kulturmanagement wurde ein Kooperationsvertrag zwischen der Stadt und der Universität, dem Studiengang Cultural Engineering, geschlossen. Die beiden anderen Projekte sollen durch das Kulturmanagement gelenkt und begleitet werden. Das weitere Aufgabenfeld des Kulturmanagements umfasst folgendes: •
Unterstützung und Verknüpfung der Kulturschaffenden vor Ort,
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Präsenz und Öffentlichkeitsarbeit,
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Realisierung von Kulturereignissen,
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Erarbeitung eines Konzeptes ›Kulturmanagement als Städtisches Entfaltungsmanagement‹,
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Fördergeldrecherche, -analyse und -akquise,
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Erstellen einer Antragsdatenbank.
Neben den erhofften positiven Auswirkungen auf die Entwicklung des Stadtteils Buckau sind für die Stadt wichtige Ergebnisse, ob sich eine solche Herangehensweise auch für andere Städte/Stadtteile, ggf. mit anderen Themen (Gesundheit, Sport, Filmkunst, Wirtschaft etc.), übertragen lässt. Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass ich für die Diskussion einige Anregungen beisteuern konnte.
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Wissen bewegt][Die andere Vorlesung In dieser Gesprächsreihe des Studiengangs Cultural Engineering soll es um Entfaltungsmöglichkeiten des städtischen Raums gehen. Dazu werden Verantwortliche aus Politik, Kultur und Wissenschaft miteinander ins Gespräch gebracht. Die Orte, an denen das stattfindet, finden sich – z.T. themenbezogen – in verschiedenen Einrichtungen der Stadt Magdeburg. Etliche davon liegen in Buckau. Das hängt mit dem dortigen Reichtum an kulturellen Einrichtungen zusammen, aber auch damit, dass der Studiengang Cultural Engineering in die Rolle des ›Kulturmanagers‹ für diesen Stadtteil eingeladen wurde und diese Rolle für die kommenden zwei Jahre aktiv wahrnehmen wird. Dazu gehört aus unserer Sicht, die verschiedenen Entfaltungsmöglichkeiten einer Stadt und – prototypisch – die eines Stadtteils auszuloten.
Kunst von Max Müller
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Das gemeinsame dialogische Gespräch, das auch auf neue Denkwege führen kann und soll, wird helfen, herauszufinden, wie ›Kulturmanagement‹ produktiv für die Entwicklung eines städtischen Gefüges gemacht werden kann, dadurch dass Gelegenheiten dafür konzipiert werden, dass Menschen, Orte, Praktiken und Wissen klug aufeinander Bezug nehmen. Konstellationen: Gefüge und Relationen von Wirkungsfaktoren Was eine Stadt ausmacht und wie sich anfühlt, hängt von vielen Faktoren ab: von Baulichkeit, Wegen, Straßen, Angeboten zum Konsum, zur Bildung, zur Unterhaltung, von Gewerben, Kunst, Kneipen, Restaurants, von Menschen, ihren Lebensbedingungen, Arbeitssituationen, der Sauberkeit, der Stimmung auf der Straße, der Wohndichte, der Nutzungsvielfalt, der Altersmischung etc. Eine Stadt zu entfalten wird folglich heißen, all diese Entfaltungsdimensionen in den Blick zu nehmen und ihre Relation zueinander zu betrachten. Dabei zeigen sich Passungen und Widersprüche, Zusammenspiele und Gegensätze.
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Weitere Informationen http://www.ovgu.de/cultural-engineering/bachelor Die Vorlesungsreihe wird vom Studiengang Cultural Engineering organisiert. Kontakt: Prof. Dr. Renate Girmes, Studiengangsleiterin des Bachelorstudienganges KWL][cultural engineering und Inhaberin des Lehrstuhls Allgemeine Didaktik und Theorie der Schule an der Otto-von-Guericke-Universit채t Magdeburg, Institut f체r Erziehungswissenschaft, Kaiser-Otto-Ring 6, 39106 Magdeburg.
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