curt. STADTMAGAZIN MÜNCHEN # 89 // FRÜHJAHR 2018
curt. STADTMAGAZIN MÜNCHEN # 89 // FRÜHJAHR 2018
ZUSAMMEN IST WENIGER ALLEIN
www.muenchner-volkstheater.de
ICH GEHE LIEBER INS VOLKSTHEATER
VORWORT
Wenn man Single ist, hat man das Gefühl, vollkommen frei zu sein. Man kann machen, was man will, wann man will und so lange man will. Eigentlich macht man da aber alles, was man macht, um entweder mindestens Sex zu haben oder bestenfalls den Menschen fürs Leben zu finden. Wenn man den dann gefunden hat, bei den meisten Menschen klappt das ja früher oder später, fühlt man sich nicht mehr ganz so frei, hat dafür aber jede Nacht Sex. Und man kann im besten Fall mit der Person auch noch Pferde stehlen, was alleine gar nicht so einfach ist. Ich habe es versucht und so ein Pferd ist ganz schön eigensinnig und hat monströse Kräfte, wenn ihm etwas nicht passt. Und was macht man in der Maxvorstadt als Student mit einem Pferd, blöde Idee. Die maximale Stufe der Unfreiheit erreicht man, wenn man Kinder bekommt. Anfangs schaut man alle fünf Minuten, ob sie noch atmen. Natürlich 24 Stunden lang, weil wenn der Partner sagt, dass das Baby noch atmet, glaubt man das nicht zu 100 Prozent. In dieser Zeit gibt es nicht viel mehr als Schlafen und Essen für das Baby, da kann man nicht viel falsch machen; komplizierter wird es, wenn das Kind älter wird, sagen wir dreieinhalb. Mein älterer Sohn ist zum Beispiel genau dreieinhalb Jahre alt, damit mehr als zehnmal jünger als ich und benimmt sich so als wären seine Mutter und diejenigen, die vom Leben keine Ahnung hätten. Servieren wir ihm zum Beispiel seine Milch im falschen Becher, folgt ein Wutanfall mit allem Pipapo. Schreien, schlagen, wütendes Gestampfe, Tränen bis zur völligen Erschöpfung. Hat die Milch dann auch noch die falsche Temperatur: Wutanfall. Liegt das Kopfkissen nicht rechtwinklig zur Matratze: Wutanfall. Am Morgen zu früh geweckt oder zu spät: Wutanfall. Man hat es nicht einfach. Neulich schlug ich ihm vor, die Mami von der U-Bahn abzuholen und vorher noch in den Park zu gehen. Vor dem Haus dachte er kurz nach und sagte „Der Weg ist aber viel zu lang!“ Ich befürchtete schon den nächsten Wutanfall und schlug vor, eine Kürzere Variante zu gehen. Er dachte wieder ein wenig nach, nahm meine Hand und sagte „Aber wir sind ja zu zweit, da macht doch alles viel mehr Spaß. Komm wir gehen!“. Er marschierte los und zog mich, keiner Widerrede duldend, hinter sich her. Und jetzt klappt das Heft zu und macht Kinder, aber zackizacki, Euer Thomas
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# 89
ZUSAMMEN IST WENIGER ALLEIN
COVERMOTIV: Marina Sprenger und Tom Ivers von der Münchner Band Heroine Twin Foto: Lara Freiburger ► lara-freiburger.squarespace.com
06 S o lonely! Brauchen wir ein Ministerium für Einsamkeit? 08 F aktencheck Dating 10 Orfeo – eine transkulturelle Oper Zuflucht Kultur e. V. 18 Stammtische 24 Gruppenzwang Im Gespräch: Dr. Irmhild Saake 28 Münchner Leihomas 38 Fan sein – Fanclubs in München 42 Lass uns wellenreiten gehen Im Gespräch: Steffi Kastner von Surfing Wolfratshausen e. V. 50 Porträt: LARP 58 P orträt: Green City e. V.
62 Z usammenarbeiten 2.0 Impact Hub 66 BarCamps 70 Porträt: Behind the Green Door 74 #curtpräsentiert 80 curt im Ausland: dunk!Festival 84 Label ohne Label – Overthinker Mob 88 Schlager in Space Die Schlagershow aus der Zukunft 90 Der weinbrandt rät Schade um den schönen Durst 92 Das neue Akward – Uncomfort me 94 Allein reist man weniger allein Fotobeitrag zum Thema der Ausgabe 96 Impressum 98 Hintenraus: Partnerlook
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SO LONELY! BRAUCHEN WIR EIN MINISTERIUM FÜR EINSAMKEIT?
Es ist ein Scheißgefühl. Und jeder kennt es. Das Gefühl, sich ungeliebt und unverstanden zu fühlen, ist grauenhaft. Es ist so schlimm, dass es schon fast körperlich wehtut. Sich zu fühlen wie der einfachste Mensch der Welt, total „lost“ zu sein, ist einfach beschissen. Die Band „The Police“ besang es in ihrem Hit „So lonely“ – wenn auch ziemlich beschwingt. Einsamkeit ist aber alles andere als lustig. Wenn es nicht vergeht, kann es sich auf die Gesundheit auswirken. Dazu gehören neben psychischen Problemen wie Depressionen auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Noch dazu sollen Einsame ein kürzeres Leben haben – vergleichbar mit der Sterblichkeit von starken Rauchern. Und das sitzt. „Einsamkeit ist die traurige Realität des modernen Lebens“, sagt die britische Premierministerin Theresa May. Ein „Ministerium für Einsamkeit“ soll daher in Großbritannien Abhilfe schaffen. Mittlerweile diskutieren selbst hierzulande die Politiker darüber. Braucht es so ein Ministerium tatsächlich auch bei uns? Immerhin lebt jeder Dritte in München in einer Single-Wohnung. Hinter den verschlossenen Türen eines achtstöckigen Wohnblocks in Neuperlach ist Einsamkeit doch vorprogrammiert, oder? „Alleine leben ist kein Kritikpunkt für
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Einsamkeit“, sagt Karl-Heinz Ladwig, Professor für Psychosomatische Medizin am Helmholtz Zentrum in München. Einsamkeit, das ist sein Thema. Seitdem das mit den Briten und ihrem neuen Ministerium bekannt ist, steht sein Telefon nicht mehr still. „Es lässt sich nicht genau sagen, ob Einsamkeit ein Problem unserer modernen Gesellschaft ist“, sagt der Experte. Was aber feststeht, Einsamkeit hat sich verändert: „Früher war man einsam, weil man allein im Wald lebte. Heute ist man einsam inmitten von Menschen.“ Für ihn eine besorgniserregende Entwicklung. Gerade viele Städter sieht er gefährdet: Die Gefahr, in der Großstadt den Anschluss zu verlieren, ist viel größer als auf dem Land.
„Es ist kein kurzfristiges Gefühl, sondern andauernd. Es steigert sich und ist in jedem Lebensabschnitt anders“, sagt Professor Ladwig über Einsamkeit. Junge Leute kennen diesen bedrückenden Zustand meist bei Liebeskummer oder Beziehungsproblemen. So quälend dieses Gefühl auch ist, es vergeht. Irgendwann. Bei älteren Leuten und Rentnern sieht es anders aus. Einsamkeit wird zur Sackgasse. Und nicht nur bei Verwitweten und Kinderlosen: „Gerade ältere Männer fühlen sich in einer Partnerschaft einsam. Sich das einzugestehen, ist mit viel Scham verbunden.“ Eine Trennung nach Jahrzehnten kommt nicht infrage. Schon allein aus Angst, sich noch unverstandener und ungebrauchter zu fühlen.
Einsamkeit ist die traurige Realität des modernen Lebens.“
„Ein soziales Netzwerk zu knüpfen, ist wichtig – und zwar in jedem Alter“, betont Ladwig. Klar, das ist verdammt anstrengend und kostet manchmal Überwindung. Gerade den Schüchternen. Aber es lohnt sich. Vor allem in Großstädten gibt es viele Möglichkeiten, Anschluss zu finden. Professor Ladwig zählt dazu VHS-Kurse und Seniortentreffs: „Man muss die Angebote nur annehmen und die Schwellenangst überwinden. Das klingt vielleicht banal, ist es aber nicht. Denn darüber scheidet sich die Lebensqualität.“ Und für ihn
ganz wichtig, wenn die Einsamkeit einen zu übermannen droht: sich eine ehrenamtliche Arbeit zu suchen. Das Gefühl, gebraucht zu werden und eine Aufgabe im Leben zu haben, ist für soziale Wesen wie uns Menschen enorm wichtig. Von einem Ministerium für Einsamkeit hält er daher überhaupt nichts. Es lenke nur von den wirklichen Problemen ab: „Lieber sollte die Rente erhöht oder das Gesundheitssystem verbessert werden. Denn es bräuchte viel mehr Psychotherapeuten, die auf alte Leute spezialisiert sind.“ Und: Jeder kann etwas gegen Einsamkeit tun. Vielleicht öfter mal mit den Nachbarn quatschen. Oder sich bei alten Freunden melden. Das ist in der Zeit von „WhatsApp“ und „Facebook“ einfacher denn je. Und ein kleiner Tipp zum Schluss: Schon eine einzige kurze Umarmung mildert das Einsamkeitsgefühl. ▪
TEXT: LEA HERMAN // ILLU: YAEL CURI
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FAKTENCHECK DATING
TEXT: MIRJAM KARASEK ILLUSTRATION & ARTWORK: SIMONE REITMEIER
Aktive Nutzer deutscher Online-Dating-Börsen im Jahr 2003: 3,5 Millionen. Im Jahr 2015 waren es schon 8,4 Millionen. Jährlich kommen etwa 200.000 neue Singles hinzu. Jede dritte neue Partnerschaft entsteht digital.
In München lag die Zahl der Single-Haushalte Ende 2014 bei
54,8 %
. Höchster Anteil: das Studentenviertel Maxvorstadt mit 68,8 Prozent.
Rabbi Yaacov Deyo aus Los Angeles hat 1998 das
SPEED-DATING erfunden. Sein Ziel: Alleinstehende jüdischen Glaubens miteinander zu verkuppeln und so die Zahl jüdischer Ehen zu erhöhen.
68 % der Online-Dater sind männlich. In der Altersgruppe 55+ sind es sogar fast 93 Prozent.
Es gibt etwa
2.500
Datingportale im deutschen Netz.
Im Durchschnitt erhält ein(e) Partner(in) nach 13 Treffen den Haustürschlüssel überreicht.
Rund ein Drittel der 1,5 Mio. Münchner
über 18
Jahren sind Singles.
DIE ERSTE VIRTUELLE VERKUPPLUNG
startete 1965 in New York mit TACT, einem Automaten für Kompatibilitätstests. Die Antworten von 100 Multiple-Choice-Fragen wurden in Form von Lochkarten einem IBM-Rechner eingegeben, der für jeden Single 5 Karten mit Partnervorschlägen ausspuckte.
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Knapp 12.000 Herrchen und Frauchen beschnuppern sich derzeit auf der kostenlosen Hundeliebhaber-Plattform DATEMYDOG.DE . Das Profilbild zeigt deshalb logischerweise oft auch die Vierbeiner höchstselbst.
Über die Aufnahme beim Dating-Portal für besonders schöne Menschen, BEAUTIFULPEOPLE.COM , entscheiden die Mitglieder des anderen Geschlechts – per Abstimmung. Wer durchfällt, versucht es bei der britischen Partnerbörse für die wirklichen Hässlichen:
THEUGLYBUGBALL.COM
Wer gerne mit roter Nase, Perücke und viel zu großen Schuhen durchs Leben watschelt, sucht auf der englischsprachigen Plattform
CLOWNDATING.COM Lonesomes mit einer Glutenunverträglichkeit finden ihr Pendant auf
sein Vergnügen.
GLUTENFREE SINGLES.COM
Die BRISTLR-APP interessiert nur eines: der Bart. Hier finden alle Bartträger und -trägerinnen Singles, die auf Goatee, Schnäutzer, Soulpatch und Co. stehen.
Single mit wenig Zeit?
Kein Problem: Die Ghostwriting-Agentur Suredate übernimmt die gesamte Vorarbeit bis zur ersten Verabredung einschließlich der Korrespondenz der Möchtegern-Liebenden. Beauftragen, abwarten, „Spickzettel“ durchlesen – auf geht’s zum Date.
n, ärri h t N en c u s rs Nar aßbrem ßen. Sp au r d en bleib
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MUSIK BRINGT MENSCHEN ZUSAMMEN, SO VIEL STEHT FEST.
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ORFEO EINE TRANSKULTURELLE OPER
Transkulturell: Jeder kann teilnehmen, vollkommen unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Beruf. Unterschiedliche und vielleicht auch gegensätzliche Kulturkreise treffen aufeinander und wollen gemeinsam etwas bewirken. Gerade durch Musik lässt sich eine Brücke schlagen, was sich der Verein ZUFLUCHT KULTUR e. V. schon lange zur Aufgabe gemacht hat. Mit der Oper Orfeo, die im Münchner Hofspielhaus eine würdige Bühne gefunden hat, ist ihnen dieses Vorhaben ein weiteres Mal gelungen. TEXT: STEPHIE SCHERR // FOTOS: LARA FREIBURGER
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Die Geschichte von Orpheus und Eurydike ist bekannt. Eurydike geht in die Unterwelt, Orpheus eilt ihr hinterher. Auf der Suche nach seiner großen Liebe nimmt er Gefahren und Strapazen auf sich, um am Ende doch zu scheitern. Stoff, der immer wieder in den unterschiedlichsten Varianten aufgeführt worden ist. Regisseurin Annette Lubosch, aus deren Feder diese Neuinterpretation des Stückes stammt, schickt Eurydike nach Syrien. Aus freien Stücken reist sie in dieses Land, aus dem andere fliehen. Sie schließt sich dem IS an. Ihr Geliebter Orfeo reist ihr nach, um sie zurückzuholen. Dabei erinnert die Oper an eine Collage: Stücke von Monteverdi und Gluck werden genauso gesungen wie arabische Volkslieder, die Sprecher zitieren Khalil Gibran oder Orhan Pamuk. Selbst zwei Rapstücke fügen sich ein und machen die Mischung noch spannender und vor allem transkultureller.
Wenn es sprachliche Barrieren gibt, dann hilft die Musik.“
Würde man Orfeo nur mit deutschen Opernsängern besetzen, hätte man nicht viel Neues geschaffen und wäre sicher nicht transkulturell. ZUFLUCHT KULTUR unter der Leitung von Cornelia Lanz, die selbst die Rolle des Orfeo verkörpert, arbeitet schon lange mit Geflüchteten, etwa aus Syrien, zusammen. So auch mit den beiden Schwestern Wissam und Walaa Kanaieh, die Amor und Al Mitra darstellen, sowie Maher Hamida und Mazen Mohsen, die Pluton und Charon verkörpern. Für sie ist das Schauspielern in einem freien und friedlichen Land vor allem auch eine Möglichkeit, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Wenn ein Stück sich dann so explizit mit den Geschehnissen in Syrien auseinandersetzt wie Orfeo, ist somit nicht nur ein immenser Mehrwert für das Publikum gegeben, sondern auch für die Darsteller. Cornelia Lanz ist erfolgreiche Mezzosopranistin, zudem zweite Vorsitzende und Produktionsleiterin von Zuflucht Kultur. Die Idee zu ihrem Projekt, und damit der Verschmelzung der Kulturen, entstand vor allem durch den Wunsch, Kultur nah am politischen Geschehen zu verankern. Sie soll direkter sein, Denkanstöße geben und auch provozieren. Vor allem soll sie aber in die aktuelle Zeit übertragen werden, damit das Publikum abgeholt wird und versteht, dass das Thema eines Stückes auch sie betrifft. Mit Geflüchteten aus verschiedenen Kulturen zusammenzuarbeiten, war dann der logische nächste Schritt: „Wir waren das Pilotprojekt für Oper mit Geflüchteten. 2014, als es losging, war die Thematik noch gar nicht so präsent in den Medien.“ Für Cornelia ist diese Art von Arbeit eine Bereicherung, oftmals aber auch eine Herausforderung: „Wenn jemand schon länger im Land und integriert ist, ist es schwieriger, Termine für Proben zu finden, da Schule oder Arbeit natürlich wichtig sind. Jemand, der gerade erst nach
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Deutschland gekommen ist und jahrelang auf der Flucht war, hat wiederum keinen normalen Rhythmus mehr. Es kam auch schon vor, dass Darstellern die Abschiebung drohte, was die anderen kleinen Problemchen dann komplett in den Schatten stellt.“ Aber gerade die ungewöhnlichen Umstände sorgen dafür, dass diese Oper vielschichtig und vieldimensional werden kann. Für Cornelia Lanz ist Musik eine besondere Art der Verständigung: „Wenn es sprachliche Barrieren gibt, dann hilft die Musik.“ Musik bringt Menschen zusammen, so viel steht fest. Bei den Werken unter der Schirmherrschaft von Zuflucht Kultur funktioniert das auf vielen Ebenen. Alle Beteiligten und jeder aus dem Publikum nimmt etwas mit. Erfahrungen, Bekanntschaften und neue Denkansätze. Und weil das alles nicht nur dem zahlenden Publikum vorbehalten sein soll, werden Freikarten an Geflüchtete verteilt. „Sie sehen ein Stück ihrer eigenen Kultur, das sie mit Stolz erfüllt, und lernen gleichzeitig etwas über die deutsche Kultur“, fasst Dagmar Berkenberg zusammen, bei der die Schwestern Kanaieh leben. „Viele Geflüchtete wollen ja gerne Kultur erleben, aber wissen nicht, was es in München gibt. Hier helfen wir auch und nehmen sie mit, damit sie vor allem Stücke wie Orfeo erleben können. Den Darstellern aus Syrien hilft das Mitwirken an den Stücken wiederum oft dabei, an Schulen genommen zu werden, die solche Aktivitäten besonders zu schätzen wissen!“
Auch Sela Bieri aus der Schweiz, die Eurydike verkörpert, profitiert auf ganz eigene Art von ihrem Mitwirken bei dieser besonderen Oper. „Ich war schon bei der Gründung von Zuflucht Kultur begeistert von der Idee, die dahintersteckt. Ich habe mich sofort selbst gefragt, wie es mir wohl ergehen würde, wenn ich selbst flüchten müsste. Freunde von mir sind aus Syrien geflüchtet und gerade weil ich deren Geschichte so gut kenne und viel über ihre Flucht weiß, geht mir die Geschichte von Orfeo persönlich sehr nahe.“ Dazu kommt, dass sie mit der Rolle der Eurydike jemanden verkörpert, deren Beweggründe man vielleicht nur schwer nachvollziehen kann: „Die deutsche Frau, die nach Syrien geht. Dafür herrscht großes Unverständnis, aber ich habe es geschafft, mich mit dieser Rolle auseinanderzusetzen und kann die Beweggründe inzwischen vielleicht ein wenig besser nachvollziehen. Eigentlich ist sie eine Persona non grata, die sich durch ihre Flucht nach Syrien wieder ein besseres Leben erhofft.“ Annette Lubosch wiederum wollte in erster Linie eine Liebesgeschichte erzählen, die sie in einen ganz neuen Zusammenhang gebracht hat. „Stets ist es so, dass die Liebe ihre eigene Tiefe nicht kennt bis zur Stunde der Trennung.“ Dieser Satz prägt in ihren Augen das zentrale Thema: „Es geht um Liebe. Über Grenzen hinweg, unabhängig von Religion oder anderen Faktoren. Es geht um das Miteinander.“ Dabei war die Konstellation der verschiedenen Darsteller mit unterschiedlichstem Hintergrund eine Herausforderung: „Ich musste mir das Vertrauen erst einmal erarbeiten.“ Und auch hier ist es ein Geben und Nehmen: „Wir diskutieren gemeinsam, ob manche Textpassagen so passen oder nicht. Gerade weil wir unterschiedliche Sprachen verwenden, ist hier jeder Blickwinkel wichtig.“ Aber dafür ist die Kunst eben da: „Dass man Brücken baut, zusammenhält und lernt zu kommunizieren.“
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Der irakische Schauspieler Ayden Antanyos, der mit der Rolle des Propheten Al Mustafa die Funktion des Erzählers übernimmt, vertritt wiederum die Ansicht, dass es vollkommen egal ist, aus welchem Land jemand kommt, wenn man zusammen an einem Stück arbeitet. „Es ist schön, immer mit verschiedenen Leuten zusammenzuspielen. Für mich sind alle Menschen. Woher sie kommen, ist mir dabei egal. Natürlich bringt jeder seine eigenen Erfahrungen mit, aber das liegt eher an der Person an sich als an deren Herkunft.“ Verschiedene Blickwinkel und Erfahrungen machen Orfeo zu einer bunten Mischung, die keine klassische Oper ist, die zum Nachdenken anregt, Gänsehaut verursachen kann und gleichzeitig vor Lebensfreude und Spaß an der Kunst nur so sprüht. Das Hofspielhaus scheint dabei wie für das Stück gemacht. Im gemütlichen Kellertheater sitzt das Publikum rechts und links von der Bühne, die Schauspieler kommen von allen Seiten. Jeder ist Teil der Aufführung und nicht weit entfernter Zuschauer. Da kann es auch passieren, dass man plötzlich zum Tanzen aufgefordert wird, wenn das begeisterte und begeisternde Ensemble ein Volkslied zum Besten gibt. Die Musik baut eben Brücken – egal zwischen wem!
Alle Infos über Zuflucht Kultur unter ► zufluchtkultur.de Spielzeiten von Orfeo im Hofspielhaus unter ► hofspielhaus.de
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Dieser eine bestimmte Tisch. Zu erkennen an einem Schild, einer Plakette oder auch einem speziellen Aschenbecher. Der mystische Tisch, von dem man schon als Kind wusste: Dort treffen sich die älteren Herren aus dem Ort und diskutieren über Gott, die Welt und was ihnen sonst noch einfällt. An einem bestimmten Tag in der Woche oder im Monat war klar: Heute sitzen hier die „wichtigen“ Leute. Der Stammtisch. Früher den Bier trinkenden Oberhäuptern vorbehalten, heute eine Möglichkeit, sich regelmäßig mit Gleichgesinnten zu treffen, auszutauschen und – nicht nur – ein klassisches Helles zu trinken. Der moderne Stammtisch kann alles sein, vor allem weil nichts sein muss. Manchmal ist es nicht nur ein Tisch, manchmal gar ein Stuhlkreis. Der Begriff blieb, die Auslegung ist freier geworden. Gerade in Bayern und somit auch München hat diese Art der Versammlung Tradition. Grund genug, sich einmal mit den etwas ungewöhnlicheren Exemplaren zu befassen, die zu regelmäßigen Treffen einladen. Ob für Science-Fiction-Freunde, Sportbegeisterte oder in München Gestrandete: Fündig wird jeder, der sucht!
TEXT: STEPHIE SCHERR, JULIA MAEHNER // ILLUS: YAEL CURI
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PERRY-RHODAN Science Fiction made in German: Das ist Perry Rhodan! Seit 1961 erscheinen die Heftromane ununterbrochen jede Woche. Verschiedene Autoren haben sich dem Perryversum schon angenommen – und es ist kein Ende in Sicht! 1. Donnerstag im Monat ab 18 Uhr St. Benno Einkehr, Stadelheimer Str. 71 prsm.clark-darlton.de Vom Stammtisch mitveranstaltet: GarchingCon vom 1. bis 3. Juni ► garching-con.net
POLYAMORIE Liebe und andere Dämonen werden seit 2007 im Polyamorie-Stammtisch diskutiert. Kann man in viele Menschen gleichzeitig verliebt sein? Wie ist es, solche Beziehungen zu führen? Zeitmanagement, Rituale, Vertrauen, Kommunikation und Transparenz sind einige der Themen, die auf den Tisch kommen. Egal ob Poly, Single, monogam oder offen: Hier treffen sich anonym alle, die sich über eigene Erfahrungen und alternative Lebensweisen austauschen wollen, ohne beurteilt zu werden. 1-mal im Monat, freitags ab 19 Uhr Guardinistr. 98a, 81375 München polyamorie-muc.de
DAV „LUFT NACH OBEN“ Beim DAV „Luft nach oben“-Stammtisch treffen sich in uriger Umgebung all jene, die am liebsten Kies unterm Bergschuh und einen Gipfel im Blick haben. Einmal im Monat versammeln sich um die 20 DAV-Mitglieder zwischen 25 und 40 im Jugendhaus der Münchner Sektion des Alpenvereins, das aussieht wie eine Almhütte – nur eben mitten in München. Die Gespräche drehen sich um das, was die Mitglieder am meisten begeistert: die Luft nach oben, und das am liebsten in den Alpen. 1-mal monatlich, montag o. donnerstags Jugendhaus des DAV München Preysingstr. 71 nur für Mitglieder des Deutschen Alpenvereins München Oberland Plus
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SMJG BDSM ist trotz des Erfolgs mancher Bücher zum Thema immer noch ein Tabu. Gerade junge Menschen sind oft nur unzureichend informiert. Da hilft der Stammtisch der Informations- und Kommunikationsplattform für Jugendliche bis 27. In offener Atmosphäre werden alle Fragen beantwortet, die sich manch einer sonst vielleicht nicht zu stellen traut. HOFER Fränkisch solltet ihr auf jeden Fall sprechen, wenn ihr diesen Stammtisch besuchen wollt. Denn beim Hofer-Stammtisch wird das Frankentum ausgelebt – deutlich erkennbar an den Texten auf der Website. Ein Treffen für alle mit Wurzeln in Hof oder anderen fränkischen Städten, die es ins Exil nach Oberbayern verschlagen hat.
Jeden 2. Samstag im Monat ab 18 Uhr Erfährt man auf Anfrage bei den Veranstaltern smjg.org/treffs/muenchen Erkennungsmerkmal: orange-schwarz getigerter Flugsaurier
DOCTOR WHO TARDIS: Wer hier gleich weiß, dass diese Abkürzung für „Time and relative Dimension in Space“ steht, der ist beim Doctor-WhoStammtisch genau richtig. Der 2008 bei Lokalisten entstandene Treff befasst sich mit dem berühmten Doctor und seinen Abenteuern in der blauen Telefonzelle.
Alle vier Wochen Immer woanders, Mitglieder werden per E-Mail benachrichtigt hofer-stammtisch.de
In der Regel jeden letzten Sonntag im Monat ab 18 Uhr In wechselnden Lokalen in München Facebook-Gruppe: Doctor Who Stammtisch München
Sonderveranstaltungen wie „Stärke antrinken“ oder Eisstockschießen
Termine und News zur Serie werden innerhalb der Facebook-Gruppe gepostet
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SKEPTIKER Hier trifft sich die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Dinge wie Aberglaube, Astrologie oder auch Verschwörungstheorien wissenschaftlich zu beleuchten.
FAMILIENFORSCHER Was tut sich auf dem Gebiet der Familienforschung? Wie kann die Digitalisierung hier helfen? Die Kompetenz der Stammtischler kann vor allem auch neuen Mitgliedern dabei helfen, nach ihren Ahnen zu forschen. Jeden 3. Dienstag im Monat ab 18 Uhr Unionsbräu, Einsteinstr. 42 ffsm.jimdo.com
Jeden letzten Montag im Monat ab 19 Uhr Stragula, Bergmannstr. 66 gwup.org/regionalgruppen/muenchen
CANADIER Ein Stammtisch für Kanadier, die es nach München verschlagen hat? Nein! Hier treffen sich Menschen, die am liebsten mit ihrem gleichnamigen offenen Kanu auf den unterschiedlichsten Gewässern unterwegs sind! Jeden 3. Dienstag im Monat ab 18 Uhr Wirtshaus Jagdschloss, Obermenzing canadier-muenchen.de
Pro Wildlife e.V. Kidlerstr. 2 81371 München Tel. 089 81299 507
www.prowildlife.de
Ihr Leben liegt in Deinen Händen. Wir schützen Wildtiere – reich uns die Hand.
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GRUPPENZWANG IN DER FREUNDEGESELLSCHAFT IM GESPRÄCH MIT DR. IRMHILD SAAKE VON DER LMU MÜNCHEN
TEXT UND FOTO: KATHARINA WINTER
Keiner ist gern allein. Freunde braucht ein jeder. Doch wie frei sind wir in der Gemeinschaft? Welchen Zwängen unterliegen wir gerade auch im digitalen Miteinander? curt fragte nach bei Dr. Irmhild Saake. Am Institut für Soziologie der LMU München erforscht sie soziologische Theorie unter gesellschaftlichen Fragestellungen.
Wie funktioniert unsere Gesellschaft? Typisch für eine Gesellschaft ist, dass die Menschen sich aneinander anpassen. Sie vergleichen sich kulturell miteinander, stellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest. Im Gegensatz zu früheren Gesellschaften bieten die sozialen Medien heutzutage wesentlich mehr Bezugspunkte. Die Menschen erzählen Fremden, was sie machen und wie sie leben. Somit gibt es viele Produzenten für Oberflächen, zum Beispiel in den Bereichen Mode, Wohnungseinrichtung, Lifestyle. Die moderne Gesellschaft entwickelt sich immer mehr zu einer Freundegesellschaft. ►
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Die Menschen schauen sich genau ab, was die anderen sagen und tun – und machen es ihnen nach. Dadurch werden Inhalte, über die man eigentlich diskutieren sollte, zu Oberflächen. Man sagt das, was alle sagen.“
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Welche Rolle spielt da der Gruppenzwang? Durch Facebook und Co. entstehen sogenannte Filter Bubbles. Das bedeutet, dass uns unsere Freunde immer ähnlicher werden und Fremde, die eine andere Meinung vertreten, immer fremder. Wir glauben zu wissen, was unser Gegenüber denkt. Die Erwartungen und der soziale Druck nehmen zu. Die Menschen schauen sich genau ab, was die anderen sagen und tun – und machen es ihnen nach. Dadurch werden Inhalte, über die man eigentlich diskutieren sollte, zu Oberflächen. Man sagt das, was alle sagen. Können Sie mir dafür ein Beispiel nennen? In einem Seminar zum Thema Digitalisierung ist es erwartbar, dass die Studenten große Unternehmen scharf kritsieren. Sie diskutieren jedoch nicht inhaltlich über die Digitalisierung und darüber, was da eigentlich passiert. Ihre Kritik bleibt folgenlos – aber ihr moralisches Reden vereint sie und bestätigt sie darin, dass sie die richtige Meinung teilen. Jeder Mensch möchte zu einer Gruppe dazugehören. Das passiert, indem man gemeinsam etwas Gleiches für richtig hält. Das kann jeder, es braucht keine besonderen Voraussetzungen. Welchen Vorteil haben die sozialen Medien für unsere Gesellschaft im Vergleich zu früheren Gesellschaften? Das Internet ermöglicht es, dass sich Gruppen bilden, die über jede Art von Grenze hinausgehen. Menschen vernetzen sich global miteinander. Das Internet ist eine Tratschmaschine: Es bietet viele Varianten für Alltagsfragen und Lebensführung. Es dient als Plattform, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Dabei bildet ein moralisches Statement den kleinsten gemeinsamen Nenner.
Welche Gefahren sehen Sie in der Entwicklung hin zu einer Freundegesellschaft? Wir kommunizieren mit Fremden, als wären sie unsere Freunde. Dadurch bekommen wir das Gefühl, in einer transparenten Gesellschaft zu leben, in der alle so sind wie wir. Das täuscht uns über Unterschiede hinweg, die im Alltag jedoch existieren. Es erstaunt uns, wenn Unterschiede plötzlich sichtbar werden. Im modernen Denken sind alle gleich. Wir wünschen uns Symmetrie und verlieren die Sicht für Unterschiede, die wir nicht ändern können. Es fällt uns schwer, Unterschiede auszuhalten. Warum sind Unterschiede zwischen den Menschen so wichtig? Unser Alltag besteht aus Unterschieden. Zum Beispiel gibt es einen Unterschied zwischen der Dozentin und dem Studenten, weil die Dozentin im besten Fall über mehr Wissen verfügt. Wir brauchen unterschiedliche Perspektiven und Thesen, um eine inhaltliche Diskussion führen zu können. Was können wir tun, um dem moralischen Gruppenzwang entgegenzuwirken? Seit der Debatte über Filter Bubbles besteht das Bewusstsein für diese Problematik. Sätze, die in diese Richtung aufklären, finden sofort einen Hörer. Wir können uns der Gesellschaft zwar nicht entziehen, aber es hilft, über sie zu reflektieren. Die Idee einer transparenten Gesellschaft funktioniert online, jedoch nicht in der Realität – und das gilt es zu akzeptieren. Wir lernen nur von Asymmetrien, deshalb sind sie so wichtig. Wir müssen damit leben, dass wir nicht jede Ungleichheit beseitigen können. Deshalb dürfen wir uns trotzdem nicht schuldig fühlen. Zu viel Moral schafft nur Druck, bringt aber im Endeffekt niemanden weiter. ▪
Mit Ihrer Spende unterstützen Sie unsere Menschenrechtsarbeit und retten Leben: Spendenkonto 8090100, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 370 205 00. www.amnesty.de
In vielen Ländern werden Schriftsteller verfolgt, inhaftiert, gefoltert oder mit dem Tode bedroht, weil sie ihre Meinung äußern. Setzen Sie mit uns ein Zeichen für das Recht auf freie Meinungsäußerung!
ES GIBT MENSCHEN, DIE STERBEN FÜR BÜCHER.
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ZU BESUCH BEI
MÜNCHNER LEIHOMAS TEXT: HEIKE FRÖHLICH // FOTOS: LARA FREIBURGER
Betreuung ist ein Flickenteppich. Aber nicht jeder Münchner mit Familie kann auf Oma und Opa als Hilfe zurückgreifen. Die wohl charmanteste Alternative ist, eine original Münchner Leihoma zu engagieren. Der LEIHOMASERVICE MÜNCHEN entstand 2002 durch eine private Initiative, in Bremen und Hamburg gab es bereits seit den 1970ern ähnliche Hilfsdienste. Familien können für die Kinderbetreuung Leihomas buchen, stundenweise als Babysitter, aber auch umfassender z. B. bei Krankheit von Mutter oder Kind, für Familien mit zwei Selbstständigen und bei jeder planbaren oder kurzfristigen Betreuungslücke, die im Alltag entsteht. Silke Wolf koordiniert den Leihomaservice und kann sich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Ihr Wunsch, Generationen zusammenzubringen, Alt und Jung einander anzunähern, hat sich auf vielfache Weise erfüllt. Wie zu Zeiten der Großfamilie unterstützen sich die Generationen, nur mit dem Unterschied, dass die blutsverwandte Familie oder das Dorf hier durch großstädtische Wahlverwandtschaft ergänzt wird. Beide Seiten profitieren: Eltern bekommen eine liebevolle und zuverlässige Kinderbetreuung, Senioren können sich die Rente aufbessern und bekommen frischen Wirbelwind in ihren Alltag. Von Silke Wolf ausgestattet mit zwei Adressen, machen wir uns auf, bei Leihomas zu klingeln.
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BEI INGRID UND REINHOLD IN GIESING Es ist ein knackig kalter, sonniger Samstagvormittag, als wir uns in die U1 nach Giesing setzen, um in der Nähe des Wettersteinplatzes Ingrid und Reinhold zu besuchen. Das Pärchen wohnt in einem gepflegten Genossenschaftsbau mit großem Hinterhof. Ingrid ist Trambahnfahrerin im Ruhestand und hat keine eigenen Kinder. Die Enkel ihres Mannes leben nicht in München und da Ingrid schon immer etwas mit Kindern machen wollte, fing sie 2009 beim Leihomaservice an. Ihr Mann Reinhold unterstützt sie tatkräftig. Reinhold hört man noch ein wenig seine Bamberger Herkunft an, als er zu erzählen beginnt. Die Kinder sind ausgeflogen, zum Skifahren, erklärt er fast ein bisschen bedauernd. „Enkerl“ sagen sie in ihrem gemütlichen Dialekt, und sie sind die Oma und der Opa, ganz ohne „Leih“-Präfix. Ingrid und Reinhold stehen leiblichen Großeltern tatsächlich in nichts nach, eher im Gegenteil, bei den beiden gibt’s Wunschprogramm. Sie gehen in den Kletterpark, schwimmen, Schlittschuh laufen, Schlitten fahren, in den Indoorspielplatz, immer sind sie auf Achse, oft mit fünf Kindern gleichzeitig. Alle anfallenden Fahrten, das Abholen und Bringen übernehmen die beiden und packen sich den Terminkalender kräftig zu. Auch kurzfristige Anfragen über WhatsApp – kein Problem für Ingrid und Reinhold, man geht schließlich mit der Zeit. Der Technikpark des Rentnerehepaars ist auf neuerem Stand als meiner: PlayStation, DisneyChannel, und zum 60. Geburtstag hat Reinhold eine Wii bekommen. Drei blonde, zahnlückige Geschwister kamen über den Leihomaservice, Miriam* (3), David (6) und Pia (9) und dann oft noch Reinholds Enkel und weitere Kinder dazu – eine ganze Rasselbande: „Je mehr da sind, desto schöner für uns“, erklärt Reinhold, „die beschäftigen sich miteinand’.“ Das Paar zeigt uns Fotos auf dem Smartphone: ein Bettenlager für die Kinder, denn regelmäßig übernachtet eine ganze Gruppe auf Klappcouch oder Luftbett bei Oma und Opa, dann die ganze Bande am runden Esstisch „bei der Abfütterung“, schmunzelt Reinhold. Auch hier werden die Wünsche erfüllt: Schnitzel sind gefragt. Ja, so viel Arbeit machen sie sich, bejahen die beiden, und man merkt, das machen sie gern. „Wenn die Kinder uns von Weitem sehen, die überrennen uns, wie wenn ein Hund sich freut und auf einen draufspringt. Die schmeißen uns um.“ ►
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Ganz klassisch werden die Kinder ein bisschen verwöhnt. Bei Oma und Opa sind Sachen erlaubt und zu Hause sieht es anders aus, nicht so viel Naschen und Fernsehen, erklärt Reinhold. Die Kinder können switchen: „Die wissen genau, sie sind jetzt zur Tür raus und dann ist Stopp.“ Die Wahlverwandtschaft nehmen sie mit vollkommener Selbstverständlichkeit an. Ihre Zeit in einer Gruppe zu verbringen, tut den Kindern gut, auch Eifersucht entsteht nicht, berichtet Ingrid auf Nachfrage. Höchstens bei den Erwachsenen, dass die Schwiegertochter die Großeltern gerne näher bei sich, weg aus München hätte. Die Bamberger und Münchner Enkel haben sich sogar so weit angefreundet, dass sie sich gegenseitig besuchen. Mit Julius, dem ersten Enkel, der jetzt neun Jahre zählt, ist eine sehr enge Beziehung gewachsen. Julius’ Mutter und gleichzeitig seine Großmutter waren an Krebs erkrankt, als Julius frisch auf der Welt war, und mit zwei Monaten hat Ingrid den Säugling bereits zu sich genommen. Ingrids Mutter lebte damals noch, und so haben sie Julius mit ins Altersheim zu Besuchen genommen. Er war der Liebling des Altenheims, erzählt uns Ingrid, sie schob den Rollstuhl mit ihrer Mutter darin, diese den Kinderwagen mit Julius, ein Familien-Doppeldecker. Es hat sich gleich so ergeben, dass Reinhold als Opa mitgeholfen hat. Er trägt dicke Fotobücher heran, die er für Julius angelegt hat. Die beiden kommen ins Schwärmen, als sie erzählen, wie ihnen Julius seine neuen Breakdance-Moves zeigt. Und ja, das darf er natürlich auch in der Wohnung vorführen. „Von Julius‘ Entwicklung haben wir alles mitgekriegt: den ersten Schritt, das erste Wort, die erste Brezen.“ Julius darf auch heute noch bei Oma und Opa auf dem Zusatzbett im Zimmer schlafen. Sind die anderen Kinder dabei, schlafen alle Kinder in einem Zimmer. Nach einer halben Stunde Fernsehen ist Bettzeit angesagt, wobei jedes Mal kommt: „Opa, dürfen wir uns noch Witze erzählen?” Selbstverständlich dürfen sie, räumt Reinhold gutmütig ein. Macht er denn als Opa etwas anders als die Oma, möchten wir von Reinhold wissen. Wenn etwas kaputt geht, ist er dran, erklärt er uns. „Julius sagt, er ist der beste Kaputtmacher, ich bin der beste Reparierer.“ Schon drei Mal waren Enkel und Großeltern zusammen im Urlaub, diesen August soll es mit David, Miriam und Pia nach Rauris gehen. „Mehr als drei passen ins Auto hinten nicht rein“, sagt Reinhold, und in den Moment klingt es, als würden sie im Zweifelsfall auch einen ganzen Kleinbus voller Kinder betreuen. „Ich hab nie Kinder gehabt, jetzt hab ich sieben Enkel“, zitiert Reinhold seine Frau für uns. Wenn die beiden als Alleinunterhalter auftreten, er spielt Akkordeon, sie singt, berichtet er, laufen auch fremde Kinder gleich zu Ingrid. „Genau, weil ich so gut bin. Drum bist auch du zu mir gelaufen!“, lacht Ingrid. ►
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Unsere zweite Adresse führt uns in die Maxvorstadt zu Hilda. Sie ist Mutter einer erwachsenen Tochter und ausgebildete Erzieherin. Bis zu ihrem Ruhestand hat sie 28 Jahre als Buchhändlerin beim Hugendubel gearbeitet. Wir rechnen mit einem Zuhause voller Bücher und unsere Erwartungen werden nicht enttäuscht: Das schnuckelige Appartement steckt voller Leben und Kultur. Hilde sitzt aufrecht in ihrem adretten Schottenrock auf der Couch und fängt an zu erzählen: von ihrem Diplom als Erzieherin, der anschließenden Ausbildung zur Buchhändlerin, wie sie ihren verstorbenen Mann an der Kunstakademie kennenlernte und zu ihm nach Wien zog, dort den Abschluss als Buchhändlerin machte. Mehrere Berufe, Umzüge, es ist spannend zu hören, dass nicht nur die Biografien von heute so wechselhaft sind. In Wien die Geburt der Tochter und als diese acht Jahre alt war, Hildas Umzug zurück nach München, eine zumindest räumliche Trennung von ihrem Mann, erklärt sie uns. „Wir haben getrennt gelebt, aber wir waren ein Paar. Ich hab mich gefreut, wenn er gekommen ist, aber ich habe mich auch gefreut, wenn er wieder gefahren ist.“ Wieder in München arbeitete Hilda dann in der Modebranche, bei Saint Laurent gegenüber dem Jahreszeiten und in allen möglichen Modeläden. Als 1979 der Hugendubel am Marienplatz eröffnete, fing sie dort an und blieb 28 Jahre. Liest sie bei ihrer Arbeit auch vor, als ehemalige Buchhändlerin, will ich wissen. Natürlich, sagt sie, sie liest gerne vor und freut sich, wenn die Kinder Spaß daran haben. Ich frage, ob sie in dem Erzieherberuf auch einmal gearbeitet hat, und Hilda bejaht. Kindergarten und auch für privat. „Ich war so ein bisschen romantisch veranlagt, ich war bei einer Grafenfamilie in Mühlhausen in der Nähe von Schwabmünchen, also mitten in der Prärie, und da hatte ich vier Kinder, vier, sechs, acht und neun Jahre alt, zu betreuen. Das war ganz furchtbar, das war ein Schloss, die Eltern waren nie da, es gab nur eine Putzfrau und eine Haushälterin, da hat man dann im Salon das Mittagsessen eingenommen.“ Hilda lacht und schließt: „Ich hab’s da nicht lang ausgehalten. Man hat auf die Wiese und auf die Kühe geschaut, ich hatte keinen Kontakt zur Welt.“ Schwer vorstellbar auch, dass diese aufgeweckte Frau, die uns so kurzweilig Einblick in ihr Leben gewährt, in der Provinz hätte versauern können. Zu Hause hält sie es nicht aus, erklärt sie uns, sie braucht etwas zu tun und dass die Beschäftigung beim Leihomaservice mithalf, sie nach dem Tod ihres Mannes aufzufangen. Nach der jahrelangen Vollzeitarbeit nichts zu tun, das wäre für sie nicht infrage gekommen. „Sonst fällt man in ein Loch.“ ►
Ich bin froh, wenn ich zur U-Bahn rasen kann und Kinder warten auf mich.“
BEI HILDA IN DER MAXVORSTADT
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Hilda erzählt typische Geschichten aus dem modernen Familienleben und extremer zeigt sich, was sie aus eigener Erfahrung kennt: Es braucht Individuallösungen für die Kinderbetreuung. Hilda als Mutter hatte eine Studentin zur Betreuung ihrer Tochter engagiert, heute ist sie zur Stelle, wenn berufstätige Mütter oder Väter jemanden brauchen. Ob die Cellistin den Rücken frei haben muss, wenn sie unterrichtet, die selbstständige Rechtsanwältin ihr Neun-MonateAltes nicht zur Vollzeitarbeit mit in die Kanzlei nehmen kann oder die Businessfrau nach kurzer Babypause zurück zu ihrer 70-Personen-starken Abteilung möchte. Bemerkenswert, wie früh die Kinder abgegeben werden – und was für ein Kompliment an die Damen des Leihomaservices. Hilda berichtet von der symbolischen Schlüsselübergabe, die auch Reinhold und Ingrid erwähnten: „Wir vertrauen Ihnen, wir geben Ihnen unser Liebstes“, sagten ihr die Eltern, „dann können wir Ihnen auch unseren Schlüssel geben.“ Zwei Regelmäßige hat Hilda zurzeit: Oskar, der sechs Jahre ist, und der einen vierjährigen Bruder hat, ist mittwochs dran, und donnerstags immer Takumi, ein kleiner zweisprachiger Japaner, dessen Vater als Geigenbauer arbeitet. Neben den festen Terminen ergeben sich Spontansachen. Nicht immer läuft es aber vollkommen harmonisch, weswegen Hilda abwägt, wie eng sie die Beziehung zu den Eltern werden lässt. Mitten in einem Familienkrach, während dessen die Mutter das Zuhause und das Land verließ, fand sich Hilda einmal nicht nur in der Rolle der Rundum-Betreuerin der Kinder wieder, sondern eben auch inmitten eines Streits. Als die Mutter zu ihren Kindern zurückkehrte, war Hilda auf einmal „die andere Frau“ und es entwickelte sich Eifersucht. „Man hat auch viel Verantwortung, aber es ist bereichernd. Ich bin nicht die Rentnerin, die auf der Parkbank sitzt, das ist für mich keine Option“, sagt Hilda und strahlt es aus jeder Pore aus. ▪
► leihomaservice.de
* Alle Kindernamen sind redaktionell geändert.
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FAN SEIN. ZUSAMMEN, NICHT ALLEIN.
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TEXT: CHRISTIAN GRETZ
Der Lieblingsfußballverein ist für viele hierzulande der Fels in einer sich immer schneller verändernden Welt. Der Spielerkader ist zwar jede Saison anders, aber der Name bleibt, die Vereinsfarben und der Standort. Was jedoch, wenn man selbst seinen Standort ändert? Wenn man plötzlich, des Jobs oder der Liebe wegen, in einer anderen Stadt weit entfernt von der Heimat lebt? In einer Stadt, in der wenige die Liebe zum eigenen Lieblingsverein teilen. Dann ist man ziemlich allein mit seiner Leidenschaft. Es sei denn, es gibt Gleichgesinnte in einem Fanclub, der die Diaspora erträglich macht. Die Fans des FC Bayern sind hierbei ähnlich erfolgreich und dominant wie der Fußballclub, den sie unterstützen. Über 4.300 FCB-Fanclubs sind aktuell rund um den Globus aktiv. Das sind mehr als viermal so viele wie die der Schalke-Fans und eine über fünfmal höhere Zahl als die der offiziell registrierten Borussia-Dortmund-Fanclubs. Bezeichnenderweise befindet sich unter den mitgliederstärksten Fanclubs des FC Bayern keiner in München selbst. Viele Münchner sind ja ohnehin der festen Überzeugung, dass die Stadt eher blau als rot ist. Falsch: München ist bunt! Auch was die Fankultur betrifft.
Die Fußballstadien der Nation sind weiterhin gut gefüllt. Selbst in einer Zeit, in der jeder von uns vieles nur noch über den handflächenkleinen Bildschirm seines Smartphones zu erleben scheint, Menschen öfter mit Alexa oder Siri reden als mit ihren Eltern und sich manche in ihrer Freizeit lieber Virtual-Realitystatt Sonnenbrillen aufsetzen und auf der Couch mit digitaler Unterstützung ihren Erlebnisdrang stillen. Die Bundesliga verzeichnete in der vergangenen Saison eine durchschnittliche Besucherzahl von 41.515 pro Spiel. Zum Vergleich: Vor zwanzig Jahren lag der Wert noch bei 28.681 Besuchern pro Partie.
Bevor wir nun während der FIFA-Weltmeisterschaft 2018 alle gemeinsam der deutschen Nationalmannschaft die Daumen drücken, haben wir deshalb die Fanclubszene der Nicht- MünchnerFußballvereine in unserer Stadt unter die Lupe genommen. Leider gibt’s selbst in einer Millionenstadt wie München nicht für jeden Fußballfan den Segen der Gemeinschaft, den so ein Fanclub spendet. Anhänger der Teams aus Leverkusen, Leipzig oder Hoffenheim können ihre Freude über gewonnene Spiele mit niemandem in München teilen und auch die Fans von Hannover 96 oder dem VfL Wolfsburg bleiben allein, während die Hamburg-, Mainz- oder Köln-Anhänger sich im Abstiegskampf gemeinsam entweder verrückt oder Mut machen können. Und auch Team-Fans aus der aktuellen 2. Bundesliga schauen die Spiele ihrer Vereine in München gezwungenermaßen eher einsam an. Es sei denn, ihr Herz schlägt für den Club aus Nürnberg, die Arminia aus Bielefeld, den FC St. Pauli, Dynamo Dresden oder den 1.FC Kaiserslautern. Hier sind einige der Fanclubs in München und wo ihr ihre Mitglieder an Spieltagen finden könnt. ►
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HAMBURGER
VFB STUTTGART
FANCLUB Isar Raute GRÜNDUNGSJ AHR 2007 MITGLIEDERZA HL 62 JÜNGSTES MIT GLIED Jahrg. 20 00 ÄLTESTES MITGL IED Jahrg. 1945 DURSCHNITTS ALTER 35 IN MÜNCHEN WO HNENDE MITGL IEDER 52 FRAUENQUOTE 11 % KM ZUM HEIMA TSTADION 792 FANKNEIPE Ba rschwein WEITESTE GEME INSAME AUSW ÄRTSFAHRT 221 km (2018, Stuttgart) EIGENES FANC LUB-LIED Ja
FANCLUB Bavaria 1893 e.V. GRÜNDUNGSJAHR 2008 MITGLIEDERZAHL 118 JÜNGSTES MITGLIED Jahrg. 1998 ÄLTESTES MITGLIED Jahrg. 1950 DURSCHNITTSALTER 30 IN MÜNCHEN WOHNENDE MITGLIEDER 10 FRAUENQUOTE 14 % KM ZUM HEIMATSTADION 221 FANKNEIPE Café Sax WEITESTE GEMEINSAME AUSWÄRTSFAHRT 2.239 km (2009, St. Petersburg) EIGENES FANCLUB-LIED Ja
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HERTHA B
en 1892 nde Münch Hertha Freu FANCLUB 16 SJAHR 20 GRÜNDUNG 14 L AH RZ MITGLIEDE Jahrg. 1994 MITGLIED JÜNGSTES Jahrg. 1965 MITGLIED ÄLTESTES 35 TTSALTER DURSCHNI IEDER 7 NDE MITGL NE OH EN W IN MÜNCH OTE 29 % FRAUENQU ION 570 IMATSTAD HE M ZU KM tsbar Café or Sp ve Li E FANKNEIP TSFAHRT E AUSWÄR AM GEMEINS WEITESTE art) 018, Stuttg 230 km (2 ED Nein LI BLU NC EIGENES FA
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eißes München FANCLUB Grün-W 2006 HR SJA GRÜNDUNG 190 HL ZA ER IED GL MIT IED Jahrg. 2017 JÜNGSTES MITGL Jahrg. 1945 IED GL MIT ES ÄLTEST 36 R DURSCHNITTSALTE DE MITGLIEDER 100 EN HN WO N IN MÜNCHE % FRAUENQUOTE 21 ADION 752 KM ZUM HEIMATST us&Braus ma Sch E FANKNEIP TSFAHRT INSAME AUSWÄR WEITESTE GEME 1.887 km (2009,
Istanbul)
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1. FC KAISERSLAUTERN FANCLUB Teufelskerle Süd 2007 GRÜNDUNGSJAHR 2007 MITGLIEDERZAHL 107 JÜNGSTES MITGLIED 2013 ÄLTESTES MITGLIED 1955 DURSCHNITTSALTER k. A. IN MÜNCHEN WOHNENDE MITGL IEDER 25 FRAUENQUOTE 11 % KM ZUM HEIMATSTADION 407 FANKNEIPE Stadion a. d. Schleißheim erstraße WEITESTE GEMEINSAME AUSWÄRTS FAHRT 1.185 km (2016, Brentford, UK) EIGENES FANCLUB-LIED Ja
QUELLEN: die genannten Fanclubs ► dfb.de/bundesliga/statistik/zuschauerzahlen fcbayern.com/de/fans/ ► fanbetreuung-und-fanclubs/fanclubs
150 MITGLIEDERZAHL Jahrg. 2015 IED GL MIT S JÜNGSTE IED Jahrg. 1947 ÄLTESTES MITGL
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IM GESPRÄCH MIT STEFFI KASTNER VON SURFING WOLFRATSHAUSEN e. V.
TEXT: DAVID EISERT // FOTOS: BOYD OLTHOFF
LASS UNS WELLENREITEN GEHEN Knapp 30 Flusskilometer liegen zwischen der Redaktion von curt und Wolfratshausen, der Stadt, die vielen Ausflüglern als Startpunkt von feucht-fröhlichen Floßfahrten dient. Dazu ein wenig Kajakfahren und wilde Ritte auf dem Isarbrettl, damit hätten sich die Wassersportoptionen im Oberland schon erschöpft. Um eine Attraktion reicher soll das Freizeitangebot von Wolfratshausen ab dem Sommer 2019 werden. Zumindest wenn es nach den Mitgliedern vom Verein Surfing Wolfratshausen geht, die sich seit Jahren für den Bau einer Flusswelle starkmachen. Riversurfen auf der Loisach ist der Traum und das Ziel dieser Initiative.
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’Hausen ist heiß auf die Welle.“
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Eingeklemmt zwischen Bundesstraße und S-Bahngleisen fließt ein kurzes Stück Kanal, das Anfang des letzten Jahrhunderts zur Hochwasserregulierung angelegt wurde. Ein gewisses Maß an Fantasie ist schon nötig, um sich vorzustellen, dass hier einmal ein Surfspot entsteht und wagemutige Wellenritte stattfinden. Wie aus einer fixen Idee, getragen von der Liebe und der Sehnsucht nach der perfekten Welle, ein reales Projekt wurde, erzählt uns Steffi Kastner, die erste Vorsitzende von Surfing Wolfratshausen. Entstanden ist die Idee, als Steffi und Marcus Kastner im Jahr 2010 von München zurück nach Wolfratshausen gezogen sind. „Marcus ist hier geboren und aufgewachsen und hatte früher sein Isarbrettl genau an dieser Stelle im Wasser. Und jedes Mal, wenn wir über diese Brücke und den Kanal gefahren sind, hat er davon angefangen, dass hier der ideale Platz für eine richtige Flusswelle wäre. Was am Eisbach oder an der Floßlände geht, muss doch auch an der Loisach machbar sein“, erinnert sich Steffi. Die folgenden drei Jahre hat sie sich die sehnsüchtigen Blicke ihres Mannes geduldig angeschaut, bis es ihr zu viel wurde. Vom Träumen und Sinnieren alleine ist noch kein Projekt umgesetzt worden. Nun hieß es konkret werden! Zunächst wurden Argumente für eine Flusswelle gesammelt, Wolfratshausen fühlt sich seinem Wasser schließlich sehr verbunden. Die Stadt nennt sich internationale Flößerstadt, das Wappen zeigt drei Wellen und im Veranstaltungskalender findet sich ein eigenes Flussfestival. Gründe genug, dieser Begeisterung für das Wasser eine weitere Attraktion hinzuzufügen. Im Mai 2013 wurden die Kastners im Rathaus vorstellig und trafen dort auf Gisela Gleißl von der Stabsstelle Tourismus, Wirtschaftsförderung & Innenstadtmanagement, die sich sofort für die Vorschläge interessiert hat.
„Frau Gleißl war für uns ein echter Treffer. Sie war von unserer Begeisterung für das Projekt so angesteckt, dass sie unsere Idee direkt an den Bürgermeister weitergetragen hat. Spätestens hier hätten wir uns nicht gewundert, wenn wir eine freundliche Absage erhalten hätten“, blickt Steffi zurück. „Aber das Gegenteil war der Fall. So wie in den ganzen Jahren hatten wir immer Glück, zum richtigen Zeitpunkt auf interessierte Menschen zu treffen, die unser Vorhaben einen Schritt weiter gebracht haben.“ Für das Ehepaar hieß es nun, die richtigen Kontakte zu knüpfen und das Projekt auf den Weg zu bringen. Nach einem persönlichen Gespräch mit dem Bürgermeister folgte ein motivierender Vortrag vor einem Stadtratsausschuss, der einstimmig in „Let’s go surfing W’hausen“ gipfelte. „Ein weiterer Meilenstein war das Zusammentreffen mit Professor Aufleger von der Hochschule Innsbruck. Wir haben den Professor beim ersten Münchner Flusswellenforum im Herbst 2013 kennengelernt. Dass es so etwas überhaupt gibt – ein Forum, auf dem es ausschließlich um den Bau von risikoarmen Wellen in Flüssen geht –, haben wir durch Zufall über die Eisbachconnection erfahren. Der Lehrstuhl von Prof. Aufleger beschäftigt sich mit dem Bau von Flusswellen. Neben der technischen Umsetzung erstellen die Innsbrucker auch Machbarkeitsstudien. Und eine solche wurde vom Stadtrat für die Loisach in Auftrag gegeben.“ Und während die Experten an ihrem Gutachten werkelten, gab es für die Surffreunde eine weitere harte Nuss zu knacken. Die Welle soll in einem Kanal eingebaut werden, der ein kleines Kraftwerk mit Wasser versorgt. Es galt, den Kraftwerksbetreiber ins Boot zu holen und einen Kompromiss zu finden, dass Surfbetrieb und Stromerzeugung parallel laufen können. „Diese Gespräche zogen sich viele Monate hin und hier gab es schon hin und wieder zarte Zweifel, ob diese Idee überhaupt realisierbar ist“, erinnert
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sich Steffi, „aber es ging stets irgendwie weiter. Besonders hier hat uns die Expertise von Herrn Aufleger die nötige Überzeugungskraft gegeben, sodass wir auch diesen Partner mit auf unser Brett holen konnten!“ Wie sah es denn mit weiteren Mitstreitern aus und gibt es denn mehr surfinteressierte Wolfratshauser? „Richtig, bislang lief das meiste über uns. Wir sind immer wieder angesprochen worden, entweder von Surfern oder von Leuten aus der Stadt, die in der Zeitung über uns gelesen haben. Aber wir wollten den Kreis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausweiten. Wir standen ja immer noch ganz am Anfang. Was, wenn plötzlich doch alles platzt?“ Die Verantwortlichen der Stadt wollten es nun doch genauer wissen und forderten die Wellenreiter auf, durch eine Umfrage die Akzeptanz in der Bevölkerung zu ermitteln. „Uns war klar, dass wir mehr als zwei Surfin’ Birds an den Start bringen müssen, wenn wir irgendwann in unserer Stadt surfen wollen. Via Facebook informieren wir seit Mai 2014 über den Fortgang des Projekts und als im Mai 2015 der Auftrag für die Befragung an uns rausging, war für uns der ideale Zeitpunkt gekommen, das Team breiter aufzustellen.“ Ein buntes Völkchen aus kreativen Köpfen, begeisterten Wassersportlern und Menschen, die Bock auf ein innovatives Freizeitangebot haben, machte sich an die Arbeit. Eine PR-Kampagne für die Umfrage musste an den Start, professionelle Fotos wurden geschossen, Texte verfasst, Flyer gedruckt und eine Homepage gebaut. „Das Feedback auf die komplette Aktion plus die sensationelle Beteiligung an der Befragung hat uns nochmal so richtig gepusht. Nach Auswertung der knapp 3.000 eingegangenen Umfragebögen war uns klar: ’Hausen ist heiß auf die Welle.“
Noch einmal gute Nerven musste das Team im Spätherbst 2016 aufbringen. Erneut musste der Stadtrat eine Entscheidung treffen und es wurde konkret. Eine Kalkulation mit verschiedenen Finanzierungskonzepten lag auf dem Tisch. „Als die Entscheidung deutlich pro Welle ausfiel, waren wir schon sehr erleichtert. Was ein geiles Gefühl.“ Und trotzdem ist von einer Welle auf dem Loisachkanal noch keine Schaumkrone zu sehen. Bislang waren alle Beteiligten ehrenamtlich tätig, aber Baufirmen lassen sich nicht mit Enthusiasmus bezahlen. Neben einer finanziellen Beteiligung der Stadt sollen durch EU-Fördergelder sowie eine Eigenbeteiligung der Initiatoren die Baukosten gedeckt werden. Mit der Gründung des Vereins gibt sich Surfing Wolfratshausen einen offiziellen Rahmen und startete eine Crowdfunding- und Spendenkampagne. Langweilig wird es also nicht, bestätigt Steffi: „Wenn du mir vor fünf Jahren gesagt hättest, dass ich einmal die erste Vorsitzende eines Vereins sein werde, der aus dem Stand heraus den Wert zweier Mittelklasseautos aufbringen muss, dann hätte ich dich für bekloppt gehalten. Rückblickend ist es gut, dass viele Dinge so lange gedauert haben, wir alle gemeinsam in die Sache hineinwachsen konnten. Es steckt viel Arbeit in dem Projekt und nach wie vor besteht die Gefahr, dass wir einen Nackenschlag bekommen und es keine Welle geben wird. Aber daran denken wir alle nicht. Von unserer Seite tun wir alles, damit wir unsere Teile der Abmachungen erfüllen. Wir haben das Crowdfundingziel fristgerecht erreicht. Wahnsinn, vielen Dank an alle Unterstützer.“ ►
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Der Verein besteht aktuell aus 12 Leuten und bereitet sich mit der Unterstützung eines Rechtsanwalts auf die Umsetzungsphase des Projekts vor. Eine kleine Charmeoffensive ist noch bei einigen der Anwohner zu starten, die nicht von der Idee begeistert sind, Leben an den Kanal zu bringen. „Lärm, Müll, Parkplätze, Sicherheit und die ein oder anderen Bedenken der Anwohner, damit setzen wir uns nun auseinander. Der Zugang zur Welle wird nicht 24 Stunden an sieben Tagen möglich sein. Wir haben die Auflage, die Welle nur zu bestimmten Zeiten laufen zu lassen. Hier kommt wieder das patentierte Konstrukt von Professor Aufleger ins Spiel. Die Welle kann manuell ein- und ausgeschaltet werden. Auch wird es eine Aufsicht geben, die wir vom Verein garantieren müssen. Aber das sind alles Dinge, um die wir uns im Laufe dieses Jahres kümmern werden. Zunächst warten wir mit Spannung darauf, dass das Genehmigungsverfahren endlich grünes Licht gibt und die Vorbereitung für die Baumaßnahmen im Kanal in Auftrag gegeben werden können.“ Kurz nach unserem Gespräch kam die Meldung, dass sowohl der Förderantrag genehmigt wurde und eine weitere Präsentation im Stadtrat positiven Anklang gefunden hat. Das Ziel, im Sommer 2019 dem BeachBoys-Klassiker die Zeile „Everybody’s gone surfin’ – Surfin’ Wolfratshausen“ hinzufügen zu können, ist also greifbar nahe. ▪
► surfing-wolfratshausen.de
1 Tag · Open Air · 20 Münchner Bands · Eintritt frei Samstag, 28. Juli · Alter Messeplatz · München www.soundofmunichnow.de Veranstaltet von
Mit freundlicher Unterstützung von
Präsentiert von
LARP
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TEXT: SONJA PAWLOWA FOTO: „BRACAR KELTOI” VON MORITZ JENDRAL
WAS IST LARP? Du: LARP ist cool. Wir: Du musst nicht weiterlesen. Du: LARP ist was für Nerds. Wir: Du musst ebenfalls nicht weiterlesen. Bleib unter deinesgleichen. Du: LARP? Keine Ahnung. Wir: Lies weiter, es könnte dein Leben verändern.
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LARP steht für Live Action Role Playing. Rollenspiel also. Aber nicht im beheizten Wohnzimmer am Computer. Und auch nicht allein. LARP wird zusammen gespielt, sogar in großen Gruppen. Und fast immer draußen, an der frischen Luft. Die Spieler haben keinen vorbestimmten Text, denn der wird spontan erfunden wie beim Improvisationstheater. Action ist auch dabei: tagsüber Schlachten, in der Nacht Überfälle auf fremde Lager, Besäufnisse und Brummschädel. Bleibt nur noch die Frage, von welchen Rollen da die Rede ist.
Er fördert die Freundschaft, schweißt zusammen und untermauert das oberste Klan-Gesetz: Wer lästert, der geht. Gemeinsam haben sie über 100 Schlachten geschlagen und wild und ausgiebig gefeiert. Das kommt dem Urbild, das in der Antike von den Kelten gezeichnet wurde, sehr nahe.
Tatsächlich eilt LARP-Spielern der Ruf von weltfremden Nerds voraus. Da rennen Verkleidete durch den Wald und schlagen mit Plastikschwertern aufeinander ein. Es ist gut so, dass die Masse so denkt. Ein Segen. So bleiben die Spieler unter sich und die Arschlöcher weg. Denn das Hauen und Stechen findet beim LARP als Spiel statt. Im Leben eben nicht. Das ist der Unterschied. Die Wahrheit ist: Sehr coole Menschen treffen sich bei einer Con (Spielevent) und lassen eine Atmosphäre von Zusammenhalt und Freundschaft entstehen, die es sonst selten gibt. Das Gegenteil von nerdigen Keyboard-Kriegern, die ihre Pickel und Komplexe hinter dem Computer verstecken. Sondern so cool und so selbstbewusst, dass es einem die Schuhe auszieht.
Beim LARP bestimmt der Spieler seine eigene Rolle. Da tun sich Welten auf. Der strukturierte Manager wird zum fluchenden Landsknecht, die Kindergärtnerin zum Revolverhelden. Warum nicht mal ein Leben ausprobieren weit weg vom Alltag? Mit der Gefahr verhält es sich genauso. Die Vernunft verbietet es den meisten Menschen, sich in extreme Situationen zu begeben und ihr Leben zu riskieren. Für den Larper ist ein Tod nicht tragisch, denn der gefallene Krieger kann als Ork wiederauferstehen. Im Spiel dürfen Fehler gemacht werden, neue Lebenssituation werden ausprobiert. Aus einem Leben werden viele. Das Gegenteil zum Real Life, wo Entscheidungen eine Unsumme an Folgen nach sich ziehen. Wenn ich mich mit einem echten Messer schneide, bleibt eine Narbe – ein Leben lang. Bei einer LARP-Schlacht wird der Schmerz nur gespielt, das Blut ist künstlich und die Heilung geht schnell. So entsteht Freiheit. Die Freiheit, Fehler machen zu dürfen, ohne lebenslang dafür büßen zu müssen. Adrenalin pumpt trotzdem. Weit mehr als bei einem Online-Gamer.
Beispielsweise Basti Böger alias Connorson McRoth von den Bracar Keltoi, einer 50-köpfigen Spielergruppe aus München (siehe Aufmacherfoto). Sie sehen genau so aus, wie man sich Larper vorstellt – nur viel, viel besser. Wild wie die Kelten. Imposant gerüstet. Unerschrockene und ungestüme Kämpfer. Das Familienfoto erinnert an „Vikings“. Der Stolz der Bracar Keltoi spiegelt sich in jedem einzelnen Gesicht wider. Kein Wunder, denn nicht jeder kann einer von ihnen sein. Voraus geht eine einjährige Bewährungsprobe und ein Aufnahmeritus, der durchaus fordernd ist.
Alles, was man dafür braucht, ist: Fantasie. Was ursprünglich in den 1970erJahren als Pen&Paper-Würfelspiel am Wohnzimmertisch entstand, sieht heute so professionell wie ein Filmset ohne Drehteam aus. Bei Groß-Cons (Conventions) wie Conquest of Mythodea oder dem Drachenfest treffen sich bis zu zehntausend bewaffnete Kämpfer und verkleidetes Fußvolk fünf Tage lang zu epischen Schlachten. Gruppen schließen sich zu Verbänden zusammen und verteidigen sich gegen Eindringlinge aus anderen Gegenden der fiktiven Landkarte und Anhänger fremder Mächte. Dabei gibt
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Alles, was man dafür braucht, ist: Fantasie.
FOTO: „NORDGAARD” VON MARCO WINTER
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es keine hundertprozentig Bösen oder Guten. Auch keine Sieger im sportlichen Sinn. Selbst wenn manche Masken aus Vorlagen wie „Herr der Ringe“ oder „Game of Thrones“ zu stammen scheinen, kann klischeehaftes Nachspielen nicht bestehen. So wie im Film verhält es sich nicht, denn es gibt keine bis ins Detail festgelegten Szenen oder formulierten Dialoge, die gesprochen werden. Es existiert ein Plot, ein grober Handlungsstrang und ein Setting, nämlich der Spielort und das Genre. Diese Komponenten und auch die Größe der Cons sind so vielfältig wie das Kino. Die Kulissen können Burgruinen oder Industriereviere sein. Es wird von Western bis Science Fiction, von Fantasy bis Endzeit alles gespielt. Etwa wie bei der Bluthatz 2018 von Larporga.de. Die Klans sammeln sich in Nordgaard, einem eigens angelegten LARPDorf, um das erste Blut des Jahres zu opfern. In der großen Halle, dem Langhaus, treffen sich am Abend des Anreisetages die Mitwirkenden zur Orga-Ansprache und einem Begrüßungsschluck. Wer jetzt an Neckermann-Reisen denkt, der liegt falsch. Der Small Talk ist bereits Spiel. Spielen heißt nicht nur, mit Waffen aufeinander loszugehen. Action ist zwar schon dabei, aber die Akteure treten gleichzeitig in einem Open-Air-Improvisationstheater ohne Publikum auf. Und hierin liegt auch die Faszination. Man stelle sich vor: Du kannst in deinem Lieblingsfilm mitspielen, die Handlung beeinflussen und in jeder Sekunde fühlen, was passiert. Du fühlst die Kälte, wenn du das Herdfeuer in der großen Vikings-Halle hast erlöschen lassen. Du brichst zusammen unter dem Gewicht deiner Rüstung, wenn du kilometerweit durch den Wald marschierst. Und anders als beim Reenactment weißt du nicht, was in zwei Stunden sein wird, denn die Handlung entwickelt sich unvorhersehbar. Wichtig ist,
FOTO: MARCO WINTER
dass du nicht aus der Rolle fällst, dass du den Spielfluss nicht unterbrichst. Als Held anzutreten, kann gewaltig in die Hose gehen. Ein Held braucht ein Gefolge, das ihn zum Helden macht. Wer in goldener Rüstung erscheint, der sollte etwas bieten können, denn ein Angeber entlarvt sich selbst ganz schnell als Pappnase und steht einsam im Wald, weil keiner mit ihm spricht. Schönes Spiel bedeutet, glaubhaft zu bleiben und anderen die Möglichkeit zu geben, sich einzubringen. Lieber episch sterben als mit dem eigenen Sieg das Spiel aller zu beenden. Die Spieler-Charaktere, genannt SC, können bei Cons wahlweise als Gruppe antreten oder auch einzeln. Sie legen sich ihre eigene Vita zurecht. Das kann sogar so weit gehen, dass erfundene Sprachen gesprochen werden. Wer einen Schamanen spielt, muss als solcher überzeugend agieren können. Beiwerk wie nebelige Trancedämpfe oder durch Blitze sprinkelnde Zauberstäbe werden in wochenlanger Hausarbeit vorbereitet, damit der Auftritt gelingt. ►
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BASTI BÖGER ALIAS CONNORSON MCROTH FOTO: MARCO WINTER)
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Das beliebtesten Genre ist neben Fantasy sicherlich Endzeit, das das Überleben nach einem Atomkrieg beleuchtet. Science Fiction, Western und Vampire fordern wiederum andere Qualitäten. Ein Tanztraining tut gut, Fitness schadet auch nicht. Außerdem sollte man schon grob wissen, welche Benimmregeln in welche Zeit gehören. Noch weiter entfernt von Orks und Elfen erscheint das sogenannte Nordic LARP, das schon fast an Psychotherapie und Familienaufstellung erinnert. Julia Gögh spielt seit 12 Jahren LARP, und selbst sie findet Nordic LARP heftig. Beispiel: Es trifft sich eine Gruppe Professoren nebst Gattinnen bei einer Party, die
1957 stattfindet. Kleidung, Sprache, Frauenrechte und politische Hintergründe müssen recherchiert und im Spiel umgesetzt werden. Dann aber hören die Spieler im Radio, dass eine Atombombe gezündet wurde, und müssen in den Bunker. Was dort passiert, wie sich wer verhält in seiner Rolle, das geht natürlich unter die Haut und ist ein traumatisches Erlebnis. Reflexion und Austausch sind in diesem Fall unerlässlich. In Nord- und Osteuropa erfreut sich dieses Genre höchster Beliebtheit. In Tschechien wurde eine Handvoll Spieler als versprengte Soldaten nach Ende des Zweiten Weltkrieges in die Wälder geschickt. Ganz auf sich alleine gestellt, versuchten sie, unentdeckt zu bleiben und ohne Hilfe der Kälte und Wildnis zu entkommen. Die Spieler erfuhren bei ihrer Rettung, dass es sich um eine wahre Geschichte handelte und die echten Soldaten nicht überlebt hatten. Klingt nicht wie ein normales Hobby. Ein Larper lernt nähen, schmieden, Hütten bauen und viel Geschichte und Psychologie. Dazu lässt er sich ständig auf Neues ein und geht mit Siegen und Versagen um. Mentales Wachstum. Das ist kein Hobby, das ist groß. ▪
LARP LIVE ACTION ROLE PLAYING SC Spieler-Charakter NSC Nicht-Spieler-Charakter IT IN TIME – im Spiel OT OUT TIME – außerhalb des Spiels Con Convention Plot Handlungsstrang Orga Organisation – Veranstalter einer Con
Danke an moritz-jendral.de , wintergrafie.de , larporga.de Bracar Keltoi, Rabenschwinge, Julia Gögh
Auch mit den Kostümen hat ein Vollblutlarper vor einer Con viel zu tun. Die Verkleidungen sind oftmals selbst gebastelt, geschneidert oder umgestaltet und extrem wichtig: Kleider machen Leute. Das bedeutet natürlich einiges an handwerklichem Geschick und viel Zeit. Dazu kommen noch Grundkenntnisse in Maskenbild und viel Kampftraining an der LARP-Waffe. Die Waffen sind ein kritischer Aspekt. Sie sollen natürlich niemanden verletzen und dennoch möglichst echt aussehen. Deshalb werden Waffen aus den Materialien Fiberglas und Latex hergestellt. Die LARP-Regeln verbieten nicht nur echte Waffen, sondern auch sämtliche anderen Formen von Brutalität. Falls ein Spieler psychisch in Bedrängnis gerät oder auch unvorhergesehene Gefahr für Leib und Leben entsteht, kann jedermann das Spiel, sogar eine ganze Schlacht unterbrechen, indem er „Stopp“ ruft oder die Arme zu einem X überkreuzt. Dann ist OT angesagt, time out. Kommt vor, wenn jemand als Gefangener schon lange in der Dunkelheit eines Verlieses schmort und nahe am Nervenzusammenbruch steht. Oder wenn die Angreifer Kämpfer auf einen Stacheldrahtzaun zutreiben. Schließlich wollen Freund und Feind nach der Schlacht unversehrt feiern und Bier trinken.
„MEIN „MEIN BLUT BLUT
WAR WAR KAPUTT.“ KAPUTT.“ Marlon, geheilter Blutkrebspatient Marlon, Marlon, Marlon, geheilter geheilter geheilter Blutkrebspatient Blutkrebspatient Blutkrebspatient
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EIN TEIL DES GREEN-CITYTEAMS BEIM 25-JÄHRIGEN JUBILÄUM DES VEREINS FOTO: TOBIAS HASE
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GREEN CITY GEMEINSAM FÜR EINE GRÜNE UND LEBENSWERTE STADT
„Es ist der Teamgeist“, sagt der eine. „Es ist das Arbeiten auf eine gemeinsame Vision hin“, sagt eine andere. Das macht den Einsatz für einen gemeinnützigen Verein aus. Warum Arbeit dann sogar gar keine Arbeit mehr ist, erzählen ANDREAS SCHUSTER und SANDRA DECIUS. Sie schenken ihre Zeit dem Umweltverein Green City.
TEXT: FRANZISKA BÄR (MITGLIED BEI GREEN CITY)
„Ich möchte grüne Bohnen und Salat“, lautete der erste deutsche Satz von Sandra Decius. Über 40 Jahre ist das mittlerweile her. Damals hat die Amerikanerin in Napa, Kalifornien, gelebt und saß als 13-Jährige in einem Deutschkurs an der Junior High School. Schon damals war sie verliebt in die Sprache und hat sich alle Mühe gegeben, so schnell wie möglich ein paar Worte sprechen zu können. Dann geht es ausgerechnet um Gemüse. Tatsächlich aber spiegelt genau das Sandras Lebensstil wider. Der nämlich ist bewusst, gesund und nachhaltig. Sie interessiert sich für die Welt, in der sie lebt, und will aus Problemen Lösungen formen. Jahre später ist sie nicht nur immer noch in die deutsche Sprache verliebt, sondern auch in ihren deutschen Mann. Was anfangs ein Austauschprogramm sein sollte, entwickelte sich zu ihrem Zuhause. „Ich habe nie wieder zurückgeschaut“, sagt Sandra heute. Seitdem hat sie in Deutschland zwei Familien: ihre eigene mit Mann und Teenager und ihre „zweite Familie“, wie sie es nennt, den lokalen Umweltverein Green City. Seit fast 25 Jahren engagiert sie sich regelmäßig als Ehrenamtliche, schiebt Wanderbäume durch Münchens Straßen, hilft Hauptverkehrsadern für das Streetlife Festival umzugestalten und unterstützt das Gartenprojekt „Essbare Stadt“. Aus Green-City-Sicht können wir sagen: Ohne Sandra hätten viele unserer Aktionen nur halb so gut funktioniert. Wir sind dankbar, dass uns rund 1.000 Ehrenamtliche immer wieder unterstützen – ohne sie wäre unsere Arbeit nicht möglich. „Wir“, das sind mittlerweile 25 festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich täglich
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mit all ihrer Energie und Ehrgeiz dafür einsetzen, dass München lebenswerter und nachhaltiger wird. Wir wollen zeigen, dass die Stadt von morgen ein Ort mit großer Lebensqualität ist, und setzen uns ein für deren Verwandlung, zum Beispiel indem wir versuchen, Stadtbäche aufzumachen für ein angenehmeres Klima.
ANDREAS SCHUSTER (41), SEIT 15 JAHREN HAUPTBERUFLICH DEM VEREIN TREU
FOTOS: SIMONE REITMEIER
An dieser Devise arbeiten Ehrenamtliche und Mitarbeiter seit 1990 Hand in Hand – und auch einige der Festangestellten sind schon mehr als ein Jahrzehnt für Green City im Einsatz. Einer von ihnen ist Andreas Schuster, der den Bereich Mobilität leitet. Sein Engagement für Green City jährt sich kommenden Mai zum 15. Mal: 15 Jahre, rund 3.000 Arbeitstage. In dieser Zeit hat sich einiges gewandelt. Durch Andreas’ Initiative hat es Bürgerbegehren gegeben, er hat am Ausbau der Radl-Infrastruktur gearbeitet, er hat Streetlife Festivals organisiert und kämpft unerschütterlich für eine bessere Luft in München – nur um einen kaum erkennbaren Bruchteil dessen zu nennen, was er bis heute im Großen und Ganzen bewegt hat. Zählt man seine ehrenamtliche Arbeitszeit obendrauf, kommt man auf mindestens 30.000 Stunden, die Andreas an seiner und Green Citys Vision gearbeitet hat. Jetzt bleibt die Frage: Warum? Was bewegt Sandra als Ehrenamtliche, Andreas als festen Mitarbeiter und all die anderen Unterstützerinnen und Unterstützer dazu, einer Sache, einem Verein, so viel Zeit zu schenken? Bei dieser Frage glänzen Sandras Augen. „Mich rührt der Teamgeist“, sagt sie dann nach einer kurzen Pause. „Es löst jedes Mal ein ganz warmes Gefühl bei mir aus, wenn ich merke, dass wir als engagierte Gruppe an einem Strang ziehen – und uns alle die gleichen Visionen treiben.“ Dann lächelt sie und fügt an: „Wenn ich hier sage, dass ich die Welt verbessern möchte, werde ich von niemandem belächelt. Ganz im Gegenteil: Jeder bringt ein, was er kann – und wird dafür ge-
SANDRA DECIUS (55), SEIT KNAPP 25 JAHREN EHRENAMTLICH DABEI
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schätzt.“ Auch Andreas reagiert auf das „Warum“ ähnlich. Seine Antwort: „Es ist die Arbeit direkt vor der eigenen Haustür – mit Blick über den Tellerrand. Es ist das Team, das immer an einem Strang zieht. Und es ist diese Wirkung, die wir entfalten“, sagt er. Wenn man während des Streetlife Festivals zum Beispiel auf der vierspurigen Ludwigstraße steht und sieht, wie Bäume die Straße schmücken und Menschenmassen diese Hauptverkehrsader entlangflanieren – „dann ist unsere Vision messbar“, sagt Andreas. „Und es macht unglaublichen Spaß, Teil eines solchen Erfolgs zu sein.“
MOBILITÄT Wir wollen die Dominanz des Autos überwinden. Durch die Reduzierung von Lärm, Abgasen und der Schaffung eines attraktiven öffentlichen Raumes steigern wir die Lebensqualität. Dabei fordern und fördern wir Alternativen zum Pkw und sorgen für Vielfalt auf Münchens Straßen. Auch die Luftreinhaltung ist uns ein wichtiges Anliegen: Deshalb gründeten wir Ende 2016 das „Bündnis für saubere Luft“. STADTGESTALTUNG Stadtbegrünung ist eine wichtige Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel – sie reduziert Hitze und sorgt für eine gesunde Luft- und Lebensqualität. Urbane Gärten beispielsweise tragen zu einer nachhaltigen Lebensmittelerzeugung bei, Gebäudebegrünungen filtern die Luft und dämmen auf ganz natürliche Weise. Wir binden Anwohner/-innen
Diese Gründe sind es auch, die Arbeit manchmal vielleicht gar nicht als Arbeit erscheinen lassen. Sandra überlegt, bei welchen Projekten sie konkret mitgearbeitet hat – und auf wie vielen Veranstaltungen sie Teil der Organisation war. Es sind zu viele zum Zählen. „Ich habe Wanderbäume zu ihrem nächsten Standort gezogen, ja“, sagt sie dann. „Auf Demonstrationen war ich auch. Ich habe geholfen, das Vereinslogo zu entwerfen, Plakate zu basteln und Flyer zu verteilen.“ Dann schaut sie fragend und sagt schließlich: „Aber das ist doch kein Ehrenamt! Das ist doch Spaß!“ Nie hat sie mitgezählt, wie viele Stunden sie sich für Green City engagiert hat. „Das müssen viele Hunderte gewesen sein.“ Bei der Erkenntnis schlägt sie dann doch kurz die Hände über dem Kopf zusammen und lacht. Und alles hat mit ihrer Liebe zur einer fremden Sprache angefangen – mit dem Wörtchen „grün“ in ihrem allerersten deutschen Satz.
aktiv in die Gestaltung ihres Viertels ein. UMWELTBILDUNG Ein Bewusstsein für Umweltschutz kann früh entstehen, wenn Kinder und Jugendliche altersgerecht und praxisnah sensibilisiert werden. Wir bringen Schüler/-innen bei, wie sie Einfluss auf eine nachhaltige Zukunft nehmen. Bei der Klimaküche lernen sie, welchen Einfluss die Auswahl der Lebensmittel auf die Umwelt hat. Da wir Bildung als lebenslangen Prozess verstehen, bieten wir auch Projekte für Senior/innen an, die ihnen den Alltag erleichtern. KLIMASCHUTZ Klimaschutz ist einfach und fängt bei jedem Einzelnen an. Lebensqualität muss nicht mit klimaschädlichen Aktivitäten zusammenhängen. Das wollen wir vermitteln. Mit konkreten Maßnahmen und Aufklärungsarbeit leisten wir einen Beitrag. Dabei reden wir nicht nur über die Senkung der Treibhausgase, sondern auch über einfache Maßnahmen, die jeder ganz einfach Tag für Tag umsetzen kann.
Zweimal im Jahr verwandelt Green City mit dem Streetlife Festival Ludwig- und Leopoldstraße in eine bunte Flaniermeile. Zwei Tage lang sind sieben Hektar mitten im Stadtraum autofrei.
► greencity.de
► Termine 2018: 5./6. Mai und 8./9. September
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IMPACT HUB
ZUSAMMENARBEITEN 2.0 In einer Welt voller Burn-out, 40-Stunden-plus-Wochen und ständiger beruflicher Erreichbarkeit steigt das Bedürfnis nach Ausgleich, Slow-down und Yoga. Viel zu lange hat es gedauert, bis sich ein arbeitnehmerfreundlicher Wandel durchsetzen konnte. Mit dieser neuen ökonomischen Denke einher ging auch das Prinzip der Co-Working-Spaces. Arbeitsfläche ist schließlich teuer, berufliches Einzelkämpfertum von vorgestern. Die Vorteile von Austausch und Interaktion, auch über Branchengrenzen hinweg, wurden erkannt und finden nun Umsetzung. Mehr noch als klassische Co-Working-Spaces setzen Impact Hubs auf sozialen Austausch – auch in München.
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TEXT UND FOTOS: CARLA SCHWEIZER
Das IMPACT HUB MUNICH in der Gotzinger Straße 8 vereint Firmen, die sich mit Energieeffizienz oder Virtual Reality beschäftigen, aber auch soziale Unternehmen und Projekte. Start-ups, Freiberufler, Vereine und Genossenschaften finden hier geteilte Arbeitsfläche. Ein gemeinsamer Wertehimmel – insbesondere auf Vertrauen, Transparenz und Kollaboration fußend – verbindet die 150 Mitglieder diverser Sparten generationenübergreifend. Ein „enkeltaugliches, kollaboratives Arbeiten“ steht im Vordergrund, betont Systemdesigner und Hub-Mitbegründer Johann Schorr. Die Mitglieder sollen voneinander lernen, neue Sichtweisen und Ansichten erfahren, sich externe Auffassungen und Meinungen einholen. Schließlich werde Fachsimpelei oftmals als selbstverständlich vorausgesetzt, von Branchenfremden aber nicht verstanden. Schon die Schilderung eines geplanten Projekts gegenüber Unbeteiligten könne helfen, Fehler zu umgehen bzw. aufzudecken. Dass dieses Konzept ganzheitlich gedacht ist, wird schon beim Betreten des Hubs deutlich: eine große Halle, geteilt in kleine Räume auf mehreren Ebenen. Was nicht aus hellem, freundlichem Holz besteht, ist verglast. In der Mitte eine Fläche freistehender Stühle und Tische. Wer hier sitzt, macht deutlich: Sprich mich an, lass uns austauschen! Auf der Galerie sind all jene willkommen, die in Ruhe arbeiten wollen. Überall wird gewerkelt, geradezu inspirierend ist die Stimmung, die Luft getränkt von Hirnschmalz und tonnenschwerem Ideenreichtum. Von einem halben Tag die Woche bis hin zur Vollzeitnutzung ist alles möglich, die Laufzeit flexibel. Die Preise von 95 bis zu 420 Euro monatlich erscheinen (gerade angesichts des horrenden Münchner Mietmarkts) erstaunlich günstig. Vorab aber gilt es, einen Probemonat zu absolvieren, um festzustellen, ob Interessenten diese Arbeitsform taugt und sie wiederum zur Community passen. Ein reges Veranstaltungsangebot soll die Gemeinschaft zusätzlich stärken: Neben Cake’s Giving (Prinzip: Jemand bringt Kuchen mit, läutet zur Bekanntmachung eine Glocke, GelüsteGetriebene versammeln sich am Ort des Geschehens und können vom Spender während des gemeinsamen Gebäckverzehrs um Rat und Meinung gebeten werden) und Sexy Salad (zusammengetragene Zutaten resultieren regelmäßig und nach kollektiver Schnippelei in ein großzügiges Salatbüffet) finden beispielsweise Workshops und Vorträge statt – teils mitgliederintern, teils öffentlich. Auch die ursprüngliche Grundbesinnung der ersten Hub-Gründung vor zwölf Jahren in London ist aktueller denn je: „Globally connected“ vs. „local roots“. Die 16.000 Member der mittlerweile 104 weltweit etablierten Impact Hubs stehen via App miteinander in Verbindung. Dennoch ist jeder Hub eigen und geprägt von einem ganz individuellen Charakter, der wiederum abhängig ist von regionalen Gegebenheiten. Neben München gibt es deutsche Hubs in Berlin und Dresden, ein weiterer eröffnet bald in Essen. Unser Fazit: Gute Sache! Schaut’s euch mal an und den Machern über die Schultern. Alle zwei Wochen, jeweils donnerstags, werden im Rahmen einer öffentlichen Tour Konzept, Räumlichkeiten und Münchner Hub-Member sowie -Organisatoren vorgestellt. ► munich.impacthub.net
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CO-WORKING FÜR LADYS Inspiriert von historischen Clubs in England und Indien haben es sich Friederike und Mariam zur Aufgabe gemacht, einen Social Club nur für Frauen zu eröffnen. Verbunden mit Co-Working möchten sie einen Rahmen schaffen, der berufliche wie soziale Vernetzung und Austausch ermöglichen und die Mitglieder dadurch in ihrem Vorhaben bestärken soll. Neben klassischen Arbeitsplätzen darf auch ein Cosy-Lounge-Bereich nicht fehlen, der zu einer gemeinsamen Tasse Kaffee oder dem Schmökern in Lektüre einladen soll. Auch sind Veranstaltungen und Vorträge geplant. Friederike denkt an ein buntes Programm aus Lesungen, Yogakursen, kreativen Workshops oder gar Konzerten. Ein zweites Wohnzimmer soll es werden, zum Wohlfühlen, Inspiration-Tanken und Socializen. In den letzten Jahren hat sich hinsichtlich der Women-Empowerment-Bewegung einiges getan. Das hat Friederike und Mariam schließlich den letzten Anstoß gegeben, ihr Projekt tatsächlich umzusetzen. Wichtig wird die Gründung auch dadurch, dass klassische Co-Working-Spaces Frauen zwar offenstehen, sie sich dort aber – so sagen es diverse Studien – weniger oft einmieten als Männer, da sie das männerdominierte Arbeitsumfeld oftmals einschüchtert und sie sich atmosphärisch nicht wohlfühlen. Friederike und Mariam möchten dem vorbeugen und mit hellen Farben, lichten, weitläufigen Räumen eine moderne Coffee-Shop-Atmosphäre schaffen. Wo der Space letztlich heimisch wird, steht noch nicht fest. Zentral soll es sein und „heimwegtauglich“, auch nach Abendveranstaltungen. Da ein solches „Ladies only“-Konzept in Deutschland bisher nicht existiert, möchten die Gründerinnen weitere nationale Standorte nicht ausschließen. Man darf also gespannt sein! Wer informiert bleiben möchte, kann sich unter women.munich@gmail.com in den Mailverteiler aufnehmen lassen und erhält alle News zu Gründungsstand, Eröffnung, Meet-ups etc. ▪
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BarCamps
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Samstagmorgen. Der perfekte Zeitpunkt für ein ausgiebiges Frühstück, den Wochenendeinkauf oder auch einfach dafür, sich noch ein bis sieben Mal im Bett umzudrehen. Kurzum: nicht an die Arbeit denken zu müssen, sondern die Freizeit zu genießen. Samstagmorgen auf einem BarCamp. Es geht um Reichweite, Storytelling und die neuen Trends im Bereich Social Media. Dinge, über die man sich von Montag bis Freitag den Kopf zerbricht und dann freiwillig noch am Wochenende diskutiert? Warum tut man sich das an?
TEXT: STEPHIE SCHERR // FOTOS: DAVID-PIERCE BRIL
„Wäre das hier eine Arbeitsveranstaltung, würde man sich wahrscheinlich aufregen.“ Vielleicht macht auch das den Reiz dieser Camps aus: Es ist nicht wirklich Arbeit. Und dann irgendwie doch. Wenn sich Menschen treffen, die für die digitalen Medien arbeiten, tauschen sie sich beinahe zwangsläufig über ihren Arbeitsalltag und ihre Probleme aus. Im Grunde nicht anders als auf einer „normalen“ Konferenz. Nur dass man sich auf einem BarCamp aus Prinzip duzt und das Gespräch gerne auch einmal in einem Bällebad stattfinden kann. Der Rahmen macht dann doch einen Unterschied. Wenn man so will, ist es ein Spielplatz für Erwachsene. Und so funktioniert auch das Networking, das natürlich ein wichtiger Bestandteil auf derartigen Veranstaltungen ist. Ein wenig spielerisch, ohne sich überwinden zu müssen. Man ist ja gemeinsam hier und vermutlich aus ähnlichen Gründen. BarCamps sind keine neue Erfindung, aber in München erst seit den letzten ein bis zwei Jahren so wirklich angekommen. Man nennt sie auch Unkonferenzen – denn auch wenn es hier um mitunter ernste Themen geht, soll der Rahmen doch nicht steif und streng sein wie bei einer „richtigen“ Konferenz. Und vor allem soll jeder die Möglichkeit haben, das Wort zu ergreifen. Denn in der Regel gibt es vorab kein festes Programm: Man erarbeitet es gemeinsam. Jeder Teilnehmer kann Speaker sein, einen Vortrag, eine Diskussion oder auch einen Workshop zur Auswahl stellen. Das Publikum wählt dann per Handzeichen, was es sehen möchte. Ein einfaches Prinzip, das wunderbar funktioniert. Social Media Manager und Print-Journalisten, selbstständige Medienschaffende und Entwickler, Blogger und Coaches. Egal, wie ein Job sich nennt und woran oder für wen man arbeitet: Im Grunde sind die Interessensgebiete ähnlich und die Trends, auf die man sich konzentrieren sollte, ja doch die gleichen. Aber die Ideen kommen vor allem dann, wenn man die eigene Filterblase verlässt und eben auch einmal ein Wochenende damit verbringt, das weiterzuspinnen, worüber man unter der Woche gerne einmal schimpft. Input liefern und dafür Input bekommen. Es ist ein Geben und Nehmen und auch, wer eine Session abhält, vermittelt nicht nur dem Publikum etwas, sondern bekommt auch etwas zurück: Feedback, Ideen und vielleicht auch einmal Kritik. Ein gemeinsames Thema und eine Leidenschaft für die digitale Welt bringen so ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Diejenigen, die ohne mit der Wimper zu zucken einen Vortrag halten, stille Beobachter, die
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sich fleißig Notizen machen, und diskussionsfreudige Zuhörer. Platz ist für jeden und auch wenn eine der goldenen BarCamp-Regeln lautet, dass jeder Erstbesucher selbst einen Vortrag halten muss, so wird natürlich niemand gezwungen. Aber die Lust darauf, selbst ein Thema zur Diskussion zu stellen, kommt in so einem ungezwungenen Rahmen von ganz allein. BarCamps können viele Themen haben. Das „klassische“ BarCamp befasst sich mit Internet-Themen, mit der digitalen Welt. Aber auch Events zu Literatur, Politik oder Gesundheit sind inzwischen keine Seltenheit mehr. Selbst wer gerne strickt, kann sich im Rahmen einer Unkonferenz mit Gleichgesinnten austauschen. Eine feste Größe in der Münchner BarCamp-Landschaft ist das Digital Media Camp, das im vergangenen Februar zum dritten Mal stattgefunden hat, dieses Mal in den Räumlichkeiten der Süddeutschen Zeitung in Berg am Laim. Organisiert wird es vom Media Lab Bayern und damit einer Gruppe von Menschen, deren Leidenschaft digitale Medien sind, die sich der Innovation verschrieben haben und einfach etwas bewegen wollen. Leichter als mit einem BarCamp voller kreativer Menschen aus der Branche geht das nun wirklich nicht. Und weil beim Media Lab und somit auch bei BarCamp-Chefin Lina Timm Innovation großgeschrieben wird, haben sie in ihrem dritten Camp-Jahr gleich das eigentlich so bewährte Konzept auf den Kopf gestellt. Statt spontaner Sessionplanung vor Ort gab es für den ersten Tag eine Onlineabstimmung über vorher eingereichte Session-Vorschläge. „Wir haben die Teilnehmer in unserer Facebook-Veranstaltung gefragt, wie wir einen besseren Sessionplan anbieten können. Durch das digitale Einreichen erhalten die Teilnehmer vorab einen besseren Überblick, was auf der Veranstaltung passieren wird – und es gibt auch denen die Chance, eine Session einzureichen, die sich nicht trauen, diese vor 300 Menschen vorzuschlagen. Der Sonntag wiederum konnte dann im klassischen BarCamp-Style wieder spontan befüllt werden. So haben wir das das Beste aus beiden Welten anbieten können.“ Insgesamt 56 Sessions und rund 300 Teilnehmer konnte das Digital MediaCamp verzeichnen und steigert sich somit von Jahr zu Jahr. Zum ersten Mal fand es im Januar 2016 mit ca. 120 Teilnehmern im Werk 1 statt.
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Networking gehört zu BarCamps wie das Feierabendbier nach den Sessions. Und auch in diesem Bereich waren Lina Timm und ihr Team innovativ und boten eine „You Should Meet Session“ an. Gruppiert nach Interessen wie Technologie Innovation, Marketing oder Social Media fanden die Teilnehmer sich zusammen, um mittels 3D-Steckspiel Modelle ihrer ultimativen Problemlösung für Fragen wie „Wo sollte der nächste Schwerpunkt im Storytelling liegen?“ zu finden. Hier konnte man sich ebenso anfreunden wie auf der Hüpfburg, die das Foyer der Süddeutschen Zeitung dominierte, oder im bereits erwähnten Bällebad. Doch wieso all diese neuen Ansätze für ein Format, das gerade durch seine wenigen Strukturen so gut funktioniert? „Ende letzten Jahres haben wir hier im Team Tausende wilde Ideen gesponnen, wie wir Networking und Ideenaustausch befeuern können; wie wir es schaffen, die Qualität der angebotenen Sessions zu verbessern; wie wir den Abstimmungsprozess übersichtlicher und demokratischer gestalten können und wie wir es schaffen, dass aus der Inspiration, die man vom BarCamp mitnimmt, richtige Innovation werden kann. Für uns war es super, das BarCamp neu zu denken und neue Formate zu testen.“ Natürlich wurden diese Neuerungen kontrovers diskutiert und vermutlich wird auch nicht jeder Besucher begeistert von den Neuerungen gewesen sein. Aber genau darum geht es ja: den Austausch, die Diskussion, das Testen und das daraus resultierende Lernen. Denn ganz klar sind auch BarCamps, wie alle größeren Ansammlungen von Menschen, nicht immer nur eitel Sonnenschein. Diskussionen können hitzig werden, wenn unterschiedliche Meinungen aufeinandertreffen. Aus einer kritischen Anmerkung kann eine Auseinandersetzung entstehen, die vielleicht sogar Tage und Wochen danach auf Twitter weitergeführt wird. Ein kontroverser Vortrag kann derartige Wellen schlagen, dass man noch Tage später auf diversen Kanälen davon etwas mitbekommt. Aber das ist auch gut so, denn Inspiration und Innovation kommen ja nicht nur von den schönen Dingen und davon, dass man sich einig ist. Manchmal muss es rumpeln, wenn etwas Großes entstehen soll. Und dafür sind diese Unkonferenzen genau der richtige Ort. ▪
Alle BarCamps im Überblick ► barcamp-liste.de Münchner BarCamps ► medialab-bayern.de/digital-media-camp ► muc.camp.bayern Nächstes BarCamp in München: IsarCamp am 21. April ► muenchner-webwoche.de/events/ isarcamp-2018/
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A PSYCHEDELIC SHELTER
BEHIND THE GREEN DOOR
TEXT: TIM BRÃœGMANN FOTOS: VINCENZO BUSCEMI
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Midnight, one more night without sleeping, watching till the morning comes creeping, green door, what's that secret you're keeping? JIM LOWE, THE GREEN DOOR
Es gibt sie, diese Nächte, in denen alles zusammenkommt. Die Sehnsucht nach etwas Neuem, der Hunger nach einem kleinen Abenteuer und das Kribbeln, weil es so noch nie da war und sogar ein wenig gefährlich anmutet. Ein solches Szenario lässt sich seit einigen Monaten im Kreativquartier am Leonrodplatz beobachten, wenn sich Hunderte Menschen vor den kleinen Studios und Ateliers tummeln, ins Import Export stürmen und dieses bis ins Morgengrauen nicht mehr verlassen. Keineswegs hat hier der nächste Club aus der Feder eines angeblich bemerkenswerten Szene-Moguls eröffnet. Doch trotzdem kommen sie in Scharen und zusammen treten wir ein, hinter die Tür, Behind the Green Door …
VEIT OBERRAUCH, seines Zeichens Gitarrist der Heavy-Psychedelic-Blues-Band Mount Hush und in der Münchner Szene alles andere als grün hinter den Ohren, ist es leid zu hören, dass diese Stadt außer jungen Affen, die der „Feierbanane“ nachlaufen, um das Geld ihrer Eltern in überteuerte Longdrinks zu investieren, nichts zu bieten habe. „Als Musikschaffender, kreativer Mensch ist das frustrierend, aber es hilft nichts zu jammern, man muss eben etwas tun“, so sein Credo, mit dem sogleich eine Idee geboren war: Behind the Green Door – ein Kollektiv für musikalische Sinneserfahrungen der anderen Art. „Es muss wieder mehr Platz für Musik abseits vom Mainstream geben, denn das ist die Wiege der Kultur. Der nächste Jimi Hendrix steht nämlich nicht in der Olympiahalle, sondern auf unserer Bühne. Ich würde es als ideologisches Kollektiv bezeichnen, da mir viele Leute bei der Umsetzung meiner Visionen helfen.“ Das Psychedelische spielt für Veit eine außerordentlich wichtige Rolle. Aus dem Altgriechischen übersetzt steht „die offenbarte Seele“ seit den 60ern für einen Zufluchtsort vor dem, was wir als Realität bezeichnen. Das Verborgene entdecken und den Kopf vom Alltagswahnsinn befreien, dafür setzt sich Behind the Green Door ein und mit ihm eine ganze Reihe an Vertretern der ungeahnt vielfältigen Münchner Szene, wie etwa Black Voodoo Train, Karaba, Skurreal, JJ Whitefield (Karl Hector & the Malcouns, Embryo) Rosa Red, Seducation und viele mehr. ►
Als Musikschaffender, kreativer Mensch ist das frustrierend, aber es hilft nichts zu jammern, man muss eben etwas tun.“
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Mit jenen Künstlern, Bands und DJs arbeitet Behind the Green Door eng zusammen, wobei es das hehre Ziel ist, eine lebendige Szene zu schaffen, die im regen Austausch steht. Mit dem DJ und Produzenten THUR DEEPHREY hat Veit Ende 2017 einen Gleichgesinnten gefunden, mit dem er fortan gemeinsam an neuen Projekten arbeitet und so neben einer Vielzahl an Konzerten und Sessions auch monatlich die schon jetzt legendären Psychedelic Porn Funk Experiences heraufbeschwört.
VORSCHAU Jeden Monatsanfang: Psychedelic Porn Funk Experience (Import Export) 24.04. in bed with: Suzan Köcher (Konzert) 25.04. Minami Deutsch (Import Export) 18.05. in bed with: Thur Deephrey (Party) 22.05. Ouzo Bazooka (Import Export)
In einer Melange aus dem Geist der sexuellen Revolution der 60er und 70er entsteht im Zusammenspiel mit dem Publikum, teils expliziten Vintage-Filmen und berauschenden Visuals jener Zufluchtsort, den sie als Psychedelic Shelter fernab von hektischem StroboLicht und Getränkespecials der hiesigen Clublandschaft bezeichnen.
07.06. Sacri Monti (Import Export) 09.06. L.A. Witch (Milla) 15.06. Party: Milla in the Sky with Diamonds (Milla) 30.06. Behind the Green Door Festival (Import Export) Open Air + Indoor
Doch wie bei Alice im Wunderland lebt auch die grüne Tür von ihrer Doppelbödigkeit. Neben den ausschweifenden Partys im Kreativquartier startet nun die erste psychedelische Abfahrt im The Lovelace Hotel. Der erste gemeinsame Coup aus dem erweiterten Bewusstsein von Veit und Thur hört auf den Namen „in bed with“ und bildet den Kern einer neuen Veranstaltungsreihe. Mit ihr soll ein Gegenpol geschaffen werden, ein entschleunigter Ort mit guter Musik, offenen Menschen und intimer Atmosphäre, zu der eine Vielzahl an psychedelischen Akteuren zum verträumten Gutenachtlied unter die Decke schlüpfen wird. Und was eignet sich hierfür besser als ein Hotelzimmer?! Dabei wirkt das Lovelace aufgrund seiner Lage, trotz aller Underground-Bemühungen und Werbe-Gags, oftmals befremdlich für eine alternative Szene. Doch genau das mache es in Veits Augen spannend: „München ist nun mal so und genau solche Strukturen müssen wir aufbrechen, anstatt sie zu meiden. Diese Infiltration ist unser Beitrag zur Heterogenisierung der Stadt.“ Und so folgen wir der lieben Alice noch tiefer in den Kaninchenbau von Behind the Green Door, hinein in ein surreales Erlebnis zwischen Fear and Loathing und BoilerRoom-Party. ▪
► greendoor.bigcartel.com ► facebook.com/behindthegreendoorevents
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#curtpräsentiert Wir verlosen Freikarten für jedes der aufgeführten Konzerte und Events. Die Gewinnspiele findet ihr ca. vier Wochen vor dem jeweiligen Konzert auf ► curt.de/muenchen
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DA BANG + RBP | IMPORT EXPORT China meets Korea – der Konzertreihe Comecerts sei Dank. Während Da Bang tanzbeinvibrierenden Post-Dubstep mit Funk aus China importiert, vermischt das Indie-RockTrio Raw by Peppers aus Korea sphärische Klänge mit traditionell koreanischen Einflüssen. DESSA | FEIERWERK H39 Die Sängerin, Rapperin, Songwriterin und Autorin nimmt sich jede Freiheit. Rap, a cappella oder eingängiger Pop: Dessa – auch bekannt als Mitglied des Doomtree-Kollektivs – zeigt alle Facetten von sanft bis düster und leidenschaftlich.
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GOGOPENGUIN | MUFFATHALLE Das Trio aus Manchester schöpft aus dem Vollen: Akustik-Elektonica mit Rock, Jazz, Minimalismus, Game-Soundtracks und Glitchy-Electronica. Auch wenn sie ihr neues Album „A Humdrum Star“ genannt haben: Monoton-eintönig klingt bei ihnen gar nichts!
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GRANDBROTHERS | MUFFATHALLE Experimentell und komplex: Während Erol Sarp die Klaviatur bearbeitet, modifiziert Lukas Vogel das Piano mithilfe selbst gebauter elektromechanischer Hämmer, sampelt vom Rechner aus die Klänge seines Partners. Live on Tour mit neuem Album „Open“.
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EDITORS | TONHALLE Editors – damit ist eigentlich schon alles gesagt. Kult eben, immer eine Bank und Garant für einen leidenschaftlichen Mix aus Rock und Elektronik. Eine Zugabe in Form eines neuen Albums bringt das Quartett aus Birmingham auch mit: „Violence“!
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MARLON WILLIAMS | KRANHALLE Was für eine Stimme! Kein Wunder, dass es für den Singer/Songwriter Preise regnet, er als Support für Bruce Springsteen und auf vielen Festivals unterwegs war. Mit diesem Können muss der Neuseeländer einfach weitermachen: mit Live-Tour und neuen Songs.
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TEXTE: ALLSTARS CURT-REDAKTION
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METZ | STROM Ein Klang gewordener Bodycheck, nur ohne Helm und Brustschutz. Trotzdem werden die Kanadier ihre Songs beim Konzert kompromisslos und mit voller Dröhnung durch die Boxen drücken. Zwischen Noise-Rock und Punk geht es dann ungebremst auf die Knochen. CARNIVAL YOUTH | SUBSTANZ Blutjung und schon mit reichlich Lorbeeren bekränzt. Das lettische Jungs-Quartett aus Riga streut mitreißende Indie-Pop-Ohrwürmer unters Volk und lässt es mitsingen und -tanzen. Wer sie auf der Manic Street Parade verpasst hat, kriegt jetzt eine neue Chance. B. VON STUCKRAD-BARRE | MUFFAT „Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen“, beklagt der „Panikherz“-Autor angesichts des Lebens, das gar nicht so einfach zu leben ist. Wie kriegen die anderen das bloß hin? Auf seiner Lesung „Remix 3“ geht’s ins Detail. MADCHILD | BACKSTAGE Mit seinem Hip-Hop-Kollektiv Swollen Members produzierte der Kanadier Hits am laufenden Band, seit 2012 ist „The King Of Underground Rap“ solo unterwegs. Sprache als Waffe gegen die inneren Dämonen – auf die Zwölf.
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FYAH FESTIVAL | FEIERWERK Live: CALI P! Mit seinen Locks vom Scheitel bis zur Fußsohle trägt der Künstler eine Aura der Spiritualität, die oft mit jenen identifiziert wird, deren heilige Mission es ist, die Botschaft von Reggae und Rastafari in die verschiedenen Teile der Erde zu tragen.
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GOD IS AN ASTRONAUT | FEIERWERK Der Bandname steht als Inbegriff für klassischen Postrock und atmosphärische Live-Performance – ein Gesamtkunstwerk aus Sound, Licht und selbst produzierten Videos. Das Trio aus Dublin hat sein zehntes Studioalbum „Epitaph“ im Gepäck. 5.
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NEW HERITAGE – FESTIVAL FÜR ZEITLOSES | PRATERINSEL Weg vom Konsum bewegt sich eine neue Generation an DYI-Fans, die leidenschaftlich gehandwerkte Produkte ob ihrer Qualität den Konsumwaren von der Stange vorziehen. Eine Plattform für genau diese handgefertigten Kleinode und Genussmittel bietet auch dieses Jahr wieder das Festival. Independent und 100 % DIY? Selbstverständlich, dass wir hier nicht fehlen dürfen. #curtpräsentiert
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SHAME | FEIERWERK OHOUSE Ihr erstes Konzert besuchten gerade mal vier Leute, davon drei Freunde. Diese Zeiten sind vorbei: Die fünf jungen Briten werden als DIE Newcomer in Sachen provokativ und mitreißend gehandelt. Jetzt kommt die Tour zum Debüt „Songs of Praise“.
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MORCHEEBA | MUFFATHALLE Dieser magische Trip-Hop-Mix ist Morcheebas Markenzeichen. Nach Jahren der Trennungen und vielen Fahrten im Besetzungskarussell gehen Skye Edward und Ross Godfrey wieder schnurgerade: mit neuem Player und LiveTour. Over and over again now!
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ARMS AND SLEEPERS | ZEHNER Das Duo entstand vor mehr als einem Jahrzehnt in der Postrock-Szene. Während sie noch quasi als Stammgast beim dunk!Festival auftreten, hat ihre Musik in den letzten Veröffentlichungen die engen Grenzen dieser Szene überschritten.
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FRAMEWORKS FESTIVAL | BLITZ Was wäre München ohne dieses Festival? Viel Kantiges und Sperriges müsste draußen bleiben, viel innovativer und unabhängiger Klang bliebe ungehört. Live: Carlos Cipa & Occupanther, Kutmah, Nadah El Shazly, Rehberg & Nick VoidPeter, Radian und Die Angel. Eintritt frei!
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CASPIAN | KRANHALLE Anfangs suchte das Klangkollektiv aus Massachusetts noch einen Sänger. Gut, dass sie nicht fündig wurden. Denn diese Band überzeugt ganz ohne Gesang: mit imposanten Gitarrenkonstrukten, sphärischen Sounds, durchdachten Soundstorys. Postrock de luxe.
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MAIDA VALE | SUNNY RED Psychedelic-Rock aus Stockholm: Die vier Schwedinnen von Maida Vale stehen auf die späten 60er, kopieren jedoch nicht, sondern interpretieren neu. Auf ihrem Debüt lieferten sie extrem groovigen Psychedelic-Rock. Jetzt legen sie mit neuem Player nach.
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SLEEP | TECHNIKUM Die Band aus Oakland ist wieder aus der Versenkung aufgetaucht – zur Freude aller Doomund Stonerheads. 1990 von drei musikalisch frühreifen Teenagern aus den Resten der Hardcore-Band Asbestosdeath gegründet, ist ihr Mission, Doom zu revolutionieren.
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LOUIS BERRY | KRANHALLE Der junge Musiker aus Liverpool nimmt den Mund ganz schön voll: Er möchte der größte Sänger des Planeten werden. Rau-brüchige Stimme, legeres Auftreten, dazu ein Sound aus ungeschliffenem Rock’n’Roll, Rockabilly, Blues und Soul: Das klingt groß.
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THE DAMNED | STROM Eine verdammte Legende. Seit 40 Jahren spielen sie puren Punk, haben 1976 mit „New Rose“ überhaupt die allererste Punk-Single veröffentlicht. Seit 40 Jahren touren sie und kein Ende in Sicht: Mit „Evil Spirits“ geht’s munter-dreckig weiter. Damned good.
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WE ARE SCIENTISTS | STROM Drei New Yorker, viele verrückte Ideen: Was sie da eigentlich für Musik machen, wissen sie selbst nicht. Ihr aktuelles Album „Helter Seltzer“ könnte als Genre herhalten: „like helter skelter but with seltzer.“ Also Holterdiepolter-Indie-Alternative-Punk-Rock.
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JOEL SARAKULA | AMPERE Die Discokugel hat bei dem gebürtigen Australier ihren großen Auftritt – inkl. rhythmischer Tanzeinlagen, Keyboard-VintageVibes und funkiger Gitarreneinsätze. Retro also, aber so was von. „Gelegentlich psychedelischer, aber immer souliger Retro-Indiepop.“
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PG.LOST | FEIERWERK OHOUSE Das Quartett aus Norrköping, gegründet 2004, setzt mit der klassischen Rock-Besetzung verstärkt auf Synthesizer, um die Riffs und Melodien mit einer dichten Atmosphäre zu umgeben. Das Ergebnis bietet eine Blaupause des modernen instrumentalen Postrocks.
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DEAD CROSS | BACKSTAGE Die Supergroup aus Southern California – mit Slayer-Ex-Drummer Dave Lombardo, FaithNo-More-Sänger Mike Patton, Retox-Gitarrist Michael Crain und ihrem Vokalisten Justin Pearson am Bass – prügelt euch verstörenden Hardcore-Punk gnadenlos ins Hirn.
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SAINT HELENA FESTIVAL | FEIERWERK Das Münchner Liebhaberfestival für alle Sound-Nostradamusse dreht die nächste Endzeitrunde mit einem düsteren MegaAufgebot: Converge, Dark Buddha Rising, Obelyskkh, Implore, Sangre de Muerdago, Cranial und Fuoco Fatuo.
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EELS | TONHALLE So gut, so zeitlos, so melodisch, so deep: Wer Mr. E und seine Band kennt, wird sie ein Leben lang lieben. Neue Endorphine oder besser Novocaine for the Soul injiziert das mittlerweile 12. Studioalbum „The Deconstruction“. 15 neue Songs zum Verlieben und ewiglich Lieben.
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LOW | AMPERE Auch wenn Low aus Duluth, Minnesota selber den Begriff Slowcore ablehnen, finden wir dieses Genre bei ihrem langsamen bis sehr langsamen Independent-Sound dennoch ziemlich passend. Oder halt „Lowcore”, das könnten wir uns auch vorstellen.
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THRICE | BACKSTAGE Hier werden konsequent Grenzen verschoben und der eigene musikalische Horizont mit immer neuen Soundexperimenten erweitert. Neben klassischer Punkattitüde und rifforientiertem Hardrock sind melodische Ausflüge und leisere Töne zu hören.
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L7 | STROM Nach knapp 15 Jahren beendeten Donita Sparks, Suzi Gardner, Jennifer Finch und Demetra Plakas 2015 ihre Bandpause und spielten einige große Festivalshows. Jetzt ist München dran: eine energiegeladene, rotzige Punk-Show wie zu ihren Hoch-Zeiten.
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CIGARETTES AFTER SEX | DACHAU Sänger Greg Gonzalez und seine New Yorker Mitstreiter zeigen Gefühl, es darf durchaus ein bisschen kitschig und wildromantisch sein. Dazu ein Hauch düstere Melancholie, fertig ist der Sound für den ersten innigen Kuss in Endlosschleife – wer will, mit Zigarette danach.
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FREE&EASY FESTIVAL | BACKSTAGE Auf vier Indoor-Bühnen, einer Open-Air-Bühne und den Freiflächen des Geländes lädt das Backstage auch dieses Jahr wieder 18 Sommertage lang zu einem bunt gemischten Programm mit Konzerten, Partys, Kleinkunst querbeet durch die Bank ein. Alle Infos unter ► backstage.info
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dunk!Festival TEXT: MELANIE CASTILLO // FOTOS: DAVY DE PAUW UND NELE DIERICK
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IM GESPRÄCH MIT WOUT LIEVENS, MITBEGRÜNDER UND CO-ORGANISATOR DES dunk!FESTIVALS IN BELGIEN UND USA
Zusammen haben wir bewiesen, dass wir neuen Herausforderungen gewachsen sind.“
An Christi Himmelfahrt braut sich wieder über dem Jugendzentrum De Populier in Zottegem, Ostflandern, ein Stromgitarrengewitter zusammen, das für drei Tage mit tobendem Niederschlag an feinstem Postrock, Postmetal, Doom, Sludge, Ambient und Neo-Classical einhergeht. Ein Elmsfeuer, das die Luft der kommerziellen SchönwetterMusiklandschaft reinigt und wolkenbruchartig akute Glückshormone entlädt. Das dunk!Festival 2018 heuer in seiner 14. Edition ist das Ergebnis von Hingabe zur Musik und passionierter Teamarbeit. ►
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Das dunk!Festival fand zum ersten Mal 2005 als Benefiz-Konzertabend im kleinen Rahmen für das heimische Basketballteam in Zottegem statt, löste sich in den darauffolgenden Jahren aus dem Sportkontext und gibt seitdem Bands aus aller Welt eine Bühne vor anspruchsvollem Publikum aus der Szene. Bis heute besteht das Team aus Freiwilligen – Verwandte, Freunde und Nachbarn aus dem Dunstkreis der Familie Lievens –, die mit absoluter Hingabe zur Musik das Festival in intimer Atmosphäre auf die Beine stellen. „Wir bemühen uns, auf zwei hochprofessionellen Bühnen ein überraschendes Line-up an-zubieten. Dafür arbeiten wir das ganze Jahr, um besondere Bands zu finden, die besten Sound- und Lichtpartner ins Boot zu holen, jeden kleinen Aspekt des Festivals zu optimieren. Das Catering-Team bereitet lokale und exotische Gerichte für die Besucher zu und unsere vielen freiwilligen Helfer schenken leckeres belgisches Bier aus“, erklärt Wout Lievens, Mitbegründer und -organisator des dunk!Festivals und Chef des hauseigenen Labels dunk!records. 2017 streckte das Team erstmals seine Fühler nach Burlington, Vermont aus und veranstaltete das Debüt des dunk!USA zusammen mit David Zeidler (Arctic Drones-Autor, Kurator und Moderator der Cinema-Casualties-Reihe) auf dem Higher Ground in Vermont. „Es war für uns alle ein Novum, ein Festival über diese Entfernung zu veranstalten, und wir waren am Ende sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Es hat bewiesen, dass wir zusammen neuen Herausforderungen gewachsen sind. Leider haben wir nicht genug Tickets verkauft und konnten die Kosten nicht decken, deswegen werden wir dieses Jahr dunk!USA skippen, sind aber schon am Brainstormen für das nächste Jahr!“ An Arbeit und neuen Ideen für die heimische Festivalversion mangelt es nicht: „Seit ein paar Monaten bauen wir eine eigene Vinylpressanlage, die zum Festival im Mai eventuell schon fertig sein könnte.“ Die ersten Pressungen werden Dunk!records-Veröffentlichungen sein, danach ist das Feld auch für andere (kleine) Labels und Bands frei, die ihr Album von Dunk!Pressing gepresst haben wollen“, Und damit es nicht langweilig wird, beginnt im Sommer der Bau von Proberäumen, Tonstudio und einer Konzerthalle auf dem Gelände. Wenn man den knapp 30-jährigen Medienkünstler nach seiner persönlich liebsten der mittlerweile 14 Ausgaben des dunk!Festivals fragt, kommt er besonders bei der Ausgabe von 2012 ins Schwärmen: „Wir hatten damals Omega Massif, Pelican und This Will Destroy am ersten Tag auf der kleinen Bühne und meine Band Stories From The Lost eröffnete das Ganze. Am letzten Abend spielten 65daysofstatic nach der Show vom Backstagebereich aus weiter Musik über ihre Laptoplautsprecher. Es wurde eine spontane Aftershowparty für die Festival-Crew und wir feierten bis tief in die Nacht rein. Alles zusammen war es für mich ein unvergessliches Festival." ▪
dunk!Festival 2018 // 10. –12. Mai // Zottegem, Belgien // Tickets: 115 Euro ► dunkfestival.be Line-up: Russian Circles, Caspian, Rosetta, EF, Hemelbestormer, Appalaches, Besides, Jeffk Nonsun, Huracán, The Ocean, Grails, Ranges, Les Discrets, Worriedaboutsatan, OhGod u. v. m.
Wir verlosen 2 x 1 Festivalkarte fürs dunk!Festival 2018. Das Gewinnspiel findet ihr bei uns auf ►curt.de/mue
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LABEL OHNE LABEL Hubert Spangler hat ein Label gegründet, auf dem er unvollendete Tracks, verworfene und tausendmal geänderte Ideen, von verschiedenen Künstlern halbanonym veröffentlicht: den OVERTHINKER MOB. Wer ist dieser Typ, der auf fremden Festplatten nach Schätzen gräbt? Ein Porträt.
TEXT: MARINA SPRENGER // FOTOS: LARA FREIBURGER
Musiker sind geplagte Seelen, Genies, viele selbstkritisch bis zum Umfallen, so jedenfalls das Klischee, und das weiß auch Hubert Spangler, denn er ist einer von ihnen. Seit er zehn war und mit seinen Kumpels an den ersten Tracks bastelte, hat er sich zu einem dieser Musiker entwickelt, die gleichzeitig beeindruckend sind und manchmal auch ein bisschen anstrengend. Beeindruckend: Schon als Jugendlicher hat er mit Tracks, die er mit Freunden im Kinderzimmer produziert und online publiziert hat, Geld verdient. Er wurde von The Widdler, einer amerikanischen DubstepGröße in dessen Live-Stream gespielt. Er kann sich in Musik vertiefen und weiß nicht nur theoretisch mehr als viele, die schon seit Jahrzehnten in dem Business sind; er hat auch ein Gefühl für das, was er tut. Anstrengend: na ja, eben eine geplagte Künstlerseele. Aber was plagt diese Künstler eigentlich, was heißt das überhaupt und warum ist das so? Man kennt das, egal, welcher Beruf oder welche Berufung: Es ist nie alles Gold, was man erschafft. Oft ist es sogar ziemlich schlecht und hat es verdient, auf Nimmerwiedersehen in einer Schublade zu verschwinden. Für einen guten Track gehen halt oft viele Versuche ins Leere. Aber manchmal läuft etwas zunächst
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gut, klingt gut, fühlt sich richtig an – bis man anfängt, darüber nachzudenken, und dann läuft es irgendwie nicht mehr so gut. Und dann? Wird alles umgeschmissen, neu gemacht, verändert, zerpflückt, zerlegt, zerdacht. Dieses Zerdenken, das kennen Hubert und viele seiner Kollegen: Hubert hat gerade sein Label danach benannt: Overthinker Mob. Denn Hubert hatte das Gefühl, dass diese zerdachten und zerlegten Tracks nicht immer ein Fall für die Schublade sein müssen. Dass sie vielleicht manchmal nur ein Quantum unter dem Niveau des Künstlers sind, aber deswegen nicht schlecht. Dass sie einfach nicht ins Programm passen, aber trotzdem gehört werden sollten. Oder dass da ein Künstler gerade etwas Unglaubliches geschaffen hat und es selber in dem Moment nur nicht erkennt. Aber Hubert will diese Tracks hören und er will sie der Welt zeigen. Der Overthinker Mob hat eine grobe Linie, die pendelt zwischen den drei Pfeilern experimenteller Hip-Hop, Dubstep und der Beats-Szene aus L. A. Und es hat eine, jedenfalls für ihn, ganz klare Linie: seinen persönlichen Musikgeschmack.
Hubert beim Musikhören sieht ungefähr so aus: konzentriertes Zuhören, Mitwippen, wenn es ihm dann gefällt, Mitnicken, wenn es ihm wirklich gefällt, dann Kopfschütteln, Augenzusammenkneifen, Mundverziehen und ein glückliches „Oh man fuck“. Warum hat er nie in einer Band gespielt? „Immer, wenn es so richtig gut wurde, habe ich irgendwie selber vergessen weiterzuspielen.“ Er ist dann drinnen in seiner Welt und hört zu und da vergisst man schon mal, sein Instrument zu bedienen. Alleine passiert ihm das nicht. Da ist er konzentriert, begeistert, aber auch in seiner Welt, fast ein bisschen zu abgeschottet. Er tritt nicht gerne in München auf, da kommt dann der Veranstalter und sagt; „Spiel mal was anderes, so können die Leute nicht tanzen.“ Und die Leute haben auch einfach keinen Bock, sie verstehen nicht, dass da ein echter Musiker steht, der gerade vor ihnen schwitzt und blutet und alles gibt, sie wollen lieber das Gleiche wie immer. Hubert will nur Musik machen. In Manchester hatte er letztes Jahr den ersten Auftritt, bei dem er richtig glücklich war und sich wohlgefühlt hat. Er hat sich mit Stuhl und Laptop in eine Ecke gesetzt und
niemand hat ihn gesehen, keiner hat gemerkt, dass der eigentlich ziemlich große, breite Typ, der da über seinem Laptop kauert, derjenige ist, der die Leute gerade zum Ausrasten bringt. Am Schluss wurde er entdeckt und auf seinem Stuhl durch den Raum getragen. Das sind Menschen, die sehen einen Musiker schwitzen und bluten und sind dankbar dafür. Er hat das observiert, gesehen, dass sie hier seine Musik lieben, ohne ihn als Künstler zu sehen, die Musik war losgelöst von jedem Label oder Kontext und einfach nur da.
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Diese Musik ohne Label hat Hubert auf den Overthinker Mob übertragen. „Die Musik wird aus dem Kontext genommen. Oft hyped man einen Track nur, weil er von einem bestimmten Künstler stammt.“ Bei ihm ist das anders. Um die Künstler dazu zu bringen, ihm ihre Festplatten mit den zerdachten Tracks mit Titeln wie „untitled02“ oder „Faerley Test“ zu überlassen, verspricht er Anonymität. Jeder Künstler bekommt einen Zahlencode, unter dem seine Tracks veröffentlicht werden. Welcher Code zu welchem Künstler gehört, bleibt geheim. So weiß man zwar, welche Künstler veröffentlichen, aber nicht, welcher Track von wem ist. Der geneigte Musiknerd wird sich wahrscheinlich nicht schwertun, Zusammenhänge zu finden, aber für Hubert ist wichtig, dass die Anonymität von offizieller Seite bestehen bleibt. Er träumt von seitenlangen Online-Threads, in denen Leute darüber diskutieren, wer denn jetzt welchen Track gemacht hat. Das ist sein Bild von Erfolg: Menschen zu erreichen, die so sind wie er. „Die, die das verstehen, haben sofort zugesagt. Alle anderen verstehen es halt nicht“, damit nimmt er jedem Kritiker den Wind aus den Segeln, und er meint es so. Wenn man ihn fragt, was
er denn vorhat, wenn es wirklich groß wird, wenn ein Track durch die Decke geht, ein Künstler live spielen soll, dann ist er zum ersten Mal im Gespräch wirklich überrumpelt. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht“, sagt er mit überraschtem Lachen und dann entstehen sofort Ideen in seinem Kopf, wie die Anonymität, der Grundbaustein, weiter gewahrt werden kann. Anonymität heißt hier nicht nur Schutz vor schlechten Kritiken, es heißt auch Schutz vor Kontext, vor Schubladen, vor Labels, keine Einordnung, einfach nur Musik, die dann eben gefällt oder nicht. Freiheit für den Künstler, aber auch für den Zuhörer, Musik so zu beurteilen, wie sie ist. Das ist natürlich mehr was für Kenner, aber Hubert hat eben lieber mit Menschen zu tun, denen er sich nicht so sehr erklären muss, die ihn verstehen. Er will einfach rund um die Uhr Musik machen, hören, darüber reden und nachdenken. Das versteht nicht jeder, weil die wenigsten Menschen mit so viel überbordender Leidenschaft und Begeisterung an etwas herangehen. Hubert kann charmant sein und witzig, aber das führt dann meistens zu nichts, weil ihm Musik mehr Spaß macht als Gespräche über dies und das.
Wie schon gesagt, beeindruckend und anstrengend, nicht nur für andere, sondern vielleicht auch für ihn selber. Für die Releaseparty hat er schon wochenlang Vorbereitungen getroffen, seinen Künstlern Tickets gebucht und nachts im Dunkeln Plakate geklebt. Er hat seine Freunde eingeladen, mit persönlichen Nachrichten, weil er Angst hat, dass doch keiner kommt. Er ist einfach verdammt aufgeregt, wie jeder Künstler in dem Moment, in dem der Vorhang aufgeht, alle sehen, woran er so hart gearbeitet hat, wofür er blutet und schwitzt in seinem stillen Kämmerchen. Gelohnt hat es sich, die Party war brechend voll, mit jungen, stylischen und vor allem verdammt netten Menschen. Dazwischen ein gestresster und aufgeregter Hubert, der immer noch nicht fassen kann, dass wirklich so viele Menschen gekommen sind und alle seine Idee feiern. Aber wie er selber sagt: Die, die seine Vision verstehen, sind dabei. Und das sind vermutlich mehr, als er sich vorstellen kann. ▪
► overthinkermob.com ► soundcloud.com/overthinkermob ► facebook.com/overthinkermob
Eine Odyssee durch Zeit und Raum, auf der Suche nach dem Kern des Genres, das nur eine Sache nicht zu kennen scheint: die Einsamkeit.
TEXT: TIM BRÜGMANN // FOTO: ACHIM SCHMIDT // COMPOSING: TIM BRÜGMANN // UMSETZUNG: PETRA KIRZENBERGER
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Die alles umfassende Antwort auf jene essenziellen Fragen kennt nur das philosophische Manifest der utopischen Einfachheit: der Schlager. ► muc-sf-festival.com
Dank interplanetarer Telepathie und Wirkweisen, die unsere Zeit noch nicht kennt, gelingt es uns schon jetzt, eine Art Vorschau zu formulieren: „Roberto Cométo, seines Zeichens ein altgedienter wie zeitlos schöner Schlagerbarde mit Hang zu geheimen Exzessen, moderiert wie jedes Jahr in der Zukunft seine unnachahmlich glitzernde Schlagershow auf Planeto TV. Weil er wie kein anderer den Sound seiner Generation verkörpert, singt er alles selbst. An seiner Seite: Alexa Bêrg, künstlich intelligent und unnahbar programmiert. Eine assistierende Allzweckwaffe von unterkühlter Androgynität. Doch schon bald verschwimmen Glitzer und Grau und alles läuft aus dem Ruder: Roberto lernt, dass auch sein menschlicher Wille Grenzen hat. Alexa trifft auf die unendlichen Weiten des Gefühls. An der Schnittstelle aus Ratio und Emotio geraten beide in den Strudel einer unvorhersagbaren Dimension. Humanes wird humanoid, Humanoides human, am Ende ist der Computer only human und der Mensch eine Maschine oder umgekehrt? Siegt am Ende die Liebe? Schaffen es Roberto und Alexa, die Flagge der Freiheit und friedlichen Koexistenz auf den Krater der Zeit zu pflanzen? Widerlegen sie die Wissenschaft oder wissen sie, dass die Zukunft nur eine dunkle Treppe ins Nichts ist? Und wie vereinbaren sie mit ihrem Gewissen, dass sie für ihre Show einen friedliebenden außerirdischen Drummer vom Rhythmusplaneten Römmtömmtömmtömm entführt haben, dessen Bus auf einer Smørrebrød-Tour zur Erde liegen geblieben war?“
Am 13. April wird sich im Zuge des Münchner Science-Fiction-Festivals ein Portal öffnen. Wen es uns bringt? Das Ufo nach Nirgendwo und mit ihm die Schlagershow aus dem 24. Jahrhundert von und mit Roberto Cométo & Alexa Bêrg. Im Jahre 2018 würde das schillernde Duo zu Erdzeiten noch auf die Namen Dan Cotletto und Katrin Sofie F. hören. Im 24. Jahrhundert jedoch werden Erdlinge und Wesen aller Couleur eingeladen, Platz zu nehmen und sich auf eine musikalische Reise durch die Galaxien zu begeben. Am Ende dieser Reise steht die Erkenntnis: „Einzig die Liebe macht Unmenschliches menschlich.“
Stets ein Abbild seiner Zeit und damit im höchsten Maße Zeitgeist, schreibt der Schlager immer noch Geschichte. Doch das Wichtigste neben dem formalen Aufbau nach Vers-Refrain-Schema, dem streng achttaktigen Periodenbau oder der begrenzten Thematik mit hohem Allgemeinheitsgrad sind stets seine Akteure. Kein Schlager ist perfekt ohne seinen „Künstler“. Ob als Duo oder auf eigene Faust mit entwaffnendem Kinder-Schokolade-Lächeln und einem Arsch voll Freude: die Roy Blacks, Heinos und Chris Roberts jener Zeit sind es, die wie heute Andreas, Beatrice und die große Helene das Volk einen wie nichts Zweites. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Schlager makes the world go round. Doch wer gekommen ist, um zu bleiben, der muss auch mitlaufen. Vor allem mit der Zeit, und die ist alles andere als rosig. Wo geht die Reise des Schlagers hin? Und sterben in einer immer digitaler und effizienter werdenden Gesellschaft am Ende seine Herzstränge: der Kitsch, die Sehnsucht, das Wir?
Einfachste musikalische Strukturen und triviale Texte, die an das Harmonie- und Glücksverlangen des Zuhörers appellieren. So in etwa lautet eine der etlichen Definitionen des Genres, das die Nation spaltet. Die Grenzen zur Pop- und volkstümlichen Musik sind fließend und wir wissen längst: Der Schlager ist für alle da!
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DER
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WEINBR
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SCHADE UM DEN SCHÖNEN DURST TEXT: CHRISTOPH BRANDT ILLU: SAMY-JO STEINBACHER
Ein banaler Vorsorgetermin beim Hausarzt erwischt den weinbrandt völlig auf dem falschen Fuß. Behutsam erläutert ihm der Weißkittel seine desaströse Diagnose: „Wo früher eine Leber war, ist heute eine Minibar!“, und ersucht den konsternierten Schluckspecht mit unmissverständlichen Worten, alle Alkoholika zunächst ad acta zu legen. „Ende, aus, Micky Maus!“ Plötzlich seiner ständigen Stimulans beraubt, guckt der weinbrandt ganz melankoholisch und sehnt sich einen sedierenden Hopfentorpedo herbei. Zurück in der Realität angekommen, versucht er sich an einer nüchternen Betrachtung der leidigen Zwangspause. Weder neigte der weinbrandt jemals zu russischen Saufgewohnheiten und haute gleich einem SUV den Sprit weg wie der gemeine Franzos den Beaujolais. Noch hielt er es irgendwann mit Gelagen angeschickerter Schwaben, für die nur halb „a Brezz em Gsichd hann“ rausgeschmissenes Geld bedeutet. Oder wie es der mondgraupelbreite Bayer bevorzugt phrasiert: „I bin zua wia a Handbrems.“
Nichtsdestotrotz, der weinbrandt ist keineswegs ein Partypuper und gerade in holder Gesellschaft macht er mit größtem Vergnügen ein Fass auf. Schließlich zählen für ihn gutes Essen und Trinken zu den drei pläsierlichsten Dingen im Leben. Hatte er genügend Quasselwasser intus, war nix mit „Vamos a la Heia!“, sondern man lag alsbald Schlagerschnulzen schmetternd Wildfremden in den Armen und ergab sich bis zum ersten Hahnenschrei freiwillig der Ekstase des Gruppenzwangs. Unverhofft kommt oft und die Leber wächst mit ihren Aufgaben. Deshalb bricht der weinbrandt wohl oder übel seinen ihm heiligen Schwur: „Kastriertes Bier, verbiet ich mir!“ Das Dilemma ist Folgendes und vorrangig der Grund, warum der er bis ultimo die Finger von antialkoholischem Wein ließ: Alkohol ist Geschmacksträger. Fehlt dieser, gehen die typischen Aromen flöten. In der Konsequenz schmecken einige alkoholfreie Biere süßlich-lasch und eher nach eingeschlafenen Füßen. Jedoch werden die Verfahren stets verbessert. Brauer bedienen sich aktuell verschiedenster Techniken wie der Dialyse oder der Unterdrückung der Gärung, um ihren
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alkoholfreien Bieren ausreichend Würze und Komplexität zu verleihen. Dabei sind diese fast nie gänzlich frei von Alkohol. Laut hiesigem Recht sind bis zu 0,5 Volumenprozent erlaubt, was ca. dem Verzehr einer sehr gereiften Banane entspricht. Mittlerweile ringt der weinbrandt der AlkAskese sogar manch positiven Aspekt ab: Selbst nach dem Genuss von fünf Virgin Daiquiris schläft er wie ein satter Säugling. Sein sonst üppiges Feinkostgewölbe gleicht allmählich einem knuffigen Waschbärbauch. Und war sein bisheriges Credo: „Nüchtern zu schüchtern, voll bin ich toll“, wird der nun latent abstinente weinbrandt immer seltener mit Sätzen wie „Noch mal mit Konsonanten bitte!“ oder „Das Einzige, was du heute Abend aufreißt, ist deine Klotür“ von der femininen High Snobiety abgewiesen. ▪ DER WEINBRANDT RÄT: Bleifrei ist in, darum gerne auch mal ein AUBI (Autofahrerbier) tanken, z. B. Neumarkter Lammsbräu Alkoholfrei aus rein ökologischem Landbau mit seinem süffigen Antrunk und runder, feinherber Note im Abgang.
Two girls on the blog: Belinda und Pezi sind zwei Freundinnen, die mit ihrem Projekt „Uncomfort Me“ die eigenen Grenzen sprengen. Freiwillig stürzen sie sich in Situationen, die das eigene Wohlfühllevel unter null rauschen lassen – und das immer wieder. Ihre Erlebnisse schildern sie in ihrem Blog.
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UNCOMFORT ME – DAS NEUE AKWARD Jeder Mensch hat seinen ganz persönlichen Endgegner unangenehmer Situationen. Die einen können der besten Freundin einfach nicht sagen, dass das neue Teil zu eng sitzt; anderen schaudert es davor, in die FKK-Sauna zu marschieren. Ich selbst schaffe es kaum, im Laden nach einem Preis zu fragen. Und dann gibt es Leute wie Pezi und Belinda. Die zwei Grafikdesignerinnen kamen Anfang 2016 bei n Gläsern Rotwein auf eine ziemlich coole Idee; und so ward Uncomfort Me geboren.
Wie geht man vor? Person A legt Ort, Datum und Zeit fest und sucht eine nette Aufgabe aus, welche sie bis zur letzten Sekunde vor Person B geheimhält – denn diese könnte bei Gelegenheit sofort Reißaus nehmen. Belinda schiebt mir eine Challenge zu. Sie und Pezi hatten diese selbst schon gemeistert – und zudem als schlimmste Aufgabe ihrer bisherigen Laufbahn betitelt. Und das unabhängig voneinander. Die Story, nachzulesen im Blog, trägt den bedeutungsschwangeren Titel „Liebe & Leichenstarre“. Ich wusste nicht, was mich erwartet, als ich mich in den Blogbeitrag einlas und für die nächsten Minuten nicht mehr davon loskam. Zu viel verraten möchte ich nicht, denn es ist einfach ein herrliches Lesevergnügen, die Geschichten rund um die Aufgaben selbst aufzusaugen. Ein paar Schlagworte sollen an dieser Stelle genügen: Kuschelparty (wusste nicht, dass es so was gibt!) – Turnmatten am Boden – dicke Brüste – fremde Körper – gedimmtes Licht – James Blunt – 3 fucking Stunden lang. „Oh mein Gott!“ scheint an dieser Stelle untertrieben. Chapeau, ihr beiden, denn wenn ihr eines habt, dann Eier! Belinda rät: „Fokussiert euch weniger auf die Adrenalin-Challenges, sondern mehr auf die persönlichen Ängste zwischenmenschlicher Natur.“ Und Pezi: „Ein Sparrings-Partner ist wichtig. Er zwingt dich dazu, die Sache wirklich durchzuziehen, ist aber gleichzeitig auch eine Unterstützung. Zu zweit macht es auch einfach mehr Spaß.“ Und so ist es auch. Denn geteiltes Leid ist halbes Leid. Und zusammen ist man weniger allein. ▪ ► uncomfortme.de
TEXT: NURIN KHALIL // COLLAGE: BELINDA FÖRNER
Das Interview zum Text findet ihr auch online auf ► curt.de/mue
„Ich habe Belinda großspurig von meiner 5-monatigen Auszeit in Chile vorgeschwärmt und wie einfach es dort war, neue Sachen auszuprobieren; und von meiner Philosophie, zu jedem Vorschlag Ja zu sagen.“ Darum geht es also bei Uncomfort Me: Neues auszuprobieren, sich selbst wie auch andere dabei aus ihrer Komfortzone zu locken – und das ganz ohne Joko & Klaas’sche Schadenfreude. Denn den Aufgaben stellen sich die beiden immer gemeinsam. „Ein Partner in Crime ist manchmal notwendig, um sich gegenseitig zu pushen, aber auch zu schützen! Wenn wir eines Tages im Altersheim sind (Pezi etwas früher als ich) und es das Internet noch gibt, werden wir uns diese Geschichten gegenseitig vorlesen.“ Und da wären wir wieder am Anfang und bei dem Vorhaben, das einfach mal selbst durchzuspielen.
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ALLEINE REIST MAN WENIGER ALLEINE Fotobeitrag von Christian Gretz zum Thema der Ausgabe. Das Motiv ist während seiner Weltreise in Chile (San Pedro de Atacama) entstanden. Er ist alleine losgereist, fühlte sich aber zu keinem Zeitpunkt seiner Reise wirklich alleine.
Mehr dazu findet ihr auf ► curt.de/mue
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FOTO: CLAUDIA STEINLE
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CvD MÜNCHEN & ART DIREKTION
MITARBEITER DIESER AUSGABE:
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Mirjam Karasek, Melanie Castillo, Tim Brügmann, Lara Freiburger, David Eisert, Simone Reitmeier, Stephie Scherr, Sonja Pawlowa,
SCHLUSSREDAKTION & LEKTORAT
Nurin Khalil, Petra Kirzenberger, Christoph Brandt, Carla Schweizer, Lea Hermann, Heike Fröhlich, Achim Schmidt, Marina Sprenger, Christian Gretz, Yael Curi, Julia Maehner, Katharina Winter, Boyd Olthoff, Franziska Bär, Claudia Steinle, Samy-Jo
Mirjam Karasek. ► mirjam@curt.de
Steinbacher und unser Vorwort-Gott Thomas Karpati.
LITHO & FINAL COUNTDOWN
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Petra Kirzenberger. ► petra@curt.de
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DIE NÄCHSTE AUSGABE # 90 ERSCHEINT IM SOMMER 2018.
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curt München erscheint 3 x im Jahr als monothematisches Magazin in einer Auflage von 6.000–10.000 Stück (je nach
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Finanzierungslage) und liegt kostenlos in der Stadt (siehe curt-Dealer weiter unten) aus.
Fax: 089 520 306 15 E-Mail: muenchen@curt.de
Das idealistische Projekt ist der Zusammenarbeit vieler kreativer Köpfe zu verdanken – Redakteure, Fotografen, Illustratoren, Grafiker und Künstler toben sich auf der unkonventionellen Plattform aus. 100 % DIY. Non-profit. Romantik pur! Der Druck der Ausgabe wird durch Anzeigen und Förderer finanziert. Danke an dieser Stelle an alle, die uns unterstützen!
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