NZZ - 2015

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NZZ-ZEITUNG FÜR DIE SCHWEIZ 21.5.2015, 05:30 Uhr

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Digitale Geschäftsmodelle Spielerische Motivation für einen gesunden Lebensstil

Das Smartphone ist auf Schritt und Tritt dabei. Dies machen sich vermehrt auch Versicherungsdienstleitser zu Nutze. (Bild: Imago)

Unternehmen wie Dacadoo profitieren vom Sammeln und Auswerten von Gesundheitsdaten. Im Ausland wird eHealth schon umgesetzt, u. a. für Lebensstil-basierte Versicherungen. (gvm.) Was einst mit simplen Schrittzählern begann, ist mittlerweile ein Milliardengeschäft geworden: am Handgelenk getragene Fitness-Bänder. Mit diesen elektronischen Gadgets – die mit der Lancierung der Apple Watch weiter an Bedeutung gewinnen dürften – lassen sich nicht nur die zurückgelegten Schritte

messen, sondern auch Kalorienverbrauch, Herzfrequenz und noch vieles mehr, aus dem wertvolle Daten für die Gesundheitsvorsorge gewonnen werden können. Doch sie sind nur die Speerspitze einer fortschreitenden Digitalisierung des Gesundheitswesens, die im Vergleich mit anderen Bereichen noch um Jahrzehnte im Rückstand liegt.

Anreize anders gesetzt Quasi ein stiller Startschuss für die digitale Bonanza war 2010 die Gesundheitsreform in den USA (Obamacare), mit der plötzlich die Anbieter ein Interesse hatten, ihre Gesundheitsdienstleistungen möglichst gut und effizient zu machen. Um

das zu messen, braucht es jedoch Daten in digitaler Form. Dank dem immer beliebter werdenden Fitness-Tracking gibt es im privaten Bereich plötzlich ein Fülle von Daten, auf denen neue Geschäftsmodelle aufgebaut werden. Dass sich abseits des stark reglementierten staatlichen Gesundheitssektors mit dem Thema bereits Geld verdienen lässt, zeigt die Vielzahl innovativer Unternehmen. Laut Zahlen von Rock Health flossen allein im vergangenen Jahr 4,1 Mrd. $ in sogenannte Digital Health Companies. Die junge New Yorker Krankenversicherung Oscar Health zum Beispiel setzt in ihrem Angebot voll auf Technologie und belohnt ihre 40 000 Kunden, die sie in Seite 1


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nur zwei Jahren gewonnen hat, mit Prämienermässigungen für ihren gesunden Lebensstil. Dass der Tatbeweis digital erfolgt, versteht sich von selbst. Ein anderes Unternehmen, das mit digitalen Gesundheitsdienstleistungen Erfolg hat, ist Omada Health in San Francisco. Die Firma offeriert ein von Experten begleitetes Gesundheitsprogramm zur Prävention gewichtsbedingter Diabetes Typ 2. Das Startpaket enthält eine mit dem Handynetz verbundene Waage und ein von der Gesundheitsbehörde unterstütztes Lernprogramm. Der Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmern und ihren Coachs erfolgt via Smartphone.

Prämierte Schweizer App Obwohl das reglementarische Umfeld in der Schweiz nicht vergleichbar ist und das Thema E-Health noch in den Kinderschuhen steckt, gibt es auch hier schon Anbieter, die damit Geschäfte machen. Die von Peter Ohnemus gegründete Firma Dacadoo hat einen Gesundheitsindex (früher Quentiq Health Score) entwickelt, der sich aus einer Vielzahl von Vitaldaten (Bewegung, Schlaf, Ernährung) zusammensetzt, in den aber auch individuell definierte Gemütszustände hineinfliessen. Die rund 100 verschiedenen Datenpunkte (u. a. Puls, Säuregehalt des Bluts, erbliche Voraussetzungen, Gewicht), die

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den Wert bestimmen, werden über eine ( mehrfach prämierte ) App im Smartphone erfasst. Angaben, die schon digital vorliegen, z. B. das von einer elektrischen Waage gemessene Körpergewicht oder der via Brustgurt erfasste Puls, fliessen automatisch in den Index ein. Wie gut das jeweilige subjektive Empfinden ist, muss jedoch von Hand erfasst werden. Entwickelt wurde die Serverplattform und die Verschlüsselungstechnik vom Zürcher Softwareunternehmen Ergon Informatik. Erster Kunde der Zürcher Firma, die mittlerweile 25 Personen beschäftigt, war 2012 die private britische Gesundheitsstiftung Nuffield Health, die gleichzeitig 1 Mio. £ investierte und 49% an Dacadoo übernahm. Im Rahmen einer geplanten Kapitalerhöhung wird das Aktionariat auf eine breitere Basis gestellt, erklärt Ohnemus, der Hauptaktionär bleibt. Nuffield Health betreibt 31 Spitäler, 42 Privatkliniken und rund 200 Fitnesszentren und versichert mit eigenen Ärzten 3,2 Mio. Arbeitnehmer. Laut Ohnemus nehmen je nach Fall 20% bis 80% des Personals der 1800 Firmen, die dieser Versicherung angeschlossen sind, an der betrieblichen Gesundheitsförderung teil. Um die Nutzer zu motivieren, einen aktiven Lebensstil zu führen, werden sie bei Dacadoo dazu angehalten, ihre Erfolge mit anderen zu teilen. Zudem kann der

Einzelne in der App individuelle Ziele definieren und laufend verfolgen, ob er sie auch einhält. Dacadoos Kunden sind Unternehmen, die pro Mitarbeiter monatlich eine Gebühr von 5 Fr. zahlen. Im März wurde mit der deutschen Krankenversicherung AOK ein grösserer Vertrag abgeschlossen, und im April entschied sich der skandinavische Gesundheitskonzern Stamina, Dacadoos Lösung in sein Angebot an betrieblichen Gesundheitsförderungsprogrammen aufzunehmen. Auch in der Schweiz habe er schon einige Kunden, sagt Ohnemus, Krankenkassen befänden sich aber nicht darunter.

Erst ein Anfang Der gebürtige Däne und frühere Chef des Schweizer Dot-Com-Flops Fantastic ist fest davon überzeugt, dass es in Zukunft auch in der Schweiz auf dem individuellen Lebensstil basierende Versicherungen geben wird. Derzeit ist das nicht erlaubt. Schon aus finanziellen Überlegungen sei dieser Trend aber nicht aufzuhalten. Einerseits seien die staatlichen Gesundheitssysteme allein wegen der demografischen Entwicklung bald pleite, andererseits könnten die Versicherungen in Zeiten von Negativzinsen nicht mehr überleben, sagt er.

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