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Nr.14/September – November 2008 www.daheim-magazin.de
Liebe Leser, SCHEITERN ist überbewertet. Scheitern ist nicht schlimm. Schlimm ist nur die Angst zu scheitern, denn sie hemmt. Konstantin Wecker weiß davon ein Lied zu singen. Deswegen haben wir mit ihm gesprochen. Wir haben uns auch aus programmatischen Gründen für diesen Titel entschieden.
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Die Pause ist vorbei. Daheim wird nun wieder regelmäßig alle drei Monate erscheinen. Allerdings haben wir das Magazin überarbeitet, entrümpelt und neu strukturiert. Vom monothematischen Konzept ist die Titelgeschichte übrig geblieben, mit der sich auch eine Fotostrecke auseinandersetzt. In der Rubrik „Denk ich an Deutschland“ sprechen Menschen, von denen man sonst selten etwas hört, über dieses Land. Das Ressort „Sterben lernen“ thematisiert Veränderungen in ihren vielfältigen Erscheinungsformen, denn ohne Vergehen kein Werden. Außerdem gibt es in daheim von nun an drei neue Kolumnen: Meredith Haaf schreibt über Gleichberechtigung, Heinz Helle über Freiheit und Selbstbeschränkung und Philipp Mattheis zieht Parallelen aus der Vergangenheit. Viel Spaß beim Lesen und beim Scheitern!
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EDITORIAL
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INHALT
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DENK ICH AN DEUTSCHLAND Menschen, die sonst niemand fragt, sprechen über dieses Land
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SCHEITERN
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VON EINS BIS ZEHN Dinge, die wir über das Scheitern gelernt haben
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„SCHEITERN HAT KEINE CHANCE MEHR“ Der Sänger Konstantin Wecker ist Profi im Scheitern. Ein Interview
KOLUMNE 14
DAMENGEDECK
Meredith Haaf über Pornografie
INHALT 3
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STERBEN LERNEN
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ZWISCHEN DEN STEINEN DAS LEBEN Zu Besuch in einem sterbenden Dorf in Sachsen
KOLUMNE 20
VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG Philipp Mattheis und der Fritzl des Mittelalters
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LICHT SCHEITERN in Bild zusammengestellt von Jakob KOLUMNE
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SELBSTBESCHRÄNKUNG Heinz Helle im Freibad
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IMPRESSUM
Wierzba
PROPAGANDA Text HEINZ HELLE Design THEY
DENK ICH AN DEUTSCHLAND NAME DER RUBRIK
Menschen, die sonst niemand fragt, sprechen 端ber dieses Land
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DURIAN, 46 LE EBT SEIT 17 JAHREN VON ROHKOST
ING GE PILS, 64 BE ETREIBT DIE E KNEIP PE „DU UND I“
Aufgezeichnet von CHRISTOPH GURK
Aufgezeichnet von CHRISTOPH GURK
Ich weiß nicht, was mich am Bodybuilding so fasziniert hat. Schon mit sechs Jahren habe ich heimlich den Bodybuildern beim Training zugesehen. Mein Vater machte sich über sie lustig, ich aber war begeistert. Mit 14 fing ich mit Gewichtheben an, heimlich, in einer alten Turnhalle. Vor Muskelschmerzen konnte ich kaum gehen, aber ich bekam Respekt. Ein Jahr später landete ich beim Bodybuilding. Damals kam es mir wie Kunst vor, den Körper so zu modellieren, wie man es sich wünscht. Innerhalb von einem Jahr nahm ich 20 Kilo Muskelmasse zu. Ich dachte nur an Erfolg, dicke Muskeln und aß Unmengen Fleisch. Mit 17 nahm ich das erste Mal Anabolika. Durch die Steroide wurde ich krank und brach in einer Disco zusammen. Auf der Intensivstation hatte ich einen Blutdruck von 220, mein Herz war vergrößert, die Nieren waren entzündet und die Leber stand vor dem Kollaps. Der Arzt sagte, wenn ich weiter so mache, werde ich keine 30 Jahre alt. Ich brach mein Training ab - trotzdem kamen Jahre später die Lebertumore,
Ich war schon immer ein Nachtmensch. Als ich das „Du und I“ vor zehn Jahren mit meinem Mann aufgemacht habe, hatten wir nur eine Konzession bis um zehn Uhr abends. Wenn die Kneipe zu war, bin ich noch weggegangen. Heute stehe ich bis um vier oder fünf Uhr morgens hinter dem Tresen. Zu Hause kann ich meistens nicht gleich einschlafen, trotzdem bin ich um acht Uhr morgens wieder wach. Ich bin jetzt 64, vielleicht braucht man weniger Schlaf, je älter man wird. Die meisten meiner Gäste sind außerdem Stammgäste, wenn die sagen „Inge, ein Bier geht noch“ dann kann ich nicht einfach zumachen. Viele kommen jeden Tag und ich kenne alle ihre Probleme. Ich glaube, eine gute Wirtin ist immer auch eine gute Psychologin. Eigentlich habe ich Kartonagentechnik gelernt, dann aber in der Firma meines Mannes gearbeitet. 1989 haben wir die Kneipe aufgemacht und zusammen geführt, bis mein Mann gestorben ist. Heute führe ich das „Du und I“ alleine. Eigentlich läuft es ganz gut, aber ich merke, dass
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Spätfolgen der Anabolika. Das war ein Schock, eine Chemotherapie wollte ich aber unter keinen Umständen. Ich war Vegetarier und hatte Bücher über Ernährung gelesen. Ich begann zu fasten und stellte meine Ernährung auf Rohkost um, aß nur noch Gräser und Blätter und warf mich auf Wiesen, um Gras zu fressen wie ein Rindvieh. Oft erbrach ich mich. Nach einiger Zeit nahm ich auch Früchte zu mir und machte Wanderungen. Ein halbes Jahr später ging ich zum Arzt. Die Tumore waren verschwunden. Heute lebe ich seit über 17 Jahren konsequent nur von Rohkost. Fremde reagieren oft heftig auf meine Form der Ernährung, jahrelang wurde ich Grassfresser genannt. Meine Freunde und Verwandten akzeptieren meine Ernährung, betonen aber immer gerne, wie wichtig Fleisch sei und dass man doch nicht so extrem sein müsse. Die Deutschen mögen oft kleinkariert sein, aber je weiter südlich man kommt, desto freier, freundlicher und weniger dogmatisch werden sie. Ich bin ein Exot und hier in Bayern ganz gut aufgehoben. An Deutschland stören mich die Politik und die versteckte Diktatur, die auf Menschen ausgeübt wird, die keinen festen Arbeitsplatz haben. Trotzdem gefällt es mir hier einigermaßen, vor allem die soziale Sicherheit - und natürlich das satte Grün.
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einige Gäste nicht mehr kommen, weil alles teurer geworden ist und natürlich wegen des Rauchverbots. Wenn das Gesetz so geblieben wäre, hätte ich bestimmt zumachen müssen. Das war ein großes Thema hier, sonst reden wir aber wenig über Politik. Ich versuche das zu vermeiden, die meisten haben dann schon etwas getrunken und solche Gespräche arten gern in Streit aus. Deutschland ist toll, aber ich würde auch gerne in Spanien leben, am Meer. Eine Kneipe würde ich da aber nicht mehr aufmachen. Dafür bin ich einfach zu alt.
IRIN NA, 63 BE ESSERT IHRE RE ENTE MIT T PFANDFLASCH HEN AUF
CONCHA RÖSSLER, 24 UND KILLA SCHÜTZE, 29 LEBEN ALS SURFLEHRERINNEN IN PORTUGAL
Aufgezeichnet von CHRISTOPH GURK
Aufgezeichnet von GORDON REPINSKI
Vor zwei Jahren habe ich das erste Mal Flaschen gesammelt. Ich habe mich damals gewundert, wieso niemand die Flaschen selbst zum Supermarkt bringt und ob ich die einzige bin, die auf die Idee gekommen ist. Heute komme ich fast jeden Abend, vorausgesetzt, es ist schönes Wetter. Manchmal kann ich gar nicht alle Flaschen mitnehmen, dann lasse ich die Glasflaschen liegen und nehme nur die Plastikflaschen mit. Die sind leichter und bringen auch mehr Geld, aber dafür gibt es auch weniger davon – die meisten trinken eben Bier und keine Cola. Wenn ich Glück habe, dann kann ich sechs bis sieben Euro pro Abend verdienen, das ist ganz schön viel, wenn man nur eine kleine Rente hat. Ich bin 63 und habe eigentlich mein ganzes Leben gearbeitet. Zuerst in einer Fabrik in Griechenland, dann sind wir 1975 nach Deutschland gekommen. Hier war ich Hausfrau, mein Mann war bei BMW. Gut verdient hat er nie und wir haben uns oft gestritten. Irgendwann ist er ausgezogen und ich habe mir eine Arbeit gesucht. Vor dreieinhalb
Freunde, unsere Kindheit, die Vergangenheit – das ist für uns Deutschland. Und viele Regeln und Verbote. Es ist manchmal auch wie das Gegenteil von Freiheit. „Schon wieder Weihnachten!“ Diesen Satz hört man so oft in Deutschland. Weil die Zeit so schnell vergeht, man sie einfach vergehen lässt. Seit ein paar Jahren sind wir hier an der Algarve. Zuerst nur für ein paar Tage im Urlaub. Irgendwann haben wir dann unsere Jobs als Art Direktorin in einer Werbeagentur und Tänzerin aufgegeben. Seit wir hier arbeiten, ist Portugal unser Zuhause geworden. Surfen hat unser Leben verändert. Es macht glücklich, auf dem Wasser zu sein. Man ist alleine mit dem Brett, der Sonne und dem Meer. Draußen, in der Natur. Den ganzen Tag. Die schönsten Erinnerungen an Deutschland kommen aus unserer Jugend. Mit den Freunden an einem Sommerwochenende an den Badesee fahren. Die Zeit und das Wetter genießen.
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Jahren musste ich aufhören, wegen meines Rückens. Seitdem bekomme ich eine kleine Rente und mein Sohn unterstützt mich. Das reicht nicht immer, alles ist so teuer geworden. Also habe ich angefangen, die Flaschen zurückzugeben, die ich so gefunden habe. Mein Sohn würde das nie zulassen, aber zum Glück wohnt er in Mannheim und weiß nichts davon. Manche Jugendlichen kennen mich schon und bringen die Flaschen direkt zu mir, dann unterhalte ich mich kurz mit ihnen. Ein paar Mal wollte mir jemand Geld schenken, aber das mag ich nicht, ich bin keine Bettlerin. Oft machen die Leute Witze über mich oder gucken komisch, aber das nehme ich ihnen nicht übel. Ich glaube viele Deutsche wissen einfach nicht, wie es ist, kein Geld zu haben. Aber die meisten jungen Leute sind nett, auch wenn ich nicht verstehen kann, wieso sie ihre Flaschen nicht selbst zurückbringen. Verdienen die so viel Geld, dass es ihnen egal ist? In Griechenland sind die Leute viel ärmer, die schmeißen nicht so viele Sachen weg.
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Manchmal fehlen einem in Portugal natürlich auch ganz einfache Dinge: das deutsche Essen, Schwarzbrot, Käse und Schnitzel. Auch das Stadtleben, die Tage und Nächte am Hamburger Hafen, die Schiffe. Die Freiheit, die man auch dort spürt. Und die verschiedenen Kulturen. Verrückt, da ist man im Ausland und plötzlich fehlen einem die verschiedenen Kulturen, die es in der Heimat gibt. Und die Gesundheitsversorgung ist auch in Deutschland besser. Aber deshalb zurückgehen? Wegen der Rente vielleicht? Das ist für uns kein Grund. Wirkliche Sicherheit gibt es mittlerweile doch auch in Deutschland nicht mehr. Unsere Zukunft liegt am Meer.
SCHEITERN NAME DER RUBRIK
Scheitern kann schรถn sein. Warum haben wir so viel Angst davor?
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1. SCHEITERN HÄNGT VON DER PERSPEKTIVE AB
Scheitern ist das Fehlschlagen eines Vorhabens. Je größer das Vorhaben, desto höher die Gefahr zu scheitern.
2. ES IST SCHON ALLES GESAGT ÜBERS SCHEITERN “He who has never failed somewhere, that man cannot be great.” Hermann Melville “I don‘t know the key to success, but the key to failure is trying to please everybody.” Bill Cosby „Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ J. W. Goethe “Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better.” Samuel Beckett
3. EINER VERLIERT IMMER
Bei Nullsummenspielen verliert (anders als Politiker manchmal behaupten) immer jemand. Spieltheoretisch ist ein Spiel, bei dem keiner etwas verliert, kein Spiel. Nullsummenspiel bedeutet schlicht, dass die Summe aller Gewinne und aller Verluste am Ende Null ergibt. SPD minus zehn, Linke plus zehn bei insgesamt 100 Prozent zum Beispiel. Auch war die Bundesliga ein Nullsummenspiel, bevor man für einen Sieg drei Punkte bekam.
VON EINS BIS ZEHN Dinge, die wir über das Scheitern gelernt haben. Von ADRIAN RENNER und PHILIPP MATTHEIS
4. NOCH NIE DURFTEN WIR SO VIEL SCHEITERN WIE HEUTE
Das große bürgerliche Projekt, die Institutionalisierung der Liebe in der Ehe geht zu Ende. Quantitativ lässt sich das so aussagen: vor 18 Jahren wurden noch 516.000 Ehen geschlossen und 155.000 geschieden. 2005 betrug die Zahl der Eheschließungen nur noch 388.000, die der Scheidungen aber 202.000. Qualitativ bedeutet es schlicht, dass wer scheidet, nicht mehr scheitert.
5. NOCH NIE DURFTEN WIR SO WENIG SCHEITERN WIE HEUTE
Dafür gibt es ein neues, großes bürgerliches Projekt, in dem Scheitern keinen Platz mehr hat: Die Institutionalisierung der eigenen Biografie im Lebenslauf. Früher hat man Menschen danach beurteilt, für was sie stehen. Heute beurteilt man Menschen nach einem DINA4-Zettel, auf dem steht, welche Erfolge sie in ihrem Leben hatten.
6. SCHEITERN IST JÄMMERLICH
Man kann sehr erhaben scheitern wie Hannibal, der nach dem 2. Punischen Krieg in Kleinasien Selbstmord beging. Man kann auch wie Napoleon in Waterloo Würde finden und damit in die Geschichte eingehen. Und man kann so richtig beschissen versagen. Einfach zu blöd für etwas sein. Dann landet man hier: www.failblog.org
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7. WER SCHEITERT, IST IN GUTER GESELLSCHAFT
Selbst Gott scheitert: Am Bösen. Das Schlechte auf der Welt ist mit der Allmacht eines guten Gottes nicht vereinbar. Entweder nämlich will Gott das Böse beseitigen und kann es aber nicht: Dann ist er nicht allmächtig. Oder er kann es zwar, will es aber nicht: Dann ist er kein guter Gott. Wenn er das Böse aber beseitigen will und kann – warum tut er es dann nicht? Nachdem das Theodizee-Problem Theologen über Jahrhunderte beschäftigt hat, tendiert man heute zur schlichten Variante: Es gibt keine Lösung.
8. SCHEITERN ALS CHANCE FUNKTIONIERT AUCH NICHT IMMER
Scheitern als Chance, so heißt ungefähr 90 Prozent der allesamt unnützen Ratgeberliteratur zum Thema – und 1998 der Wahlslogan der von Christoph Schlingensief gegründeten Partei der Arbeitslosen und von der Gesellschaft Ausgegrenzten. Wahlprogramm: Alle Arbeitslosen Deutschlands baden gleichzeitig im Wolfgangsee bei Salzburg, um das am Ufer gelegene Sommerdomizil Helmut Kohls zu überschwemmen. Hat natürlich auch nicht geklappt.
9. MAN KANN SCHEITERN, OHNE JE ETWAS ZU TUN
Im-Konjunktiv-Leber haben immer etwas vor. Sie haben die faszinierendsten Pläne und oft sogar die Fähigkeit, ihre Zuhörer dafür zu begeistern: aus Indien Handtaschen importieren, gebrauchte Unterwäsche an Fetischisten in Japan verkaufen oder einfach mal die
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Hausarbeit schreiben. Die Hausarbeit aber müssen sie richtig gut machen und deswegen mindestens doppelt so viele Bücher als nötig lesen. Schließlich wollen sie nicht irgendeine Hausarbeit abgeben, sondern eine der besten, die je geschrieben wurden. Am Ende passiert nichts von alle dem. Warum? Hinter dem vermeintlichen Perfektionismus versteckt sich die panische Angst, an den eigenen hohen Ansprüchen zu scheitern.
10. SCHEITERN IST EIN GUTES ÄSTHETISCHES PRINZIP
„Alles ist eitel“, sagte Martin Luther und meinte damit, dass alles menschliche Schaffen vergänglich und im Vergleich zur Herrlichkeit Gottes nichtig ist. „Vanitas“-Motive in Form von Totenköpfen und anderen morbiden Symbolen prägten die abendländische Kunst bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Um angesichts dieser Nichtigkeit des menschlichen Daseins eine Rechtfertigung für das eigene Schaffen zu finden, gestanden sich die Künstler ihr Versagen im Vornherein ein. Sie gefielen sich in der Pose des Scheiterns. Erst mit der Aufklärung wurde dieser Demutsgedanke durch ein neues Selbstbewusstsein ersetzt.
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als etwas Produktives erweist, bei dem aus einer Niederlage etwas Neues entsteht? Oder geschieht das immer nur in der Retrospektive? Es geschieht in dem Moment, in dem der Schmerz am tiefsten ist und die Lage ausweglos erscheint. In dem man merkt, dass nichts von dem, was man sich vorgenommen hat, funktioniert. Ein Beispiel? Ja, bitte. Ich war zweimal im Gefängnis und ich habe beide Male, bei allem Leid, Ärger und Tränen, ein Gefühl der Freiheit gespürt wie sonst nie im Leben. Beim ersten Mal war ich gerade 19. In diesem Moment war ich so nah bei mir selbst, so sehr in der Gegenwart, dass ich nichts
„SCHEITERN HAT KEINE CHANCE MEHR“ Illustration Ekaterina Grizik Der Sänger und Pianist Konstantin Wecker ist ein Profi im Scheitern. Ein Interview ADRIAN RENNER und PHILIPP MATTHEIS.
Herr Wecker, Sie haben Ihre Autobiographie „Die Kunst des Scheiterns“ genannt. Impliziert das, dass es ein richtiges und ein falsches Scheitern gibt? Das impliziert zunächst, dass es eine Kunst gibt, Scheitern zu erlernen und ihm zu begegnen. Ich habe das Buch so genannt, weil ich mein Leben ausschließlich unter dem Aspekt meiner Niederlage betrachten wollte. Meine Niederlagen haben mich immer weiter gebracht als meine Erfolge. Erst durch sie habe ich einen anderen Blick auf mich und das Leben bekommen. Können Sie diesen Moment beschreiben, in dem sich das eigene Scheitern
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weiter brauchte. Mir wurde bewusst, dass ich viel weniger benötige, als ich zuvor immer gedacht hatte. Jetzt, 40 Jahre später, weiß ich, dass ich damals etwas sehr Wichtiges gelernt habe: Freiheit bedeutet nicht, sich einfach alles zu nehmen, was man möchte. Es bedeutet nicht nur, seine Bedürfnisse und Triebe zu befriedigen. Freiheit bedeutet auch, etwas sein zu lassen. Scheitern führt also zu einer Reduktion auf das Wesentliche? Beim zweiten Mal war dieses Gefühl noch eindeutiger. Ich war drogenabhängig. Ich habe das Kokain gebraucht, um gesellschaftsfähig zu sein. Ich ging irgendwohin, langweilte mich und anstatt wieder zu
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Ich sage nur, dass einen eine Situation, in der alles Äußere wegbricht, nach innen führen kann. Als ich damals aus dem Knast entlassen wurde, war ich öffentlich geächtet und saß auf einem ungeheuren Schuldenberg. Ich war geld- und ehrlos – und trotzdem gab es in dieser Zeit Moment, die zu den glücklichsten und intensivsten meines Lebens gehören. Weil ich in mir etwas gespürt habe, das von alle dem Äußeren unberührbar ist. Entscheidet man selbst oder die anderen, wann man gescheitert ist? Man muss es für sich selbst entscheiden. Die einzige Chance, durch Scheitern weiterzukommen, ist es anzunehmen. Solange man die Schuld immer nur an-
sere Gesellschaft liberalisiert – was Haarlängen, Sex und die Art der Lebensführung angeht. Ist es heute… Ich möchte widersprechen! Nach außen hin – ja. Aber wenn man genauer hinsieht, hat sie sich nur ökonomisiert. Je spießiger man selbst ist, je genormter wir werden, desto mehr Interesse haben wir an den wenigen, die ausbrechen und dran kläglich scheitern. Wir leben doch mit und durch eine zerbrechende Britney Spears. Wir lassen sie für uns leben. Im tiefsten Innern hat jeder Mensch diesen Wunsch nach Exzess, nach Grenzerfahrungen, etwas, das uns hinter die genormte Realität blicken lässt. Ist das nicht heute viel schwieriger ge-
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gehen, nahm ich Drogen. Der große Knall hat mich wieder auf mich selbst zurückgeworfen. Schon in der ersten Stunde meines Gefängnisaufenthalts wurde mir klar: Das hätte ich eigentlich schon seit Jahren freiwillig tun müssen, mir endlich Zeit wieder für mich zu nehmen, Zeit für die Stille zu nehmen. In diesem Moment hatte ich oberflächlich alles verloren, doch gleichzeitig mehr gewonnen als in all den Jahren zuvor. Das hört sich so an, als müsste jeder einen einmal grandios versagen und im Gefängnis sitzen, um sich selbst zu spüren. Führen einen nicht auch Erfolge zu sich selbst? Ich will das Scheitern nicht glorifizieren.
deren, dem Staat oder der Gesellschaft gibt, wird man keinen geistigen Gewinn daraus ziehen können. Muss man das immer selbst erleben, kann man nicht aus dem Scheitern anderer lernen? Es gibt einen großen Unterschied zwischen angelesenen und erlebten Wissen. Wann wird einem Menschen klar, dass sein Leben vergänglich ist? Intellektuell wissen wir es natürlich alle, aber die eigene Sterblichkeit zu empfinden, ist etwas ganz anderes. Erst durch die eigene Erfahrung wird daraus ein lebendiges Wissen. In den letzten 40 Jahren hat sich un-
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es damals nicht. Empfindet ihr das nicht so? Natürlich gibt es diesen Druck, aber es ist doch nichts Verwerfliches, ein Bedürfnis nach Sicherheit zu haben und sich zu überlegen, wie man später leben will. Aber ist das nicht vielleicht schon die Grenze? Überhaupt zu denken, dass es nicht verwerflich ist, ein Sicherheitsbedürfnis zu haben? Man kann ja auch der Meinung sein, dass es völlig bescheuert ist, sich als junger Mensch Gedanken darüber zu machen. Sie gelten als politisch links. Viele Leute halten das linke Projekt und den
Haben wir zuviel Angst vor dem Scheitern? Ja. Wir können uns zwar ab und an mal einen Lapsus erlauben, aber im Berufsleben gibt es für Niederlagen keinen Platz mehr. Wir sind eine solche leistungsfixierte und erfolgsorientierte Gesellschaft geworden, dass die Menschen sich ihr eigenes Scheitern nicht mehr eingestehen können. Scheitern hat keine Chance mehr.
Links: www.wecker.de www.hinter-den-schlagzeilen.info
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worden? Grenzen kann man doch nur überwinden, wenn sie andere setzen. Heute ist fast alles erlaubt. Die Grenzerfahrung liegt heute darin, sich mit seinem ganzen Sein in etwas zu stürzen. Wie meinen Sie das? Eine Grenze gilt doch für die junge Generation ganz massiv: Niemand darf in seiner Jugend riskieren, später mal keinen Job zu bekommen. Ihr habt doch eine solche Panik, später keinen Job zu bekommen und deshalb schwimmt ihr mit. Das war in meiner Generation so was von scheißegal, weil uns klar war: Einen Job kriegst eh irgendwann, überleben tust auch irgendwie. Diesen Arbeitsdruck gab
real existierenden Sozialismus für gescheitert. Ärgert Sie das? Das linke Projekt ist meines Erachtens genauso gescheitert wie der Kapitalismus. Beide ideologische Systeme haben versagt und jetzt läge es an uns allen, an euch und an mir, einen dritten, nichtideologischen Weg zu entwerfen. Und wie soll der aussehen? Ich glaube, dass es über Netzwerke funktionieren wird. Ich finde es schön, was in den Sozialforen geschieht. Die zündende Idee wird nicht von einem einzelnen kommen nicht. Eine gerechtere Welt kann nur über eine ehrliche Demokratisierung geschehen, die die Menschen miteinander verbindet.
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Konstantin Wecker, 1947 in München geboren, macht sich Ende der 60er in der Kleinkunstszene als Sänger und Pianist einen Namen. 1977 gelingt ihm mit der LP „Genug ist nicht genug“ der Durchbruch. Kultstatus erlangt seine Ballade vom erschlagenen „Willy“. Weckers Kokainsucht erreicht Mitte der Neunziger ihren Höhepunkt: Er raucht täglich bis zu sieben Gramm gebastes Kokain. 1995 wird er verhaftet und nach mehreren Gerichtsverhandlungen im Jahr 2000 schließlich zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Wecker engagiert sich gegen Rechtsextremismus und für die Friedensbewegung. Er ist verheiratet und Vater zweier Söhne.
DAMENGEDECK Illustration Eva Maria Heier Frauen und Männer sind gleich. MEREDITH HAAF sagt, was fehlt.
Herzlich willkommen! Kaffee? Schnaps? Pole Dancing ist in China übrigens das neue Aerobic, so dokumentierte das neulich die New York Times. Der Ausdruck entstammt dem Fachjargon des Rotlichtmilieus und bezeichnet die Praxis westlicher Animierdamen, auf Podesten zu stehen und sich zur sexuellen Unterhaltung anderer in Unterwäsche um geölte Stangen zu schwingen. Diese Tätigkeit ist körperlich sehr anstrengend und hat Auswirkungen auf die Muskulatur und Fitness, die vergleichbar mit Pilates sind. Wie bei weltweiten Tendenzen oft der Fall, sind die USA dem Rest der Welt auch beim Stangentanz weit voraus. Seit einigen Jahren gilt es unter Mittelschichtsdamen als de rigeur, zur Fitnesserhaltung regelmäßig um
die Stripper Pole zu dancen. Eine große amerikanische Supermarktkette erregte Anfang des Jahres Aufsehen, als sie kürzere, rosafarbene Stangen auf den Markt brachte: Für die siebenjährige Sportlerin. Und jetzt also auch China. Feministinnen von heute, zumal wenn sie weiß, akademisch und unter 50 sind, zeichnen sich ja – anders als die restlichen Teilnehmer am medialen Diskurs – unter anderem durch ihren Hang zur Selbstreferenz aus. Das haben ranghohe Frauenbewegerinnen und kritische Beobachterinnen in den letzten Monaten jedenfalls mehrfach festgestellt. Ich will da keine Ausnahme machen und biete hiermit ein Geständnis: Als grundsätzlich sehr verklemmte Person fällt mir das Gespräch
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über sexuelle Angelegenheiten eigentlich schwer und ist ohne den Einfluss mehrprozentiger Getränke eigentlich unmöglich. Ungünstig, denn meinem Wunsch, ein Leben ohne Sexualrhetorik zu führen, steht nicht nur ein unbestreitbares Interesse an der Materie im Weg, sondern auch die Realität. Feministinnen halten seit den Siebziger Jahren das Private für politisch. In der Natur des Privaten liegt es auch, sexuell zu sein und daher ist in jedem Eck der feministischen Debatte ein bisschen Pornografie versteckt. Oder wenigstens irgendwer, der über den ganzen Kram reden will. Kein anderer Wert wird Feministinnen so oft abgenommen, wie ihr pornografischer Puls. Überhaupt haben wenige Themen
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so stark zur Differenzierung im Feminismus weltweit beigetragen. Perfides Fickbildmaterial! Denn das Problem dabei ist, dass es eben nicht nur ein Problem gibt. Fängt man einmal an darüber nachzudenken, steht man ganz schnell vor einem Zentralmassiv aus ästhetischen, sozialen und manchmal auch politischen Fragen. Wer da weniger als ein Leben braucht, um zum Ergebnis Pro-Porno oder Anti-Porno zu kommen, hat geschummelt. Leider verhält es sich mit Pornos so: Interesse oder Lust werden eigentlich nur durch eine Idee der pornografischen Situation generiert. Das Produkt selbst rechtfertigt die ganze Aufregung in keiner Weise. Gleichzeitig ist die pornografische Logik überall – in der Werbung, der Mode,
aber offenbar nicht jenes Sexy gemeint, dass ein starker, geschmeidiger Körper seiner Besitzerin verleiht – das gibt es nämlich beim Joggen, Klettern oder Volleyball auch. Beinspreitz-Sexy richtet sich explizit an einen Zuschauer. Es ist ein normiertes, professionelles Sexy, eines, das die Pornografie – im weitesten Sinne – generiert hat. Und es ist bemerkenswert, wie sehr es sich verzahnt hat mit der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung von Frauen auf der ganzen Welt. Der große Michel Foucault hat jahrelang darüber geschrieben und gesprochen, dass die sexuelle Befreiung (und damit die Explosion der Pornografie) keineswegs Symptom einer bürgerlichen Freiheit sei, sondern im Gegenteil die Menschen mit
Meredith Haaf ist Mitbetreiberin des feministischen Blogs: http://maedchenmannschaft.net/ und Co-Autorin des Buches „Wir Alphamädchen“.
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mancher Popmusik, in der Selbstdarstellung 2.0. Einer ästhetischen oder philosophischen Beurteilung dieses Umstands stellt sich dann immer das Problem des Freiheitsanspruchs in den Weg. Auf den ersten Blick scheint es nämlich nur die Wahl zwischen sexfeindlicher Klemmhaltung und lethargischer Passt-SchonHipsterei zu geben. Nichts davon ist befriedigend, und weil dieser Umstand sehr mühsam ist, kann sich zwischendurch durchaus die Frage aufdrängen, warum man jetzt nicht den Porno einfach Porno sein lassen kann. Unter anderem wegen Trendsportarten. Viele Frauen geben als Hauptgrund für die Stangenübungen an, sie würden sich dabei besonders sexy fühlen. Damit ist
weitaus stärkeren Zwängen belege, als in einer „repressiven“ Gesellschaft jemals der Fall. Wenn jetzt die Chinesinnen froh und munter an der Stange rutschen, könnte man dazu mit den Schultern zucken. Vielleicht lohnt es sich aber, darüber nachzudenken, warum sich in China die westliche Pornoästhetik durchsetzen kann, freilich ohne dass sich dort viel mehr liberalisiert hat als Wirtschaftssystem: Vielleicht hat wahre Freiheit heute etwas damit zu tun, eine Ästhetik und eine Sexualität zu finden, die sich von der Pornografie nicht beeindrucken lässt. Und deswegen bleibt nach wie vor nichts übrig, als immer weiter über Sex und so weiter zu denken und zu reden.
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Ich höre dich sagen mehr leise als laut »Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut« Tocotronic, Let there be Rock
ZWISCHEN DEN STEINEN DAS LEBEN Illustration Sebastian Schöpsdau In Großrückerswalde, Sachsen, ist nicht mehr so viel los. HEINZ HELLE war trotzdem da.
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Die Erde ist steinig im Erzgebirge. Jahrhunderte lang stießen die Bauern beim Pflügen immer wieder auf größere Granitbrocken. Mühsam hoben sie sie auf und warfen sie beiseite, zur Grenze, zum Nachbarfeld. Wo sich die Steine sammelten, wuchsen Bäume. Und in diesen schmalen Grenzwäldern zwischen Feldern, die schon lange nicht mehr bewirtschaftet werden, wachsen heute Hütten. Ohne Geld, ohne Genehmigung, ohne Brandschutzverordnung. Gebaut mit dem einzigen Rohstoff, der hier oben immer ausreichend vorhanden ist: Freundschaft. Jeden Tag sterben in Deutschland mehr Menschen, als geboren werden.
stand zu sein, einige Gartenzäune wurden offenbar vor kurzem gestrichen. Und ein Hotel, das für die Ausmaße des Dorfes eigentlich etwas zu groß wirkt. Ich bin noch gar nicht richtig wach, als mich die Wirtin anspricht. Sie hat mich mit jemandem verwechselt. Ich frage, was man hier abends so machen kann. Sie muss lachen, verspricht aber, später zu mir an den Tisch zu kommen und mir ein bisschen was über das Dorf zu erzählen. Sie erzählt von langen Schulwegen, von hoher Arbeitslosigkeit, von ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau im Westen, von der Rückkehr zu ihrer Familie, von Heimatverbundenheit, Gemeinschaft und Zusammenhalt. Sie
len jungen Leute. Mittlerweile fehlen die jungen Leute, um frei werdende Lehrstellen zu besetzen. „Gibt es denn überhaupt noch junge Menschen hier?“ „Natürlich.“ Dann erzählt sie von den Buden. Buden? Buden. Das könne man nicht so gut erklären, man müsse es selbst sehen. Plötzlich geht alles ganz schnell. Ein Anruf und zehn Minuten später fährt eine Freundin vor. Ich steige ein. In der Dämmerung fahren wir aus dem Dorf und über Serpentinen den Berg hinauf. Zwischen Feldern und Baumreihen finden wir einen kleinen Park-
hat, frage ich. Wir. Ob einer Architekt ist, oder Ingenieur? Übung macht den Meister. Und wie habt ihr das bezahlt? Einmal 30 Mark von jedem eingesammelt, später Partys veranstaltet. War es schwer, eine Genehmigung zu bekommen? Wir haben niemanden gefragt. Und wie oft seid ihr hier? Jeden Tag. Sie sind stolz auf ihre Bude, auf ihr eigenes Stück Welt, dass sie sich mit 14 Jahren selbst aufgebaut haben. Es ist ein angenehmer, ehrlicher Stolz. Der Stolz eines guten Gastgebers. Als es vollkommen dunkel ist, schaltet sich automatisch das Aggregat ein. Musik geht an, das Innere der Hütte ist plötzlich hell erleuchtet. Ich sehe eine
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Statistisch gesehen liegt das ganze Land im Sterben. 1999 lebten in Großrückerswalde, Mittlerer Erzgebirgskreis, Sachsen, 4100 Menschen. Heute sind es noch 3668. Auf der Fahrt zu ihnen verliert man zwangsläufig die Orientierung. Dunkle, dicht bewaldete Senken und weite Felder wechseln einander ab. Die Wegweiser im mittleren Erzgebirgskreis beziehen sich wahlweise auf das nächste, das übernächste oder irgendein anderes Dorf, das angeblich in der Nähe ist. Dann Großrückerswalde. Ein rosa Rathaus, eine Kirche, eine Feuerwehrwache. Die Wohnhäuser entlang der Durchgangsstraße scheinen in gutem Zu-
erzählt, wie es Anfing, mit dem Ende von Niederschmiedeberg. Damals vor acht Jahren war die DDR seit zehn Jahren Geschichte. Die erste Euphorie über die neu gewonnene Freiheit war verflogen – falls es sie je gegeben hatte. Aus dem VEB DKK Waschgeräte Schwarzenberg, dem ehemals bedeutendsten Hersteller von Kühlgeräten in Osteuropa, wurde Foron. Anfangs sah es auch ganz gut aus: 1993 erfand man noch den weltweit ersten FCKW-freien Kühlschrank. 2001 machte man dann zu. Die Produktion in Niederschmiedeberg war zu teuer geworden. Foron ließ fortan in der Türkei fertigen. Danach fehlten dann zuerst die Lehrstellen für die vie-
platz, auf dem etwa fünf Autos stehen. Wir gehen einen schön gepflasterten Weg neben einer kleinen akkuraten Steinmauer entlang, wie in einem gepflegten Vorgarten. Vor einem Holzhaus bleiben wir stehen. Auf der Veranda sitzen etwa acht Frauen und Männer im Alter zwischen 20 und 30, trinken Bier, rauchen und blicken über die Felder in das Nebel verhangene Panorama des mittleren Erzgebirges. Es ist fast dunkel. Einer der Jungs führt mich herum. Er zeigt mir die Feuerstelle hinter dem Haus. Die Laube und den Geräteschuppenm, in dem die beiden Dieselaggregate stehen. Die Bude gefällt mir. Sieht stabil aus. Wer das alles gebaut
geflieste Bar und mehrere Sofas. Und für einen kurzen Moment wünsche ich mir, ich hätte in den letzten zehn Jahren mehr Zeit mit meinen Freunden in einer Bude wie dieser zugebracht, statt neben ihnen in einem lauten Münchner Club. Ich trinke mein Bier aus, bedanke mich und sage meiner Fahrerin, dass ich abmarschbereit bin. Schließlich muss sie morgen arbeiten und ist nur meinetwegen heute hier herausgekommen. Zum Abschied werde ich eingeladen, wieder zu kommen, wenn hier mal richtig Party gemacht wird. Ich sage, ich überlege es mir. Und ich meine es.
24 Jahre hatte Josef Fritzl seine Tochter Elisabeth in einem Kellerverlies gefangen gehalten. Als seine Tochter und Enkelin, die 19-jährige Kerstin erkrankt, lässt er
Frankreichs geboren. 25 Jahre später wird de Rais an der Seite der Jungfrau von Orleans Frankreich vom Joch der Engländer befreien. Sein Vater fällt 1415 in der Schlacht von Azincourt, in der erstmals ein Herr englischer Bogenschützen ein Aufgebot französischer Ritter besiegte (ein unerhörtes Novum zu dieser Zeit: Einfache, nichtadelige Bauern besiegen mit einer feigen Waffe Ritter von hoher Geburt!). Gilles de Rais wächst bei seinem Großvater auf, der sich jedoch kaum um seine Erziehung kümmert. Der junge Ritter fällt durch Jährzorn, Zügellosigkeit und Grausamkeit auf. In Kombination mit der Macht seines Standes – die Landbevölkerung war im feudalen Mittelalter der totalen Willkür der Adeligen ausgesetzt
VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG Illustration Anna Carina Jass Alles war schon mal da. PHILIPP MATTHEIS erinnert.
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sich dazu überreden, sie in ein Krankenhaus zu bringen. Der Inzestskandal von Amstetten fliegt auf. Immerhin – Gilles de Rais missbrauchte nicht seine eigenen Kinder. (Er hatte nur eine Tochter, und die fiel ihm nicht zum Opfer.) Die Taten des französischen Barons zählen zu den abgründigsten der Weltgeschichte. Gleichzeitig steht dieser Mensch für einen Typus Mann, dessen Zeit langsam vorüber war. Es war die letzten Atemzüge des Mittelalters: Die Zeit der ungezügelten, von niemanden außer der Kirche im Zaum gehaltenen Männer, deren einziger Lebenssinn das Kriegsführen war, neigte sich ihrem Ende. Gilles de Rais wird 1404 als Sohn eines der reichsten und mächtigsten Männer
– entwickelte sich daraus mit den Jahren eine Monstrosität, die von Fiktion kaum zu übertreffen ist. Erste Züge seiner Persönlichkeit offenbaren sich 1426, als de Rais zu einem Feldzug nach Südfrankreich aufbricht. Er findet Gefallen am Töten, und noch mehr: Es bereitet ihm Lust. 1429 zieht er mit Jeanne d’Arc in Paris ein. Zuvor wurde Karl IV. in Rheims zum König von Frankreich gekrönt. Das Volk jubelt, wenige Jahre später ist der Hundertjährige Krieg zu Ende und Frankreich befreit. Trotzdem 1430 wird die Jungfrau von Orleans an die verfeindeten Burgunder und Engländer ausgeliefert. Die machen ihr den Prozess und verurteilen sie als Ketzerin zum Tod auf dem Scheiterhaufen. De Rais hat nun nichts mehr zu
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tun. Mit einer Gruppe Eingeschworener verbringt er die nächste Jahren in seinen zahlreichen Schlössern und verprasst seinen Reichtum. Unter ihnen ist auch der Italiener Prelati. Er versteht sich auf Teufelsbeschwörungen und Schwarze Magie, und wird zu de Rais wichtigsten Komplizen. In der Landbevölkerung häufen sich unterdessen die Gerüchte, Kinder würden in den Schlössern des Sire de Rais verschwinden. Mal ist es ein elfjähriger Junge, der zum Betteln zum Schloss gegangen war. Mal ein 14-Jähriger, der als Knappe hätte dienen sollen, aber nie wieder gesehen wurde. Es heißt: De Rais habe widernatürlichen Verkehr mit seinen Opfern. Er töte Kinder und vergehe sich an ihnen im Moment ihres Todes. Er
schlitze ihnen den Bauch auf und ergötze sich an den inneren Organen. Er bete den Teufel an. 1440 kommt die Wahrheit ans Tageslicht. De Rais ist zum Opfer seines Jähzorns geworden. Um seine gewaltigen Ausgaben zu decken, hat er eines seiner Schlösser verkauft. Jetzt will er es sich mit Waffengewalt zurückholen. De Rais stürmt eine Kirche und wirft den Bruder des Käufers, den Geistlichen Jean le Ferron, in den Kerker. Nun wird es sowohl der Kirche als auch seinem Lehnsherren, Herzog Johann V., zuviel: Im Herbst 1440 wird de Rais in zwei Prozessen – einem weltlichen und einem kirchlichen – wegen Sodomie, Gotteslästerung und Häresie angeklagt. Zunächst streitet de Rais alle
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Vorwürfe ab. Als ihm die Richter jedoch die Folter androhen, gesteht er. De Rais wird zum Tod durch Erhängen verurteilt. In den Jahren von 1433 bis 1440 fielen der perversen Grausamkeit des Barons mindestens 140 Kinder im Alter von 8 bis 18 Jahren zum Opfer. Alle tötete er auf grausamste Weise und verging sich an ihnen. Die Prozessakten befinden sich noch heute in der Nationalbibliothek in Paris und in Nantes. In der Bretagne und Teilen der Normandie hat sich die tatsächliche Gestalt des Barons mit der Sagengestalt des Königs Blaubart vermischt. Auf diese Weise gingen die Grausamkeiten des Gilles de Rais in die kollektive Erinnerung der Landbevölkerung ein.
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LICHT NAME DER RUBRIK
SCHEITERN in Bildern. Zusammengestellt von JAKOB WIERZBA.
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Strausberg Foto Christoph Lรถffler
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Kreuzberg, Berlin Foto Giovanna Schulte-Ontrop
Charzykowy, Polen Foto Jakob Wierzba
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Naturkundemuseum Foto Giovanna Schulte-Ontrop
Palast der Republik, Berlin Foto Christine Bachmann
SELBSTBESCHRÄNKUNG Illustration Hanna Milda Jeder Mensch ist frei. HEINZ HELLE sucht Grenzen.
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Lautlos legen sich dünne Schichten klinisch reinen Wassers auf die glänzende Aluminiumverkleidung des Beckenrands. Es ist unerträglich hell. Das Kreischen glücklicher Kinder bildet einen angenehmen Klangteppich. Meine Beine baumeln im Wasser. Irgendwo packt eine junge Mutter ihre Brüste ein. Die Optionen sind überschaubar: Ich kann ins Wasser gehen. Ich kann nach Hause gehen. Ich kann mich nackt ausziehen und quer über die Liegewiese laufen um zu sehen, ob das irgendeine außergewöhnliche Reaktion zur Folge hätte. Hätte es vermutlich nicht: Dies ist ein Freibad. Ein lederhäutiger Mann um die Fünfzig trägt leere Bierflaschen zum Kiosk. Aus einem ziemlich großen Leopardenstring quillt Schamhaar. Ein Fußkettchen blinkt. Einige dicke Kinder essen Eis oder Pommes oder beides. Ein Arschgeweih verteidigt sein Revier. Zwei rauchende Jungs schlagen Flanken quer über die Wiese. Manchmal trifft der Ball einen lesenden älteren Herrn, aber der lächelt nur milde. Ein Jugendlicher liegt vollkommen regungslos auf seiner ebenso jugendlichen und regungslosen Freundin. Zwei tä-
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towierte Schwule reiben sich mit Lotion ein. Ein Mädchen lernt Vokabeln. Die Schwulen knutschen. Ein Bierbauch bringt sich am Beckenrand in Position. Mir ist heiß. Die Optionen sind keineswegs überschaubar. In einem Freibad gibt es keine Regeln außer denen, die das System Freibad am Leben erhalten. In einem Freibad zu sein bedeutet, dass jederzeit alles passieren kann, aber so gut wie nichts passiert. Wie im Leben. Plötzlich fällt ein Meteorit ins Kinderbecken. Der Knall zerfetzt mein Trommelfell. Mit weit aufgerissenen Mündern springen die, die noch können, auf. Bestimmt schreien sie. Menschen laufen durcheinander. Zäune werden überwunden, Pläne verworfen. Nach Sinnzusammen-hängen wird nicht mehr gefragt. Strukturen zerfließen. Rufe, Sätze, Worte. Alles. Platsch. Mein Körper gleitet ins Wasser, mit der festen Absicht, zehn schnelle Bahnen zu schwimmen.
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Es werden immerhin fünf. Als ich aus dem Becken steige, ist alles wieder in Ordnung.
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TITEL – DARF FARBE ÄNDERN UND ZWEIZEILIG SEIN Illustration Name Vorname Hier steht die Beschreibung des Artikels. Die Farbe des Textes ist schwarz. Der Text kann dreizeilig sein. Odio odio consequis elenismod eugait, susto dunt nis diam vel do consecte molor aliquis ea faccum dolorem aliquam, sis alisim eum ing el utpat lut alisi tionulla commy nullaor tissecte. NAME VORNAME.
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Redaktion
Christoph Gurk, Heinz Helle, Philipp Mattheis, Adrian Renner
Kreation
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Fotoredaktion
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Programmierung
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Autoren
Meredith Haaf, Gordon Repinski
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Eva-Maria Heier, Anna Jass, Hanna Milda, Sebastian Schรถpsdau, THEY
Fotos
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