2 minute read

Wie mir in Polen der Papst begegnete

Immer wenn ich im Fernsehen den Papst sah, musste ich an Polen denken. Dabei war er doch schon lange in Rom und nur noch ganz selten in Polen. Seit Beginn seiner Amtszeit war ich bestimmt häufiger in Polen als er. Jedes Mal wenn ich da war, war er nicht da – und doch da.

Schon bei meiner ersten Polenfahrt tauchte er auf – als Überraschungsgast. Im Sommer 1979 reiste ich mit Eltern und Geschwistern in die damalige Volksrepublik Polen ein, für stolze 30 DM Zwangsumtausch pro Person und Tag, um die frühere Heimat meines Vaters kennenzulernen. Der hatte längst in Niedersachsen neue Wurzeln geschlagen, trotzdem war diese Unternehmung aufregend für ihn – auch für uns Kinder, die das Land nur von wenigen verblichenen Schwarz-Weiß-Fotos her kannten.

Advertisement

Hinter Szczecin fuhren wir mit maximal fünfzig Stundenkilometern über holprige Vorkriegslandstraßen durch ein idyllisches Pomorze, das frühere Pommern in Richtung Osten, bestaunten unterwegs die vielen Seen oder versuchten die Störche auf den Wiesen zu zählen. Überall schien die Zeit stehen geblieben, auch im verträumten Heimatdorf meines Vaters: Panjewagen als einzige Fortbewegungsmittel, Pferde statt Traktoren, an den ohnehin schlichten einstöckigen Bauernhäusern seit Ewigkeiten nichts gemacht, Pumpe und Klohäuschen auf dem Hof. Sogar die kleine Düne, auf der mein Vater als Kind herumgetobt hatte, existierte noch und war nicht gewandert. Und auf einmal kam Farbe in die verblichenen SchwarzWeiß-Fotos und die Personen darin begannen sich zu bewegen wie in einem alten Film.

Wirklich mitspielen in einem solchen Film konnten wir kurz darauf in einem Dorf vor den Toren Danzigs, in Kaszuby, der Kaschubei, wo die alte Bäuerin Maria Trzebiatowska uns zwei Zimmer vermietete: Morgens im kleinen Haussee baden, zum Frühstück warme Milch serviert bekommen, vergessene Apfelsorten von knorpeligen Obstbäumen pflücken, plaudern auf einer wackeligen Gartenbank bis zum Sonnenuntergang. Alle Wände im Haus gekalkt in verwaschenem Weiß, in kühlen Schlafkammern dicke Federbetten und riesige Kopfkissen zum Drin-Versinken, das „Latrinchen”, also Klohäuschen auf dem nachts natürlich unbeleuchteten Hof inmitten aller dort zusammengetriebenen Tiere.

Nur ein Zimmer war tapeziert, die sogenannte gute Stube. Stolz stand die kleine alte Frau in ihrer Kittelschürze dort vor einem funkelnagelneuen Bild an der Wand. “Das is äin grrosses Glick fier Pollen”, sagte sie und zeigte auf einen kernigen Karol Wojtyła, der gerade in Rom zum Papst gewählt worden war und deshalb, als Johannes Paul der Zweite mit schicker Mitra auf dem Kopf selbstbewusst zu uns herunter schaute. „Ja, da haben Sie recht“, murmelten wir höflich, nicht ahnend, was wir da überhaupt sagten. Wir waren nicht katholisch, nur ein bisschen evangelisch, und eigentlich war dieser neue Heilige Vater nicht vorgesehen in unserem Heimatfilm. Das scherte den aber gar nicht, jeden Morgen leistete er uns Gesellschaft in der guten Stube, schaute uns beim Frühstücken zu und erreichte dadurch, dass wir immer wieder zu ihm hinschielten und über ihn redeten. Wer weiß, vielleicht habe ich es ja seinem auffordernden Blick zu verdanken, dass ich mir nachts mutig meinen Weg zum Latrinchen bahnte, es toll fand, mit einem bisschen „proszę“ und „dziekuję“ – bitte und danke aus Langenscheidts Reise-Sprachführer – im kleinen Dorfkonsum einzukaufen, mich an das einfache Landleben unter frommen Katholiken gewöhnte und schließlich gar nicht mehr

This article is from: