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Flächenverbrauch – zu wenig Ausgleich

Zu wenig Ausgleich

Für jeden baulichen Eingriff in die Natur schreibt das Gesetz Wiedergutmachung an anderer Stelle vor. Doch in der Realität wird diese Pflicht oft missachtet. NABU und LBV fordern strengere Kontrollen und einen Nachweis über die gelungene Umsetzung. // Hartmut Netz

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Wie im Zivilrecht so im Naturschutzrecht

Angerichtete Schäden müssen wiedergutgemacht werden. Wer also mit dem Bau einer Straße oder eines Gebäudes Natur zerstört, hat die gesetzliche Pflicht, anderswo Flächen ökologisch aufzuwerten und dauerhaft zu sichern. Etwa durch Anpflanzen einer Hecke, Renaturierung eines Moores oder Umwandeln eines Ackers in eine artenreiche Magerwiese. Die Idee dahinter: Trotz aller Bauprojekte sollen Natur und Landschaft und damit Flora und Fauna im dichtbesiedelten Deutschland unversehrt bleiben.

Soweit die Theorie. Und die Realität?

Als Ausgleich für einen Solarpark, errichtet in Gebenbach, einem 800-Einwohner-Dorf im bayerischen Landkreis AmbergSulzbach, waren laut Baugenehmigung zwei Äcker ökologisch aufzuwerten. Sie sollten in extensive Wiesen mit artenreichen Pflanzen- und Insektengesellschaften umgewandelt werden. Zudem sollten zwischen Solarpark und dem angrenzenden Ackerland Hecken gepflanzt werden – als Nist- und Rückzugsort für Offenland-liebende Vogelarten wie Stieglitz, Goldammer oder Neuntöter. Das Problem: Bis heute existieren weder die Hecken noch die artenreichen Wiesen.

Ähnlich in Velburg, einer Stadt im Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz, wo als Ausgleich für eine Photovoltaik-Anlage ein Magerwiese ökologisch aufgewertet werden sollte. Stattdessen wurde die Wiese in ein intensiv bewirtschaftetes Rapsfeld umgebrochen. Der ökologische Wert der Fläche, die als Magerwiese Lebensraum für spezialisierte Tiere und Pflanzen gewesen war, hatte sich damit drastisch verschlechtert.

Missachtung geltenden Rechts

So wie in Gebenbach und Velburg sieht es vielerorts in Bayern aus. Das ist einer aktuellen Untersuchung des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) zu entnehmen, für die Ausgleichsflächen in allen Landesteilen unter die Lupe genommen wurden: „Die gesetzlichen Vorgaben für Kompensationsmaßnahmen werden systematisch missachtet“, stellt LBV-Chef Norbert Schäffer fest. Zu einem ähnlich verheerenden Ergebnis kam 2017 schon eine Studie des Landesamtes für Umwelt, die im oberbayerischen Landkreis Ebersberg 100 Ausgleichsflächen untersuchte. Nur 20 erfüllten alle Vorgaben; 26 waren schlicht nicht existent.

Die Missachtung geltenden Rechts zu Lasten der Natur ist nicht nur in Bayern ein Problem. Die Umsetzung festgelegter Ausgleichsmaßnahmen erfolge „oft nur defizitär“, heißt es beispielsweise auf den Internetseiten des Landesbüros der Naturschutzverbände NRW, das der NABU Nordrhein-Westfalen in Kooperation mit zwei anderen Umweltverbänden betreibt. Ähnlich Zustände herrschen in Baden-Württemberg, wie eine aktuelle Studie nahelegt. Bewertet wurden 124 Ausgleichsflächen von neun Gemeinden im Breisgau. Nur 25 erfüllten alle Qualitätsvorgaben; 33 waren nicht vorhanden, der große Rest existierte zwar, erfüllte die Vorgaben jedoch nur mäßig bis mangelhaft.

Bauboom befeuert Nachfrage

Ein Missstand, den Albert Reif, dessen Lehrstuhl für Standort- und Vegetationskunde an der Universität Freiburg die Breisgau-Studie erstellt hat, unter anderem auf behördliche Personalnot zurückführt: „Anlage und Pflege von Ausgleichsmaßnahmen müssten strenger kontrolliert werden“, sagt der Biologie-Professor. „Aber damit wären die Behörden total überlastet.“ Hinzu komme, dass der Zielzustand von Ausgleichsflächen bei privaten Bauvorhaben nur für höchstens 30 Jahre garantiert werden müsse: „Aber was passiert danach?“, fragt Reif. Kümmert sich niemand mehr, sinkt in der Regel auch der ökologische Wert der Fläche.

Die Qualität von Ausgleichsflächen wird mit standardisierten Verfahren ermittelt. Man bewertet die auf einem Quadratmeter lebende Flora und Fauna nach Punkten, multipliziert die Punktzahl mit der Größe und erhält so den Öko-Punktwert der Fläche. Diese Flächen können Kommunen im Vorgriff auf künftige Baumaßnahmen in einem Ausgleichspool bevorraten. Ausgleichsflächen, die bereits einem konkreten Bauvorhaben zugeordnet sind, sollten idealerweise in ein zentrales Verzeichnis eingetragen werden. Doch Naturschutz sei in weiten Teilen Ländersache, erläutert NABU-Experte Till Hopf: „Manche Bundesländer, wie etwa Bayern, führen ein solches Verzeichnis, andere wiederum nicht.“

Die Nachfrage nach Ausgleichsflächen ist in den letzten Jahren explodiert, denn es wird mehr gebaut denn je. Vor allem in Boom-Regionen verschwindet immer mehr Boden unter Beton und Asphalt. Auf fruchtbarem Ackerland wachsen triste Logistikzentren in die Höhe, bunte Wiesen mutieren zu grauen Gewerbegebieten, neue und breitere Straßen fragmentieren natürliche Lebensräume. Und in den Städten schließt man die letzten Baulücken. Pro Jahr werden in Deutschland mehr als 200 Quadratkilometer Boden in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt – eine Fläche, so groß wie Stuttgart.

Verlustgeschäft für die Natur

Der Bauboom befeuert einen schwunghaften Handel mit Ausgleichsflächen, dessen Währung die Ökopunkte sind. Oft stammen sie von weither, denn insbesondere in den Städten, also dort, wo am meisten gebaut wird, mangelt es aufgrund dichter Bebauung an eigenen Ausgleichsflächen. „Oft wird rein buchhalterisch nach Punktwerten abgerechnet“, kritisiert Albert Reif: „Ohne zu berücksichtigen, ob die Flächen in einen ökologischen Zusammenhang eingebettet sind und ihre geplante Funktion erfüllen können.“ Für die Natur ist das meist ein Verlustgeschäft.

NABU-Experte Till Hopf beobachtet schon seit geraumer Zeit „einen schleichenden Niedergang der Natur“: „Die Behörden brauchen mehr Personal zur Kontrolle der Ausgleichsflächen“, fordert er. LBV-Chef Norbert Schäffer verlangt zudem, dass für jede Baumaßnahme ein Nachweis über die Umsetzung des Ausgleichs erbracht werden müsse: „Ausgleichsflächen sollen neue Lebensräume schaffen“, sagt er: „Sie sind unverzichtbarer Bestandteil des Biotopverbundes, den wir so dringend für den Artenerhalt brauchen.“

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