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Suffiziente Gebäudekonzepte und Reboundeffekte
fragt und ein Experimentieren mit Alternativen durch stärkere Einbeziehung naturbasierter Lösungen, durch Verwendung natürlicher Materialien und dem Vorrang für analoge Prozesse ausgedrückt. Dabei geht es jedoch weniger um die völlige Ablehnung von Technik an sich oder deren isolierte Betrachtung, sondern um die Frage nach einer gesamtsystemischen Denkweise im Sinne der Ziele regenerativer Nachhaltigkeit. Regenerative Nachhaltigkeit strebt die Schaffung sich selbst regenerierender sozia ler und ökologischer Systeme an. In diesem Sinne sind natur- und biobasierte Lösungen, lokale Umweltressourcen sowie soziale und kulturelle Potenziale die tragenden Säulen eines integrierten LowtechGesamtkonzepts. Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – Ökologie, Ökonomie, Soziales – bilden den formenden Rahmen. Da aber regionale Bau traditionen einerseits mehr Eigenverantwortlichkeit und Selbsttätigkeit erfordern, andererseits vielfach grundlegende Komponenten von auf Lowtech beruhenden Gebäudekonzepten darstellen, ist die Erweiterung um die im wissenschaftlich-politischen Diskurs als vierte Säule bezeichnete „kulturelle“ oder „politisch-prozessuale“ Komponente der „Institutionen" bzw. „Partizipation" grundlegend [9]. Abb. 4 gibt einen Überblick, welche Lowtech-Potenziale zum Erreichen von Nachhaltigkeitszielen beispielhaft beitragen können. Lowtech-Architektur zielt darauf ab, die Nutzung lokaler Ressourcen, natürlicher Elemente und Wirkprinzipien zu maximieren, um übermäßigen Energie- und Ressourcenverbrauch zu vermeiden. Der kritische Blick auf die eingesetzte Technik soll dessen wirksamen Beitrag zum Gesamtsystem hinterfragen und, über den gesamten Lebenszyklus betrachtet, mehr Effizienz, soziale Akzeptanz sowie Gesundheit und Wohlbefinden fördern. Basierend auf den vier Nachhaltigkeitsdimensionen lässt sich nachhaltiges Lowtech-Design demnach durch folgende grundlegende Planungsstrategien charakterisieren: • Ökologie = klima- und ressourcenschonende Bauweise, die weitgehend vorhandene Umweltressourcen (Klima, Standort und Herkunft) für den Betrieb nutzt und wesentlich zur Regeneration des Ökosystems beiträgt • Ökonomie = suffiziente, robuste und kosteneffiziente Bauweise, die einen reduzierten Technikanteil über den gesamten
Lebenszyklus (Herstellung – Betrieb –
Rückbau) anstrebt • Sozial = bedürfnisangemessene und sozial gerechte Bauweise, die ein angenehmes Maß an Komfort, Versorgung und
Entsorgung sicherstellt sowie gleichzeitig
Gefährdungspotenziale und Nahrungsmittelkonkurrenz gegenüber anderen auch für zukünftige Generationen ausschließt • Partizipation / Kultur = einfache, verständliche, lokal bewährte und auf Eigenverantwortlichkeit basierende Bauweise, die
Selbstbau, selbsttätige Wartung und
Pflege und die regionale Baukultur stärkt
Wirkungsebene Ökosystem Nachhaltigkeits dimension Ökologie Ökonomie Sozial Kultur / Partizipation
Mikroklima, Geologie, Vegetation, natürliche Ressourcen Standort / Topografie Kreislaufwirtschaft natur- / biobasierte Lösungen
Umwelt / Ressourcen Lebenszyklus, nachwachsende Rohstoffe lokale Ressourcen, Robustheit (Verteilungs-) Gerechtigkeit Teilen, Mehrfachnutzung, Nutzungsmix
Mensch Eigenverantwortung Einfachheit Suffizienz, Reduktion Baukultur, Tradition
4 4 Nachhaltigkeitsdimensionen und mögliche Lowtech-Wirkungsebenen (Beispiele)
A ökologische Qualität ÖKOSYSTEM — Klima, Regeneration, Resilienz RESSOURCEN — Form, Energie, Kreislaufsysteme
B ökonomische Qualität ROBUSTHEIT — Lebenszykluskosten, Homogenität, Qualität EINFACHHEIT — Funktionalität, Wartung, Bedienung
C soziale Qualität SUFFIZIENZ – Bedarfsminimierung, Flächenverbrauch, Nutzungsintensität GESUNDHEIT — natürliche Rohstoffe, Material, Mensch-Natur-Beziehung
5 Lowtech-Matrix (Kurzversion) D Partizipation / Prozessqualität KREISLAUFFÄHIGKEIT — Nutzungsflexibilität, Rückbau, Dokumentation VERANTWORTUNG — Klimawandelanpassung, (Bau)Kultur, Gerechtigkeit
5
Lowtech-Matrix Im Folgenden werden die einzelnen Aspekte detaillierter betrachtet und entlang einer umfassenden Lowtech-Matrix erläutert (Abb. 5 und Abb. 8, S. 30f.).
Standort, Klima und Ökosystem Lowtech-Designstrategien verfolgen einen standortbasierten Ansatz. Dabei werden lokale Umweltressourcen als Mittel oder Katalysator eines energieeffizienten und ökologischen Designansatzes gewählt. Je nach Standort können beispielsweise Wind, Sonne, Erde oder Wasser die treibenden Ressourcen eines ganzheitlichen Lösungsansatzes zur Ver- und Entsorgung darstellen oder lokal verfügbare Baustoffe die Basis für die Grundkonstruktion des Gebäudes liefern. Entgegen technikgetriebener Konzepte, die eine weitgehende Abschottung gegen schwer zu kalkulierende oder unstete Umwelteinflüsse anstreben, um kontinuierliche Komfortstandards zu gewährleisten, setzen Lowtech-Konzepte auf Suffizienz und Resilienz. Ziel ist es, die dynamisch-ökologische Einheit zwischen Mensch, Gebäude, Ort, Natur und Ökosystem zu nutzen und darauf aufbauend optimierte Konzepte zu entwickeln.
Robustheit und Ressourcenschonung Hochwertige Baustandards und auf Basis bewährter handwerklicher Baukonstruktionen ausgeführte Baudetails sind Garant für Robustheit und eine lange Lebens- und Nutzungsdauer. Darüber hinaus können durchdachte und detailliert ausgeführte konstruktive Baudetails den Einsatz technisch aufwendiger Gebäudeausrüstung reduzieren. Ein suffizienter und ressourcenschonender Umgang mit Rohstoffen und die Vermeidung von Emissionen in allen Lebenszyklusphasen zählen zu den zentralen Zielen. Das beinhaltet die Vermeidung von Transportwegen ebenso wie den Verzicht auf weiträumige Erdbewegungen und Aushub. Materialhomogenität, Maßnahmen zur Reduktion von Komplexität in den Baudetails oder die bewusste Entscheidung ein „Altern“ zuzulassen, z. B. das Vergrauen von Fassaden, sofern damit keine konstruktive Beeinträchtigung einhergeht, zeichnen ein Lowtech-Designkonzept zusätzlich aus.
Energie und Versorgung Lowtech-Design setzt auf die Nutzbarmachung einfacher Wirkprinzipien und den Einsatz natürlicher erneuerbarer Umweltressourcen, um damit Gebäude effizient und basierend auf einem suffizienten Technikeinsatz zu versorgen. Eine (energie-)effiziente Bauweise und eine energetisch optimierte Form schaffen den Ausgangspunkt für einen möglichst niedrigen Bedarf an zusätzlicher Energie in der Betriebsphase. Standortfaktoren wie Mikroklima und Topografie bilden neben regional verfügbaren Energie- und Umweltpotenzialen (Sonne, Erdreich, Grundwasser, Wind, innere Wärmequellen, Jahreszeiten-/Tag-Nachtrhythmus etc.) sowie der effizienten Nutzung natürlicher Material- und Rohstoffeigenschaften die tragenden Säulen eines auf Lowtech basierenden Energiekonzepts. Darüber hinaus gilt es, mögliche Versorgungs- und Entsorgungskreisläufe im Gebäude mit der umgebenden Bebauung und dem Standort (Abwärme – Heizung / Kühlung, Kraft-Wärme-Kopplung, Regen-/
Analyse
Lowtech-Fokus: Entwurf, Konzept, System 38 Entwurfsstrategien 40 Naturbasierte Lösungen 48 Klimasensitiv Bauen 52
Lowtech-Fokus: Gebäudetechnik 56 Energiepotenziale der Umwelt 58 Suffiziente Energieplanung 68 Robuste Gebäudeplanung 72
Lowtech-Fokus: Material 78 Nachhaltige Baustoffwahl 78 Kreislauffähiges Bauen und Sanieren 86
Lowtech-Fokus: Sanierung Umgang mit dem Bestand Sanierungstrategien und -konzepte für Bestandsgebäude
92 92 98
historisches Museum, Ningbo (CN) 2008, Amateur Architecture Studio, Wang Shu, Lu Wenyu
Entwurfsstrategien
Edeltraud Haselsteiner
Klima- und standortoptimierte Gebäudeform „Was nicht von Anfang an einbezogen wird, lässt sich nicht nachträglich implementieren. Wenn das Klima also nicht bereits Teil der frühen Entwurfsphase ist, bleiben die Einflüsse auf Faktoren wie Form und Typologie unberücksichtigt und müssen nachträglich mit technischen Mitteln im oder am Gebäude kompensiert werden.“ [1] Wenn Technik sinnvoll eingesetzt werden soll, ist Klima also der maßgebende Entwurfsfaktor. Dabei ist die morphologische Gestalt des Gebäudes eine besonders bestimmende Größe.
Bioklimatisches Gebäude auf Teneriffa Im Süden der Kanareninsel Teneriffa wurden insgesamt 25 bioklimatische Häuser errichtet, die unterschiedliche Möglichkeiten im Umgang mit den klimatischen Bedingungen am Standort ausloten (Abb. 1). Alle Gebäude werden als Ferienhäuser nur zeitlich begrenzt vermietet. Das bioklimatische Haus wird durch hohe, kreisförmige vulkanische Steinmauern vor den starken Winden auf Teneriffa geschützt. Gleichzeitig wirken diese doppelwandigen Steinmauern durch Luftkammern und Luftzirkulation klimaregulierend. Das Gebäude verfügt weder über eine Heizung noch über eine Klimaanlage. Begrünte Flachdächer, Regenwasserrückgewinnung, Strom aus dem angrenzenden Windpark und Baumaterial aus dem Aushub fügen sich mit weiteren Designlösungen zu einem nachhaltigen Gesamtkonzept.
Kultur- und Tourismuszentrum in Terrasson Für die Errichtung des Kultur- und Tourismuszentrums in Terrasson in der Dordogne kamen erstmals in der Architekturgeschichte Gabionenwände als energieabsorbierende Masse zur Anwendung. Das in ein Drahtgeflecht eingelegte unbearbeitete Gestein stammt aus einem nahegelegenen Steinbruch. Das Gebäudekonzept selbst beruht auf dem Prinzip eines Gewächshauses. Im Winter erwärmt die direkte Sonneneinstrahlung die Natursteinwand und einen Teil der
a 1 a–c bioklimatisches Gebäude, Ferienhaus ITER Park, Granadilla, Teneriffa (ES) 2000, Ruiz Larrea & Asociados Lowtech: mikroklimatisch standortoptimierte Gebäudeform und -oberfläche, Einsatz regionaler Baumaterialien und Aushub, natürliche Klimaregulierung
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