zeit
welt Das Magazin der Deutschen Welle 03— Mai 2009
Mit Smart Mobs
und
gegen den
Krieg 2.0
INTERNATIONAL CONFERENCE 3Ð5 JUNE 2009 á BONN, GERMANY
The multimedia revolution and its impact on conventional media
YouTube & Co.: Generat-
ing new audiences or excluding even more people? Blogging for peace or hate as a way to bypass censorship?
A tale of two worlds: Is the Òdigital divideÓ
overrated? Mobbing or civic participation: Are usersÕ contributions a bless-
ing or a curse? IPTV and its worldwide cross-cultural impact Community media and TV in conflict resolution: A model for countries in crisis? The young generation: Is anyone watching, is anyone listening? Digital natives: Under the spell of mobile phones and social networking? ViralÉing: Is there a best practice? Computer games: Simulating peace or imitating war? Theatre of war: Embedded report-
More channels, more news: No more room for profound reporting? From joysticks to count: Ethical aspects of modern warfareÉ ing and the nature of warfare
www.dw-world.de/globalmediaforum
vorspann
weltzeit 03_2009
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Editorial Liebe Leserinnen und Leser, vom 3. bis 5. Juni erwarten wir wieder rund 900 Teilnehmer aus 100 Ländern zum Deutsche Welle Global Media Forum in Bonn. Experten aus Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden im World Conference Center über „Konfliktprävention im Multimedia-Zeitalter“ debattieren. In über 50 Einzelveranstaltungen werden sie die rasanten Entwicklungen auf den weltweiten Medienmärkten und die künftige Rolle der klassischen wie der Neuen Medien reflektieren – im Kontext regionaler wie globaler Krisen. Die Premiere 2008 hat uns ermutigt, das eutsche Welle Global Media Forum in Bonn zu D einer festen Größe zu machen. Das Format eines Medienkongresses mit internationaler Ausrichtung und interdisziplinärem Ansatz trifft auf starkes Interesse: In diesem Jahr engagieren sich mehr als 50 Partnerinstitutionen und Sponsoren; Vertreter von Medienunternehmen, Nichtregierungsorganisationen, staatlichen und zwischenstaatlichen Institutionen kommen zusammen.
Sie alle werden die Konferenz – und das attraktive Rahmenprogramm – auch als interkulturelle Kommunikationsplattform nutzen, um Netzwerke zu knüpfen und auszubauen. Der Kongress zahlt sich in vielfacher Hinsicht aus – und ist auch wirtschaftlich erfolgreich: Wir haben die Auftaktveranstaltung mit einer „schwarzen Null“ abgeschlossen und für dieses Jahr ist die Finanzierung ebenfalls gesichert. Großen Anteil daran haben das Auswärtige Amt, die Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn als Mitveranstalter, die NRWLandesregierung und Deutsche Post DHL, die das Forum unterstützen. Die weltzeit gibt einen Vorgeschmack auf die Konferenz. Ich würde mich freuen, wenn wir Ihr Interesse wecken könnten und auch Sie im Juni in Bonn dabei wären. Herzliche Grüße Ralf Nolting Geschäftsführer DW-Media Services GmbH
In dieser Ausgabe 04–05
nachrichten
06–21
titel » Kanonenfutter für Cybervögel » Im Gespräch mit Intendant Erik Bettermann » Fotos für die Pressefreiheit » Yoani Sánchez aus Kuba: „Blogs sind ansteckend“ » Meera Jamal zur Mediensituation in Pakistan
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spot
24–25
profil » Mauerfall und Auslandssender: Gastbeitrag von Peter Sturm
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profil » Deutschlandbild: Ortswechsel mit Rollentausch
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schlaglichter
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neue medien » Europas digitales Gedächtnis
30-31 vor ort » Südkorea: Ostasiens Motor
32-33 zoom » Christopher Springate: Moderator, VJ und Trainer
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partner
Impressum Deutsche Welle Unternehmenskommunikation 53110 Bonn T. 0228.429.2041 F. 0228.429.2047 weltzeit@dw-world.de www.dw-world.de/presse Verantwortlich: Dr. Johannes Hoffmann Redaktion: Berthold Stevens Gestaltung: Lisa Flanakin Marco Siebertz Druck: Brandt GmbH · Bonn Fotos: AP (Titel, Seite 6, 10, 18), DWArchiv (3, 8, 9, 11, 12, 23, 25, 27, 31, 34), DW/B. Frommann (4), picture-alliance/dpa (5, 16, 19, 20, 24, 26, 29, 30, 34), getty images (8, 11, 17), Justyna Mielnikiewicz (14, 15), Jelena und Viktor Vorobjev (15), Simon Roberts/ *NBPICTURES (15), bamdad-film (19), DW/M. Müller (21), Identity Foundation (23), HR/Benjamin Knabe (23), Beethovenfest Bonn (23), DW/C. Fork (23), Patchworld Verlag (27), DW/M. Altmann (33) Anzeigen T. 0228.429.2043 F. 0228.429.2047 weltzeit@dw-world.de Werbung im Programm T. 0228.429.3507 F. 0228.429.2766 werbung@dw-world.de
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nachrichten
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„Ein ganz Großer der europäischen Demokratiebewegung“ Bonn – Václav Havel ist mit dem erstmals vergebenen Internationalen Demokratiepreis Bonn ausgezeichnet worden. Am 24. April wurde der ehemalige tschechische Staatspräsident im Rahmen eines Festakts im Bonner Museum Koenig geehrt. Die Laudatio hielt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Vor rund 200 Gästen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Medien nannte Laudator Frank-Walter Steinmeier den ersten Preisträger einen „ganz Großen der europäischen Demokratiebewegung“. Unter den Zuhörern war auch der tschechische Außenminister und derzeitige Vorsitzende des Ministerrates der Europäischen Union, Karel Schwarzenberg. DW-Intendant Erik Bettermann, Vorsitzender des vor zwei Jahren gegründeten Vereins Internationaler Demokratiepreis Bonn, überreichte Hwavel die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung in Form einer Glasskulptur. „Der Schriftsteller, friedliche Widerstandskämpfer und Politiker Václav Havel hat Geschichte erlebt und selbst Geschichte gemacht. Er hat für freiheitliche Ideale, für Demokratie und Menschenrechte gekämpft und dafür jahrelang im Gef ängnis gesessen.“ Sein Kampf gegen den Kommunismus habe ihn zur „Symbolfigur für Demokratie“ gemacht. Als Präsident sei er für die deutschtschechische Versöhnung eingetreten, begründete Bettermann die Entscheidung der Jury. Havel sagte in seiner Dankesrede: „Während meines Lebens war ich einige Male in einer Situation, in der ich völlig
01-02 Václav Havel mit Glasskulptur und Urkunde, umrahmt von (v. l.) Dr. Jürgen Wilhelm, FrankWalter Steinmeier, Rudolf Müller, Dr. Wolfgang Riedel, Hermann Neusser, Bärbel Dieckmann, Dr. Ulrich Gröschel, Dr. Uwe Schäkel, Erik Bettermann, HansDietrich Genscher
unabsichtlich dazu beigetragen habe, eine neue Tradition zu gründen. Ich war der erste frei gewählte Präsident in meinem Land nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Der erste Präsident, der nicht fortgejagt wurde, sondern bis zum Ende des Mandats im Amt blieb.“ Nun sei er der erste Ex-Präsident, der diese neue Auszeichnung erhalte. Ohne Václav Havel, hob Steinmeier in seiner Laudatio hervor, „wäre der friedliche Auf bruch in Mittel- und Osteuropa undenkbar gewesen. Ein wahrhaft würdiger Preisträger!“ In einem Rückblick auf die Umwälzungen in Europa während der Präsidentschaft Havels sagte der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, Havel repräsentiere „in einzigartiger Weise die europäische kulturelle und geistige Identität“. Bärbel Dieckmann, 02
Oberbürgermeisterin der Stadt Bonn, erinnerte daran, dass im Museum Koenig vor 60 Jahren das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verabschiedet wurde. „Der Name Bonn ist untrennbar mit der Entwicklung der Demokratie und Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland verbunden“, so Dieckmann. Bei einem festlichen Abendessen würdigte der nordrhein-westf älische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers den Preisträger: Havel habe in seiner Politik stets klare Werte vertreten. Als Literat habe er sich für die Freiheit des einzelnen Menschen eingesetzt. „Seine Integrität hat mich stets beeindruckt“, sagte Rüttgers. Diese Integrität habe er verbunden „mit der Demut des guten Zuhörers“. —— www.demokratiepreis-bonn.de
nachrichten
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Ehrung im Newseum Washington – Seit Ende März sind Karen Fischer und Christian Struwe im Washingtoner „Newseum“ auf einer Gedenktafel präsent. Die beiden Mitarbeiter der Deutschen Welle waren im Oktober 2006 im Norden Afghanistans auf einer Recherchereise von bislang u nbekannten Tätern erschossen worden. 03
Journalistinnen und Journalisten aus der ganzen Welt werden in dem Nachrichtenmuseum geehrt: 1.913 Menschen, die ihren beruflichen Einsatz mit dem Leben bezahlen mussten. „Sie starben, damit andere die Geschichten erfahren,
die für ihr Leben wichtig sind. Sie starben im Dienste der Wahrheit“, sagte Newseum-Präsident Alberto Ibargüen bei der Gedenkveranstaltung. Mehr als 70 neue Namen wurden auf einer Tafel aufgenommen. „Verlässliche veröffentlichte Information, das Produkt eines guten Journalismus, ist unentbehrlich für die Gemeinschaft und für eine Demokratie“, so Ibargüen. Zahlreiche Familienangehörige, Freunde und Weggef ährten ermordeter Journalisten waren nach Washington gekommen. Darunter auch Laurel Leff, Professorin an der Northeastern University, Boston. Dort hatte Karen Fischer von 1998 bis 2000 Journalistik studiert. Leff betonte, sie habe die Nachwuchsjournalistin als „hervorragende, engagierte und mutige“ Frau kennengelernt. —— www.newseum.org
Neuer Vorsitzender mit neuen Konzepten Berlin – DW-Intendant Erik Bettermann hat am 1. April den Vorsitz der Rias Berlin Kommission übernommen. Vor dem Hintergrund der veränderten Medienlandschaft kündigte Bettermann an, dass auch die Kommission „neue Wege einschlagen“ werde. Die DW engagiert sich seit vielen Jahren in der Rias Berlin Kommission. Auch beim eutsche Welle Global Media Forum in Bonn arbeiD ten beide Institutionen zusammen: Im Rahmen eines Workshops am 5. Juni diskutieren deutsche und US-amerikanische Journalisten, ob und wie sich in den jeweiligen Medien die Berichterstattung über Terrorismus unterscheidet. „Die Art, wie Journalisten heute ihr Handwerk betreiben, unterscheidet sich wesentlich von der Arbeitsweise vor zehn Jahren. Das Gleiche gilt für das mediale Konsumverhalten von Zuschauern und Zuhörern“, so Bettermann. Diesem veränderten Medienverhalten werde die Rias Berlin Kommission „mit neuen Konzepten begegnen“. Darüber hinaus wolle er sich dafür einsetzen, „auf der Grundlage der gemeinsamen Werte weiterhin den Austausch von Journalisten
aus Deutschland und den USA zu ermöglichen und somit einen Beitrag zum besseren gegenseitigen Verständnis zu leisten“, so Bettermann bei seinem Antritt. Die Rias Berlin Kommission wurde 1992 von der Bundesregierung und der US-Regierung gemeinsam gegründet. Sie soll die deutsch-amerikanische Verständigung im Rundfunkwesen fördern – etwa durch Vergabe von Produktionszuschüssen und eines jährlichen Medien-Preises. —— www.riasberlin.de
03 „Karen Fischer war eine hervorragende, engagierte und mutige Nachwuchsjournalistin“: Prof. Laurel Leff von der Northeastern University in Boston, vor der Tafel im Newseum in Washington
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titel Neue Medien, neue Akteure: Krisen und Kriege im Multimedia-Zeitalter
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Kanonenfutter für Cybervögel Digitalisierung, On-Demand, Web 2.0: Die Medienwelt hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verändert. Das Deutsche Welle Global Media Forum vom 3. bis 5. Juni in Bonn wird sich mit diesem rasanten technologischen Fortschritt beschäftigen und die daraus resultierenden Fragen für die „Konfliktprävention im Multimedia-Zeitalter“ diskutieren. Zu den 50 Einzelveranstaltungen der zweiten Auflage der Konferenz werden rund 900 Teilnehmer aus 100 Ländern erwartet. Ein Vorbericht von Michael Münz. 28. März. In Frankfurt und Berlin demonstrieren insgesamt 55.000 Menschen gegen das bevorstehende G20-Treffen: „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ Für die Veranstalter hieß eine der Herausforderungen: die Ansprechpartner über den jeweils anderen Veranstaltungsort auf dem Laufenden zu halten. Wie viele Teilnehmer sind dabei? Zeichnen sich irgendwo Schwierigkeiten ab? Für das Netzwerk attac, einen der Veranstalter, saß Frauke Distelrath in ihrem Frankfurter Büro und behielt über unterschiedliche Medien die Situation in beiden Städten im Blick. Über einen SMS-Verteiler gab sie Informationen aus TV-Nachrichten, Online-Medien sowie Botschaften, die sie per Mail oder Telefon erreichten, weiter. „Wir koordinieren solche Aktionen schon lange per SMS“, berichtet die attac-Pressesprecherin. „Heutzutage hat jeder ein Handy dabei, das erleichtert die standortübergreifende Kommunikation.“ Als Ansprechpartner für die Presse
war Alexis Passadakis beim Demonstrationszug in Berlin dabei. Distelraths Botschaften rüsteten ihn für Journalistenanfragen aus. Er sieht noch Potenzial für die Nutzung Neuer Medien bei solchen Anlässen. „Wir denken gerade darüber nach, ob wir zur Berichterstattung nicht auch ein Twitter-Account einrichten sollten. Die Bedeutung solcher Instrumente für die Arbeit von attac wird in Zukunft sicher noch zunehmen“, so Passadakis. „Es wäre aber letztlich nur ein I nstrument unter vielen.“ Howard Rheingold hat die Bedeutung neuer Kommunikationsformen für jedwede Form der Zusammenarbeit schon vor einigen Jahren thematisiert. Der Professor an der Stanford University in Kalifornien, USA, ist einer der weltweit führenden Köpfe in der Diskussion um die Zukunft des Web 2.0. Ihm war an verschiedenen Orten der Welt immer wieder aufgefallen, mit welcher Selbstverständlichkeit gerade junge Menschen Mobiltelefone zur Kommunikation
»Das neue Medien umfeld läutet eine Revolution ein.«
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Skurrile Kontraste: junge Liba-
nesen im zerstörten Beirut – das World Press Photo 2006 von Spencer Platt
Die Experten
nutzten. Seitdem erforscht er, wie diese Kommunikationsformen bei politischen Aktionen eingesetzt werden können. Mit Smart Mobs prägte er einen Begriff, der aufzeigt, auf welche Weise mobile Medien und das Internet Menschen dazu bef ähigt, „gemeinsame Aktionen auf neue Art und Weise zu organisieren – mit Menschen, mit denen sie zuvor keine derartigen Aktivitäten organisieren konnten, in Größenordnungen, an Orten und in einer Geschwindigkeit, in der dies zuvor nicht möglich
gewesen wäre“. Rheingold führt als Beispiel die Proteste an, die Anfang 2001 zum Sturz des philippinischen Präsidenten Joseph Estrada geführt hatten: Die Aktionen waren per SMSNachrichten organisiert worden, nur Minuten nachdem bekannt wurde, dass Estrada sich womöglich nicht wegen Vorwürfen der Korruption würde verantworten müssen. Beispiele dieser Art machen Rheingold sicher: Das Potenzial der kabellosen Kommunikation, um soziale Veränderungen herbeizuführen, ist immens.
Howard Rheingold
Brian Storm
Professor an der Stanford Univer-
Galionsfigur des Internetjourna-
sity in Kalifornien, USA. Einer der
lismus. Medienunternehmer, Autor
weltweit führenden Köpfe in der
und Journalist. Gründer der Firma
Diskussion um die Zukunft des Web
Mediastorm. Emmy-Award für mul-
2.0. Trend-Guru zum Nutzerverhal-
timediale Reportagen aus Krisen-
ten. Vordenker für humane Inter-
gebieten.
netnutzung.
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Wie sich dies auch für die Konfliktprävention einsetzen lässt, darüber spricht er am Eröffnungstag des Deutsche Welle Global Media Forum. Zum zweiten Mal bringt die Deutsche Welle Medienvertreter aus aller Welt mit Akteuren aus Politik, Kultur, Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft zusammen. Zahlreiche Prominente haben ihre Teilnahme angekündigt. Erwartet werden unter anderem der EU-Außenbeauftragte Javier Solana, der Kommissar für Frieden und Sicherheit der Afrikanischen Union, Ramtane Lamamra, sowie der Medienunternehmer Nick Brambring, Geschäftsführer des Portals für kostenloses Internet-Fernsehen Zattoo. Außerdem kommen nach Bonn: Christiana Falcone, Leiterin Multimedia des World Economic Forum, USA, Professor Noel Sharkey, University of Sheffield, einer der international führenden Forscher im Grenz bereich zwischen künstlicher Intelligenz, Robotik und Kriegstechnologie, sowie Salim Alim, Gründer der ersten panafrikanischen Nachrichtenagentur A24 Media in Kenia.
Cyberterrorismus und Militär-Blogs Wie im vergangenen Jahr erwartet die Deutsche Welle wieder rund 900 Teilnehmer aus über 100 Ländern. Im World Conference Center Bonn erarbeiten sie interdisziplinär Lösungsansätze für Herausforderungen der Globalisierung, bei denen Medien eine zentrale Rolle spielen – wie schon 2008 steht dabei Konfliktprävention im Fokus. Zahlreiche Journalisten werden weltweit aus Bonn berichten – und sich an den Workshops und Diskussionen beteiligen. Aus Deutschland mit dabei: Mercedes Bunz, Chefredakteurin Tagesspiegel Online, Roland Tichy,
Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Peter Sturm, Frankfurter Allgemeine Zeitung, und Konstantin Neven DuMont, Geschäftsführender Gesellschafter von M. DuMont Schauberg. Die wachsende Bedeutung Neuer Medien in politischen Konflikten wurde zuletzt während des Gaza-Kriegs Anfang des Jahres deutlich. Israelis und Palästinenser nutzten etwa Video portale, um damit ihre Perspektive in der Berichterstattung in den Fokus zu rücken. Die Nutzung des Internets für Informationen und Fehlinformationen, Cyberterrorismus, HackerAktivitäten und Militär-Blogs – das sind nur einige der Phänomene und Konzepte, die militärische Konflikte im Multimedia-Zeitalter mehr und mehr prägen. „Diese Entwicklungen haben nicht nur militärische Strategien und Geheimdienstaktivitäten drastisch verändert, sondern auch die Berichterstattung über bewaffnete Konflikte“, konstatiert Thomas Rid, US-Experte für Sicherheitspolitik, Konfliktberichterstattung und Medien. „In den 1990er Jahren hatten Journalisten praktisch ein Monopol auf die Kriegsberichterstattung“, so Rid. Heute gebe es allein fast 2.000 von Soldaten betriebene Weblogs und in Kriegsregionen führten auch zahlreiche Zivilisten ein Onlinetagebuch.
Revolution der Konfliktprävention Rid ist Sicherheitsexperte am Zentrum für trans atlantische Beziehungen an der Johns Hopkins University’s School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington, D.C. Beim Deutsche Welle Global Media Forum wird er seine Thesen im Workshop „Krieg 2.0 – Die Rolle der Medien in asymmetrischen Konflikten“ darlegen. Rid: „Das neue Medienumfeld läutet eine
Thomas Rid
Noel Sharkey
US-Experte für Sicherheitspolitik,
Professor an der University
Konfliktberichterstattung und Me-
of Sheffield. Einer der internatio-
dien. Zentrum für transatlantische
nal führenden Forscher im Grenz-
Beziehungen an der Johns Hopkins
bereich zwischen künstlicher
University’s School of Advanced
Intelligenz, Robotik und Kriegs-
International Studies (SAIS) in
technologie.
Washington, D.C.
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Absurde Normalität: Nahost-
Panorama mit Hizbollah-Führer am Bildschirm und israelischen Bomben im Hintergrund
regelrechte Revolution ein.“ Die politischen und sozialen Auswirkungen könnten gravierend sein und Militärs, Politiker und Zivilisten vor einige Herausforderungen stellen. Während im ersten von den USA geführten Irakkrieg das Bildmaterial von den großen internationalen Nachrichtensendern kontrolliert worden sei, stellten heute die Kriegsteilnehmer – ob Soldaten regulärer Truppen oder Aufständische und militante Gruppen – ihre eigenen Videos ins Netz. „Damit“, so Rid, „sind auch Hinrichtungen, Sprengstoff-Attacken und Angriffe aus dem Hinterhalt jedem auf der Welt unmittelbar zugänglich.“
Journalismus neu definieren? Wenn heutzutage jeder mit seinem Handy jederzeit von überall berichten kann, was unterscheidet dann einen Journalisten von den neuen Akteuren auf den Medienmärkten? Wie können Journalisten neue Angebote wie Twitter, Wikis oder Podcasts für ihre Arbeit nutzen? „Nur die Möglichkeit zur Berichterstattung zu haben oder diese auch sinnvoll zu nutzen ist und bleibt ein riesiger Unterschied. Gerade deswegen sollen und müssen sich herkömmliche Medienanbieter und Medienarbeiter aktiv mit den neuen
egebenheiten auseinandersetzen“, sagt Marcus G Bösch. Der Kölner Journalist produziert für die DW wöchentlich die Blogschau, eine Hörfunkreihe über die Entwicklung von Weblogs und anderen Web 2.0-Diensten. Tipps und Bewertungen zu Online-Angeboten gibt es im Internet zuhauf, woran lässt sich somit erkennen, dass es sich um ein professionelles journalistisches Angebot handelt? „Ich bin überzeugt, dass die Auf bereitung von Themen anders ist, wenn man eine gute Ausbildung genossen hat. Um Brötchen zu backen, muss ich zwar kein Bäcker sein. Um das ganze Warenangebot einer Bäckerei täglich termingerecht und professionell herzustellen und zu verkaufen, schon.“ Von seinen Erfahrungen wird Bösch auf dem Forum berichten: „Re-inventing Journalism“ heißt der ganztägige Workshop der DW-AKADEMIE. Die neuen technischen Möglichkeiten für die Weiterentwicklung journalistischer Formate sehr früh genutzt hat Brian Storm. Der Chef der New Yorker Agentur Mediastorm, der im Rahmen der Konferenz in Bonn seine Arbeit vorstellen wird, gilt mit seinen Dokumentationen zu politischen und sozialen Themen als Pionier des multimedialen Fotojournalismus.
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Das Themenspektrum » Multimedia-Revolution und traditionelle Medien: Ergänzung oder Verdrängung? » Mehr Kanäle – mehr Nachrichten: Weniger Seriosität? » Medien in weltweiten Konflikten: Analyse im Überblick. » Krieg 2.0: Soldaten und Terroristen als Kriegsbericht erstatter. » Nutzer als Macher: Mob oder mündige Bürger? » Internetfernsehen: Interkulturelle Auswirkungen weltweit. » Medien und politische Transparenz: Turbulente Zeiten. » Junge Generation: Keiner hört zu, keiner sieht hin? » Sicherheitslücken: Der internationale Datenverkehr. » Gemeinsame Verantwortung: Streitkräfte und Gesellschaft. » Gesperrte Internetseiten: Verlieren Zensoren den Wettlauf? » Beispiel Liberia: Berichterstattung aus Konflikten. » Beispiel Somalia: Neue Medien und Intervention. » Werbung, Medien und Konflikte: Wer gestaltet die Botschaften? » Roboter in Konflikten: Ethische Aspekte moderner Kriegsführung. » Militainment: Virtuelle Kriegsspiele und soziale Wirklichkeit.
Video, Fotografie, Animationen, Audio – die mehrfach ausgezeichneten Produktionen von Mediastorm vereinen verschiedene Medien zu einer neuen Darstellungsform. Eine, die es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben hat und erst möglich wurde, als sich die benötigte Technik, sowohl für die Produktion als auch für die Rezeption, weltweit auf jedem Rechner – stationär wie mobil – wiederfand.
Howard Rheingold sieht das Ende dieser Entwicklung noch lange nicht erreicht. „Wir wissen, dass die Geräte, die heute von den Menschen genutzt werden, in zehn bis 20 Jahren noch preiswerter, noch weiter verbreitet und noch wichtiger sein werden.“ Was das für die künftige Rolle der Medien bedeutet, das werden die Teilnehmer der Konferenz diskutieren. —— twitter.com/michaelmuenz
Nick Brambring
Salim Alim
Christiana Falcone
Jean Réveillon
Ramtane Lamamra
Medienunternehmer. Geschäfts
Gründer der ersten panafri-
Leiterin Multimedia des World
Generalsekretär der European
Kommissar für Frieden und
führer des Portals für kosten
kanischen Nachrichtenagen-
Economic Forum, USA.
Broadcasting Union (EBU).
loses Internet-Fernsehen
tur A24 Media in Kenia. Das
Zattoo.
„YouTube Afrikas“.
Sicherheit der Afrikanischen Union.
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Bewusstsein schaffen im NeueMedien-Rausch
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Die zweite Auflage des Deutsche Welle Global Media Forum steht bevor. Im weltzeit-Gespräch
skizziert DW-Intendant Erik Bettermann das weiterentwickelte Konzept und die Ziele der Konferenz.
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„Die Nutzer suchen mehr und
mehr nach Qualität und Verlässlichkeit. Diese Diskussion greifen wir auf“: Erik Bettermann
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„Entscheidend ist doch nicht
die Frage nach alten oder neuen Medien, entscheidend sind Qualität und Relevanz der Inhalte“: Erik Bettermann
»Wir brauchen streitbare, auch umstrittene, inter national renommierte Akteure.«
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Was haben Sie im Vergleich zum Auftakt im Vorjahr verändert? Wir haben die Konzeption des Deutsche Welle G lobal Media Forum für 2009 inhaltlich und strukturell weiterentwickelt. Dabei haben wir auch Anregungen aufgegriffen, die von unseren Partnern, von vielen Teilnehmern und auch Journalisten an uns herangetragen wurden. Das heißt beispielsweise: weniger große Panels, mehr Workshops, mehr Übersetzung, mehr Interaktionsmöglichkeiten. Inhaltlich setzen wir 2009 einen Akzent auf Konfliktprävention und Multimedia, gehen auf technische Entwicklungen der Medien und veränderte Formen der Mediennutzung ein. Auch das war ein Wunsch vieler Teilnehmer. Es wird gleichwohl kein Technik-Forum: Das Generalthema der Konferenz schließt Themen wie Zivilgesellschaft und Wertevermittlung, Regierungsführung und Menschenrechte, Bildung und Entwicklung ein. Dass wir mit dem Konzept richtig liegen, zeigen auch die vielen Anfragen renommierter Institutionen, sich erstmals als Partner zu beteiligen. Wir können in diesem Jahr leider bei weitem nicht alle berücksichtigen. Mit Blick auf den Ausbau des World Conference Center Bonn werden sich wahrscheinlich künftig neue Möglichkeiten bieten.
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Welche konkreten Ziele verfolgt die Konferenz? Medien tragen eine große Verantwortung – insbesondere haben sie eine wichtige aktive Rolle bei der Konfliktprävention. Und diese Verant-
wortung müssen sie wahrnehmen – das umfasst alle, auch die neuen Medienakteure auf den unterschiedlichen Plattformen. Mit Hochgeschwindigkeits-Journalimus im Neue-MedienRausch ist es nicht getan. Die wachsende Zahl der Akteure im Web 2.0 fragmentiert die Medienlandschaft immer mehr. Nach anf änglicher Euphorie über die vielen neuen Möglichkeiten ist bei Machern und Nutzern doch eine gewisse Ernüchterung zu beobachten. Die Nutzer suchen mehr und mehr nach Qualität und Verlässlichkeit. Diese Diskussion greifen wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum auf und bieten Orientierung.
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Hierzulande spricht die Branche über die Krise der traditionellen und den Siegeszug der Neuen Medien… Entscheidend ist doch nicht die Frage nach „alten“ oder „neuen“ Medien, entscheidend sind Qualität und Relevanz der Inhalte. Hierzulande wird noch viel zu viel in medialen Kästchen gedacht: hier die Öffentlich-Rechtlichen und die Tageszeitungen, da Twitter und Co. Man darf sie nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss ihre jeweiligen Stärken nutzen und kombinieren. Die Deutsche Welle setzt erfolgreich auf eine Multiplattformstrategie: klar definierte Zielgruppen auf allen technischen Wegen erreichen, die diese zur Verfügung haben und bevorzugen. Die Inhalte werden entsprechend auf bereitet. In diesem Sinne haben wir jetzt Hörfunk- und Onlineredaktionen zusammengelegt und multi-
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medial aufgestellt – unter Einbeziehung unserer TV-Inhalte. Man muss Medien als ein System begreifen – international vernetzt. Beispiel: Wenn wir als Auslandssender eine Information verbreiten, die in den offiziellen Medien des Zielgebiets nicht zu finden ist oder den Menschen bewusst vorenthalten wird, dann wird sie mit Sicherheit in oppositionellen Blogs aufgegriffen und weiterverbreitet. Das kennen wir aus Iran, das kennen wir aus China oder auch Kuba. Die Blogging-Debatte wiederum thematisieren wir und geben so der Freiheit und Vielfalt der Meinungen eine Chance.
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Kann demnach „Konfliktprävention im Multimedia-Zeitalter“ erfolgreich sein? Die Themenfülle, die wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum in diesem Jahr in rund 50 Einzelveranstaltungen abdecken, verdeutlicht zunächst eines: Das Generalthema ist von erheblicher internationaler Relevanz und das Bedürfnis, sich darüber auszutauschen, enorm. Medien sind im Kontext der Vorbeugung von Konflikten in vielfacher Hinsicht gefordert. Und das beginnt vor der eigenen Haustür: Wenn Menschen virtuelle Kriegsspiele spielen, dann ist das mit einer erheblichen sozialen Konditionierung verbunden. Wenn sich Videospiele zum wirkungsvollsten Rekrutierungswerkzeug des USMilitärs entwickelt haben, unterstreicht das die gesellschaftliche Bedeutung. Und wenn durch die Abbildung realer Konflikte der jüngeren Vergangenheit in Videospielen die Grenzen zwischen Videospiel und interaktivem Journalismus aufgeweicht werden, wie Experten meinen, dann müssen wir das diskutieren. Ebenso muss man reflektieren, dass sich nicht nur die Konflikte selbst, sondern auch die Berichterstattung über sie dramatisch wandeln – wenn beispielsweise Soldaten Weblogs betreiben oder eigene Bilder ihrer Einsätze auf YouTube veröffentlichen. Das heißt: Wir müssen ausloten, welche Möglichkeiten Medien im Multimedia-Zeitalter haben, um Konflikten vorzubeugen.
Konfliktfelder – ob sozial oder politisch, ökologisch oder ökonomisch bedingt. Aber es wird zunehmend wichtiger, dass die Medien mit gut recherchierten Geschichten Bewusstsein fördern, wie sich Konflikte lösen ließen. Sie müssen ein Forum bieten für den Austausch von Ideen und Meinungen und diese wiederum aufgreifen. Das setzt professionell und verantwortungsbewusst agierende Journalisten voraus.
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Das Deutsche Welle Global Media Forum – somit ein Treffen der medialen Gutmenschen? Dagegen würde sich beispielsweise der Chaos Computer Club vermutlich verwahren. Wir brauchen streitbare, manchmal auch umstrittene, international renommierte Akteure für strittige Themen. Die Konferenz lebt vom Engagement ihrer Teilnehmer, was schon die Auftaktveranstaltung eindrucksvoll gezeigt hat. 2009 bringen wir unter anderem Galionsfiguren der Internetszene, Medienunternehmer und Journalisten, Experten für internationalen Datenverkehr und Informationssicherheit und hochrangige Militärs zusammen. Sowohl die Themenbreite als auch die Besetzung des Deutsche Welle Global Media Forum spiegeln unser Selbstverständnis, weltweit als deutsche Stimme der Menschenrechte zu w irken, wider. ——
Das World Conference Center Bonn ist Schauplatz des Deutsche Welle Global Media Forum. Der ehemalige Plenarsaal des Deutschen Bundestags mit knapp 1.300 Plätzen und das Wasserwerk (600 Plätze) sind die Kernstücke des jetzigen Kongresszentrums. Ab Ende 2009 ergänzen der Erweiterungsbau und das angeschlossene Ameron World Conference Hotel (Foto) das Angebot. Über 2.500 Personen werden im Großen Saal des Erweiterungsbaus Platz finden, mehr als 800 im Kleinen Saal, hinzu kommen Tagungsräume mit 345 bis 600 Plätzen. Das WorldCCBonn kann auf die Nähe zu den Vereinten Nationen, zur DW und den Firmensitzen
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Reden Sie damit einer aktiveren Rolle der Medien das Wort? Also nicht nur Berichterstattung über Krisen und Konflikte, sondern auch Gestaltung von Lösungen durch die „Vierte Gewalt“? Natürlich geht es zunächst immer darum, dass die Medien Konflikte so objektiv wie möglich abbilden. Und zwar in der ganzen Bandbreite gesellschaftlicher, nationaler und internationaler
von Deutsche Post DHL, Postbank und Telekom, den Häusern der Museumsmeile sowie einer Vielzahl internationaler Verbände und Organisationen verweisen. Das World Conference Center Bonn versteht sich als eine Stätte des internationalen Dialogs, an der Zukunftsthemen von weltweiter Bedeutung diskutiert werden. www.worldccbonn.com
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Fotos von Größenwahn und Verfall Bonn – In Kooperation mit Reporter ohne Grenzen zeigt das Deutsche Welle Global Media Forum in Bonn die Fotoausstellung „Nahtstellen“. Menschen aus GUS-Ländern in Bildern, die eindrucksvoll von Krieg, Größenwahn und Verfall erzählen. Marco Siebertz hat sie gesehen.
»Metaphern für den Umgang mit dem postkommunistischen Erbe.«
Zwei alte Frauen überqueren eine leere Straße. Die eine richtet schützend einen aufgespannten Regenschirm nach vorne. Ist es der Wind, der durch den düsteren ruinenhaften Palast – einen Betonkoloss, der von besseren Zeiten erzählt – bläst, vor dem sie Schutz suchen? Oder ist es nur Schatten von den Sonnenstrahlen aus dem großzügig blauen Himmel, den sie wollen? Das Foto der polnischen Fotografin Justyna Mielnikiewicz entstand im August 2006 in Abchasien, in der Stadt Otschamtschira. Dort sind selbst zwölf Jahre nach dem Waffenstillstand zwischen Abchasien und Georgien die Verwüs tungen unübersehbar und machen die Region zu einem Mahnmal für die zerstörerische Kraft des Krieges. Vor dem Bürgerkrieg war die abchasische Schwarzmeerküste noch ein beliebtes Urlaubsziel für Sowjeteliten. Um seine wirtschaftliche Unabhängigkeit wiederherzustellen, möchte Abchasien nun wieder Urlaubsregion werden und lockt russische Touristen mit Tiefpreisen ins subtropische Klima. Es entstanden kontrastreiche wie bizarre Bilder von Urlaubern zwischen Trümmern und UN-Beobachtern.
Die Bilder sind Teil der Fotoausstellung „Nahtstellen“, die von Reporter ohne Grenzen zusammengestellt wurde. Sie ist ein subtiles Dokument, geschaffen von zehn Fotografen, die das Leben der Menschen in den ehemaligen Sowjetrepubliken und heutigen GUS-Staaten beleuchten. Gerade weil Transparenz und Pressefreiheit in den meisten dieser Länder keine ernsthafte Rolle spielen, erhalten die Bilder besondere Brisanz. Sie sind Metaphern für den Umgang mit dem postkommunistischen Erbe – für die Probleme, aber auch dafür, wie sich die Menschen damit arrangieren. Wie zum Beispiel in Kasachstan, wo das Fotografen-Paar Jelena und Viktor Vorobjev einen pragmatischen Umgang mit der Ästhetik des Kommunismus zeigt: Das SowjetRot wurde schlicht mit dem Türkisblau aus der kasachischen Flagge übertüncht. Erinnern viele Bilder mittels einer Ästhetik der Abnutzung und des Verfalls an bessere Zeiten, gibt es auch jene visuellen Momente, die von Auf bruch und Hoffnung zeugen. Der englische Fotograf Simon Roberts durchreiste Russland zwischen August 2004 und Juli 2005 – eine
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Das Sowjet-Rot wurde
schlicht mit Türkisblau übertüncht: die „Blaue Periode“ von Jelena und Viktor Vorobjev
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Bizarre Bilder von Urlaubern
zwischen Trümmern und UN-Beobachtern: von Justyna Mielnikiewicz (auch Bild 01)
abenteuerliche Reise, die ihn vom äußersten Osten Russlands bis zum nördlichen Kaukasus brachte. Seine Aufnahmen spiegeln den Stolz auf das „Mutterland“ wider: eine selbstbewusst lächelnde Verkäuferin hinter einer üppig gefüllten Fleischtheke, ein Mann auf einer Parkbank vor neuen Hochhaus-Luxusappartments. Oft bedienen die Szenerien der Fotos unsere Klischees von der postkommunistischen Gesellschaft. Das aber ermöglicht erst, dass die Menschen in den Vordergrund treten, welche sich nicht nur natürlich und pragmatisch, sondern auch stolz und zuversichtlich der Situation bemächtigen. Und genau das ist es, was die Spannung erzeugt. Nachdem die Fotoausstellung im März im Bonner Stadthaus zu sehen war, bildet der Auftritt beim Deutsche Welle Global Media Forum den Abschluss des Aufenthalts in Bonn. ——
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Neue Luxusappartments in
Weitere Informationen und Ausstellungskatalog:
Moskau: aus der Reihe „Mutterland“
www.fotos-fuer-die-pressefreiheit.de
von Simon Roberts/*NBPICTURES
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„Ich bin eine Cyber-Bürgerin“ Havanna – Die Kubanerin Yoani Sánchez wird im Rahmen des Deutsche Welle Global Media Forum am 3. Juni in Bonn mit dem internationalen Weblog-Award „The BOBs“ ausgezeichnet. Die studierte Literaturwissenschaftlerin ist mit ihrem Blog „Generación Y“ Siegerin der jüngsten Auflage des Wettbewerbs. Franz Smets, dpa-Korrespondent für Mittelamerika und Karibik, sprach für weltzeit mit der mutigen Bloggerin.
»Blogs können großen Einfluss haben, denn sie sind ansteckend.«
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Frau Sánchez, Sie haben schon mehrere Preise für Ihren Blog zuerkannt bekommen. Wie sind Sie dazu gekommen, einen eigenen Weblog zu entwickeln, aus dem eine Bloggerszene in Kuba entstanden ist? Die kubanische Blogosphäre begann sehr zaghaft. Ich war wohl eine der Pioniere. Im vergangenen Jahr hat es einen sehr interessanten Anstieg gegeben. Verglichen mit Ländern wie China, Iran, USA und Spanien, die eine riesige Blogosphäre haben, sind wir hier immer noch einige wenige. Aber ich glaube, es ist auch in
Kuba ein Phänomen, das langsam aber sicher an Bedeutung gewinnt, vor allem unter Jugendlichen und anderen Personen, die hin und wieder Zugang zum Internet haben. Das Phänomen ist im Embrionalzustand, aber sehr gesund.
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Kaum jemand hat in Kuba Zugang zum Internet, auch Sie nicht. Wie schaffen Sie es, dass Ihre Beiträge dennoch ins Internet gelangen? Einen Blog aus dem Inneren Kubas zu haben ist ein Abenteuer – ein Science-Fiction-Aben-
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Sprachrohr des Regimes:
„Granma“, die offizielle Zeitung der Kommunistischen Partei Kubas
Offline und uniform: Medien in Kuba
Presse Die Blätter sind jeweils auf eine exakt definierte
offizielle Zeitung der Kommunistischen Partei,
Zielgruppe innerhalb der „revolutionären Gesell-
Granma, mit einer täglichen Auflage von 500.000
Die Verfassung von 1976 schreibt fest: Kubanische
schaft“ zugeschnitten. So wird beispielsweise
Exemplaren. Sie versteht sich als Sprachrohr des
Massenmedien sind Staatseigentum (Kap. VI, Art.
Juventud Rebelde (Rebellische Jugend) vom Kom-
Regimes und veröffentlicht regelmäßig die of-
52). Ziel des Medienwesens ist in erster Linie die
munistischen Jugendverband herausgegeben und
fiziellen Bekanntmachungen der kubanischen
Staatspropaganda. Die Presse wird von der Kom-
richtet sich an Jugendgruppen. In Tabajadores (Ar-
Regierung. Darüber hinaus gibt es 14 regionale
munistischen Partei und ihren Organisationen kon-
beiter/Arbeiterinnen), der Zeitung des kubanischen
Zeitschriften, die den örtlichen Komitees der Kom-
trolliert. Mirjam Gehrke mit einem Überblick über
Gewerkschaftsverbandes CTC, werden schwer-
munistischen Partei unterstehen, und die Nach-
Kubas Medienlandschaft:
punktmäßig Fragen erörtert, die die arbeitende
richtenagenturen Prensa Latina und Agencia de
Bevölkerung betreffen. Und dann ist da noch die
Information Nacional.
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weltzeit 03_2009
teuer. Wir leben in einem Land mit einer der geringsten Anzahl von Verbindungen ins Netz weltweit. Was mich angeht, so muss ich praktisch alle meine Blogs verfassen, ohne an das Netz angebunden zu sein. Später gehe ich an einen öffentlichen Ort, um meine Einträge loszuschicken. Leider können wir Kubaner keine Internetverbindung kaufen oder mieten, um sie von zu Hause zu genießen. Wir sind auf die wenigen Internetcafés in den Hotels angewiesen – und die verlangen sehr viel Geld.
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Dann ist es trotz der wirtschaftlichen Erleichterungen, die von der Regierung versprochen wurden, nicht einfacher geworden? In meinem Fall ist die Lage seit dem vergangenen Jahr noch komplizierter geworden. Mitte März 2008 wurde mein Blog in Kuba blockiert, das heißt, er kann von hier nicht gelesen werden. Aber dank der virtuellen Gemeinde, die sich um meinen Blog gebildet hat, gibt es Personen, die mir helfen, meine Texte zu platzieren. Ich bin sozusagen eine blinde Bloggerin. Nur dank der Mitarbeit von vielen Leuten in der Welt konnte ich den Blog auf aktuellem Stand halten.
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„Eine Provokation“
„Wir Kubaner sind wie kleine
Kinder, die die Genehmigung vom Papa
Als sie mit ihren Berichten über den kubanischen Alltag in
einholen müssen, um das Haus zu ver-
den ersten Monaten des vergangenen Jahres Millionen von
lassen“: The BOBs-Gewinnerin Yoani
Menschen erreichte, wurde sie zu einer Herausforderung
Sánchez
für die staatliche Zensur. Und für den kubanischen Revolu-
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Wie viele Internetcafés gibt es in Kuba? Nur sehr wenige. In Havanna kenne ich nur zwei, die tatsächlich einen Zugang zum Internet haben. Es gibt andere Stellen mit Zugang zum E-Mail-System. Die Hotels sind für Touristen gedacht – jetzt können sich auch Kubaner da reinschmuggeln. Das große Problem sind die exzessiven Preise, zwischen fünf und sieben Euro pro Stunde. Auf dem Land ist das praktisch unmöglich. Insofern ist es ein Vorteil, in der Hauptstadt zu leben und wenigstens diese Räume zu haben. Die Menschen in der Provinz haben gar nichts.
tionsführer Fidel Castro, der mit seinen „Gedanken des Genossen Fidel“ versucht, das Wissen und Denken der Kubaner entscheidend zu beeinflussen, die er ein halbes Jahrhundert beherrscht hat. Er klagte Sánchez an, die Arbeit der „neokolonialen Presse“ zu tun. Erst Anfang April dieses Jahres wurde Yoani Sánchez bei einer offiziellen Literaturveranstaltung der „Provokation gegen die kubanische Revolution“ bezichtigt, weil sie mit einer Gruppe Gleichgesinnter „Freiheit und Demokratie“ gefordert hatte. www.desdecuba.com/generaciony
Fernsehen
Radio
Fast alle kubanischen Haushalte verfügen über Fern-
Die Radiolandschaft auf Kuba zeichnet sich durch
Ausländische Radiosender können über Mittel- und
sehgeräte. Landesweit werden vier staatliche Sender
größere Vielfalt aus: Es gibt zahlreiche Sender mit
Kurzwelle in Kuba frei empfangen werden. Ausnah-
ausgestrahlt: Cubavisión, Tele Rebelde und die bei-
gemischten Wort-Musik-Programmen sowie reine
me: der aus Miami sendende Kanal Radio Martí, der
den Bildungskanäle Canal Educativo 1 und 2. Cubavisi-
Musiksender. Der Nachrichtensender Radio Reloj ist
von kubanischer Seite systematisch gestört wird.
ón strahlt außerdem über Satellit ein 24-stündiges in-
nach eigenen Angaben der älteste 24-Stunden-Nach-
ternationales Programm aus. Kuba ist mit 19 Prozent
richtensender mit ständiger Zeitansage. Seit 1947
des Kapitals an dem lateinamerikanischen Satelliten-
strahlt Radio Reloj sein Programm über Mittelwel-
Informationssender Telesur beteiligt. Aber: Der Besitz
le und in den großen Ballungszentren auch über UKW
von Satellitenempfangsschüsseln und der Empfang
aus. Zuletzt kam vor einigen Jahren auch ein Inter-
von Satelliten-Programmen sind in Kuba verboten.
net-Stream hinzu.
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Glauben Sie, dass Internet und spezi ell Blogs die Lage in Kuba verändern können? Wir Kubaner leben umgeben von einer Mauer der Kontrolle, einer Mauer des Monopols, die der Staat über alle Informationen ausübt, die in Kuba zirkulieren. Und die Blogs sind ein kleiner Spalt, der sich geöffnet hat, um die Meinung der Bürger zu hören, um zu hören, was die Bürger sagen. Ich glaube, Blogs können großen Einfluss haben, denn sie sind ansteckend. Wenn zum Beispiel junge Leute sehen, dass es andere junge Leute in Kuba gibt, die aufschreiben, was sie denken, und die die Blogs mit Leben füllen, dann kann das den Wunsch wecken, das auch zu tun. Ich glaube, es ist notwendig, dass die Bür-
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ger Kubas vom Staat abweichende Meinungen ausdrücken können, und dass sie nicht auf ausländische Publikationen angewiesen sind, um ihre Artikel zu veröffentlichen.
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Werden Sie zur Preisverleihung nach Deutschland reisen können? Ich hoffe sehr, aber ich fürchte leider, dass man mich nicht gehen lässt. Wir Kubaner sind wie kleine Kinder, die die Genehmigung vom Papa einholen müssen, um das Haus zu verlassen. Ich habe im vergangenen Jahr dreimal versucht, eine Reiseerlaubnis zu bekommen. Sie wurde jedes Mal abgelehnt. Ich werde es weiter versuchen. Und ich werde mich nicht mit einem Nein der Behörden abfinden. Aber es gibt nur wenig Aussicht. In gewisser Weise ist das Nicht-ReisenDürfen die Strafe dafür, dass ich meinen Blog schreibe. Auf jeden Fall bin ich eine Bürgerin, eine Cyber-Bürgerin, und obwohl sie mich nicht reisen lassen, reise ich doch jeden Tag dank meines Blogs. Ich werde, auch wenn möglicherweise nur virtuell, bei der Preisverleihung in Bonn dabei sein. ——
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„Wir leben in einem Land mit
einer der geringsten Anzahl von Verbindungen ins Netz“: Internetcafé in Havanna
Internet
Journalisten
Nur knapp 120.000 der insgesamt elf Millionen Ein-
Zurzeit wird ein unterseeisches Glasfaserkabel zwi-
Derzeit sind auf Kuba 23 Journalisten inhaftiert –
wohner sind online, gerade mal 1,7 Prozent der Be-
schen Venezuela und Kuba verlegt, das bis 2010 sei-
viele von ihnen gelten als sogenannte Internet-Dis-
völkerung. Durchschnittlich kommen 4,5 Computer
nen Dienst aufnehmen soll. Damit würde die An-
sidenten, die versucht haben, unabhängige Informa-
auf 100 Einwohner – das ist die niedrigste Rate in La-
bindung Kubas an das weltweite Datennetz um das
tionen über Kuba ins Ausland zu übermitteln. Die Or-
teinamerika. Der Besitz von Computern mit Internet-
3.000-fache ausgebaut.
ganisation Reporter ohne Grenzen zählt Kuba zu den
zugang ist für Privatleute nach wie vor verboten. Die
größten Gefängnissen für Journalisten und hat das
neue Regierung unter Raúl Castro hat zwar inzwi-
Land in die Liste der „15 Feinde des Internets“ auf-
schen den Kauf von Computern und Mobiltelefonen
genommen.
für Privatpersonen erleichtert. Aber die Beschränkungen zum Internetzugang gelten weiterhin.
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Die Prinzessin ohne Traumrolle Teheran/Bonn – Die iranische Schauspielerin Pegah Ahangarani wird Anfang Juni zum Deutsche Welle Global Media Forum nach Bonn kommen. Die Berliner Filmfestspiele hatte die junge, in ihrer Heimat sehr populäre Akteurin auf Einladung der DW in einem Blog begleitet. DW-Redakteur Farhad Payar über eine Prinzessin – auf der Suche nach einem Prinzen für ihr Land. Zurzeit steht sie für den Film „Der blaue Weg der Seide“ vor der Kamera. „Ich spiele eine iranische Prinzessin.“ Regie führt Mohammad Bozorgnia. Kann eine junge, weltoffene Schauspielerin im Iran ihre Ideen durchsetzen? Inwieweit man als Darstellerin eigene Ideen einbringen könne, das hänge vom Regisseur ab, sagt Ahangarani. „Ich versuche, in Filmen zu spielen, deren Regisseure meine Ideen beachten und mir einigermaßen freie Hand bei der Gestaltung der Rolle geben.“ Die jüngste Berlinale hat sie als Filmkritikerin in einem DW-Blog begleitet. Die deutsche Hauptstadt – „meiner Meinung nach die Kulturhauptstadt der Welt“ – und ihr Filmfestival – „das größte und geordnetste Festival, das ich kenne“ – haben sie offenbar tief beeindruckt.
einen langen Weg gehen, um Chatami wirklich zu verdienen. Bis dahin haben wir noch viele Erfahrungen zu machen.“ Auf diesem Weg sei Ahmadinedschad als Präsident wohl „eine gute Erfahrung“, meint sie. Zum Deutsche Welle Global Media Forum – also noch vor den Präsidentschaftswahlen in ihrer Heimat – wird sie erneut in Deutschland erwartet. Auf der Konferenz geht es um Möglichkeiten der Konfliktprävention im Multimedia-Zeitalter: Können beispielsweise Blogs die Meinungsfreiheit im Iran voranbringen? „In unserem Land sind viele Zeitungen verboten worden und es werden weiterhin welche verboten. Viele Bücher nehmen die Hürden der Zensur nicht, Denker dürfen ihre Meinung nicht frei äußern. In einem solchen Land sind Weblogs
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„Wir Iraner müssen wohl
noch einen langen Weg gehen, um Chatami wirklich zu verdienen“: Pegah Ahangarani
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„Viele Bücher nehmen die
Hürden der Zensur nicht, Denker dürfen ihre Meinung nicht frei äußern“: Studenten an der Koranschule in Ghom
Davon abgesehen, seien ihr in Berlin vor allem die zahlreichen Galerien und Ausstellungen aufgefallen. Die Filmprinzessin ist durchaus politisch: Ahangarani unterstützt Mohammed Chatami, der bei den Wahlen am kommenden 12. Juni als Präsidentschaftskandidat antreten wollte, Mitte März aber zugunsten des Mitbewerbers und früheren Premiers Musawi darauf verzichtete. Was bedeutet für sie dieser Rückzug? Die Schauspielerin überlegt, was ein Chatami mit seiner reformorientierten Agenda als Präsident alles hätte bewirken können. „Wir Iraner müssen wohl noch
und andere Formen der Kommunikation über das Internet gute Möglichkeiten, die Zensur zu umgehen. Dadurch erhalten wir direkt und unzensiert Werke und Meinungen jener, die wir mögen.“ Pegah Ahangarani – als Schauspielerin auf dem „Blauen Weg der Seide“ unterwegs – sucht im grauen politischen Alltag ihres Landes nicht nach dem Märchenprinzen. Und eine Traumrolle, die sie gern einmal spielen würde, habe sie auch nicht. „Aber es gibt Regisseure, mit denen ich gern arbeiten würde“, sagt sie – ohne Namen nennen zu wollen. ——
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„Westliche Medien müssen Pakistan unter Druck setzen“ Bonn – Sie lebt in Deutschland, weil sie aus ihrer Heimat Pakistan fliehen musste. Sie wurde verfolgt und mit dem Tode bedroht: die Journalistin Meera Jamal. Seit April arbeitet sie in der Urdu-Redaktion der Deutschen Welle in Bonn. Nina Haase sprach mit ihr.
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Frau Jamal, ab welchem Zeitpunkt war Ihnen klar, dass Sie Pakistan verlassen müssen? Im August 2008 wurde ich auf dem Weg zur Arbeit von vier Männern angehalten, eine Gruppe radikaler Islamisten, die der Meinung waren, dass meine Artikel Frauen auf hetzten und dass sie dem Islam widersprächen. Sie drohten mir und sagten, ich müsse sterben, wenn ich so weiterschreiben würde wie bisher. Ich hatte zwar auch schon früher Morddrohungen erhalten, aber das waren immer Briefe oder Anrufe gewesen. Niemals hatte mich jemand persönlich bedroht. Meine Familie war tief besorgt, und in diesem Moment wurde mir erst richtig klar, wie gef ährlich die Situation für mich geworden war. Da wusste ich, dass ich keine andere Wahl mehr hatte, als Pakistan zu verlassen.
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„Freie pakistanische Journa-
listen werden von Geheimdiensten drangsaliert und bedroht.“: Meera Jamal zur Situation in ihrer Heimat
Welche Artikel waren der Stein des Anstoßes? Ein Artikel über die Koranschulen in Pakistan, die Madressas, beispielsweise. Darin ging es um die Debatte, ob es Koranschulen überhaupt geben sollte und ob Eltern ihre Kinder in Ins titutionen schicken sollten, in denen diese so wenige Anreize bekommen, wo Wissen eine untergeordnete Rolle spielt und es nur einen begrenzten Lehrplan gibt. Ein anderer Artikel handelte vom Selbstbestimmungsrecht der Frauen. In Pakistan wird eine Debatte darüber geführt, ob Frauen das Recht haben, sich scheiden zu lassen. Ich bin da ziemlich ins Detail gegangen und habe alle Gesetze aufgelistet, die es gibt. Außerdem habe ich über den Einfluss der Taliban geschrieben, auch damit habe ich mir Ärger eingehandelt.
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Die Zeitung „Dawn“ hat am Internationalen Tag der Frau ein Porträt über eine Prostituierte veröffentlicht, das Sie verfasst hatten. Auch da gab es Ärger? Die Frau war 56 und seit langer Zeit in diesem Metier tätig. Sie hatte zwei Kinder, die keine Ahnung hatten, was ihre Mutter tat. Sie verdiente ihr Geld so gut sie konnte, um ihre Kinder durchzubringen und ihnen eine Ausbildung ermöglichen zu können. Das ist das größte Opfer, das eine Frau bringen kann, fand ich und schrieb darüber. Der verantwortliche Redakteur hatte erst Angst, den Artikel zu veröffentlichen, hat es dann aber doch getan, wenngleich auf keinem prominenten Platz in der Zeitung.
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Woher haben Sie den Mut genommen, über solch kontroverse Themen zu berichten? Es geht darum, wie man eine Geschichte formuliert, welche Worte man benutzt. Dazu braucht man einen gewissen Riecher. Ich habe Literatur studiert und interessiere mich generell für das soziale System und für das Verhalten von Menschen. Ich denke, man muss erstens fest an sich glauben und zweitens den Rückhalt in der Familie haben. Ich bin in einer atheistischen Familie groß geworden. Das heißt, dass wir stets das abgelehnt haben, was die Leute um uns herum gelebt haben. In Pakistan mussten wir immer behaupten, wir seien Muslime. Das war in den Papieren meiner Eltern so eingetragen und auch in meinen. Öffentlich kann ich nicht sagen, dass ich Atheistin bin, aber ich praktiziere die Religion nicht. Das wussten in meinem Büro alle – auch das hat mir Ärger eingebracht. Aber ich habe immer das getan, woran ich glaube.
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Welchen Problemen sehen sich Medienschaffende in Pakistan ausgesetzt? In den pakistanischen Medien gibt es überall Beschränkungen und Zensur. Manche Themen werden einfach in Live-Sendungen oder in den Zeitungen nicht angesprochen. Die Zensur ist sehr effektiv. Die Regierung hat ihre eigenen Methoden, die Dinge zu regeln. Man kriegt steuerliche Probleme, die Anzahl der Printmedien wird verringert, Programme werden
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vom Sender genommen, ganze Sender werden abgeschaltet. Das passiert auch unter der demokratischen Regierung, die wir momentan haben. Die haben eine Reihe von Sendern abgeschaltet. Freie pakistanische Journalisten werden von Geheimdiensten drangsaliert und bedroht. Autoren, die über islamische Themen schreiben, werden streng von islamischen Gruppen beobachtet und auch bedroht.
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Welche Aufgabe haben in diesem Zusammenhang westliche Medien? Westliche Medien sollten mehr Korrespondenten nach Pakistan schicken. Auch für diese ist es zwar nicht ganz ungef ährlich. Man denke nur an den Fall Daniel Pearl (US-Journalist, der 2002 in Pakistan entführt und ermordet wurde; Anm. d. Red.). Aber die Situation wird sich nur bessern, wenn westliche Medien das Geschehen in Pakis tan genauer im Auge behalten. Sie sollten sich nicht auf die Taliban beschränken, sondern eher beleuchten, warum es die Taliban überhaupt zu dieser Macht gebracht haben. Die weit verbreitete Armut und die soziale Situation im Allgemeinen führen zu Frustration und Wut. Wenn westliche Medien über solche Themen berichten, setzt das die Regierung unter Druck. Es muss viel geändert werden.
Meera Jamal 26, Redakteurin der liberalen pakis tanischen Tageszeitung Dawn, entschloss sich im Herbst 2008 zur Flucht. Wiederholt war sie auf Grund kritischer Beiträge, etwa über Koranschulen und die Situation der Frau in Pakistan, mit dem Tod bedroht worden. Mit Hilfe von Reporter ohne
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Können Sie jetzt, da Sie für den deutschen Auslandsrundfunk arbeiten, dazu beitragen? In der Urdu-Redaktion habe ich in der Tat ein Forum, wo ich über Dinge schreiben kann, die die Bevölkerung von Pakistan beschäftigen und angehen. Ich möchte zeigen, wie es in Pakistan wirklich zugeht, unter welchen schlimmen Bedingungen die Menschen leben und wie sie ständig leiden.
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Haben Sie jemals überlegt, einen anderen Beruf zu ergreifen? Wenn ich nicht schreiben kann, fehlt mir das wie die Luft zum Atmen. Beim Schreiben kann ich kreativ und konstruktiv sein. Nein, ich könnte keinen anderen Beruf als den der Journalistin ausüben. ——
Grenzen erhielt Jamal in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre. Seit April arbeitet sie in der Südasien-Redaktion der Deutschen Welle in Bonn. Die streitbare ExilJournalistin wird auch am Deutsche Welle Global Media Forum Anfang
Juni in Bonn teilnehmen – unter anderem an einem speziellen Workshop zur Mediensituation in Pakistan.
Bonn. Wir bringen zusammen, was zusammengehört. Politik und Wirtschaft, Menschen und Medien, Diskussionen und Lösungen: Bonn ist eine weltweit bekannte Destination mit demokratischer Tradition und unnachahmlichem Ambiente. Und das World Conference Center Bonn der Ort, an dem Ihre Tagungen, Konferenzen und Präsentationen Realität werden. Schon heute warten einzigartige Veranstaltungsräume auf Sie. Ab Ende 2009 steht Ihnen auch der Erweiterungsbau mit vielseitig nutzbaren Räumlichkeiten und modernster Ausstattung für bis zu 5.000 Teilnehmer sowie ein 4 Sterne Superior-Ameron World Conference Hotel zur Verfügung – angebunden an den berühmten Plenarsaal und das Wasserwerk. Willkommen am Rhein! Weitere Informationen erhalten Sie unter Tel. +49 (0)228-9267-0 und www.worldccbonn.com
VERANSTALTUNGSORT DES DEUTSCHE WELLE GLOBAL MEDIA FORUM
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D-Sign und deutsch sein Was ist typisch deutsch? Kuckucksuhren und Lederhosen – Pünktlichkeit und Ordnung, wer mag darin noch typisch Deutsches sehen? Design-Studenten der Fachhochschule Düsseldorf haben sehr kreative visuelle Antworten gefunden, die seit Anfang Mai im Internetangebot der Deutschen Welle zu sehen sind. Jenseits von Gartenzwergen und bayerischer Folklore dienten Vorbilder wie Gerhard Richter oder Albrecht Dürer als Grundlage der Umsetzung, Dichter und Denker wie Goethe oder Nietzsche sorgten für wegweisende Inspiration. Die Ergebnisse wurden im Bildband „D-Sign“ dokumentiert, mit Unterstützung der Identity-Foundation. www.dw-world.de/kultur
Mit dem Kurt-Magnus-Preis nach Rabat Bonn/Rabat – Für seine bewegenden Reportagen aus Äthiopien ist DW-Reporter Alexander Göbel (Bildmitte) am 27. März mit dem Kurt-Magnus-Preis 2009 ausgezeichnet worden. Der 34-Jährige hat sich der Jury zufolge „unprätentiös journalistischen Herausforderungen“ angenommen und „sensibel, ohne Pathos von menschlichen Schicksalen“ berichtet. Göbel hatte in Frankfurt am Main beim traditionellen Nachwuchswettbewerb zu Ehren des Radiopioniers Kurt Magnus (1887–1962) den zweiten Preis erhalten. Der Anerkennung folgte sogleich eine neue Aufgabe: Seit April verstärkt Göbel das Team im ARD-Studio in der marokkanischen Hauptstadt Rabat.
Tune in to Education Bonn – Im Rahmen der UNESCO-Weltkonferenz „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ hat eine Expertenrunde Ende März im DW-Funkhaus über die Rolle der Medien in der globalen Bildungsvermittlung diskutiert – umrahmt von Klängen des Bundesjazzorchesters. Namibia wolle „in 25 Jahren eine ganze Generation mit einer Grundbildung ausstatten“, sagte Bildungsministerin Nangolo Mbumba. Malis Botschafterin Fatoumata Siré Diakite betonte die Möglichkeiten des Radios – zu sehen etwa am Erfolg der Radionovelas des DW-Projekts „Learning by Ear“. Staatssekretär Frieder Meyer-Krahmer stellte den Bildungsauftrag Deutschlands, auch informelles Wissen global zu vermitteln, heraus.
Beethoven in Vietnam Bonn – Beim diesjährigen Beethovenfest wird auf Initiative der Deutschen Welle das Orchester der Musikakademie Hanoi in Bonn gastieren. Außerdem vergibt der deutsche Auslandsrundfunk einen Kompositionsauftrag an den vietnamesischen Komponisten Tran Manh Hung. Das Werk wird im Rahmen des Orchestercampus am 27. September in Bonn uraufgeführt. Im Januar 2010 planen Beethovenfest und Deutsche Welle einen Gegenbesuch in Vietnam. Anlass ist das von den Regierungen in Berlin und Hanoi gemeinsam initiierte deutsch-vietnamesische Kulturjahr. In Hanoi werden gemeinsame Konzerte und Workshops mit vietnamesischen Musikern auf dem Programm stehen.
Videos von DW-TV auf DAAD-Plattform Bonn – Die Deutsche Welle und der Deutsche Akademische Austausch Dienst (DAAD) arbeiten in einem weiteren Bereich zusammen: Die vom DAAD betreute Internetseite „Research in Germany“ wird jetzt mit Videos des deutschen Auslandsfernsehens bestückt. Die Interviews mit internationalen Persönlichkeiten aus der Wissenschaft sind Beiträge aus dem Wissenschaftsmagazin Tomorrow Today von DW-TV. Research in Germany wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und richtet sich als Informationsplattform und Forum an Menschen, die sich für Deutschlands Forschungslandschaft und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse interessieren. www.research-in-germany.de
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Von hier sendete der
„Rundfunk der DDR“: In der Nalepa-
Die verbotene Frucht
straße saß auch Radio Berlin International (RBI), der Auslandsrundfunk der DDR
War der Mauerfall auch eine Folge der steten und unnachgiebigen Tätigkeit der Auslandssender aus dem Westen? Hatten die Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten mit Recht großen Respekt vor diesen „Stimmen“ aus dem Äther? Zum Schwerpunktthema 20 Jahre Mauerfall ein Gastbeitrag von Peter Sturm. Es war wie im Fußball. Den Siegern liegt die Welt zu Füßen. Wie sonst wäre zu erklären, dass in den ersten Jahren nach 1990 so viele Leute auf einmal über Auslandsrundfunksender sprachen, dass über diese „Medienexoten“ ziemlich viel in Zeitungen zu lesen war? Normalerweise führen die Sender ein Nischendasein, zumindest in Demokratien. Aber jetzt gab es staatliche Orden für einige Verantwortliche. Und mit einem Mal „wussten“ auch Politiker im Westen, dass diese Sender maßgeblich zum Sturz der kommunistischen Regime beigetragen hätten. Beweisen ließ sich das alles nicht. Aber es war eine richtig gute Geschichte, die noch dazu den Charme hatte, im Halbdunkel zu spielen und bei vielen ein wohliges Gruseln über die überwundenen Gefahren auf die Haut zu zaubern. Und eines stimmt ganz bestimmt. Die eins tigen Herrscher in der Sowjetunion und den von ihr abhängigen Staaten hatten einen Höllenrespekt vor den „Stimmen“, wie sie die sowjetische Propaganda in abwertender Absicht zu nennen pflegte. Das kann man heute in Ansätzen auf der Internetseite intervalsignals.net nachhören. Der russischsprachige Dienst der BBC beginnt sein Programm mit der Stationsansage. Und noch bevor die markante Erkennungsmelodie erklingt, legt sich ein undurchdringlicher Vorhang aus Qietsch- und Rauschgeräuschen über das Signal aus London. Da hatte wohl jemand wirklich Angst vor den Botschaften aus dem Westen. Anderen Sendern ging es ähnlich. Besonders unbeliebt bei den Herrschern waren die beiden amerikanischen Stationen „Radio Free Europe“ und „Radio Liberty“, die sich nicht als klassische Auslandsrundfunksender, sondern als alternative
Inlandssender verstanden, die nur durch die Umstände gezwungen waren, aus dem Ausland zu senden. Sie hatten viel längere Sendezeiten als zum Beispiel die Deutsche Welle.
Verklärung im Augenblick des Triumphs Wie viele Menschen sich regelmäßig durch die „Stimmen“ informieren ließen, wird man nie genau wissen. Es gibt zwar unzählige Anzeichen dafür, dass die „verbotene Frucht“ reichlich genossen wurde. Aber unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wollten auch unglaublich viele Franzosen die Radioansprache gehört haben, die der damals noch völlig unbekannte General de Gaulle im Sommer 1940 via BBC an das geschlagene Land gerichtet hatte. Im Augenblick des Triumphs verklärt sich manches. Und trotzdem – die Sender müssen eine Menge richtig gemacht haben. Denn wer, wenn nicht sie, hätte den Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs erzählen sollen, dass die Welt nicht war, wie ihnen das ihre eigenen Medien immer erzählten? Wer sonst hätte sagen sollen, dass Freiheit nicht etwas ist, was Herrscher gnadenhalber „gewähren“ können? Und da die Botschaften aus dem Äther in aller Regel nicht so plump ausfielen, dass sie alles Westliche als makellos dargestellt hätten, gewannen die „Stimmen“ bald große Glaubwürdigkeit. Vielleicht hatten sie es in einer Hinsicht auch relativ leicht. Wenn Radio Moskau – der Sender, den man immer und überall hören konnte, auch wenn man es gar nicht wollte – in all seinen vielen Fremdsprachenprogrammen das nahende Ende des westlichen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells beschwor, konnten die (wenigen)
profil
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Hörer im Zielgebiet unschwer feststellen, dass irgend etwas an der Botschaft nicht stimmen konnte. Wenn hingegen die westlichen Sender über Schwierigkeiten im „entwickelten Sozialismus“ berichteten, dann wussten die Hörer sehr wohl, wovon die Damen und Herren da sprachen. Und da steter Tropfen bekanntlich den Stein höhlt, wird schon etwas dran sein an der These, es seien nicht zuletzt die „Stimmen“ gewesen, die zum Einsturz der Mauern um den Ostblock beigetragen hätten.
Zwischen Medien- und Lebenswirklichkeit Aber ist die Mission im Rückblick auch wirklich gelungen? Das Beispiel Deutschland mahnt zur Vorsicht. Die Menschen in der DDR wurden von Rias Berlin, vom Deutschlandfunk, von der Deutschen Welle, von den Landesrundfunkanstalten, nicht zuletzt vom (west)deutschen Fernsehen flächendeckend über alles Notwendige informiert. Aber nach der Wiedervereinigung zeigte sich, dass Medienwirklichkeit nicht zwangsläufig mit Lebenswirklichkeit identisch
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sein muss. Wahrscheinlich waren viele der Enttäuschungen und west-östlichen Verletzungen gar nicht zu vermeiden. Aber sie mahnen die Auslandssender, sie mahnen alle Medien zu mehr Bescheidenheit. Es ist und bleibt eine noble Aufgabe, denjenigen, die unterdrückt werden, unzensierte Informationen zukommen zu lassen. Und die Botschaft, dass jedem Menschen von Natur aus bestimmte Rechte zustehen, ist unverändert aktuell. Manch einer, der die Zeit der brüllenden Störsender noch aus eigener Erfahrung kennt, mag sich wundern, dass diese Botschaft in einer Zeit, da „Modelle“ wie das chinesische in einigen Ländern seltsam populär sind, nicht mehr mit der gleichen Überzeugung verkündet wird wie einst. Wo „Propaganda“ im Wortsinne der Verbreitung einer Botschaft angebracht wäre, sprechen manche lieber von einem „Dialog“, der vielleicht ganz angebracht wäre. Aber nur am Medienwesen kann und wird die Welt nicht genesen. ——
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Peter Sturm Jahrgang 1958, studierte Neuere Geschichte, Politikwissenschaft und Osteuropäische Geschichte in Gießen und Münster. Promotion mit einer Arbeit über die britischs owjetischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit. Volontariat bei der Wetzlarer Neuen Zeitung. Seit 1991 Mitglied der Politischen Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dort vor allem mit asiatischen Angelegenheiten befasst. Peter Sturm wird am Deutsche Welle Global Media Forum bei einer
Veranstaltung zu Pakistan als Experte auf dem Podium sitzen – und dort unter anderem mit der pakistanischen Journalistin Meera Jamal (siehe Interview Seite 20) diskutieren.
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DEUTSCHLANDBILD
Ortswechsel mit Rollentausch
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Oft vernachlässigt, aber
herausragend als Aushängeschild Deutschlands: die gelebte freiheitliche Demokratie, universelle und unteilbare Menschenrechte, Rechtsstaat und Toleranz
Peking, 1995. Das Goethe-Institut befindet sich an der dritten Ringstraße im Westen der chinesischen Hauptstadt. Das viergeschossige Gebäude aus grauem Backstein ist das Zentrum der Deutschland-Informationen. Im Lesesaal im 1. Obergeschoss werden Bücher ausgestellt: Friedrich Nietzsche, Ludwig Feuerbach, Friedrich Schiller und eben Johann Wolfgang von Goethe, auf Deutsch und Chinesisch. Beliebt ist auch die deutsche Presse, obwohl die Zeitungen und Zeitschriften über den Postweg fast immer vier bis sechs Wochen später ankommen. „FAZ“, „Stern“ oder „Brigitte“ erzeugen fast immer einen Aha-Effekt. Viele Leser sprechen gebrochen Deutsch, Deutschland kennen sie aber nicht.
Dunkelblau abgedruckt. Für maximal 14 Tage – später, wegen des großen Zuspruchs, sieben Tage – darf man eine Kassette ausleihen. Dafür muss man mindestens zwei Wochen warten. Auch ich durfte in den Genuss der heiß begehrten Tonmaterialien kommen. Wow! Mein Deutschlandbild Mitte der 1990er Jahre ist bunt gemischt, geprägt von vielen Klischees: Die Deutschen trinken Bier als Grundnahrung und demonstrieren den Wohlstand mit dem Bauchumfang; die Deutschen haben Musiktalent und besitzen philosophische Denkweise, sonst wäre die deutsche Grammatik nicht so verdammt schwer; die Deutschen lieben die Umwelt und bauen trotzdem dicke Autos; Deutschland gelingt es beispiellos, sich selbst im Wiedervereinigungsprozess zu überwinden. Ich bilde mir ein, Deutschland ausreichend zu kennen.
Vom Rezipienten zum Vermittler
Einen Raum weiter, in der sogenannten Mediathek, laufen auf drei VHS-Rekordern fast ununterbrochen deutsche Nostalgie-Filme: „Einmal wird die Sonne wieder scheinen“ mit Heintje oder die Sissi-Trilogie mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm, im deutschen Originalton versteht sich. Von Filmgenuss kann nicht die Rede sein. Die Zuschauer müssen Kopf hörer tragen – nur maximal zwei lassen sich am Rekorder anschließen. Videokassetten kann man nicht ausleihen, die Audiokassetten dagegen schon, produziert von Inter Nationes und der Deutschen Welle. Auf dem Cover wird die Abkürzung DW mit geschwungenem Streifen in
Bundesstadt Bonn, anno 2009. Ich sitze mit diesen Vorkenntnissen im hellen Schürmannbau mit Blick auf den Rhein, den ich früher aus dem Gedicht „Loreley“ von Heinrich Heine kannte. Jetzt wohne und arbeite ich am Rhein. Aus den Bruchteilen der einzelnen Deutschlandbilder wird ein Meisterwerk. Ich sitze in der Landschaft mittendrin. Menschen mit Migrationshintergrund werden in Deutschland Kulturvermittler genannt. Deutschland und Europa zu vermitteln ist das tägliche Brot der DW, genau wie die deutschen Perspektiven zu den regionalen Themen. Ich habe die Stereotypen der Zielgruppe nicht vergessen: junge Menschen, die fleißig auf der Suche nach einem Hauch Deutschland-Gefühl sind. Sie wollen sich umfassend über das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben in Deutschland informieren und die etwas anderen Perspektiven „Made in Germany“ erfahren. Im Zuge der Globalisierung hat das Markenzeichen Deutschland in Fernost andere Ausprägungen – materieller Art: den silbernen Stern als Kühlerfigur im Straßenverkehr, den Zwilling als Küchengarnitur im Haushalt. Das Kulturleben in Deutschland ist vielen Menschen in der vernetzten Welt nicht mehr fremd. Auf Goethe und Schiller folgen Thomas Mann und Günter Grass. Beethoven und Bach sind Landsleute von Modern Talking, den Toten Hosen und Tokio Hotel.
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Ein schwieriger Auftrag Oft vernachlässigt, aber herausragend sind als Aushängeschild Deutschlands die gelebte freiheitliche Demokratie, universelle und unteilbare Menschenrechte, Rechtsstaat und Toleranz – Begriffe, die in einigen Ländern zwar in der Verfassung stehen, jedoch nicht in vollem Umfang umgesetzt werden. Dafür trete ich zusammen mit allen DWMitarbeitern ein, indem wir für die Grundrechte werben, die wir in Deutschland genießen. Zu Menschen auf anderen Kontinenten ist Deutschland näher als man denkt. Die Suche nach Deutschland lässt sich heute einfach gestalten. Jeder heiße Draht über DSL-Router oder Modem, sogar fast jedes mobile Teil, sei es Kurzwellenradio oder Handy, führt nach Deutschland. Unsere Zuschauer, Zuhörer und User – in meinem Fall in China – erwarten von uns unabhängige, umfassende, objektive und
pluralistische Informationen aus der Mitte Europas. Das ist ein schwieriger Auftrag, den ich schultern muss. Denn ich kenne die Triebkraft der Menschen: die brennende Neugier nach Informationen aus und über Deutschland. Diesen Erwartungen müssen wir gerecht werden. Das Goethe-Institut in Peking ist wegen förmlich explodierender Nachfrage und großen Platzbedarfs umgezogen: In einem modernen Bürogebäude belegt es die komplette 17. Etage. Bibliothek und Mediathek mussten sogar ausgelagert werden. Ich träume jetzt von einem Auftritt in „meinem“ Goethe-Institut, um Interessenten von Deutschland zu erzählen. Das wird ein langer Vortrag sein. —— Hao Gui
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Hao Gui Jahrgang 1977, studierte Journalis tik und Germanistik in Dortmund und Peking. Nach Volontariat beim WDR seit 2003 bei der Deutschen Welle, als Redakteur in der ChinesischRedaktion, jetzt Chef vom Dienst in der Asien-Abteilung. Als Experte tritt Gui bei DW-TV und in weiteren ARD-Sendern auf. Er veröffentlichte diverse Fachbücher über den chine-
www.dw-world.de/chinese
sischen Medienmarkt.
Deutschland mit beschränkter Haftung Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft erzählen von der Kunst, „deutsch“ zu sein. Geboren wurden sie im Kongo und Iran, in Venezuela, Äthiopien, Japan, Spanien, der Türkei und anderswo. Ein Buch über Menschen in Deutschland, vorgestellt von Rainer Militzke.
Eduardo Raccah verstand bei seiner Einreise das Geschrei der Deutschen über die Abholzung des Regenwaldes in seiner Heimat nicht. Sahen doch im Winter, bei seinem Anflug auf die Wahlheimat, die deutschen Wälder alle so aus, als wären sie verbrannt. Margarita Morales, Malerin aus Mexiko, und Tom Panjatan, Schauspieler aus Indien, wunderten sich bei ihrer Einreise sehr, dass sie mit dem zukünftigen, noch nicht angetrauten Partner in einem Bett schlafen durften – in ihrer Heimat ein Ding der Unmöglichkeit. Dr. Haddouti, ein begehrter IT-Manager, fühlt sich in seiner neuen Heimat Deutschland manchmal wie ein kleiner Fisch in einem Riesenaquarium. Und Hana, Künstlerin aus 02 Japan, wünscht sich für Deutschland nicht nur einen Tag des Lächelns und der Höflichkeit. Wer sind „die Deutschen“, die von Carmen Zapata aus Venezuela und Malika Ryad aus Marokko mit Musik und Tanz erobert wurden? In diese sehnsuchtsvollen, heiteren Lebensbekenntnisse führt ein Prinz aus kaiserlichem Hause, KarlAugust Prinz von Sachsen Gessaphe, ein – taktvoll, aber doch kritisch. Und geht der Frage nach, warum Manieren so wichtig sind, um in der lieb gewonnenen neuen Heimat unter Beibehaltung der eigenen Kultur zu leben und anstatt nur toleriert, ehrlich und wahrhaftig akzeptiert zu werden. Diese 20 Lebensbekenntnisse von Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft geben nicht nur Aufschluss über die Verwendung der Begriffe Toleranz und Akzeptanz. Sie zeigen anhand konkreter Biografien den Weg zu einer Gesellschaft, in der Menschen Bürger sind und die Welt eine Stadt ist. Oder ist Deutschland doch nur eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung? Dieser Frage gehen die Autoren höchst unterhaltsam nach und kommen zu erstaunlichen Schlussfolgerungen.
B u c h t i p p
Deutschland mit beschränkter Haftung – Die Kunst „deutsch“ zu sein. Maricarmen De Saavedra (Hrsg.) – 320 Seiten, 19,90 Euro – ISBN 978-3-941021-02-0
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schlaglichter
Social Networking statt E-Mail Eine aktuelle Studie der amerika-
Gefängnis für Blogger“, gefolgt von
Vereinigten Staaten veröffentlicht.
ist in sämtlichen 77 regionalen App
nischen Marktforscher Nielsen zeigt:
Vietnam und Iran. Zu den Feinden
Ein zentrales Ergebnis: Das Internet
Stores im Netz verfügbar und bietet
Junge Netznutzer bevorzugen die
der Internet-Freiheit zählen laut
gewinnt als Nachrichtenmedium
aus dem DW-Angebot Artikel, Bilder,
Kommunikation via Nachrichtensystem
RoG-Liste auch Ägypten, Birma, Kuba
weiter an Reichweite hinzu. Die Zahl
Radio-Livestreams und das Video
im sozialen Netz gegenüber E-Mails.
und Nordkorea. In China sei die Zensur
der Amerikaner, die regelmäßig Nach-
des Tages in englischer Sprache.
Ob Facebook oder Myspace – über
besonders ausgeklügelt. Dort seien
richten im Internet lesen, stieg um 19
Im deutschen Apple-Store liegt das
sogenannte Status-Updates, Kom-
fast 40.000 Mitarbeiter des Staates
Prozent in den vergangenen beiden
Programm derzeit unter den fünf
mentare und integrierte Nachrich-
damit beschäftigt, Online-Inhalte zu
Jahren. Die Nutzung der Top-50-
beliebtesten Downloads in der Katego-
tensysteme lässt sich offenbar noch
kontrollieren.
Nachrichtenseiten stieg allein 2008
rie Nachrichten.
um 50 Prozent, gleichzeitig fielen die
schneller und unmittelbarer miteinanWebnutzer erledigt alle Kommuni-
Feuerfuchs vor Microsofts Explorer
kationswünsche auf einer Plattform
Firefox, die Browser-Alternative zu
und eine direkte Kommunikation mit
Microsofts Internet Explorer, macht Boden gut. Im Rennen um Nutzer-
Weiter über Americom-New Skies
dem chinesischen Videoportal Tudou.
mehreren Nutzern ist problemlos möglich. Durch das Aufkommen von
anteile rangiert der Open Source-
Die Deutsche Welle hat ihren Vertrag
suchern des Portals stehen einzelne
Mikroblogging-Diensten wie Twitter
Browser der Mozilla Foundation inner-
mit der SES-Tochter Americom-New
Sendungen von DW-TV, darunter das
sind die sogenannten Status-Updates
halb Europas auf der Beliebtheitsskala
Skies für die Ausstrahlung ihrer
Lifestyle-Magazin euromaxx, auf
in Mode gekommen. Rund elf Prozent
ganz oben. Das jedenfalls sagen die
Programme in Nordamerika um drei
Abruf zur Verfügung (www.tudou.
aller Internet-User twittern bereits.
Web-Statistiker von StatCounter. So
Jahre verlängert. Die DW sendet mit
com). Seit April ist die DW zudem auf
Die Kennzahlen von Nielsen Online:
überholte der aktuelle Firefox 3 den
einer Bandbreite von 4,5 Megabit pro
der internationalen Videoplattform
Ende letzten Jahres nutzten 66,8
mittlerweile abgelösten Internet
Sekunde auf der Plattform „Digital C“
Dailymotion vertreten. Englischspra-
Prozent soziale Netzwerke, 65,1
Explorer 7 – wenn auch knapp: Der
auf dem Satelliten AMC1. Von hier
chige Magazine von DW-TV sind über
Prozent schrieben E-Mails.
neue Mozilla-Browser brachte es auf
aus werden die Programme in die
einen eigenen Kanal abrufbar. DW-TV
35,05 Prozent Marktanteile, der IE 7
Kabelnetze eingespeist.
der kommunizieren. Die Vorteile: Der
China Nummer eins der Internet-Feinde
beanspruchte indes 34,54 Prozent
Derzeit sind weltweit 70 Menschen
für sich.
des europäischen Browser-Marktes
Umsätze von US-Tageszeitungen um 14 Prozent.
Neue Partner auf vielen Plattformen Die Deutsche Welle kooperiert mit com. Den täglich zehn Millionen Be-
ist nun auch im Basis-Bouquet des kenianischen Senders Zuku TV enthalten.
iPhone-Programm der DW gefragt
Zu empfangen ist der Sender ebenfalls in Tansania. Dort hat die Deutsche
Seit Mitte März kann das kostenlose
Welle auch im Hörfunkbereich einen
iPhone-Programm der DW, im
neuen Partner: Radio One strahlt die
von ihnen in China. Das beklagt die
Zeitung flop Internet top
sogenannten App Store von Apple he-
Radionovelas „Learning by Ear“ auf
Organisation Reporter ohne Grenzen
Das US-amerikanische Pew Research
runtergeladen werden. Der Download
Kisuaheli aus.
im Bericht „Internet-Feinde“. China
Center hat seine jährliche Studie
erfolgt entweder über iTunes oder
sei mit 50 Häftlingen „das größte
„State of the News Media“ für die
direkt vom iPhone. Das Programm
wegen ihrer Meinungsäußerungen im Internet in Haft, die meisten
neue medien
weltzeit 03_2009
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Europas digitales Gedächtnis Die Plattform Video Active gewährt Einblick in die Archive von 15 namhaften europäischen Rundfunkanstalten. Nutzer auf der ganzen Welt erhalten so kostenlosen Zugang zu ausgewählte Sendungen zur europäischen Kulturgeschichte. „Einen Streifzug durch die Fernsehwelt Europas“ verspricht das Portal auf seiner Startseite – und der ist angesichts der geplanten 10.000 Beiträge reichhaltig. In derzeit elf europäischen Sprachen können sich Nutzer durch das Angebot klicken: In Kategorien von A wie Arbeitswelt über K wie Kunst und Kultur bis W wie Wohnen hält das Portal Fernsehbeiträge bereit. Die Deutsche Welle steuert ebenso wie die BBC, der ORF oder die spanische TVC Material zu dem ambitionierten Projekt bei. „Dass so viele Rundfunk-Schwergewichte gemeinsam für ein solches Projekt ihre Archive öffnen, ist in Europa ein einmaliger Fall“, betont Guido Baumhauer, Direktor für Distribution, Strategie und Marketing bei der Deutschen Welle. Es zeige auch, so Baumhauer, wie durch Digitalisierung und On-Demand-Vertriebswege sowohl für Nutzer als auch Content-Produzenten neue und vielversprechende Angebote entstehen. Video Active steht im Zusammenhang mit dem Projekt „Europeana“, einer digitalen europäischen Bibliothek, um Europas kulturelle und wissenschaftliche Reichtümer der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Auswahl der Beiträge ist sehr breit: Neben Sendungen zu Themen wie Mode, Umwelt oder Gesundheit finden sich Beiträge zur sexuellen Revolution der Sechzigerjahre oder Specials über „Leben in der Stadt“. Die Beiträge reichen teilweise zurück bis zur Geburtsstunde des Fernsehens – vom heutigen
Stand der Technik aus betrachtet, manchmal auch ein Grund zum Schmunzeln, aber „immer authentisch und nie langweilig“, so Baumhauer. Das Projekt wurde kürzlich mit dem Publikums preis des „Best of the Web“-Awards auf der Konferenz „Museum and the Web 2009“ ausgezeichnet. Neben der Dokumentation des europäischen Zeitgeschehens ist das Portal auch ein Forschungsprojekt zur Content-Präsentation im Internet. Wie katalogisiert man zig Gigabyte an Daten, um sie im Internet nach Suchbegriffen, Themen oder Kategorien aufzubereiten und somit auffindbar und zugänglich zu machen? Die Art und Weise, wie audiovisuelles Material in den einzelnen Archiven der Teilnehmer hinterlegt wird, ist sehr unterschiedlich. Video Active löst dabei auch das Problem der mehrsprachigen Präsentation der Inhalte. Das Ergebnis ermöglicht eine navigationsfreundliche Darstellung nach verschiedenen Themen, die auch die unterschiedlichen Datenstandards der Teilnehmerländer in Einklang bringen. Die Erfahrungen aus dem im August dieses Jahres auslaufenden Projekt sind so positiv, dass bereits weitere Fördermittel für das Nachfolgeprojekt „EUscreen“ bewilligt wurden. Dann beteiligt sich eine Vielzahl weiterer Rundfunkhäuser an dieser „Open-Source-Mediathek“. —— www.videoactive.eu
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„Immer authentisch und nie
langweilig“: die Themenfülle des europäischen Videoarchivs
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vor ort 01
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20 Millionen Menschen leben
im Ballungsraum der Hauptstadt: Großbaustelle in Seoul
Ostasiens schneller Motor
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Seoul – Wegen seiner rasanten wirtschaftlichen Entwicklung wird Südkorea, das sich als Partnerland auf der diesjährigen Hannover-Messe präsentiert hat, auch als „Wunder Ostasiens“ bezeichnet. Manuela Kasper-Claridge, Leiterin der Wirtschaftsredaktion von DW-TV, war vor Ort und kehrte beeindruckt zurück.
Es ist eine der gesichtslosen Hochhaussiedlungen in Seoul, in der Yoon Nyung Chang mit ihrer Familie wohnt. Im Großraum der südkoreanischen Hauptstadt wohnen fast 20 Millionen Menschen. Wir fahren mit dem Fahrstuhl in den 15. Stock. Yoon Nyung Chang will uns ihr Wohnzimmer zeigen. Für Global 3000, das Globalisierungsmagazin auf DW-TV, produzieren wir eine Folge der Reihe „Das globale Wohnzimmer“. Menschen aus der ganzen Welt zeigen, wie sie wohnen. Frau Chang empf ängt uns mit der typisch koreanischen Herzlichkeit. Sie ist Ende 30, ihr Mann arbeitet bei der Stadtverwaltung, die 13-jährige Tochter geht auf die Oberschule. Das Wohnzimmer ist modern eingerichtet. Ein riesiger Flachbildfernseher, eine Couch, niedrige Bücherregale, wenig, was man als typisch koreanisch bezeichnen würde. Die Koreaner leben modern – besonders in den Städten. Altes und Traditionelles findet man kaum. Familie Chang ist typisch für die breite südkoreanische Mittelschicht, die von der Globalisierung profitiert. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei über 20.000 US-Dollar im Jahr. Südkorea hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einem Agrarland zu einer Industrienation entwickelt mit wettbewerbsf ähigen und international nachgefragten Produkten. Jeder zweite Flachbildschirm ist koreanischer Herkunft und Marken wie Hyundai oder LG sind weltweit bekannt.
Größter Investor aus der EU Beeindruckend ist die Geschwindigkeit, mit der die Koreaner die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben. In Hannam-dong, einem bürgerlichen Viertel in der südkoreanischen Hauptstadt, liegt die deutsch-koreanische Außenhandelskammer. Sie hat über 400 Mitgliedsunternehmen. Das Büro des stellvertretenden AHK-Chefs, Carsten Lienemann, liegt im zehnten Stock eines Hochhauses. Der Volkswirt schaut direkt auf eine riesige Baustelle. Innerhalb weniger Monate entstehen dort Luxus-Appartments. Deutschland ist in Südkorea mit Abstand der größte Investor aus der EU. „Deutsche
vor ort
weltzeit 03_2009
Unternehmen beschäftigen hier über 100.000 Menschen“, sagt Lienemann stolz. Automobilzulieferer wie Bosch fertigen hier, auch zahlreiche Mittelständler – als Zulieferer für die koreanische Investitionsgüterindustrie, für Werften, Kraftwerke, Automobilhersteller.
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Deutsch-koreanische Partnerschaft Im Regierungskomplex in Seoul empfängt uns Wirtschaftsminister Youn Ho Lee. Über 10.000 Angestellte arbeiten in den Verwaltungsgebäuden, in denen auch einige andere Ministerien untergebracht sind. Der Minister hat sich viel
Generation High-Tech
Zeit für das TV-Team aus Deutschland genommen. DW-TV
In der überfüllten Seouler U-Bahn dann ein Blick ins technikverliebte Korea. Die Menschen stehen dicht gedrängt. Die meisten haben trotzdem Handys in der Hand, schicken VideoNachrichten oder schauen Fernsehen auf ihrem Mobiltelefon. Die Südkoreaner wollen immer das Neueste haben. Manch einer hat zwei oder drei Handys und wenn eines davon klingelt, wird immer geantwortet – selbst wenn man gerade ein Vier-Augen-Gespräch hat. Internet-Communitys sind ein Massenphänomen. Cy World ist das größte Portal für private Webseiten, betrieben von der Sk Telekom. Viele Südkoreaner haben bei der Firma einen eigenen Webauftritt, mit Familienfotos, Texten, Spielen und mehr. Das Internet hat heute in Südkorea einen viel größeren Einfluss als Zeitungen. Zu welchen Auswüchsen es dabei kommen kann, zeigt der tragische Selbstmord der Schauspielerin Jin-Sil Choi. Sie wurde von Stalkern im Netz verfolgt, die unter anderem behaupteten, dass sie ein Verhältnis mit einem Kredithai habe oder dass sie einen anderen Menschen in den Selbstmord getrieben habe. Diese Unterstellungen konnte sie nicht mehr ertragen und nahm sich das Leben. Ihr Schicksal führte zu heftigen Diskussionen in Südkorea.
ist im koreanischen Kabel zu sehen – vorausgesetzt, man
Krise im Wirtschaftswunderland Ein anderes Thema, das Menschen und Medien beschäftigt, ist der Umgang mit der Wirtschaftskrise. Mittlerweile musste die Regierung das prognostizierte Wirtschaftswachstum nach unten korrigieren, die Arbeitslosigkeit steigt. Universitätsabsolventen haben Schwierigkeiten, eine A nstellung zu bekommen. Das ist besonders bitter, wurden doch meist Zehntausende Euro für die Ausbildung bezahlt.
hat das entsprechende Paket abonniert. Die deutschkoreanische Partnerschaft ist ihm wichtig. Das Gespräch wird im Vorfeld der Hannover-Messe geführt. Von Automatisierungstechnik bis zu Energieanwendungen zeigen die Koreaner in Deutschland, was sie industriell zu bieten haben. Gleichzeitig wollen sie sich als grünes Land präsentieren. Erneuerbare Energien wie Wind, Sonne und Wasser sollen massiv ausgebaut werden. Für Südkorea könnte der Ausbau alternativer Energie ein massives Konjunkturprogramm sein, erzählt der Minister.
In der Kommunikationsabteilung von Siemens Korea treffen wir Li Ra Seo. Sie ist unter 30, ihr Englisch sehr gut. Sie hat zwei Jahre in den USA studiert. Sie berichtet von ihrer Kindheit, die so typisch ist: Weit über 80 Prozent der Südkoreaner machen das Abitur. Die meisten studieren danach. „Die Koreaner sind bildungshungrig“, sagt sie, „aber das schafft auch Probleme. Ich habe nach der Schule, die bis 16 Uhr ging, eine Privatschule besucht, das hieß, jeden Tag zusätzlich vier bis fünf Stunden lernen.“ Doch ohne Bildung kein Aufstieg – und der Wettbewerb um die Plätze an den besten Schulen und Universitäten ist hart. „Der Wille, etwas zum Erfolg zu bringen, ist in Korea einzigartig“, erzählt Josef Meilinger, der örtliche Siemens-Chef, der seit drei Jahren in Seoul lebt. Und, so sagt er, „in Korea gehen die Dinge schnell“. Als die deutsche Firma Solarworld in der Provinz Jeollabuk eine Produktionsstätte für Solarmodule errichten wollte, war die Genehmigung innerhalb von drei Tagen erteilt. In Deutschland undenkbar. —— www.dw-world.de/madeingermany
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zoom
Der Trainer und seine Vorliebe für Auswärtsspiele Berlin – Seine Leidenschaft ist die Politik, seine Schwäche der Fußball und die Neugier der Grund für den Journalistenberuf. Christopher Springate ist Moderator und Reporter bei DW-TV. Als Trainer der DW-AKADEMIE entdeckt er eine neue Welt in Afrika. Richard Fuchs stellt ihn vor.
»Ich kenne kein anderes Land, das sich so beispielhaft mit seiner Vergangenheit beschäftigt hat.«
Auf der Reise, das war Christopher Springate schon immer. Als Sohn eines britischen Fluglinienmanagers wurde er in Hongkong geboren, wuchs in Kuwait, Brasilien und Bangkok auf und kam erst in England während der Schulzeit ein wenig zur Ruhe. Jede freie Minute widmete er damals dem Fußball, träumte von einer Karriere als Kapitän der englischen Nationalelf. Während des Studiums im britischen Cambridge liebäugelte der vielf ältig begeisterungsf ähige Student auch mit einem Leben als Schauspieler. Um sich dann auf eine andere Reise zu begeben: Die Mitarbeit an der Studentenzeitung entfachte seine Leidenschaft für den Journalismus. „Neugier und Schüchternheit waren zwei meiner ständigen Begleiter“, sagt er heute. „Und ich habe gelernt, wie ich mit meiner Neugier die Schüchternheit bändigen kann.“ Journalistenschulen in London und Paris ebneten ihm den Weg in seinen späteren Beruf. Ein einjähriges Lehrerengagement an einer Berliner Schule legte den Grundstein für sein persönliches Glück. Unmittelbar vor der politischen Wende 1989 verliebte sich Springate in seine spätere Frau, eine waschechte Berlinerin. Und Liebe empfand er bald auch zur heutigen deutschen Hauptstadt, die viel grüner war, als er je vermutet hätte. Und noch etwas war anders als erwartet: „Ich war überrascht, dass die Deutschen tagtäglich in irgendeiner Form über Vergangenheitsbewältigung gesprochen haben“, erinnert er sich. Und das sagt der Besitzer eines britischen Passes voller Bewunderung: „Ich kenne kein anderes Land, das sich so beispielhaft mit seiner Vergangenheit beschäftigt hat und so weit weggekommen ist von den hässlichen Seiten dieser Vergangenheit, wie Deutschland.“
Die Nachwendejahre erlebt Springate aus der Reporter-Perspektive, begleitet die politischen Annäherungsversuche zwischen Ost und West mit Geschichten von der Straße. Dabei berichtet er über linke Skinheads, die mit Ska-Musik durch Potsdam marschieren. Genauso wie über die Probleme ostdeutscher Schulen bei der Umstellung des Schulsystems.
27 Anläufe für ersten Aufsager 1991 beginnt er, sich endgültig in Berlin niederzulassen und knüpft Kontakte zu DW-TV. Brauchte er in seinem ersten Aufsager als Korrespondent für das Journal noch 27 Anläufe, um es sendef ähig zu machen, hat er es heute als routinierter Moderator des Politik-Magazins People & Politics einfacher. Meist ist die Moderation bereits nach dem ersten Versuch „im Kasten“ – bleibt mehr Zeit, über den Sinn seines journalistischen Tuns nachzudenken. Bei der Deutschen Welle fühlt er sich gut aufgehoben, denn auch beim deutschen Auslandsrundfunk erkennt er jene „Kultur der Zurückhaltung“, die ihm schon als Beobachter der deutschen Außenpolitik so gut gefallen hat: „Die Deutsche Welle nimmt die Funktion des ehrlichen Maklers wahr“. Und für solche Informationen gebe es in der Welt eine rege Nachfrage, ist der langjährige politische Hauptstadtkorrespondent von DW-TV überzeugt. Leider habe sich das noch nicht in allen Bundestagsfraktionen herumgesprochen, denn damit die DW als „kultureller Türöffner“ für Deutschland in der Welt noch besser wirken könne, müsste die Finanzierung langfristig gesichert werden. Bei aller Nachdenklichkeit: Über das Privileg, Journalist sein zu dürfen, freut sich Springate noch immer, und zwar jeden Tag. Und er lebt es
zoom
01
VJ-Reporter und Trainer Immer häufiger geht er heute nicht mehr als Reporter, sondern als Trainer auf Reisen. Seit gut einem Jahr arbeitet er für das Team Afrika der DW-AKADEMIE. Auch dort hat er bereits die „DW-Handschrift“ entdeckt, die journalis tische Fortbildung auf gleicher Augenhöhe und mit hohen Qualitätsansprüchen zum Ziel hat. Seine neue Rolle fordert ihm viel ab. In Sachen Projektmanagement und Organisation von Trainings musste er dazulernen, im Gegenzug erfuhr er viel über den afrikanischen Kontinent und seine Menschen. Auch das Reisefieber hat ihn mit dieser Aufgabe wieder, denn „die nächste Perspektive ist
„Die nächste Perspektive ist
immer die nächste Reise“: DW-TV-
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aus, zum Beispiel als VJ-Reporter für das Tagesthema im Journal. Im vergangenen Jahr konnte er eine Amazonas-Reportage realisieren, die ihm neben harter Arbeit unvergessliche Eindrücke aus einem sensiblen Natur-Juwel brachten.
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Moderator Christopher Springate
immer die nächste Reise“, gibt er schmunzelnd zu Protokoll. Seine beiden Söhne (13 und 9 Jahre) nehmen das mit gemischten Gefühlen wahr, denn so fehlt der Vater von Zeit zu Zeit beim sonntäglichen Fußballspiel. Das findet kurioserweise nur einen Steinwurf von jenem Ort statt, wo die Reise für Christophers Vorfahren losging: Seine deutschstämmige Großmutter wohnte wie er im Norden Berlins, bis sie vor den Nazis nach Brasilien floh. Sein Deutschlandbild habe das nie getrübt, sagt er. Im Gegenteil: Im Superwahljahr 2009 will auch er neben dem britischen noch einen deutschen Pass beantragen. Und das nicht nur, weil er nach 18 Jahren Deutschland auch einmal den Bundestag mitwählen möchte. „Ob ich mit der DW-AKADEMIE beispielsweise in Simbabwe als Brite oder als Deutscher einreise, das macht auch ganz praktisch einen großen Unterschied.“ Für Springate geht damit die Reise weiter. Wohin, da hat er noch viele Ideen. ——
Sondersendung DW-TV produziert im Rahmen des Programmschwerpunkts „60 Jahre Bundesrepublik
Deutschland“
eine Sondersendung des Magazins People & Politics – moderiert von Christopher Springate. Ausstrahlung am Freitag, 22. Mai, 0.30 Uhr UTC – mit Wiederholungen am Folgetag. Weitere Ausstrahlungstermine und die jeweils aktuelle Ausgabe des Magazins, auch der deutschen Ausgabe Politik direkt, sind im Internet als Video-on-demand abrufbar. www.dw-world.de/peopleandpolitics www.dw-world.de/politikdirekt
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partner
Bildung für alle Neu Delhi – Mit zwei Millionen Studenten ist die Indira Gandhi National Open University (IGNOU) zweifellos eine Mega-Uni. Zumal die zahlreichen Fernstudenten aus 33 Ländern und ein ambitioniertes Allgemeinbildungsprogramm für die breite indische Bevölkerung hinzukommen. Die DW unterstützt diesen gigantischen Bildungsauftrag. Neben dem gängigen Lehrbetrieb unterhält die staatliche Fernuniversität mit Sitz in Neu Delhi zusätzlich fünf landesweit operierende TV-Kanäle und 29 Campus-Radiostationen an den wichtigsten Universitäten Indiens. Das Ziel: Über spezielle Sendungen mit berufsbegleitenden Inhalten hinaus soll Basis- und Allgemeinbildung vermittelt werden. Dieses Angebot richtet sich vor allem an die Be-
völkerung in Regionen mit erschwertem Zugang zu Bildung – an junge, englischsprachige Menschen mit großen Zielen und wenig finanziellen Möglichkeiten. Die indische Regierung unterstützt das Projekt mit staatlichen Fördergeldern. Die Deutsche Welle als Partner der medial engagierten Universität steuert zahlreiche Radiosendungen und TV-Produktionen bei. Im März dieses Jahres starteten zudem
Trainer des deutschen Auslandssenders die ersten Fortbildungen vor Ort: Es geht um Online-Journalismus, um Trainer-Ausbildung und Medienmanagement. Kurse, die nun auf dem Lehrplan der neugegründeten „School of Journalism“ stehen, die Studenten aus dem ganzen Land anzieht. ——
UN-Volunteers: Zusammenarbeit ausgebaut
Forum Medien und Entwicklung: „Radio von unten“ vorgestellt
Bonn – Als Partner des „IHDP Open Meetings“, der
Bonn – Das Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen
Berlin – Auf einer Tagung des Forums Medien und Ent-
größten UN-Wissenschaftskonferenz in diesem Jahr,
(UNV) und die Deutsche Welle wollen ihre Zusammenar-
wicklung (FoME) am 24. April in Berlin stellte Helmut
Ende April in Bonn, war die Deutsche Welle mit der Dis-
beit bei Medientraining und gemeinsamen Seminaren vor
Osang, Leiter der Asien-Abteilung der Akademie der
kussionsrunde „Catastrophe Sells – die Umweltbericht-
Ort verstärken. Das UN-Freiwilligenprogramm hat bei-
Deutschen Welle, ein Projekt für die Volksrepublik Laos
IHDP Open Meetings: Umweltberichterstattung diskutiert
www.ignou.ac.in
erstattung in den Medien“ präsent. Unter der Modera-
spielsweise großes Interesse, an Medien-Projekten der
vor. Es hat zum Ziel, ein „Radio von unten“ zu etablie-
tion von DW-Redakteurin Irene Quaile stritt eine Ex-
DW weltweit mitzuwirken, etwa in den vom Tsunami be-
ren, das vornehmlich die Menschen selbst zu Wort kom-
pertenrunde im World Conference Center insbesondere
troffenen südostasiatischen Ländern. Jährlich entsendet
men lässt. Die kommunistische Staatsführung sei zu der
über den Stellenwert und die Vermittlung von Zukunfts-
UNV rund 8.000 berufserfahrene Experten aus Entwick-
Einsicht gelangt, dass sie mit ihren „Protokoll-News“
visionen. Mit dabei unter anderem James Painter, BBC,
lungs- und Industrieländern als Freiwillige für Einsätze in
von Staatsbesuchen und den Personalien von Partei-
Richard Klein vom Stockholm Environment Institute,
der Entwicklungszusammenarbeit. Auch vom heimischen
funktionären die Bevölkerung nicht mehr erreiche. Im
Greenpeace-Sprecher Stefan Krug und Risikoexperte
Computer aus können Freiwillige aktiv werden. Über das
FoME arbeiten Institutionen und Organisationen zusam-
Walter Amman aus Davos.
„Online-Volunteering“ können sie weltweit Organisati-
men, die Medien in Entwicklungsländern mit Know-how
onen zum Beispiel in Fragen der Informationstechnologie
und Förderprojekten zu mehr Qualität und Professiona-
beraten und unterstützen.
lität im Journalismus verhelfen wollen – unter anderem die Deutsche Welle und politische Stiftungen.
Foto: Ullstein-Foto/Leibing
r e d
l i b im pf o k
r e d e t n h e c i n h o ik gesc t i e z
Ausstellung / 21. Mai bis 11. Oktober 2009 Museumsmeile Bonn / Di – So 9 – 19 Uhr / Eintritt frei / www.hdg.de
Deutsches Rundfunk archiv
21. medienforum.nrw Internationaler Fernsehkongress
Koelnmesse, Rheinparkhalle
Internationaler Filmkongress der Filmstiftung NRW
Internationaler Printkongress
22.– 24. Juni 2009
Internationaler Konvergenzkongress: Mobile Media, Games, Web 2.0
www.medienforum.nrw.de
Das medienforum.nrw ist eine Veranstaltung der Landesanstalt für Medien (LfM), gefördert mit Mitteln des Ministers für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen. Verantwortlich für Konzeption und Durchführung ist die LfM Nova GmbH.