weltzeit 03_2010 Deutsche Welle Global Media Forum: Der Klimawandel und die Medien

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zeit

welt Das Magazin der Deutschen Welle 03— Juni 2010

deutsche welle global media forum

Der Klimawandel und die Medien


WAS HYBRID-TV FÜR DIE ZUKUNFT DES FERNSEHENS BEDEUTET.

22. medienforum.nrw medienforum.tv

Köln, Staatenhaus am Rheinpark

medienforum.film

medienforum.publishing

28.– 30. Juni 2010 medienforum.digital

www.medienforum.nrw.de

Das medienforum.nrw ist eine Veranstaltung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), gefördert mit Mitteln des Ministers für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen. Verantwortlich für Konzeption und Durchführung ist die LfM Nova GmbH.


vorspann

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Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Menschen in aller Welt sind in hohem Maß über den Klimawandel besorgt. Sie fühlen sich insbesondere durch extreme Wetterlagen bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine weltweit angelegte, vom Marktforschungsinstitut Synovate in Zusammenarbeit mit der DW durchgeführte Studie. Sie untersucht Einstellungen zum Klimawandel in 18 Ländern auf allen Kontinenten. Auch die Verantwortung und Rolle der Medien bei der Lösung dieses Zukunftsthemas sind Gegenstand der Untersuchung. Umfassende Ergebnisse werden wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum in Bonn vorstellen. Vom 21. bis 23. Juni erwarten wir wieder mehr als 1.000 Teilnehmer im World Conference Center. Experten aus Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden bei der dritten Auflage der internationalen Konferenz über den Klimawandel und die Rolle der Medien debattieren. „The Heat is On“ – so der bewusst alarmierende Titel. In 50 Einzelveranstaltungen werden die Teilnehmer viele Facetten der Problematik behandeln. Sie werden dabei

stets die Aufgaben, Möglichkeiten – auch Grenzen – der Medien bei der Vermittlung des Themas im Blick haben. Das Format eines Medienkongresses mit internationaler Ausrichtung und interdisziplinärem Ansatz stößt auf wachsendes Interesse. Dass er auch in diesem Jahr gelingen wird, daran werden wieder zahlreiche Partner ihren Anteil haben. Herausgehoben seien hier die Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn als Mitveranstalter und die Unterstützung durch das Auswärtige Amt, die NRW-Landesregierung und Deutsche Post DHL. Das Deutsche Welle Global Media Forum bietet ein attraktives Rahmenprogramm – und als interkulturelle Kommunikationsplattform nicht zuletzt die Möglichkeit, Netze zu knüpfen und auszubauen. Die weltzeit gibt einen Vorgeschmack auf das Forum. Ich würde mich freuen, wenn Sie dabei sind. Annelie Gröniger Geschäftsführung DW-Media Services

In dieser Ausgabe 04–05

nachrichten

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titel » Klimawandel: Aufbruch ins Bewusstsein » Interview: Erik Bettermann » Klima-Blog: Coluna Zero

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spot

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partner » Mediendialog Russland: Zwischen Macht und Kommerz

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» Deutschlandbild: Blagorodna Grigorova » Das läuft: Gesichter Deutschlands

ansichten » Im Gespräch: Adrienne Woltersdorf über China

schlaglichter

18-19 profil

studiogespräch » Medienfreiheit: 20 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens

neue medien » Internet und Stromverbrauch: Surf the Planet!

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20-23

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vor ort » Sun City: Die Rentner-Stadt

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zoom » Vorgestellt: Meggin Leigh

Impressum Deutsche Welle Unternehmenskommunikation 53110 Bonn T. 0228.429.2041 F. 0228.429.2047 weltzeit@dw-world.de www.dw-world.de/presse Verantwortlich: Dr. Johannes Hoffmann Redaktion: Berthold Stevens Gestaltung: Marco Siebertz Druck: Brandt GmbH · Bonn Fotos und Illustrationen: picture alliance (Titel und Seiten 6, 10, 11, 20, 21, 22), DW/M. Müller (4, 5, 13, 18, 23, 25, 27, 31), ushahidi.com (4), Roland Berger (4), G. M. B. Akash (8, 12), DW/M. Bertram (10), DWArchiv (14, 19, 24), B. Rezende (15), Fotolia.de/Claudiu S., E. Pawlowska (16), Fotolia.de/ Unclesam (17), rbb (24), DW/M. Kasper-Claridge (24), DW/M. Siebertz (25), Yovohagrafie (26), Fotolia.de/Heino Pattschull (27), DW/M. Soric (28, 29)

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nachrichten

Perlen der Blogosphäre

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Bonn/Berlin – Das Blog „Ushahidi.com“, zu Deutsch: Zeugenaussage, ist Sieger des internationalen Weblog-Awards The BOBs der Deutschen Welle. Die Jury entschied sich für ein Weblog, das zugleich eine Anwendung ist, mit der man zum Beispiel Informationen aus Konfliktregionen und Katastrophengebieten auf einer interaktiven Karte visualisieren kann. Auf Ushahidi.com werden Berichte von Nutzern gesammelt, die die Anwendung „Ushahidi“ in ihre Webseite eingebunden haben. Erstmals wurde 2008 auf einer solchen interaktiven Karte verzeichnet, wo es in Kenia nach den Wahlen zu Ausschreitungen gekommen war. Seither haben Nutzer in vielen weiteren Ländern Ushahidi 02

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eingesetzt, etwa zum Auffinden von Erdbebenopfern auf Haiti. Entwickelt hat die Anwendung ein Team aus Afrikanern und US-Amerikanern. Die Preise der sechsten Ausgabe des Wettbewerbs wurden in elf Sprach- und sechs Fachkategorien vergeben. Als bestes deutsches Weblog wurde „der-postillon.com“ ausgezeichnet. Hier veröffentlicht Stefan Sichermann täglich SatireNachrichten. Die internationale Jury lobte den „ironischen Humor, das Design im Stil einer Zeitung und den spielerischen Umgang mit Bildern“. Erstmals wurde die Kategorie „Bestes Fachblog“ vergeben, in diesem Jahr zum Thema Klimawandel. Das Sieger-Blog „Coluna Zero“ (deutsch: Säule Null) wird vom Brasilianer Bruno Rezende betrieben. Sein Leitmotiv: ein verantwortungsbewusster Konsum (mehr auf Seite 15). Überreicht werden die Preise beim Deutsche Welle Global Media Forum am 22. Juni in Bonn. —— www.thebobs.com I www.dw-gmf.de

Victor Miclovich, einer

der Autoren des Blogs Ushahidi.com: praktische Lebenshilfe – hier Informationen über Vermisste nach dem Erdbeben in Haiti

Koalition der Vernunft Berlin – Der Wirtschaftsbeirat der Deutschen Welle unterstützt die Pläne, den Auslandssender nachhaltig zu stärken. „Eine optimale mediale Visitenkarte in der Welt ist auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts Deutschland“, sagte Roland Berger, Sprecher des Beirats.

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Stärkung der Außendarstel-

lung auch im Interesse der Wirtschaft: Roland Berger

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Das Gremium hatte in seiner jüngsten Sitzung intensiv über die „Aufgabenplanung 2010 bis 2013“ der Deutschen Welle diskutiert. Berger sagte anschließend, er setze auf eine breite „Koalition der Vernunft“ für den deutschen Auslandssender: Es gehe darum, die Anstrengungen in Deutschland für eine starke DW zu bündeln. Die ARD-Landesrundfunkanstalten, das ZDF, das Deutschlandradio und auch kommerzielle Medienunternehmen sollten nach Auffassung des Wirtschaftsbeirates mehr als bisher in die Diskussion um die Zukunft der medialen Außendarstellung einbezogen werden. „Wir wollen auch die Länder aufgrund ihrer medienpolitischen Kompetenz für den medialen Auftritt Deutschlands im Ausland gewinnen“, so Berger.

Nach dem DW-Gesetz nimmt die Bundesregierung zu den inhaltlichen Aspekten der Aufgabenplanung innerhalb von sechs Wochen Stellung. Das Parlament soll sich unter Berücksichtigung dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten damit befassen. Interessierte finden den Entwurf des Strategiepapiers im Internet. —— www.dw-world.de/unternehmen


nachrichten

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„Eine außergewöhnliche Persönlichkeit“

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Zur Preisverleihung ein

Appell an die westliche Welt, poli-

Bonn – Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi hat am 20. Mai den Internationalen Demokratiepreis Bonn erhalten. Die Anwältin, die sich seit Jahren unermüdlich für die Achtung der Menschenrechte in ihrem Heimatland einsetzt, sei „eine außergewöhnliche Persönlichkeit“, sagte Staatsminister Werner Hoyer in seiner Laudatio.

tische Häftlinge in Todeszellen nicht zu vergessen: Shirin Ebadi mit (v.l.) Bonns OB Jürgen Nimptsch, DW-Intendant Erik Bettermann, Jürgen Wilhelm, Vorsitzender des Demokra-

250 Gäste waren zum Festakt in das ehemalige Ballhaus La Redoute in Bonn gekommen. Dort überreichte Erik Bettermann, Intendant der Deutschen Welle und Vorsitzender des Vereins Internationaler Demokratiepreis Bonn, die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung. „Shirin Ebadi kämpft seit Jahren unerschrocken dafür, dass in Iran die verfassungsrechtlich verbürgten Rechte auch eingehalten werden, insbesondere die Rechte von Frauen und Kindern“, begründete Bettermann die Entscheidung der Jury. Der Verein wolle mit dieser Würdigung zugleich „Solidarität mit der Demokratiebewegung in Iran zeigen“. Das griff die Preisträgerin auf und widmete die Auszeichnung „all den Menschen und Gruppen in Iran, die in den zurückliegenden Jahren für die Demokratie gekämpft und dabei kein Opfer gescheut haben“. Die „Grüne Bewegung“ sei eine demokratische, keine ideologische Bewegung und sie sei in allen Gesellschaftsschichten verankert, betonte Ebadi. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Werner Hoyer, hob in seiner Laudatio die Entschlossenheit und den Mut Ebadis hervor. „Sie haben nie zugelassen, dass aus Querschlägen Rückschläge wurden. Dafür möchte ich Ihnen danken.“

Ebadi nahm die Preisverleihung zum Anlass, einmal mehr an Europa und die Vereinten Nationen zu appellieren. „Der Kampf gegen die Todesstrafe in Iran darf nicht nur auf dem Papier stattfinden, sonst droht eine neue Hinrichtungswelle“, sagte sie. Derzeit säßen 18 politische Häftlinge in Todeszellen. Die EU verhalte sich in dieser Frage „zu indifferent“. Wirtschaftssanktionen allerdings schadeten nur der Bevölkerung. „Besser wäre es, die EU würde ihre Botschafter als Zeichen des Protests aus Teheran zurückziehen.“ Kritik richtete Shirin Ebadi auch gegen westliche Unternehmen, die beispielsweise Software lieferten, die Teheran zur Verfolgung von Regimekritikern einsetze. „Auch der Fernseh- und Internetempfang in Iran wird mit Hilfe westlicher Technik gestört.“ Ebadi zeigte sich zugleich überzeugt: „Wenn sich ein Volk so einig und aufopfernd für die Demokratie einsetzt, wird es siegen.“ —— www.demokratiepreis-bonn.de

tiepreis-Kuratoriums, und Staatsminister Werner Hoyer


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titel

Wenn wir den Kollaps in unseren Berichten als unvermeidlich darstellen, kĂśnnte das paradoxerweise die Chance sein, ihn doch noch zu verhindern


titel

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Aufbruch ins Bewusstsein Ein authentisches Bild der Klimadiskussion zu vermitteln ist nicht einfach: Da war die von Enttäuschung geprägte Debatte im Anschluss an Kopenhagen. Dann Aufregung über Fehler in wissenschaftlichen Berichten. Schließlich der Petersberger Klimadialog – und Hoffnung auf einen Neuanfang. Zwischen diesen Polen bewegt sich das Deutsche Welle Global Media Forum Ende Juni in Bonn. Dort geht es um die Herausforderungen des globalen Klimawandels im Lichte der Darstellung in den Medien. Eine Einstimmung von Susanne Nickel. Das Treffen der 45 Umweltminister Anfang Mai auf dem Petersberg bei Bonn hat die Weichen für eine weitere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Klimawandels gestellt. Zugleich hat es in Vorbereitung auf den Gipfel im November im mexikanischen Cancún eine neue Sicht auf die Prioritäten politischen Handelns eröffnet. Führte Kopenhagen Ende 2009 in dieser Frage zu einer Polarisierung zwischen den Weltmächten China und USA, so entwickelte der Petersberger Dialog die Vision einer Industriegesellschaft, die sich neu orientieren muss, will sie zukunftsfähig sein. Dabei handelt es sich um die pragmatische Erkenntnis, dass in der Weltgemeinschaft diejenigen die Nase vorn haben werden, die ihre Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig auf einen Klima schonenden Entwicklungspfad bringen. In der weltweiten Klimadiskussion spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Denn es liegt insbesondere in ihrer Verantwortung, die komplexen Zusammenhänge zu analysieren, sie einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln und für

einen globalen Klimaschutz zu werben. Längst wird in Redaktionen das Thema ressortübergreifend definiert und bewertet: Es ist weltpolitisch, ökonomisch, sozial und ökologisch gleichermaßen relevant. Der globale Klimawandel hat die Nische eines singulären Umweltthemas verlassen. Journalisten begegnen ihm bei der Recherche über extreme Wetterereignisse, über strittige Investitionsentscheidungen oder auch bei der Einordnung internationaler Beziehungen. In diese Gemengelage stößt das diesjährige Deutsche Welle Global Media Forum vom 21. bis 23. Juni mit seinem Thema „The Heat is On – Climate Change and the Media“. Die Konferenz rückt den globalen Klimawandel in das Blickfeld von Journalisten und Medienmanagern. Das umfangreiche Programm der internationalen Konferenz spiegelt die vielfältigen Facetten der Thematik wider. In mehr als 50 Panels und Workshops beschäftigen sich Experten aus Medien und Wissenschaft, Wirtschaft und Politik mit Bestandsaufnahme, Analyse, Bewertung. Sie

»Medien sind unser mächtigstes Werkzeug.«


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suchen nach Lösungsvorschlägen als Ergebnis kontrovers geführter Debatten. Zugleich geht es um die Fragen: Welche Rolle spielen die Medien? Welche Aufgabe haben sie zu erfüllen? Und wo stoßen sie an ihre Grenzen? Fragen, die das Spannungsfeld des Rollenverständnisses beim Thema Klimawandel illustrieren: der Journalist als professionell dis­ tanzierter Beobachter – und zugleich als verantwortlicher Akteur, der bei seinem Publikum das erforderliche Bewusstsein schafft.

Standortbestimmung für die Medien

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Naturkatastrophen als mah-

nende Vorboten: Überlebenskampf mit Symbolcharakter in Bangladesch

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Der englische Journalist und Psychotherapeut Mark Brayne leitet einen Workshop, der die Herausforderungen des Klimawandels aus psychologischer Sicht betrachtet. Er bewertet sowohl die Einflussmöglichkeiten als auch den Willen der Medien, Veränderungen herbeizuführen, kritisch: „Wissenschaftliche Forschungen sagen uns, dass ein Untergang unserer Zivilisation in wenigen Generationen droht, wenn wir den Klimawandel nicht verhindern.“ Brayne ist „überzeugt, dass die Medien in ihrer heutigen Form mit dieser Kernaufgabe des 21. Jahrhunderts schlichtweg überfordert sind“. An der Wächterrolle der Medien hält er gleichwohl fest: „Solange Politiker, Wirtschaftsführer und Wähler nicht

verstehen, wie ernst die Lage ist, gibt es keine Hoffnung auf einen Wandel. Und was ist unser mächtigstes Werkzeug, wenn es darum geht, zu verändern, was Menschen denken? Die Medien! Wenn wir den Kollaps in unseren Berichten als unvermeidlich darstellen, könnte das paradoxerweise die Chance sein, ihn doch noch zu verhindern – vielleicht.“ Brayne wird mit seiner Position nicht nur auf Beifall stoßen.

Menschenrechte und Nord-Süd-Gefälle Dass auch das Thema Klimagerechtigkeit in der politischen Diskussion eine wichtige Rolle spielt, machte Außenminister Guido Westerwelle im Mai auf dem Petersberg deutlich. Der Klimawandel stelle die Einhaltung von Menschenrechten infrage, bedrohe das Recht auf Leben in einer gesunden Umwelt. „Gerade in den Ländern, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, ist die Existenz von Millionen von Menschen gef ährdet.“ Dieses Nord-Süd-Gefälle ist zentrales Anliegen von Adil Najam. Der in Pakistan geborene US-Amerikaner lehrt Global Public Policy an der Boston University und ist Mitautor des 4. Weltklimaberichts, den der Weltklimarat vorgelegt hat. Auch er stellt seine Thesen auf dem Forum der DW in Bonn vor. In Haiti, so Najam,


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seien beim Erdbeben im Januar 2010 vor allem deshalb so viele Menschen gestorben, weil sie aufgrund der Armut in Hütten und baufälligen Häusern lebten. Für ihn sind „die wichtigsten Akteure nicht länger nur die Nationalstaaten, sondern auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft“. Jede Seite müsse das tun, was sie am besten könne: „Die Regierungen erlassen Regeln und Richtlinien, die Wirtschaft macht Gewinne und die Zivilgesellschaft übt eine Kontrollfunktion aus“, so der Professor.

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Bertrand Piccard Forscher, Abenteurer und UN-Sonderbotschafter. 1999 umrundete er den Globus nonstop im Heißluftballon. Jetzt will er erneut einmal um die Welt – mit einem solarbetriebenen Leichtflugzeug. In Bonn stellt er sein Projekt „Solar Impulse“ vor und zeigt ein Modell seines Solarfliegers. Piccard: „Wir brauchen Pioniergeist.“

Felix Finkbeiner Zwölfjähriger Klimabotschafter, Gründer der weltweiten Schü-

Eine Million Bäume und der Regenwald

lerinitiative „Plant for the Planet“. In jedem Land der Welt eine

Der heute zwölfjährige Felix Finkbeiner entwickelte vor drei Jahren die Idee, Kinder könnten in jedem Land der Erde eine Million Bäume pflanzen, um auf diese Weise einen CO2-Ausgleich zu schaffen. Mittlerweile sind in der Initiative „Plant for the Planet“ Kinder in 72 Ländern der Erde aktiv. Sie bezeichnen sich als Botschafter für Klimagerechtigkeit, was Felix Finkbeiner im DW-Interview am Rande des Petersberger Klimadialogs erläuterte: „Es ist ungerecht, dass die Menschen in den Industrienationen – ohne dafür zahlen zu müssen – einen deutlich höheren CO2-Ausstoß haben dürfen als die Menschen in ärmeren Ländern, die dazu noch am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden.“ Felix stellt das Projekt auf dem Deutsche Welle Global Media Forum vor. Klimagerechtigkeit fordert auch Pater Marco Arana aus Peru, der sich seit vielen Jahren für die Menschen- und Umweltrechte der Arbeiter und Bauern in Cajamarca einsetzt. Bei den Wahlen im kommenden Jahr in Peru wird er, trotz vieler Widerstände, für das Amt des Präsidenten kandidieren. In Anerkennung seines Engagements erhält Arana den Aachener Friedenspreis. Auf dem Deutsche Welle Global Media Forum wird er über die Situation der Menschen in seinem Land durch die zunehmende Vernichtung des Regenwaldes berichten – und auf Erfahrungen mit den Medien seines Landes eingehen.

Million Bäume als Zeichen für mehr Klimagerechtigkeit pflanzen, das ist das Ziel der Aktion. Felix: „Wir wollen für unsere Zukunft kämpfen.“

Hermann Scheer Träger des Alternativen Nobelpreises, Präsident von Eurosolar und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien. Der SPD-Politiker ist Mitglied des Deutschen Bundestags und des Internationalen Parlamentariernetzwerks für Erneuerbare Energien – und gilt als „Dickschädel“ und „Sonnenkönig“.

Werner Boote Filmregisseur und Autor. Zehn Jahre hat es gedauert, bis sein Dokumentarfilm „Plastic Planet“ fertig war, eine mutige Dokumentation über unsere Kunststoffwelten. In den Chefetagen der Chemieindustrie kennt und fürchtet man ihn. Boote: „Irgendwann erkennt man, dass es cool ist, beim Konsumieren nachzudenken.“

Pater Marco Arana Peruanischer Priester, Umweltaktivist und Präsidentschaftskandidat. Soeben mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Der Mitbegründer der Umweltorganisation „Grufides“ spricht in Bonn über die Vernichtung der Regenwälder, die Auswirkungen auf das Klima und die Folgen für die indigenen Völker Perus.

Mark Brayne Umweltjournalisten und Widersacher Der Schutz der äthiopischen Kaffeewälder als Existenzgrundlage der einheimischen Landbevölkerung, der Zusammenhang zwischen Bürgerkrieg und Umweltzerstörung auf den Philippinen und Risiken und Herausforderungen der Umweltberichterstattung in autoritären Staaten, etwa in China – das sind weitere Themen der Konferenz. Wer in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit über Umweltskandale und Proteste betroffener Menschen berichten will, braucht Mut. Das wird eine Diskussionsrunde deutlich machen, an der investigative Reporter beteiligt sind, die Repressalien und Behinderungen bei ihrer Arbeit erfahren haben: Liu Jianqiang, der für die einflussreiche chinesische Wochenzeitung „Southern Weekend“ über Chinas aufstrebende Umweltbewegung schreibt, Tamer Mabrouk aus Ägypten, Blogger und Zeitungsjournalist, der

Reporter, Korrespondent, Psychotherapeut und Gründer des Europäischen Dart Center für Journalismus und Trauma in London. Auf die Einstellung komme es an, sagt Brayne, und meint die Journalisten. Seine provozierende These: „Medien sind in ihrer heutigen Form mit dieser Kernaufgabe des 21. Jahrhunderts überfordert.“

Adil Najam Professor of Global Public Policy an der Boston University und Zukunftsforscher. Mitautor des 4. Weltklimaberichts, den der Weltklimarat, Friedensnobelpreisträger 2007, vorgelegt hat. Najams Anliegen: das Nord-Süd-Gefälle beim Thema Klimawandel. „Die Folgen treffen arme Länder besonders stark.“

Alle Experten des Deutsche Welle Global Media Forum unter www.dw-gmf.de


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titel unter anderem über die Verschmutzung des SuezKanals mit Chemieabfällen berichtet hat, und Grégory Ngbwa Mintsa aus Gabun, der in einem Blog über die größten afrikanischen Ölunternehmen schreibt und 2008 wegen seiner kritischen Haltung inhaftiert worden war.

Die Partner des Forums Zahlreiche Partner gestalten das Programm der Konferenz mit: unter anderem das UN-Klimasekretariat (UNFCCC), das International Human Dimensions Program on Global Environmental Change (UN IHDP/ESSP), EU-Kommission und Weltbank, das Wuppertal Institut, World Wild-

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The Heat Is on: schmelzende

Eisberge am südlichen Polarkreis

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Plastic Planet: Müllkippe in

der Nähe von Manila, Philippinen

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Verantwortung für die Zukunft

life Fund for Nature (WWF), NABU und klima-allianz, das

Das Deutsche Welle Global Media Forum verspricht, einen wesentlichen Aspekt der Klimadiskussion mit Leben zu füllen: die Zusammenarbeit der Völker, Staaten und Regionen – auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit. Der internationale Medienkongress zeigt die Verantwortung auf, die die Industrienationen in diesem Kontext wahrnehmen müssen, indem sie ihr technologisches Knowhow und ihre Innovationskraft zur Bekämpfung des Klimawandels einsetzen. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung auf globaler Ebene sind gegeben. So betrachtet, ist der Klimawandel als Chance zu begreifen. Zumindest die Optimisten unter den Klimaschützern sind überzeugt: Wenn es gelingt, das Tempo des Klimawandels zu verlangsamen und die Zeit zu nutzen, um auf eine Ressourcen schonende Wirtschaftsweise umzustellen, wird eine moderne, sauber produzierende Industrie entstehen – auch dies ein Prozess, in dem die Medien eine entscheidende Rolle spielen: als kritische Beobachter, als Zeugen, Berichterstatter und Kommentatoren. Vor diesem Hintergrund verknüpft die Deutsche Welle mit dem Forum die Zielsetzung, durch innovative Beispiele aus der Praxis eine ermutigende Sicht auf das Thema beizusteuern. Dafür

Institut für Weltwirtschaft Kiel, das Deutsche Institut für

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Entwicklungspolitik (DIE), das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF). Mitveranstalter ist die Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn. Unterstützt wird die Konferenz zudem vom Auswärtigen Amt, dem Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, der Stadt Bonn, DHL, KSB Aktiengesellschaft und Faber-Castell.

Die Fotos vom Klimawandel Unter dem Motto „Hot Shots – Your View on Climate Change“ sucht die DW Fotos, die die Folgen des Klimawandels oder Projekte zum Klimaschutz darstellen. Menschen aus aller Welt sind eingeladen, ihre Eindrücke bis 23. Juni per E-Mail an hotshots@dw-world.de zu schicken. Die Fotos werden auf einer klickbaren Weltkarte veröffentlicht. Alle Einsender können Preise gewinnen. www.dw-gmf.de/hotshots

Die Farben des Wassers Die farbliche Vielfalt des Wassers macht der Künstler und Fotograf Sven Hoffmann in seinem Projekt „aqua globalis“ sichtbar. Seine Fotografien aus unterschiedlichen Regionen der Welt präsentiert die Deutsche Welle im Funkhaus Bonn. Die Ausstellung wird am 17. Juni um 17.30 Uhr eröffnet und ist bis 14. Juli täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen. www.aquaglobalis.com


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Die Kunst der Kinder Wie sehen Kinder in den verschiedenen Teilen der Welt den Klimawandel? Auf dem Deutsche Welle Global Media Forum ist eine Auswahl von Bildern eines internationalen Kindermalwettbewerbs zu sehen – ein Projekt der Partnerschaft zwischen der Bayer AG und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Die Sonderausstellung mit 40 Drucken der besten Motive aus den vergangenen Jahren wird am Montag, 21. Juni, um 13.30 Uhr im World Conference Center Bonn (WCCB) eröffnet. www.unep.bayer.de

Der Blog aus dem Eis Ice-Bloggerin Irene Quaile ist wieder unterwegs: Die DWUmweltjournalistin ist am 26. Mai zu einer Expedition in die vom Klimawandel besonders stark betroffene Arktis aufgebrochen. Dieses Mal besucht sie die Forschungsstation Ny Alesund auf Spitzbergen. Dort untersuchen Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften der Universität Kiel an Bord des GreenpeaceSchiffs Esperanza die Auswirkungen des Klimawandels auf die Ozeane. Irene Quaile berichtet im Ice-Blog. Auf dem Deutsche Welle Global Media Forum leitet sie am 21. Juni den Workshop zum Thema: „Sex, Drugs and Climate Change: How to get the message to a media-sated public“. blogs.dw-world.de/ice-blog

Der Weg zur Konferenz Schauplatz des Deutsche Welle Global Media Forum ist das am Rhein gelegene World Conference Center Bonn (WCCB).

steht beispielsweise Bertrand Piccard. Der schweizer Abenteurer, Forscher und Arzt will mit einem Solarflieger die Welt umrunden. Spektakulär die Aktion, überzeugend seine Ziele: „Wir wollen die Schlüsselrolle von erneuerbaren Energien und sauberen Technologien aufzeigen, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Ich will demonstrieren, dass wir Pioniergeist brauchen zur Gestaltung einer besseren und nachhaltigeren Zukunft.“ In Bonn stellt er sein Projekt „Solar Impulse“ und ein beeindruckendes Modell seines Fliegers vor. Bruno Wenn, Sprecher der Geschäftsführung der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), präsentiert Olkaria III, ein Projekt aus Kenia, das erste private geothermische Kraftwerk in Afrika. Die DEG übernehme eine Vorreiterrolle bei der Nutzung erneuerbarer Energien und der Entwicklung von Stromprojekten auf dem Kontinent, sagt Wenn. „Wir gewährleisten, dass es funktioniert und rentabel, ökologisch und sozial verträglich ist sowie einen nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung leistet. ­Olkaria III ist ein leuchtendes Beispiel für die Wirtschaftlichkeit von Klimaprojekten.“ Die Agenda des Deutsche Welle Global Media Forum verspricht viel Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Und konstruktive Anstöße für Medienmacher und weitere Akteure. —— www.dw-gmf.de

Die Konferenzsprache ist Englisch. Anmeldungen und Akkreditierungen im Internet. Das Konferenzsekretariat ist zu erreichen unter T. 0228.429-2142 www.dw-gmf.de

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Im Vorfeld und während der Konferenz finden Sie zusätzliche Informationen und Berichte zum Thema im Presseblog: blogs.dw-world.de/presse Pressefotos: www.flickr.com/deutschewelle Mitschnitte: soundcloud.com/dwgmf

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Olkaria III: das erste private

geothermische Kraftwerk in Afrika

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Solar Impulse: mit Sonnen-

kraft um die Welt


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„Wir brauchen einen Klimawandel in den Köpfen von Journalisten“ DW-Intendant Erik Bettermann zu Intention, Thema und Ausrichtung der Konferenz. Fragen von Johannes Hoffmann und Berthold Stevens.

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Warum veranstaltet auch die Deutsche Welle eine internationale Konferenz zum Klimawandel? Weil bislang noch niemand die Frage gestellt hat, welche Rolle die Medien beim Thema Klimawandel spielen, und zwar in allen Teilen der Welt. Hierfür ist das Deutsche Welle Global Media Forum der richtige Rahmen. Es ist der Medienkongress in Deutschland mit internationaler Ausrichtung, bei dem wir Medienvertreter aus aller Welt – darunter zahlreiche Partnersender des deutschen Auslandsrundfunks – mit Akteuren aus Politik, Kultur, Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit und Wissenschaft zusammenbringen. Und dies mit dem Ziel, hier interdisziplinär Lösungen für Herausforderungen der Globalisierung zu erarbeiten. Der Klimawandel gehört zu den dringendsten Fragen unserer Zeit und die Medien müssen hierfür Bewusstsein schaffen. Journalisten als Vermittler der komplexen Zusammenhänge tragen eine besondere Verantwortung. Deshalb diese Konferenz, deshalb zu diesem Thema.

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Heißt das, Sie erwarten eine aktivere Rolle der Medien – nicht nur Berichterstattung, sondern auch Vorschläge für Lösungen? Natürlich geht es zunächst immer darum, dass die Medien zentrale Zukunftsthemen so objektiv wie möglich abbilden und verständlich machen. Zugleich wird es wichtiger, dass Journalisten mit gut recherchierten Geschichten Bewusstsein fördern, dass jeder Einzelne etwas tun kann. Medien müssen ein Forum bieten für den Austausch von Ideen und Meinungen. Durch Digitalisierung und Internet, durch Blogs und Twitter sind in den vergangenen Jahren die Möglichkeiten enorm gewachsen. Immer mehr Menschen beteiligen sich an diesem Diskurs. Von den Diskussionen, die unterhalb der politischen Ebene geführt werden, können auch die Regierenden profitieren. Die Neuen Medien ermöglichen einen ungefilterten Blick in die Mitte der Gesellschaften.

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„Die Medien dürfen sich nicht

vereinnahmen lassen von jenen, die um der Sensation willen fragwürdige Katastrophen-Szenarien entwickeln“: Empfangsgeräte nach Überschwemmungen in Bangladesch

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Wie behandelt die DW in den journalistischen Angeboten das Thema Klimaschutz? Der Klimawandel und Umweltthemen stehen in unseren Redaktionen ganz oben auf der Agenda. Ich nenne nur ein paar herausragende Dinge aus jüngster Zeit: die multimediale Serie „Ideas for a cooler world“, 50 TVReportagen aus aller Welt über beispielhafte Projekte zum Klimaschutz mit viel Hintergrund im Internet. „Wege aus


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der Krise – Klimawandel“ ist eine weitere Reihe, diese unter Federführung des Hörfunks. Und wie unser eigenes Land aufgestellt ist, ist Thema des Projekts „Deutschland 360 Grad“. Hierfür sind unsere Volontäre durchs Land gefahren – übrigens mit Hybridauto, Bahn oder Fahrrad. Einige der Programmprojekte werden wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum präsentieren.

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Wie dringen Sie mit diesen Botschaften in Schwellenländern wie China durch, wo Wirtschaftswachstum auch durch Umweltsünden erkauft wird und wo Pressefreiheit ein Fremdwort ist? Peking oder auch Teheran verwehren in der Tat Stimmen von außen den freien Zugang zu den Menschen im Land. Was unsere Redaktionen umso mehr bestärkt, regelmäßig Aspekte des Umwelt- und Klimaschutzes aufzugreifen. Dazu zählen – im Fall China – bilaterale deutschchinesische Projekte wie Solarparks oder Gewässersanierung ebenso wie in China gefragte Umwelttechnologien aus Deutschland. Dazu zählt gleichermaßen eine wahrheitsgetreue Berichterstattung über Umweltkatastrophen oder massive Eingriffe in die Natur in China selbst. Hier sind den Inlandsmedien enge Grenzen gesetzt – eine Lücke, die internationale Sender schließen müssen. Das gilt natürlich insbesondere bei Katastrophen wie der Verseuchung des Amur, des Grenzflusses zu Russland. Oder denken Sie an die Folgen des gigantischen Drei-SchluchtenDamms in der Provinz Hubei, für den bis zu anderthalb Millionen Menschen umgesiedelt wurden.

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Was bedeutet das konkret für Journalisten in diesen Ländern? Am Beispiel China wird deutlich: Es gibt keinen global gültigen Königsweg, um für das Thema Klimawandel Bewusstsein zu schaffen. Medien und Journalisten müssen ihre Herangehensweise den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Um in restriktiven Medienmärkten etwas bewegen zu können, sind vertrauensbildende Maßnahmen

und Dialog erforderlich. Von außen müssen wir das gemeinsame Interesse am Klimaschutz deutlich machen. Journalisten müssen auch die Argumente der Schwellenländer aufgreifen und ernst nehmen, denn diese haben beim Wirtschaftswachstum einen berechtigten Nachholbedarf. Genau diese Diskussionen werden wir auf dem Deutsche Welle Global Media Forum führen.

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Das setzt verantwortungsbewusst agierende Journalisten voraus. Für mich ist klar: Wir brauchen einen Klimawandel auch in den Köpfen von Journalisten. Seriosität, hohe Qualität und Glaubwürdigkeit müssen der Maßstab sein bei einem Thema, das die Welt bewegt. Intensive Recherchen, sorgf ältige Gewichtung von Quellen und präzise Analysen sind wichtiger als Schlagzeilen und Emotionen. Die Medien dürfen sich nicht vereinnahmen lassen, weder von jenen, die um der Sensation willen fragwürdige KatastrophenSzenarien entwickeln, noch von jenen, die voreilig Entwarnung geben. Die Menschen weltweit bewegt das Thema.

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„Um in restriktiven Medien-

märkten etwas bewegen zu können, sind vertrauensbildende Maßnahmen und Dialog erforderlich“: Intendant Erik Bettermann


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»Es gibt keinen Königsweg, um für den Klimawandel Bewusstsein zu schaffen.«

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Lässt sich dieses globale Interesse belegen? Ja – mit aktuellen Daten. Wir werden zum Auftakt der Konferenz umfassende Ergebnisse einer vom Marktforschungsinstitut Synovate in Zusammenarbeit mit der DW durchgeführten Studie vorstellen. Sie untersucht Einstellungen zum Klimawandel bei der Bevölkerung in 18 Ländern, darunter Deutschland und Frankreich, Brasilien und die USA, China und Südafrika. Auch die Verantwortung und Rolle der Medien bei der Lösung dieses Zukunftsthemas sind Gegenstand der Untersuchung. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Menschen weiterhin in hohem Maß über den Klimawandel besorgt sind.

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Und auf dem Forum in Bonn gibt es dann die üblichen Plastiktaschen mit Hochglanzbroschüren und WegwerfArtikeln? Nein! Wir werden den unvermeidlichen CO2„Fußabdruck“ so gering wie möglich halten und ein hohes Maß an Nachhaltigkeit erreichen. Das beginnt beim Veranstaltungsort. Das World Conference Center Bonn (WCCB) ist als Partner von „Sustainable Bonn“ ausge-

zeichnet worden. Bei der Organisation und Durchführung der Konferenz wird die „Grüne Hausordnung“ des WCCB beachtet. Auch viele Konferenzhotels verhalten sich vorbildlich, neutralisieren beispielsweise nicht vermeidbare Emissionen durch den Kauf von Umweltzertifikaten. Alle Teilnehmer können während der Konferenz kostenlos den öffentlichen Nahverkehr und Leihfahrräder nutzen. Auch die Konferenzunterlagen sind so weit wie möglich aus zertifizierter Produktion, aus nachwachsenden Rohstoffen und wiederverwerteten Materialien. Bei der Verpflegung haben wir auf Speisen und Getränke regionaler Herkunft Wert gelegt.

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Gilt das bei der DW auch im Unternehmensalltag? Wir stellen uns dem Thema Klimaschutz und leisten unseren Beitrag, die CO2-Emissionen und den Verbrauch natürlicher Ressourcen zu reduzieren. Beispielsweise ist eine leistungsstarke Solaranlage auf dem Funkhaus Bonn in Planung. ——

Umwelt und Klima als Programm Sonderprojekte zu Umweltthemen und speziell zum Klimaschutz bietet die Deutsche Welle in allen Sprachen: »» Im Fernsehen sind dies beispielsweise die Magazine Projekt Zukunft, das Wissenschaftsmagazin, und insbesondere Global 3000, beides auf Deutsch und Englisch. www.dw-world.de/global3000 www.dw-world.de/projekt-zukunft »» Im Rahmen von Global 3000 werden die 50 Reportagen

»» „Wege aus der Krise – Klimawandel“ ist eine umfangreiche Hörfunk-Serie mit Online-Dossier. Prominente Experten verdeutlichen die Ursachen des Klimawandels und zeigen mögliche Lösungen auf. »» „Deutschland 360 Grad“ ist ein Projekt der DW-Volontäre. Die Nachwuchsredakteure waren im Land unterwegs und dabei auf umweltschonende Weise mobil. In der Reihe „Generation Klimawandel“ stellen sie zehn junge

des Multimediaprojekts „Ideas for a cooler world“ aus-

Menschen vor, die sich für den Klimaschutz einsetzen.

gestrahlt. Diese Serie, die bis Frühjahr 2011 läuft, stellt

www.dw-world.de/d360

beispielhafte Projekte zum Klimaschutz aus aller Welt

»» Themen wie Rohstoffe und Alternative Energien, Wasser-

vor. „Ideas for a cooler world“ schließt Beiträge auf Ara-

mangel und Wüstenbildung greifen alle 30 Sprachredakti-

bisch und Spanisch sowie online auch auf Chinesisch ein.

onen auf, auch in Koproduktionen mit Partnersendern in

Die Reihe wird von zahlreichen Partnern der DW über-

Afrika, Asien und Lateinamerika. Im englischen Angebot

nommen, beispielsweise vom brasilianischen öffentlich-

beispielsweise zählen das Online-Dossier Environment &

rechtlichen TV Cultura und von Nautanki, einem der be-

Development und das Magazin Living Planet dazu.

deutendsten Videoportale Indiens. Auch auf der chine-

www.dw-world.de/livingplanet

sischen Videoplattform Tudou und dem populären Video-

»» Die Berichterstattung zu Umweltthemen ist darüber hi-

portal Ikbis, Jordanien, ist die Reihe abrufbar. Zahlreiche

naus Bestandteil der Fortbildungsangebote der DW-AKA-

Goethe-Institute und andere Mittlerorganisationen ver-

DEMIE. Sie richten sich an Medienschaffende in Entwick-

linken auf das DW-Angebot.

lungs- und Transformationsstaaten.

www.ideasforacoolerworld.de

www.dw-akademie.de


titel

weltzeit 03_2010

Klima-Blog mit Konsum-Index

Wahl 2.0 am Zuckerhut

— 15

Rio de Janeiro – Menschen aus aller Welt sollen sich an der Diskussion über den Klimawandel beteiligen. Das ist dem

Das Internet und Soziale Medien

28-jährigen Brasilianer Bruno Rezende wichtig. Für das Blog „Coluna Zero“ hat er beim Weblog-Award The BOBs den

werden eine bedeutende Rolle spie-

Preis in der Fachkategorie „Klimawandel“ erhalten. DW-Mitarbeiter Deyvis Drusian stellt Blog und Blogger vor.

len bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Herbst in Bra-

Sein Blog ist noch jung. Seit September 2009 ist Coluna

Die Plattform biete ein Meinungsspektrum, das weit über das

silien. Der Wahlkampf für den Ur-

Zero (deutsch: Säule Null) online. Entstanden ist die Idee auf

hinausgehe, was in den konventionellen Medien zu finden sei.

nengang am 3. Oktober verspricht

einer Bergtour: „Meine Freunde wollten mit mir den Pico das

„Ich schreibe über meine Sicht der Dinge. Durch die Kommen-

dadurch mehr Bürgerbeteiligung

Agulhas Negras im Bundesstaat Rio de Janeiro besteigen.

tare der Leser kommt eine zweite, dritte, vierte oder fünfte

und Transparenz. Rund 60 Millio-

Ich sagte: Auf geht’s! Ich hab mir die Kamera geschnappt

Meinung hinzu. Also eröffnet es eine Fülle von unterschied-

nen Brasilianer haben inzwischen

und dachte: Ich filme das. Und damit alle es sehen können,

lichen Perspektiven. Das Wichtige an der Diskussion über den

Zugang zum Netz – etwa 50 Pro-

habe ich es ins Internet gestellt. Die Leute fanden es super!“

Klimawandel ist die Beteiligung von Leuten in anderen Län-

zent der Wähler. Unter den Sozi-

Er hatte noch nie einen Berg bestiegen. Jetzt hatte er Lust

dern, in anderen Regionen. Kein anderes Kommunikations-

alen Netzwerken wird insbesonde-

auf mehr. „Ich dachte, wir unternehmen mehr Ausflüge und

mittel ist so interaktiv wie ein Blog.“

re „Orkut“ genutzt. Auch Blogs er-

machen Videos darüber. Und dann habe ich mich entschlos-

Rezende verdient kein Geld mit Coluna Zero. Das würde der

freuen sich großer Beliebtheit – die

sen, ein Blog zu erstellen, damit die Videos nicht alle einzeln

Intention des Blogs widersprechen. Denn zentrales Anlie-

brasilianische Blogosphäre wächst.

bei YouTube herumschwirren.“ Dass bald Umweltnachrichten,

gen ist es, die Menschen dazu zu bewegen, einen nach seiner

Besonders gefragt: humorvolle In-

Diskussionen und Meinungsbeiträge hinzukamen, auch das

Überzeugung maßlosen Konsum zu verringern. „Ich würde

halte, wie sie zum Beispiel „Kibe-

war so nicht geplant: „Meine Kamera ist kaputt gegangen.

doch nicht jede Menge Werbung auf eine Seite packen, die für

Loko“ bietet. Die Bloggerin Rosa-

Aber das Weblog brauchte trotzdem Input.“ Rezende betreut

verantwortungsvollen Konsum steht.“

na Hermann, Mitglied der Jury von

das Blog derzeit allein. Einige treue Leser schicken Vorschlä-

Das Zielpublikum von Coluna Zero ist jung. „Die Nutzer sind

The BOBs, ist überzeugt, dass sich

ge für Blog-Beiträge.

zwischen 18 und 28 Jahre alt“, weiß der Autor. Allerdings will

durch Internet und Web 2.0 auch die

Die Nachricht, dass die Deutsche Welle sein Blog auszeich-

er hier keine Grenzen ziehen, richtet sich ebenso „an jung ge-

Sichtweise ihrer Landsleute auf die

net, hat ihn überrascht. „Ich hatte noch nicht einmal damit

bliebene Ältere, die Freude an unseren Abenteuern haben und

traditionellen Massenmedien verän-

gerechnet, nominiert zu werden.“

an der Sprache, die wir benutzen“. ——

dert: „Die Menschen beginnen, das

tiger aber erscheint dem Brasilianer „die Freiheit jedes Men-

www.colunazero.com.br

stellen.“ Zudem könnten Autoren-

schen, sich eine eigene Meinung bilden zu können, verschie-

www.thebobs.com

blogs die Programmplanung großer

Der Einsatz für den Klimaschutz ist ihm wichtig. Noch wich-

Monopol des Fernsehens in Frage zu

dene Ideen zu sammeln und zu einer Verständigung zu kom-

Sender beeinflussen, wie einige Bei-

men“. Dafür sei das Blog da. Schließlich würden Menschen

spiele zeigten.

aus der ganzen Welt darin lesen und Kommentare abgeben.


16—

neue medien

Surf the planet! Noch schnell eine E-Mail abschicken, kurz die Nachrichten im Live-Stream schauen und dann noch den Status bei Facebook ändern. Schon sind zwei Stunden rum. Internetzeit verfliegt. Und die Stromuhr läuft mit. Welche Folgen hat das fürs Klima? Droht in Zukunft ein Surf-Verbot? Oder retten uns „grüne“ Computermodelle? Monika Griebeler hat nach Antworten gesucht. 0,2 oder sieben Gramm? Wie viel CO2 entsteht bei einer normalen Google-Anfrage? Die Debatte darüber läuft seit einem Jahr, geklärt hat sich wenig. Denn die Diskussion ist im Grunde beispielhaft für alles, was sich um IT und Klima dreht: Man weiß, dass man nichts weiß. Oder zumindest wenig. Eine Klimabilanz für das Internet zu erstellen ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Denn es geht nicht nur um den Stromverbrauch im Betrieb von Routern, Servern, Datenleitungen und Computern, sondern auch um den bei ihrer Produktion. Fest steht zumindest so viel: Privatleute schaden dem Klima nur zu einem kleinen Teil. Das meiste hängt an großen Unternehmen. Allein um die Serveranlagen zu kühlen, geht oft rund die Hälfte der Energie drauf. Vier mittelgroße Kohlekraftwerke sind nach Berechnungen des Borderstep Instituts in Berlin nötig, um Server und Rechenzentren in Deutschland mit Energie zu versorgen. Weltweit braucht es laut dem Freiburger Öko-Institut etwa 20 Großkraftwerke mit jeweils 1000 Megawatt Leistung, nur um den Strombedarf des Internets zu decken. Hinzu kommt der Verbrauch von mobilen Geräten und von Druckern und Scannern. In Deutschland verbraucht das Internet rund zwei Prozent des Stroms, die Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK) rund acht Prozent, haben Klimaforscher berechnet. Weltweit verursache das Internet somit so viel CO2 wie etwa ein Viertel des Flugverkehrs, schätzt Claus Barthel vom Wuppertal Institut für Klimaforschung. Die ITK stößt laut Umweltbundesamt dementsprechend mehr CO2 aus als der gesamte deutsche Luftverkehr. Auch hier sind die genauen Zahlen umstritten. Klar ist: Der Energiebedarf wird weiter wachsen. „Schätzungen sagen voraus, dass der Verbrauch bis 2020 noch einmal um 20 Prozent steigen wird“, sagt Siegfried Behrendt vom Institut für Zukunftstechnologien und Technologiebewertung. Gründe unter anderen:

leistungsfähigere Computer, größere Flachbildschirme, aufwändigere Mobiltelefone. „Grüne IT“ soll die Lösung sein: Geräte, frei von Giftstoffen, die Energie sparen und so die Umwelt schonen. Das können Computer mit Bambusgehäuse sein oder solche mit stromsparenden Chips oder Bauteilen aus „Bio-Kunststoff “. Auf der diesjährigen CeBit hatten diese grünen Modelle wieder ihren festen Platz. Doch Kritiker sehen in der Grünen IT nicht mehr als einen griffigen Werbeslogan. Schließlich werde Strom auch für IT-Anbieter immer teurer – und Klimaschutz mache sich gut. Umweltverbände bemängeln vor allem, dass es für die meisten Firmen nach wie vor primär um Leistungsstärke gehe. Sie fordern eine einheitliche, verbindliche Verbrauchskennzeichnung und strenge Standards für Energieeffizienz. Grüne IT hin oder her – man weiß wenig. Denn zugleich scheint die Online-Welt das Klima per se zu schonen: Manager konferieren per Web-Video, statt zu fliegen, Wissenschaftler publizieren online statt in gedruckter Form und Leser klicken sich zum Buch, statt in den Laden zu fahren. Wem das nicht reicht, für den haben Verbraucherzentralen und Umweltbundesamt Tipps, wie richtiges Surfen das Klima schützt: zum Beispiel schnelles Internet nutzen, dann dauert alles nicht so lange. Gezielt surfen, nicht sinnlos online Zeit und Strom vertändeln. Und Musik digital speichern, statt sie auf CD zu brennen. Kurz: „Leben Sie online, aber bewusst!“ —— Den neuen Ratgeber „Computer, Internet und Co: Geld sparen und Klima schützen“ des Umweltbundesamtes gibt es kostenlos unter: www.umweltbundesamt.de/klimaschutz/publikationen


schlaglichter

weltzeit 03_2010

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Suchmaschine rettet Regenwald RoG beklagt wachsende Internet-Zensur

Community finanziert Recherchereise

wegen ihrer geringen Größe eignen

Grünen IT besetzt die Suchmaschine ecosia.org: die Betreiber spenden

Noch nie zuvor hat die Organisation

Ted Rall ist ein angesehener

Berichterstattung in Krisengebieten.

80 Prozent ihrer Einnahmen an ein

Reporter ohne Grenzen eine so hohe

US-amerikanischer Cartoonist und

Regenwaldprojekt des WWF. Durch

Zahl von inhaftierten Bloggern, In-

Autor. Er war bereits in Afghanistan

einen Klick auf sogenannte gespon-

ternetnutzern und Cyberdissidenten

und möchte noch einmal dorthin, um

Lady Gaga führt im 100-Millionen-Club

serte Links, wie sie auch Google

dokumentiert. 120 Blogger weltweit

zu berichten. Journalistische Reisen

Früher guckte man Musikfernsehen.

bei jeder Anfrage anzeigt, erzeugt

seien derzeit in Haft, davon allein 72

in Krisengebiete sind nicht billig. Es

Heute guckt man Videos im Internet.

ein Nutzer genug Werbeeinnahmen,

in China. 60 Staaten übten Internet-

sei denn, man reist als „Embedded

Der Web-Dienstleister „Visible

um zwei Quadratmeter Wald am

zensur aus, so RoG. 40 Staaten sind

Journalist“ mit der US-Armee. Das

Measures“ listet auf einer Seite im

Amazonas zu schützen. Die Server der

es laut Open Net Initiative (ONI), die

will Rall aber gerade nicht. Er will sich

Netz die meistgesehenen Web-Videos

Suchmaschine, die mit Microsofts Bing

von den renommierten Universitäten

ein uneingeschränktes Bild machen

auf. Spitzenreiter im sogenannten

und mit Yahoo kooperiert, werden mit

in Harvard, Oxford, Cambridge

und unabhängig sein. Mit Hilfe der

„100 Million Views Club“ ist

Ökostrom betrieben.

und Toronto getragen wird. Zum

Website Kickstarter hat der Autor

Lady Gaga. Drei ihrer Videos haben

Vergleich: 2002 beschränkten erst

25.000 US-Dollar von Privatleuten

zusammen erstmals die Grenze von

Greenpeace lobt Klima bei Cisco

zwei Länder die Freiheit im Netz.

gesammelt, um seine Reise zu

einer Milliarde Views geknackt. Die

finanzieren. Ein erfolgreiches Beispiel

Zeiten verwackelter Heimvideos im

Zum dritten Mal hat Greenpeace seine

für Gemeinschaftsfinanzierung über

Netz sind vorbei. Mit der gewaltigen

„Cool IT“-Rangliste der IT-Unterneh-

Jeff Jarvis will eine Bill of Rights fürs Netz

das Internet.

Reichweite lässt sich gutes Geld

men vorgelegt. Am erfolgreichsten

Die Bill of Rights sind die ersten zehn

hat sich demnach Cisco um den

Zusatzartikel der Verfassung der

Klimaschutz und die Verwendung

Vereinigten Staaten von Amerika.

BBC filmt mit Spiegelreflexkameras

erneuerbarer Energien bemüht. Mit 62

Sie gewähren den Einwohnern

Traditionelle Medienhäuser haben jah-

von 100 erreichbaren Punkten konnte

unveräußerliche Grundrechte. Sie

relang auf die Qualität von professio-

das Unternehmen sein Vorjahreser-

wurden 1789 beschlossen und gelten

nellem Equipment verwiesen, um sich

gebnis verdoppeln und am bisherigen

noch heute. Der US-amerikanische

gegen sogenannte Bürgerjournalisten

Spitzenreiter IBM vorbeiziehen.

Internet-Guru Jeff Jarvis hat auf sei-

abzugrenzen. Die BBC wirft diese

Greenpeace würdigte vor allem die

nem Blog Buzzmachine jetzt „A Bill of

Vorbehalte nun über Bord und sendet

Bemühungen Ciscos, durch seine

Rights in Cyberspace“ formuliert. Mit

Beiträge, die mit einer handelsüb-

IT-Lösungen den Stromverbrauch zu

dabei: das Recht auf Verbindung und

lichen Spiegelreflexkamera gedreht

reduzieren. Schlusslichter der „Cool

das Recht auf Datenkontrolle. Fragt

wurden. Dank verbesserter Technik

IT“-Liste sind Panasonic mit 14 und

sich nur, wer den neuen Grundrechte-

kann eine Fotokamera zeitweise ein

Sony mit 16 Punkten.

Katalog ratifiziert.

würdiger Kameraersatz sein. Dank

Eine herausragende Position in der

sich Fotokameras vor allem zur

verdienen – egal ob mit eingeblendeter Werbung oder mit einem Video als Teil einer Marketingstrategie.


18—

profil

DEUTSCHLANDBILD

Blagorodna Grigorova stammt aus Plovdiv, Bulgarien, wo

Vom Puzzle zum Kunstwerk

sie am deutschsprachigen Gymnasium ihr Abitur machte. Von 1999 bis 2006 studierte sie an der Universität Bonn Politikwissenschaften, Osteuropäische Geschichte und Wirt-

Bonn – Fünf Jahre lang hat sie an einem deutschsprachigen Gymnasium in Bulgarien Grammatik gepaukt. Endlich rein in die Praxis der deutschen Sprache – das war ihr Wunsch, als sie zum Studium nach Bonn kam. Inzwischen kennt Blagorodna Grigorova auch die berufliche Praxis: als Nachwuchsjournalistin bei der DW.

schaftspolitik. 2004 kam sie erstmals in die Bulgarische Redaktion der DW – zum Praktikum. Ab 2007 machte sie beim deutschen Auslandssender ein Volontariat, zweisprachig und für den Einsatz in Hörfunk, Fernsehen und Internet. Seitdem ist sie als Freie Mitarbeiterin im Bulgarischen Programm und in der Zentralen Programmredaktion, gelegentlich auch als Videojournalistin (VJ) im Einsatz. Die 30-Jährige spricht auch Englisch und Russisch.

Ich wollte das „wahre“ Deutschland erleben. Eine konkrete Vorstellung davon, was mich hier erwarten würde, hatte ich allerdings nicht. Auf die Begegnung mit den Deutschen wollte ich mich einfach einlassen. So landete ich im September 1999 in Bonn, wo ich innerhalb von zwei Wochen eine schriftliche und eine mündliche Aufnahmeprüfung für die Uni bestehen sollte. Am Abend vor der mündlichen Prüfung wollte ich meine etwas eingerosteten Deutschkenntnisse noch ein wenig auffrischen. „Nichts leichter als das“, sagte ich mir. Schließlich lebte ich in einem Studentenwohnheim. Also beschloss ich, in den Gemeinschaftsraum zu gehen, wo sich bestimmt viele deutsche Studenten auf hielten, mit denen ich früher oder später ins Gespräch kommen würde. Doch ich fand lediglich einen alten Professor aus China, der hier zum Austausch war. Wir kamen sofort ins Gespräch. Auf gebrochenem Deutsch fragte er mich höflich, woher ich

komme. „Bulgarien“, sagte ich. Da leuchtete sein Gesicht auf: „Sie Russisch können?“ „Ja, ein bisschen“, antwortete ich. Und von dem Moment an verlief unsere Konversation auf Russisch. Mein Plan, Deutsch mit den deutschen Studenten zu üben, war dahin. Auch in den nächsten Tagen war es nicht einfach, in der Bundesstadt am Rhein „die Deutschen“ zu finden. Im Bus hörte ich Menschen, die auf Spanisch, Arabisch, Türkisch oder Russisch sprachen. So eine Mischung aus verschiedenen Kulturen kannte ich bis dahin nicht, denn in Bulgarien trifft man kaum Menschen aus anderen Ländern, es sei denn man lebt in einem touristischen Ort.

Das Multikulti-Land Die Deutsch-Prüfungen habe ich dennoch bestanden – und so kam ich an die Uni Bonn. Dort habe ich eine noch viel größere Nationalitätenvielfalt vorgefunden: Bereits in meiner ersten


profil

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Menschen treffen Menschen Bonn – DW-Reporter aus aller Welt auf Expedition in den deutschen Alltag,

Veranstaltung habe ich Menschen aus Albanien, Lettland, Frankreich, Ruanda, Nigeria und Kuba kennengelernt. Das Bonner Straßenbild war ähnlich bunt. Das fiel schon beim Essensangebot auf: Wenn man mittags Hunger hatte, konnte man sich nicht nur Currywurst am Imbiss kaufen, sondern auch Döner beim Türken, Gyros beim Griechen, Pizza beim Italiener, Pleskavica beim Bosnier oder Chop-Suey beim Chinesen. Als ich irgendwann mit einer guten ostfriesischen Freundin darüber plauderte, sagte sie: „Natürlich, Bonn ist eine MultikultiStadt!“ Multikulti? Dieses Wort hatte ich in keinem Deutschunterricht in Bulgarien gehört. Inzwischen erscheint mir ganz Deutschland multikulti. Immerhin leben hier etwa sieben Millionen Ausländer. Wenn man diejenigen mitzählt, deren Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land kommen, dann hat fast jeder fünfte hier lebende Bürger Wurzeln in einem anderen Kulturkreis. Auch „die Deutschen“ gibt es nicht, habe ich mir von meiner ostfriesischen Freundin erklären lassen. „Wir sind ja auch alle unterschiedlich – die Rheinländer, die Ostfriesen, die Franken, die Bayern, die Sachsen...“ Das kann ich mittlerweile aus eigener – was die regionalen Sprachf ärbungen betrifft, leidvoller – Erfahrung bestätigen.

zwischen Kiel und Chiemsee. In der Reihe „Gesichter Deutschlands“ stellen sie Menschen aus der Mitte der Gesellschaft vor. Junge Angolanerin trifft Almbauern, pakistanischer Journalist besucht Bauarbeiter, chinesische Reporterin porträtiert Finanzbeamtin – drei Beispiele einer interkulturellen Begegnung. Mit dem Blick von außen, immer neugierig und manchmal staunend, dokumentieren DW-Reporter, wie die Menschen in Deutschland leben, wie sie arbeiten, wovon sie träumen. Die Auswahl der 40 Protagonisten für das Projekt „Gesichter Deutschlands“ folgt statistischen Kriterien. Denn die Porträts sollen in ihrer Summe einen Querschnitt von der deutschen Gesellschaft vermitteln. In 24 Sprachen werden die Einblicke in deutsche Lebens- und Arbeitswelten in Radio und Internet veröffentlicht, von Arabisch über Chinesisch bis Russisch. Die Menschen erzählen nicht nur viel über ihren Job, sondern auch über ihre Person, ihre Freizeit, ihre Vorlieben. Zum Beispiel die Busfahrerin Marion Thoma: Täglich steuert sie ihren 18 Meter langen, gasbetriebenen Gelenkbus durch die Augsburger Innenstadt, drei Stunden ohne Pause, stets dieselben Strecke. Zum Ausgleich geht sie joggen und macht nie zweimal am selben Ort Urlaub. Oder Binnenschiffer Fritz Stuntz: Seit 54 Jahren ist der 68-Jährige mit seinem Schiff unterwegs, heute mit Radar, Sprechfunk und Computer an Bord. Daheim warten Hund, Goldfische und Karpfen. Oder die Notfallärztin Dagmar Zillig, die auch in ihrer Freizeit mit dem Arztkoffer unterwegs ist, als ehrenamtliche Seenotretterin, gelegentlich auch Tauch-

Der verbindende Stoff Wenn ich heute an Deutschland denke, sehe ich vor meinem inneren Auge ein buntes Puzzle. Jedes Teilchen hat sein eigenes Muster und erzählt eine andere Geschichte. Die vielen verschiedenen Farben stehen für die unterschiedlichen Kulturen, die in Deutschland vertreten sind. Das Bild ist nicht vollständig. Hier und da passen die Puzzle-Stücke noch nicht zueinander. Es braucht eben Zeit, bis man das Bild vollständig zusammengesetzt hat. Doch für mich zeichnet sich bereits ab: Am Ende entsteht ein stimmiges Kunstwerk. In diesem bunten Deutschlandbild habe auch ich schon meinen Platz gefunden. Alle Teile in meiner Umgebung haben verschiedene Farben, denn meine Freunde kommen aus vielen Ländern – oder Bundesländern – und bringen jeweils eine andere kulturelle Erfahrung mit. Der Stoff, der uns verbindet, ist die Toleranz und das Verständnis füreinander. Auch ich habe meinen Beitrag zu Multikulti-Deutschland geleistet: Mein Mann, den ich vor zehn Jahren in Bonn kennengelernt habe, hat französische und iranische Wurzeln. Wir erwarten inzwischen Nachwuchs. Wenn uns Freunde fragen, welche Nationalität das Kind haben wird, antworten wir scherzhaft: „Es kommt natürlich mit einem UN-Blauhelm auf die Welt!“ ——

ärztin – oder Igel-Freundin. Und der Straßenbauarbeiter Jochen Wörz, dessen Werk täglich mit Füßen getreten und überfahren wird. Nach der harten körperlichen Arbeit kümmert er sich daheim als alleinstehender Vater um seinen Sohn Julian… Die Deutsche Welle eröffnet den Hörern und Internetnutzern in aller Welt mit diesem Projekt einen lebensnahen Zugang zu den Menschen in Deutschland – in der ganzen Breite der Gesellschaft. www.dw-world.de/gesichter-deutschlands


20—

studiogespräch

„Medien sind frei – Journalisten nicht“ Bonn – Vor 20 Jahren, im Juni 1990, gab es im damaligen Jugoslawien die ersten freien und demokratischen Wahlen. Das Land befand sich im Umbruch, von der jahrzehntelang herrschenden Einheitspartei hin zum Mehrparteiensystem. Freie Medien entstanden. Im Studiogespräch zieht eine Expertenrunde der DW Zwischenbilanz: Sanja Blagojevic, Leiterin des Serbischen Programms, Benjamin Pargan, Leiter des Bosnischen Programms, und Srecko Matic vom Kroatischen Programm. Moderation: Zoran Arbutina.

01

?

Frau Blagojevic, wenn Sie die heutige Gesellschaft in Serbien vor Augen haben, würden Sie sagen, dass die Hoffnungen von damals wahr geworden sind? Blagojevic: Von einer rosigen Zukunft kann nicht die Rede sein, denn Serbien befindet sich in einer Dauerkrise. Seit 20 Jahren steht es wirtschaftlich schlecht um das Land. Man redet jetzt von einer demokratischen Regierung, aber ob die Regierung demokratisch ist und ob sie allen Aufgaben gewachsen ist, etwa der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, da muss ich meine Zweifel äußern.

?

Herr Matic, Kroatien will in die EU. Ist es heute ein demokratisches Land nach europäischen Maßstäben? Matic: Ja. Es gibt demokratische Wahlen. Es gibt ein Mehrparteiensystem. Aber es geht um die Qualität der Demokratie, auch um die Qualität der Medienfreiheit. Über Probleme im Land machen die Kroaten gern Witze. So sagt man über die Pressefreiheit: Die Medien sind frei, Journalisten aber nicht. Das heißt, man kann in kroatischen Medien frei über alles Mögliche berichten. Die Frage ist allerdings, ob die Journalisten die Themen tatsächlich kritisch auf bereiten. Da sehe ich große Mängel.

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Herr Pargan, Bosnien-Herzegowina hat im Krieg besonders gelitten. Der Zerfall Jugoslawiens hat sich hier besonders schlimm ausgewirkt. Schon früher sagte


studiogespräch

weltzeit 03_2010

— 21

02

man, Bosnien sei Jugoslawien im Kleinen. Kann Bosnien-Herzegowina als demokratisches Land existieren? Pargan: Ich glaube schon. Allerdings kann man auch nicht verschweigen, dass es Schwierigkeiten gibt. Das Land ist nach wie vor ethnisch aufgeteilt, hat wirtschaftliche und politische Probleme. Das betrifft auch den Medienmarkt von Bosnien-Herzegowina. Aber der Staat kann, ja er muss überleben.

?

Die Demokratisierung hat mit den Wünschen der Menschen im Land zu tun, natürlich auch mit Einf luss von außen. Welche Rolle hat Deutschland gespielt? Matic: Praktisch seit ihrer Unabhängigkeit betrachten die Kroaten Deutschland als großen Bruder im Westen. Deutschland war das erste Land, das Kroatien damals anerkannt hat, trotz mancher Bedenken in der Europäischen Union und in der westlichen Welt insgesamt. Gleichwohl gibt es auch von deutscher Seite Kritik, allerdings wird sie hinter den Kulissen geäußert.

?

Und wie halten es die Bosnier mit den Deutschen? Pargan: In Bosnien muss man unterscheiden: Bei den Muslimen und den bosnischen Kroaten hat Deutschland einen sehr guten, sagenhaften Ruf. Bei den bosnischen Serben ist das Bild sicher weniger positiv. Aber alle wissen, dass Deutschland als großes EU-Land wirtschaftlich und politisch für Bosnien-Herzegowina sehr wichtig ist.

01

Gegengewicht zur Boulevar-

disierung: internationale Presse an einem Kiosk in Split, Kroatien

02

TV-Duell: Serbiens Präsident

Boris Tadic (l.) mit Tomislav Nikolic von der Radikalen Partei (SRS) im Januar 2008 in Belgrad

?

Die Mehrheit der Bevölkerung in Kroatien ist – trotz gewisser Skepsis – für einen EU-Beitritt. Wie wirkt sich diese Perspektive auf die Entwicklung des Landes aus? Matic: Nur sehr langsam. Am Anfang war die Akzeptanz in der kroatischen Bevölkerung groß. Auf der anderen Seite muss man feststellen, dass sich vor allem in den Köpfen der Menschen noch einiges entwickeln muss, damit die Idee der EU im täglichen Leben gelebt wird. Gesetze müssen nicht nur vom Parlament beschlossen, sondern im Alltag angewendet werden.

Stationen eines Umbruchs 1990  In allen Teilrepubliken Jugoslawiens werden freie Wahlen durchgeführt. 1991  Am 28. Februar wird in Kroatien die „Serbische Autonome Provinz Krajina“ ausgerufen. Kroatische Familien werden vertrieben und serbische Flüchtlinge aus anderen Landesteilen aufgenommen.

?

Anders das Deutschlandbild in Serbien… Blagojevic: Deutschland wird in Serbien als Feind gesehen. Serben denken sofort an die deutsche Hilfe für Kroatien in den Balkan-Kriegen, auch an den Zweiten Weltkrieg. Da gibt es nichts Gutes und Schönes am Image Deutschlands und der Deutschen.

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Vor etwas mehr als zehn Jahren haben Länder der EU, die in der NATO sind, Serbien militärisch angegriffen. Wie stehen die Serben heute zu Europa? Blagejovic: Die Serben wollen sich auf jeden Fall in Richtung EU bewegen. Laut Umfragen ist die Mehrheit der Menschen für die Union. Nur mögen sie es nicht, wenn Europa Wünsche und Forderungen hat – etwa, dass Serbien das

Im Juni proklamieren Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. Im Juli eskalieren die Kämpfe in Kroatien zum Krieg. 1992  Nach Referendum am 3. März verkündet auch Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit. Die Folge: der Beginn des Bosnien-Kriegs.


22—

studiogespräch

01

01

Gedenken an die Opfer des

Massakers von Srebenica vom Juli 1995: bosnische Muslime am Memorial

02

­ osovo anerkennen und sich mit der eigenen K Vergangenheit auseinandersetzen soll. Das passt nicht zusammen und zeigt ein gespaltenes Verhältnis zur EU.

Auf dem Weg nach Europa: die

kroatische Premierministerin Jadranka Kosor im Februar 2010 in Berlin

Im April schließt sich Serbien mit Montenegro zur Bundesrepublik ­Jugoslawien zusammen. 1994  Es mehren sich Berichte über Massaker und Internierungslager im Bosnien-Krieg. 1995  Am 11. Juli fallen serbische Einheiten von General Ratko Mladic in die Kleinstadt Srebrenica ein und töten etwa 8.000 Bosniaken (Muslime). Im August beendet die Kroatische Armee den Krieg in Kroatien. Am 21. November wird der Friedensvertrag von Dayton geschlossen. Bosnien-Herzegowina wird zu einem fö-

?

Der Umbruch vor 20 Jahren hatte auch eine Liberalisierung der Medien zur Folge. Plötzlich konnte man sagen und schreiben, was zuvor undenkbar war. Wie sieht das heute aus, sind die Medien frei? Blagojevic: Theoretisch ja, praktisch nein. Zurzeit sind die Medien in Serbien unter wirtschaftlicher Kontrolle. Präsident Tadic und seine Demokratische Partei etwa nehmen über Werbeagenturen, die sie finanzieren, Einfluss auf die Berichterstattung. Man sagt zwar nicht offen: Ihr dürft dieses oder jenes nicht berichten. Aber man stellt fest, dass die Nachrichten in serbischen Sendern gleichlautend sind – alle im Sinne der Regierung. Pargan: Bosnien-Herzegowina hat einen sehr komplizierten Medienmarkt. Das ist vor allem dadurch zu erklären, dass er ethnisch aufgeteilt ist. Ich erinnere mich, wie sich ein westlicher Diplomat nach zehn Monaten im Land entsetzt zeigte, mit welcher Überzeugung Medien Hetze betrieben und über andere Volksgruppen herzögen. Da fehlt auch die Qualität. Jetzt, kurz vor

derativen Staat. 1999  Von März bis Juni führt die Nato einen Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, um im Kosovo die Massenvertreibung der Albaner zu verhindern. 2000  Am 5. Oktober wird Präsident Slobodan Milosevic gestürzt. 2001  Am 13. August werden die Kämpfe zwischen Rebellen der albanischen UCK und der mazedonischen Armee durch das Ohrider Rahmen­ abkommen beigelegt.

02

der Wahl, zeigt sich die Medienlandschaft in Bosnien-Herzegowina von der hässlichsten Seite mit Kampagnen und Sachen, die oft unter die Gürtellinie gehen. Ich befürchte, das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht verbessern. Matic: In Kroatien sieht man, dass Selbstzensur noch schlimmer sein kann als Zensur. Journalisten werden zum Teil sehr subtil eingeschüchtert, manchmal auch brutal. Es gibt Kollegen, die ihren Beruf aufgeben mussten. Freie Kollegen, die über kriminelle Strukturen berichtet haben, können mittlerweile kaum mehr einen Text verkaufen. Die Medien wissen inzwischen: Wenn sie etwas von kritischen Kollegen publizieren, haben sie umgehend den Geheimdienst im Haus und werden beobachtet. Und sie wissen, dass sie kaum eine Anzeige ins Blatt bekommen, da das von den Parteien kontrolliert wird.

?

In Ihren Ländern hat sich die Medienlandschaft in Richtung Boulevardisierung entwickelt. Ist das eine Tendenz, zum Beispiel in Kroatien? Matic: Auf jeden Fall. Wenn die kritischen Seiten des politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Lebens in Medien thematisiert werden, kann man als Journalist, auch als Medienhaus, mit Problemen rechnen. Natürlich ist es dann am einfachsten, diese Probleme auszublenden und ins Seichte überzugehen. Es gibt große Probleme in Kroatien, etwa was die Verhandlungen mit der EU oder ganz aktuell den Streit mit Slowenien angeht. Aber in diesen Tagen, in denen ein solch wichtiges Thema für Kroatien entschieden wird, ist auf einem der drei größten Portale dort die meistgelesene Nachricht, dass ein Fotomodel in einer Fußgängerzone von Zagreb mit ihrem Handy gespielt hat.

?

Welche Rolle spielen die Medien, wenn es um Vergangenheitsbewältigung geht?


studiogespräch

weltzeit 03_2010

Blagojevic: Die Medien in Serbien sprechen nur dann über die Vergangenheit, wenn sie müssen. Das galt zum Beispiel für die Deklaration über Srebenica, die das Serbische Parlament vor kurzem verabschiedet hat. Die Medien haben darüber berichtet, aber es gab keine großen Dokumentarfilme oder Hintergrundbeiträge, wo man noch einmal gezeigt hätte, was in Srebenica passiert ist. Nein, bei der Vergangenheitsbewältigung spielen die serbischen Medien keine große Rolle.

?

Welche Aufgabe hat die Deutsche Welle in dieser Medienlandschaft? Pargan: Wir können mit der nötigen Distanz berichten, wir können mit einer neutralen Sprache und mit einer qualitativ guten, ausgewogenen Berichterstattung auf dem Markt eine Nische finden. Die Medien und Redakteure im ehemaligen Jugoslawien arbeiten sehr egozentrisch und denken, was in Serbien, Kroatien oder in Bosnien-Herzegowina passiert, sei am wichtigsten für ganz Europa. Sie sind immer wieder

aufs Neue überrascht, wenn sie nach den deutschen Reaktionen auf serbische, kroatische oder bosnische Ereignisse fragen und wir sagen: Es gibt keine. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, die deutsche und die europäische Perspektive einzubringen, die sich oft wesentlich von dem unterscheidet, was in der Region selbst berichtet wird.

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2003  Der serbische Premierminis­ ter Zoran Djindjic wird erschossen. 2004  Am 1. Mai wird Slowenien EUMitglied. 2006  Am 3. Juni erklärt Montenegro nach Referendum seine Unab-

?

Kann die DW überhaupt eine Rolle spielen in einer Medienlandschaft, die durch Selbstzensur und Boulevardisierung bestimmt wird? Matic: Auf jeden Fall. Auf dem Medienmarkt ist das Wichtigste, dass eine Marke als einzigartig angesehen wird. Die Deutsche Welle wird bei vielen Menschen in unserer Senderegion als unabhängige, kritische Stimme angesehen. Die DW muss weiterhin das Relevante vom Irrelevanten trennen und die Dinge kritisch hinterfragen, also alles das tun, was das Gros der kroatischen, serbischen und bosnischen Medien nicht leistet. ——

hängigkeit. 2008  Am 17. Februar erklärt Kosovo die Unabhängigkeit. Am 21. Juli wird Radovan Karadzic festgenommen und nach Den Haag ausgeliefert. 2009  Seit Ende des Jahres dürfen Bürger Mazedoniens, Serbiens und Montenegros ohne Visum in die EU einreisen. 2010  Kroatien will Beitrittsverhandlungen mit der EU abschließen.

Das Studiogespräch in voller Länge zum Anhören und Herunterladen finden Sie unter: www.dw-world.de/presse

Srecko Matic

Sanja Blagojevic

Benjamin Pargan

Zoran Arbutina

ist Redakteur in der Kroatischen Ab-

Jahrgang 1968, ist seit 2007 Leite-

leitet die Bosnische und die Kroa-

Jahrgang 1961, arbeitet für die Bosni-

teilung. Der studierte Betriebswirt

rin der Serbischen Redaktion. Sie

tische Redaktion und ist Chef vom

sche und Kroatische Redaktion sowie

und Politologe stammt aus Bosnien-

stammt aus Belgrad. Bis 2001 arbei-

Dienst der Mittel- und Südosteuropa-

für die Zentrale Programmredakti-

Herzegowina. Nach dem Abschluss

tete sie für das serbische Fernsehen

Programme. Pargan (36) stammt aus

on. Er studierte Philosophie und Li-

an der Universität Zagreb, Kroatien,

und als Korrespondentin, unter ande-

Bosnien-Herzegowina und studierte

teraturwissenschaft in Zagreb, Kroa-

hospitierte er bei einigen deutschen

rem für die DW. In Deutschland mo-

Journalismus. Ab 1998 absolvierte er

tien, wo er auch seine journalistische

Medien, unter anderem bei der FAZ

derierte sie ab 2002 die serbische

ein Volontariat bei der DW, moderier-

Tätigkeit als Print- und Radiojourna-

und beim ZDF, bevor er zur Deutschen

Ausgabe des DW-TV-Magazins Europa

te 2000 die bosnischsprachige Aus-

list begann. Nach Deutschland kam

Welle kam. Derzeit ist Matic (33) an

Aktuell. 2004 bis 2006 war sie Kor-

gabe des Fernsehmagazins Europa

er 1990, arbeitete für den Hessischen

der Gestaltung eines multimedialen

respondentin für den TV-Sender B92

aktuell. Nach einer Station im DW-

Rundfunk und ab 1995 für die DW.

Projekts zum Thema „Der Zerfall

in Belgrad, anschließend Chefin vom

Hauptstadtstudio in Berlin kehrte er

Jugoslawiens“ beteiligt.

Dienst beim dortigen TV-Sender FOX.

2005 nach Bonn zurück.


24—

spot

Von Berlin nach Wladiwostok Berlin – DW-TV ist Partner der ARD-Koproduktion „Immer ostwärts“. Die Reportagereihe führt ein Kamerateam von Berlin nach Wladiwostok. Beteiligt sind der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), der die Federführung hat, und der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Erinnert werden soll an den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. Die Reportagen, die im Frühjahr 2011 ausgestrahlt werden, zeigen den Alltag von Menschen zwischen Tradition und Moderne. Die erste Etappe führt von Berlin über Warschau, Kiew und Kursk nach Saratow. Das Team berichtet über die Dreharbeiten immer freitags im Inforadio des rbb. www.rbbonline.de/immerostwaerts

Störung der DW-Programme für Äthiopien Addis Abeba – Zu den Parlamentswahlen in Äthiopien am Pfingstsonntag, 23. Mai, wurden die Kurzwellenfrequenzen des Amharischen Programms der DW mehrfach gestört. Ein „eklatanter Verstoß gegen geltendes internationales Recht und das Grundrecht auf Informationsfreiheit“, der nicht hinnehmbar sei, so Intendant Erik Bettermann. „Wenn die Auslandsmedien nicht mehr zu hören sind, bleiben Äthiopiern nur die zensierten Inlandsmedien“, protestierte er. In den vergangenen Monaten hatte es wiederholt Störungen gegen Sendungen der DW und der Voice of America gegeben, was die Regierung in Addis Abeba unlängst auch offiziell eingestanden hat.

Dem freien Fluss unzensierter Information verpflichtet

ZENSIERT

Den Haag – Die führenden westlichen Auslandssender sind fest entschlossen, „dem freien Fluss unzensierter Information auch künftig weltweit Geltung zu verschaffen“. Das sagte Jan Hoek, Chef von Radio Nederland Wereldomroep, zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai. In einer gemeinsamen Erklärung mit Deutsche Welle, BBC, Radio France Internationale und Voice of America heißt es weiter: „Jeder Fall vorsätzlicher Behinderung, jedes Sperren von Webseiten und jede Drohung und Gewalt gegen Journalisten macht uns nur umso entschlossener, diese Hürden zu überwinden und die Menschen dennoch zu erreichen.“ Dazu hätten die Sender „eine besondere Verpflichtung“, sagte der Holländer.

Drei Milliarden Konsumenten fest im Blick Singapur – Sie hatten die Kauf kraft von drei Milliarden potenziellen Konsumenten deutscher Exportgüter fest im Blick: die rund 700 Teilnehmer der 12. Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft Mitte Mai in Singapur. Unter den Gästen der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle – hier im Interview mit Manuela Kasper-Claridge, Leiterin der Wirtschaftsredaktion von DW-TV. Sie interviewte für das Auslandsfernsehen auch Singapurs Premier Lee Hsien Loong. Anschließend moderierte Kasper-Claridge zusammen mit Lee den Gala-Abend der Konferenz.

Erfolg deutscher Popmusik dokumentiert Berlin – In der Sendung „Deutsche Beats“ präsentiert DW-TV in 14 Folgen die international erfolgreichsten Popmusiker aus Deutschland. Gemeinsam mit Musikwissenschaftler Volkmar Kramarz von der Universität Bonn und prominenten Gästen stellt Moderator Max Hofmann wöchentlich die Hits und Interpreten vor. Grundlage ist eine Auswertung der internationalen Hitparaden seit 1970. Die Redaktion hat die Chart-Erfolge von mehr als 1.200 in Deutschland produzierten Singles und Alben untersucht. Unterstützt wird das Projekt von der „Initiative Musik“, seit 2009 Partner der Deutschen Welle. Die einzelnen Folgen sind auch im Netz zu sehen. www.dw-world.de/deutschebeats


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Spagat zwischen Macht und Kommerz

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Bonn – Russland stand im Blickpunkt des ersten Mediendialogs der Deutschen Welle am 21. April in Bonn. Thema: Medien zwischen Staatslenkung und Kommerzialisierung. Olga Sosnytska war dabei. Was hört man hierzulande über die russische Medienlandschaft? In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt das Land Platz 153. Journalistenmorde bleiben häufig unaufgeklärt, Machthaber bestellen Medieninhalte. Der Moskauer Focus-Korrespondent Boris Reitschuster berichtete sehr anschaulich. Systematisches Abhören, Einmischung seitens der Polizei, direkte und indirekte Drohungen – all das sei Journalisten-Alltag in Russland. Dennoch: Das Land und auch die Bedingungen für Journalisten hätten sich in den vergangenen 20 Jahren tiefgreifend verändert und zum Positiven entwickelt. Darauf wies der frühere WDR-Intendant Fritz Pleitgen hin, der in den Siebzigerjahren als ARD-Korrespondent in Moskau tätig war. Pleitgen, heute Vorsitzender der Geschäftsführung RUHR.2010, betonte, zu Zeiten der Sowjetunion sei es undenkbar gewesen, sich als Auslandskorrespondent ohne Begleitung durch das Land zu bewegen. Und heute? „Die gef ährdete Pressefreiheit Russlands muss international zur Sprache gebracht werden, insbesondere weil Russland als Partner auf Augenhöhe anerkannt werden will. Andererseits sollten wir uns hüten, vom hohen Ross Urteile zu f ällen“, so Pleitgen. Im Laufe der Diskussionsrunde zum Thema „Medienarbeit: Freiheit in Abhängigkeit? “ wurde klar, dass es die Meinungsfreiheit in

Russland nicht gibt, diese vielmehr jeweils stark vom Medium abhängt. Während das Fernsehen – das populärste Medium – praktisch vollständig der Staatskontrolle unterliegt, darf im Internet offenbar alles gesagt und geschrieben werden. Galina Timtschenko, Chefredakteurin des russischen Nachrichtenportals Lenta.ru, sieht dafür zwei Gründe: Erstens sei das Internet lange Zeit vom Staat nicht beachtet worden, zweitens sei der Kreml jetzt gegenüber der Entwicklung des Internets im Zuge der angekündigten Modernisierung aufgeschlossen. Die Probleme der russischen Netz-Medien seien anderer Natur: die Abhängigkeit von Werbeeinnahmen und das Desinteresse junger Menschen, der aktivsten User, an seriösen Themen. Wollen die Russen tatsächlich von einer starken Hand geführt werden, wie es klischeehaft heißt? Auch diese Diskussion blieb auf dem Mediendialog der DW nicht aus. Das gehöre keineswegs zwingend zur russischen Kultur und Mentalität, meinte Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen DW-Redaktion. Vielmehr sei dies „eine Frage der historischen Entwicklung“, die in jüngster Zeit wieder ungünstiger verlaufe. „Aber da muss man eher in Jahrzehnten als in Jahren denken“, so Mannteufel. ——

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„Junge Menschen interessie-

ren sich nicht für seriöse Themen“: Galina Timtschenko, Lenta.ru

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„Nicht vom hohen Ross

urteilen“: Fritz Pleitgen

Der Mediendialog ist eine neue Reihe der Deutschen Welle in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Partner sind zudem die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und die Universität Bonn, die gemeinsam mit der DW seit Herbst 2009 den Masterstudiengang „International Media Studies“ anbieten. Die ersten 22 Studenten aus 13 Ländern besuchen seither die Kurse in der Akademie der Deutschen Welle.


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ansichten

„Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel“ DW auf der Expo DW-TV ist auf der Expo 2010 in Shanghai zu empfangen. Das deut-

Im Gefolge von Bundespräsident Horst Köhler hat sie soeben die Expo in Shanghai besucht. Adrienne Woltersdorf, Leiterin der China-Redaktion der DW, äußert sich zum Deutschlandbild in der VR China, zu Internet-Blockaden und Zensur – und den eher trüben Aussichten auf Besserung. Berthold Stevens sprach mit ihr.

sche Auslandsfernsehen wird über ein Kabelnetz verbreitet, das für die Weltausstellung eingerichtet wurde. Das Programm ist im deutschen Pavillon und in ausgewählten Hotels zu sehen. Ebenso das Internetangebot der DW.

DW auf Chinesisch DW-Chinesisch verzeichnet jeden Monat mehrere Millionen Seitenaufrufe im Netz – trotz umfangreicher Sperrmaßnahmen durch die chinesischen Behörden. Rund 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten für die Deutsche Welle auf Chinesisch. Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag gehören Informationen über Deutschland und Europa ebenso zur Berichterstattung wie

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Auf der Weltausstellung stehen die Menschen stundenlang Schlange, um in den deutschen Pavillon zu kommen. Wollen sie neue Umwelttechnologien bestaunen oder vor allem Sauerkraut essen? Na ja, zu Warteschlangen kommt es in China schnell, aber Sie haben Recht. Deutschland, vor allem das, was wir Deutschen zu bieten haben, wird von Chinesen noch immer besonders geschätzt. Dabei assoziiert man uns vor allem mit cleverer Technologie und solidem Fachwissen. Und sogar gerne mit Sauerkraut! In Chinas Großstädten sind Eisbein und Kassler bekannte Delikatessen. Zum Beispiel in Peking und Shanghai gibt es deutsche Restaurants und Brauhäuser, die immer sehr gut besucht sind. Deutschland und seine – durchaus nicht preisgünstigen – Produkte, wie Luxusautos und Infrastruktur-Equipment, erleben in China gerade einen Boom.

über das Geschehen in China.

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Sauerkraut und Warte-

schlagen: der deutsche Pavillon auf der Expo in Shanghai

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Zur Außendarstellung unseres Landes in China trägt auch die DW bei. Allerdings lässt Peking Stimmen von außen nur ungern zu – Blockaden und Zensur bestimmen das Bild. Erreichen Sie die Menschen in China überhaupt? Nicht so, dass die chinesischen Nutzer einfach online gehen und uns googeln. Beides ist aufgrund hochentwickelter Zensurmaßnahmen seit einiger Zeit unmöglich. Kritische Inhalte 02

aus dem Ausland sind von der kommunistischen Führung nicht erwünscht. Niemand hätte es noch vor einem Jahr für möglich gehalten, dass es den chinesischen Zensoren gelingen würde, hunderttausende Homepages, Blogs, SMS und Mails zu blockieren. Obwohl Pekings Autokraten sich gelegentlich auch die kostspielige Störung der Kurzwellenfrequenzen leisten, ist ausgerechnet die gute alte Kurzwelle noch immer ein Weg, unsere Berichterstattung ins abgeriegelte Land zu senden. Unsere Angebote im Internet müssen sich Interessierte in China auf Umwegen holen. Für die Strategie der Deutschen Welle heißt das: Wir setzen auf alle verfügbaren Übertragungswege, damit wir potenziell erreichbar sind. Deshalb bleibt auch eine TV-Lizenz für China ein Ziel, das bisher leider von den chinesischen Behörden verwehrt wird.

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Kann man einer Milliarde Menschen den freien Zugang zu Informationen wirkungsvoll und nachhaltig verwehren? Wirkungsvoll schon. Ob das auch nachhaltig so sein wird, vermag niemand zu sagen. Gegenwärtig finden selbst Optimisten keinen Grund zur Annahme, die digitale Mauer werde bald eingerissen. Fakt ist: Medien wie die Deutsche Welle und andere vom Regime unerwünschte Quellen werden erfolgreich blockiert. Wer jung und hoch motiviert ist, diesen Schutzwall zu


ansichten

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Sieht nur minimale Chancen für

eine baldige Öffnung Chinas: Adrienne Woltersdorf

­ nterlaufen, der kann es mit Hilfe von Proxys, u also über Umgehungssoftware, schaffen. Das Internet gewinnt in China rasant an Attraktivität, eben weil dort trotz strenger Patrouille Informationen und Debatten zu finden sind, die die staatlichen Medien ausblenden müssen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel.

»Eine Twitter-Revolution werden die chinesischen Aufpasser verhindern.«

Beispiel. Ein Ventil auch für eine größere Informationsfreiheit in China? Das Internet wird von den rund 384 Millionen Chinesen, die schon online sind, auf vielf ältige Weise genutzt. Sie suchen täglich nach neuen Wegen, sich auszutauschen und sich gegen Staatswillkür zu wehren. Wir beobachten leider, dass sich Regime wie Peking oder Teheran gegenseitig mit Zensur-Know-how unterstützen. Zensur ist längst ein florierendes chinesisches Exportgut geworden. Eine Twitter-Revolution wie in Iran werden die chinesischen Aufpasser zu verhindern wissen. Aber wenn es ein Medium gibt, das hilft, dass sich Opposition überhaupt artikuliert, dann ist es das Internet.

Zur Person Adrienne Woltersdorf ist seit Dezember 2009 Leiterin der ChinaRedaktion der Deutschen Welle in Bonn. Sie verantwortet die chinesischsprachigen Angebote des deutschen Auslandssenders im Internet und im Radio. Woltersdorf, Jahrgang 1966, studierte Sinologie, Politik und Geschichte. Nach mehreren Jahren Aufenthalt in China war sie als Berlin-Reporterin des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ und Hauptstadtkorrespondentin der „Frankfurter Rundschau“

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Was macht gerade die Informationsangebote der DW und anderer Auslandssender bis heute zu einem so harten Stachel für die Pekinger Führung? Wir sind in der Lage, obwohl wir außerhalb der großen Internet-Mauer agieren, die Informations­ lücke zu füllen, die die KP zwischen der oft bitteren Realität und ihrer Medienmanipulation klaffen lässt. Unser Publikum schätzt zudem die Horizonterweiterung, die wir schaffen, indem wir deutsche, europäische und globale Perspektiven anbieten. Das ist in den Augen der Machthaber deshalb so gefährlich, weil wir zeigen, dass Meinungsvielfalt in unseren Gesellschaften etwas Produktives ist. Und jeder Bürger selbstverständlich das Recht hat, an denen zu zweifeln, die ihn regieren.

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Neue Medien verschaffen den Menschen in autoritären Staaten neue Möglichkeiten – die Protestbewegung in Iran ist ein

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Zu den Olympischen Spielen gab es die Hoffnung, dass sich Peking der Welt weiter öffnet. Ein Trugschluss. Gibt es eine Chance, dass diese Öffnung bald kommt? Nein. Denn wir im Westen dürfen eines nicht unterschätzen: Das Regime in Peking ist in den Augen sehr vieler Chinesen erfolgreich. Seit einer Generation gibt es nur zweistellige Wachstumsraten. Die Partei hat es in den Augen der meisten Chinesen geschafft, das Land in Rekordgeschwindigkeit wieder in Großmacht-Form zu trimmen. Eine ihm gebührende Größe, die es im allgemeinen Verständnis der Bevölkerung über zweitausend Jahre lang innehatte – bis es durch den technologisch überlegenen Westen kolonialisiert wurde. Selbst viele Kritiker wünschen sich ein starkes China. Sie fordern daher nur Reformen statt Revolution. So lange das Versprechen des Aufschwungs Chinas Massen überzeugt, kann sich die Partei ihren eisernen Griff wohl erlauben. ——

tätig. 2001 übernahm sie die Ressortleitung des Berlin-Teils der „tageszeitung“, für die sie 2005 bis 2009 als Korrespondentin aus Washington berichtete.


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vor ort

Letzte Ausfahrt: Sun City

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Sun City – Die Lebenserwartung der Menschen in vielen Teilen der Erde steigt. Hierzulande kommt eine geringe Geburtenrate hinzu: 2050 werden in Deutschland 40 Prozent der Bevölkerung über 60 sein, so die Prognose. In den USA beschließen immer mehr ältere Menschen, ihren Lebensabend in einer sogenannten Rentnerstadt zu verbringen. Ein Modell? Vom Alltag in Sun City berichtet unser Washington-Korrespondent Miodrag Soric.

Producer Lars Scholtyssyk und ich haben uns für 4.30 Uhr in der Lobby eines Hotels in Phoenix verabredet. Wir wollen den Film mit einem Sonnenaufgang in der Wüste von Arizona im Südwesten der USA beginnen. Das Ende der Reportage – richtig geraten! – sollte eine atemberaubende Aufnahme vom Sonnenuntergang werden. Müde und ohne einen Schluck Kaffee im Bauch fahren Lars und ich los – immer geradeaus. Irgendwo muss die Stadt ja auf hören und die Wüste beginnen. Glauben wir. Doch so eine Millionenstadt kann ganz schön lang sein, wenn es zu Dämmern beginnt. Um es kurz zu machen: Die Sonne war schneller als wir. Vergeblich waren wir so früh aus dem Bett gestiegen. Enttäuscht und hungrig machen wir uns auf den Weg nach Sun City. Der Name ist Programm: In dem Ort mit 44.000 Einwohnern scheint das ganze Jahr hindurch die Sonne, die Menschen tragen kurze Hosen und T-Shirts. Sun City liegt am Rande von Phoenix, verborgen hinter meterhohen Mauern. Schon am frühen Morgen gleiten die Menschen in Elektro-Golfwagen lautlos durch die gepflegten Straßen, vorbei an schlanken Palmen und bauchigen Kakteen. Sie sind auf dem Weg zum nächsten Golf- oder Tennisplatz. Oder sie fah­ ren ins Schwimmbad, ins Fitnessstudio oder zu einem der vielen Hobbywerkstätten für Holzoder Metallarbeiten. Die Rentner wollen körperlich und geistig fit bleiben. Gleichzeitig genießen sie das Leben in einer „seniorengerechten“ Umgebung: Die Häuser –

Durchschnittspreis etwa 150.000 Dollar – haben nur eine Wohnebene, die Bäder sind versehen mit vielen Griffen, sodass man sich beim Einstieg in die Wanne festhalten kann. Vor der Haustür verlaufen Bürgersteige, die alle flach sind. Gehwagen stoßen auf keinerlei Hindernisse. In Sun City zahlen die Einwohner deutlich weniger Steuern als in anderen Städten: Es muss kein Geld ausgegeben werden für Schulen oder Kinderspielplätze. Menschen, die jünger als 55 Jahre sind, dürfen hier nicht leben. Das Durchschnittsalter der Einwohner beträgt 74 Jahre. In Sun City wird nur gestorben, nicht geboren. Dennoch wächst und gedeiht die erste Rentnerstadt der USA seit nunmehr 50 Jahren.

Barrierefreies Paradies Wir sind verabredet mit Lori und Bill, einem Ehepaar, das schon viele Jahre in Sun City lebt. Beide frühstücken im Garten unter dem Sonnenschirm, eingerahmt von zwei riesigen, streng riechenden Hunden, die sie die „Girls“ nennen. Früher arbeitete Lori für die Post, Bill leitete eine lokale Gewerkschaft. Beide stammen aus Minnesota, einem der nördlicheren US-Bundesstaaten, wo die Winter lang und kalt sind. Jetzt genießen sie den nicht enden wollenden Sommer in ihrem neuen und – wie sie sagen – letzten Domizil: „Wir wissen, dass wir hier sterben werden“, erklärt Bill. „Doch so lange wir hier sind, haben wir Spaß.“ Wir begleiten beide zuerst in den Tennisclub, dann zum Boccia-Turnier. Bill zeigt uns das örtliche Krankenhaus, das zu den


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Im Elektro-Golfwagen

lautlos durch gepflegte Straßen: Sun-City-Bewohner auf dem Weg zum

besten des Landes gehört. „Die haben hier bei den Herzoperationen viel Übung“, sagt er uns in die Kamera. Und grinst.

nächsten Golf-, Boule- oder Tennisplatz, ins Schwimmbad oder Fitness-

Freiwillige Sheriffs

studio

Am Empfang im Krankenhaus sitzen zwei rüstige Damen, die in den 60ern sind. Jede Woche verbringen sie hier freiwillig einen Teil ihrer Zeit, helfen aus. Ehrenamtliches Engagement spielt in der Seniorenstadt eine große Rolle. So werden auch die Verwaltungskosten niedrig gehalten: Nicht Angestellte, die bezahlt werden müssen, erledigen den Papierkram. Freiwillige machen das quasi als Hobby. Gleichzeitig erfüllt sich so mancher einen Wunsch aus Kindheitstagen. Zum Beispiel Larry Syrell aus New York. Einst arbeitete er als Mechaniker. Seitdem er in Sun City Streife f ährt, trägt er mehrmals im Monat freiwillig eine schmucke Sheriff-Uniform. Wir begleiten

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In Sun City wird nur gestorben,

nicht geboren. „Doch so lange wir hier sind, haben wir Spaß“: Bill und Lori

ihn mit der Kamera im Polizeiwagen, wo er uns Auskunft gibt über die Sicherheitslage in der Rentnerstadt. Als ob wir es bestellt hätten, erreicht ihn ein Notruf. Der Einsatz führt uns in eine Garage, wo ein verwirrtes Ehepaar sich im Auto eingeschlossen hat und per Handy um Hilfe bittet. Als wir ankommen, ist die Feuerwehr schon da. Gemeinsam befreien sie die Eingeschlossenen. Die Idee, einen Ort nur für ältere Menschen zu errichten, stammt von Del Webb, einem erfolgreichen Unternehmer in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Inzwischen gibt es allein in den USA Dutzende Rentnerstädte. Wir fragen uns, ob wir eines Tages auch in einer Seniorenstadt unseren Lebensabend verbringen möchten. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ein Leben ohne junge Menschen um mich herum kann ich mir nicht vorstellen. Producer Lars auch nicht. Übrigens haben wir im zweiten Versuch einen wunderbaren Sonnenaufgang in der Wüste aufgenommen. Und auch der Sonnenuntergang, der für das Ende des Lebens steht, kann sich sehen lassen. ——

Global 3000 zum Schwerpunkt „Demographische Entwicklung“ wird am 26. Juli 2010 ausgestrahlt. Darin der Beitrag aus der Rentnerstadt Sun City sowie Reportagen über ein Mehrgenerationenhaus in Deutschland und die Bevölkerungsentwicklung in Indien. www.dw-world.de/global3000


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zoom

Ein schönes Zufallsprodukt Berlin – Meggin Leigh studierte an der Ohio State University. Ihr Herz schlug zunächst eher für die französische Sprache, weniger für den Journalismus. Wie sie dann doch ihren Weg zur Deutschen Welle fand, erfuhr Richard Fuchs im Gespräch mit der Moderatorin. Als Meggin Leigh in die Welt auf brechen wollte, war ihre Familie nicht gerade begeistert. Ein Auslandsjahr in Frankreich, das war der Traum der Studentin von der Ohio State University in den USA. Weil ihre Eltern das aber zunächst für einen teuren Urlaubswunsch hielten, fiel ein folgenschwerer Satz: „Nach dem Studium suche ich mir einen Job im Ausland“, verkündete die Englisch-, Französisch- und Journalismus-Studentin stolz. Und sie blieb diesem Satz treu. 1994 machte sie sich mit dem amerikanischen Auslandsfreiwilligendienst „Peace Corps“ auf, die Welt zu entdecken. Die Journalismus-Karriere musste noch warten. Das bescherte ihr drei glückliche, aber auch anstrengende Jahre als Entwicklungshelferin im westafrikanischen Mali. Dort arbeitete sie in einer Krankenstation und gewöhnte sich schnell an das ländliche Leben, das sich meist unter freiem Himmel abspielte. Und dabei konnte sie sich noch einen Wunsch erfüllen: Jeden Tag sprach sie Französisch – wenn auch nicht im Mutterland der Sprache. Mit 25 galt es, entweder wieder in den USA beruflich Fuß zu fassen oder weiterzureisen. Wankelmütig räsonierte sie, ob jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen sei, es mit dem Journalismus zu probieren. „Ein wenig hatte ich Angst vor der Hektik und dem Stress des Berufsalltags.“

Von Cleveland über Bamako nach Essen Die kurz zuvor nach Deutschland ausgewanderten Eltern schlugen der grübelnden Meggin vor, es beruflich in Europa zu versuchen. Und tatsächlich: Schon wenige Wochen später fand sie sich in der Ruhrgebietsmetropole Essen wieder, lehrte Englisch und lernte Deutsch. „Das einzige Problem mit den Deutschen war, dass alle mit mir Englisch trainieren wollten.“ Dennoch lernte sie schnell Deutsch, unter anderem, weil Meggin von der „offenen, freundlichen Art der Menschen“ angetan war, wie sie sagt. Eher zuf ällig denn geplant kam sie in Kontakt mit Verantwortlichen des englischen Radioprogramms der Deutschen Welle, wobei sie heute weiß: „Ich traf die richtigen Leute zur richtigen Zeit – wie so oft in meinem Leben.“ Als freie Journalistin arbeitete sie ab 2000 als Moderatorin in der Redaktion der Sendung Newslink. An ihre ersten Schritte als Reporterin erinnert sie sich noch gut. „In einer Theatervorstellung war ich so nervös, dass unter lautem Krachen mein Aufnahmegerät auf den Boden fiel und in alle Einzelteile zersprang.“ Fünf Jahre später konnte sie als erfahrene Radio-Journalistin

darüber schon schmunzeln. Das Unbeholfenensein war längst professioneller Abgeklärtheit gewichen. Hatte sie zuvor noch den ein oder anderen Zweifel an ihrem Beruf, waren die jetzt verflogen. Am Ende einer langen Kette von Zuf ällen hatte sie ihren Traumberuf entdeckt – in einem Land, das sie vor allem für seine kulturelle Vielfalt schätzt.

Mit der Kultur im Bunde 2005 wechselte Meggin Leigh das Medium und die Stadt. Seitdem arbeitet sie als Moderatorin für das englischsprachige Journal bei DW-TV und produziert das Wirtschaftsmagazin Made in Germany und weitere Magazine. Sie ist auch gelegentlich Gastgeberin der Wissenschaftssendung Tomorrow Today. „Als Moderatorin hast du einen enormen Druck, in jeder Hinsicht perfekt zu sein: Die Inhalte sollen stimmen, die Aussprache richtig sein und dann muss auch noch das Aussehen passen“, sagt sie – inzwischen ohne Nervosität oder Panik. „Und obwohl das ganz schön viel Druck ist, ist es für mich der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann.“ Vielleicht auch, weil sie in Berlin durch viele Sportmöglichkeiten und „das beste Kulturangebot der Welt“ den Ausgleich findet, den sie braucht. Auch wenn der Auftrag der DW der Amerikanerin nicht in die Wiege gelegt wurde, kann sie sich damit voll identifizieren. Sie genießt die oft gegen den Strich gebürstete Themensetzung der Nachrichtensendung. So könne es passieren, dass CNN und BBC an einem Tag mit der Auto-Misere der großen Weltkonzerne in Detroit aufmachten, das Journal von DW-TV dagegen mit der Regierungskrise in Thailand beginne. Diese eigenständige, manchmal auch eigensinnige Schwerpunktsetzung mache die Deutsche Welle wertvoll und an vielen Plätzen der Welt unverzichtbar. Wenn Meggin heute in Berlin unterwegs ist, fühlt sie sich zu Hause. Auch wenn ihre innere Stimme und der ein oder andere Verwandte sie ab und zu wieder in die USA zurückrufen wollen: Deutschland ist ein Teil ihrer Identität geworden – was nur zum Teil dem Zufall geschuldet ist. —— www.dw-world.de/journal


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»Als Moderatorin hast du einen enormen Druck, in jeder Hinsicht perfekt zu sein.«

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B e e t h o v e n f e s t B o n n 1 0 . 9. – 9. 1 0 . 2 0 1 0 I n s o f f e n e

Martin Grubinger Paavo Järvi Sächsische Staatskapelle Dresden Hélène Grimaud Sol Gabetta Orchestre National de France Peter Ruzicka Daniel Hope Kent Nagano u. a.

t I c k e t s 0180 - 500 18 12 ( 0,14 e / Min., max. 0,42 e / Min. aus Mobilfunknetzen )

I n f o s 0228 - 20 10 345 w w w. B e e t h o v e n f e s t. d e


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