LitCam Conference »Literacy and Human Rights« Montag, 4. Oktober 2010 und Dienstag, 5. Oktober 2010 Steigenberger Frankfurter Hof, Frankfurt
Die 5. Internationale LitCam Konferenz findet 2010 unter dem Thema »Literacy and Human Rights« statt. Sie bietet Experten, Institutionen und Organisationen rund um das Thema Grundbildung und Menschenrechte die Möglichkeit, sich über neue Entwicklungen und Projekte zu informieren, Erfahrungen auszutauschen und die Vernetzung zu fördern. Mit Vorträgen, Workshops und einer begleitenden Ausstellung präsentieren sich Organisationen aus dem Senegal, Argentinien, Tibet, Palästina, Israel u. a. Konferenzsprache ist englisch. Hauptredner: ❙ Vernor Muñoz Villalobos UN Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung ❙ Prof. Alberto Estanislao Sileoni Argentinischer Bildungsminister ❙ Dr. Vaira Vike-Freiberga frühere Präsidentin der Republik Lettland und Botschafterin des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung Information and Registrierung: edu@book-fair.com Mehr Informationen: www.litcam.org www.litcam.de
Unterstützen Sie die Projekte der LitCam! LitCam ist eine gemeinnützige Gesellschaft. Spendenkonto: Commerzbank AG | Kto-Nr. 95963701 | BLZ 500 800 00 | Swift Code DRES DE FF | IBAN DE 10 5008 0000 0095 9637 00
vorspann
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Editorial Liebe Leserinnen und Leser, warum interessieren sich Menschen in Kamerun für Deutschland? Für ein Land, 4.800 Kilometer entfernt? David Simo, Germanist an der Universität der Hauptstadt Jaunde, weiß um das Interesse seiner Landsleute an der deutschen Sprache, und zwar in ihrer Funktion als Brücke zur Musik, Literatur, Philosophie und Wissenschaft – natürlich auch zum deutschen Fußball, wie er ergänzt. Deutschland wird seit langem als bedeutende Kulturnation wahrgenommen. Wobei der Kulturbegriff heute weit mehr umfasst als die Klassiker aus Literatur und Musik, mehr als Goethe und Schiller, Beethoven und Bach. Auch deutsche Bands wie Rosenstolz und Tokio Hotel, Filme wie „Das Leben der Anderen“ und „Good bye Lenin!“ sind international gefragt. Das deutsche Kinderbuch ist eine Marke auf dem internationalen Buchmarkt, die Erfolgsgeschichte von Cornelia Funkes „Tintenherz“ ist ein Beispiel. Die Berichterstattung über das, was Menschen kulturell bewegen und was sie kulturell bewegt,
ist Teil unseres Programmauftrags. Die Deutsche Welle ist als mediale Stimme unseres Landes mit ihrer vielsprachigen Reichweite eine tragende Säule der Kulturvermittlung und des interkulturellen Dialogs. Kultur in all ihren Facetten, Alltagskultur eingeschlossen, macht uns in der Welt nahbar, macht unsere Identität erlebbar. Welche Spuren Kultur „made in Germany“ hinterlässt, zeigen DW-Experten in dieser Ausgabe der weltzeit am Beispiel ausgewählter Länder. Und wir geben Einblick in das, was die Deutsche Welle tut, damit diese Spuren immer wieder aufgefrischt und noch tiefer werden. Hinweisen möchte ich Sie außerdem auf den Nachbericht zum Deutsche Welle Global Media Forum im Juni in Bonn. 1.500 Experten aus Medien, Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft haben über die Rolle der Medien beim Thema Klimawandel diskutiert. Ich wünsche Ihnen die Muße für eine angenehme Lektüre. Ihr Erik Bettermann
In dieser Ausgabe 04-05
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06-15
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25-27 partner
» Kulturpaket: Das kommt an » Im Gespräch: Ramón GarciaZiemsen und Rainer Traube
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neue medien
» World Economic Forum: Bei den Preußen Asiens » Interview: Jürgen O. Wöhler
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» E-Books: Klicken statt blättern
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schlaglichter
18-21 podium
profil » Deutschlandbild: Heather De Lisle » Das läuft: typisch deutsch
ansichten » Ausblick: Afrikas Zukunft » Buchtipp: Wir alle sind Afrika
30-33
vor ort » Sambia: Sonnenblumen am Bildungsweg » USA: Deckel drauf und Ende?
» Medien und Klimawandel: DW-Konferenz im Rückblick
22-23
spot
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zoom » Vorgestellt: Ezdehar Sheashaa
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„Pressefreiheit im Tschad utopisch“ Marseille/Bonn – Louis Deubalbet Wewaye, DW-Korrespondent im Tschad, hat den Internationalen Preis für freie Radioberichterstattung des Presse-Clubs Marseille erhalten. Ausgezeichnet wurde eine Reportage aus dem Flüchtlingslager Djabal im Osten des zentralafrikanischen Landes. Flüchtlinge aus der Krisenregion Darfur demonstrierten dort im März 2009 gegen Sudans Präsidenten Omar Al-Baschir. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte gegen Al-Baschir einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. „Pressefreiheit ist im Tschad noch utopisch“, sagt Wewaye. Er selbst sei mehrfach mit dem Tod bedroht worden, „weil ich über Dinge berichtet habe, die die Realität zeigen. Das ist meine Berufung, auch wenn es bedeuten kann, dass ich für die Wahrheit sterbe.“ Den Preis empfindet er „auch als Belohnung für eine weitgehend autodidaktische Karriere“, so Wewaye. „Ich habe schon als Kind davon geträumt, Radio zu machen, aber meine Eltern hatten nicht die Mittel, mich auf eine Journalistenschule zu schicken.“ Derzeit absolviert der 27-Jährige ein Praktikum bei der Deutschen Welle in Bonn. Hier habe er „Arbeitsbedingungen, wie sie sich ein Journalist nur wünschen kann“, so Wewaye. Er erfahre Bestätigung und kritische Rückmeldungen zugleich. „So kann ich mich weiter professionalisieren.“ Für seine mutige Krisenberichterstattung aus dem Tschad. ——
Umwelt-Video versilbert Bonn/Berlin – Mit einem Kurzfilm zur globalen Umweltkrise haben Studierende des Masterstudiengangs der DW-Akademie beim Wettbewerb der Jungen Akademie Berlin den zweiten Platz belegt. „Wer kriegt die Krise?“ lautete die „Preisfrage 2009“, die die Junge Akademie in Kooperation mit der HumboldtUniversität gestellt hatte. „Wer nicht?“ heißt die filmische Antwort von fünf Teilnehmern des Masterstudiengangs „International Media Studies“, den die DW in Zusammenarbeit mit der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg und der Universität Bonn anbietet. Mit ihrem eineinhalb minütigen Beitrag, erstellt als Antwort auf die ergebnislosen Gespräche beim Klimagipfel in Kopenhagen, überzeugten die Studenten Emmy Chirchir, Oscar Schlenker, Lina Hartwieg, Jan-Peter Horns und Amalia Oganjanyan (v. l.) die Jury. „Uns ging es darum zu zeigen, was Journalisten mit ihrer Berichterstattung erreichen – bewusst oder unbewusst“, sagte Lina Hartwieg. Die größte Heraus-
forderung sei es gewesen, ein globales Thema lokal und mit möglichst wenig Mitteln und Aufwand umzusetzen, so die Studentin. Die „Preisfrage“ ist mit insgesamt 9.000 Euro dotiert. In diesem Jahr waren 230 Beiträge eingesandt worden. Die Junge Akademie ist ein Projekt zur
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. —— Video ansehen: blogs.dw-world.de/presse
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Deutsch – ein Exportschlager? Frankfurt/Main – Die DW widmet der deutschen Sprache einen Abend mit Gästen aus dem In- und Ausland, mit Deutsch-Kennern und jungen Menschen, die Deutsch lernen. „Sprache von Welt? – Streiten über Deutsch“, so der Titel der Veranstaltung am Freitag, 10. September, im Literaturhaus Frankfurt am Main. Manche Verfechter der deutschen Sprache waren gar nicht erfreut, dass Lena ihr Lied Satellite in Oslo nicht auf Deutsch interpretiert hat. Schließlich seien auch Bands, die in deutscher Sprache singen, im Ausland beliebt, Tokio Hotel und Rosenstolz beispielsweise. In der Tat laufen auch deutsche Filme im Ausland erfolgreich, nicht selten im Original und untertitelt. Sprache baut Brücken – zur Musik, Literatur, Philosophie und Wissenschaft, auch zum Lebensalltag der Menschen.
Die Frage ist: Profitiert auch die deutsche Sprache von einem vielerorts gewachsenen Interesse an Deutschland und seiner Kultur? Hat Deutsch das Zeug zum Exportschlager? Was unternimmt Deutschland, seine Sprache international zu fördern? Was tun andere Länder für die Verbreitung ihrer Sprache? Darüber diskutieren im Frankfurter Literaturhaus ab 19 Uhr unter anderem Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, und Werner Wnendt, Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, mit DAAD-Stipendiatin Albina Voblikova aus Russland und DW-Redakteur Sanjiv Burman aus I ndien. —— Anmeldung erforderlich: kommunikation@dw-world.de
Ein Sender als Meilenstein Freetown – Acht Jahre nach dem Bürgerkrieg hat Sierra Leone einen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender bekommen. Hervorgegangen ist er aus dem früheren Staatssender. Die DW-Akademie unterstützt den Auf bau.
Medien international » Der Mobilfunksektor in Afrika boomt. Seit 2006 hat sich die Zahl der Handy-Anschlüsse auf dem Kontinent mehr als verdoppelt. Das Internet ist hingegen noch wenig verbreitet.
Nach Südafrika ist es das zweite afrikanische Land, in dem eine Regierung freiwillig die Kontrolle über einen Staatssender abgibt. „Das ist ein Meilenstein in der Entwicklung dieses Landes“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bei der Eröffnung des Senders in Freetown am 15. Juni. Im Rahmen eines dreijährigen Großprojekts, finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) , begleitet die DW-Akademie Management, Journalisten und Techniker der Sierra Leone Broadcasting Corporation (SLBC) in Beratungs- und Trainingsmaßnahmen auf dem Weg ins Öffentlich-Rechtliche. Ebenfalls auf drei Jahre angelegt ist ein Projekt der DW-Akademie in Simbabwe. Finanziert von der EU, soll es den demokratischen Wandel in dem südafrikanischen Land stärken – nicht zuletzt über freie Medien und professionell geschulte Journalisten. Beteiligt sind zudem Partner in Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden. ——
www.dw-akademie.de
» B rasilien ist auf dem Weg, ein neuer Akteur im internationalen Wettbewerb um die Meinungshoheit zu werden. TV Brasil Internacional ist gestartet. » Die Blogosphäre in China ist vielschichtig. „Am sichersten finanziert ist, wer im Auftrag Regierender schreibt“, sagt der in Köln lebende Journalist Shi Ming in einem Gastbeitrag. » Medien und Klimawandel – darum ging es beim jüngsten Deutsche Welle Global Media Forum. In Kurzinterviews äußern sich Experten aus aller Welt dazu. Das und mehr finden Sie im Presseblog: blogs.dw-world.de/presse „Medien international“ ist unser Schwerpunkt. Diskutieren Sie mit!
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Kultur aus Deutschland: Via DW in 30 Sprachen um die Welt
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Das kommt gut an In Indien steht 2011 ein „Deutschland-Jahr“ auf dem Kulturprogramm. In China sind im Jahr 20 nach der deutschen Einheit Filme zum Vereinigungsprozess populär. Bemerkenswert viele Menschen in Kamerun lernen Deutsch. In Bulgarien sind Scorpions und Beethoven gleichermaßen beliebt. Deutsche Kultur, insbesondere Literatur und Musik, ist vielerorts präsent. Die DW trägt das kulturelle Leben hierzulande in 30 Sprachen in die Welt. Sechs DW-Autoren mit Impressionen aus sechs Ländern. Zum Beispiel Argentinien, in diesem Herbst Partnerland der Frankfurter Buchmesse. Wenn man vom deutschen Einfluss in der argentinischen Literatur sprechen will, muss man mit Jorge Luis Borges (1899-1986) anfangen. Er liebte die deutsche Sprache und Kultur und widmete ihr ein Gedicht – hier in Auszügen übersetzt vom Autor: „Aber dich, süße deutsche Sprache, habe ich ausgewählt und gesucht, einsam. / Durch Schlaflosigkeit und Grammatik, / im Dschungel der Deklinationen, / des Wörterbuchs, das nie Recht hat. (…) Du deutsche Sprache bist / das Hauptwerk, die verflochtene Liebe …“ Eine Liebeserklärung. Aber nicht nur die deutsche Sprache hat den famosen Dichter beschäftigt. Borges hat auch deutsche Themen aufgegriffen, zum Beispiel in „Das Aleph“, einem Band mit Erzählungen. Eine davon trägt im spanischen Original den deutschen Titel „Deutsches Requiem“ und handelt von den letzten Gedanken eines Nazis, der auf seine Hinrichtung wartet. Literarisch beeinflusst wurde Borges unter anderem von Franz Kaf ka, philosophisch von
Arthur Schopenhauer. In einer Rede von 1963 zitiert er den deutschen barocken Lyriker und Theologen Angelus Silesius (1624-1677), bekannt durch seine fast mystischen Epigramme: „Die Rose ist ohne warum“, Schönheit kann man nicht erklären. Borges’ Liebe für die deutsche Sprache wäre aber zu erklären: Er war wohl vernarrt in den Akkusativ und den Dativ. Mit der Abstammung hat der Fall von Roberto Arlt (1900-1942) zu tun. Der argentinische Erzähler, Dramatiker, Dichter und Journalist war Sohn eines deutschstämmigen Vaters. Seine Texte gehören zum Besten der argentinischen Literatur. Arlt beschrieb die weniger schönen Seiten des Lebens seiner Epoche, geprägt von den Weltkriegen und der Großen Depression der 1930er Jahre. Seine in der Tageszeitung El Mundo publizierten Glossen „Aguafuertes porteñas“ („Radierungen aus Buenos Aires“) wurden später in Buchform herausgegeben und zählen heute zu den Klassikern der argentinischen Literatur. Arlt hat auch viele Autoren der jüngeren Generationen beein-
»Die Rose ist ohne warum. Schönheit kann man nicht erklä ren.«
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flusst. Sein Nachlass befindet sich übrigens in der Bibliothek des Iberoamerikanischen Instituts in Berlin. Deutsche Vorfahren hatte auch Silvina Bullrich (1915-1990), die „Grande Dame“ der argentinischen Literatur. Die Romanautorin, Journalistin und Drehbuchautorin hat zahlreiche
Bestseller geschrieben und war prägend für die argentinischen Literatinnen der 1950er und 1960er Jahre. Bullrich wuchs in einer Familie von Intellektuellen auf. In der großen Bibliothek ihres Vaters, der ihre Ambitionen unterstützte, entdeckte sie schon früh die Welt der Literatur. Ende des 19. Jahrhunderts setzte eine massive europäische Einwanderung nach Argentinien ein, die bis Ende des Zweiten Weltkriegs andauerte. Diese Einwanderung hatte wirtschaftliche, auch politische Gründe. In den 1930er Jahren wurde Argentinien auch zweite Heimat für zahlreiche verfolgte deutsche Juden. Viele dieser Einwanderer haben tiefe Spuren im kulturellen Leben Argentiniens hinterlassen. Namen bekannter argentinischer Schriftsteller verdeutlichen diesen Schmelztiegel-Charakter der Gesellschaft am Rio de la Plata mit deutscher Note: zum Beispiel Alicia Steimberg, Cecilia Absatz, Osvaldo Bayer, Liliana Heer, Héctor Germán Oesterheld und Roberto Schopflocher.
Nicht nur, aber auch deshalb lohnt es sich, in diesem Jahr, in dem Argentinien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse ist, einen Blick auf die argentinische Literatur zu werfen. Pablo Kummetz
Kamerun: Deutschland ist o.k. und die Bundesliga ist eine Bar Kerzengerade sitzt Adissa Mandou in einem Lehnstuhl, nippt an ihrer Apfelsaftschorle und träumt sich zurück nach Koupa Kagnam, nach Westkamerun. In Koupa Kagnam lebte der Großvater. „Ein strenger Mann“, meint Adissa und sticht mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte. Die Strenge habe er von den Deutschen gelernt, sagte der Großvater damals. Und Adissa glaubt, dass ihm das gefallen habe, diese „Prinzipientreue und Geradlinigkeit“. Der Großvater war Koch bei den deutschen Kolonialherren. Adissa wählt am Gymnasium Deutsch als zweite Fremdsprache, will Pharmazie studieren, am liebsten im Ausland. „Frankreich, Kanada oder Deutschland, das war mir egal. Aber dann kam der Kick“, lacht Adissa. „Meine beste Freundin war nach Saarbrücken gezogen und erzählte mir am Telefon: Deutschland ist eigentlich o.k. Es ist wirklich gut hier.“ Heute ist Adissa 29 Jahre, lebt in Bonn und studiert Medizin-Ökonomie. Welche Bilder existieren von Deutschland in Kamerun? „Alle Männer heißen Markus und beim Oktoberfest in München wird viel getrunken. Und die Leute tragen Irokesen.“ Irokesen? „Ja. In unserem Lehrbuch war jemand mit pinkfarbenem Haar. Das stand symbolisch für: Jeder kann das Leben leben, das er will.“ Das habe ihr sehr gefallen, meint Adissa. „Dann wusste ich noch, dass die Deutschen sehr strenge Menschen sind. Sie können und wollen nur arbeiten. Und eigentlich war es dann hier auch so.“ Während Adissa in Bonn einen Schluck Apfelsaftschorle nimmt, überquert in Kameruns Hauptstadt Jaunde Thekla Worch die Rue Joseph Eloumden auf dem Weg in ihr Büro. „Konkret begegnet mir die deutsche Kultur auf der Straße.“ Jeden Morgen rauschen Lkw mit der Aufschrift Möbelhaus Köln oder mit einem dicken D-Kennzeichen an ihr vorbei und wirbeln viel Staub auf. Ausrangierte Vehikel aus
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dem Norden. Thekla Worch ist Programmassistentin beim Goethe-Institut Kamerun und zuständig für Kultur. „Dann gibt es noch eine Bar, die Bundesliga heißt. Auch die Fußballklubs spielen unter dem Namen Bundesliga“, weiß Worch. Tatsächlich haben sich deutsche Wörter in die zahlreichen kamerunischen Sprachen geschmuggelt. „Da ist dieses Schimpfwort, Buschmann, das jeder versteht“, flüstert Adissa. „Die Älteren benutzen das für jemanden vom Dorf, der keine Kultur hat.“ Die Herkunft verweist auf die deutsche Kolonialherrschaft. „Trotzdem ist Deutschland heute eher positiv besetzt“, sagt Adissa. Anders als die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. Auch Thekla Worch setzt bei ihrer Kulturarbeit am Goethe-Institut eher auf zeitgenössische Kunst und Kultur als auf permanente Rückbesinnung auf die Historie. „Ein thematischer Schwerpunkt ist der Dokumentarfilm und die Zusammenarbeit zwischen der deutschen und kamerunischen Filmindustrie.“ Es geht um Vernetzung und Aus- und Fortbildung. Erst kürzlich ist die Kölner Regisseurin Insa Onken mit ihrem Dokumentarfilm Rich Brother durch die Partnerschulen des Goethe-Instituts getourt. Der Film erzählt die Geschichte eines kamerunischen Boxers, der von seiner Familie nach Deutschland geschickt wird. Eine Zerreißprobe zwischen dem harten Alltag in Deutschland und den Erwartungen der Familie. „Die Vorführungen hatten einen enormen Zulauf “, erinnert sich Thekla Worch und zeigt sich überrascht von der positiven Reaktion des Publikums. „Wir gingen davon aus, dass die Zuschauer sagen: Das ist wieder nur ein Negativbeispiel, damit wir nicht nach Europa gehen.“ Wenn sie Themen vermitteln wolle, so Worch, „dann ist es immer im Kontext von Reflexion und Diskussion“.
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Unser Kulturpaket Frankfurter Buchmesse, Wagnerfestspiele in Bayreuth, die leistungsstarke deutsche Hochschullandschaft, junge Mode aus Deutschland, deutsches Kino, deutsche Popmusik, die lebendige Kunstszene, Straßenkunst und Alltagskultur, natürlich die deutsche Sprache – das Kulturpaket der DW ist gut gefüllt: » Kultur und Leben auf www.dw-world.de – hier findet man alles, was man über das Kulturleben in Deutschland wissen muss: in Text und Bild, Audio und Video. » Zu den herausragenden multimedialen Projekten zählen Serien über den Exportschlager Kinderbuch, über ausländische Studierende in Deutschland und über bedeutende Buchmessen weltweit mit starker deutscher Präsenz. » KULTUR.21 ist das Kulturmagazin im Fernsehen. Es bildet die B andbreite der Kultur in Deutschland ab und berichtet über deutsche Kultur weltweit. Derzeit läuft die Sommer-Serie „Grand Tour“: eine Kulturreise von der Ostsee bis zu den Alpen. » euromaxx berichtet täglich über Leben und Kultur in Europa. » KINO stellt einmal im Monat neue deutsche Filme vor und berichtet über internationale Produktionen im Filmland Deutschland. Im Oktober kommt die Sendung von der deutschen Filmwoche in Buenos Aires, Argentinien. Im Internet finden Filmfreunde Kino-Podcasts.
Stefanie Duckstein » popXport stellt herausragende Inter preten und Bands aus der deutschen Popszene vor, zeigt die neuesten Trends und berichtet über Musikver anstaltungen. » Um Bands und Interpreten aus Deutschland, die weltweit die Charts erobert haben, geht es in der 14-teiligen Musiksendung Deutsche Beats. Zu sehen auch bei einsfestival – ab September im Nachtprogramm. » Das Reisemagazin hin & weg, die Magazine deutschland heute und typisch deutsch sowie die Kirchensendung Glaubenssachen reflektieren ebenfalls A spekte des kulturellen Lebens ins Deutschland.
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Bulgarien: 12.000 Studenten und ein „Oh, Tannenbaum“
»Von Kant über Hegel bis hin zu Sloterdijk – es wird viel über setzt, gelesen und diskutiert.«
Deutsch ist als Fremdsprache in Bulgarien fast so populär wie Englisch. Dahinter steckt eine jahrhunderte lange Tradition der bilateralen kulturellen Beziehungen. Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts zwei Fürsten aus deutschen Häusern nacheinander den bulgarischen Thron bestiegen haben, gingen viele junge Bulgaren zum Studium nach Deutschland und brachten anschließend die deutsche Sprache und Kultur mit nach Hause. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Interesse an Deutschland sehr intensiv. Die deutschen Gymnasien in Bulgarien, die heute ein auch in Deutschland anerkanntes deutsches Abitur anbieten, sind ein Synonym für Bildungsexzellenz. Der Andrang – 200 Kandidaten für einen Schulplatz – ist sogar größer als in den englischsprachigen Gymnasien. Nimmt man das Interesse an den Angeboten des Goethe-Instituts hinzu, erklärt sich, dass zurzeit 12.000 junge Bulgarinnen und Bulgaren in Deutschland studieren, wie erst kürzlich Bundesaußenminister Guido Westerwelle herausstellte. Unter den ausländischen Studierenden hierzulande ist nur die Gruppe der Chinesen größer. Viele der Bulgaren haben Goethes Faust (Teil 1 und 2!) in der Schule gepaukt und können den Dichterfürsten immer noch auswendig zitieren – im Unterschied zu manch einem deutschen Kommilitonen. Und überhaupt, Goethe und Schiller! Das waren die Lieblingsdichter der bulgarischen Nationalrevolutionäre im 19. Jahrhundert, sie stehen bis heute für die deutsche Literatur in Bulgarien. Aber nicht nur sie. Die Werke von Günter Grass und Heinrich Böll sind fast vollständig ins Bulgarische übersetzt worden, Thomas Mann und Hermann Hesse haben ihren stolzen Platz in vielen Hausbibliotheken. Die Bücher von Kaf ka waren für viele Leser in Bulgarien bedrückende Parabel über den eigenen, tristen und absurden Alltag während des „real existierenden Sozialismus“. Von Martin Walser über Patrick Süskind bis Uwe Timm ist auch die deutsche zeitgenössische Literatur sehr gut vertreten. In seiner Reihe „Der Zauberberg“ stellt der Atlantis-Verlag jährlich mehrere deutschsprachige Titel vor. Unter dem Motto „Das Land der Dichter und Denker“ ist es kaum erstaunlich, dass auch die deutschen Philosophen ein hohes Ansehen in
Bulgarien genießen. Von Kant über Hegel bis Sloterdijk – es wird viel übersetzt, gelesen und diskutiert. Kein Wunder also, dass vor ein paar Jahren Jürgen Habermas den Doktorhut Honoris Causa in Sofia in Empfang genommen hat. Der deutsche Film war in den Siebziger- und Achtzigerjahren ein Geheimtipp für bulgarische Intellektuelle. Fassbinder, Herzog und Schlön dorff genießen immer noch Kultstatus unter Filmemachern in Bulgarien. In die Rubrik „Kult“ gehören auch zwei bekannte deutsche Bands: Scorpions und Rammstein haben in Bulgarien treue Fangemeinden, „The Wind of Change“ avancierte auch in Bulgarien zur Hymne des großen politischen Umbruchs Ende 1989. Allerdings, wenn es um Musik geht, sollte man zuerst die sogenannte E-Musik erwähnen. Die Klassik-Liebhaber in Bulgarien assoziieren den Namen Deutschland sofort mit Beethoven, Mendelssohn und Brahms. KlassikKonzerte im Radio sind oft zu hören, das häusliche Musizieren war unter den Bildungsbürgern recht populär. Apropos häusliches Musizieren: „Oh, Tannenbaum“ singt man auch unterm bulgarischen Weihnachtsbaum – als Елхови лес ... Alexander Andreev
Indien: Seelenverwandt von „King Kahn“ zu „King Khan“ Es ist schon erstaunlich, wie viele deutsche Schriftsteller und Philosophen sich mit Indien beschäftigt haben. Die Liste reicht von Goethe, Novalis und den Gebrüdern Schlegel über Heinrich Heine, Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche bis zu Hermann Hesse und in der Gegenwart Günter Grass und Peter Sloterdijk. Hesse, Autor von „Siddhartha“ (1922), beschwört 1925 die kulturelle Seelenverwandtschaft zwischen Indien und Deutschland: „Wer einmal
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nicht nur mit den Augen (…), sondern mit der Seele in Indien gewesen ist, dem bleibt es ein Heimwehland, an welches jedes leiseste Zeichen ihn mahnend erinnert.“ Die Handelsbeziehungen zwischen Indien und Deutschland reichen bis in das Jahr 1505 zurück, als zum ersten Mal Schiffe der in Augsburg ansässigen Familie Fugger in Indien anlegten. Doch erst vor etwa 200 Jahren begann man in Deutschland, sich mit der Jahrtausende alten Kultur Indiens näher zu beschäftigen. 1818 wurde der erste deutsche Lehrstuhl für Indologie an der Universität Bonn begründet. Dies wurde in Indien mit großem Wohlwollen aufgenommen. Denn bisher waren es vor allem die verhassten Kolonialherren gewesen, die Briten, die sich wissenschaftlich mit Indien auseinandergesetzt hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg traf Deutschland und Indien ein gemeinsames Schicksal: Britisch-Indien wurde 1947 in Indien und Pakistan geteilt, ebenso wie es nun zwei deutsche Staaten gab. Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 wird in Indien oft als Wunder verklärt. In jüngster Vergangenheit und mit Blick nach vorn sind für die kulturellen Beziehungen zwischen Indien und Deutschland vor allem zwei Jahreszahlen wichtig: 2006 war Indien Gastland der Industriemesse in Hannover, der Biennale Bonn und der Frankfurter Buchmesse. 2011 wird in Indien das „DeutschlandJahr“ begangen, mit vielen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Initiativen. Deutschland ist „in“ in Indien. Das seit mehr als 50 Jahren in Indien ansässige Goethe-Institut boomt, das Interesse an der deutschen Sprache ist groß, während es weltweit eher abnimmt. Inzwischen studieren in Deutschland rund 6.000 Inder, 1990 waren es nur etwa 500. Die Luxuskarossen von BMW, Mercedes oder Audi finden in Indien reißenden Absatz. „Made in Germany“ gilt als ein Synonym für Qualität, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit – nicht nur im Bereich Technik, auch wenn von Fußball die Rede ist. Beckenbauer, Matthäus, Ballack und seit der WM 2006 auch Podolski sind Stars in Indien. Zu einem Abschiedsspiel für Oliver Kahn 2008 in Kalkutta kamen 120.000 Zuschauer. Der FC Bayern unterhält seit langem mit dem dortigen Club Mohun Bagan AC eine Partnerschaft. Von „King Kahn“ zu „King Khan“ ist es kein weiter Weg. Seit RTL II 2004 den Bollywood-Schmachtstreifen „In guten wie in schweren Tagen“ mit dem indischen Schauspieler Shahrukh Khan in der Hauptrolle zeigte, avancierte Khan auch in Deutschland zum Star. Seine umjubelten Auftritte auf der Berlinale 2009 und 2010 waren das Medienereignis und verblüfften
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» L angjährige Kulturpartnerschaften pflegt die DW mit dem Berlinale Talent Campus, dem Deutschen Buchpreis, der im Oktober verliehen wird, der Musikmesse Popkomm – in diesem Jahr vom 6. bis 12. September im Rahmen der „Berlin Music Week“ – und dem Preis der Nationalgalerie für junge Kunst. » Hinzu kommen internationale Partnerschaften: In Kairo ist die DW beispielsweise Partner des Kulturzentrums Sawy, wo regelmäßig gemeinsame Diskussionsrunden angeboten werden – Anfang Juli ging es um die deutsche und ägyptische Filmszene. Mit dem Marokkanischen Fernsehen produziert die DW den KULTURSALON, ein Talkformat. » Im Mittelpunkt der Musikdokumentation Das Beethoven-Projekt steht die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi. Auf dem Beethovenfest Bonn wurden im vergangenen Herbst alle neun Sinfonien Ludwig van Beethovens aufgezeichnet. Am 8. September ist Premiere: vor geladenen Gästen im „Kino International“ in Berlin. Dann liegt auch die DVD-Box zum Film vor. » Mit dem Beethovenfest Bonn besteht seit 2003 eine Partnerschaft. Alljährlich wird auf Anregung der DW ein Nachwuchsorchester aus einem ausgewählten Land eingeladen zum Orchestercampus – 2010 die Sinfónica Heliópolis des Instituto Baccarelli aus São Paulo. Zudem vergibt der deutsche Auslandsrundfunk einen Kompositionsauftrag, dieses Mal an den brasilianischen Komponisten André Mehmari. Am 4. Oktober wird das Werk in Bonn uraufgeführt. » In Zusammenarbeit mit dem Klassiksender „Orpheij“ hat die DW die Eröffnung der diesjährigen Bayreuther Festspiele live nach Russland übertragen – eine Premiere für Wagner-Freunde in Moskau und weiteren russischen Städten. In die USA bringt die DW seit 1988 Opern der Wagnerfestspiele. » Bedeutender Teil des Kulturauftrags der Deutschen Welle ist die Förderung der deutschen Sprache. Die DW bietet eine große Bandbreite an multimedialen Deutschkursen – für Lernende und Lehrende. www.dw-world.de/kultur www.dw-world.de/kultur21 www.beethovenfest.de www.dw-world.de/deutschkurse
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selbst Branchenkenner. Umgekehrt ist auch der deutsche Film in Indien längst kein Geheimtipp mehr. Junge, international renommierte indische Filmemacher wie der 37-jährige Regisseur, Produzent und Drehbuchautor Anurag Kashyap schwärmen für „Gegen die Wand“ oder „Good bye Lenin!“. Seinen 2009 erschienenen Film „Dev.D“ widmete Kashyap seinem deutschen Kollegen Fatih Akin. Priya Esselborn
China: De Guo Zhi Sheng und die Suche nach Antworten Was haben Deutschland und Goethe in China gemeinsam? In der chinesischen Sprache steht Ge De (歌德) für Goethe und De Guo (德国) für Deutschland. Das Zeichen, das Johann Wolfgang von Goethe mit der Bundesrepublik Deutschland verbindet, ist das Zeichen 德(DE), das im Chinesischen so viel bedeutet wie „sittlich einwandfreie und vorbildliche Haltung“. Das Interesse an der deutschen Literatur begann Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Suche nach einer passenden Gesellschaftsordnung für ein Land im Umbruch
Iran: Deutschland präsenter als andere europäische Länder
wie das damalige China. Türöffner waren deutsche Philosophen wie Friedrich Nietzsche und Karl Marx. Schon 1902, kurz vor dem Ende der letzten Kaiserdynastie in China, stellte der Chefgelehrte des Kaiserhofs Liang Qichao fest, China könne von den führenden philosophischen Gedanken des zeitgenössischen deutschen Kaiserreichs positiv beeinflusst werden. Die Kritik von Nietzsche an der Moral, Religion und Gesellschaftsordnung in der aphoristischen Kurzform und im mitreißenden Prosa-Stil begeisterte nicht nur Reformisten in China, sondern auch viele chinesische Auslandsstudenten, die sich fleißig Gedanken über die Zukunft ihrer Nation machten. Die Positionen von Nietzsche fanden schnell Unterstützung und Verbreitung, flankiert von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“. Viele Zeitgenossen in China konnten sich mit dem jungen Mann aus De Guo identifizieren, der vor 150 Jahren den bürgerlichen Normen widersprach und sich als Rebell und Freigeist verstand. Als nützlich und ideologisch wertvoll wurden nach der Gründung der Kommunistischen Partei die Werke von Karl Marx eingestuft, wärmstens empfohlen von den russischen Kollegen. Der Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ vom Manifest der Kommunistischen Partei
dem iranischen Publikum nahe zu bringen. Jamalzadeh und Alavi verbrachten große Teile ihres Lebens in der Schweiz und in Deutschland. Beide übertrugen unter anderem Werke
Die Bedeutung dessen, was im Iran als „deutsche Kultur“
von Friedrich Schiller ins Persische. Hedayat wird zuge-
bezeichnet wird, beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts und
schrieben, Kafkas Werk dem iranischen Publikum erschlos-
wandelt sich im Laufe der Zeit in vielerlei Hinsicht, zumeist
sen zu haben, er übersetzte ihn allerdings aus dem Fran-
im positiven Sinn. Neben dem französisch- und dem eng-
zösischen. Bis in die 1970er Jahre übertrug man deutsche
lischsprachigen Kulturraum gewinnt Deutschland wachsende
L iteratur hauptsächlich aus der englischen und franzö-
Bedeutung für die Entwicklung der iranischen Gesellschaft.
sischen Sprache ins Persische.
Anfangs beruhen deutsch-iranische Beziehungen auf poli-
Die deutsche Sprache erlernten fast ausschließlich Sti-
tischen und wirtschaftlichen Interessen, im Laufe des Jahr-
pendiaten, die für das Studium technischer Fächer nach
hunderts wechseln die Schwerpunkte: von der Faszination
Deutschland kamen. Etwa der Autor Hassan Nekoroh, der
Reza Schah Pahlavis (1878-1944, Vater des letzten, 1980 ge-
Werke Thomas Manns – „Der Zauberberg“ und „Josef und
storbenen Schahs) für den Nationalsozialismus hin zu wachsen-
seine Brüder“ – ins Persische übertrug. „Als ich in den
dem Interesse an deutscher Kunst, Literatur und Philosophie.
1960er Jahren nach Deutschland kam, hatte ich ursprüng-
Vorreiter der modernen persischen Erzählkunst wie Mo-
lich nicht das Ziel, Literatur zu studieren. Literatur aber war
hammad-Ali Jamalzadeh, Bozorg Alavi und Sadegh Hedayat
schon immer meine Leidenschaft“, so Nekoroh 2008 in einem
waren mit deutscher Literatur vertraut – und bemüht, sie
DW-Interview.
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inspiriert dessen Unterstützer, um weltweit eine gesellschaftliche Revolution herbeizuführen. Die Akzeptanz der deutschen Gegenwartsliteratur ist in China deutlich nüchterner. Kein anderes Buch erzeugt einen vergleichbaren Effekt wie Goethes Werther. Das Interesse an ausländischer, insbesondere deutscher Literatur hat deutlich nachgelassen – weil sie nicht mehr gebraucht wird, nur dem Kreis der Germanisten vorbehalten ist und zu Zeiten der Kulturrevolution (1966-1976) verboten war. Günter Grass ist in China bekannt geworden, nachdem er den Literaturnobelpreis erhalten hatte. Jahre später war die Enttäuschung groß, als er bekannte, in der Waffen-SS gedient zu haben. Ein politischer Literat wird in China nicht gern gesehen. Wo die deutsche Gegenwartsliteratur nicht weiterkommt, da hilft die jüngste deutsche Geschichte. Nach der Wiedervereinigung 1990 war Deutschland plötzlich wieder in aller Munde. Ein großes Thema, von dem auch China lernen möchte, wie zwei Länder mit unterschiedlichen Systemen in eins zusammengeführt werden konnten. Neben der politischen Debatte in der Volksrepublik mit Blick auf die abtrünnige Provinz Taiwan, die nur kleinlaut geführt wurde, haben viele filmische Darstellungen über den Vereinigungsprozess und dessen gesellschaftliche Auswirkungen auf die Menschen ein Millionen-
So gelangten einige deutsche Klassiker in den Iran. Oft aus
publikum verzaubert – zum Teil illegal. Denn viele Filme, bei denen es um Stasi-Verbrechen in der DDR ging, durften in China nicht gezeigt werden, machten die Menschen aber neugierig – zum Leidwesen der Pekinger Führung. Im Internet und auf den Nachtmärkten können Filme wie „Good bye, Lenin!“ oder „Das Leben der Anderen“ für wenig Geld erworben werden. Die Menschen sind auf der Suche nach Antworten. Was ist im Sozialismus à la DDR falsch gelaufen? Diese und andere Filme, auch Bücher der Gegenwartsliteratur aus Deutschland im Original finden Interessierte im „Ge De Xue Yuan“ – richtig: im Goethe-Institut. Und für alles Wissenswerte über Deutschland und Europa gibt es zudem „De Guo Zhi Sheng“ – genau: die Deutsche Welle, die auch Chinesisch spricht. Hao Gui
Das Interesse an der deutschen Sprache ist im Iran geringer als
einer Drittsprache übersetzt und in eher zufälliger Auswahl. Die
am Englischen, nimmt aber seit Beginn der 1980er Jahre stetig
systematische Übersetzung deutscher Literatur sollte in den
zu. Bei gemeinsamen Kulturveranstaltungen Irans mit anderen
1970er Jahren mit der Ausgabe des Gesamtwerks von Bertolt
Ländern liegt Deutschland vorn. Inwieweit wirtschaftliche und
Brecht im Kharazmi-Verlag beginnen. Dieses vom Bamberger
geopolitische Interessen hier eine Rolle spielen, ist nicht leicht
Professor Faramarz Behzad geleitete Projekt fiel 1979 der ira-
auszumachen. Tatsache ist, dass Iraner mit der deutschen Kul-
nischen Revolution zum Opfer und wurde bis heute nicht wie ge-
tur vertrauter sind als noch vor 50 Jahren. Dabei dürfte eine
plant realisiert. Dennoch ist Brecht einer der meistübersetzten
Rolle spielen, dass mehrere Zehntausend Iraner nach der „Stu-
deutschen Schriftsteller, dessen Theaterstücke fester Bestand-
dienmigration“ der 1960er und 1970er Jahre und vor allem nach
teil iranischer Bühnen sind.
der Islamischen Revolution 1979 in Deutschland ein Zuhause ge-
Deutschland ist im Iran auf kultureller Ebene präsenter als an-
funden haben.
dere europäische Länder. Legendär ist die Unterstützung des
Behzad Keshmiripour
Goethe-Instituts 1978: Zehn namhafte iranische Autoren beteiligten sich an einer Lese-Reihe an der Universität Teheran. Mitinitiiert wurde die Aktion vom Iranischen Schriftstellerverband. Der damals wie heute offiziell nicht anerkannte Verband genießt als unabhängiger Vertreter iranischer Autoren weltweite Anerkennung.
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„Wo die rasende Zeit für einen Moment stillsteht“ Bonn/Berlin – Die Deutsche Welle hat einen Kulturauftrag: Sie soll Kultur aus Deutschland vermitteln und den interkulturellen Dialog fördern. So will es das DW-Gesetz. Rainer Traube (Fernsehen) und Ramón Garcia-Ziemsen (Hörfunk und Internet) sind verantwortlich für Kulturformate im Angebot der DW. Fragen von Berthold Stevens.
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„Dem Dauerrauschen von Blogs
und Chats, Twitter und Facebook setze ich Grenzen. Die Lebenszeit ist in Bücher besser investiert“: Rainer Traube
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Was ist drin im Kulturpaket der DW? Rainer Traube: Alles ist drin, vom Wochenmagazin KULTUR.21 über Kulturnachrichten im Journal bis zur Lebensart in euromaxx. Dazu Spezialformate zu Kino, Pop und Klassik, manche regelmäßig, manche sporadisch. DW-TV ist auch ein Kulturprogramm. Ramón Garcia-Ziemsen: Das gilt ebenso für unser Internet-Angebot. Wir tun gut daran, den Kulturbegriff möglichst weit zu fassen, ohne dabei beliebig zu werden. „Die Kultur“ gibt es nicht. Kulturaffinität definiert sich über den Bezug zur Lebenswelt, über Nähe zum Thema. Das heißt für unsere Kulturredaktion: Wir müssen handwerklich sehr genau arbeiten, um für unsere Abnehmer – 30 Sprachredaktionen – deutlich zu machen, warum es jetzt beispielsweise sinnvoll ist, über diesen und nicht jenen Autor zu berichten. Unser Credo: Wenn die Nähe nicht da ist, muss ich sie mitliefern.
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Die Deutsche Welle wendet sich in erster Linie an Menschen, die in ihren Ländern Einf luss auf wesentliche Diskussionen und Entscheidungen haben. Können wir demnach Alltagskultur in Deutschland außen vor lassen? Traube: Natürlich nicht! Wie sich die Deutschen kleiden, was sie essen, wie sie feiern, welche Probleme sie mit ihren Kindern haben oder mit ihren Nachbarn, was sie lesen oder im Kino sehen – das alles interessiert den Durchschnittszuschauer in der Welt doch mehr als das Gesicht des neuen Regierungssprechers.
Garcia-Ziemsen: Ich denke auch, dass unsere Zielgruppen sehr genau wissen wollen, wie wir leben, wie wir ticken. Das müssen wir erzählen, ohne dabei werblich aufzutreten oder zu banal, etwa nach dem Motto: Schau mal, die Deutschen können auch unpünktlich sein. Traube: Das ist die eine Seite, der Boulevard im besten Sinne. Andererseits gibt es Debatten, neue Strömungen, Meilensteine der Kreativität. Kunstbiennalen oder Tanzfestivals gehören für die meisten Menschen nicht zur Alltagskultur, aber zum Kulturverständnis vieler in unseren Zielgruppen. Kultur, das erwarten sie von Deutschland. Weil die Kultur auf ihre Art ebenso viel Prestige und Glaubwürdigkeit „made in Germany“ besitzt wie ein Porsche, Fußball oder Bohrmaschinen.
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Information ist der Kern der DWAngebote. Da ist kein Raum für Autorenlesungen oder Opernpremieren im Fernsehen, für Theater im Internet, Konzerterlebnisse im Radio. Wie machen Sie Kultur aus Deutschland erlebbar? Garcia-Ziemsen: Indem wir versuchen, Geschichten zu erzählen, die auch Nicht-Eingeweihte erreichen. Indem wir der Kultur die Schwere nehmen, die sie in der deutschen Medienlandschaft oft hat. Und indem wir lernen, uns mit den Augen der anderen zu sehen. Es gibt übrigens noch etwas Besseres als Autorenlesungen – unsere Reihe „Deutsche Klassiker“… Traube: …oder unsere „Grand Tour“ in KULTUR.21, wo wir die Zuschauer mitnehmen auf zehn unterhaltsame Etappen durch den Kultursommer – wie in einem Roadmovie.
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Segen oder auch Fluch – wie sehen Sie die Rolle des Internets und der mobilen Empfangsmöglichkeiten zur Vermittlung deutscher Kultur? Garcia-Ziemsen: Weder als Segen noch als Fluch, vielmehr als eine Möglichkeit, nicht nur über Kultur zu reden, sondern sie auch zu zeigen. Das ist ein Paradigmenwechsel, besonders für
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„Unsere Zielgrup-
pen wollen sehr genau
Sie könnten im Rat einer mittleren Stadt ein Plädoyer für den Erhalt eines traditionsreichen Theaters halten: Was wären Ihre Argumente? Garcia-Ziemsen: Wenn das Theater nur Tradition zu bieten hätte, würde mir kein Argument einfallen. Gutes Theater geht auch in einer Garage – sagt Karin Beier, die Intendantin des Schauspielhauses Köln. Wenn ein Theater aber Referenzpunkt für Jung und Alt, wenn es im besten Sinne Standortfaktor ist und kritische Fragen zum Hier und Jetzt stellt, dann würde ich sagen: Eine Stadt, die ihr Theater aufgibt, gibt sich selbst auf. Traube: August Everding, deutscher Schauspielund Opernregisseur, hat geschrieben: Die Wirtschaft macht das, was ankommt, die Kultur das, worauf es ankommt.
wissen, wie wir Deutschen leben, wie wir ticken“: Ramón Garcia-Ziemsen
Kulturjournalisten aus Print und Hörfunk: Eine bedeutende Ausstellung präsentieren wir mit Bildern, stellen O-Töne des Künstlers dazu und Rainer Traube schickt uns einen tollen Film. Insgesamt verändert sich auch die Auswahl der Themen: junge, bilderstarke Kunstgeschichten, Design, Lifestyle werden wichtiger. Kultur mobil, auch via Social Media – da stehen wir noch am Anfang. Ich bin mir aber sicher, dass die digitale Welt eine soziale Welt sein wird. Der Social-Media-Redakteur wird bald auch bei uns Alltag sein. Traube: Na, ich bin mir absolut nicht sicher, ob die digitale Welt sozialer sein wird, vor allem wird sie geschwätziger. Auf mein iPhone möchte ich zwar auch nicht verzichten, aber dem Dauerr auschen von Blogs und Chats, Twitter und Facebook setze ich Grenzen. Wie viel uninteressanten, sich wiederholenden Info- und Meinungsmüll soll ich durcharbeiten, bis ich auf einen halbwegs klugen Gedanken treffe? Die Lebenszeit ist in Bücher besser investiert. Meinetwegen lese ich das künftig auch auf dem E -Reader.
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In Krisenzeiten wird schnell und gern im Kulturetat gespart. Angenommen,
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Gehen die Menschen in 20 Jahren noch ins Kino, lesen gedruckte, gebundene Bücher und erleben die Eröffnung eines neuen Theaters – hierzulande wie auf anderen Kontinenten? Garcia-Ziemsen: Keine Ahnung, vielleicht kommt ja bald alles aus dem Toaster… Ich denke schon, dass die Menschen nach wie vor Kultur unmittelbar erleben wollen. Denn die gemeinsame kulturelle Erfahrung im Raum gehört dazu. Keine DVD wird mir jemals diese kleine Pause vor dem großen Beifall nach dem Fall des letzten Vorhangs schenken, kein Text auf dem Bildschirm das vom besten Freund mit Widmung versehene Buch ersetzen. Und was ist Kino ohne Popcornrascheln und knutschende Teenager? Ja, es wird in Zukunft Menschen geben, die bei Twitter und Facebook unterwegs sind und trotzdem das Lesen eines Buches noch zu schätzen wissen. Traube: Das Verrückte ist doch schon heute: Die Menschen gehen trotz DVD und Blu-ray wieder raus in die Kinos. Filmfestivals sind eine Erfolgsgeschichte, ebenso wie Live-Konzerte. Und die Museen sind für viele das, was früher die Kirchen waren: Orte, in denen die rasende Zeit für einen Moment stillsteht, die Abstand schaffen und noch so etwas vermitteln wie Werte. Überall gilt: Die Menschen suchen den authentischen Moment, das persönliche Erlebnis. Kultur kann das leisten. www.dw-world.de/kultur
»Die Wirtschaft macht das, was ankommt, die Kultur das, worauf es ankommt.«
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neue medien
Klicken statt blättern Das elektronische Buch soll das Lesen revolutionieren. Allerdings werden die digitalen Möglichkeiten bisher kaum genutzt – weder von den potenziellen Lesern noch von jenen, die für das digitale Publikum schreiben (könnten), wie Dominik Ahrens meint. Derweil ist das Kapitel für die erste Generation der Lesegeräte schon zu Ende. Totgesagte leben länger – das gilt auch für das gedruckte
lösenden Farbbildschirm taugt ihr Lesegerät gleichermaßen
Buch. Seit Disketten ganze Bücher, CD-Rom komplette Re-
für Buchseiten wie für virtuelle Hochglanzmagazine.
galreihen und Festplatten schließlich den Inhalt von Biblio-
Vor- wie Nachteile dieser schönen neuen Bücherwelt liegen
theken speichern konnten, sehen Feuilletonisten und Tech-
auf der Hand: Auf Kindle und iPad lassen sich ganze Buch-
nikbegeisterte gleichermaßen das Ende des Mediums Buch
reihen mit in den Urlaub nehmen, ein paar tausend digitale
gekommen. Zu gering sei die Informationsdichte auf ein paar
Seiten mehr fallen beim Reisegepäck nicht auf. Aber anders
Hundert Seiten Papier, sagen die einen. Zu lang dauere die
als ein billiges Taschenbuch setzt man ein mindestens 150
Informationssuche im Zeitalter von Zugriffszeiten im Millise-
Euro teures Lesegerät nicht ohne weiteres Sonne, Sand und
kundenbereich, beklagen die anderen. Der lineare Text zwi-
Meer aus.
schen zwei Pappdeckeln sei auch ästhetisch nicht mehr kon-
Spätestens bei der elektronischen Urlaubslektüre fällt
kurrenzfähig, denn eine neue Generation von Lesern wachse
schließlich auf, dass bei allem technischen Fortschritt eines
heran, die ihre Geschichten mit den Hyperlinks des Internets
merkwürdig beständig bleibt: die Literatur selbst. Sowohl
selbst zusammensetze.
die einfachen E-Book-Reader als auch die vielseitigen Ta-
Nach langwierigen Entwicklungen und diversen Rückschlä-
blets dienen den Verlagen als Vertriebskanal für Dan-Brown-
gen schien die Zeit des elektronischen Buches – neudeutsch:
Schinken und Stieg-Larsson-Schmöker, die Satz für Satz mit
E-Book, eingedeutscht: E-Buch – spätestens mit der Vorstel-
ihren Papier-Pendants identisch sind. Und tatsächlich ver-
lung von Amazons Kindle 2007 gekommen. Das 292 Gramm
bannen die Hersteller die virtuellen Bücher in ebenso vir-
schwere Gerät, mit einem schwarz-weißen Bildschirm auf so-
tuelle Bücherregale, in eigene Leseprogramme, die von den
genannter E-Ink-Basis ausgestattet, sollte den Erfolg einer
multimedialen Möglichkeiten der Taschencomputer keinen
neuen Geräteklasse einläuten. Es lieferte sich ein kurzes
Gebrauch machen.
Kopf-an-Kopf-Rennen mit Sonys Konkurrenzprodukt und war
So wartet die Welt weiter auf Autoren, die den neuen Büchern
doch schon überholt, bevor es sich durchsetzen konnte.
auch eine neue Leseerfahrung entlocken. Vielleicht auf einen
Seit März 2010 heißt das Losungswort nicht mehr E-Book, son-
James Joyce der Digitalität, der einen Bewusstseinsstrom
dern Tablet. Das absolute Muss ist nicht länger Jeff Bezos’
wie in Ulysses mit Textsprüngen per Hyperlink realisiert?
Kindle, sondern Steve Jobs’ iPad. Das handliche Gerät, das
Oder auf einen Lewis Carroll, der seine Alice durch ein psy-
auf Apples bewährter iPhone-Technologie aufbaut, besteht
chedelisches Wunderland wandeln lässt, das nur auf einem
wie sein Telefonvorgänger lediglich aus einem Bildschirm,
Touchscreen entstehen kann?
der Nutzerwünsche per Fingerzeig entgegennimmt. Amazon
Zumindest bis dahin bleibt das Buch in seiner ursprüng-
und Sony hatten noch alles daran gesetzt, mit monochromer
lichen Form trotz aller Unkenrufe höchst lebendig: Laut Ge-
Schlichtheit das elektronische Buch seinem analogen Vorbild
sellschaft für Konsumverhalten (GFK) kauften die Deutschen
anzugleichen. Die Entwickler von Apple hingegen schöpfen die
2009 noch 400 Millionen Exemplare. Auch wenn Amazon die-
Möglichkeiten mobiler Technik aus und machen das iPad mit
ser Tage mitteilt, dass man in den USA seit drei Monaten mehr
schnellem Prozessor und flottem Bedienkonzept zu einer Ar-
elektronische als gedruckte Bücher verkauft habe: Im Juni
beits- und Spielemaschine für unterwegs. Mit einem hochauf-
kamen dort auf 100 Hardcover 180 E-Books. ——
schlaglichter
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Wikipedia für Nachrichten 150.000 registrierte Nutzer der
NY Times mit Tumblr
Millionen für Doodle Jump
Geschichten à la carte
Website Yeeyan.org übersetzen
In den USA nutzen inzwischen immer
Igor und Marko Pusenjak, die aus
Ein neuer Dienst namens Fourwhere
gemeinschaftlich, unabhängig und
mehr klassische Medienanbieter,
Kroatien kommen und jetzt in den
bündelt ortsbezogene Informationen
freiwillig Nachrichten aus aller Welt ins
etwa die New York Times, Rolling
USA leben, wollten Anfang 2009 mit
von Diensten wie Foursquare, Yelp
Chinesische. Sie wollen auf diese Weise
Stone, Newsweek und Village Voice,
einem kleinen Spiel für das iPhone
und Gowalla. Die Daten, die auf einer
Chinesen ohne Fremdsprachenkennt
die kostenlose Blogplattform Tumblr.
etwas Geld nebenbei verdienen.
Karte verortet werden, können Jour
nisse ermöglichen, einen erweiterten
Diese kombiniert die Möglichkeiten
Inzwischen wurde ihr Spiel „Doodle
nalisten dabei helfen, Geschichten
Blick auf das Weltgeschehen zu
eines Blogs mit der Unmittelbarkeit
Jump“ mehr als fünf Millionen Mal aus
und Ansprechpartner zu finden. Ein
erhalten. Yeeyan, ein „Wikipedia für
und Schnelligkeit von Twitter. Anlegen
dem App Store heruntergeladen. Bei
großer Vorteil der digitalen Dienste:
Nachrichten“, und das Konzept kos
kann man ein sogenanntes Tumblelog
99 US-Cent pro Spiel macht das nach
Sie umfassen immer eine unmittel
tengünstiger Übersetzungen könnte
in wenigen Minuten. Im Vergleich
Abzug der Provision für Apple immer
bare Kontaktmöglichkeit über ein
weitreichende Auswirkungen auf die
zu Twitter lassen sich hier direkt
noch mehr als drei Millionen US-Dollar
Nutzerprofil.
Arbeit von Journalisten haben.
und unkompliziert Bilder, Audios
Einnahmen. Ein gutes Beispiel für
und Videos integrieren. Durch die Mög
erfolgreiche App-Entwicklung. In
Passiv in Sozialen Netzen
Facebook gegen Google
lichkeit, anderen Nutzern zu folgen
Doodle Jump geht es darum, mit einem
Myspace, Facebook, Xing und meinVZ
Auf dem Papier sieht es eindeutig
und Beiträge zu empfehlen, entsteht
vierbeinigen gelb-grünen Wesen auf
– der Boom der Sozialen Netze ist seit
aus: Facebook hat einen geschätzten
Interaktion. Laut Eigenangaben gibt es
einer endlosen Reihe von Plattformen
einigen Jahren ein zentrales Thema
Jahresumsatz von rund 500 Millionen
pro Tag zwei Millionen neue Einträge
immer höher zu kommen.
der digitalen Welt. Laut aktuellen
Dollar, Google hat einen Umsatz von
auf Tumblelogs und täglich 15.000
www.doodlejump.com
Zahlen der Marktforscher von Fittkau
mehr als fünf Milliarden Dollar – pro
neue Nutzer. Pro Monat generieren
Quartal. Nun versucht Facebook
alle diese Blogs zusammen rund eine
Labor für Storytelling
nur 14 Prozent der deutschen Inter
den Vorstoß in das Territorium des
Milliarde Seitenaufrufe. Den Dienst
Das Internet funktioniert anders als
netnutzer in Sozialen Netzen aktiv.
Konkurrenten, die Suche. Websites,
gibt es seit drei Jahren.
klassisches Fernsehen. Reportagen
62 Prozent nutzen diese eher passiv
können multimedial und interaktiv
und seltener als einmal die Woche.
die den „Like Button“ von Facebook
und Maaß Consulting sind allerdings
integriert haben, werden jetzt auch
Pakistan mit Internetzensur
sein. Neue Erzählformen will die
Rund 40 Prozent der deutschen
bei der Facebook-Suche angezeigt.
Pakistan will Google, Yahoo und fünf
autorengeführte deutschsprachige
Bevölkerung haben kein Interesse an
Das könnte neue Rahmenbedingungen
weitere große Websites wegen der
Internetplattform – mit der
Online-Netzen.
für die Suchmaschinenoptimierung zur
angeblichen Verbreitung antiisla
englischsprachigen Adresse – „Spill
Folge haben und den Markt durchein-
mischer Inhalte und Links strenger
the Beans!“ (Deutsch: „Nun erzähl
ander wirbeln. Denn Facebook zählt
überwachen. 17 kleineren Websites
schon!“) fördern. Ein interaktives Me
rund 500 Millionen Nutzer weltweit.
und Blogs droht eine Sperrung. Der
diaLab soll Fotografen, Journalisten,
Inzwischen führen 7,07 Prozent aller
Schritt folgt einer zweiwöchigen
Filmern, Infografikern, Musikern und
Seitenaufrufe in den USA zu Facebook,
Totalsperre des Sozialen Netzwerks
Programmierern Möglichkeiten zum
7,03 Prozent zu Google.
Facebook im Mai und wurde gerichtlich
Austausch bieten.
angeordnet.
www.spillthebeans.de
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Mit dem Solarflugzeug die Erde
umrunden: Bertrand Piccard stellte in
Zu viele Eisbären – zu wenige Menschen
Bonn das Projekt „Solar Impulse“ vor, auch als Plädoyer für Pioniergeist
Bonn – „Verstehen heißt auch zu verstehen, dass es eine kontroverse Diskussion gibt.“ Ein Resümee von Fernsehdirektor Christoph Lanz im Rückblick auf das dritte Deutsche Welle Global Media Forum. 1.500 Teilnehmer haben vom 21. bis 23. Juni in Bonn über „Klimawandel und die Medien“ debattiert. Eindrücke von Susanne Nickel. Unterschiedliche Sichtweisen prägten die rund 50 Workshops – ob es um Ursachen und Auswirkungen auf den Planeten ging oder um Selbstverständnis und Rolle von Journalisten. Ein herausragendes Merkmal des dreitägigen Forums: Die große Bandbreite der Themen und die Internationalität der Gäste aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Medien, Verbänden und Initiativen führten zu einem Erfahrungsaustausch auf vielen Ebenen. Ein wichtiges Konferenzziel
Zahlen und Fakten »» 53 Workshops und Panels wurden an den drei Konferenztagen durchgeführt. »» Rund 50 Partnerorganisationen haben den Kongress mitgestaltet. »» 1.500 Teilnehmer aus 95 Ländern kamen ins World Conference Center Bonn. »» 225 Medienunternehmen – 160 aus dem Ausland, 65 aus Deutschland – waren präsent. »» 350 Pressevertreter aus 70 Nationen kamen zur Berichterstattung. »» Mitveranstalter der Konferenz war die Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn. Unterstützt wurde sie zudem vom Auswärtigen Amt, dem Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, der Stadt Bonn, DHL, KSB Aktiengesellschaft und Faber-Castell. »» Viele Stimmen von der Konferenz finden Sie auf dem Presseblog: blogs.dw-world.de/presse/medienundklimawandel »» Menschenrechte in einer globalisierten Welt – Herausforderungen für die Medien. So lautet das Thema der vierten Auflage des Deutsche Welle Global Media Forum vom 20. bis 22. Juni 2011 im World Conference Center Bonn. www.dw-gmf.de
war damit schon erreicht: international und interdisziplinär Netze auf bauen und pflegen. Ein weiterer Schwerpunkt war das Nord-SüdGefälle und der Klimawandel. Öffentlichkeit und Medien in Industrieländern gingen allzu leicht darüber hinweg, wenn Entwicklungsund Schwellenländer einen Nachholbedarf bei Wirtschaftswachstum und Wohlstand geltend machten, sagte DW-Intendant Erik Bettermann. Allerdings erlebten die Menschen dort die Bedrohung durch den Klimawandel „schon jetzt viel unmittelbarer als wir in unserer komfortablen Wohlfühlzone Europa“. Dies sei der Grund, warum – „nahezu unbemerkt von der hiesigen Medienwelt“ – in den Ländern des Südens vieles auf den Weg gebracht werde, die eigene Zukunft zu sichern. „Gleichwohl müssen das öffentliche Bewusstsein, das Wissen und die Kompetenzen der Menschen in diesen Ländern noch gestärkt werden. Hier sind die Medien gefordert.“ Die DW bot in diesem Sinne die internationale Plattform für den „Auf bruch ins Bewusstsein“, wie der Intendant formulierte. Migration und Klimawandel, Landraub und unkontrolliertes Abholzen des Regenwaldes, Klimawandel und Armut in Westafrika, Einschränkung der Menschenrechte durch den Klimawandel, Religion und Umweltzerstörung, Traumatisierung durch Katastrophen wie Erd-
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»Das Forum hat mir eine exzellente Gelegenheit geboten, Kontakte zu knüpfen. Ich habe Menschen getroffen, die ich kannte, und viele neue kennengelernt. In dieser Hinsicht war es sehr erfolgreich und hilfreich.« Stephen Leahy, Freier Journalist, Kanada »Das Konzept, Medienmacher und -nutzer zusammenzubringen und zu vernetzen, die sich für das Thema Klimawandel interessie ren und engagieren, ist sicherlich aufgegangen.« Julia Tiernan, realeyz tv, Berlin
»Anstatt mit dem Finger auf die Politiker zu zeigen, müssen wir selbst Verantwortung übernehmen.«
»Ich nehme eine Menge mit aus den Präsentationen in diversen
Frank Appel, Vorstandsvorsitzender Deutsche Post
Veranstaltungen. Und es war sehr aufschlussreich, viele interes
DHL (hier mit Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist)
sante Leute zu treffen.« Manava Sivakumar, Meteorologin, Genf
beben und Hochwasser – allein diese komprimierte Auflistung vermittelt einen Eindruck von den Facetten, die diskutiert wurden und immer wieder auf die Kernfrage der Konferenz zurückführten: Wo stehen die Medien mit ihrer Berichterstattung? Der Kölner Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar brachte es selbstkritisch auf den Punkt: „Wir haben heute erfahren, dass wir uns in der Vergangenheit zu sehr auf ein Molekül, nämlich CO2, konzentriert haben und zu wenig auf die Menschen. Wir haben zu viele Eisbären gezeigt und zu wenige Menschen, die betroffen sind.“ Ähnlich formulierte der jüngste Klimaschützer der Konferenz, Felix Finkbeiner (12), der sein Projekt „Plant for the Planet“ vorstellte: „Es geht uns Kindern nicht um den Polarbären, sondern wir engagieren uns für unsere Zukunft. Wir werden die Probleme nur lösen können, wenn wir zusammenarbeiten. Die Medien gehören als ein wichtiger Teil dazu.“ Voraussetzung ist eine freie und unabhängige Berichterstattung, die Transparenz erlaubt. Was vielerorts nicht möglich ist. Das machte beispielsweise Argaw Ashine, Direktor des Äthiopischen Umweltjournalisten-Verbandes deutlich. Eine unzensierte Presse gebe es in seinem Heimatland nicht. Dennoch sei er sich sicher, als Journalist etwas bewegen zu können: „Unsere Rolle ist es, Öffentlichkeit, Politiker und andere Entscheidungsträger zu informieren. Wir müssen ein Forum schaffen, das zur Diskussion einlädt. Medien sollten ein Teil der Lösung und nicht ein Teil des Problems sein.“ Sein Beispiel, wie das des chinesischen Umweltjournalisten Liu Jianqiang, zeigt: Zu einer konsequenten Haltung gehört viel
»Besonders gelungen fand ich die ebenso unge wöhnliche wie kreative Auswahl der KeynoteSpeaker. Diese haben einen einzigartigen und positiven Akzent in die Konferenz gebracht.« Antonia Koop, PECOJON International, Cebu City, Philippinen
»Sie haben eine großartige Konferenz auf die Beine gestellt. Ich wünschte, die Planer der Kopenhagener Klimakonferenz hätten sich bei Ihnen Tipps geholt!« Adil Najam, Boston University, USA
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»Die Konferenz hat gezeigt: Klimawandel wird dann interessant, wenn die Medien zeigen, dass es die Menschen betrifft.« Chandra Bhushan, Centre for Science and Environment, Indien
»Es geht uns Kindern nicht um den Polarbären, sondern um unsere Zukunft.« Felix Finkbeiner, Plant for the Planet »Ich möchte Ihnen vielen Dank sagen für die Möglichkeit, am Deutsche Welle Global Media Forum teilnehmen zu können. Es war alles wunderbar!« Maria Gabriela Ensinck, El Cronista, Argentinien »Wir haben durch die Diskussionen viele Informationen mitgenommen. Das wird unsere Berichterstattung über verschiedene Themen verbessern und anreichern.« Sarah Zawedde, New Vision, Uganda »Ich bin bezogen auf die Inhalte und die Art und Weise der Durchführung der Veranstaltung beeindruckt.« »Man kann keinen Windschutz gegen den Wind of
Christian Henschke, Universität Kassel
Change errichten – besser wir bauen Windräder.« Ulrik Haagerup, Nachrichtenchef, Morgenavisen,
»Ich bin überzeugt, dass diese Konferenz ein großer Schritt
Jyllands-Posten und NORDDJYSKE Media, Dänemark
war, das Deutsche Welle Global Media Forum zu einem ,Davos für globale Medienentwicklungen‘ zu machen.« Reinier Schaper, Synovate, Amsterdam, Niederlande
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Mut. Im Workshop über Risiken des Umweltjournalismus schilderten noch weitere mutige Vertreter ihres Faches, welchen Gefahren sie in ihrem Land ausgesetzt seien, wenn sie den Finger in die Umwelt-Wunden legten – oder gar die Verantwortlichen beim Namen nennen würden. Eine nicht in die Tiefe gehende Analyse wissenschaftlicher Erkenntnisse seitens der Medien wurde in zahlreichen Runden diskutiert – und moniert. Bob Ward vom Londoner Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment attestierte den Medien in Großbritannien „Ignoranz in den Interviews“. Es sei erstaunlich, dass viele von ihnen in der Klimadebatte „nicht den Unterschied zwischen Fakten und Fiktion erkennen“. Der angestrebte Dialog zwischen Wissenschaft und Medien hat es nach wie vor schwer – auch das eine Erkenntnis des Forums. Aimable Twahirwa aus Ruanda über sein Land: „Es gibt nur wenige spezialisierte Journalisten in den Redaktionen und Wissenschaftler fürchten, dass Journalisten ihre Ergebnisse verzerren.“ Eine fundierte Ausbildung und mehr Schulungen für Journalisten, wie sie die Akademie der Deutschen Welle nicht nur in Ländern Afrikas mit Erfolg durchführt, könnten Wissen und Kompetenz verbessern helfen. Als große Chance wird offenbar die Vernetzung über neue Medien und soziale Netze gesehen. Hier könnten sich Medienvertreter mit Wissenschaftlern auseinandersetzen und voneinander lernen. Gutes Beispiel ist das Blog „Ushahidi.com“, eine in Afrika entwickelte Plattform, Sieger im diesjährigen Weblog-Award The BOBs der DW. Anlässlich der Preisverleihung auf dem Deutsche Welle Global Media Forum erklärte Erik Hersman, einer der Begründer, die Plattform verändere „die Art und Weise, wie Informationen fließen bei Ereignissen, bei denen Menschenrechte gefährdet sind“. Ushahidi ermöglicht es, Informationen aus Konfliktregionen und Katastrophengebieten auf einer interaktiven Karte zu zeigen. Ushahidi mag stellvertretend für den Appell stehen, der von der Konferenz an die Medien
ausgeht: Diese sollten nicht nur die Probleme benennen, sondern gemeinsam mit Wissenschaftlern und Betroffenen vor allem über Projekte berichten, die mögliche Lösungen aufzeigen, damit diese in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Dazu zählt auch das Projekt „Solar Impulse“, das der Schweizer Abenteurer Bertrand Piccard in Bonn vorstellte. Mit seinem Solarflieger will er die Erde umrunden, um den Pioniergeist zu beflügeln und einen Weg aus der „Sackgasse der fossilen Brennstoffe“ aufzuzeigen, wie er sagte. Nach seiner Überzeugung haben die Medien „nicht mehr nur die Aufgabe zu informieren. Sie müssen auch ermutigen und teilhaben am Bewusstseinswandel“. ——
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»Medien sollten Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sein.«
Die Farben des Wassers Der Künstler und Fotograf Sven Hoffmann präsentierte begleitend zum Deutsche Welle Global Media Forum im Funkhaus seine Ausstellung „aqua globalis“. Thema: die farbliche Vielfalt des Wassers in Fotografien aus unterschiedlichen Regionen der Welt sichtbar machen. Wasser wird in diesem Jahrtausend der wichtigste Rohstoff der Menschheit sein. Davon ist der Künstler überzeugt. Für sein Projekt „aqua globalis“ ist er weit gereist, hat in verschiedenen Ländern die Farben des Wassers, die vielfache Bedeutung des Wassers und die Assoziationen, die Menschen mit Wasser verbinden, in Bildern festgehalten. www.art-photographie.de
Die Perspektiven der Kinder
Am Veranstaltungsort, im World Conference Center Bonn, war die Ausstellung „Children’s pictures challenge climate change“ zu sehen. Sie zeigt Bilder aus einem internationalen Kindermalwettbewerb zum Thema Umwelt aus den Jahren 2005 bis 2009. Ausgerichtet wurde er von der Bayer AG und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Bayer-Vorstand Wolfgang Plischke (r.) und DW- Intendant Erik Bettermann eröffneten die Ausstellung. www.unep.bayer.com
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profil
DEUTSCHLANDBILD
Ich bin stolz auf dieses Land Berlin – Heather De Lisle ist „Amerikanerin, Besatzungskind, Bürgerin mit Migrationshintergrund, Fernsehmoderatorin – und vor allem Berlinerin“, wie sie herausstellt. Die Bundeshauptstadt ist ihr Zuhause.
Heather De Lisle moderierte bereits mit 15 Jahren ihre erste Radiosendung bei AFN (American Forces Network) in Berlin. Als Tochter der Radiolegende Rik De Lisle war ihr dieser Weg in die Wiege gelegt worden. Seit ihrem siebten Lebensjahr ist sie auch als Synchronsprecherin tätig. Seit 1995 arbeitet De Lisle beim Fernsehen der Deutschen Welle in Berlin – zuerst als Wetterfee, später als Sportmoderatorin. Heute moderiert sie das Journal und das Wissenschaftsmagazin Tomorrow Today. Außerdem ist sie Korrespondentin für ABC News Radio in New York.
Zur Welt gekommen bin ich im größten USMilitärkrankenhaus Deutschlands, in Landstuhl, Rheinland-Pfalz. Mein Vater war bei der Luftwaffe, meine Mutter bei der Armee. Seit 1979 wohne ich – von ein paar Ausnahmen abgesehen – in Berlin. Und ich habe öfters Heimweh. Denn mein Berlin existiert heute nicht mehr. Die Mauer fehlt mir nicht, die Teilung Deutschlands auch nicht. Ich kann die Leute nicht verstehen, die sich die DDR zurückwünschen oder die Mauer wieder auf bauen wollen. Das ist Quatsch. Deutschland ist jetzt ein Land, und das ist gut so. Aber Heimweh habe ich trotzdem, denn die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr. Die Kaserne, wo ich meine erste große Liebe traf, ist jetzt ein Baumarkt. Das Kino, wo ich zum ersten Mal geküsst wurde, ist jetzt ein Museum. In Uniform sieht man nur alle paar Wochen mal einen Bundeswehrsoldaten am Bahnhof, aber das Meer aus freundlichen grünen Soldaten ist verschwunden. Und die Panzer, die fehlen mir wahrscheinlich am meisten. Als ich klein war, war dieses Geräusch für mich das schönste der Welt. Es bedeutete Sicherheit, Geborgenheit, es sagte mir, dass die bösen Sowjets immer noch nicht gewonnen hatten. Und während der Schulzeit bedeutete es: mindestens zehn Minuten lang kein Unterricht, weil die Dinger so verdammt laut waren. Heute wohne ich in Berlin-Mitte, im ehemaligen Ostteil der Stadt. Der nächstgelegene
S upermarkt liegt im ehemaligen Westen. Wenn wir einkaufen gehen, hüpfe ich Hand in Hand mit meinem Sohn über die Pflastersteine, die verlegt wurden, um die ehemalige Mauer symbolisch nachzustellen. Ich versuche, ihm zu erklären, wie das damals war mit der Mauer. Er versteht es nicht. Er wurde im 21. Jahrhundert geboren und kennt eben nur die Freiheit. Und das ist auch gut so. Aber die Kinder dürfen auch nicht vergessen, was damals alles passierte.
Berlinern wie eine Waschechte Als ich am 9. November 2009 für die DW in einem gläsernen Studio am Brandenburger Tor stand und die Sondersendung zum 20. Jahrestag des Falls der Mauer moderierte, standen mir mehr als einmal Tränen in den Augen. Mein Vater, mein Großvater und Hunderttausende alliierte Soldaten haben für diesen Moment gekämpft. Sie haben für ein freies Deutschland gekämpft. Als Ronald Reagan seine berühmte Rede hielt, saß ich als Grundschülerin ganz vorn mit meinen Klassenkameraden. Sie hatten uns US-Fähnchen in die Hand gedrückt, um ein besseres Bild für die Presse abzugeben. Ich wedelte mit meiner Flagge und freute mich. Ich wusste nicht, was der Präsident sagte oder welche Bedeutung es hatte. Ich wusste nur, dass ich – wie so viele Kinder in meiner Klasse – in Deutschland war, weil unsere Eltern einen wichtigen Job hatten, nämlich die Freiheit zu verteidigen.
profil
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Was ist typisch deutsch? Mein Vater entschied sich, in Deutschland zu bleiben, nachdem er seine 20 Jahre bei der Luftwaffe abgedient hatte. Er sorgte immer dafür, dass seine Kinder so weit wie möglich „integriert“ wurden in das neue Heimatland. Wir sollten die Sprache anständig lernen, uns hier wohlfühlen und nicht wie Ausländer behandeln lassen. Nun hat es bei mir mit der Grammatik nicht ganz geklappt, aber Berlinern kann ich wie eine Waschechte. Und die berühmte Berliner Schnauze habe ich auch. Ich kehrte nach der Schule zunächst in die USA zurück, fühlte mich aber nicht so richtig wohl. Und bin jetzt seit über 15 Jahren wieder zu Hause. In Berlin.
Berlin – Im August stehen unter anderem foodwatch-Gründer und Buchautor Thilo Bode und Bundesinnenminister Lothar de Maizière auf der Gästeliste. „typisch deutsch“ ist das Gesprächsmagazin auf DW-TV. Boris Claudi stellt die Sendung vor. Der typische Durchschnittsdeutsche lebt in Nordrhein-Westfalen, hat ein Kind (es heißt entweder Marie oder Leon), einen Schäferhund und macht gern Urlaub in Bayern. So hat es das Statistische Bundesamt ermittelt – zuverlässig, akkurat und leicht pedantisch, typisch deutsch eben. Aber Max Mustermann war bisher noch nicht zu Gast bei typisch deutsch. Hier ist vielmehr jeder interessant, der in Deutschland lebt oder lange gelebt hat, sich hier auskennt und sich mit Land und Leuten auseinandergesetzt hat – jeder,
Neue Impulse für die eigene Kultur Heute freue ich mich über Deutschland, und mit Deutschland. Ich bin stolz auf dieses Land, auch wenn dieser Satz noch nicht ganz salonf ähig ist. Mein Sohn besitzt beide Staatsbürgerschaften und hat bei der WM abwechselnd das US- und das Deutschland-Trikot getragen. Er möchte auch mal für sein Land Fußball spielen. Wenn man ihn fragt, welches Land das denn sei, zuckt er mit den Schultern und sagt: Na, beide! Das ist Integration, und das ist meiner Meinung nach das neue Gesicht Deutschlands. Genau so wie die Nationalmannschaft. Eine Mischung aus Müllers und Khediras. Auf der Straße höre ich jeden Tag eine Mischung aus verschiedenen Sprachen. Das heißt nicht, dass das grundlegend „Deutsche“ verschwunden ist. Es wurde nur ergänzt. Deutschland ist eine multikulturelle Gesellschaft geworden, und das finde ich herrlich. Die eigene Kultur geht dabei nicht unter, sondern erhält neue Facetten und neue Impulse. Und das Land findet langsam wieder zu sich selbst. Bei der WM hat dieses neue Deutschland allen anderen gezeigt, wo es langgeht. Nun hat es mit dem Titel nicht geklappt, aber zumindest wurde man erst durch den nun amtierenden Weltmeister gestoppt. 2014 wird wohl eine ähnlich multikulturelle Mannschaft auftreten, und dann klappt es auch mit dem Titel. Und mit Deutschland. ——
für den Deutschland ein Stück Heimat ist.
Ziel des Magazins ist es, die deutsche Mentalität zu vermitteln und in der Summe der Sendungen ein buntes Bild von Deutschland zu zeigen. Ob prominent oder mit einer außergewöhnlichen Lebensgeschichte, jeder Gast hat eine halbe Stunde Zeit, um Einblicke in seine Persönlichkeit und seine Ansichten zu gewähren. Die Moderatoren Hajo Schumacher und (in der englischen Sendung talking germany) Peter Craven sprechen mit ihrem Gast über Biografisches ebenso wie über aktuelle gesellschaftliche Themen. Film-Beiträge ergänzen das Gespräch. Dabei greift DW-TV auf ausgewähltes Material von ARD und ZDF zurück. Was ist typisch deutsch? Diese Frage stellt Hajo Schumacher jede Woche seinen Gästen mehr nebenbei. Und die Antworten sind so vielfältig und abwechslungsreich wie unsere inzwischen über 100 Gesprächspartner. Gast der Sendung waren unter anderem Margot Käßmann, Wolf Biermann und Volker Schlöndorff, Marianne Birthler und Philipp Rösler. Auch Paul Breitner, Doris Dörrie, Günter Wallraff, Kent Nagano und Reinhold Messner waren schon im DW-Studio. Sie waren fast alle pünktlich und gewissenhaft, ordentlich sowieso, aber – wer hätte das gedacht – auch meist sehr humorvoll. Die Sendung lebt von der Spannung zwischen Gast und Moderator. Und weil Hajo Schumacher und Peter Craven ihren eigenen Stil haben, entstehen trotz identischen Aufbaus immer unverwechselbare Sendungen. Mal sehen, ob auch Neugier typisch deutsch ist. Schauen Sie doch mal rein! www.dw-world.de/typischdeutsch, www.dw-world.de/talkinggermany
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Albanien: „Adieu Bunker – Bonjour L’ Europe“ Tirana – Die DW hat Anfang Juli die multimediale Dokumentation „Adieu Bunker – Bonjour L’Europe“ bei einer Pressekonferenz der Deutschen Botschaft und des Goethe-Instituts in der albanischen Hauptstadt Tirana vorgestellt. Der Anlass: Vor 20 Jahren, im Juli 1990, suchten mehr als 3.000 albanische Bürgerinnen und Bürger Zuflucht in der Deutschen Botschaft – der Anfang vom Ende der kommunistischen Diktatur in Albanien. Die Dokumentation enthält Interviews und Porträts von Menschen, die dabei waren. Eine Podiumsdiskussion zum Thema veranstalten Goethe-Institut, Deutsche Botschaft und DW am 29. Oktober in Tirana. Im Bild: Lindita Arapi-Boltz, Albanische Redaktion.
„Ruhr 2010“: Still-Leben mit Aktiv-Posten Duisburg – Die Deutsche Welle war am 18. Juli mit einem Tisch bei der Aktion „Still-Leben. Ruhrschnellweg“ auf der gesperrten Autobahn A 40 vertreten. 20.000 Tische wurden aneinandergereiht und bildeten eine etwa 60 Kilometer lange Tafel. Unter dem Motto „Wir zeigen Redaktion“ produzierten DW-Volontäre und Studenten der International Media Studies Online- und Radiobeiträge – zu lesen und zu hören auf den DW-Seiten. Über die europäische Kulturhauptstadt „Ruhr 2010“ berichtet die DW in 30 Sprachen, in Hörfunk, Internet und Fernsehen. Zum Beispiel in der Sendung KULTUR.21, im Reisemagazin hin & weg und in Dossiers auf den DW-Seiten. www.dw-world.de/kultur
Afrika: Despoten auf der Anklagebank Berlin – Wie kann in Gesellschaften, in denen Massaker verübt wurden oder Staatsterror geherrscht hat, Frieden zwischen noch lebenden Opfern und Tätern gefunden werden? Hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (im Bild der angeklagte Kongolese Thomas Lubanga) die erforderliche Autorität und Akzeptanz? Darum geht es am 21. September ab 10 Uhr auf einer Tagung von KonradAdenauer-Stiftung und DW. Über „Alles was recht ist. Internationale Strafgerichtsbarkeit in Afrika“ diskutieren unter anderen Fatou Bensouda vom Internationalen Strafgerichtshof und Jerome J. Verdier von der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Liberia. anmeldung-berlin@kas.de
Vietnam: Umwelt-Workshop und Auszeichnung Hanoi – Einen Workshop zum Umweltjournalismus hat die DW-AKADEMIE in der vietnamesischen Hauptstadt durchgeführt. Drei Wochen lang schulten Trainer Journalisten des staatlichen Auslandsradios The Voice of Vietnam (VoV). Auf der Agenda standen unter anderem Recherchen im Nationalpark Phong Nha-Ke Bang, laut UNESCO schützenswertes Naturerbe. Die Teilnehmer führten Interviews und produzierten ein 45-minütiges Umweltmagazin. Der Leiter des Workshops, Thorsten Karg, erhielt für seinen langjährigen Einsatz für die journalistische Fortbildung in Vietnam vom stellvertretenden VoV-Intendanten Dao Duy Hua die Auszeichnung „For the cause of Radio Broadcasting“.
Indien: Gewinnerfoto mit überflutetem Tempel Bonn – Der Gewinner des weltweiten Fotowettbewerbs „Hot Shots – Your View On Climate Change“ der DW kommt aus Indien: Sudipto Das. Sein Foto zeigt zwei Jungen, die in der indischen Stadt Varanasi in den Ganges springen – von einem Tempel, der überflutet ist. Damit macht Sudipto Das auf den Anstieg des Meeresspiegels aufmerksam. Die DW hatte Motive gesucht, die Folgen des Klimawandels oder Projekte zum Klimaschutz darstellen. Der zweite Preis ging an Loreto Martínez González aus Chile, dessen Bild Dürre in der Region Tarapaca darstellt. Mit dem dritten Preis wurde Hermann Hüttler aus Brasilien ausgezeichnet. www.flickr.com/photos/climate_eyes
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Bei den Preußen Asiens Ho Chi Minh Stadt – Die DW hat auf dem jüngsten Regionaltreffen des World Economic Forum in Ho Chi Minh City eine Talkshow produziert. Zahlreiche asiatische Staatschefs, Minister und das „Who is Who“ der asiatischen Wirtschaft trafen sich in der vietnamesischen Metropole. Manuela Kasper-Claridge, Leiterin der Wirtschaftsredaktion von DW-TV, berichtet.
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Eigentlich sollte er Englisch sprechen, der Regisseur des staatlichen Vietnam Television in Ho Chi Minh Stadt. Tatsächlich spricht er nur Vietnamesisch. So muss DW-Regisseur Michael Meier bei 35 Grad im Schatten Zeichnungen kritzeln und gestikulieren, um gemeinsam mit den Partnern eine Talkshow produzieren zu können. In wenigen Stunden soll die „DW Debate“ auf dem World Economic Forum (WEF) aufgezeichnet werden. Die Standards des deutschen Auslandsfernsehens durchzusetzen ist nicht einfach. Die Vietnamesen improvisieren gern und haben andere optische Vorstellungen. Zum ersten Mal findet in diesem Juni das WEF-Regionaltreffen in Ho Chi Minh Stadt statt. Südostasien boomt und Vietnam ist mit Wachstumsraten von rund acht Prozent vorn mit dabei. 86 Millionen Menschen leben hier, das Durchschnittsalter liegt bei 24 Jahren. Alle wollen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben, nicht umsonst gelten die Vietnamesen als „die Preußen Asiens“. In Ho Chi Minh Stadt entstehen an vielen Ecken Wolkenkratzer, die Immobilienpreise erreichen in einigen Straßen schon New Yorker Niveau. Manch einer der ausländischen Investoren spricht sogar von „Manchester-Kapitalismus“. Tatsächlich wirken die Propagandaplakate der kommunistischen Partei etwas verblichen. Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen, denn die KP hat das Land politisch fest im Griff, auch wenn man in der Wirtschaft auf Liberalisie-
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rung setzt. Mir wird ein permanenter Aufpasser zugeteilt. Herr Tanh ist eigens aus Hanoi eingeflogen und macht sich freundlich lächelnd Notizen, ohne jemals einzugreifen. Das Technikteam von DW-TV übt sich vor Ort in der Kunst der Improvisation. Am Ende läuft die Aufzeichnung wie am Schnürchen und es gibt viel Applaus. Auf dem Podium diskutieren Minister und Unternehmenschefs mit DW-Moderatorin Amrita Cheema-Behrendt darüber, ob das Wachstum in Asien nachhaltig und ökologisch sein wird. „Years of the Green Tigers?“ – so das Thema. Der große Ballsaal ist voll, das Publikum diskutiert mit. WEF-Gründer Professor Klaus Schwab, der sich am Rande der Konferenz mit DW-Intendant Erik Bettermann trifft, schätzt nicht nur das Programm der DW. Er stellt auch die Zusammenarbeit im Bereich „Young Global Leaders“ und „Social Entrepreneurs“ heraus. DW-TV porträtiert im Magazin Global 3000 herausragende Sozialunternehmer, die von der Schwab Foundation für ihr unternehmerisches und soziales Engagement ausgezeichnet wurden. „Diese Art, unternehmerisch zu handeln, wird weltweit an Bedeutung zunehmen“, sagt Schwab. Die Krise des Kapitalismus werde auch auf dem World Economic Forum in Davos wieder diskutiert werden. Die in Ho Chi Minh Stadt produzierte Talkshow ging derweil wenige Tage später auf Sendung – via DW-TV im gesamten asiatischen Raum, in einwandfreiem Englisch. ——
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„Years of the Green
Tigers?“: Thema der DW-Veranstaltung mit (v.l.) Carl Lukach, Präsident, DuPont Asia Pacific Limited, Japan, Moderatorin Amrita Cheema-Behrendt, Deutsche Welle, und Yoon Jong-Soo, stellvertretender Umweltminister, Südkorea
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„Wirtschaftsthemen sind hier gefragt“
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Atomenenergie – in Südkorea ein
Standbein, um die Abhängigkeit von Kohle und Öl zu mindern: der Reaktor in Ulsan
Seoul – Fragen aus der Wirtschaftsredaktion von DW-TV an Jürgen O. Wöhler, Geschäftsführer der Deutsch-Koreanischen Industrie- und Handelskammer in Seoul – zur Bedeutung Grüner Technik, deutscher Unternehmen und der Deutschen Welle in der Region.
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Wie hat die Region die Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt? Südkorea ist unter den OECD-Staaten mit am schnellsten durch die Krise gekommen. Ursache war eine gute Finanzpolitik mit niedrigem Diskontsatz, gepaart mit einer massiven staatlichen Konjunkturpolitik, unter anderem dem „Green Growth Plan“. In Bau, Infrastruktur und Hochtechnologie werden bis 2012 umgerechnet rund 28 Milliarden Euro investiert. Der Bankensektor blieb relativ stabil. Korea ist auch dadurch gut durch die Krise gekommen, dass China, der mit Abstand wichtigste Partner, kaum Konjunktureinbußen erlebte. Die Zeichen stehen wieder auf Wachstum – für 2010 sind 5,4 Prozent prognostiziert. Dies hören wir auch von unseren über 475 Mitgliedern. Für das Umfeld ist auch wichtig, dass Korea über 60 Prozent des Außenhandels mit Asien abwickelt, das eine Wachstumslokomotive der Weltwirtschaft bleiben wird.
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Südkorea will verstärkt im Bereich Grüne Technik investieren. Warum? Weil das Land keine natürlichen Energieressourcen hat und beispielsweise Kohle und Öl importiert. Um diese Abhängigkeit zu mindern, wird zum einen die Atomenergie ausgebaut. Zum anderen setzt die Regierung auf erneuerbare Energiequellen, die aber momentan erst rund zwei Prozent des Energiebedarfs decken. Nach deutschem Muster wurde ein Einspeisetarif eingeführt, der allerdings zu 100 Prozent aus Steuermitteln und nicht von den Verbrauchern finanziert wird. Mittlerweile hat sich die lokale Industrie, zum Beispiel im Bereich Photovoltaik, so gut entwickelt, dass – wie in Deutschland – auch für den Export produziert wird. Gerade wegen der hohen Bevölkerungsdichte in der
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Region – in Südkorea doppelt so hoch wie in Deutschland – wird Grüne Technik noch weiter ausgebaut werden.
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Wächst das Interesse deutscher und internationaler Unternehmen? Das Interesse an Korea wächst eindeutig, das können wir unter anderem an der steigenden Beratungsnachfrage in unserer Außenhandelskammer spüren. In jüngster Zeit waren es vor allem Unternehmen aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien, die nach Korea kamen. Meistens handelt es sich um spezialisierte Zulieferer für Komponenten, die in Anlagen zur Produktion von Solar- und Windkraftanlagen eingesetzt werden. Auch der klassische deutsche Maschinenbau und Unternehmen aus den Bereichen Konsum- und Markenartikel sind im kauf kräftigen koreanischen Markt verankert und verstärken ihre Präsenz.
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Sind deutsche Unternehmen in der Region gut aufgestellt? In Südkorea ist die deutsche Industrie mit über neun Milliarden US-Dollar akkumulierten Investitionen bestens etabliert. Deutschland ist aus koreanischer Sicht der sechstwichtigste Handelspartner und deutsche Firmen beschäftigen über 100.000 Mitarbeiter in Korea. Da rund 40 Prozent aller EU-Exporte nach hier aus Deutschland stammen, hoffen wir alle auf eine zügige
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Ratifizierung des Freihandelsabkommens (FTA) zwischen der EU und Korea, die für dieses Jahr erwartet wird. Motor für die Weltwirtschaft ist nicht nur, wer viel produziert und konsumiert, sondern auch wer gut ausbildet und Innovationen hervorbringt. Hier sehe ich Deutschland hervorragend aufgestellt. Insofern ist es verständlich, dass andererseits Deutschland ein Schwerpunkt asiatischer, vor allem koreanischer Investitionen in Europa ist.
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Das TV-Angebot der DW ist in Asien in deutscher und englischer Sprache zu empfangen. Welche Bedeutung hat die DW im Wettbewerb mit anderen internationalen Sendern in der Region aus Ihrer Sicht? Für im Ausland lebende Deutsche ist sie die Verbindung zur Heimat. Gleichzeitig spricht sie die vielen an deutscher Kultur und Sprache interessierten Menschen an, etwa Koreaner, die Deutsch lernen und später vielleicht in Deutschland studieren möchten. Es gibt in jedem Jahr über 5.000 koreanische Gaststudenten an deutschen Hochschulen. Wichtig ist die DW auch als Korrektiv zur anglo-amerikanischen Meinungsdominanz bei den internationalen Nachrichten. Wirtschaftsthemen, insbesondere wenn Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarn oder globalen Entwicklungen dargestellt wird, sind hier gefragt. ——
Jürgen O. Wöhler Jahrgang 1950, ist seit April 2007 Geschäftsführer der Deutsch-Koreanischen Industrie- und Handelskammer in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Zuvor war er 20 Jahre bei der Landesbank BadenWürttemberg in Stuttgart, zuletzt als Executive Vice President. Von 1983 bis 1985 war er Beauftragter des Landes Baden-Württemberg in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Davor war er im Innenminis terium in Stuttgart tätig. Wöhler, der bereits von 1985 bis 1987 in der AHK Seoul tätig war, ist Honorarprofessor an der HUFS-Universität in Seoul und als Schiedsrichter am Korean Commercial Arbitration Board zugelassen und aktiv. Veröffentli-
02 Joint Venture in Südkorea: SolarWorld produziert Module in Seoul
chungen: Märkte Ostasiens (1997), More Profit – Less Risk (2005), Korea auf einen Blick (2007).
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Perspektiven in der verkehrten Welt
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Gemeinsame Stärke als Vision:
Flaggen von Mitgliedsländern der Afrikanischen Union in Addis Abeba
Addis Abeba – 17 Staaten Afrikas blicken auf 50 Jahre Unabhängigkeit zurück. Grund zur Freude oder Gelegenheit, eine bittere Bilanz zu ziehen? Die Erfolge in Sachen Demokratie und Entwicklung fallen unterschiedlich aus. Der beste Weg, um aus neuen Abhängigkeiten einer globalisierten Wirtschaft auszubrechen, ist eine starke und wirkungsvolle Afrikanische Union, meint Ute Schaeffer, Leiterin der Afrika-Redaktion, und blickt nach vorn. Afrika im Jahr 2050: Der Kontinent hat sein rasantes Bevölkerungswachstum gebremst, rund 1,3 Milliarden Menschen leben dort. Ohne Visum reist man von Land zu Land, auch die Währung muss man nicht mehr tauschen – statt mit Euro und Dollar zahlt man mit einer gemeinsamen afrikanischen Währung. Nigeria und Angola versorgen die weiterverarbeitende Industrie in den Nachbarstaaten mit Öl und Gas. Baumwolle aus Burkina Faso wird auf den Märkten der Nachbarn nachgefragt, die Baumwolle in Burkina selbst auch veredelt und zum fertigen Produkt verarbeitet. Die Gewalt in Somalia ist beendet, die Kriegsverbrecher des Bürgerkriegs werden vor dem Panafrikanischen
„Wir alle sind Afrikaner“ Die Fußball-WM in Südafrika ist vorbei – und damit auch die Berichterstattung, die uns ein ungewohntes, fröhliches Bild von Afrika zeigte. Ludger Schadomsky legt nach: In seinem soeben erschienenem Sachbuch gibt er einen lebendigen Einblick in den 53-Staaten-Kontinent – jenseits der oftmals stigmatisierenden Berichterstattung, meint Nadine Wojcik.
B u c h t i p p
Das durchweg unterhaltsame Kindersachbuch über einen Kontinent im Wandel eignet sich nicht nur für junge Leser. „Wir alle sind Afrikaner“ – überrascht
Gerichtshof zur Rechenschaft gezogen. Ein vorsichtiges Wirtschaftswachstum ist zu verzeichnen, es liegt bei acht bis zehn Prozent. Afrika ist im UN-Sicherheitsrat vertreten, afrikanische Blauhelme werden in Konflikten in Asien oder Europa eingesetzt… Eine verkehrte Welt? Naive Illusion? Nicht, wenn es nach dem erklärten politischen Willen der Mehrheit der afrikanischen Regierungen geht. Entschlossen haben sich die Staaten Subsahara-Afrikas auf den Weg zu mehr Einheit, mehr Stärke und Geschlossenheit gemacht. Sichtbares Zeichen sind die riesigen Beton-Gebäude der Afrikanischen Union in Addis Abeba. Hier, am Sitz der Staatengemeinschaft Afrikas,
chadomsky zunächst und meint damit, dass die S Wiege der Menschheit in Afrika steht, was er lebhaft anhand von archäologischen Grabungsarbeiten in Malawi und den Entdeckungen der ältesten Funde menschlicher Knochen beschreibt. Gleich darauf räumt er mit weiteren Vorurteilen auf, indem er das primitive und pestverseuchte Europa des Mittelalters der Hochkultur Timbuktus gegenüberstellt. „Moment! Sollte man nicht denken, dass es genau anders sein müsste? Dass Epidemien und Hungersnöte mit Millionen Toten in Afrika toben und dass die reichen Händler und Gelehrten in Europa zu Hause sind? Doch es bedurfte keiner Europäer, (…) um Afrika Wissenschaft, Kunst und Kultur, kurz: Zivilisation zu bringen.“
ansichten
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wird die Zukunft des Kontinents gedacht und geplant. Und es werden ehrgeizige Ziele gesetzt: Seit 2004 gibt es ein panafrikanisches Parlament, es gibt bereits einen afrikanischen Gerichtshof, einen Sicherheitsrat seit 2003. Und Soldaten der Afrikanischen Union sorgen für Frieden – oder zumindest für ein Mehr an Sicherheit – im Sudan oder in Somalia, im Tschad oder im Kongo.
Afrika wird unabhängig 50 Jahre Unabhängigkeit feiern in diesem Jahr 17 Staaten Afrikas – und jeder Schritt mehr zu einer echten Staatengemeinschaft würde Afrika wirklich unabhängiger machen. Warum sollte man afrikanische Wälder noch länger an chinesische Firmen verkaufen, wenn es eine eigene Holz verarbeitende Industrie gäbe, eine kauf kräftige Mittelschicht entstünde, das Holz ohne Zollschranken auf anderen afrikanischen Märkten verkauft werden könnte? Wie ist es möglich, dass afrikanische Stoffmuster in Amsterdam, Maastricht oder in Peking auf Baumwolle gedruckt werden, um dann über den Seeweg wieder nach Afrika verbracht zu werden, um dort auf den Märkten als begehrte „holländische“ oder „chinesische Qualität“ ihre Käufer zu finden? Das ist die verkehrte Welt. Sie hält Afrika auch 50 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit in Abhängigkeit – und zwar abwechselnd von wirtschaftlichen Power-Playern beziehungsweise Gutmenschen aus dem Nordwesten. Afrika wird auf den Schnellzug der Schwellenländer nur aufspringen können, wenn es sich stärker zusammenschließt. Es kann aus der Rolle des ewigen Empf ängers nur ausbrechen, wenn es eigene Solidar- und Wirtschaftsgemeinschaften
Schadomsky stellt zahlreiche Erfolgsgeschichten vor: mutige Politikerinnen in Ruanda, das wirtschaftliche Vorzeigeland Botswana und die florierende nigerianische Videoindustrie „Nollywood“. Doch er spart die „3 K“ (Krieg, Korruption und Krankheit) nicht aus, beschreibt die verheerenden Folgen von AIDS und Malaria, ebenso des Klimawandels, der den afrikanischen Kontinent besonders hart trifft. Aber auch hier vermittelt er ein hoffnungsvolles Bild, indem er clevere Projekte vorstellt, die beispielsweise preiswertere Medikamente ermöglichen und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen. Hart geht der Autor mit der Entwicklungshilfe der Industrieländer ins Gericht. „Es hat nicht geholfen,
auf baut, die auch funktionieren. Es kann politische Einmischung von außen nur dann verhindern, wenn es selbst für Sicherheit sorgt. Politisch und sicherheitspolitisch funktioniert bereits einiges, manches braucht noch seine Zeit: So soll die afrikanische Zentralbank erst in 20 Jahren fertig sein, ein gemeinsamer Währungsfonds wird sicher noch länger dauern. Nur keine Ungeduld! Afrika ist auf einem guten und richtigen Weg, das zählt. Wie lange hat es in Europa gedauert, vom Einreißen der Schlagbäume in den Sechzigerjahren bis zur Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums? Wie überzeugend, wie widerspruchsfrei ist die Gemeinsame Außenpolitik unserer Europäischen Union heute?
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Afrika hat verstanden Sicher: Noch ist die politische Integration abhängig von einigen wenigen afrikanischen Staaten: Algerien, Südafrika, Libyen und Nigeria finanzieren zusammen fast die Hälfte des Haushalts der Afrikanischen Union (AU). Zukünftig sollen die Mitgliedsstaaten 0,5 Prozent ihres Haushalts für die AU bereitstellen – für arme Staaten wird es eine Ermäßigung geben. „Ja, aber“ lassen sich viele finden. Doch wer Lösungen will für die komplexen Entwicklungsaufgaben Afrikas, der muss nach Wegen suchen, auch wenn diese steinig sind oder sich länger hinziehen. Dass die Mehrzahl der afrikanischen Staaten diese politische Entschlossenheit beweist, zeigt: Afrika hat verstanden, dass es seine Zukunft und seine Entwicklung besser in die eigenen Hände nimmt, als dies anderen zu überlassen. ——
im Gegenteil, es hat alles nur noch schlimmer gemacht.“ Denn die Gelder würden zum Großteil in den Taschen afrikanischer Beamter und Politiker landen. Er beruft sich dabei auf den kenianischen Ökonomen James Shikwati und zitiert: „Die meisten Afrikaner würden es gar nicht merken, wenn die G elder gestrichen würden. Sie haben ja bislang auch nichts von dem Geld gesehen.“ Schadomsky, Leiter der Amharischen Redaktion der Deutschen Welle, war viele Jahre als Reporter in Afrika unterwegs. Er behandelt die Themen kurz und knapp, sehr anschaulich und in einer lebendigen Sprache – und wird so seiner jungen Zielgruppe gerecht.
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Demonstrative Zuversicht:
Fischerboote in Ghana
Afrika. Ein Kontinent im Wandel. Illustrationen von Ute Bettzieche. Arena-Verlag (Reihe Bibliothek des Wissens), Würzburg 2010, 144 Seiten, 9,95 Euro. Ab 10 Jahren.
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Sonnenblumen am Bildungsweg Macha – Wie ein Sonnenblumenbauer in Sambia über das hier seltene Glück eines Internetzugangs zum R adiomacher wird. Und warum die HörspielReihe Learning by Ear der Deutschen Welle ins Programm passt. Eine Reportage von Maja Braun.
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Ideale Zielgruppe für west-
liche Medien: Fred mit seinem Blackberry in Verbindung mit der Welt
Aarons Geschichte hat mich fasziniert. Noch vor ein paar Jahren war seine Ernte an Sonnenblumenkernen gerade erträglich. Die Kerne verkaufte er, das Öl zum Kochen kaufte er wieder ein. Viel mehr als das tägliche Brot sprang nicht heraus für seine Familie. Subsistenz-Wirtschaft, wie sie fast überall herrscht, wo afrikanische Bauern ihre kleinen Felder bestellen. Aber dann kam das Internet nach Macha. Aarons Heimatort liegt nur 200 Kilometer Luftlinie von Sambias Hauptstadt Lusaka entfernt. Aber die Gemeinde mit ihren 30.000 Einwohnern ist doch abgeschnitten von jeglicher Infrastruktur. Hierher führen nur schlechte Straßen und wenige Stromleitungen. Wie das Internet das Leben im Dorf verändern kann, merkte Aaron, als auf dem Feld seines Nachbarn Fred die Sonnenblumen plötzlich besser wuchsen. Fred hatte sich informiert. Auf der Internetseite der sambischen Landwirtschaftsbehörde hatte er gelesen, wie man Sonnenblumen effektiver anbaut. Dass Aaron wenig später selbst zum Internet-Nutzer wird, ist typisch für den technischen Auf bruchsgeist in Macha. Heute hat Aaron seine eigene Ölpresse und verkauft das überschüssige Sonnenblumenöl im Dorf. Was er von den Einkünften abzwacken kann, spart er: für eine größere Presse – made in Germany; er hat sie im Internet gesehen.
Sicher, bisher ist Aaron einer von sehr wenigen Bewohnern von Macha, die das Internet nutzen. Über 90 Prozent der Gemeinde haben keinen Stromanschluss, ein großer Stein, der den Weg in die Internet-Zukunft blockiert. Ein weiter und schwieriger Weg, weiß auch Fred. Der ehemalige Sonnenblumenfarmer managt heute die Organisation „Macha Works“. Unter diesem Dach finden sich alle Projekte, die mit Unterstützung des Internets entstehen: die Installation der erforderlichen W-Lan-Verbindungen, die Organisation von Second-Hand-Computern und anderen Spenden aus Europa – bis zur Einrichtung einer Bankfiliale.
„Radio Vision Macha“ Fred steht stellvertretend für eine Zielgruppe, wie sie sich westliche Medien für Afrika wünschen: jung, gebildet, technisch ausgestattet und mobil mit dem Rest der Welt in Verbindung. Mit seinem Blackberry steht Fred auf dem Feldweg, während ich Aaron das Mikrofon unter die Nase halte und ausfrage. Kann sein, dass Fred gerade seine letzten Klausur-Ergebnisse abruft – er studiert nebenbei Journalistik in einem E-Learning-Programm an einer südafrikanischen Universität. Oder er sagt seiner Frau, dass es heute später wird, weil die Gäste aus Deutschland noch die neue Radiostation sehen müssen. Klar, Fred kann sich dieses Equipment nur leisten, weil er Sponsoren gefunden hat. Klar ist auch: Menschen wie ihn findet man im überwiegend ländlichen Afrika so selten wie die berühmte Nadel im Heuhaufen.
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Freds Traum ist ein eigener Radiosender, dieser soll die Entwicklung in Macha für viele Menschen voran bringen: „Radio Vision Macha“ ist Freds ganzer Stolz. Mit dem Wunsch, Journalist zu werden, klopfte er vor sechs Jahren an die Tür von Geertjan van Stam. Der holländische Ingenieur war mit seiner Frau nach Macha gekommen, um am hiesigen Krankenhaus das Malaria-Forschungsinstitut zu unterstützen. Er war es, der die große Satellitenschüssel neben dem Institut auf baute für eine Internet-Verbindung zur Sponsor-Uni in den USA. Und van Stam war es auch, der meinte, das Internet könne doch für alle in Macha zugänglich sein. „Lokale Talente fördern“ lautet van Stams Motto. Gemeinsam mit Bewohnern baute er Internetverbindungen für mittlerweile 200 Computer in Macha. Nun sind vernetzt: das Krankenhaus, wo der Klinikmanager einen Onlinekurs für Ultraschall-Untersuchungen macht, Schulen, die sich mit Schülern in Europa verlinken, auch das Internetcafé für Leute wie Aaron. Für alles, was Geld kostet, ob Computer, Studiengebühren oder Krankenhausausstattung, findet van Stam Geldgeber in Sambia und Europa.
tägliches Lernen. Das Internet dafür zu nutzen ist unrealistisch. Denn auch wenn Fred selbst das Blackberry kaum aus der Hand legt – das meistgenutzte, preiswerte und nutzerfreundliche Medium für afrikanische Bedingungen bleibt das Radio. Ein „mobiles Endgerät“, für viele zu haben und von fast allen zu nutzen, unabhängig von ihrer Bildung. Deshalb passt auch das Angebot der Deutschen Welle in Freds geplantes Programm: Hörspiele mit Lerneffekt, geschrieben von afrikanischen Autoren, eingesprochen von Schauspielern aus Kenia, zugeschnitten auf afrikanische Jugendliche. Aber die Themen interessieren auch Erwachsene: Malaria, Politische Partizipation, Familienplanung oder Unternehmensgründung. „Learning by Ear“ nennen wir das – Bildung für alle und somit genau das, was Fred mit seinem Radio erreichen will. —— www.machaworks.org www.dw-world.de/learning-by-ear
„Mobiles Endgerät“ für viele Auch die Technik für Radio Vision Macha ist von großzügigen Niederländern finanziert worden. Seine Crew will Bald-Radiochef Fred allerdings selbst anlernen, wenn er sein Studium beendet hat. So wie er sein Wissen über Sonnenblumen weitergegeben hat, will er den Austausch unter den Nachbarn fördern und Input geben für
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Aaron erzählt von seinen
Zukunftsplänen: DW-Reporterin Maja Braun in Macha, Sambia
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Die große Satellitenschüssel
neben dem Malaria-Institut: eine Internet-Verbindung zur Sponsor-Uni in den USA
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Deckel drauf und
Ende? – Das Objektiv von Kamera-
Von Ölpest und Schmiergeld
mann Lars Scholtyssyk dokumentiert eine andere Realität der Ölkatastrophe und ihrer Folgen
Louisiana – Die Folgen der Ölkatastrophe am Golf von Mexiko werden noch lange nachwirken, auch wenn es für die Medien schwer wird, die Präsenz des Themas hoch zu halten. Und dabei stets an verlässliche Informationen zu kommen. USA-Korrespondent Miodrag Soric über das Öl und die Versuche von BP, die Medien zu manipulieren. „Das Flugzeug fliegt auch, wenn der Motor mal ausf ällt“, erklärt mir Pilot Cory Miller. Gut zu wissen, denke ich mir, und schaue ihn misstrauisch an. Der Mann hinter dem Steuerknüppel spricht, als ob er über Jahrzehnte die Küstengewässer von Louisiana abgeflogen sei. Dabei ist Cory gerade mal 24. Die EinpropellerMaschine dürfte etwa doppelt so alt sein, schätze ich, und deute auf die Roststellen am Rumpf. Alles halb so schlimm, winkt unser Pilot ab und lädt uns ein, Platz zu nehmen. Was macht man nicht alles für einen guten Fernsehbeitrag, g rüble ich... Es ist früh am Morgen. Ein klappriger Traktor schiebt unser Wasserflugzeug in einen etwa zehn Meter breiten Kanal. Der Motor heult laut auf und schon schweben wir über
dem Mississippi-Delta. Gleich vor mir öffnet Kameram ann Lars Scholtyssyk das seitliche Klappfenster, hält die Kamera raus und filmt. Es ist die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA. Tatsächlich erschließt sie sich einem erst, wenn man aus knapp 500 Metern Höhe darauf blickt. Gleich hinter dem Delta fliegen wir die umliegenden Küstengewässer ab – Öl so weit das Auge reicht. Wie ein riesiger Film liegt es auf dem Wasser, reflektiert das Sonnenlicht in Regenbogenfarben. Deutlich ist zu erkennen, welche Gewässer kontaminiert sind und welche nicht. Tonnen von Chemikalien, die BP versprühen lässt, haben den ansonsten schwarzen, schweren Rohstoff aufgelöst. Was übrig bleibt, erkennen wir später, wenn wir die Küstengewässer mit dem Boot abfahren: orange-
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farbene Partikel auf der Wasseroberfläche und faustgroße, lehmige Öl-Klumpen, die die Meereswellen hin und her schaukeln.
Achtung: Journalisten an Bord! Nach einem eineinhalbstündigen Flug landen wir zu meiner größten Überraschung sicher in einem Vorort von New Orleans. Unser Pilot erzählt uns von den Schwierigkeiten, die sein Arbeitgeber in den ersten Wochen nach der Ölkatastrophe mit der Küstenwache und BP hatte. Sobald diese erfuhren, dass eine der kleinen Propellermaschinen Journalisten an Bord hatte, verboten sie ihm, in geringer Höhe über das Meer zu fliegen: Aufnahmen von dem Desaster sollten offenbar verhindert werden. Die Küstenwache arbeitete Hand in Hand mit dem Ölkonzern zusammen. Dies deckt sich mit den Erfahrungen, die Ted Jackson, Fotograf der lokalen The Times Picayune gemacht hat. Auch ihm haben Polizisten den Zugang zu verschmutzten Küsten verwehrt. Der Fotograf glaubt, dass diese sich mit Mitarbeitern von BP abgesprochen haben. Wir verwenden seine Aussage in unserem TVBeitrag, in dem es um das Thema BP und die Medien geht. Zu Wort kommt in diesem Film auch die 31-jährige Mac McClelland. Die Reporterin der Zeitschrift „Mother Jones“ ist seit Wochen unterwegs, um über die Katastrophe zu berichten. Auch ihr hat BP mehrfach untersagt, Aufnah01 von ölverschmierten Küsten zu machen. men Wie BP dazu komme, solche Verbote auszusprechen, habe sie gefragt. Schließlich seien die Strände öffentlicher Grund. Und wenn schon, habe man ihr geantwortet: Das Öl gehöre BP. Ins gleiche Horn bläst Jennifer Hale, Moderatorin des Fernsehsenders Fox 8 in New Orleans. BP und die Küstenwache würden – wenn überhaupt – nur verzögert und ungenau auf Anfragen des Lokalsenders reagieren, sagt sie uns in die Kamera.
Viel Seife für einen einzigen Pelikan Journalisten, die über die weiter andauernde Katastrophe berichten wollen, haben es nicht leicht. Leider wird oft auch fehlerhaft über die Lage vor Ort berichtet. So behauptet eine große deutsche Publikation, dass es für Journalisten verboten sei, nach Grand Isle im Südwesten von Louisiana zu fahren, was Unfug ist. Genau dort steigen wir mit der Kamera und roter Schwimmweste in ein Boot von Greenpeace. Deren Experte Jahn Hocevar zeigt uns auf einer fünfstündigen Fahrt
die Brutplätze der Vögel auf mehreren Inseln. Auf dem Meer treffen wir auch Boote von Umweltschützern, die ölverschmierte Vögel einsammeln und sie in ein Vogelschutzzentrum in der Nähe des Ortes Venice bringen. Dort filmen wir am darauffolgenden Tag, wie Pelikane vom Öl befreit werden. Über 1.000 Liter Wasser und viel Seife werden benötigt, um das Gefieder eines einzigen Pelikans zu reinigen, erklärt uns Jay Holcom, Leiter des Bird Rescue Centers. Etwa 50 Menschen reinigen dort täglich Dutzende von Tieren – in einer Halle, in brütender Hitze. Auf dem Weg zum Vogelzentrum treffen wir Denis Landry, einen örtlichen Geschäftsmann. In einer kleinen Fabrik beschäftigt er 35 Arbeiter, die Krabben reinigen und weiterverarbeiten. Wir filmen ihn auch in einem Restaurant, das er mit seiner Frau betreibt. Weil der Nachschub mit Krabben ausbleibt, wird er das Restaurant schließen. Seine Angestellten in der Krabbenfa brik fragen ihn täglich, wie es weitergeht. Denis fürchtet, dass er sie alle entlassen muss. BP verspreche zwar Entschädigungszahlungen, zögere aber mit dem Ausstellen der Schecks, so Denis. Mit Tränen in den Augen sagt er uns: „Ich stehe vor dem Aus.“ ——
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Die Ruhige im Sturm Oman/Gaza/Berlin – Ezdehar Sheashaa, Journal- Moderatorin im Arabischen Programm von DW-TV, kennt verschiedene Welten. Für die Sicherheit ihrer Familie tauschte sie ihre alte Heimat gegen eine neue. Stephan Kolbe traf sie und stellt eine Frau mit bewegter Vergangenheit vor.
»Schreckliche Bilder aus meiner alten Heimat lassen mich nicht kalt.«
Schaut man in das Gesicht dieser jungen Frau, so ahnt man nicht annähernd, welche Reise sie hinter sich hat. Keine Spur von Angst oder Leid. Aber diese Gefühle müssen da gewesen sein, damals in den Palästinensergebieten, im Gazastreifen. Da, wo die heute 32-jährige Ezdehar Sheashaa einst gelebt, gelernt und gearbeitet hat. Da, wo nach wie vor ein gewaltvoller Konflikt herrscht zwischen Israelis und Palästinensern. Ein Konflikt, den man spätestens dann nicht mehr ignorieren kann, wenn man mittendrin ist. Und den Sheashaa mit ihrer Familie vor sieben Jahren verlassen hat. Zumindest räumlich. 01 wächst Dabei kennt Sheashaa durchaus friedliche Zeiten. Sie im Sultanat Oman auf, im Süden der arabischen Halbinsel. Man würde sagen: in einer einfachen Familie. Ihre Eltern sind Palästinenser, die Mutter Hausfrau, der Vater Elektriker. Die Kinderschar ist groß, neben Ezdehar gibt es noch zwei Brüder und vier Schwestern. Der Nahostkonflikt ist hier weit weg. „Ich hatte eine wunderbare Kindheit, absolut friedlich und glücklich“, berichtet Sheashaa mit leuchtenden Augen. Noch immer kommt sie ins Schwärmen, wenn sie von der omanischen Natur erzählt: „Die Vielfalt ist unglaublich, das Land einfach wunderschön.“ Vor allem herrschen Ruhe und Friedfertigkeit. Das muss sie geprägt haben.
Sicherheit zählt Als sie später, mit Anfang 19, in Gaza Medienwissenschaften studiert und beim palästinensischen Rundfunk, der Palestinian Broadcasting Corporation (PBC), anheuert, sind Ruhe und Frieden bereits in weite Ferne gerückt. Die Zweite Intifada, die im Jahr 2000 beginnt, geht auch an Sheashaa nicht unbemerkt vorbei. Nachdem sie während der Arbeit miterleben muss, wie ihre Radiostation bei der PBC bombardiert und zerstört wird, ist der Entschluss schnell gefasst: Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Deutsch-Palästinenser, und ihrem zweijährigen Sohn verlässt die Familie 2003 die Palästinensergebiete und geht nach
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Berlin. „Meine Kinder sollten in Frieden und Sicherheit aufwachsen“, begründet sie die Entscheidung. Was sie zurücklässt, ist ein sicherer Job beim palästinensischen Rundfunk und als Korrespondentin für Dubai TV. Doch was jetzt zählt, ist die Sicherheit ihrer kleinen Familie. Ihre Eltern wird sie erst Jahre später wiedersehen. Der Weg nach Deutschland ist mehr als eine Reise, es ist ein Bruch. Auch wenn der Neuanfang schwer f ällt, er gelingt. 2004 unterzieht sich Sheashaa eher widerwillig und auf Empfehlung eines Bekannten einem Moderatoren-Casting für das Arabische Programm von DW-TV – und überzeugt sofort. Seither moderiert sie das Journal. „Ich kann das bis heute nicht ganz glauben. Vielleicht war es einfach Fügung“, meint sie. Dabei muss Sheashaa sich keineswegs verstecken. Schon beim palästinensischen Rundfunk fiel sie durch ihr Talent, vor allem durch ihre bemerkenswerte Stimme und ihre Kamerapräsenz auf. Für ihre Arbeit wurde sie sogar beim International Cairo Radio and Television Festival ausgezeichnet.
Professionalität pur 01
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Kein Wunder, denn Professionalität ist eben das, was Sheashaa auszeichnet. Musste sie sich beim palästinensischen Rundfunk noch viel autodidaktisch aneignen, so lernt sie bei der DW gezielt hinzu, nimmt an Schulungen und Trainings teil. „Ich liebe das Fernsehen und möchte nichts anderes machen“, sagt sie klipp und klar. Deshalb hat sie sogar noch moderiert, als sie mit ihrem zweiten Kind, einer kleinen Tochter, hochschwanger war. Zu dieser Liebe gehören auch Mühsale. Denn die Professionalität, die sie von sich selbst erwartet, verlangt ihr viel ab. So zum Beispiel, wenn es um die Berichterstattung über den Nahostkonflikt geht. „Das lässt mich nicht kalt, wenn ich schreckliche Bilder aus meiner alten Heimat anmoderieren muss. Aber es ist mein Job – und deshalb zeige ich Stärke. Ein wahrer Journalist muss neutral sein“, erklärt Sheashaa. Sie spürt ihn also immer noch, den Nahostkonflikt, obwohl sie ihn vor Jahren verlassen hat. Mit einem Unterschied: Hier sind sie und ihre Familie in Sicherheit. ——
B e e t h o v e n f e s t B o n n 1 0 . 9. – 9. 1 0 . 2 0 1 0 I n s o f f e n e
Martin Grubinger Paavo Järvi Sächsische Staatskapelle Dresden Hélène Grimaud Sol Gabetta Orchestre National de France Peter Ruzicka Daniel Hope Kent Nagano u. a.
t I c k e t s 0180 - 500 18 12 ( 0,14 e / Min., max. 0,42 e / Min. aus Mobilfunknetzen )
I n f o s 0228 - 20 10 345 w w w. B e e t h o v e n f e s t. d e