weltzeit Das Magazin der Deutschen Welle
Ausgabe 5 | 2012
Von wegen Mauerblümchen! Wo Kultur die erste Geige spielt
Von einem der auszog, das Fürchten zu lehren
Zei tge sch ehe n und Me die n Sonia Mikich leitet die Programmgruppe Inland des WDR
Apokalypse Frau
Dagmar Reim
Warum halten die Kubaner zu Castro? Exklusive Einblicke in das Kuba von heute und in die Gedankenwelt von Fidel Castro. Von links: „Che“ Guevara, Raúl Castro, Fidel Castro, Osvaldo Dorticós Torrado und Blas Roca, Havanna 1962
Mut zur Spitze
Fidel Castro
El Comandante
Peter Schaar
Ende der Privatsphäre
Hitler-Tagebücher
Heidemann im Gespräch
DIGITALE WERTE. ONLINE�ANMELDUNG:
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MEDIEN FRAUEN
J e tz t am Kiosk! m
Sonia Mikich
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D: 5,00 € AU: 5,50 € CH: 8,50 sFr
Foto: Heinz-Peter Junge
Nr. 3–2012 | ISSN 1614-77 15 | www.nitromagazin.de
BERL INER JOUR NALI STEN
In diesem Heft:
Editorial
2013 jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag Richard Wagners, einer der schillerndsten und widersprüchlichsten Figuren der europäischen Kulturszene. Das Jubiläum gehört zu den prägenden Kulturthemen des Jahres – und steht somit auch im Fokus der Kulturberichterstattung der Deutschen Welle. Als multimedial präsenter Mittler der Bundesrepublik setzt die DW mit zwei ambitionierten Projekten neue Akzente: Mit der TV- und DVDProduktion „Der Colón Ring – Wagner in Buenos Aires“ und dem Multimediaprojekt „Wagner200“. Das Teatro Colón, Lateinamerikas größtes Opernhaus, blickt zurück auf eine 90-jährige Wagner-Tradition. Ein weiteres herausragendes Projekt ist die TV- und DVD-Produktion „Schumann at Pier2“: Dirigent Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen interpretieren die vier Sinfonien von Robert Schumann – zeitgemäß und frisch, aus einem neuen Blickwinkel, an einem ungewöhnlichen Ort. So setzen wir die 2006 begonnene Reihe spektakulärer Klassikproduktionen fort. Klassische Musik ist seit Jahrhunderten ein ausgezeichneter Botschafter Deutschlands in aller Welt und ein wesentlicher
Aspekt europäischen Kulturguts. Sie trägt viel dazu bei, dass unser Land international als bedeutende Kulturnation wahrgenommen wird. Die Berichterstattung über das, was Menschen kulturell bewegen und was sie kulturell bewegt, ist Teil unseres Programmauftrags. Kultur fördert gegenseitiges Verständnis und Austausch, vermittelt Werte und Einstellungen. Und sie ist ein Schlüssel zum Verständnis des heutigen Deutschlands. Aus diesem Grund
»Die Deutsche Welle stärkt ihr Kulturprofil.« baut die DW ihr kulturelles Engagement weiter aus und stärkt so ihr Kulturprofil. Die neue Leiterin der Kultur-Redaktion, Adelheid Feilcke, stellt das Profil in dieser Weltzeit vor. Dazu gehört auch der intensive Dialog mit Vertretern aus anderen Kulturen, das Wissen um die Vielfalt des kulturellen Lebens in anderen Gesellschaften. Auch
um die Einschränkungen, die Kultur und Kunst vielerorts erfährt. So gibt das Titelthema dieser Weltzeit einen Einblick in Restriktionen, Fallstricke und Gefahren, denen Schriftsteller und Autoren in so manchen Teilen der Welt ausgesetzt sind. DW-Experten schildern die aktuelle Situation in ausgewählten Zielgebieten des deutschen Auslandssenders. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse geben wir in dieser Ausgabe sowohl dem Träger des diesjährigen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, dem chinesischen Exilschriftsteller Liao Yiwu, als auch dem Direktor der Buchmesse Jürgen Boos das Wort. Lassen Sie sich in der Weltzeit mitnehmen auf eine Kulturreise, von der arabischen Welt über Iran und Russland bis nach Neuseeland und Lateinamerika. Der Beitrag zur Reihe „Deutschlandbild“ kommt dieses Mal aus der Feder des russischen Germanisten und Journalisten Boris Chlebnikow. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Erik Bettermann Intendant
Deutsche Welle
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Welt anschauen
Dmitry Vachedin
ist 30 Jahre jung und für sein literarisches Schaffen schon mehrfach ausgezeichnet worden. Für seinen jüngsten Erzählband mit dem Titel „Staub“ erhielt er im Frühjahr dieses Jahres in Moskau den Literaturpreis „Russische Prämie“ in der Kategorie „Kleine Prosa“. Sein Buch enthält Novellen, die unter anderem die Probleme junger Einwanderer in Deutschland aufgreifen. Der Schriftsteller und Journalist stammt aus St. Petersburg. 1999 siedelte er mit seiner Familie nach Deutschland um und studierte in Mainz. Seit zwei Jahren lebt er in Bonn und ist Mitarbeiter der Russisch-Redaktion der
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Deutschen Welle. Eine erste Ehrung erhielt Vachedin mit 25 Jahren: den russischen Literaturpreis „Debüt“. Die „Russische Prämie“ gilt als einer der bedeutendsten Literaturpreise der Russischen Föderation; er wurde 2005 von der Boris-Jelzin-Stiftung ins Leben gerufen, um die russische Sprache weltweit zu fördern. Ausgezeichnet werden russischsprachige Autoren, die außerhalb Russlands leben. In diesem Jahr nahmen 549 Schriftsteller aus 40 Ländern an dem Wettbewerb teil.
Inhalt Aktuelles erfahren
ANDERE VERSTEHEN
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Deutsch-indischer Dialog Nachhaltige Begegnung in Bonn
24 Kolumne: Wir sprechen Bengali – die süßeste Sprache der Welt
7 Beethovens Zwölfte Türkisches Ensemble zu Gast
25 Claves – Talk auf Augenhöhe Koproduktionen in Lateinamerika
Deutsch-türkisches Kulturcafé Ein Multimediaprojekt
27 Demokratiepreis für Ben Achour Verfassungsrechtler in Bonn geehrt
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titelthema
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8 Kultur für alle Die neuen Klassik-Projekte
UNTERWEGS SEIN
11 „Landebahn für Ideen“
29 Von Schnecken und Wandel Aufbruch auch in Marokko?
Die neue Kulturchefin im Interview 13 Plötzlich kein Papier mehr da Verbotene Bücher – verfolgte Autoren
30 Kolumne: Das läuft Wirtschaftsreportagen aus arabischen Ländern
16 Kolumne: Lesetipps Empfehlungen zur Buchmesse
MEDIENWELT EINORDNEN
18 Die Kugel und das Opium
Friedenspreisträger Liao Yiwu zu Gast
28 Agenten des Wandels Die (wahre) Rolle der Sozialen Medien
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19 Kolumne: Kulturtransfer Von Kiwis und Ressentiments
31 Getwitter 31 TV-Magazine als Türöffner Erfolgsrezepte in der Landessprache
20 Wir brauchen Medienkompetenz Fragen an Jürgen Boos
POSITION BEZIEHEN 33 Pochen auf Gewaltenteilung
Der Kommentar
HEIMAT ERLEBEN 21 Stadt – Land – Mensch Multimediaprojekt zum Strukturwandel
MENSCHEN BEGEGNEN
22 Kolumne: Deutschlandbild
Russland – Boris Chlebnikow zwischen Provinz und Nabel der Welt
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34 Gott und die Welt kennen John Berwick: Religionsexperte im Hauptstadtstudio
Deutsche Welle
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aktuelles erfahren
Enge Kooperation von DW und UN
Seit sieben Jahren arbeitet Marion Hütter für die Wirtschaftsredaktion der DW. Kürzlich hat die freie Journalistin und Regisseurin eine Dokumentation über Poetry Slammer in Deutschlands Kinos gebracht.
„Dichter und Kämpfer“, so der Titel, ist eine 90-minütige Dokumentation mit Slam und Gesangseinlagen, die das Leben von Slammern auf und hinter der Bühne zeigt. Marion Hütter, Jahrgang 1968, hat Literatur, Politik und Volkswirtschaft studiert und ist Absolventin der Berliner Journalistenschule. „Dichter und Kämpfer“ ist ihr erster Dokumentarfilm. Ein Low-BudgetProjekt: Für die Produktion erhielt Hütter
©© privat
Leidenschaft für Poetry Slam
die Unterstützung der Stuttgarter Dokufilm-Firma „Kunststoff – die Filmmacher“ – und von „Ruhr2010“ gab es eine kleine Finanzspritze. „Ein inspirierender Film, dessen sympathische Protagonisten die Zuschauer bewundernd zurücklassen werden“, heißt es in Blickpunkt Film. Für Tip Berlin ist er schlicht „sehenswert“. www.dichter-kaempfer.de
Deutsch-indischer Dialog
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Learning by Ear in Pakistan
Mehr als die Hälfte aller Radiostationen in Pakistan übernehmen jetzt „Learning by Ear“, das preisgekrönte Bildungsprogramm der DW. Seit Anfang September strahlen 53 pakistanische Sender die Radionovelas in den Sprachen Urdu und Paschtu aus, darunter auch FM 100 Pakistan, einer der führenden Privatsender des Landes. In den kommenden Monaten werden zehn weitere Radiostationen das DW-Bildungsprogramm übernehmen. Bisher waren die Sendungen in Pakistan via Kurzwelle, Satellit und Internet zu empfangen.
Nachhaltige Begegnung: Stipendiaten und Trainer
In einem Begegnungs- und Austauschprojekt betreut die DW Akademie in Bonn rund zwei Monate lang sechs Journalisten aus Indien. Ziel des von der RobertBosch-Stiftung finanzierten Aufenthalts ist es, den Stipendiaten indisch-deutsche Themen und die multimediale Berichterstattung darüber näher zu bringen. Zum Themenkomplex „Nachhaltigkeit“ recherchieren und publizieren die Teilnehmer in Bonn unter der Anleitung von acht Trainern ein Multimediaprojekt. Die sechs Stipendiaten sind zwischen 26 und 33 Jahre alt und kommen aus verschiedenen Teilen Indiens, wo sie ihre Karrieren bei namhaften Print- und TV-Medien
Die Deutsche Welle und die Vereinten Nationen bauen die seit 2007 bestehende Zusammenarbeit aus. Das haben DW-Intendant Erik Bettermann und UN-Untergeneralsekretär Peter Launsky-Tieffenthal Mitte September in New York vereinbart. Die DW kann künftig für Fernsehsendungen kostenfrei auf Bildmaterial der UN zurückgreifen. DW-Magazine mit internationalem Fokus wie World Stories und Global 3000 bereichert dies um neue Perspektiven und hochwertige Beiträge aus aller Welt. Im Gegenzug strahlt UNTV, die Fernsehstation der Vereinten Nationen, die Magazine regelmäßig aus.
begannen. Das Asien-Team der DW Akademie wählte sie aus über 150 Bewerbern aus. Die Projektmanager Sabina Casagrande und Patrick Benning zeigen sich vom Talent und dem professionellen Niveau der indischen Nachwuchsjournalisten beeindruckt: „Wir wollen ihre Kreativität in neue Bahnen lenken und auch die Erfahrungen des Multimediaunternehmens DW nutzen.“ Online-Auftritte sind für indische Medien längst selbstverständlich. Doch nur langsam entstehen die dafür notwendigen journalistischen Konzepte. Das Projekt der DW Akademie will dazu einen Beitrag leisten. www.dw-akademie.de
Kinostart für afrikanischen Film
„Nairobi Half Life“, der Debütfilm des kenianischen Regisseurs David Gitonga, startet im Oktober in deutschen Kinos. Filmemacher aus fünf afrikanischen Ländern trafen sich in Kenia, um den Film zu drehen – unterstützt von Tom Tykwer und der DW Akademie. Der Produktion gingen gemeinsame Workshops in Nairobi voraus, die die DW Akademie koordinierte. 55 junge Filmschaffende wurden in den Bereichen Regie, Produktion, Kamera, Drehbuch, Schnitt, Ton, Licht und Schauspiel trainiert. Die besten Teilnehmer hatten die Möglichkeit, den Film „Nairobi Half Life“ zu realisieren.
©© Onur Sezer
„Traffic“-Komponist Mehmet Erhan Tanman und das Jugendorchester
Beethovens Zwölfte Viel Beifall für Uraufführungen in Bonn und Berlin: Die Komposition des jungen türkischen Musikers Mehmet Erhan Tanman hat bei der Premiere im September in Bonn und Berlin knapp 2.000 Konzertbesucher begeistert. Die Deutsche Welle hat Tanman mit dem Werk beauftragt. „I like big sounds“ hatte der 23-jährige Tanman vorsichtshalber die nahe der Bühne sitzenden Berliner Konzertbesucher gewarnt. Seine Komposition „The Traffic“ sei vom unglaublich lauten Straßenverkehr Istanbuls inspiriert, so der türkische Musiker. Die rund 500 Gäste im Sendesaal des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) riss er am 17. September mit seinem Stück vor Begeisterung ebenso von den Stühlen wie die 1.500 Konzertbesucher zwei Tage später bei der Uraufführung in Bonn. Zum
zwölften Mal hatte die DW einen jungen Musiker um eine Komposition gebeten. Bei dieser Initiative gehe es um eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit Beethoven, um die künstlerische Gegenwart junger Komponisten in dem jeweiligen Partnerland, so Gero Schließ (DW) in seiner Konzerteinführung in Berlin. Partnerland des Orchestercampus 2012 war die Türkei. Analog zu den Vorjahren wurde die Auftragskomposition diesmal von einem türkischen Jugendorchester aufgeführt. Das
Turkish National Youth Philharmonic Orchestra unter seinem künstlerischen Leiter Cem Mansur kam nach Berlin und Bonn – junge Musiker zwischen 16 und 22 Jahren, mit denen Tanman bereits in der Türkei geprobt hatte. „The Traffic“ war in vielen Ländern zu hören: Die DW übertrug die Uraufführung aus der Bonner Beethovenhalle über Partnersender in der Türkei, Lateinamerika, Russland und den USA. Diese Klangspuren wurden ergänzt um 15 weitere Konzertmitschnitte und eine mediale Begleitung des Beethovenfests via Podcast, TV, Video und auf der Webseite. www.dw.de/beethoven
Deutsch-türkisches Kulturcafé Ein neues Multimedia-Special der DW rückt das deutschtürkische Kulturleben in den Fokus. Im Mittelpunkt stehen vier Kulturschaffende in Berlin und in Istanbul, die über Themen aus dem Kulturbereich bloggen und in Video-Porträts vorgestellt werden. Sechs Wochen lang posten der Autor und Künstler Werner Felten und die türkischstämmige Kulturjournalistin Sirin Manolya Sak aus Berlin sowie der Schriftsteller Ahmet Tulgar und der Fotograf Jochen Proehl, beide aus Istanbul, einmal wöchentlich in ihren Blogs. Sie tauschen sich über Themen aus, die sie bewegen: Beobachtungen des deutsch-türkischen Alltags, die Kulturszene ihrer Stadt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Kulturleben der beiden Länder. Die Artikel erscheinen auf Deutsch und Türkisch. In OnlineBeiträgen beschreiben darüber hinaus Künstler und Journalisten
in der Türkei und in Deutschland ihre persönlichen Erfahrungen. Das Projekt „Deutsch-türkisches Kulturcafé“ richtet sich vor allem an junge Multiplikatoren und Kulturinteressierte. Dabei sollen sowohl die partnerschaftlichen Verbindungen zwischen Deutschland und der Türkei als auch die Rolle der DW als Mittler im bilateralen Kulturdialog zum Ausdruck kommen. www.dw.de/kulturcafe www.dw.de/bulusmanoktasi
Deutsche Welle
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©© Julia Baier
Titelthema
Höchste Präzision gefordert: Dirigent Paavo Järvi
Text Kathrin Reinhardt
Klassik ist Kultur für alle Mit zwei neuen TV- und DVD-Produktionen setzt die Deutsche Welle in der Kulturberichterstattung Akzente. Die Dokumentationen „Schumann at Pier2“ und „Der Colón Ring – Wager in Buenos Aires“ machen klassische Musik für ein breites Publikum erlebbar. Ein Experiment an einem ungewöhnlichen Ort – und ein opulenter Einstieg in das Wagner-Jahr 2013.
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©© Marcus Meyer
Die Bremer Werftmusikanten: Fototermin im Hafen
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as haben Robert Schumann und eine ehemalige Werfthalle gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts. DW-Regisseur Christian Berger und sein Redaktions- und Produktionsteam ließen sich bewusst von Gegensätzen leiten, als es darum ging, einen geeigneten Ort für ihr Projekt zu finden: An vier Tagen sollten dort alle vier Schumann-Sinfonien vor Live-Publikum aufgeführt werden. Der Industriecharakter der ehemaligen Werfthalle „Pier2“ in der Bremer Überseestadt passt zur Experimentierfreude der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und ihres Dirigenten Paavo Järvi. Die Deutsche Welle hat die Konzerte aufgezeichnet und produziert gemeinsam mit den Partnern Unitel Classica und Radio Bremen einen 98-minütigen Film, der auch die Arbeit der Musiker beleuchtet – von den Proben bis zur Aufführung. Zugleich liefert der Film Einblicke in das Leben des Komponisten. Einmal mehr fanden jene Partner zusammen, die unter anderem für die vielfach preisgekrönte Musikdokumentation „Das
Beethoven-Projekt“ verantwortlich zeichnen. 2009 hatte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi alle neun Beethoven-Sinfonien an vier Tagen aufgeführt. „Das BeethovenProjekt“ wurde unter anderem mit dem „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“ und dem „Eyes & Ears Award“ ausgezeichnet und lief erfolgreich bei Filmfestivals in Montreal, Rhode Island, Cincinnati, Miami und Guangzhou.
Ungewöhnlich für eine solche Produktion ist nicht nur der Ort. Auch das Bühnenbild und eine Lounge-Atmosphäre brechen die klassische Konzertsituation auf. Das Publikum – vor allem musikinteressierte Jugendliche – saß auf weißen Ledersofas und Sitzwürfeln. „Klassik ist Kultur für alle. Wir machen Klassik attraktiv und zugänglich für ein breites Publikum“, erläutert Projektleiter Rolf Rische den Ansatz der Produktion.
Höchste Präzision
Der Ring an einem Tag
Die Neuinterpretation der SchumannSinfonien forderte nicht nur dem Orchester Höchstleistungen ab, auch technische und gestalterische Präzision bei der TVProduktion waren gefordert. Acht HDKameras, ein Kran, ein Dolly (Kamerawagen) und Remote-Technik (Fernsteuerung) kamen in Bremen zum Einsatz. Mehr als 1.000 Meter Kabel wurden verlegt, 23 Mikrofone und über 150 Schweinwerfer unter dem Dach der Werfthalle angebracht.
Ein völlig anderes Umfeld hat der Dokumentarfilm „Der Colón Ring – Wagner in Buenos Aires“, den die DW gemeinsam mit dem international renommierten KlassikSpezialisten „Bernhard Fleischer Moving Images“ (BFMI) aus Salzburg produziert. Die Dokumentation begleitet den Entstehungsprozess eines außergewöhnlichen Projekts: Anlässlich des 200. Geburtstags von Richard Wagner am 22. Mai 2013 will Lateinamerikas größtes Opernhaus, das Teatro
Deutsche Welle
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Titelthema
Auch auf Arte und Classica
©© DW
Mit dem Dolly rund um Wagner: Dreharbeiten in Bayreuth
Colón in Buenos Aires, Wagners gewaltiges Musikdrama „Der Ring des Nibelungen“ in einer Kompaktfassung an einem Tag auf die Bühne bringen. Der 90-minütige Film von DW-Regisseur Hans-Christoph von Bock will unterhaltsam nachvollziehbar machen, wie „Der Ring des Nibelungen“ als Musiktheater zu einem umfassenden Live-Erlebnis wird. Mehrere Kamerateams begleiten das Projekt vor und hinter der Bühne bis zur Premiere am 27. November in Buenos Aires. Im Mittelpunkt des Films steht Katharina Wagner, die Urenkelin des Komponisten. Wie ist ihre Sicht auf eines der umfassendsten und tiefgründigsten Werke der Musikgeschichte? Wie setzt sie mit ihrem RegieTeam eine zeitgemäße Inszenierung am traditionsreichen Teatro Colón um? Eine Herausforderung für alle Beteiligten ist „Der Colón Ring“ auch deshalb, weil es die
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erste Inszenierung dieser Werkbearbeitung ist. Der Musikwissenschaftler Cord Garben hat das 16-stündige Werk dafür auf rund sieben Stunden gekürzt. Über den Dokumentarfilm hinaus produzieren DW und BFMI auch einen Multikamera-Mitschnitt des Opernzyklus. Das Projekt „Der Colón Ring“ ist auch Teil eines umfassenden Multimedia-Specials, das die DW dem 200. Geburtstag Richard Wagners widmet. „Wagner 200“ beleuchtet Aspekte des Lebens und des Werks des Komponisten. Es umfasst außerdem eine Videoserie über die Aktualität Wagners in der Welt: An sechs Orten, von Peking über St. Petersburg bis Ohio, wird erzählt, wie dessen „Gesamtkunstwerk“ heute diskutiert, interpretiert, gefeiert, gelebt – und auch bekämpft wird.
„Schumann at Pier2“ wird am Freitag, 26. Oktober, im Berliner „Kino International“ offiziell vorgestellt. Die Deutsche Welle zeigt den Film weltweit in zwei Teilen am 4. und 11. November – auf Deutsch, Englisch, Spanisch und Arabisch. Arte wird am 4. November eine eigene, 52-minütige Version des Films zeigen. Darin geht es auch um die erste Begegnung von drei Bremer Schülern mit klassischer Musik bei den Konzerten im Pier2. Der Musiksender Classica auf Sky zeigt die Konzertmitschnitte der vier Sinfonien im Rahmen eines Themenabends am 5. November. Am selben Tag erscheint die DVD-Box sowie eine Blu-ray-Disc beim Label C Major Entertainment. Im Internet können Sie den Film „Schumann at Pier2“ ab 4. November sehen. www.dw.de/schumann
„Der Colón Ring – Wagner in Buenos Aires“ wird im Frühjahr 2013 im Fernsehen der DW ausgestrahlt. Zusammen mit der Opernaufzeichnung wird der Film beim Label C Major Entertainment auf DVD und Blu-rayDisc erscheinen. Bereits am 30. November 2012 können Sie die Premiere der Operninszenierung aus Buenos Aires im Internet verfolgen. www.dw.de/wagner200
©© m box bewegtbild
Fragen von berthold stevens
„Landebahn für Ideen“ Die Kultur ist der Schlüssel zum Verständnis des heutigen Deutschlands. Sie weckt nicht nur das Interesse, sie vermag es, Werte und Einstellungen zu vermitteln. Aus diesem Grund baut die DW ihr kulturelles Engagement weiter aus. Die neue Kulturchefin Adelheid Feilcke über das neue Kulturprofil der DW. Welches Buch lesen Sie gerade? Das neue Buch von Rainald Goetz: „Johann Holtrop“. Die Kontroversen um den Roman hatten mich neugierig gemacht. Das Buch hat mich gleich in seinen Bann geschlagen, vor allem wegen seiner reichen, lebendigen Sprache und des schonungslosen Blicks auf unsere Gesellschaft am Beispiel der entfremdeten und menschenverachtenden Arbeitswelt eines Großkonzerns. Davor habe ich – endlich! – das wunderbare Buch „The Hare with the Amber Eyes“ gelesen, das mir vielfach empfohlen worden war und das ich gern weiter empfehle. Der britische Autor Edmund de Waal beschreibt die Geschichte seiner Familie über
die vergangenen 150 Jahre, vom Aufstieg der jüdischen Händler- und Banker-Familie in Wien und Paris, über die Zerschlagung des Vermögens und die Vertreibung der Familie in der Nazizeit bis zu ihrem Werden in der Gegenwart. Der rote Faden ist eine Sammlung altjapanischer Netsukes, das sind kleine geschnitzte Figuren, im Familienbesitz. Bücher sind für mich immer noch eine der schönsten Möglichkeiten, in andere, unbekannte Welten einzutauchen und neue Ein- und Ansichten zu gewinnen. Kultur aus Deutschland – dabei denken Menschen in aller Welt spontan an Goethe und Schiller, Beethoven und
Auf dem Dach der Bundeskunsthalle in Bonn: Adelheid Feilcke
Wagner. Hat sich dieses Bild verändert? Kultur aus Deutschland ist mehr als seine berühmten Klassiker, das war schon immer klar. Sie ist für mich nicht statisch, sie verändert sich, saugt auf, adaptiert, absorbiert, entwickelt weiter. Deutschland ist heute ein modernes, weltoffenes Land, das von seiner kulturellen Vielfalt profitiert. Das ist unser Kapital, denn das bietet denen, die hier leben, Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Da ist natürlich nicht immer alles harmonisch. Es gibt viele Gegensätze, Reibungsflächen, Schroffes. Aber genau aus dieser Reibung heraus entsteht Neues. Darauf wollen wir die Welt neugierig machen. Anschaulich,
Deutsche Welle
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Titelthema
»Kultur hinterfragt Gewohnheiten, setzt Maßstäbe und vermittelt Werte.«
Eine Neue steht in der Regel auch für Neues. Wie und wo wollen Sie das Kulturprofil der DW schärfen? Auf dem Dach der Bundeskunsthalle, zwischen den Leuchten und Türmen der Installation eines Vogelflughafens, gibt es ein Schild „Chatterbar“. Aus den Lautsprechern quäkt die Durchsage: „Bitte lassen Sie Ihre Ideen nicht unbeaufsichtigt!“ So ähnlich sehe ich „die neue Kultur“ der Deutschen Welle: als Lande- und Abflugplatz für Ideen, als Raum für Begegnung und Debatten, auch mit Chats – und das Ganze unter freiem Himmel und auf festem Grund. Daran arbeite ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen. Wir verstehen uns als Multimediajournalisten, gleich, ob einer bei Kultur Aktuell in Berlin, bei Kultur Hintergrund in Bonn, bei den Programmprojekten oder den Sprachkursen arbeitet. Jedes Thema wird künftig für alle Medien beziehungsweise Ausspielwege gedacht und durchdekliniert. Davon profitieren am Ende alle. Haben Sie ein aktuelles Beispiel? Ein gutes Beispiel aus diesen Wochen ist für mich das zweisprachige Blog-Projekt „Deutsch-türkisches Kulturcafé“ – zwei Länder, zwei Kulturen, Begegnung und Inspiration. Das Projekt ist inspiriert vom und zeitlich angelehnt an den Besuch des Nationalen Jugendorchesters der Türkei in Deutschland, das im Rahmen des Orchestercampus von Deutsche Welle und Beethovenfest Bonn zu Gast war.
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Ein anderes Beispiel ist das umfangreiche multimediale Programmangebot rund um den 200. Geburtstag von Richard Wagner im nächs-ten Jahr. Kultur hat oft einen schweren Stand, vor allem in Zeiten der Finanznot. Gibt es einen Königsweg, um dennoch breite und kritische Kulturberichterstattung zu gewährleisten? Gerade in Zeiten von Veränderung und Verunsicherung ist Kultur besonders wichtig. Denn die Menschen suchen Orientierung. Um das Bild vom Vogelflughafen aufzugreifen: Sie brauchen freie Sicht für neue Ideen und Kreativität, aber genauso brauchen sie ein festes Fundament der Werte und eine klare Beschilderung. Das alles leistet Kultur. Sie ist der Seismograph der Gesellschaft, hinterfragt Gewohnheiten, setzt aber auch Maßstäbe und vermittelt Werte. In unserer Kulturberichterstattung greifen wir die Themen auf, die zeigen, wohin die Reise geht, was die Menschen beschäftigt. Und zwar authentisch und glaubwürdig. Für uns selbst gilt: Wenn die Ressourcen knapper werden, heißt das nicht, dass wir unsere Ideen nicht auch weiterhin kreativ umsetzen können. Ihr aktueller Kulturtipp? Besonders spannend finde ich immer, wenn Menschen ihre Geschichte und Geschichten erzählen und über die persönliche Perspektive ein historischer oder gesellschaftlicher Zusammenhang auch für andere erlebbar wird. Deshalb freue ich mich sehr auf unser neues Multimediaprojekt „Spurensuche – deutsch-jüdische Geschichten in aller Welt“. Reporter-Teams sind an zehn Orten der Welt den Spuren deutsch-jüdischer Einwanderer nachgegangen und haben die Geschichten in Fernsehreportagen, Texten, Interviews und Bildergalerien mitgebracht. www.dw.de/kultur
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erlebbar, verständlich – so wollen wir unseren Internet-Nutzern, Zuschauern und Hörern rund um den Globus Kultur aus Deutschland nahebringen. Schon Goethe hatte sich intensiv mit orientalischer Kultur und persischer Dichtung beschäftigt, den persischen Dichter Hafez verzehrt und sich von diesem inspirieren lassen.
©© picture-alliance/Fleig/SVEN SIMON
Text michael münz, Kultur-Redaktion
Und plötzlich ist kein Papier mehr da In Deutschland ist Kunstfreiheit ein im Grundgesetz verankertes Recht. In vielen anderen Ländern können sich Autoren für diese Freiheit nicht auf die Verfassung berufen. Bücher müssen vor Drucklegung angemeldet werden, Autoren werden verfolgt. Wir haben DW-Journalisten nach den Arbeitsbedingungen von Schriftstellern in wichtigen Zielregionen gefragt.
D
ie Arabellion hat den Menschen in der arabischen Welt nicht die große Freiheit gebracht – noch nicht.“ Samir Grees von der Arabisch-Redaktion zieht eine verhaltene Bilanz, denn auch weiterhin ist es in einigen Ländern so, dass ein Buch vor Drucklegung einer Zensurbehörde vorgelegt werden muss. Und weiterhin gilt,
dass Autoren bei drei Tabuthemen auf der Hut sein müssen: Sex, Politik und Religion. Gerade Religion ist für viele Menschen eine rote Linie – das haben schon die Proteste gegen Salman Rushdies „Satanische Verse“ gezeigt. Und das zeigen die jüngsten Reaktionen auf ein umstrittenes Video aus den USA nicht minder. Druck auf Autoren kommt somit nicht nur von offiziellen Stellen – er kommt aus der Gesellschaft: „Man braucht keine staatlichen Maßnahmen, wenn der Mob auf die Straße geht“, sagt Grees. Das Internet hat hier Raum geschaffen. Wenn Bücher oder Passagen eines Buches verboten werden, erscheinen diese eben online. Ja, es gibt sogar Beispiele dafür, wie man Tabuthemen aufgreifen und trotzdem einen Bestseller landen kann. Grees nennt den 2002 veröffentlichten Roman „Der Jakubijân-Bau“ des Ägypters Ala al-Aswani. Das Buch kam trotz seiner heiklen Themenmischung in den Handel. „Ein ägyptischer Glasnost-Roman wegen seiner mutigen Klarheit“, heißt es in einer Rezension des Deutschlandradios. Ala al-Aswani benennt politische Skandale, entlarvt religiöse Gebote als Vorwand für
Wahnsinnshandlungen. Der Autor erzählt beispielsweise die Geschichte von Taha, dem gottesfürchtigen jungen Mann, der nicht Polizist werden kann, weil sein Vater nur Türsteher ist. Taha verfällt dann dem Hassprediger – und wird von Polizisten gefoltert.
Kuba: Verfassungsrang Zensur gibt es auch in Ländern Lateinamerikas. „Sie funktioniert auf unterschiedliche Weise“, erläutert Hector Medellin aus der Spanisch-Redaktion. Auch die Auswirkungen der Zensur sind uneinheitlich. Es gibt Länder, in denen sie institutionelle Formen kennt. Medellin nennt Kuba. Dort heißt es explizit in der Verfassung, dass nicht jede Veröffentlichung zugelassen werden kann. Sie müssten dem Aufbau des Kommunismus dienen. In Kuba gibt es Gremien, die für die Überwachung von Publikationen zuständig sind. Andere Länder – etwa Brasilien, Chile und Mexiko – erscheinen zwar liberal. Doch auch hier gilt: Was den jeweils Mächtigen
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©© picture-alliance/Jens Kalaene
Titelthema
nicht gefällt, kann schon im Entstehungsprozess verhindert werden. Anteilseigner wirken darauf hin, dass Verlage bestimmte Autoren nicht aufnehmen. „Oder bei Druckereien ist angeblich auf einmal kein Papier mehr da“, so der DW-Redakteur. „Repressalien und sogar Mord werden mit Zensurfällen in Verbindung gebracht“, sagt Medellin. Für Autoren kommt erschwerend hinzu, dass das Rechtssystem in einigen Ländern nur in den seltensten Fällen die Möglichkeiten bietet, sich zu wehren. Dies führt zur Selbstzensur. Aber auch dazu, dass viele Menschen inzwischen das Internet nutzen, um ihre Themen zu platzieren.
Iran: Selbstzensur In Iran hat die Zensur des Buchmarkts eine lange Geschichte. „Autoren haben hier kein leichtes Leben“, räumt Jamsheed Faroughi, Leiter der Farsi-Redaktion, ein. Schon zu Zeiten des Schahs gab es Institutionen, bei denen man eine Veröffentlichung anmelden musste. Die Situation ist einige Jahre nach der Revolution noch schwieriger geworden. „Man muss weiterhin Texte einreichen und erhält eine Liste von verbotenen
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Wörtern, die nicht verwendet werden dürfen“, so Faroughi. Die Vorgaben reichen von religiösen Namen bis hin zu einzelnen Wörtern, zum Beispiel „tanzen“, und Bezeichnungen für alkoholische Getränke. Diese müssen Autoren ersetzen. Selbst eine Freigabe vor Drucklegung bedeutet noch nicht zwangsläufig, dass ein Buch ungehindert erscheinen kann. Auch nach der Veröffentlichung kann es jederzeit Verbote geben mit empfindlichen Strafen sowohl für Autoren als auch für beteiligte Verlage. „Es gibt kaum einen großen Schriftsteller oder Dichter in Iran, der noch kein Gefängnis von innen gesehen hat“, berichtet Faroughi. Solch eine Situation führt zu Selbstzensur – aber auch zu Kreativität: „Beispielsweise datieren Verlage Neuauflagen ihrer Bücher zurück, um sich auf frühere Genehmigungen berufen zu können“, so der DW-Experte.
Russland: Bücher ins Klo Im heutigen Russland gibt es keine Vorzensurbehörde wie zu Sowjetzeiten. „Und wenn Sie in Moskau durch die Buchläden gehen, haben Sie auch nicht den Eindruck, dass bestimmte Themen oder Autoren
systematisch aussortiert würden“, schildert Ingo Mannteufel, Leiter der OsteuropaProgramme. „Da können Sie Bücher vom inhaftierten Putin-Kritiker Michail Chodorkowski ebenso kaufen wie die Werke des provokanten Wladimir Sorokin.“ Dennoch gibt es seit Putin verstärkt Tendenzen von staatlichen Institutionen oder auch seitens der Kirche, sehr früh in den Produktions- und Publikationsprozess einzugreifen. Bei Druckereien heißt es dann, dass die Kosten zu hoch seien. Oder der Zoll konfisziert Bücher, die im Ausland gedruckt wurden. Häufig wird gegen eine Publikation oder ein Buch das Anti-Extremismus-Gesetz ins Feld geführt. „Ein Gummi-Paragraf, der gegen alles und jeden eingesetzt werden kann“, so Mannteufel. Grundsätzlich gilt, dass Kritik an der Kirche nicht folgenlos bleibt. „Es muss ja nicht immer die Staatsmacht direkt sein, die eingreift“, verweist Mannteufel auf eine Aktion der Kreml-nahen Jugendorganisation „Naschi“ (Die Unsrigen): Diese hat 2007 Bücher von Wladimir Sorokin öffentlichkeitswirksam in einem riesigen Klo verbrannt.
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Verbotene Bücher in Tunesien: wieder zugänglich
Verfolgte Autoren in China: Liu Xiaobo
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Chinas verbotene Bücher
China: Harte Strafen „Die Liste verbotener Bücher in China ist lang“, berichtet Ying Dai aus der Chinesisch-Redaktion. Ausschlaggebend für eine Veröffentlichung ist die Entscheidung der Abteilung für Propaganda der Kommunistischen Partei. Hier müssen Verlage Listen einreichen, in denen sie geplante Publikationen kurz beschreiben. Auch wenn im Nachhinein selten begründet wird, warum einzelne Bücher nicht in Druck gehen dürfen, sind die Tabuthemen offensichtlich: Was die Führung der Kommunistischen Partei Chinas oder die sozialistische Gesellschaftsform in Frage stellt, wird schon im Vorfeld verboten. Ebenso Kritik an einzelnen Parteifunktionären. Und selbst dann, wenn ein Buch zunächst gedruckt werden durfte, kann es auch im Nachhinein noch verboten werden. So ging es zum Beispiel dem Buch „Vergangenes vergeht nicht wie Rauch“ der Schriftstellerin Zhang Yihe aus dem Jahr 2004. „Um die Vorzensur zu umgehen, lassen einige Autoren ihre Bücher in Hongkong drucken“, so Dai. Dort gibt es Verlage, die sich auf die Publikation von Büchern spezialisiert haben, die in China keine Chance auf Veröffentlichung haben. Doch nicht immer lassen sich die Bücher problemlos nach China einführen. Und wer erwischt wird, dem drohen harte Strafen. Auch das Internet bietet kaum Freiräume: Kurz nachdem Liu Xiaobo im Dezember 2008 das im Internet veröffentlichte Bürgerrechtsmanifest „Charta 08“ unterstützt hatte, wurde er wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ festgenommen. Ein Schicksal, das der spätere Friedensnobelpreisträger mit so manchem prominenten oder auch weniger bekannten Autor teilt. Nicht nur in China.
Die Deutsche Welle stellt auf ihrer chinesischsprachigen Webseite Werke chinesischer Autoren bereit, die in ihrem Heimatland auf dem Index stehen. Nutzer können diese Hörbücher kapitelweise als Audio-Dateien herunterladen. Unter anderen finden sich hier Werke von Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, von der Bestsellerautorin Jung Chang und des Künstlers Ai Weiwei. Die Redaktion arbeitet eng mit den Autoren oder deren Familien zusammen. Die Zusammenarbeit ist nicht immer leicht. „Menschen, die uns ihre Bücher für dieses Projekt zur Verfügung stellen, gehen ein hohes Risiko ein“, sagt Ying Dai, der das Projekt in der DW-Redaktion betreut. Einer der beteiligten Autoren, Yu Jie, war in China zahlreichen Repressionen ausgesetzt: Er wurde verprügelt, verhört; seine Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt. Inzwischen hat er China in Richtung USA verlassen. Dennoch bieten weiterhin chinesische Autoren der Redaktion ihre Bücher für das OnlineProjekt an. „Es gibt zum Glück genügend mutige Menschen“, so Dai. Die Nachfrage nach den „Verbotenen Büchern“ ist groß: Allein im ersten Jahr 2010 wurden die Audio-Dateien weit über 20 Millionen Mal heruntergeladen. „Mit dieser HörbuchRubrik im Internet leisten Sie einen Beitrag für Demokratie und Freiheit. Hoffentlich machen Sie bald noch mehr Bücher zugänglich, die hier in China verboten sind“, so eine der zahlreichen Rückmeldungen aus China.
Tabubruch mit Tradition Bereits 1974 hatte die DW ein Programmangebot gestartet, das sich verbotenen Büchern aus einer Zielregion widmete: Damals las die Russisch-Redaktion ihren Hörern den „Archipel Gulag“ von Alexander Issajewitsch Solschenizyn vor. Der KGB war 1973 an einen Teil des Manuskripts gekommen, an dem der Literaturnobelpreisträger von 1970 heimlich gearbeitet hatte. Der „Archipel Gulag“ wurde daraufhin nur im Westen veröffentlicht, in der Sowjetunion war das Buch verboten. Solschenizyn wurde aus der Sowjetunion ausgewiesen. Seit 2009 ist sein Werk per Erlass Pflichtlektüre an Russlands Schulen.
www.dw.de/buch
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Titelthema
lesetipps
Von Cowboys und Despoten Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt haben oft in anderen Ländern ihren Ursprung. Anlässlich der Frankfurter Buchmesse geben Redaktionen der Deutschen Welle aktuelle Empfehlungen.
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Daniel Pelz, Redaktion Englisch für Afrika
Zu Tisch mit Mugabe – Einblick in afrikanische Rätsel Es wird sein letzter Kampf: Anfang 2013 oder 2014 will sich Simbabwes Staatschef Robert Mugabe als Präsident wiederwählen lassen – mit fast 90 Jahren. Für viele Medien ist er der Prototyp eines brutalen Diktators. Einen vielschichtigeren Blick auf den Menschen und Politiker bietet das Buch „Dinner with Mugabe“ – die bis heute beste Mugabe-Biografie. 1975 lernte die Autorin Heidi Holland Mugabe kennen – er war zum Abendessen zu Gast. „Sein Blick aus purem Stahl faszinierte mich“, erinnerte sie sich später. In ihrem Buch zeichnet sie das Psychogramm eines Mannes, der von eigener Angst, dem Druck seines Umfeldes und den psychischen und physischen Wunden des simbabwischen Bürgerkriegs getrieben ist. Ihr gelingt das seltene Kunststück, die Handlungen Mugabes zu erklären, ohne sie zu rechtfertigen. Zahlreiche Weggefährten Mugabes kommen zu Wort, am Ende auch er selbst. Kein anderer Autor ist so nah an den Menschen Mugabe herangekommen. Das Ergebnis: ein einmaliger Einblick in die Psyche eines der rätselhaftesten afrikanischen Politiker, eine fesselnde Analyse afrikanischer Politik und westlicher Doppelmoral. Heidi Holland: „Dinner with Mugabe“, Penguin Books, Johannesburg 2008, ISBN: 978-0143026181
Auf Tuchfühlung mit Syrien – Analysen des Machterhalts
Yasser Abumuailek, Arabisch-Redaktion
Authentische Informationen und Stimmen über den blutigen Konflikt in Syrien sind rar. Der von Larissa Bender herausgegebene Sammelband „Syrien. Der schwierige Weg in die Freiheit“ schließt hier eine Lücke und findet Antworten auf Fragen, die auch viele Journalisten umtreiben: Ist das Assad-Regime wirklich ein „Alawiten-Regime“? Oder instrumentalisiert es diese konfessionelle Gruppe nur für den eigenen Machterhalt? Wie ist die Zurückhaltung vieler syrischer Christen gegenüber dem Aufstand zu erklären? Es ist eine große Stärke dieses Buchs, dass neben deutschen auch syrische Autoren zu Wort kommen, die hierzulande nur wenigen Experten bekannt sind. Zugleich ist es ein engagiertes und im besten Sinne parteiisches Buch, denn es verdeutlicht: Dieser Konflikt ist zwar hochkompliziert und berührt die Interessen auswärtiger Mächte. Im Kern geht es aber immer noch um einen Bürgeraufstand gegen ein brutales Willkür-Regime. Larissa Bender (Hg.): „Syrien. Der schwierige Weg in die Freiheit“, DietzVerlag, Bonn 2012, ISBN: 978-3-8012-0433-4
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Am Ball bleiben nach der EM – Eine Erkundungsreise durch Austragungsorte Seit dem Start der neuen Bundesligasaison und der Qualifikation zur FußballWeltmeisterschaft 2014 sind viele wieder im Ballfieber. Eine passende Zeit für das Buch „Totalniy Futbol“, herausgegeben vom ukrainischen Schriftsteller Serhiy Zhadan. Es ist aber kein klassisches Fußballbuch. Es ist vielmehr eine literarische Erkundungsreise durch Gesellschaft, Politik und Geschichte der Städte, die in diesem Sommer die Austragungsorte der Fußball-EM waren. Porträtiert werden sie von vier polnischen und vier ukrainischen Autoren. Ihnen ist es gelungen, die Reise auf unterhaltsame, vielschichtige und selbstironische Art zu gestalten. „Wer in der Ukraine von Fußball spricht, muss auch über Politik sprechen“, lautet die zentrale These von Zhadan. Perfekt ergänzt werden die Geschichten durch ein wunderbares Foto-Essay von Kirill Golovchenko. Auch nach der EM ist dieses Buch auf jeden Fall eine lohnende Lektüre.
Khrystyna Nikolaychuk, Ukrainisch-Redaktion
Serhiy Zhadan: „Totalniy Futbol. Eine polnisch-ukrainische Fußballreise“, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2012, ISBN: 9783518062166
Mit kroatischen Cowboys unterwegs – Eine poetische Hommage „Lebt wohl, Cowboys“ ist der erste Western-Roman in der Geschichte der kroatischen Literatur. Die Autorin Olja Savičević Ivančević hat sich für dieses ungewönliche Genre entschieden, weil sie Parallelen zwischen der heutigen Gesellschaft in den Staaten Ex-Jugoslawiens und der Zeit des Wilden Westens sieht. Der Heimatort von Rusty, der Hauptfigur des Romans, ist das Zentrum dieses literarischen „Wilden Ostens“. In ihm herrschen Gesetzlosigkeit und skrupellose lokale „Sheriffs“, während die kleinen Leute arm, machtlos und resigniert sind. Ihr Roman sollte eine Widmung an Dalmatien – die südliche Küstenregion Kroatiens – werden, sagt die 38-jährige Autorin, aber an ein Dalmatien jenseits der touristischen Prospekte. Tatsächlich erfährt der Leser viel über den grauen Alltag und über Probleme des Landes, das in Kürze das 28. Mitglied der EU werden soll. Gleichzeitig ist der Roman ein spannender Psychothriller und eine sehr poetische Hommage an die grobe Schönheit der dalmatinischen Vorstädte an der Peripherie.
Dunja DragojevicKersten, KroatischRedaktion
Olja Savič ević Ivanč ević: „Lebt wohl, Cowboys“, aus dem Kroatischen von Blažena Radas; Voland und Quist, Leipzig 2011, ISBN: 978-3938424810
Deutsche Welle
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©© Amrei Marie
Titelthema
„Nur wenn man sich für die Freiheit der anderen einsetzt, kann man sich frei fühlen“: Liao Yiwu im Gespräch mit Matthias von Hein (unten)
Die Kugel und das Opium Text Matthias von Hein, Leiter Chinesisch-Redaktion
Liao Yiwu wird im Rahmen der Frankfurter Buchmesse geehrt: Der 54-jährige chinesische Exilschriftsteller ist Träger des diesjährigen Friedenspreises des deutschen Buchhandels. Notizen eines Gesprächs über den schwierigen Prozess, sich frei zu fühlen.
Der Börsenverein des deutschen Buchhandels unterhält auch in Berlin ein Büro, direkt an der Spree gelegen in einem imposanten Altbau am Schiffbauerdamm. Für gewöhnlich atmen die altehrwürdigen Mauern jene vornehme Stille, die solchen Gründerzeitbauten zu eigen ist. Nicht jedoch an diesem Tag Mitte September: Liao Yiwu ist zu Gast. Der Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels gibt hier die Interviews, die angesichts der bevorstehenden Preisverleihung und der Veröffentlichung seines neuesten Buches mit ihm gewünscht werden. Der 54-Jährige, in China verfolgt, verhaftet, gegängelt, ist in Deutschland zum literarischen Star avanciert, zum Liebling der Feuilletons. Zu Kopf gestiegen ist ihm das
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nicht. Konzentriert beantwortet er meine Fragen für das „Interview der Woche“ bei der DW. Der Friedenspreis, erklärt der Chronist der einfachen Menschen in China, habe für ihn vor allem deshalb Bedeutung, weil er den Verkauf seines neuesten Buches fördern werde. Dabei denkt Liao weniger an die zu erwartenden Tantiemen. „Die Kugel und das Opium“ behandelt die blutige Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung am 4. Juni 1989. Das Buch versammelt Interviews mit Opfern dieser Niederschlagung: mit Menschen, die damals Angehörige verloren; mit Menschen, die als angebliche „konterrevolutionäre Rowdies“ für Jahre hinter Gefängnismauern verschwanden; mit Menschen, deren Leben durch den 4. Juni 1989 gänzlich aus den
Fugen geriet. „Die Kugel und das Opium“ sind für Liao Chiffren für die Herrschaftsmethoden der Kommunistischen Partei in China: Die Kugel steht für gewaltsame Unterdrückung. Das Opium für die Betäubung durch den beispiellosen Wirtschaftsboom, die Herrschaft des Geldes. „Mein Ziel ist, dass so viele Menschen wie möglich durch dieses Buch an den 4. Juni erinnert werden“, betont Liao im DW-Interview. Vier Jahre lang saß Liao im Gefängnis, sein Buch „Für ein Lied und hundert Lieder“ legt Zeugnis ab von dieser Zeit. Damals, erklärt er, sei ihm zwangsweise der Kopf geschoren worden. Seitdem habe er diese Gewohnheit beibehalten. Liao wurde aber nicht nur der Kopf rasiert, er wurde auch gefoltert. Mehrfach versuchte er, sich das
Leben zu nehmen. In seinem neuen Buch zitiert er den Mann, der ihn im Gefängnis das Flötenspiel lehrte, mit den Worten: „Wenn man das Gefängnis in sich trägt, kann man nicht frei sein.“ Auf die Frage, ob er sich denn nun, im deutschen Exil, frei fühle, antwortet Liao: „Es ist ein langsamer Prozess, sich frei zu fühlen. Nur wenn man sich für die Freiheit der anderen einsetzt, kann man sich wirklich frei fühlen.“ In Deutschland tritt er häufig gemeinsam mit der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller auf. Gibt es da eine Wahlverwandtschaft zweier Seelen, die erlebt haben, wie eine Diktatur den Menschen deformieren kann? „Schon in China habe ich begeistert die Bücher von Herta Müller gelesen“,
antwortet Liao auf diese Frage. „In einem Buch hat sie beschrieben, wie einer ihrer besten Freunde von der Staatssicherheit angeworben wurde, um sie zu bespitzeln. Und wie sie fast zerbrach, als sie davon erfuhr. In China habe ich ständig solche Geschichten erlebt. Deshalb entstand schon damals eine emotionale Verbindung zu Herta Müller.“ Eine Verbindung gibt es auch zur Deutschen Welle. Von seinem neuen Buch „Die Kugel und das Opium“ sollen einige Kapitel Eingang finden in die „Bibliothek der verbotenen Bücher“. Die DW macht in ihrem chinesischen Online-Angebot Texte, die in China unzugänglich sind, als Hörbuch zum Herunterladen verfügbar. Und im Anschluss an das Interview kommt Liao Yiwu noch
Text IAN JOHNSON Englisch-Redaktion
Kulturtransfer
Der Kiwi und die Ressentiments Der Inselstaat im südlichen Pazifik steht selten im Blickpunkt. Dabei ist Neuseeland, Partnerland der Frankfurter Buchmesse 2012, unter Touristen gefragt. Was kaum bekannt ist: Nicht wenige der 4,4 Millionen Bewohner haben deutsche Wurzeln. Upper Moutere? Der Ort taucht nur selten in touristischen Hochglanzbroschüren über Neuseeland auf. Ein Geheimtipp für Freunde kleiner roter Beeren. Einer dieser Freunde ist der kleine nachtaktive Kiwi, ein ums Überleben kämpfender, flugunfähiger Waldvogel. Die endlose Natur und Filme wie „Whale Rider“ locken jährlich 60.000 Bundesbürger nach Neuseeland. Etwa 1.000 Deutsche wandern pro Jahr auf eine der drei 19.000 Kilometer entfernten Hauptinseln aus. Und treffen auf ein innovatives Exportland mit 4,4 Millionen Einwohnern, sieben Mal so
vielen Schafen und einer Portion südpolynesischem Stolz mit Art Deco, Meeresfrüchten und Wein. Deutsche, österreichische und sogar schweizerische Beziehungen zu dieser ehemals britisch kolonisierten Nation, meinem Geburtsland, gab es schon vor über 200 Jahren. Neuseeland, das 1914 Deutsch-Samoa vereinnahmte, verlor in zwei Weltkriegen fast 30.000 junge Männer an fernen Orten wie Gallipoli (türkisch: Gelibolu), Somme (Kreta) und el-Alamein (Ägypten). Ressentiments bekam auch Ministerpräsident David Lange zu spüren, der Mitte der
eine Programmidee: Er möchte für die DW chinesische Untergrundmusik vorstellen. Kaum jemand mache sich eine Vorstellung, wie viel Zorn es in der Gesellschaft gebe, sagt er mit Blick auf Liedermacher und Musiker in Chinas Untergrund. Dass er im deutschen Exil abgeschnitten ist von der Quelle seiner Literatur, nämlich den Stimmen der Menschen am Rande der chinesischen Gesellschaft, macht Liao bislang keine Sorgen. Er verweist auf seine Lebenserfahrung in China, auf sein gutes Gedächtnis und die Fülle an Tonaufnahmen, die er gemacht hat. „Dieser Stoff reicht aus, um bis an mein Lebensende damit zu arbeiten.“ Nicht nur ihm, auch uns Lesern ist das zu wünschen.
1980er-Jahre für einen nuklearwaffenfreien Südpazifik gegen starke US-amerikanische und französische Einwände kämpfte. Man versuchte ihn wegen seiner Deutschstämmigkeit zu diskreditieren. Später erhielt Lange den „Alternativen Nobelpreis“ für seine Friedenspolitik. Neuseeland war auch Zufluchtsort für Gegner der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland. Später prägten hier andere das mediale Bild Deutschlands, darunter US-amerikanische Verleger. Deren Kriegscomics lagen in meiner Heimatstadt Napier an Kiosken aus. Die deutsch-neuseeländischen Beziehungen hatten im 18. Jahrhundert mit den Forsters aus Danzig begonnen. Vater Johann Reinhold und Sohn Georg waren als Naturwissenschaftler von James Cook für seine zweite Reise ausgewählt worden. Es folgte 1843 das Passagierschiff St. Pauli mit 120 Aussiedlern samt Kennern von Hopfen- und Weinanbau. Angekommen in der Provinz Nelson, auf der Südinsel, gründeten sie Upper Moutere. Keine Einwanderer seien wertvoller als die Deutschen, schrieb damals die Zeitung „Examiner“. Die Zahl deutschstämmiger Neuseeländer dürfte sich heute auf 200.000 belaufen, 1,3 Millionen haben zumindest einen deutschen Vorfahren. Und Upper Moutere? Seit 2008 feiern Neuseeländer, die ihre deutschen Wurzeln entdeckt haben, hier ihr Johannisbeerfest. Die kleinen aromatischen Früchte bringen es auf einen stolzen Ertrag: 3.000 Tonnen kommen Jahr für Jahr aus dieser Gegend. Da sollte doch auch für den armen Kiwi einiges abfallen.
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Titelthema
Fragen von Susanne nickel Freie Mitarbeiterin
Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, über Bücher und Wissensvermittlung, neue Medien, Freiheit des Wortes und die UN-Millenniumsziele. Das gedruckte Wort gilt – spätestens mit Erfindung des Buchdrucks – als Synonym für die Verbreitung von Bildung und Wissen. Ist das im Zeitalter des Internets überholt? Bildung und Wissen sind schon seit Mitte der 1990er-Jahre immer weniger in gedruckter Form fixiert, sondern in Form von Datenbanken und Software organisiert. Publikationen im Bereich Wissenschaft, Technik und Medizin sind heute zu 80 bis 100 Prozent digital. Damit ist augenfällig, wie schnell sich unser Wissen heute verändert. Andererseits ist Print immer noch der beste Weg, um Wissen für die Nachwelt zu erhalten. Denn eine CD-ROM aus den 1990er-
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©© Frankfurter Buchmesse
Gesellschaft braucht Medienkompetenz
Jahren ist heute nicht mehr lesbar, und aktuell archivierte Dateien mit Kopierschutz werden wahrscheinlich schon in fünf Jahren nicht mehr zugänglich sein. Hörbücher, E-Books – die Bibliotheken werden inzwischen netzkompatibel gemacht. Ist dieser Trend für Sie eine Konkurrenz, vor der Sie sich fürchten müssen? Dass Bücher zunehmend netzkompatibel sind, ist für die internationale Verlagsbranche – und damit auch für die Frankfurter Buchmesse – gut. Denn mit der Digitalisierung wachsen die Chancen für Geschichten, Ideen, Informationen und Bilder, gehört, gelesen und gesehen zu werden. Natürlich
stellt die Digitalisierung die traditionellen Geschäftsmodelle des Publizierens auf den Kopf, aber es entstehen gleichzeitig neue Möglichkeiten, Kreativität zu finanzieren und zu refinanzieren. Bibliotheken und Verleger haben beide den Anspruch, Wissen zugänglich zu machen. In diesem Sinne ist die Digitalisierung von Bibliotheken für Verleger ebenfalls eine Herausforderung in gutem Sinne. Denn je mehr Menschen den Zugang zu Bildung bekommen, ihre Lesefähigkeit schulen, desto besser für die Verlage und damit auch für die Buchmesse. Welche Rolle spielt die Buchmesse als internationaler Treffpunkt, wenn es darum geht, die UN-Millenniumsziele auf dem Weg über Bildung zu erreichen? Die Erkenntnis, dass Armut vermeidbar ist und zwar nicht zuletzt durch Bildung, ist einerseits schockierend – weil bislang noch so wenige Konsequenzen daraus gezogen wurden. Andererseits heißt das für die Verlagsbranche, dass ihre Produkte, also Medien, konkret zur Verbesserung des Lebens vieler Menschen dienen können. Aus der Einsicht heraus, dass Medienkompetenz und Grundbildung die Basis für eine stabile Gesellschaft sind, zugleich auch für das Verlagswesen, hat die Frankfurter Buchmesse 2006 die Frankfurt Book Fair Literacy Campaign, kurz LitCam, gegründet, gemeinsam mit Partnern. Unser Ziel ist es, benachteiligten Kindern und Jugendlichen durch Projekte wie „Fußball trifft Kultur“ und „Reading and Learning Rooms“ Kompetenzen für ihr Leben zu vermitteln. www.litcam.de
heimat erleben
text Andrea Lueg freie mitarbeiterin
Vom Kumpel zum Checker
Unter drei gigantischen Portalkränen, zwischen Hafenkais, Binnenschiffen und Lastwagen ist Hans-Dieter Hausmann beschäftigt: am Eingangstor zum Duisburger Hafen, Europas größtem Binnenhafen. „Ich bin der Checker“, sagt der Frührentner und grinst. Seit fünf Jahren kontrolliert er die Laster, die hier anrollen, um Container auf- oder abzuladen. Ein 400-Euro-Job, mit dem er seine Rente aufbessert. Früher hat Hausmann unter Tage gearbeitet, als Bergmann auf der Zeche „Rossenray“. Mit dem Niedergang des Bergbaus stellte sich nicht nur für Hausmann, sondern für das gesamte Ruhrgebiet die Frage: Was nun? Peter Wicht setzt in Sangerhausen auf zwei Räder: Er hat die „MiFa“ übernommen, die Mitteldeutschen Fahrradbetriebe. Ein Traditionsunternehmen, das sich am Markt behauptet und mit dem er neue Arbeitsplätze geschaffen hat. Für Sangerhausen ein Segen, denn hier wurde früher Kupferschiefer abgebaut, der am internationalen Markt schon lange nicht mehr konkurrenzfähig war. So viele Arbeitsplätze wie damals wird es in Sangerhausen wohl nie wieder geben. Der Ort kämpft gegen die Abwanderung seiner Bewohner. Hausmann und Wicht sind zwei der Protagonisten des neuen Multimediaprojekts „Stadt Land Mensch – Deutsche Regionen
Der Checker in Duisburg: Hans-Dieter Hausmann
im Wandel“. Es geht um den Strukturwandel zwischen Ruhrgebiet und Bitterfeld. Sechs Reporter-Teams waren unterwegs, um herauszufinden: Wie hat sich das Ruhrgebiet verändert – nach der Ära von Kohle und Stahl? Kann man am früheren ChemieStandort Bitterfeld in Sachsen-Anhalt Arbeitsplätze erhalten und gleichzeitig Natur-Oase werden? Ist der Wind für Mecklenburg-Vorpommern die Zukunft? „Stadt Land Mensch“ zeigt vor allem, was Veränderungen für die Menschen bedeuten: für die Naturschützerin, die im ehemaligen Braunkohlerevier ein Stück Wildnis schaffen will; für den Rentner, der in einer ausblutenden Stadt im Osten lebt; für die türkische Familie, die binnen drei Generationen vom Gastarbeiter zum Arbeitgeber geworden ist. Projektleiterin Julia Bernstorf: „Über die Porträts hinaus blicken wir auf Branchen wie Bergbautechnik, Solar- und Windenergie. Welche Rolle spielen sie beim Strukturwandel? Wie entwickeln sich Städte und Regionen? Zudem kommen Prominente wie die Schriftstellerin Monika Maron zu Wort, schildern Eindrücke über ihre Heimat, den Wandel und die Zukunft.“
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Strukturwandel in Deutschland: Das Multimediaprojekt „Stadt Land Mensch“ zeigt Beispiele, wie sich die Bundesrepublik für die Zukunft wappnet. Und wie die Menschen mit dem oft tiefgreifenden Wandel umgehen.
Wenn Zahlen erzählen Wie viele Minuten musste man 1960 in Deutschland arbeiten, um sich zehn Eier kaufen zu können? Wie viel Geld investieren die Bundesländer in Forschung und Entwicklung, und wie viele Migranten haben im vergangenen Jahr in Deutschland ein Unternehmen gegründet? Der Datenjournalismus macht Statistiken und Datensätze greifbar und visualisiert das scheinbare Durcheinander zu einer Geschichte. Für das Projekt „Stadt Land Mensch“ veranschaulicht die Redaktion den Strukturwandel der vergangenen 20 Jahre anhand einer interaktiven Deutschland-Karte. Nutzer finden hier Fakten – zur Verteilung von Arbeit, zu Einkommen, Bevölkerungsstruktur und zu weiteren Faktoren, die für Lebensqualität stehen.
www. dw.de/stadt-land-mensch
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heimat erleben
deutschlandbild
Text Boris Chlebnikow Autor und Übersetzer
Alles Provinz oder Nabel der Welt Deutschland und seine dezentralen Strukturen sind in den Augen eines russischen Beobachters irritierend. Eine mehrschichtige, vergleichende Betrachtung.
©© picture-alliance/Alexandr Kryazhev
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enn meine Berechnungen stimmen, könnte Russland – als Land der weltweit größten Entfernungen – rein flächenmäßig 48 Staaten wie Deutschland auf seinem Territorium unterbringen. Dabei ist der riesige Raum Russlands vertikal und streng hierarchisch strukturiert. Jede Entfernung bedeutet Distanz von der Metropole, wo sich politische Macht, Finanzkraft und Kulturkapital des Landes konzentriert. Das bringt eine krasse Unterscheidung zwischen Zentrum und Peripherie mit sich. Allerdings gibt es in Russland noch mehr als ein Dutzend Städte mit über einer Million Einwohnern oder knapp darunter. Das sind Metropolen zweiter Ordnung, umgeben von der Peripherie zweiter Ordnung, und so geht die räumliche Hierarchie weiter. Umso erstaunlicher ist die ausgeprägt horizontale Beschaffenheit des Deutschlandbildes für unseren Augenschein. Fast jeder dritte Bürger Russlands lebt in einer Metropole erster Ordnung (das ist selbstredend Moskau) oder zweiter Ordnung (beispielweise Nowosibirsk), weswegen ihn die Provinzler oft nicht mögen und der Arroganz bezichtigen. Wenn diese Einwohner der russischen Metropolen nach Deutschland kommen, fühlen sie sich durch dessen Zentrum-Peripherie-Konstellation stark irritiert. Erstens liegen hier alle vier Millionenstädte eindeutig an der Peripherie, buchstäblich in der Nähe der Staatsgrenzen: Berlin im Osten, Hamburg im Norden, Köln im Westen und München im Süden. Selbst von der eindeutigen Konzentration der politischen Macht kann nicht die Rede sein. Ja, der Bundestag als Legislative hat seinen Sitz in Berlin, aber schon die Exekutive in Form der Bundesministerien und der zahl-
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»Die erstaunliche Vielfalt dieses seltsam organisierten Raumes.« reichen Bundesbehörden ist deutschlandweit verstreut, viele von ihnen sind in Bonn geblieben. Hauptstadt der Judikative ist Karlsruhe. Auch die Medien als vierte Gewalt sind nicht auf Berlin fixiert. Der Föderalismus wird überhaupt in Deutschland groß geschrieben, wie auch die Eigenständigkeit der Kommunen sehr ernst genommen wird.
Metropole am Main Wenn man das Wort Metropole mit den Begriffen „Weltstadt“ oder „Global City“ gleichsetzen soll, dann gilt dieser Titel (laut der Liste von „Alpha World Cities“) offiziell nur für Frankfurt am Main. Die nach Einwohnerzahl fünftgrößte Stadt Deutschlands hat diesen Rang nicht nur den Rivalen München, Hamburg und Köln, sondern auch der Hauptstadt Berlin abgelaufen. Dafür gibt es für einen Ausländer, der aus Russland kommt, durchaus einige nachvollziehbare Gründe. Erstens liegt Frankfurt so schön zentral, sprichwörtlich „in der Mitte der Mitte“. Mit dem größten Flughafen ist Frankfurt das Haupttor Deutschlands, besonders für die Besucher aus anderen Kontinenten, die von hier aus per Bahn oder Autobahn weiter in alle Richtungen ausschwärmen. Ausschlaggebend jedoch für den Rang einer Weltstadt ist wohl die Finanzkraft des Standorts, der zugleich Sitz der Europäischen Zentralbank, der Deutschen Bundesbank, der potentesten Privatbanken Deutschlands und schließlich der deutschen Wertpapierbörse ist.
Kein richtiges Zentrum Umso paradoxer erscheint einem Besucher aus Russland, wo politische Macht und Finanzkraft sich nie provinziell geben, die politisch-administrative Lage der Main-Metropole. Frankfurt gehört ja zum Land Hessen, das von der Landeshauptstadt Wiesbaden aus regiert wird, und dazu noch zum Regie-
rungsbezirk Darmstadt, der von eben dieser Regierungsbezirkshauptstadt verwaltet wird. Wiesbaden und Darmstadt sind beide wesentlich kleiner als Frankfurt, sie liegen auch so nah, dass der Sog einer Global City unüberwindbar sein sollte. Dem ist es aber nicht so. Wo kein richtiges Zentrum ist, dort gibt es auch keine Peripherie. Wo beides nicht stimmt, dort ist alles Provinz – oder jeder Ort fühlt sich als der Nabel der Welt, entwi-
ckelt metropolitane Ambitionen, leidet zumindest nicht an einem Minderwertigkeitskomplex. Das sind wohl die markantesten Züge des Deutschlandbildes auf den ersten Blick eines Russen, der beginnt, das Land kennenzulernen. Später erschließt sich ihm eine erstaunliche Vielfalt dieses seltsam organisierten Raumes, die sehr sichtbar und sogar gut hörbar ist, wenn man genau hinschaut und aufmerksam hinhört.
Boris Chlebnikow Jahrgang 1943, ist Germanist, Übersetzer und Journalist. Viele Jahre war er als Lektor des Wissenschaftsverlags „Mir“ tätig, ab 1984 als Redakteur der traditionsreichen und international bekannten Zeitschrift „Inostrannaja Literatura“ (Ausländische Literatur). Heute ist er Mitglied des Redaktionsbeirats dieser Zeitschrift. Ab 1992 folgen freie berufliche Tätigkeiten als Übersetzer, Literaturwissenschaftler (vor allem im Bereich der modernen deutschen Literatur) und Journalist. Seit 1995 ist Boris Chlebnikow zudem Vizepräsident der Europäischen Akademie für Zivilgesellschaft. Bis Ende 2003 ist er zwei Legislaturperioden in beratender Funktion bei der Staatsduma für den Auswärtigen Ausschuss tätig. Chlebnikow verfasste zahlreiche journalistische Beiträge in russischen und internationalen Zeitungen und Zeitschriften. Er ist Autor von Dokumentarfilmen, Herausgeber von einigen Folgen des „Almanachs zur deutschen Literatur“ und unter anderem Mitverfasser russischer Reiseführer für deutsche Städte und Regionen. Chlebnikow hat zahlreiche Werke deutscher Schriftsteller übersetzt, unter anderem von
Günter Grass, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Friedrich Dürrenmatt, Bernhard Schlink und Stefan Heym. Seit 2005 hat er eine Lehrtätigkeit an der Technischen Universität zu Kaliningrad (KlausMehnert-Institut). Chlebnikow ist Träger des Wassilij-Schukowskij-Preises (2006 für sein Lebenswerk), gestiftet vom Verband der deutschen Wirtschaft.
Deutsche Welle 23
andere verstehen
Text DEBARATI GUHA
Bengali Bengali ist die süßeste Sprache der Welt. Sie glauben mir nicht? Es ist zumindest die Überzeugung, mit der alle Bengalen aufwachsen. Ich habe diesen Spruch schon als kleines Mädchen in der Küche meiner Mutter gehört, als sie „Roschogollas“ zubereitete. Kleine, in Zuckersirup getauchte Käsebällchen, die schon vom Anschauen dick machen. Die kugelige Form dieser extrem süßen Delikatesse spiegelt sich in der Häufung des Buchstabens „O“ im Wort „Roschogolla“ wider. Wir Bengalen lieben es rundlich und süß. Das Wort Roschogolla heißt übersetzt „Süße Kugeln“. Bengali ist die Muttersprache von weltweit etwa 215 Millionen Menschen. Davon leben über 140 Millionen in Bangladesch,
Ikone der bengalischen Literatur: Rabindranath Tagore
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wo Bengali seit der Unabhängigkeit des Landes von Pakistan im Jahr 1971 Amtssprache ist. Das Streben nach Unabhängigkeit kostete drei Millionen Menschen das Leben. Auch in Indien sprechen über 75 Millionen Menschen Bengali, vor allem in den Provinzen Westbengalen und Tripura. Wussten Sie, dass der Internationale Tag der Muttersprache am 21. Februar, initiiert von der UNESCO, auf ein historisches Ereignis mit der bengalischen Sprache zurückgeht? Im Jahr 1952 beschloss die damalige Regierung Pakistans, Urdu als alleinige Amtssprache des Landes, zu dem damals auch Bangladesch gehörte, zu erklären. In Dhaka, der späteren Hauptstadt Bangladeschs, kam es daraufhin am 21. Februar zu Protesten, bei denen es auch Tote gab. Bangladesch feiert seit seiner Unabhängigkeit diesen Tag als „Tag der Märtyrer“ und beantragte 1999 bei der UNESCO die Anerkennung dieses Tages als Tag der Muttersprache. Wie Sie schon gemerkt haben, sind Bengalen sehr stolz auf ihre Sprache. Sie ist eng
mit der Geschichte und Politik des Landes verwoben. Nicht zu vergessen: die Literatur. Der bengalische Schriftsteller Rabindranath Tagore erhielt 1913 den Nobelpreis für Literatur und war damit der erste asiatische Nobelpreisträger überhaupt. Als ich vor über zehn Jahren zum ersten Mal nach Deutschland kam, erschien mir die deutsche Sprache zunächst recht hart und kantig. Doch als indo-europäische Sprache ist Bengali mit dem Deutschen entfernt verwandt. Manchmal erkennt man dies an einzelnen Wörtern. So lautet das bengalische Wort für Name „nām“, Atem entspricht „atmoh“ und Mensch heißt auf Bengali „monusch’scho“ beziehungsweise „manusch“. Wenn Sie versuchen, die beiden letzten Worte auszusprechen, werden sie um einen runden Kussmund nicht herumkommen. Wenn Sie mir immer noch nicht glauben, dass Bengali eine der süßesten Sprachen der Welt ist, kosten Sie einfach eine Roschogolla. Dann wissen Sie, was ich meine.
–Roschog –Roschogo –Nām –Nām –Manusch –Manusch –Monusch’sc –Monusch’sch –Roschogolla www.dw.de/bengali
–Nām
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wir sprechen
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Zusammenarbeit auf Augenhöhe und „Schlüssel“ zum Verständnis: Claves in Mexiko
Text Philipp Sandner, Freier Mitarbeiter
Talk mit mexikanischen Bohnen Neue Ideen, andere Perspektiven: Seit Februar 2012 produziert die Deutsche Welle in Lateinamerika den TV-Talk Claves – gemeinsam mit Partnersendern zwischen Mexiko und Feuerland. Das Format findet viel Zuspruch.
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onzalo Cáceres müsste müde sein. Doch er sprudelt nur so vor Energie. „Ich bin zum Arbeiten geboren“, verrät der Mittsechziger am Telefon, aus einem Hotelzimmer in Paraguays Hauptstadt Asunción. Anders wäre sein Job wohl nicht zu schaffen. Denn der führt ihn durch ganz Lateinamerika. Länger als drei Wochen ist Cáceres nie an einem Ort. Claves, das politische Talkformat im spanischen Fernsehprogramm der Deutschen Welle, ging im Februar 2012 auf Sendung. Mit einem einzigartigen Konzept: Für jede Ausgabe arbeitet die DW mit einem Partnersender in Lateinamerika
zusammen. Dieser stellt Studio und Technik sowie einen Ko-Moderator. Unterstützt wird das Projekt vom Auswärtigen Amt. Zuvor hatte die DW mit mehr als 16 koproduzierten Ausgaben des TV-Talks Debates sin fronteras in sechs Jahren den Weg für die heute intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit mit Partnersendern in Lateinamerika geebnet. Sender von Chile bis Mexiko beteiligen sich an dieser besonderen Form des Dialogs zwischen Deutschland und Lateinamerika. „Hier begegnen sich DW und Partnersender auf Augenhöhe“, sagt Uta Thofern, die Claves und weitere Talk-Formate von
Berlin aus betreut. Von der Partnerschaft profitieren beide Seiten. Sender wie SJRTV in Mexiko oder RTVC in Kolumbien haben eine lokale oder nationale Reichweite. Über die Deutsche Welle erreicht die Sendung per Satellit den ganzen Kontinent, einschließlich großer Teile Nordamerikas. Jeden Montagabend. Claves will – wie der Name verspricht – den „Schlüssel“ zum Verständnis von globalen Themen und eine andere Perspektive bieten. Ob es um Rechtsstaatlichkeit und die Stärkung demokratischer Strukturen geht, um die Pressefreiheit und die Gefährdung von Journalisten oder um die
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andere verstehen
Entwicklung des lateinamerikanischen Fußballs – stets gibt es einen Bezug zum Land des jeweiligen Partners. In der Regel kommen zwei Gäste aus der Region, einer aus Deutschland. Es sei wichtig, zu verstehen, „dass wir in einer globalisierten Welt leben“, meint Cáceres. „Gestern wurde in Frankreich festgestellt: Genmanipulierter Mais ist schädlich. Heute kann ich in Paraguay darüber diskutieren.“ Es bleibt viel Raum für Kreativität. So widmete sich die Talkshow im August in Mexiko dem Boom der lateinamerikanischen Küche. Am Set in einer Kochschule in Guadalajara formten bekannte Köche vor der Kamera Tortillas und präsentierten eine Vielfalt mexikanischer Bohnen.
Format wird Schule machen Für die Jahresplanung setzt sich der gebürtige Chilene mit dem Berliner Team zusammen. An der Spree. Doch vieles ergibt sich kurzfristig vor Ort und wird dann über den Atlantik hinweg abgestimmt. Weitere Themenvorschläge kommen von den Partnersendern. Auch bei der Auswahl der Gäste wird gemeinsam überlegt. „Das ist schon ein völlig anderes Verhältnis zwischen einem internationalen und einem lokalen Sender“, meint Cáceres wertfrei und ist überzeugt: „Das Format wird Schule machen.“
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Die DW erfährt viel Zuspruch für ihr neues, 20-stündiges spanisches TV-Programm. „Die Zuschauerpost und die Diskussion auf Facebook haben deutlich zugenommen“, sagt Thofern. Das gilt für Claves genauso wie für den Polit-Talk Cuadriga oder die Sendung Alemania con Acento, die den Zuschauern Lateinamerikaner in Deutschland vorstellt.
Gonzalo Caceres bei der Aufzeichnung von Claves
©© DW
»Wir müssen lernen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.«
... und mit Gastgebern in Bogotá, Kolumbien
Eines Tages im Zirkus Gonzalo Cáceres begegnet immer wieder Zuschauern, die Themen vorschlagen. Das ist ganz in seinem Sinne: „Wir wollen Kommunikation schaffen zwischen Menschen, die über die Zukunft des Landes diskutieren.“ Nach wenigen Tagen heißt es für den Moderator wieder: Koffer packen. Dass er meist nicht mehr sieht als sein Hotel und das Studio, nimmt Cáceres gern in Kauf. Pläne für die Zukunft gibt es genug. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir eines Tages ein Studio in einem Zirkus aufbauen und mit den Artisten reden“, meint Cáceres. Bald geht es für zwei Sondersendungen in die USA: Dort will der Moderator zusammen mit Kollegen von HITN-TV über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen reden. Ein wichtiges Thema, denn Hispano-Amerikaner spielen dort eine große Rolle. Und der Ausgang der Wahlen wird die Beziehungen zu Lateinamerika wie zu Europa beeinflussen. „Wir leben in einer gemeinsamen Welt“, sagt Cáceres. „Und wir müssen lernen, auch gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.“
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Text Johannes Hoffmann
„Sturm der Freiheit mit entfacht“
Preisträger 2012: Professor Ben Achour
Ben Achour habe sich um die Demokratisierung und Menschenrechte in seinem Land in herausragender Weise verdient gemacht. Sein Wirken sei „geprägt von der Überzeugung, dass ein dauerhafter Frieden und eine freiheitliche Gesellschaft in Tunesien nur auf dem Fundament des Rechtsstaats aufgebaut werden können“, sagte der DW-Intendant. Professor Ben Achour sagte, er widme den Preis „jenen, ohne die wir nicht in den Genuss der Freiheit gekommen wären: die Märtyrer und die Verwundeten der Revolution“. Die Auszeichnung ermutige ihn und seine Landsleute, „den Kampf für die Unterstützung unserer demokratischen, zivilen Revolution weiterzuführen, für ihre universellen menschlichen Werte, die in individuellen und sozialen Rechten gründen und in den Grundlagen eines modernen Rechtsstaates. Es ermutigt uns dazu in einem Klima fehlender Anerkennung im eigenen Land und einer Revolution, die auf Abwege zu kommen scheint.“ Die tunesische Revolution habe unter der Erkenntnis gestanden, „Demokratie ist kein Monopol eines bestimmten Volkes oder einer Kultur, sondern ein grundlegender Bestandteil menschlichen Denkens und Fühlens“. Ben Achour bezeichnete es als „bedauerlich“, dass gegenwärtig eine „äußerliche und wörtliche Auslegung“ des Koran erfolge. Manche „rechtfertigen damit
Professor Yadh Ben Achour, Präsident der ersten verfassungsgebenden Kommission Tunesiens, ist mit dem Internationalen Demokratiepreis Bonn ausgezeichnet worden. „Wir würdigen damit seine herausragende Rolle beim Übergang von der Diktatur zu den ersten demokratischen Wahlen“, unterstrich DW-Intendant Erik Bettermann bei der Preisverleihung am 6. September in Bonn. politische Gewalt und Terror unter der Bezeichnung Jihad, so wie sie ihn verstehen, und Diskriminierung von Frauen unter dem Begriff angeblich männlicher Überlegenheit“. Weiter sagte er: „Heute sehen wir, wie die Anhänger dieser destruktiven Strömung versuchen, die Revolution zu
»Demokratie ist Bestandteil des Denkens und Fühlens.« zerstören durch Einschüchterung und Gewalt. Aber die tunesische Bevölkerung ist aufmerksam genug und hatte lange genug Geduld, um sich diesen Kräften entgegenzustellen.“ Hans-Jürgen Beerfeltz, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, betonte in seiner Laudatio, Ben Achour habe „den Sturm der Freiheit“ in der arabischen Welt „mit entfacht“. In seinem akademischen und politischen Wirken habe er sich „stets für die demokratischen Werte eingesetzt“. Er erinnerte daran, dass Ben Achour schon vor der Jasminrevolution die These vertreten habe, „dass ein Rechtsstaat auf den Grundpfeilern der Demokratie und Men-
schenrechte keineswegs dem Geist des Koran widerspricht“. Der frühere tschechische Staatspräsident Václav Havel hatte als erster den Internationalen Demokratiepreis Bonn erhalten, 2010 die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Die Deutsche Welle ist in Tunesien mit ihrem Fernsehprogramm und Online-Angeboten auf Arabisch präsent. Seit 2011 richtet die DW Akademie vielfältige Trainingsmaßnahmen für Radio- und TV-Journalisten staatlicher und privater Medien aus und organisiert Konferenzen im Land. Die Ansprache Ben Achours im Internet: www. dw.de/idp (siehe auch S. 33)
Yadh Ben Achour geboren 1945, ist tunesischer Jurist und Verfassungsrechtler. Von März bis Oktober 2011 war er Vorsitzender der „Hohen Kommission zur Verwirklichung der Ziele der Revolution, der politischen Reform und des demokratischen Übergangs“ in seinem Land.
Deutsche Welle
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andere verstehen
Facebook-Aktivisten“, „Twitter-Revolution“, „Volksaufstand per Mausklick“ – kein Schlagwort schien in den Zeiten des Arabischen Frühlings plakativ genug, um die Bedeutung digitaler Medien bei den Massenprotesten in vielen arabischen Staaten zu beschreiben. Spätestens seit der ägyptische Internet-Aktivist und Google-Manager Wael Ghonim zum Gesicht der ägyptischen Protestbewegung und vom US-Magazin Time zur einflussreichsten Persönlichkeit 2011 gekürt wurde, ist der „Hype“ um die Wirkung von Twitter, Facebook und Co. im Dienste dieser neuen Protestformen nicht mehr zu stoppen. Zweifelsohne spielten Soziale Medien eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung und Organisation der historischen Protestwelle in der arabischen Welt. Denn sie stießen in neue Dimensionen vor, eröffneten den Menschen andere Kommunikationskanäle jenseits staatlicher Medienkontrolle – und ermöglichten somit neue Formen der freien Interaktion und Partizipation. Menschen unterschiedlicher Herkunft konnten ihre Standpunkte deutlich machen.
Ein Gesicht der Jasminrevolution: Bloggerin Lina Ben Mhenni
©© Hollandse Hoogte/laif
Überwindung der Angst
Text Loay Mudhoon Redaktionsleiter Qantara.de
Agenten des Wandels Führende arabische Blogger wollen nicht als „digitale Dissidenten“ und Vorreiter der Revolution gelten. Sie sehen Soziale Medien als effektives Instrument – in der Hand etablierter, realer Protestbewegungen.
www.qantara.de www.thebobs.com
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Entscheidend bei Facebook und anderen Medien war jedoch der erste Schritt, nämlich die Überwindung der Angst und die Schaffung von neuen Artikulationsräumen, zunächst virtuell, dann real. Denn ohne diese freien Räume wären weder Gruppenbildung noch Massenmobilisierung möglich gewesen. Auch deshalb sprechen wir von einer neuen arabischen Welt, in der die Schranken der Angst gefallen sind. Doch jenseits dieser Euphorie, hinter der sich teilweise ein neuartiger Technikfetischismus im Westen verbirgt, sollte die Bedeutung Sozialer Medien für das Gelingen der ersten Etappen der arabischen Revolutionen nicht überschätzt werden. Schließlich lagen die realen Ursachen für die Volksaufstände auf der Hand: die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung durch die sozioökonomischen Krisen und die Reformblockade durch die völlig korrupten und unfähigen arabischen Machteliten. Außerdem führt die Überbetonung der Rolle der Sozialen Netze dazu, den politischen Gehalt der sozial-bürgerlichen Revolten aushöhlen. Aus diesem Grund distanzieren sich führende arabische Blogger und Bloggerinnen in aller Deutlichkeit von Bezeichnungen wie „Facebook-Revolution“ oder „digitalen Dissidenten“. Vielmehr verweisen sie auf die Bedeutung von Flugblättern und Bürgerversammlungen für die Mobilisierung. Vor allem aber verstehen sie sich als Agenten des Wandels und Triebkräfte der neuen sozialen und politischen Ordnung.
Jugend machte den Anfang Dieser Aktivismus lässt sich am Beispiel Ägypten gut verdeutlichen, wo viele Bloggerinnen und Blogger, die an der Revolution maßgeblich teilnahmen, gleichzeitig Mitglieder der „Jugendbewegung des 6. April“ waren. Diese Bewegung stellt „die Keimzelle der Revolution“ dar. Sie hatte zu den ersten Protesten aufgerufen – lange vor der Besetzung des symbolträchtigen Tahrir-Platzes in Kairo. Sie war aus dem Arbeitskampf in der Textilstadt Mahala im Nil-Delta im April 2008 hervorgegangen. Für arabische Blogger können Soziale Netze effektive Instrumente für politischen Wandel und demokratischen Aufbruch sein, wenn Graswurzel-Organisationen und etablierte Protestbewegungen von ihnen Gebrauch machen – und nicht vereinzelte Blogger und Technikfetischisten.
Prestigeprojekt in Marokko: der Tiefwasserhafen „Tanger Med“
©© Hannah Münzer, Deutschland
©© DW/C. Kober
unterwegs sein
Text Christoph Kober, Reporter
Wo Schnecken den Aufbruch begleiten Der arabische Frühling und die Folgen: Ein Film-Team der Deutschen Welle reiste zu Aufnahmen nach Marokko. Auf der Suche nach ersten Spuren der Veränderung. Eine Tour mit Hindernissen und aufschlussreichen Bildern
N
a los!“ Mohamad winkt vom Imbiss auf der anderen Straßenseite. „Komm rüber!“ Am ersten Tag meiner Marokko-Reise hat mein Kameramann mir einen speziellen Snack versprochen. Wenig später grinsen sie mich an: Mohamad und ein Haufen gekochter Schnecken in einer Suppenschale – ohne Häuschen, dafür mit Fühlern. Ich bin zum ersten Mal in diesem Land. Zusammen mit meiner Kollegin Fatima Boughanbour, die für die Deutsche Welle aus Marokko berichtet, sollen wir Beispiele dafür finden, welchen Einfluss der
arabische Frühling auf Marokko und seine Wirtschaft gehabt hat. Bevor mir Mohamad freudestrahlend die Schale mit den Schnecken überreichte, waren wir in Casablanca. Wir wollen die Textilunternehmerin Shadia Benabdel Jalil porträtieren. Sie betreibt eine Fabrik und verstreut über das ganze Land etliche Boutiquen. Die Unternehmerin hat anfangs großes Interesse gezeigt, zügig zugesagt, Termine vereinbart – und ist wenige Tage vor Drehbeginn verschwunden. Sie beantwortet weder E-Mails noch Anrufe. Immer wieder versucht Fatima, sie zu erreichen. Der Zeitplan
ist eng, die Kamera-Crew fest gebucht, Fatima ist der Verzweiflung nah. Sie versichert mir: einfach verschwinden, so etwas machen Interviewpartner nicht – auch nicht in Marokko.
Von Konkurrenz engagiert? Erst gut zwölf Stunden, bevor wir anfangen wollen zu drehen, taucht Shadia Benabdel Jalil wieder auf. Sie sei krank gewesen, entschuldigt sie sich. Außerdem war sie misstrauisch geworden – ein Kamera-Team aus
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Deutschland, das hörte sich unglaubwürdig an. Sie vermutete, wir seien von der Konkurrenz engagiert, um sie und ihre Winterkollektion auszuspionieren. Gefragt nach den Folgen, die der arabische Frühling ihrem Land gebracht hat, sagt sie: „Die Dinge verändern sich langsam.“ Der Staat fördere neuerdings selbständige Existenzen. In Casablanca, der Wirtschaftsmetropole mit vielen jungen, westlich gekleideten Jugendlichen, eröffnen immer mehr Boutiquen. Wachsende Konkurrenz für Benabdel Jalil. „Und“, fügt sie hinzu, „die Menschen treten stärker für ihre Rechte ein.“ Zum ersten Mal seit der Firmengründung 1982 haben sich vor wenigen Wochen ihre mehr als 300 Angestellten zusammengetan und mehr Lohn gefordert. Für mehr Geld haben im vergangenen Jahr auch die Hafenarbeiter in Tanger gestritten. Tanger Med heißt der Tiefwasserhafen am Mittelmeer, der das zweite Ziel auf unserer Reise ist. Der Weg führt rund fünf Stunden nach Norden. Über hervorragend ausgebaute Straßen – die gleichzeitig eines
der Probleme Marokkos symbolisieren. Autobahnen, Flug- und Seehäfen seien alle gut ausgebaut, sagen uns die Menschen, wenn die Kamera aus ist. Aber für die Bildung der Menschen oder eine bessere Gesundheitsversorgung gebe der Staat zu wenig Geld aus.
Hafenausbau vor Bildung Von mangelnden Investitionen kann in Tanger dagegen keine Rede sein. Der Hafenausbau ist ein wichtiges Projekt für den König und die Regierung Marokkos. Das Land will mehr vom internationalen Handel, von der Globalisierung profitieren. Seit 2010 ist der Hafen in Betrieb. Er soll ein wichtiger Umschlagplatz für Container werden. Vor dem Tor zu den Verladeterminals müssen wir warten. „Keine Anmeldung, keine Sicherheitsschuhe, kein Einlass“, posaunt der Sicherheitsbeamte. Meine Kollegin Fatima wird unruhig. Wir haben am selben Abend noch einen Termin in der Hauptstadt und vorher fünf Stunden Fahrt
zu bewältigen. Fast zwei Stunden diskutieren, telefonieren und warten wir. Dann lässt uns der Posten passieren. Drinnen herrscht Hochbetrieb. „Das letzte Jahr war schwierig“, sagt einer der Manager. So positiv die gesellschaftliche Entwicklung für die Menschen im Land ist, so sehr hat sie ausländische Kunden verschreckt. Die großen Reedereien hatten Angst, dass die Stimmung im Land kippt – und haben ihre Schiffe nach Spanien geschickt, nur 20 Kilometer weiter nördlich. Und dann haben auch noch die Hafenarbeiter gestreikt. „Wir versuchen, Vertrauen zurückzugewinnen“, sagt der Manager. Zurück in Casablanca. Ich überlege noch. Schließlich hat mir die Schnecke nichts getan. Ich schaue auf Mohamads halbleer gegessene Schüssel. Was soll’s. Ich nehme die erste Schnecke in den Mund und beiße zu. Es fühlt sich an, als ob man auf einem großen Gummibärchen kaut, mit salziger Cremefüllung. Ich schaue wohl etwas gequält. Mohamad grinst: „Welcome to Morocco!“
das Läuft
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Das Reporter-Team in Marokko: Fatima Boughaubour und Christoph Kober
scher Expertise verwirklicht werden, oder von Aus- und Fortbildungsprogrammen für einheimische Fachkräfte. Das Projekt „Wirtschaft in der arabischen Welt“ wird mit Mitteln des Auswärtigen Amts realisiert und läuft bis Mitte 2013. Es wird vor allem die arabischsprachige Ausgabe von Made in Germany bereichern. Geeignete Stücke werden auch in der deutschen, spanischen und englischen Ausgabe des Magazins platziert. Die arabische Sendung lädt zu den Filmen auch Experten ins Studio. Thomas Mandlmeier ©© dpa
©© DW/C. Kober
Das Wirtschaftsmagazin Made in Germany zeigt in den kommenden Monaten 52 Reportagen aus arabischsprachigen Regionen: Die Reihe „Wirtschaft in der arabischen Welt“ ist ein Multimediaprojekt für DW-Nutzer zwischen Oman und Marokko. Die Fernsehbeiträge sind im Internet abrufbar und werden dort durch ein Dossier ergänzt. Zuschauer können das Projekt außerdem auf der arabischen Facebookseite verfolgen. Wie hat sich die arabische Wirtschaftswelt nach den Revolutionen in Nordafrika entwickelt? Gibt es eine Aufbruchstimmung auch im Wirtschaftsbereich? Werden zukunftsträchtige Arbeitsplätze geschaffen? Das sind Fragen, denen die deutsch-arabische Reporter-Teams nachgehen. Gemeinsam recherchieren die Journalisten Themen zur Modernisierung der Wirtschaft in der MENA-Region – in Nah-/Mittelost und Nordafrika. Denn wirtschaftlicher Fortschritt unterstützt die politische Stabilität in der arabischen Welt. Es sind Beispiele aus Marokko, aus Ägypten, Jordanien, dem Königreich Saudi-Arabien und weiteren Ländern. Die Filme handeln von der Expansion kleiner und mittelständischer Unternehmen, von Großprojekten, die mit Hilfe deut-
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Wirtschaft und Arabellion
www.dw.de/made-in-germany
medienwelt einordnen
Getwitter „Themenseiten sind das neue Ding.“ Fünf Erkenntnisse zur Zukunft des Publizierens von Richard MacManus (Neuseeland) im Netz. http://rww.to/PmVgzi Leben in der Multi-Screen-Welt: 90 Prozent der Nutzer wechseln zwischen mehreren Geräten. Content muss überall funktionieren. http://tcrn.ch/RYXCs5 Leben in der Parallelwelt: Iran will bis Ende 2013 ein eigenes Internet schaffen. Zum „Schutz“ seiner Bürger. http://bit.ly/IcColN Amazon steigt ins Tablet-Geschäft ein: Mit Kindle Fire greift der Konzern iPad und Co. an. Kommt auch ein Smartphone? http://rww.to/TqROah Mobile Video-Reporting: Mehr als 400 Reporter des Wall Street Journals filmen mobil mit einer Version der Video-App Tout. http://bit.ly/U6vY9X
Text Dominik Ahrens Projektleiter Marketing
Futurando und andere Türöffner Mit Magazinen in der jeweiligen Landessprache ist die DW in wichtigen Fernsehmärkten erfolgreich. Die neuen Formate öffnen Türen für weitere Angebote. Produziert werden die Sendungen in neuen Studios in Bonn – für Partner mit starker Reichweite.
Noch Twitter-Skeptiker? Steve Buttry (USA) nennt zehn triftige Gründe, warum Twitter für Journalisten unverzichtbar ist. http://bit.ly/RnYzrk Sind junge Menschen durch Soziale Medien politisch engagierter? Leider nicht, sagt eine Hamburger Studie. http://bit.ly/QbrAYD 110 Milliarden US-Dollar: So hoch ist der durch Cyberkriminalität in einem Jahr verursachte Schaden laut Symantec. http://bit.ly/TWVAnD Schatztruhe Handy: Welche wertvollen Rohstoffe in unseren mobilen Telefonen stecken, zeigt eine Infografik der DW. http://bit.ly/Ogo3s1 „Gelöscht“ heißt jetzt wirklich gelöscht – selbst bei Fotos auf Facebook. Das Netzwerk behielt Bilder bisher im Speicher. http://bit.ly/PtMLRo Ist Dabeisein alles? Machen sich Menschen verdächtig, die nicht in Sozialen Netzen aktiv sind? http://bit.ly/MjchHB Titel, Thesen, Trolle: Was Nutzerkommentare im Netz wirklich bringen und wie es um die Meinungsfreiheit steht. http://bit.ly/NgzRdn
Die Moderatoren des Magazins Manthan: Isha Bhatia (r.) und Anwar-Jamal Ashraf
Als die DW und ihr indischer Ausstrahlungspartner Doordarshan am 6. September in Delhi Manthan, das neue TV-Magazin in der Landessprache Hindi, vorstellten, waren mehr als hundert Journalisten erschienen. „Manthan lebt als Wissenschafts- und Technikmagazin vom hervorragenden deutschen Image als Hochtechnologie-Nation. Im riesigen indischen Markt sind wir bisher der einzige internationale Sender, der ein solches Format auf Hindi anbietet“, so Anne Hufnagel, Leiterin des Vertriebsbereichs Asien. In Doordarshan hat die DW zudem den größten staatlichen Sender im Boot. Hufnagel ist zuversichtlich, dass die Nachfrage ähnlich schnell wachsen wird wie in Indonesien. Dort ist die DW bereits seit April mit dem Magazin Inovator auf Indonesisch präsent. Inzwischen strahlen vier Sender das Angebot aus, weitere Interessenten stehen in den Startlöchern. Inhaltlich ähnlich wie Manthan aufgebaut, erreicht das TV-Magazin seine Zuschauer besser als vergleichbare Angebote in englischer Sprache.
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medienwelt einordnen
Unter den internationalen Sendern ist die DW auch hier einziger Anbieter eines solchen Wissenschaftsformats. Wie wichtig es ist, die Zuschauer in ihrer eigenen Sprache anzusprechen, weiß auch Sylvia Viljoen; sie ist mit dem Vertrieb für Amerika betraut. Dort bietet die Deutsche Welle seit Februar zusätzlich zum deutschsprachigen auch einen spanischsprachigen Kanal an – ein Angebot, das bei Partnern und Zuschauern sehr gut ankommt.
Schlüssel zum Markt Doch ausgerechnet im bevölkerungsreichsten Land Südamerikas, in Brasilien, war die DW bislang nur mit dem deutschen Angebot auf dem Bildschirm vertreten. „In Brasilien ist Portugiesisch der Schlüssel zum Markt“, betont Viljoen. „Mit dem neuen TVMagazin Futurando erfüllen wir seit September die Wünsche unserer Partner nach hochwertigem Inhalt mit regionaler Relevanz – in portugiesischer Sprache.“ Die Einbeziehung von Experten und Themen aus dem jeweiligen Sendegebiet gewährleisten diese regionale Ausrichtung. So verbinden die Sendungen – ob für Brasilien, Indien oder Indonesien – deutsches Know-how mit internationalen Anliegen
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und suchen zugleich nach Lösungen für lokale Themen und Probleme.
Regionale Ausrichtung In dieser inhaltlichen Konzentration auf die Zielregion liegt ein weiterer Grund für den Erfolg der neuen TV-Formate, die in einem Studiokomplex im Bonner Funkhaus produziert werden. Hier entsteht inzwischen auch eine Reihe von Magazinen mit politischem und kulturellem Schwerpunkt für Länder in Europa. Die Formate profitieren von der engen Zusammenarbeit der beteiligten Bereiche an beiden DW-Standorten – in Bonn und Berlin – und von einer effizienten, modularen Produktion. So nutzen die Redaktionen für die neuen Magazine Beiträge aus dem Angebot von DW Transtel und adaptieren diese. Manthan, Inovator und Futurando nutzen darüber hinaus das Design des Wissenschaftsmagazins Projekt Zukunft. Das spart Produktionszeit und -kosten. Einig sind sich Vertriebsexperten, Strategen und Redaktionen der DW in der Signalwirkung der Formate für die Medienmärkte: „Dass wir die Menschen in ihrer Landessprache ansprechen, erzeugt Aufmerksamkeit und öffnet Türen für weitere
Angebote“, fasst Sylvia Viljoen zusammen. „So lassen sich Synergien für das OnlineAngebot schaffen.“ Natürlich sind Beiträge der neuen Magazine auch auf dw.de jederzeit als Video-on-Demand verfügbar.
Neun TV-Magazine aus Bonn Die DW produziert derzeit neun rund halbstündige wöchentliche TVMagazine allein in Bonn. Zum einen sind dies die Magazine Manthan (auf Hindi), Inovator (Indonesisch) und Futurando (Portugiesisch) mit Beiträgen aus Wissenschaft, Technik und Umwelt. Darüber hinaus die Magazine Euro Box (auf Rumänisch und Kroatisch), Euro Panorama (Bosnisch), Evro Panorama (Mazedonisch), DW ile Avrupa (Türkisch) und Europa sot (Albanisch) mit Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. In Planung sind derzeit Magazine auf Serbisch, Bulgarisch und Russisch.
position beziehen
Text Yadh BEN ACHOUR Träger des Internationalen Demokratiepreises Bonn 2012
Pochen auf Gewaltenteilung Nach der Revolution gegen den damaligen Diktator Ben Ali im Januar 2011 und den ersten freien Wahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung im Oktober desselben Jahres haben wir in Tunesien viel erreicht. Wir haben ein Parteiengesetz ausgearbeitet, das auf Pluralismus und Geschlechterparität basiert. Wir haben eine unabhängige Wahlkommission gegründet, um freie und faire Wahlen zu gewährleisten und Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit verabschiedet, basierend auf den Prinzipien des demokratischen Pluralismus. Die Reaktionen auf unseren Verfassungsentwurf waren sehr zurückhaltend. Es war ein sehr fortschrittlicher Entwurf, fortschrittlicher als die Vorstellungen der meisten Abgeordneten in der Versammlung, die von den Konservativen dominiert wird. So haben wir vorgeschlagen, die Todesstrafe abzuschaffen. Allerdings verfolgt die Verfassunggebende Versammlung eine „Politik des weißen Blattes“. Das heißt, dass sie keine Vorschläge externer Experten berücksichtigt, sondern sich nur auf ihre eigenen Experten beruft. Ich halte diese Einstellung für falsch. Zum Stellenwert des Islam im politischen System sagt der Verfassungsentwurf nichts. Schließlich hat die tunesische Revolution nie gefordert, die islamische Rechtsprechung Scharia als Grundlage der staatlichen Gesetzgebung einzuführen. Auch als Enkel eines Islamgelehrten kann ich eine Verfassung auf dieser Grundlage ablehnen. Das ist überhaupt kein Widerspruch. Nach wie vor herrscht große
»Wir müssen unseren Kampf fortsetzen für ein freies Land.«
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Dr. Johannes Hoffmann redaktion
Uneinigkeit über Definition und Inhalt der Scharia. Betrachten wir es aus politischer Perspektive, dann wäre es schlichtweg unvertretbar, bestimmte Scharia-Regeln einzuführen, etwa die Todesstrafe oder Steinigungen. Das widerspricht dem modernen Menschenrechtsbegriff. Ich hätte aber kein Problem damit, wenn die Scharia als moralische Referenz herangezogen würde. Denn der Islam ist eine Religion der Toleranz und Freiheit. Er garantiert den religiösen Minderheiten Religionsfreiheit und dem Menschen persönliche Freiheit. Leider gibt es aber Leute, die an starren, veralteten Regeln festhalten. Ich fordere nicht die Trennung zwischen Staat und Religion. Ich lehne es allerdings vehement ab, dass eine politische Partei im Namen des Islam Politik betreibt. Wenn die Grenzen zwischen dem Politischen und dem Religiösen verschwimmen und die Gewaltenteilung im Namen der Religion ausgehebelt wird, dann könnte daraus die schlimmste Diktatur entstehen. Tunesien steckt in einer schwierigen Phase voller Gegensätze, Entgleisungen und Abweichungen von den ursprünglichen Forderungen der Revolution. Wir müssen uns vor diesen Bedrohungen schützen und unseren Kampf fortsetzen für ein freies Land, das den Zielen seiner Revolution treu bleibt. Revolution ist ein langwieriger Prozess. Die Umsetzung der Veränderungs-Agenda wird noch Jahrzehnte dauern.
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Beitrag auf der Grundlage eines DW-Interviews
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menschen begegnen
Liebt und kritisiert seine Kirche: John Berwick in Berlin
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Text Richard Fuchs, Freier journalist
Gott und die Welt kennen John Berwick ist ein Mann der großen Lebenssprünge. Aufgewachsen in Südafrika, führt ihn sein Weg erst nach England, dann nach Deutschland. Das Theologie-Studium endet nicht mit der Priesterweihe. Er wird Journalist. Als Religionsexperte beim Fernsehen der DW verbindet er heute Geistliches und Weltliches mit Leichtigkeit.
M
it dem Papst ist John Berwick um die halbe Welt gereist. Ob in die USA, Türkei oder nach Palästina, Österreich, Jordanien oder Israel: Wohin das geistliche Oberhaupt der katholischen Kirche auch reist, der DW-Religionsexperte ist fast immer dabei. „Als ‚wir‘ Papst wurden, wurde ich mit Arbeit überhäuft“, erinnert er sich an die Wahl Benedikt XVI. Als Sprachrohr der etablierten Kirche sieht sich der 62-Jährige keineswegs. „Es ist eine Kirche, die ich liebe, die ich aber auch kritisiere.“ Aufgewachsen ist der gebürtige Brite in Südafrika. Dort studiert er zunächst Englisch und Philosophie, dann katholische Theologie. Nach einer Intensivausbildung in Belgien steht er kurz vor der Priesterweihe. Zurück im Apartheidstaat Südafrika, beschließt er, kein Geistlicher werden zu wollen. Sein Kirchenbild indes bleibt bis heute von der Widerstandskirche im Südafrika dieser Zeit geprägt. Sein Talent, Geschichten für Hörspiele und Fernsehfilme zu schreiben, bringt ihn auf weltliche Gedanken. Berwick nimmt eine Stelle als Redakteur beim staatlichen Rundfunk Südafrikas an. Später kann er in einer eigenen Sendung englische LiteraturKlassiker vorstellen. Doch mit 29 Jahren beschließt er auszuwandern. „Es gibt einen Punkt, an dem du auswandern musst, oder du wirst tatsächlich verrückt“, kommentiert er seine damalige Entscheidung – ein Zitat einer Widerstandskämpferin aus Simbabwe. In London tritt Berwick in die Dienste des britischen Staates ein, arbeitet im Presseamt der Regierung.
Der Ruf nach persönlicher Freiheit lässt ihn aus dieser gesicherten Existenz erneut aufbrechen – nach Berlin. Noch spricht er kein Deutsch, was sich durch mühsames Selbststudium aber bald ändert. „Ich habe von Anfang an deutsche Freunde gesucht“, sagt der inzwischen begeisterte Liebhaber deutscher Schachtelsätze. Er erfüllt sich einen Kindheitstraum, lässt sich zum Buchbindergesellen ausbilden. „Ich wollte eine
»Es ist meine Heimat geworden. Ich bin ein echter Wahldeutscher.« kleine Buchbinderei aufmachen mit feinen und exklusiven Sachen“, erzählt Berwick. Dieser Teil des Traums wurde jedoch nicht wahr. Denn inzwischen war die Mauer gefallen, es gab viel Arbeit für einen erfahrenen Medienmann wie ihn. Noch in der Nacht des Mauerfalls 1989 macht er sich auf zum Brandenburger Tor. „Ein irres Gefühl, zu jenen zu gehören, die auf der Mauer standen“, berichtet Berwick von einem der nachhaltigsten Momente seines Lebens. „Umso mehr habe ich mich geehrt gefühlt, als ich 2009 eingeladen wurde, die DW-Sondersendung am 20. Jahrestag des Mauerfalls mit zu moderieren.“ Doch bevor ihn sein Weg zum Fernsehen der DW führt, macht sein Leben wieder
einen Sprung. Im Ostteil Berlins lernt er Mönche des Karmeliterordens kennen und beschließt kurzerhand, dem Orden beizutreten. „Diese Zeit im Schweigeorden war wichtig für mich“, sagt Berwick heute. Teils lebt er in Stille, teils arbeitet er in Bayern in einem Aids-Projekt mit. Dann packen ihn das „Heimweh nach Berlin“ und die Neugier auf ein neuerlich anderes Leben; er tritt aus dem Orden wieder aus. Ende der 1990er-Jahre beginnt er bei der DW – zunächst als Übersetzer, später als Redakteur. Als Grenzgänger zwischen Religion und Medien reibt er sich heute vielfach an den verkrusteten, reformbedürftigen Strukturen der katholischen Kirche, ärgert sich aber auch darüber, wenn Journalistenkollegen unberechtigt Kritik üben. „Es gibt weiß Gott viel an dieser Kirche zu kritisieren, aber man muss sie kennen, um sie zu ändern.“ Auch die Kirche sollte einen Sprung machen, meint Berwick. Seit 13 Jahren arbeitet John Berwick für die DW, inzwischen auch als politischer Korrespondent im Hauptstadtstudio. In keinem anderen Land hat er länger gelebt als in Deutschland. Seine Liebe fürs BauhausDesign, sein Faible für deutsche Weine, seine Experimentierfreude beim Kochen – all das hat er hier kennengelernt. „Es ist meine Heimat geworden“, stellte er eines Tages fest und beantragte die deutsche Staatsbürgerschaft. Diesen Sprung in seinem Leben kommentiert er mit einem Augenzwinkern und britischem Humor: „Ich bin deutscher als die Deutschen, weil die nur Zufallsdeutsche sind. Ich dagegen bin ein echter Wahldeutscher.“
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Mitveranstalter
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