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NEWSLETTER IV / 2016
Foto: UNICEF Ethiopia / 2014 / Tsegaye, CC BY-NC-ND 2.0
NORD SÜD news
Mutterschutz darf nicht zum Handelshemmnis deklariert werden können
Inhalt
Zukunft des Freihandels: Analyse
Titel WTO oder TTIP? Global oder regional? ............... S. 1f
WTO oder TTIP? Global oder regional? Was ist besser für die Länder des Südens: bilaterale, regionale Handelsabkommen oder globale Vereinbarungen im Rahmen einer reformierten Welthandelsorganisation? Ist die Liberalisierung des Handels im Rahmen der Welthandelsorganisation, WTO, die bessere Alternative zu bilateralen oder regional-multilateralen Abkommen? Das wird immer wieder behauptet. Der Hintergrund: 1994 wurde die WTO als Nachfolger des 1947 vereinbarten Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) gegründet, heute gehören ihr 164 der 193 UNO-Staaten an. Im Jahr 2001, auf der Handelskonferenz in Doha, nahmen sich die WTO-
Staaten vor, Märkte zu öffnen und den globalen Handel auf eine neue Grundlage zu stellen. Doch es ging nicht voran. Als dann im Jahr 2011 die fünfte Ministerrunde scheiterte, initiierten führende Handelsmächte wie die USA, EU, Kanada oder Australien Handelsverträge außerhalb der WTO: TTIP, CETA oder TISA. Globalisierungskritiker, die die WTO im ersten Jahrzehnt ihrer Existenz oft noch scharf kritisiert hatten, warnen seither, bei solchen zwischenstaatlichen Verhandlungen gerieten kleine und arme Länder aus dem Süden in eine schwächere Situation. Doch das ist ein selektiver Blick. Mit den Realitäten in den ersten WTO-Jahren hat er wenig zu tun. Weiter auf Seite 2
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Der Kommentar Der Bohrer ist angesetzt ..................................... S. 3 Zukunft des Freihandels TTIP und die Länder des Südens: „Man könnte dazu auch Ausgrenzungsabkommen sagen“ ....... S. 4 TISA und die Daseinsvorsorge: Viel zu viele offene Fragen ..................................................... S. 5 EU und Südostasien: Freihandel soll „Schutz gegen Chinas Dominanz“ bieten ........................ S. 6 EU und Südamerika: Austausch von Wunschlisten ...................................................... S. 7 In Kürze Jens Martens geht; Leitfaden für Lohngerechtigkeit; Arbeitsschutz für WM-Bauarbeiter; Guy Ryder bleibt; ArbeiterInnenrechte sind Menschenrechte sind ArbeiterInnenrechte .................................... S. 8
NORD SÜD news IV / 2016
Fortsetzung von Seite 1
TTIP UND DIE LÄNDER DES SÜDENS
DER KOMMENTAR
Denn die WTO wurde 1994 auf Betreiben der sogenannten Quad-Gruppe gegründet, den damaligen vier führenden Wirtschafts- und Handelsmächten USA, EU, Japan und Kanada. Solange sich diese vier untereinander einig waren, setzten sie alle ihre Interessen durch. Es zählte nicht, wenn die anderen WTO-Mitglieder dagegen waren. Die anderen – dass waren zu zwei Drittel Staaten des Südens, darunter auch 32 Least Developed Countries, LDC, also nach UN-Definition am wenigsten entwickelte Länder. Die schwächsten, die Staaten Afrikas, knickten unter dem Druck der Quad-Mächte immer als erste ein. Aber auch aufstrebende Schwellenländer wie Indien oder Brasilien konnten sich dem Druck langfristig nicht widersetzen.
TISA UND DIE DASEINSVORSORGE
Das Machtgefälle in der WTO änderte sich erst nach dem Beitritt Chinas 2001. Unter der Koordination von China, Brasilien, Indien und Südafrika gründete sich eine Gruppe von 20 Schwellenländern. Sie stellte sich der Quad-Gruppe entgegen – auch bei der als „Entwicklungsrunde“ deklarierten Doha-Runde. Das führte nun erst zur vielfach beklagten „Blockade“ der WTO – und den verschiedenen Verhandlungen und Abkommen in kleineren Rahmen.
EU UND SÜDOSTASIEN
Freilich gab es diese zwischenstaatlichen Abkommen auch schon vor der Gründung der WTO und zu Zeiten des ebenfalls globalen GATT. Ihm gehörten in seiner letzten von 1986 bis 1993 geführten Uruguay-Verhandlungsrunde 123 Staaten an. Ein Beispiel ist das Anfang 1994 in Kraft getretene Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko über eine
Handelsabkommen: Was läuft?
IN KÜRZE
Foto: Ruben Neugebauer / Campact, CC BY-NC 2.0
EU UND SÜDAMERIKA
MULTILATERAL
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GATT – General Agreement on Tariffs and Trade: Das kurz nach dem zweiten Weltkrieg vereinbarte Abkommen zwischen ursprünglich 23 Staaten ist die wichtigste Vertragssäule der Welthandelsorganisation mit heute mehr als 160 Mitgliedsstaaten. GATS – General Agreement on Trade in Services: 1994 beschlossenes Dienstleistungsabkommen, bei dem jedes WTOMitglied selbst entscheiden und kontrollieren soll, welche Bereiche es unter welchen Auflagen für den internationalen Wettbewerb öffnet.
nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA). Auch die EU und ihr Vorläufer, die 1957 zwischen zunächst sechs Staaten gegründete Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ist ein regionales Handels- und Wirtschaftsabkommen. Doch die These, die schwächeren Länder stünden bei bilateralen und regionalen Verhandlungen grundsätzlich stärker unter Druck als im Rahmen der WTO, lässt sich nicht belegen. Die ausgehandelten zwischenstaatlichen Abkommen gehen auch nicht nur zu Lasten der Schwächeren. NAFTA etwa führte in den letzten 21 Jahren zu einer Verdreifachung des Handels zwischen allen drei Vertragsstaaten. Der Verlust von Arbeitsplätzen, die Senkung von Löhnen und eine verschärfte Umverteilung von unten nach oben lässt sich auch in allen drei Staaten nachzeichnen. Mit NAFTA wurden die Interessen der amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter wegverhandelt zugunsten amerikanischer Unternehmen. Diese wollen für den US-Markt in Ländern produzieren, in denen die Arbeit billig ist, umwelt- und gesundheitsrechtliche Regulierungen schwach und Regierungen käuflich sind. Bei NAFTA ging es nicht darum, den Handel von Hemmnissen zu befreien, sondern darum, multinationale Konzerne von öffentlichen Verpflichtungen in den USA, in Mexiko, in Kanada und der ganzen Welt auszunehmen. Das ist auch der Punkt, an dem Reformen der WTO ansetzen
Die Freihandelsideologie darf in der WTO nicht mehr Vorrang vor allem anderen bekommen.
TISA – Trade in Services Agreement: Wird von 23 Staaten –„wirklich guten Freunden des Handels mit Dienstleistungen“ – als Nachfolgeabkommen zu GATS streng geheim verhandelt. Soll Dienstleistungen stärker dem Wettbewerb aussetzen. (Siehe Seite 5) MEGAREGIONAL TPP – Trans-Pacific Partnership: Umfasst wie alle Megaregionals ganze Regionen. Betrifft ein Drittel des Welthandels. Beteiligt sind zwölf Staaten, darunter die USA, Australien, Kanada, Peru, Vietnam, Singapur und Japan – nicht aber China. Ist seit Herbst 2015 fertig, muss aber noch von allen ratifiziert werden. (Siehe Seite 6) RCEP – Regional Comprehensive Economic Partnership: Konkurrenzab-
müssten. Die Forderungen nach strukturellen Reformen, mehr Transparenz und demokratischer Kontrolle sind alle richtig. Auch muss der Einfluss transnationaler Konzerne und Verbände wie der Internationalen Handelskammer auf die WTO gemindert werden. Entscheidend aber ist, dass die WTO-Staaten der Freihandelsideologie nicht mehr den Vorrang vor allem anderen einräumt, sondern völkerrechtlich verbindlichen Abkommen zum Schutz von Menschen- und ArbeitnehmerInnenrechten, zu Sozial-, Gesundheits- und Umweltstandards. Das sind jene, die sie seit 1945 im Rahmen der UNO und ihrer Sonderorganisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, der Weltgesundheitsorganisation, WHO, oder des UN-Umweltprogramms, UNEP, vereinbart haben. Im Rahmen der WTO gelten diese verbindlichen Abkommen bislang als „Handelshemmnisse“ und werden in den WTO-Verträgen schlicht missachtet. Dasselbe gilt für bestehende und derzeit im Verhandlungsstatus befindliche bilaterale und regional-multilaterale Abkommen wie NAFTA, TTIP, CETA, TPP oder TISA. In der WTO kommt verschärfend hinzu, dass vor dem dort existierenden Streitschlichtungsausschuss handelseinschränkende Maßnahmen einer Regierung etwa zum Schutz von Umwelt oder Gesundheit regelmäßig als Verstoß gegen WTOVerträge gewertet werden. Sie müssen – oft unter Sanktionsdrohung – rückgängig gemacht werden. Andreas Zumach
Der Autor berichtet seit vielen Jahren als Korrespondent aus Genf über internationale Politik.
kommen zu TPP. Betrifft 40 Prozent des Welthandels. Beteiligt sind 16 Staaten, darunter China, Australien, Neuseeland, Japan, Indien und Südkorea sowie die ASEAN-Staaten – nicht aber die USA. Soll 2017 ausverhandelt sein. TTIP – Trans-Atlantic Trade and Investment Partnership: Wird derzeit zwischen den USA und der EU verhandelt. Betrifft ein Drittel des Welthandels. Ist u. a. in Deutschland sehr umstritten. Verhandlungsstände werden immer wieder geleakt. Unklar, wie es mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump weitergeht. (Siehe Seite 4)
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Der Kommentar
Wieviel mit gemeinsamem Druck erreicht werden kann, zeigt das Handelsabkommen CETA. Ursprünglich längst ausverhandelt, gelang es einer internationalen Gemeinschaft von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft, dass etliche Forderungen aufgenommen wurden. Nein, CETA ist dadurch nicht perfekt. So sind
Foto: Solidarity Center / Carlos Villalon, CC BY 2.0
2017 muss die Bundesregierung beweisen, wie ernst sie es mit der Verpflichtung von Unternehmen auf ethische und soziale Standards meint – im Rahmen der G20 und zu Hause. Die Gewerkschaften werden Druck machen, sagt der DGBVorsitzende Reiner Hoffmann.
Auch in der Lieferkette müssen die Menschenrechte respektiert werden: Palmölarbeiter in Kolumbien
Im März 2015 hatte der DGB die Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch. Anlass war der bevorstehende G7-Gipfel auf Schloss Elmau. Bei ihrem Besuch betonte die Kanzlerin, wie wichtig es sei, menschenwürdige Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Lieferkette von Produkten im Auge zu behalten – denn die derzeitigen Arbeitsbedingungen seien oft „erschreckend“. Sie wiederholte diese Forderung auf dem Gipfel und beim Kongress der IG Metall. Und 2017 soll es ernst werden. Denn 2017 wird Deutschland die Präsidentschaft der G20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, übernehmen. Der DGB wird dann gleichzeitig den L20 leiten, die Arbeitsgruppe der Gewerkschaften dieser Länder, und klar ist: Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen entlang der globalen Lieferketten steht ganz oben auf der Agenda – und die Forderung hat Rückenwind. Die massiven Proteste bei den beiden geplanten Handelsabkommen CETA und TTIP zeigen, dass Menschen weltweit nicht mehr tatenlos zusehen wollen, unter welchen Bedingungen Handel stattfindet. Die ungerechte Verteilung der Profite der Globalisierung, die sich durch die Digitalisierung beschleunigt, stößt zunehmend auf Widerstand.
zwar die privaten Schiedsgerichte vom Tisch, zugleich enthalten aber die vorgesehenen öffentlich-rechtlichen Schiedsgerichte zahlreiche Defizite, wie die doppelte Privilegierung von internationalen Investoren. Und es gibt Tausende weitere Handelsabkommen, in denen ArbeitnehmerInnen-, Sozial- und Umweltrechte kaum eine Rolle spielen. Aber wir wissen jetzt: Es ist möglich, Handelsabkommen zu verbessern. Nicht nur dadurch stehen Politik wie Unternehmen unter Druck. Ende 2016, so war es bei Redaktionsschluss geplant, will die Bundesregierung endlich den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ verabschiedet haben. Der NAP soll umsetzen, was die UNGeneralversammlung 2011 beschlossen hat: Unternehmen müssen nicht nur prüfen, ob sie zu ihrem Geld und ihrer Ware kommen. Sie müssen auch eine Risikoanalyse durchführen, ob Menschenrechte von Zulieferern und Produzenten eingehalten werden, und klarmachen, wie sie Menschenrechtsverletzungen vermeiden.
Weiteres politisches Instrument ist der Gesetzesentwurf der großen Koalition zur CSR (Corporate Social Responsability). Damit sollen große kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften, Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten dazu verpflichtet werden, Informationen zu ArbeitnehmerInnen-, Sozial- und Umweltbelangen, zur Achtung der Menschenrechte und zur Korruptionsbekämpfung zu veröffentlichen. Das Gesetz ist von zentraler Bedeutung, denn Grundlage für politisches Handeln ist immer Transparenz bei den Informationen. Doch auch hier gilt es noch, harte Bretter zu bohren. Denn die meisten Unternehmen dürfen laut Gesetzentwurf weiterhin schweigen, wenn es um ihren Beitrag zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit geht. Der Entwurf sieht vor, dass lediglich 536 von mehreren tausend Großunternehmen in den Geltungsbereich der neuen Berichtspflichten fallen, und die Berichtspflicht ist spärlich. Politik ist ein zähes, schwieriges Geschäft. Aber Gewerkschaften sind auch zäh und werden nicht nachlassen: Es ist nicht der DGB alleine mit seinen acht Mitgliedsgewerkschaften, es sind auch der Europäische Gewerkschaftsbund mit seinen über 100 Gewerkschaftsorganisationen in 39 Ländern und der Internationale Gewerkschaftsbund, mit über 300 Organisationen, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Weltweit sind Menschen sensibilisiert für die ungerechte Verteilung der Globalisierungsgewinne, für Umweltschäden und Missachtung fundamentaler sozialer Rechte – und sie sind bereit, sich für bessere Bedingungen zu engagieren. Die Gewerkschaften sind mit ihren direkten Kontakten in Betriebe, zu Beschäftigten, ein wichtiger Bestandteil dieser Bewegung. Die Bretter, die hier noch gebohrt werden müssen, sind hart – aber der Bohrer ist angesetzt. Reiner Hoffmann
Mit dem NAP wollte die Bundesregierung die Erwartung aufstellen, dass die deutschen Unternehmen diese Risikoanalysen durchführen
Reiner Hoffmann ist seit 2014 Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Foto: © DGB / C. Michaelis
Der Bohrer ist angesetzt
– Ziel: 50 Prozent der Firmen mit über 500 Beschäftigten sollen dem in den nächsten Jahren nachkommen. Allein das geht zu vielen Politikern schon zu weit. Und wie die Regierung die Einhaltung kontrollieren will, steht auch nicht drin. Aber für den DGB ist klar: Papier ist vielleicht geduldig. Gewerkschaften sind es nicht. Unser Ziel: Unternehmen, die ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht nachweisen können, sollten von der Vergabe öffentlicher Aufträge und der Außenwirtschaftsförderung ausgeschlossen werden.
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DER KOMMENTAR
Zukunft des Freihandels: TTIP und die Länder des Südens
„Man könnte dazu auch Ausgrenzungsabkommen sagen“
TTIP UND DIE LÄNDER DES SÜDENS
Das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU „hätte auf den fairen Handel gravierende Auswirkungen“, warnt Armin Massing, der Geschäftsführer des Forums Fairer Handel, dem Verband der deutschen Fair-Handels-Organisationen.
Könnte TTIP auf den fairen Handel auch positive Auswirkungen haben? Nein. TTIP hätte keine positiven Auswirkungen auf den fairen Handel oder den globalen Süden. TTIP ist ein Abkommen zu Lasten Dritter. Hier geht es nicht um Freihandel, sondern darum, gewisse Akteure zu bevorzugen. Deshalb sprechen wir von Präferenzabkommen, man könnte dazu auch Ausgrenzungsabkommen sagen.
TISA UND DIE DASEINSVORSORGE
Welche Auswirkungen hätte TTIP auf Schwellenund Entwicklungsländer?
EU UND SÜDAMERIKA
EU UND SÜDOSTASIEN
TTIP soll für mehr Handel zwischen der EU und den USA sorgen. Die Länder des globalen Südens drohen abgehängt zu werden, wenn es deshalb weniger Handel mit ihnen gibt. Die Bauern in den USA und in der EU werden hoch subventioniert. Durch TTIP könnten die Bauern des globalen Südens ihre Waren nicht mehr günstiger anbieten, obwohl sie günstiger produzieren. Das ist absurd. Bisher muss zum Beispiel auf Fruchtsaft aus den USA bei der Einfuhr in die EU 18 Prozent Zoll gezahlt werden. Fällt das weg, hätte das negative Folgen etwa für Brasilien, den größten Exporteur von Orangensaft in die EU. Die brasilianischen Bauern würden weniger in die EU verkaufen, obwohl der Orangensaft dort billiger produziert wird als in den USA.
IN KÜRZE
Ist auch der faire Handel, dessen Abnehmer ja für solche Probleme sensibilisiert sind, von TTIP betroffen? TTIP hätte auf den fairen Handel gravierende Auswirkungen. Der wichtigste Punkt ist die öffentliche Beschaffung. Immer mehr Kommunen wollen beim Einkauf von Toilettenpapier, Feuerwehruniformen oder Steinen für 4
Foto: © GEPA – The Fair Trade Company / A. Welsing
Nord | Süd news: Herr Massing, Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat die Verhandlungen über TTIP für gescheitert erklärt. Ist das eine Entwarnung? Armin Massing: Es gibt eine vorläufige Entwarnung, weil sich der TTIP-Prozess verzögert. Aber aufgeschoben ist nicht automatisch aufgehoben. Es gibt auf beiden Seiten des Atlantiks Akteure, die TTIP in der geplanten Form zum Abschluss bringen wollen. Die EU-Kommission wird weiter dafür powern, US-amerikanische Akteure voraussichtlich auch. Die Gefahr besteht weiter, es gibt keinen Grund, die Hände in den Schoss zu legen.
Rechtslage. Danach hat die EU mit der neuen Vergaberichtlinie einen Rechtsrahmen geschaffen, der faire Beschaffung grundsätzlich möglich macht. Aber das Beispiel zeigt, dass Konzerne die Möglichkeiten nutzen, die sich mit TTIP bieten. Auch wenn Investoren nicht, wie ursprünglich bei TTIP vorgesehen, vor privaten Schiedsgerichten, sondern vor öffentlichen Gerichtshöfen klagen, wie sie bei CETA geplant sind, ist die Gefahr nicht gebannt.
Was wäre die Alternative zu TTIP?
Maria Carme dos Santos ist Bäuerin und Mitglied bei der GEPA-Partnerkooperative COOPEALNOR in Brasilien
den Marktplatz, dass entlang der gesamten Lieferkette die Menschen- und Arbeitsrechte eingehalten werden. Das ist ein riesiger Markt. In Deutschland werden jährlich 480 Milliarden Euro von öffentlichen Stellen in Bund und Ländern ausgegeben. Das entspricht circa 13 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit dieser enormen Einkaufsmacht geht starke Marktmacht einher, die Hebelwirkung entfalten und ganze Produktionsketten umstellen könnte: für gute Arbeitsbedingungen, Umwelt- und Klimaschutz. Die Klagerechte für Investoren, die TTIP vorsieht aber gefährden die Bemühungen um faire Beschaffung der öffentlichen Hand. Was könnte passieren? Das zeigt das Beispiel des Kaffeekonzerns Douwe Egberts. Nachdem die Provinz Nordholland beschlossen hatte, nur noch fair gehandelten Kaffee zu kaufen, hat sich der Konzern bei der EU beschwert. Der Konzern argumentierte, er würde diskriminiert und mit dem Beschluss würde verhindert, dass das Produkt mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis den Zuschlag bekomme. Die EU hat die Niederlande auf Wettbewerbsverzerrung verklagt und 2010 Recht bekommen. So war damals die
Es muss ein gerechtes, multinationales faires Handelssystem geben, in das die Länder des globalen Südens gleichberechtigt einbezogen werden. Die WTO könnte ein Ort dafür sein oder die UN-Handelsorganisation UNCTAD. Die WTO war die Antwort der Industrieländer auf die UNCTAD, weil ihnen die Länder des globalen Südens dort zu stark sind. Seit die WTOVerhandlungen ins Stocken geraten sind, weil sich Entwicklungs- und Schwellenländer wehren, versuchen EU und USA über Abkommen wie TTIP ihre Interessen durchzusetzen. Wichtig wäre, die schwächeren Partner zu unterstützen, zum Beispiel durch Zollerleichterungen. Es darf dabei aber keinen Kuhhandel geben wie bei den EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, wo die EU teils versucht, als Gegenleistung für Zollerleichterungen Marktöffnung und Privatisierung durchzusetzen. Dann sind die Schäden für die Länder des globalen Südens größer als die Gewinne. Werden die Organisationen des fairen Handels am TTIP-Prozess beteiligt, wie das bei anderen Wirtschaftsverbänden der Fall ist? Nein. Auf keiner Ebene. Wir finden das skandalös, aber leider auch bezeichnend. Warum soll man die Akteure des fairen Handels anhören, wenn es einen offensichtlich nicht interessiert, dass die Länder des globalen Südens unter dem Abkommen leiden? Das Interview mit Armin Massing führte Anja Krüger.
Sie arbeitet als Journalistin in Berlin.
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Zukunft des Freihandels: TISA und die Daseinsvorsorge
Viel zu viele offene Fragen Das geplante internationale Dienstleistungsabkommen TISA bedroht staatliche Gesundheits-, Sozial- und Bildungsangebote, warnt der DGB.
Bestimmte Dienstleistungen sollen laut EU von der Liberalisierung mittels TISA jedoch ausgeschlossen sein. Dazu gehören der Luftverkehr und öffentliche Dienstleistungen wie Polizei, Rechtsprechung und Militär, die das Gewaltmonopol des Staates etablieren. Als weitere Ausnahmen nennt die EU die öffentliche Gesundheitsversorgung, öffentlich finanzierte Bildung, entsprechende soziale Dienstleistungen, Wasserversorgung und audiovisuelle Dienste
Foto: fileccia, CC BY-NC 2.0
Nach den von der EU geplanten Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA rückt ein weiterer Handelsvertrag in den Blick. Im internationalen Abkommen zur Liberalisierung von Dienstleistungen – Trade in Services Agreement (TISA) – sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund eine „Gefahr für öffentliche Dienstleistungen“. Der DGB fordert deshalb, die Verhandlungen auszusetzen. Schon in diesem Dezember könnten die Gespräche zwischen 23 Mitgliedern der Welthandelsorganisation WTO, darunter auch der Europäischen Union, zum Abschluss kommen. Ob das klappt, ist unklar. Ein finaler Text ist noch nicht bekannt. Die Verhandlungen laufen seit 2013.
bauen wollen, sollen sie gegenüber europäischen Anbietern nicht benachteiligt werden. Als weitere Branchen kommen etwa juristische Beratung, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, elektronischer Handel und Seeverkehr in Betracht. Manche EU-Staaten haben großes Interesse daran, dass in anderen Ländern neue Märkte eröffnet werden, um europäischen Unternehmen zusätzliche Betätigungsfelder zu erschließen.
Mathe könnte öfter Privatsache werden, wenn US-Firmen dies wollen
TISA stellt einen weiteren Versuch dar, die Blockade der multilateralen WTO-Verhandlungen zur Erleichterung des Welthandels zu umgehen, indem eine kleinere Gruppe von Staaten Vereinbarungen trifft, die im großen Kreis nicht möglich sind. An den Dienstleistungsverhandlungen beteiligen sich neben der EU vor allem entwickelte, marktwirtschaftliche Industriestaaten wie die USA, Japan, Kanada, Australien oder Israel. Aber auch einige Schwellenländer wie Pakistan und Mexiko sind dabei. Grundsätzlich geht es darum, den grenzüberschreitenden Handel mit Dienstleistungen zu erleichtern. Wenn beispielsweise private Betreiber von Schulen oder Universitäten aus den USA solche Bildungsangebote auch in Europa auf-
wie Fernsehen und Radio. In diesen Bereichen soll es keine Konkurrenz durch ausländische Unternehmen geben dürfen. Die europäischen Staaten behalten auch das Recht, diese Branchen nach ihren Wünschen zu regulieren, erklärt die EU-Kommission. Der DGB hat allerdings Zweifel am Wert dieser Zusage. „TISA könnte die staatliche Regulierungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigen“, sagt Nora Rohde, die beim DGB-Bundesvorstand das Thema Welthandel bearbeitet. Auch bestimmte staatliche oder halbstaatliche Dienstleistungen wären möglicherweise betroffen, etwa die Stromversorgung oder der öffentliche Personenverkehr. Das Problem: Der Begriff „öffentliche Dienstleistungen“ sei in
den bisher veröffentlichen TISA-Dokumenten nicht eindeutig definiert. Rohde verlangt: „Wir setzen uns dafür ein, dass in das Abkommen eine breite Ausnahmeklausel aufgenommen wird, um öffentliche Dienstleistungen wirklich zu schützen.“
Um öffentliche Dienstleistungen zu schützen, ist eine breite Ausnahmeklausel nötig. Einen Vorschlag für eine solche Klausel hat Markus Krajewski in einer Studie für die Arbeiterkammer Wien formuliert. Er arbeitet als Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg und definiert die fraglichen Bereiche so: „Öffentliche Dienstleistungen sind alle Aktivitäten, die besonderen regulatorischen Regimen oder Verpflichtungen nationaler, regionaler oder lokaler Autoritäten im allgemeinen Interesse unterliegen.“ Alle diese Tätigkeiten müssten von den Regelungen des TISA-Vertrages explizit ausgenommen werden, so Krajewski. Der DGB fürchtet darüber hinaus, dass das Abkommen künftige staatliche Regulierungen, die es heute noch nicht gibt, erschwert. Diese Sorge basiert auf der im bisherigen Vertragstext enthaltenen Stillstandsklausel. Mit ihr wollen die Vertragsparteien verhindern, dass einmal erfolgte Liberalisierungen rückgängig oder neue Regulierung eingeführt werden. Die EU-Kommission weist diese Befürchtung zurück. Das Abkommen solle „Diskriminierungen“, nicht jedoch Regulierung verhindern. Ein Kommissionssprecher erklärte: „Obwohl es bereits mehrere Handelsabkommen gab, konnte die EU nach der Finanzkrise ihren rechtlichen Rahmen für den Finanzmarkt renovieren.“ Bleibt ein anderes Problem aus Sicht des DGB: die Arbeitsmigration. Zwar garantiert TISA laut EU-Kommission, dass alle, auch eingewanderte Beschäftigte, der nationalen Arbeits- und Sozialgesetzgebung unterliegen. So gilt heute der deutsche Mindestlohn ebenso für nach Deutschland entsandte ArbeitnehmerInnen ausländischer Firmen. Allerdings soll es in TISA Spezialregelungen für bestimmte temporäre Beschäftigungsverhältnisse in Dienstleistungsunternehmen geben. Der DGB spricht sich deshalb dafür aus, diese Sonderbestimmungen entweder zu streichen oder das „Arbeitsortprinzip“ festzuschreiben, demzufolge für Personal ausländischer Unternehmen in Deutschland immer deutsches Recht gilt. Hannes Koch
Der Autor lebt in Berlin und schreibt als freier Journalist über Handelspolitik.
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DER KOMMENTAR
Zukunft des Freihandels: EU und Südostasien
Freihandel soll „Schutz gegen Chinas Dominanz“ bieten freien Markt ganz schön zu kämpfen haben. Welches Interesse hat Vietnam dann an Freihandelsabkommen? Die Modernisierungsfraktion innerhalb der vietnamesischen Führung hofft, dass mit freiem Handel der Druck auf die großen Staatsunternehmen steigt, profitabler und konkurrenzfähiger zu werden. Zugleich sieht sich Vietnam stärker in einer Architektur eingebunden, die zumindest einen gewissen Schutz gegen Chinas wirtschaftliche Dominanz in der Region bieten soll.
Nord | Süd news: Herr Schweißhelm, derzeit wird in Europa über die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada gestritten. In den Hintergrund rückt, dass die EU auch mit asiatischen Ländern verhandelt. Wie ist der Stand?
TISA UND DIE DASEINSVORSORGE
Erwin Schweißhelm: Ursprünglich wollte die EU mit der gesamten südostasiatischen Staatengruppe ASEAN ein Freihandelsabkommen abschließen. Doch wegen der komplizierten Gemengelage in Südostasien hat die EU die Verhandlungen abgebrochen und setzt seitdem auf bilaterale Abschlüsse. Abkommen gibt es nun mit Singapur, Malaysia und Vietnam. Die Verhandlungen mit Indonesien und den Philippinen haben begonnen. Mit Südkorea hat es ja bereits 2011 einen Abschluss gegeben. Das Abkommen mit Vietnam dürfte 2018 in Kraft treten.
Gibt es in Vietnam Gegenwind? Im Gegenteil. Erst vor zwei Jahren hat die internationale Consultingfirma Pew Research in einer Reihe von südostasiatischen Ländern eine Umfrage gemacht, wie die Bevölkerung zum Thema Freihandel steht. Die Zustimmung in Vietnam war besonders groß. Die meisten Vietnamesen glauben, mit Freihandel entsteht mehr Wachstum und Jobs. Können die europäischen Gewerkschaften bei den Freihandelsverhandlungen mitwirken, etwa wenn es um eine Stärkung der Rechte von Arbeiterinnen und Arbeitern geht?
EU UND SÜDOSTASIEN
In Europa sind diese Verhandlungen kaum Thema, weil TTIP und CETA, die beiden Abkommen der EU mit USA und Kanada, vom Volumen und von ihrer Bedeutung für Europa sehr viel umfassender sind als die Abkommen mit den südostasiatischen Ländern. Deswegen sind sie auch mehr Thema in Europa.
In dem nun ausgehandelten Freihandelsabkommen der EU mit Vietnam gibt es ein sogenanntes Nachhaltigkeitskapitel. Darin werden die Sozial- und Umweltstandards festgeschrieben. Beide Seiten verpflichten sich darin auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen, die die Interna-
IN KÜRZE 6
Auf dem Weltmarkt für Gummi ist Vietnam gut aufgestellt
tionale Arbeitsorganisation, die ILO, festgelegt hat. Vietnam hat drei der acht ILO-Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert, darunter das Recht zur Gründung von unabhängigen Gewerkschaften, das Abkommen über die Tarifpolitik und die Möglichkeit, Streiks durchzuführen. Das ist doch sehr erfreulich, dass dieser Passus nun aufgenommen wird. Leider hapert es an der Umsetzung. Die EU will das Abkommen erst abschließen und dann durch Beratung und Entwicklungszusammenarbeit zum Wandel beitragen. Das Problem bei diesem Vorgehen: Die EU hat auf diese Weise keine wirklichen Druckmittel. Die USA hingegen fordern, dass Vietnam schon vor der Vertragsunterzeichnung die Kernarbeitsnormen in seiner Gesetzgebung aufgenommen hat. Damit üben die USA einen ganz anderen Druck aus als die Europäer. Wieso gehen USA und Europäer so unterschiedlich vor? Freihandel war in den vergangenen Monaten in den USA ein großes Wahlkampfthema. Wenn Vietnam die Kernarbeitsnormen anerkennt, steigen nicht nur die Arbeitsstandards, sondern auch die Löhne. Das verhindert eine Abwanderung von Arbeitsplätzen aus den USA. Das ist zumindest die Position der Gewerkschaften und der Mehrheit in der Demokratischen Partei. Aus europäischer Sicht ist dieses Argument nicht ganz so relevant. Vietnams Technologieniveau ist im Vergleich zur EU so gering, dass für europäische Arbeitsplätze keine Gefahr besteht.
Foto: © privat
EU UND SÜDAMERIKA
Aber werden die Auswirkungen der Freihandelsabkommen mit Asien nicht sogar größer sein für die europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Immerhin sind in Asien die Löhne sehr viel niedriger. Ich glaube nicht. Nehmen wir das Abkommen etwa von Vietnam. Die Branchen, in denen die Vietnamesen stark sind, nämlich in der Bekleidungsindustrie und der Leichtelektronikindustrie, sind in Europa kaum noch vorhanden. Für eine Reihe von Wirtschaftssektoren in Vietnam dürfte es hingegen schwierig werden, vor allem für die Landwirtschaft. Ich lese schon jetzt ständig in den Zeitungen, dass der polnische Verband der Fleischhersteller durch Vietnam reist und große Marktchancen sieht. Die vietnamesischen Fleischproduzenten werden unter dem
Foto: Chau Doan / UNIDO, CC BY-ND 2.0
TTIP UND DIE LÄNDER DES SÜDENS
Die EU handelt mit mehreren Ländern in Asien bilaterale Handelsabkommen aus. Mit Vietnam einigt sie sich dabei auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen. „Leider hapert es an der Umsetzung“, sagt Handelsexperte Erwin Schweißhelm.
Erwin Schweißhelm ist seit vielen Jahren in der FriedrichEbert-Stiftung (FES) für internationale Gewerkschaftsarbeit zuständig. Seit fünf Jahren leitet er das Büro der FES in Vietnam.
Das Interview mit Erwin Schweißhelm führte Felix Lee.
Er lebt und arbeitet als Korrespondent in China.
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Zukunft des Freihandels: EU und Südamerika
Austausch von Wunschlisten Bisher schleppten sich die Verhandlungen zum freien Handel zwischen Europäern und den Südamerikanern dahin. Nun sollen sie wiederbelebt werden. Dem entgegen stehen Zerwürfnisse im Mercosur.
Venezuelas, Nicolás Maduro, zu machen. Sie verhinderten, dass Venezuela im September turnusgemäß die Mercosur-Präsidentschaft übernehmen konnte, und drohen mit einem Rauswurf aus dem Staatenbund.
Es gehört genau wie TTIP und CETA zu den Prioritäten der EU-Wirtschaftspolitik: ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, dem Gemeinsamen Südamerikanischen Markt. Er umfasst neben der Regionalmacht Brasilien auch Argentinien, Uruguay, Paraguay sowie seit kurzem das kriselnde Erdölland Venezuela. Dort, im südlichen Einflussbereich der USA, erschweren hohe Importzölle europäischen Unternehmen den Handel. Für sie ist die Liberalisierung von großem Interesse. Die EU und der Mercosur haben ihre Verhandlungen nun neu gestartet – Ausgang offen.
Im Oktober machten die EU und der Mercosur dann in Brüssel einen neuen Anlauf. Wegen des Personalwechsels auf beiden Seiten mussten sich die Verhandler erst einmal kennenlernen. Sie bekundeten jeweils ihren Willen, ein Abkommen abzuschließen. Alles weitere vertagten sie auf ein nächstes Treffen im März 2017 in Buenos Aires. Bis dahin wollen sie ihre Wunschlisten austauschen, welche Güter von Importzöllen befreit werden sollen. Oben auf der Liste der Lateinamerikaner stehen voraussichtlich Agrargüter wie Getreide, Mais, Zucker oder Fleisch. Den EU-Agrarministern dürfte das wenig gefal-
ein Kapitel zu den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aufgenommen worden. Selbst wenn es an der Umsetzung mangele, zeige dies, dass über internationale Vereinbarungen „Fortschritte im sozialen Bereich erzielt werden können“. Nur seien „die EU und der Mercosur keine Handelsblöcke auf Augenhöhe“, meint Hofmann. „Dies macht einen für Lateinamerikanerinnen und Lateinamerikaner vorteilhaften Handelsvertrag eher unwahrscheinlich.“
„Soziale und ökologische Errungenschaften können als Handelshemmnisse bewertet werden.“ Größtes Hindernis für erfolgreiche Verhandlungen mit der EU sind aber die internen Querelen des Gemeinsamen Südamerikanischen Marktes. Der politische Streit über Venezuela lähmt derzeit alle Aktivitäten. Argentinien, Brasilien und Paraguay wollen das Land wegen Menschenrechtsverletzungen und autoritärem Regierungsstil ausschließen. Einige Länder empfinden die Mercosur-Regeln zudem als zu eng. So moniert das kleine Uruguay, dass nur Staatenbündnisse und nicht einzelne Länder Handelsvereinbarungen anstreben dürfen. Uruguay führt mit China Gespräche über Handelserleichterungen.
Foto: Barbara Eckstein, CC BY-NC-ND 2.0
Wie schlecht die Stimmung untereinander ist, zeigt eine Episode vom August dieses Jahres. Uruguays Außenminister Rodolfo Novoa bezichtigte seinen brasilianischen Amtskollegen José Serra eines Bestechungsversuchs: Serra habe Uruguay Teilhabe an anderen Handelsvereinbarungen des großen Nachbarn Brasilien angeboten, sofern Uruguay seine neutrale Haltung im Venezuela-Streit aufgebe.
Auf dem Weg zu neuen Handelsbeziehungen? Frachter kurz vor dem Hafen von Rio
In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Verhandlungen ohne nennenswerte Fortschritte hingezogen. Die selbstbewussten Linksregierungen in der Mehrzahl der Mercosur-Staaten setzten eher auf regionale Integration und ließen sich wie bei der Welthandelsorganisation WTO nicht auf Zugeständnisse ohne Gegenleistung ein. Die Wahl einer rechtsliberalen Regierung in Argentinien und die umstrittene Machtübernahme einer ähnlich konservativ orientierten Regierung in Brasilien haben das Blatt gewendet, aber zugleich neue Probleme heraufbeschworen: Buenos Aires und Brasilia nutzten ihre neue Allianz erst einmal, um Front gegen den sozialistischen Präsidenten
len. Das Freihandelsabkommen war schon beim letzten großen Anlauf im Jahre 2004 auch deshalb gescheitert, weil die EU sich weigerte, ihren Agrarmarkt zu öffnen. Niklaas Hofmann, Leiter des Regionalbüros des DGB Bildungswerk BUND in der brasilianischen Industriemetropole São Paulo, sieht ein neues Freihandelsabkommen ohnehin skeptisch. Noch stünden die Verhandlungen zwar ganz am Anfang, aber er warnt davor, dass „soziale und ökologische Errungenschaften als Handelshemmnisse bewertet werden können“. Beim Freihandelsvertrag zwischen Kolumbien und den USA sei auf Druck von US-Gewerkschaften
Der in Brasilien größte Gewerkschaftsverband CUT hält Brasiliens neue Regierung unter Präsident Michel Temer für „illegitim“ und sieht die jetzigen Verhandlungen besonders kritisch. Würden Importzölle einfach gesenkt, führe das zu „einer weiteren Deindustrialisierung“, moniert der CUT-Sekretär für Internationale Angelegenheiten, Antonio Lisboa. Zudem werde die Öffnung wichtiger Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung für die Privatisierung vorangetrieben. Lisboa: „Das Recht der Bevölkerung auf öffentliche Dienstleistungen könnte eingeschränkt werden.“ Andreas Behn
Der Autor lebt in Rio de Janeiro und berichtet seit Jahren aus Südamerika.
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DER KOMMENTAR
In Kürze
Leitfaden für Lohngerechtigkeit
TTIP UND DIE LÄNDER DES SÜDENS
Jens Martens geht
TISA UND DIE DASEINSVORSORGE
Selbstverständlich könnte er auch mailen, aber Hören und Sprechen sind ihm lieber. Im DGB Bildungswerk BUND ist Jens Martens bekannt als der Meister des Telefons. Und er nutzt es häufig: Informationen, Kontakte, Aktionen, Kampagnen – wenn etwas ansteht, weiß er immer, wen man anrufen muss. Manchmal ist er es auch selbst, so viele Themen hat er in 29 Jahren Bildungswerk betreut und vorangebracht, mitentwickelt, zu manch einem hätte er sich eine radikalere offizielle Position gewünscht.
Schon 1951 hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) eine Kernarbeitsnorm verabschiedet, die fordert, Lohnlücken zwischen den Geschlechtern zu schließen und Entgeltgleichheit zu fördern. 65 Jahre danach verdienen Frauen in Deutschland immer noch im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Allerdings hat sich die Koalition auf ein Gesetz zur Lohngerechtigkeit geeinigt. Um das auch umsetzen zu können, ist es nötig, Arbeitsplätze transparent, standardisiert und geschlechtsneutral zu bewerten. Wie die Sozialpartner das hinbekommen, zeigt der ILO-Leitfaden „Gendergerechtigkeit stärken. Entgeltgleichheit sicherstellen“.
Mehr Infos: www.ilo.org/berlin/publikationen-undforschung/WCMS_526195/lang--de/index.htm
Auch den Webauftritt und 39 Nord | Süd news hat er in dieser Zeit verantwortet – mit diesem, der sein letzter ist. Zum Jahresende verlässt er das Bildungswerk.
EU UND SÜDAMERIKA
EU UND SÜDOSTASIEN
Jens Martens stammt aus Iserlohn im Sauerland, lebte in Wuppertal und Berlin. Zur Gewerkschaft, nämlich zur GdP, kam er während seiner Ausbildung im Polizeidienst, später studierte er Politikwissenschaften auf Diplom. Nach einem Zwischenstopp bei der Hans-Böckler-Stiftung heuerte er 1987 beim DGB Bildungswerk BUND an, zunächst als Projektleiter für die „Qualifizierung von ArbeitnehmerInnenvertreterInnen in Aufsichtsgremien lokaler Rundfunksender“, er half beim Aufbau von Gewerkschaften in Osteuropa und wechselte bald als Leiter zur -kademie, anschließend ging er in die Abteilung Migration als Kompetenzzentrumsleiter für das Projekt „Pro-Qualifizierung“.
IN KÜRZE
Seit 2010 ist er Datenschutzbeauftragter im Bildungswerk und seit 2011 Leiter für die entwicklungspolitische Bildungs- und Informationsarbeit in Deutschland im Nord-SüdNetz. Dieser Aufgabenbereich dürfte in den nächsten Jahren mit der absehbar politisch unsicheren Weltlage und neuen Angriffen auf Demokratie und Menschenrechte nicht langweiliger werden. Jens Martens’ Nachfolger Sonja Gündüz und André Edelhoff werden alle Hände voll zu tun haben. Und Jens Martens bringt sich hoffentlich auf anderen Wegen weiter ein. Tschüss, Jens, wir werden Dich vermissen! 8
Arbeitsschutz für WM-Bauarbeiter Für Tausende Bauarbeiter auf WM-Baustellen in Katar verbessern sich die Arbeitsbedingungen. Die internationale Vereinigung der BauarbeiterGewerkschaften (BHI) hat ein Abkommen mit dem Obersten Ausschuss für die WM in Katar in Doha unterzeichnet. „Lange haben wir auf die gefährlichen Arbeitsbedingungen auf den WMBaustellen und die unzureichenden Zustände in Unterkünften der Bauarbeiter aufmerksam gemacht. Mit diesem Abkommen bekennen sich die Beteiligten zu ihrer Verantwortung“, sagte der Stellvertretende IG BAU-Bundesvorsitzende Dietmar Schäfers, der auch Vizepräsident des BHI ist. Der Vertrag könne ein „Vorbild für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz auch künftiger Sportveranstaltungen werden“. Seit langem kritisiert die BHI gefährliche und teils menschenunwürdige Zustände auf Baustellen für internationale Turniere. Das Abkommen regelt unter anderem, dass Gewerkschaften zusammen mit dem WM-Ausschuss in Katar Arbeitsschutz-Inspektionen durchführen. Gemeinsam werden Schulungen zu Gesundheit und Sicherheit veranstaltet.
Guy Ryder bleibt Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wird auch in den nächsten Jahren vom Briten Guy Ryder geführt. Der 60-Jährige, der der erste Gewerkschafter in dieser Position ist, wurde mit 54
von 56 abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Ryder steht seit 2012 an der Spitze der Organisation, damals hatte er sich erst im sechsten Wahldurchgang durchgesetzt. Seitdem hat er die Rolle der ILO im G20 Prozess, der Kooperation mit den Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika und im Verhältnis zu den G7 gestärkt. Die ILO hat darüber hinaus neue Initiativen mit der Weltbank ins Leben gerufen und die Agenda für menschenwürdige Arbeit vorangetrieben. Für die zweite Amtszeit von fünf Jahren, die im Oktober begann, nannte Ryder als Ziel, soziale Gerechtigkeit voranzutreiben.
ArbeiterInnenrechte sind Menschenrechte sind ArbeiterInnenrechte Die Mehrheit der arbeitenden Menschen kann sich nicht auf das Recht berufen, sich friedlich zu organisieren und gemeinsam Interessen zu vertreten. Das zeigt ein Bericht der Vereinten Nationen mit dem Titel „Rights to freedom of peaceful assembly and of association“. Von den Möglichkeiten ausgeschlossen seien insbesondere Arbeiterinnen und Arbeiter in ohnehin prekären Beschäftigungen. Verstärkt werde das Problem durch die zunehmende Konzentration der Macht internationaler Konzerne, während die Regierungen zu wenig täten, um Sicherheit und Rechte der arbeitenden Bevölkerung durchzusetzen.
Mehr Infos: www.industriall-union.org/labour-rightsare-human-rights-un-report
IMPRESSUM Herausgeber: DGB Bildungswerk e. V. Vorsitzende: Elke Hannack Geschäftsführerin: Claudia Meyer Verantwortlich: Jens Martens Redaktion: Hanna Gersmann, Beate Willms Satz: Achim Konopatzki DGB Bildungswerk BUND Nord | Süd-Netz Hans-Böckler-Straße 39 40476 Düsseldorf Tel.: 0211 / 4301-333 Fax: 0211 / 4301-500 nord-sued-netz@dgb-bildungswerk.de www.dgb-bildungswerk.de www.nord-sued-netz.de Der Herausgeber ist für den Inhalt allein verantwortlich. Die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von ENGAGEMENT GLOBAL gGmbH und dem BMZ wieder.
Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des
2016
2015 / 2016
Moderne Sklaverei. Nicht tolerierbar, nicht akzeptabel und nicht verhandelbar
Ohne Not flieht niemand! Flucht – Asyl – Migration und Menschenrecht heute
Nach Zahlen der ILO leben heute global mehr als 21 Millionen Menschen in Sklaverei, sklavereiähnlichen Bedingungen und Zwangsarbeit. Das heißt, dass zu einem einzigen Zeitpunkt in der Geschichte mehr Menschen betroffen sind als insgesamt während drei Jahrhunderten transatlantischen Sklavenhandels.
Warum verlassen Menschen ihre Heimat, wandern aus, fliehen? Und was ist der Anteil der Länder des Nordens daran? Wie organisiert man eine humanitäre Aufnahme von Geflüchteten, wie sieht eine ernstzunehmende Integration aus? Im öffentlichen Diskurs sind diese Fragen längst von neuen Abschottungsstrategien in den Hintergrund gedrängt worden. Das DGB Bildungswerk BUND will sie mit dieser Broschüre wieder in den Mittelpunkt rücken.
In Europa – ja, auch hier – leben in absoluten Zahlen die meisten SklavInnen in der Türkei: 185.500 Menschen. Dahinter verbirgt sich eine hohe Anzahl an Kinderheiraten, Zwangsarbeit und Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung. Auch in Polen ist moderne Sklaverei relativ stark verbreitet, die zum Teil auf der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte aus anderen osteuropäischen Staaten sowie aus Südostasien basiert. In Deutschland findet sie vor allem in Form von Arbeitsausbeutung und Zwangsprostitution statt. Das fordert uns Gewerkschaften heraus.
Broschüre DIN A4, 76 (78) Seiten Online-Flipbook zum Durchblättern (78 S.) Bestellung der Printausgabe (76 S.)
Unter dem Titel „Ohne Not flieht niemand. Flucht – Asyl – Migration und Menschenrecht heute“ geht es darin um die Ursachen von Flucht und Vertreibung sowie den Zusammenhang zwischen Migration und nachhaltiger Entwicklung. Asylpolitik und die Migrationsagenda der EU werden kritisch analysiert und Alternativen aufgezeigt.
Broschüre DIN A4, 60 Seiten Online-Flipbook zum Durchblättern
2014
2012 / 2013
Kernarbeitsnormen der ILO – Gute Arbeit weltweit!
Weltweiter Verteilungskampf um Ressourcen – Rohstoffe, Wasser, Energie
Jeder zweite Arbeitsplatz, der heute in Deutschland entsteht, ist prekär, das heißt: sozial und arbeitsrechtlich nicht abgesichert und oft nicht existenzsichernd. Es handelt sich um befristete oder erzwungene Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Arbeit mit Werkverträgen oder auch Arbeit im informellen Sektor. Weltweit müssen bereits bis zu 30 Millionen Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. Besonders gefährdet, in solche Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse hineinzurutschen, sind Frauen und junge Menschen, sogar Kinder.
Unverhohlen verfolgt die Europäische Kommission mit ihrer Rohstoffinitiative von 2008 (Raw Materials Initiative) einen neoliberalen, den Interessen der Wirtschaft dienenden Kurs. Europa droht, sich damit in die Phalanx der ökonomisch aggressiven, einseitig auf Versorgungssicherheit ausgerichteten Staaten einzureihen. Damit unterscheidet es sich nur noch graduell von Staaten wie China, den Vereinigten Staaten und Kanada. Neben den Ländern agieren zunehmend auch die privaten Unternehmen in dem großen Spiel.
Wie Menschen damit leben, was lokale und globale Handlungsoptionen, wer die Akteure sein können, um diesen massiven Trend zur Prekarisierung zu stoppen und umzudrehen, fasst die Broschüre „Kernarbeitsnormen der ILO – Gute Arbeit weltweit!“ zusammen.
www.nord-sued-netz.de
Broschüre DIN A4, 60 Seiten Online-Flipbook zum Durchblättern Bestellung der Printausgabe
Mit ihren privaten wie staatlichen Rohstoffagenturen beuten sie im globalen Stil und im Einklang mit den nationalen Macht- und Geldeliten deren nationale Ressourcen zu Ungunsten der lokalen Bevölkerung aus.
Broschüre DIN A4, 60 Seiten Online-Flipbook zum Durchblättern Bestellung der Printausgabe
v5_2016
Printmaterialien für die entwicklungspolitische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit
Publikationen 2012 – 2016
NORD | SÜD-NETZ