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Mont Blanc an einem Tag

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36.000 Sekunden

TEXT: RAPHAELA HAUG

Träume sind zum Leben da

Hast du einen Traum? Etwas, dass du unbedingt erleben willst? Was hindert dich daran, dass du deinen Traum verwirklichst? Was mich daran gehindert hat: Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob mein Traum nicht eine Nummer zu groß ist. Dann hatte ich entweder keine Zeit, der Wind oder die Tourenpartner haben nicht gepasst…

Ich hole die Lasagne aus dem Ofen, als wir den Wetterbericht für die nächste Woche checken. «Es schaut nach ziemlich wenig Wind in der Höhe aus. Lust auf Hochtour?», fragt mich Tommy Friedrich. Mehr aus Spaß sag ich: «Mont Blanc an einem Tag mit Schirm? Ok, bin dabei.» Ähm, ja. Warte mal. Was? Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Ich überlege kurz und muss grinsen… «Sollen wir wirklich?», frag ich. «Ich mein’, wir sind nullkommanull akklimatisiert.»

Wir diskutieren, checken verschiedene Wetterberichte und entscheiden uns: Mont Blanc, wir kommen.

Kennst du das? Du sagst etwas zu, bist voll motiviert aber trotzdem nicht so ganz sicher, ob das alles eine so gute Idee ist. So ging es mir, als wir am Parkplatz in Les Houches ankommen. Wir sind direkt von Innsbruck in Österreich nach Chamonix in Frankreich gefahren und befinden uns jetzt am Ausgangspunkt zum Mont Blanc auf 1.000 Meter. Vor uns liegen 3.800 Höhenmeter!

↑ Startzeit: 23 Uhr. Das ist schon verdammt früh oder spät? Wir sind einen großen Teil der Strecke im Dunkeln geklettert.

↑ Selfie von Tommy und Raphaela mit Gipfel in Sicht

Ich habe keine Ahnung, ob ich jemals schon so viele Höhenmeter an einem Stück gegangen bin. «Vielleicht sprichst du das jetzt lieber mal nicht an», denk ich mir, «konzentrier‘ dich lieber darauf, dass wir alles Wichtige mitnehmen.»

Wir komprimieren unsere Schirme, packen Rettung und Gurtzeug ein. Checken die Gletscherausrüstung, nehmen ausreichend Essen und Trinken mit. Als wir fertig sind, grinsen wir uns an. Irgendwie ist das alles surreal. Ich meine, gerade eben gab es noch Lasagne und keine sieben Stunden später stehen wir in Chamonix. Bereit, meinem persönlichen Traum ein Stück näher zu kommen. Der Traum, der seit einigen Jahren in meinem Kopf geistert.

Gipfeltraum Mont Blanc Wir starten um 23 Uhr in Les Houches. Somit haben wir genügend Zeit, können die ganze Nacht durchlaufen und hoffentlich in der Früh runterfliegen. Ich mag es, nachts zu laufen, da kann man wunderbar seinen Gedanken nachhängen und man kommt gefühlt viel schneller voran. Je weiter wir raufkommen, desto schöner wird der Sternenhimmel. Unter uns leuchtet das Lichtermeer von Les Houches, in der Ferne ist Chamonix zu sehen.

Wir gehen an der Hütte Tete Rousse vorbei, das ist der erste Stützpunkt für Mont Blanc Aspiranten. Langsam erwacht diese zum Leben, die ersten Bergsteiger stehen gerade auf. Wir aber sind bereits seit einigen Stunden unterwegs. Ich muss schmunzeln und denke an all die Menschen, die jetzt tief und fest schlafen. Mollig warm in ihrem Bett. Aber auch an die, die sich gerade bereit machen. Bereit machen, um ihren persönlichen Traum zu verwirklichen?

Unser erster Stopp ist die Goûter-Hütte auf 3.835 m, hier gönnen wir uns eine Teepause. Langsam spüre ich die Höhe und vor allem die Höhenmeter, die bereits unter uns liegen. Die Hütte ist schön warm, im Gegensatz zum kalten Wind, der draußen pfeift. Hier herrscht Hochbetrieb. Einige Bergsteiger sind bereits gestartet, die anderen machen sich gerade fertig. Alle mit einem Ziel im Kopf: Mont Blanc Gipfel. Ich setzte mich kurz hin, beobachte, muss grinsen. Die Nervosität um mich herum ist greifbar. Bewegungen, die sonst so routiniert sind, werden schludrig. Steigeisen fallen runter, hier und da ein lauteres Wort. Ob diese Menschen heute ihren Traum Mont Blanc erfüllen können?

Starker Wind – aufkommende Zweifel Zwischen Goûter-Hütte und Gipfel steht das Vallot Biwak. Als wir dort ankommen, pfeift der Wind noch stärker. «Wir können auch gleich wieder umdrehen», schießt es mir durch den Kopf, «bei dem Wind starten wir sowieso nicht.» Ich blicke zu Tommy, ihm scheinen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen. Kurz überlegen wir, ob wir umdrehen sollen. Aber auf der anderen Seite, jetzt sind wir schon mal hier. Dann können wir auch weiter Richtung Gipfel gehen. Auch wenn wir runter laufen müssen…

↑ Der Flug ist einfach atemberaubend

Keine Stunde später strahlen wir. Nach 3.800 Höhenmetern! Mont Blanc Gipfel. Das ist schon verdammt cool. Ich drehe mich um, mache ein Foto. Genieße die Aussicht. Was für ein Privileg, hier oben auf 4.880 m zu stehen. «Wir können starten. Los, mach dich schnell fertig.» Ein wenig perplex schaue ich Tommy an. Was?! Er wiederholt das eben Gesagte. Irgendwie hatte ich mit einem Flug nicht mehr gerechnet. Aber ja, er hat Recht. Der Wind hier oben am Gipfel ist viel weniger. 20 km/h, vielleicht 25 km/h, aber nicht mehr. Ich zieh meinen Schirm auf, dreh mich aus und bin sofort in der Luft. Kann mich sogar ein wenig halten. Ich grinse. Immer mehr und mehr. Mein Blick geht zurück. Tommy startet gerade, um uns herum sind all die anderen Bergsteiger. Sie winken uns zu, freuen sich mit uns. Ich schaue weiter, betrachte das Gletschermeer unter mir und die Aiguille du Chamonix in der Ferne. Und wieder zurück zu Tommy. Er ist jetzt direkt neben mir, ruft mir zu. Freut sich! Und schon ist er wieder weg. Fliegt Wingover über dieser gigantischen Landschaft.

Als wir landen, ist es gerade einmal 9 Uhr. Vor ziemlich genau 36.000 Sekunden sind wir gestartet. Ist das nicht verrückt, was man in so einer kurzen Zeit alles machen kann? Was sind schon 36.000 Sekunden, 600 Minuten oder eben 10 Stunden?

Für mich war es die Zeit, die es dauerte, meinen Traum zu erfüllen.

Der schnelle Weg ins Tal Und wie lang wird es dauern, bis du deinen Traum erfüllst?

DIE AUTORIN

Raphaela Haug ist im Allgäu aufgewachsen und hat mit Gleitschirmfliegen angefangen, um sich das Runterlaufen zu ersparen. Ob Ortler, Mont Blanc oder Hausberg – wenn’s sich starten lässt, ist der Schirm im Gepäck.

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