Die neste Zeit Nr. 18

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Peter Paul Rubens Von der Heydt-Museum Wuppertal

A Bigger Picture David Hockney im Museum Ludwig

Ausgabe 18, 2012 - 3,50 Euro

Horch doch mal Erzählung von Dorothea Renckhoff

10. Wuppertaler Jazzmeeting Hommage schmerzlichAdventszauber komisch, Uraufführung Schiefergold Weihnachtsmarkt Schloss Lüntenbeck Grandioser Abend im ADA Liebe, Tod und Teufel Ausstellung im Haus der Jugend

Im Farbenrausch Magische, intensive Momente Expressionisten im Folkwangmuseum Nachklänge zur Musikreihe Klangart

Singen gegen das Böse Der Freischütz in Wuppertal

Christian von Grumbkow Kunst am Bau als Dialog

Kulturnotizen Kulturveranstaltungen in der Region

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

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Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser ! Der halbnackte, trunkene Selen im wässrig graublauen Gewand schaut wollüstig auf Dianas Jagdbeute – oder vielleicht doch eher auf die entblößte Brust der Jagdgöttin ? – während diese züchtig den Blick gesenkt hält. Ihr rotes Gewand überstrahlt die Komposition mit viel nackter Haut des aus der Dresdner Gemäldegalerie stammenden Rubensgemälde: ein wahrer „eyecatcher“. Dianas Heimkehr von der Jagd wird so bald kein Wuppertaler mehr vergessen. Auf den gelben Fahnen, die die Elberfelder Fußgängerzone zieren, prangt sie, und weithin sichtbar schmückt sie das Baugerüst des Rathausturms. Die Rubens’sche Schönheit Diana, im roten Gewand vor gelbem Hintergrund, gehört jetzt schon zu Wuppertal, wie vor einigen Jahren die Seerosen Monets, ebenfalls auf signalgelbem Grund, fast identitätsstiftende Wirkung hatten. Die Ausstellung des Von der Heydt-Museums „Peter Paul Rubens“ ist auch in diesem Heft ein Hauptthema: Die Kuratorin Dr. Nicole Hartje-Grave hat in ihrem Beitrag für „Die Beste Zeit“ die Anfänge des barocken Malerfürsten beschrieben, eine spannende Einführung, die dazu animiert, das Original der Diana im Museum zu besuchen. Dass Rubens zu Wuppertal gehört, hat man auch schon in Frankreich vernommen. Der französische Maler Vincent Corpet hat eigens für die gerade eröffnete Ausstellung in Barmen „Liebe, Tod und Teufel“ eines der bekanntesten Werke des Antwerpener Barockmalers in zeitgenössische Malerei übersetzt, den „Raub der Töchter des Leukippos“. Was wird aus der genialen Komposition in den Augen eines zeitgenössischen Malers fast 400 Jahre nach Rubens? Sicherlich ein spannend zu führender Vergleich - und die perfekte Verbindung zwischen den beiden Von der Heydt-Häusern, Museum und Kunsthalle. Auch das zweite Haus, die Kunsthalle in Wuppertal Barmen, findet erfreulicherweise regelmäßig Berücksichtigung in der „Besten Zeit“. Seit ihrer Wiedereröffnung nach der Instandsetzung im April 2011 wird hier bereits die fünfte Ausstellung gezeigt. Das überregionale Renommee als interessanter Ort der zeitgenössischen Kunst steigt, für viele Kunstinteressierte ist sie gar eine erfreuliche Neuentdeckung. Galeristen und Sammler aus München, Frankfurt und Berlin sind aufmerksam geworden auf das, was sich in Barmen tut. „Liebe, Tod und Teufel“ – unter diesem Titel stellt der französische Sammler Jean Mairet zur Zeit einen Teil seiner Kunstsammlung aus. Er selbst hat mit seinen ausgewählten, aktuellen Lieblingswerken einen Parcours angelegt, der den Besucher nicht in der passiven Rolle des Betrachters belässt, sondern die Reflexion existentieller Fragestellungen anstößt. Darin, wie sich die in ihrem Kunstcharakter recht heterogen erscheinenden Werke in der Kunsthalle zu einer schlüssigen Schau zusammenfügen, scheint die Ausstellung diesem Heft verwandt: Auf den ersten Blick haben vielleicht der Beitrag zum Lüntenbecker Weihnachtsmarkt mit dem Text zu „Liebe, Tod und Teufel“ nichts zu tun, aber jeder Textbeitrag beschreibt eine interessante Facette des großen Ganzen der Kultur, thematisiert, was los ist in Wuppertal und Umgebung, was hier passiert, und weshalb die Stadt einfach interessant und liebenswert ist. Jede Ausgabe wieder liefert prächtige Fotos, Texte von Schriftstellern, Journalisten und viele Berichte sozusagen aus erster Hand, die den Leser mittendrin im Kulturleben sein lassen. Viel Vergnügen beim Lesen. Ihre Beate Eickhoff

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Impressum Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: alle zwei Monate Verlag HP Nacke - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Erfßllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Fßr den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.

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KĂźrzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. FĂźr unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr Ăźbernommen werden. Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrĂźcklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird fĂźr VerzĂśgerung, IrrtĂźmer oder Unterlassungen keine Haftung Ăźbernommen. Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Abbildung Cover: Ausschnitt „Adventsbeleuchtung in der Elberfelder City“ von Bjørn Ueberholz

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16.10.2012 - 28.2.2013

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Inhalt Ausgabe 18, 4. Jahrgang, Dezember 2012 / Januar 2013 Wuppertaler als Kölner Musik-Legende

Von der Heydt-Museum Ausstellung Peter Paul Rubens Einführung von Nicole Hartje-Grave

Seite 6

Der Beyenburger See

Fortsetzung dringend empfohlen Rückblick auf das 10. Wuppertaler Jazzmeeting – von Heiner Bontrup

Der Wuppertaler Schauspieler Markus Dietz von Klaus Göntzsche Seite 59

Seite 14

Ein Ort der Ruhe von Matthias Dohmen

Liebe, Tod und Teufel

Trilogie der Sommerfrische

Ausstellung in der Von der Heydt-Kunsthalle Seite 20 im Haus der Jugend Barmen

Theater à la bonheur von Frank Becker

Singen gegen das Böse

Die Pasta Opera besucht Wuppertal

der Freischütz in Wuppertal von Martin Freitag

Seite 22

Schiefergold Wuppertaler Bühnen, Regie Julia Penner von Martin Hagemeyer

Seite 25

Seite 30

Seite 32

Interessantes zu den Themen Steuern und Recht

Lobby für Künstlerinnen von Renate Massmann

Seite 40

Porträt von Klaus Dieter Peters von Matthias Dohmen

Seite 46

Bericht aus Äthiopien von Klaus Dieter Peters Neue Kunstbücher

Der Weihnachtsmarkt von Schloss Lüntenbeck von Michael Schumacher Seite 48

Meisterwerke in der Emanzipation der Kunst

Der zerbrochne Krug

Geschichtsbücher, Buchgeschichten Seite 50

Kunst am Bau als Dialog Der Künstler Christian von Grumbkow Interview von Michael Schumacher

Seite 73

Seite 75

Vorgestellt von Thomas Hirsch

Vorgestellt von Matthias Dohmen

Seite 77

Seite 82

Seite 84

Neue Wuppertal-Kalender Seite 52

Generalprobe Erzählung von Marianne Ullmann

Seite 72

Weihnachtsgrüße aus Sooderee

Adventszauber

Heinrich von Kleist im Wuppertaler TiC von Frank Becker

Seite 69

Fünf Jahrzehnte Entwicklungshelfer

Druckerei Elba Fotografie von Sylvie Hauptvogel Text von Friederike Zelesko

Das Heft, das keine Stimme hatte von Dorothea Renckhoff

GEDOK –

Magische und intensive Momente Nachklänge zur Musikreihe Klangart von Heiner Bontrup

Seite 66

Paragraphenreiter

Im Farbenrausch Ausstellung berühmter Expressionisten im Essener Folkwang-Museum

Seite 63

Horch doch mal

A Bigger Picture Ausstellung David Hockney im Museum Ludwig, Köln

Operndarbietung bei kulinarischem Genuss von Hubert Gertis

Seite 61

Stadtansichten, Schwebebahnmotive und Pina Bausch Tanztheater Wuppertal

Seite 85

Kulturnotizen Seite 56

Kulturveranstaltungen in der Region

Seite 86

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Abb. 10, Peter Paul Rubens, Der heilige Franziskus empf채ngt das Jesuskind aus den H채nden der Madonna, um 1617/18, Lille, Palais des Beaux-Arts

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Peter Paul Rubens Sein Aufstieg zum führenden Maler in Antwerpen

Abb. 1 Peter Paul Rubens (Umkreis), Selbstporträt, schwarze Kreide, Feder in Braun, abschließend Rötel, ALBERTINA, Wien

Als Peter Paul Rubens nach achtjährigem Aufenthalt in Italien mit Stationen in Mantua, Genua und Rom 1608 in seine Heimatstadt Antwerpen zurückkehrte, war das politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und künstlerische Klima für einen aufstrebenden jungen Maler überaus günstig. Nach der Niederlage von Antwerpen 1585 gingen die südlichen Provinzen der Niederlande wieder in den Herrschaftsbereich der Spanisch-Habsburgischen Könige über und eine extensive katholische Restauration begann. Viele neue Kirchen, Klöster und Abteien wurden erbaut oder nach den Verwüstungen von 1566 in großem Stil wieder hergerichtet. Sie alle mussten mit einer Vielzahl von Skulpturen und Gemälden ausgestattet werden. Der maßgebliche Grund für die Befriedung der südlichen Niederlande und das dortige Aufblühen der Künste war der Umstand, dass der spanische König Philipp II. als Regenten einen Generalstatthalter einsetzte. 1596 übertrug er dieses Amt dem Erzherzog Albrecht von Österreich (1559-1621) und dessen Frau, der Erzherzogin Isabella Clara Eugenia (1566-1633), seiner Tochter (Abb. 2 und 3). Die Hochzeit fand im April 1599 statt. Die „Akte van Afstand“, die Philipp II. am 6. Mai 1598 unterzeichnete, gewährte den Niederlanden eine scheinbare

Selbständigkeit. Als äußerlich souveräne Fürsten sollten es Albrecht und Isabella leichter haben, die Niederlande zu befrieden und die politische Einheit wieder herzustellen. Die spanischen Truppen blieben aber weiterhin in Flandern stationiert. Albrecht durfte sich zwar Oberbefehlshaber nennen, die militärischen Entscheidungen traf aber nach wie vor der König in Madrid. Ungeachtet dieser Einschränkungen begrüßten die Antwerpener Bürger das Erzherzogspaar euphorisch, als es am 10. Dezember 1599 feierlich in Antwerpen einzog. Sie erwarteten von den neuen Stadthaltern die Wiederherstellung „ihrer alten Blüte und Einigkeit, um die wir den allmächtigen Gott so viele Jahre gebeten haben und noch stets bitten“. Auch wenn es in den ersten Jahren ihrer Regentschaft noch kleinere Kriegshandlungen gab, stabilisierte bereits der Amtsantritt von Albrecht und Isabella die politische Lage in den südlichen Provinzen und ließ für die Zukunft eine Verbesserung der Lage erwarten. Die Hoffnungen konkretisierten sich, als 1609 ein auf zwölf Jahre angesetzter Waffenstillstand – noch kein Friedensvertrag – zwischen Nord und Süd ausgehandelt war. Dass diese dauernden Friedensverhandlungen Rubens davon abhielten, nach Rom zurückzukehren und in Antwerpen zu bleiben, belegt

Abb. 2 Peter Paul Rubens und Werkstatt, Porträt Erzherzog Albrecht VII. von Österreich, um 1615-20, Privatsammlung

Abb. 3 Peter Paul Rubens und Werkstatt, Porträt Erzherzogin Isabella Clara Eugenia, um 1615-20, Privatsammlung

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ein Brief vom 10. April 1609 an den Arzt Johann Faber in Rom: „Andernteils versäumt man hier auch nicht, mich mit allen Arten von Liebenswürdigkeiten zu überhäufen, um mich zurückzuhalten. Der Erzherzog und die erlauchtigste Infantin ließen mir schreiben, um mich eindringlichst dazu zu bewegen, unter glänzenden Bedingungen in ihren Diensten zu bleiben, obwohl ich wenig Lust verspüre, das Leben eines Höflings von neuem zu beginnen. Antwerpen mit seinen Einwohnern genügt mir, wenn ich Rom leb wohl sagen könnte. Der Frieden oder besser gesagt, der Waffenstillstand für eine lange Reihe von Jahren, wird ohne den geringsten Zweifel zustande kommen und während dieser Zeit werden unsere Länder von neuem aufblühen, und man glaubt, dass er in der nächsten Woche in allen diesen Provinzen proklamiert werden wird.“ Bereits am Abend zuvor war der Vertrag im Antwerpener Rathaus

unterzeichnet worden und die Bevölkerung feierte ihn auf dem Großen Markt begeistert. Dass Rubens die richtige Entscheidung getroffen hatte, sollte sich bald bestätigen. So kamen nicht nur der Handel und das Handwerk zu neuer Blüte, auch die Künste erhielten enormen Auftrieb, da die Erzherzöge ein regelrechtes kulturelles Programm verfolgten, indem sie den Bau neuer Kirchen und Klöster vorantrieben, diverse Porträtaufträge erteilten und zahlreiche Altäre und Skulpturen stifteten. Hinzu kam die Etablierung einer bis dahin unbekannten höfischen Kultur, die ihre Wirkung auf das Bürgertum nicht verfehlte. Eine ausgeprägte bürgerliche Schicht hatte in Antwerpen eine bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts zurückreichende Tradition. Die Kaufleute und Bankiers aus Spanien, Portugal, England, Deutschland und den italienischen Zentren Genua,

Venedig und Florenz machten Antwerpen zu einer kosmopolitischen Metropole, die gegenüber dem Machtzentrum in Brüssel die bedeutendste Kunststadt in Flandern blieb. Die Bürger verfügten nicht nur über eine humanistische Bildung, sondern auch über das Kapital und den Wunsch, dieses in Kunst zu investieren. Die einheimischen Kaufleute folgten ihnen darin. Kunstwerke wurden damals nicht nur zu einer empfehlenswerten Geldanlage, sondern signalisierten als Luxusgegenstände auch den Vermögensstand ihrer Besitzer (Abb. 4). Zudem bezeugten sie die Kennerschaft ihrer Sammler und symbolisierten deren intellektuelle Weltaneignung. Der Hang des reichen Bürgertums zur Nobilitierung zeigte sich im 17. Jahrhundert auch in der Entwicklung von privaten Kunstsammlungen, von denen die von Cornelis van der Geest, Nicolaas Rockox und von Rubens selbst besondere Erwähnung finden sollten.

Abb. 4, Peter Paul Rubens, Dianas Heimkehr von der Jagd, um 1616, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

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Alles in allem traf Rubens in Antwerpen auf eine von Albrecht und Isabella hervorgerufene allgemeine Aufbruchstimmung und schwungvolle Gegenreformation sowie auf ein humanistisch und intellektuell gebildetes Bürgertum, die ihm die besten Voraussetzungen boten, seine Kreativität, Energie, Ehrgeiz und Vitalität in eine großartige Malerei umzusetzen. Kaum in Antwerpen angekommen, erhielt Rubens 1609 vom Stadtrat den Auftrag, für den Ständesaal des Rathauses, in dem der Waffenstillstand beurkundet wurde, das großformatige Bild der „Anbetung der Könige“ (Madrid, Museo del Prado, Abb. 5) zu malen. Das Thema des Bildes, die so genannte Epiphanie, ist seit dem 15. Jahrhundert als Allegorie von Bündnissen überliefert. Wie Ulrich Heinen (2009) treffend formulierte, „musste das Bild der heiligen Könige, die vor Maria und dem Friedensfürsten Jesus

niederknien, nun auch als Sinnbild der Anerkennung der unter dem Patrozinium der Muttergottes stehenden Stadt durch die zerstrittenen Parteien erscheinen, die sich hier zum Friedensschluss zusammenfanden.“ Auch wenn das monumentale Gemälde zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Waffenstillstandes wahrscheinlich nicht ganz fertig war, muss es für die sich anschließenden Verhandlungen eine überwältigende Kulisse gebildet haben. So setzte Rubens die kostbaren Geschenke, die golddurchwirkten Gewänder der Könige und die muskulösen Träger, die vom rechten Bildrand weitere Gaben herbeischaffen, als wirksame Bildmittel ein, um die Vorzüge eines lange währenden Friedens zu illustrieren. Als der Antwerpener Stadtrat das Gemälde 1612 dem Gesandten des spanischen Königs, dem in Antwerpen geborenen Herzog von Oliva, Don Rodrigo de Calderón, überreichte, erfuhr es eine zweite, ebenso wichtige

politische Funktion: Calderón sollte dem Madrider Hof die Bitte des Magistrats vortragen, die für die gesamten Habsburgischen Niederlande überlebenswichtigen Stapelrechte zu sichern und zu erweitern. Wie kaum ein anderes Gemälde machte die „Anbetung der Könige“ die Wiederbelebung des Seehandels sichtbar. Rubens profitierte in vieler Hinsicht von dem wohlhabenden und der Kunst höchst aufgeschlossenem Antwerpener Bürgertum. So sollte sich der bereits erwähnte Nicolaas Rockox, Hauptmann der Antwerpener Schützengilde, erneut für ihn einsetzen. Als die Gilde von Rubens ein neues Altarbild, die prächtige „Kreuzabnahme“ (Antwerpen, Kathedrale) malen ließ, beteiligte er sich mit einer hohen Summe an den Kosten des Triptychons. Außerdem bestellte er für das Grabmonument, das er für sich und seine Frau errichten ließ, bei Rubens den

Abb. 5, Peter Paul Rubens, Die Anbetung der Heiligen Drei Könige, 1609-10 (1628-29), Madrid, Museo del Prado (nicht in der Ausstellung)

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„Ungläubigen Thomas“ (Antwerpen, KMSK), finanzierte für die städtische Jesuitenkirche den „St. Josefsaltar“ und ließ für die Antwerpener Minoritenkirche das großformatige Gemälde „Der Lanzenstich“ (Antwerpen, KMSK) malen. Einen Teil seines beeindruckenden Vermögens legte der einflussreiche Bürgermeister in Kunstgegenständen an. Für seine eigene Sammlung bestellte er bei Rubens daher die Darstellung „Samson und Delilah“, die in seinem Haus in der Keizerstraat über dem Kamin platziert war. Ein weiterer wichtiger Förderer von Rubens war der vermögende Kaufmann Cornelis van der Geest, der die damals umfangreichste und prächtigste Sammlung an Gemälden, Skulpturen und Antiken besaß. Rubens malte für ihn die „Amazonenschlacht“ (München, Alte Pinakothek). Zudem übernahm er die Kosten für den Hochaltar von St. Walburga mit der berühmten „Kreuzaufrichtung“ (Antwerpen, Kathedrale, Abb. 7). Mit dem einem Hochaltar einer Kirche angemessenen Pathos inszenierte Rubens auf diesem beeindruckenden Retabel den Kreuzestod Christi. Die „Kreuzaufrichtung“ ist, den lokalen Traditionen entsprechend, als Triptychon gestaltet, auf dessen Außenflügeln die heiligen Amandus und Walburga dargestellt sind. Die über sechs Meter breite und fast fünf Meter hohe Innenseite zeigt, über alle drei Tafeln ausgebreitet, den Berg Golgatha im Moment der Aufrichtung des Kreuzes. Mit einer auf die Überwältigung des Betrachters zielenden Drastik setzte Rubens das in der biblischen Passionsgeschichte fehlende Motiv um. Die Walburgenkirche existiert nicht mehr, und so befindet sich die „Kreuzaufrichtung“ heute ebenfalls in der Kathedrale, wo sie gleichberechtigt neben der ebenfalls in diesen Jahren entstandenen „Kreuzabnahme“ ihren Platz gefunden hat. Das zur Zufriedenheit der Schützengilde ausgeführte Gemälde war, wie bereits erwähnt, ein Auftrag, den Rubens durch die Vermittlung von Rockox erhalten hatte. Überhaupt begegnet man immer wieder den gleichen Personen, die Rubens in den ersten zehn Jahren nach seiner Rückkehr nach Antwerpen förderten. Gerade zu Anfang war es ein kleiner Kreis von einflussreichen Gönnern, die für seinen Aufstieg zum angesehensten Maler in Antwerpen verantwortlich waren. Neben

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Abb. 7, Peter Paul Rubens, Kreuzaufrichtung, 1610-11, Antwerpen, Kathedrale (nicht in der Ausstellung)


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Abb. 8, Peter Paul Rubens, Thetis empfängt von Vulcanus die Waffen für Achill, um 1630/35, Pau, Musée des Beaux-Arts den großen korporativen Aufträgen trugen zahlreiche private Stiftungen dazu bei, die Präsenz seiner Werke in den Kirchen seiner Heimatstadt noch zu verstärken. So beauftragte ihn auch sein langjähriger Freund Balthasar Moretus 1611 mit einem gemalten Epitaph für seinen verstorbenen Vater, das in der Familienkapelle im Chor der Kathedrale seine Aufstellung fand. Die Aufzählung privater und öffentlicher Aufträge ließe sich beliebig fortsetzen. Denn zu den Werken für Kirchen und öffentliche Gebäude kamen noch all jene Bilder, die für die Häuser der weniger bekannten, aber ebenso reichen Antwerpener Bürger (Abb. 8) entstanden. Seinem wachsenden Renommé, wohl aber auch dem gestiegenen Platzbedarf

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seiner gefragten Werkstatt war es geschuldet, dass Rubens am 1. November 1610 ein großes Anwesen auf dem Wapper erwarb, einer Straße, die von Antwerpens Prachtstraße Meir abzweigte. Das große Wohnhaus wurde in den nächsten Jahren umgebaut und über einen Portikus mit einem Ateliergebäude verbunden, so dass ein großzügiger Innenhof entstand, der wiederum in einen großen angelegten Garten führte. Als die Planungen für den Aus- und Umbau des Gebäudekomplexes begannen, erwarb Rubens verschiedene Architekturtraktate, was darauf schließen lässt, dass er aktiv an der Bauplanung beteiligt war. Als die Baumaßnahmen Anfang der zwanziger Jahre abgeschlossen waren und die Familie eingezogen war, war ein im italienischen

Stil errichteter Palazzo entstanden, in dem Rubens eine wachsende Zahl von Schülern unterrichten und hohe Besucher empfangen konnte. Rubens war inzwischen weit über Antwerpen hinaus bekannt und erhielt zahlreiche Aufträge aus allen Städten der Habsburgischen Niederlanden und von anderen europäischen Fürstenhäusern. Insgesamt fertigte die Werkstatt zwischen 1610 und 1620 rund 60 großformatige Altarbilder, von denen etwa zwei Drittel für Kirchen außerhalb Antwerpens (Abb. 10, 11) bestimmt waren. Doch Rubens entwarf nicht nur Gemälde, sondern auch Entwürfe für Tapisserien. Gemeint sind hier die Vorlagen für die Teppichserie zum Leben des römischen Konsuls Decius Mus,


Abb. 11, Peter Paul Rubens, Abraham und Melchisedek, 1616/17, Musée des Beaux-Arts de Caen die wahrscheinlich eine Genueser Adelsfamilie um 1616 bei ihm in Auftrag gegeben hatte. Dennoch blieb Rubens, obwohl er inzwischen international gefragt war, weiterhin für seine Antwerpener Auftraggeber aktiv. Schließlich war Antwerpen eine katholische Frontstadt und hatte einen ernormen Bedarf an religiösen Bildern. Den wichtigsten kirchlichen Auftrag erhielt Rubens 1620 vom Vorstand der Antwerpener Jesuitenkirche, deren Neubau 1615 eine Aufsehen erregende Größe gewonnen hatte. Der Maler schuf damals nicht nur die Entwürfe für die 39 Deckengemälde der beiden Seitenschiffe, sondern malte auch die beiden abwechselnd gezeigten Altarbilder und war für die Architektur des steinernen Altars verantwortlich. Der

inzwischen dreiundvierzigjährige Maler hatte damit seinen bisher größten Auftrag übernommen und erhielt dafür die für damalige Verhältnisse unerhört hohe Summe von 10.000 Gulden. Der vertraglichen Vereinbarung entsprechend musste Rubens und seine Werkstatt, darunter Anthonis van Dyck, die Bilder für die Jesuitenkirche vor Ablauf eines Jahres, also spätestens zu Beginn des Jahres 1621 abliefern. Die Fertigstellung in jenem schicksalhaften Jahr 1621 sollte sich für Rubens als günstig erweisen, denn am 21. April lief der zwölfjährige Waffenstillstand aus, der für Antwerpen fatale Folgen hatte. Alle Kriegsparteien hatten von der langen Friedensphase profitiert und so wurden die Kämpfe zunächst nicht mit der gleichen

Härte wieder aufgenommen. Dennoch machte sich die kriegerische Bedrohung Antwerpens sofort auf das Wirtschaftsleben bemerkbar, da der Schiffsverkehr auf der Schelde wieder zum Erliegen kam. Die Auftragslage in Antwerpen wurde schwieriger, und so wird Rubens nicht lange gezögert haben, den Auftrag der französischen Königin Maria de Medici zur Anfertigung zweier umfangreicher Gemäldezyklen anzunehmen. Nicole Hartje-Grave Öffnungszeiten Di, Mi 11–18 Uhr, Do, Fr 11–20 Uhr, Sa, So 10–18 Uhr, Mo geschlossen. www.rubens-ausstellung.de

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Fortsetzung dringend empfohlen ! Ein Rückblick auf das 10. Wuppertaler Jazzmeeting und seine Geschichte

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Caroline Pook ist Geigerin und Komponistin und sie lebt in New York. Doch hier und heute, an diesem letzten Freitag im Oktober, ist sie in Wuppertal. Genauer im Ada, der türkischen Kulturkneipe, um zu hören, wie ihre Idee Wirklichkeit wird: Komposition trifft auf Improvisation. Ausgerechnet für den Nestor des Wuppertaler Free Jazz - Peter Brötzmann - hat sie ein Stück für Schlagzeugensemble komponiert. Vier Musikstudenten und vier klassische Musiker traktieren unter Leitung von Werner Dickel (Dirigent) und Matthias Goebel Trommeln, Pauken, Gleisschienen,

ein Vibraphon und Kinderklaviere („my first toy“). Perkussive Patterns fügen sich nach strengen, fast mathematisch anmutenden Mustern aneinander, schichten sich zu immer neuen energetisch aufgeladenen Kaskaden: postmoderne Klangarchitektur von bezwingender, stellenweise sogar magisch anmutender Intensität, oder um ein anderes Sprachbild zu bemühen, ein Soundteppich, ausgebreitet für das Improvisationsspiel Peter Brötzmanns, der das tut, was er immer tut, wenn er Saxophon spielt. Er spielt sich selbst. Eine halbe Stunde lang bläst Brötzmann pausenlos in sein Saxophon,


lässt sich von der perkussiven Energien treiben, zuweilen scheint es, als treibe er selbst das ausgeklügelte musikalische Glasperlenspiel vor sich her, er kommuniziert mit der Komposition, spielt mit ihr, taucht ein in sich selbst, gerät in irgendeine geheime Kammer, die nach all den Jahren, immerhin einem halben Jahrhundert, so geheim vielleicht auch nicht mehr ist, und an diesem Ort, ganz tief in ihm selbst, findet er die Töne mit traumwandlerischer Sicherheit - und die Kraft, immer weiter zu machen, immer weiter…

Vital, lebendig und innovativ Caroline Pook muss glücklich sein, diese Musik beim 10. Wuppertaler Jazzmeeting zu hören, zu erleben, dass sie eine Musik geschaffen hat, die ideal ist für das Spiel Brötzmanns. Dass sie diesen Musiker und seine Spielweise kennt, von dem Bill Clinton, früherer US-Präsident und Saxophonist gesagt hat, er sei einer der innovativsten Jazzmusiker des vergangenen Jahrhunderts, versteht sich von selbst. Es zeigt aber auch, wie weit die „Sounds like whoopataal“ hinaus gegangen sind die Welt des Jazz. Und wie eingebunden

die Schwebebahnstadt ist in das große Netzwerk dieser Musik. Umso spannender ist es, die Nabelschau der Wuppertaler Jazzszene beim „Meeting“ mitzuerleben. Schaut man zurück auf die letzten zehn Jahre, so stellt sich dieses Festival als eine einzige Erfolgsgeschichte dar. Dabei waren die Initiatoren dieses Ereignisses im Geburtsjahr dieses Festivals - 2002 - skeptisch, ob es nach der Premiere überhaupt eine Fortsetzung geben würde. „Als wir damals noch mit Peter Kowald darüber nachgedacht haben, wie man die lokale Jazzszene fördern und beleben

Das Pferd, FotoThorsten Leiendecker

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Peter Brรถtzmann & Ensemble Q

Daniel Bark &

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Marvin Dillmann


Maceedo Groove Square

Das Pferd

Meet’n Jazz

kann, kamen wir auf die Idee, ein Festival für Jazzmusiker aus Wuppertal und der Region auf die Beine zu stellen. Ernsthaft daran geglaubt, dass es ein zehnjähriges Jubiläum geben würde, hat damals wohl niemand“, sagt Rainer Widmann, der dieses Meeting gemeinsam mit Uli Armbruster, Hans Peter Nacke, Ulrich Rasch, Dietrich Rauschtenberger, Dieter E. Fränzel und Jorgo Schäfer organisiert hat. Beeindruckend sind allein die Zahlen. Über 500 Musiker haben im Lauf der Zeit beim Jazzmeeting gespielt; der Etat hat sich von den Anfangszeiten bis heute auf mehr als 20.000 Euro verdoppelt. Dazu trägt u.a. seit vier Jahren vor allem auch der Landesmusikrat mit seiner finanziellen Unterstützung bei, den Qualität und Konzept des Meetings überzeugt haben. Er war es auch, der die Auftragskomposition Caroline Pooks mitfinanziert hat. Knapp 5.000 Menschen haben bei diesem Festival in dieser Zeit die Entwicklung des Jazz in der Bergischen Metropole mitverfolgen können. „Wuppertal hat eine vitale, lebendige und innovative Jazzszene, die immer wieder neue Formationen, Konstellationen und Talente hervorbringt, so dass wir jedes Jahr ein neues und abwechslungsreiches Programm machen können“, erklärt Rainer Widmann diesen Erfolg. Überraschungscoup Doch nicht allein der Zuhörerzuspruch beeindruckt beim Jazzmeeting. Zu den besonderen Reizen des Festivals gehört es, Musiker über Jahre hinweg in ihrer Entwicklung begleiten und sie künstlerisch wachsen zu sehen. Glaubte der Rezensent nach Brötzmanns Expedition in die Welt der wohldurchdachten Komposition schon den künstlerischen Höhepunkt des diesjährigen Meetings erlebt zu haben, so gab es doch noch einen Überraschungscoup. Was Marvin Dillmann auf dem Didgeridoo zu leisten imstande ist, ist nicht nur unter rein technischen Aspekten aller Ohren wert. Gemeinsam mit dem ebenfalls phantastischen Pianisten Daniel Bark, entführte er die Zuhörer in eine berückende musikalische Traumzeit. Die beiden Musiker harmonierten hervorragend zusammen und erhielten völlig zu Recht Standing Ovations.

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oben: Lieblingstrio, unten: Bergische Brass Band

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Die erhielten – ebenso zu Recht – die Wuppertaler Jazzrockformation „Das Pferd“. Zehn Jahre und etliche musikalische Einzelprojekte der Musiker später trafen beim Meeting die PferdProtagonisten wieder aufeinander und man durfte gespannt sein, was die Bande rund um den Saxophonisten Wolfgang Schmidtke präsentieren würde. Es war kompromissloser harter Jazzrock voller Intensität und Spielfreude, Energie und Originalität. Ein musikalischer Höhenflug jenseits ausgetretener Pfade, der unbedingt nach Fortsetzung verlangt. Nicht so originell, aber dennoch erfrischend waren die Zeitreisen des „Lieblingstrios“, die angeführt von Saxophonisten Chancy Gärtner Jazzstandards im Stile des Modern Jazz auf eine überraschend frische und jetzige Art und Weise präsentierten. In der Musik ist es wie im Sport; zum Erfolg gehört neben der Förderung der Spitze auch die der Breite die des Nachwuchs’. So treten beim Meeting schon seit geraumer


Zeit junge und ganz junge Jazzmusiker auf. In diesem Jahr war es die Bergische Brassband, die blasend und trommelnd afrikanisches Lebensgefühl im Ada verbreitete. Im vergangenen Jahr spielten die Jungen und Mädchen dieser Combo noch in der deutsch-kongolesischen Big Brassband. Doch nach der Abreise der Afrikaner gingen die Nachwuchsmusiker aus dem Bergischen Land nicht einfach wieder auseinander, sondern blieben zusammen, um ihren Erinnerungen auch musikalisch Ausdruck zu verleihen. So eröffneten sie das Meeting mit Stücken aus dem Repertoire afrikanischer Brassbands und schickten auch mal Lenas „Sattelite“ auf eine musikalisch etwas rumplige Umlaufbahn um den Planeten Jazz. Wunderbar aber ist, wie liebevoll das Publikum die Entwicklung der Nachwuchsmusiker trägt und begleitet. Sicherlich findet der eine oder andere später den Weg hin zu den Etablierten.

Gutes Omen So geschehen schon in diesem Jahr: Da spielten nämlich zwei Jungs aus der Brassband in Ulrich Raschs „Meet’n Jazz“-Formation mit. Rasch präsentierte u.a. Eigenkompositionen, die so fein gewoben arrangiert waren, dass man das Gefühl nicht los wurde, einen Standard zu hören. Wirklich spannend an der Performance aber war die Idee mit dem Wuppertaler Symphoniker und Cellisten Michael Hablitzel und mit Banu Böke eine Sängerin der Wuppertaler Oper in einen Jazzkontext zu integrieren. Wirklich schade hingegen war, dass Hablitzel nur während eines Stückes mit einem Solo zu hören war, denn der warme lyrische Ton des Cellos fügte sich sehr schön in die LatinJazzkompositionen. Banu Böke aber musste, wie Rasch mitteilte, ihre Teilnahme absagen, weil sie an der Pariser Oper ein Vorsingen hatte. Verlassen da, wie Rasch es sinngemäß vermutet, die Ratten das sinkende Schiff der Wuppertaler Kultur?

Vielleicht liegen in den Zeiten des Krankschrumpfens der Kultur unter einem vermeintlich der Faktizität der Dinge geschuldeten Spardiktat die Heilungskräfte in der freien, nicht öffentlich subventionierten Kultur. Der Förderer und Beweger der russischen Szene frei improvisierter Musik, der leider viel zu früh verstorbene Nick Dimitriev sah Wuppertal als Stadt kultureller Helden. Dazu gehörten für ihn u.a. Peter Brötzmann und Peter Kowald. Das Jazzmeeting zeigt aber, dass immer wieder neue Helden geboren werden. Der Jazz lebt weiter; die nächsten Generationen sehr guter Musik rücken nach. Und das Publikum? Es ist begeistert und hält dem Festival die Treue. Insofern sollte dieser besondere Geburtstag ein gutes Omen sein für die nächsten zehn Jahre.

Heiner Bontrup Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

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Liebe, Tod und Teufel Die Sammlung J+C Mairet Noch bis zum 3. Februar 2013 in der Von der Heydt-Kunsthalle im Haus der Jugend Barmen

„Wenn man kein Autor ist, Maler oder Filmemacher, dann kann man seine Haltung auch in einer Sammlung ausdrücken" (Jean Mairet)

Chan Kai-Yuen Je pense donc je suis, 2006, Kunstharz und Farbe, 70 x 50 x 50 cm Seit 30 Jahren sammelt Jean Mairet zusammen mit seiner Frau Christina Kunst: Bis heute haben sie Werke von mehr als 100 Künstlern aus 20 Nationen erworben, viele von ihnen befinden sich als Dauerleihgabe in internationalen Museen. Überdies haben vom Sammler selbst inszenierte, vielbeachtete Ausstellungen in Paris und Berlin offensiv und mit Vehemenz demonstriert, welche Kunst ihn beschäftigt: ausdrucksstarke Stücke, provokant, manches Werk schwer verdaulich, alle mit einem Schuss Humor. Jean Mairet, der in Paris lebt, ist kein Kunstkäufer mit Blick auf eine materielle Wertsteigerung. Er kauft Kunst, weil sie

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Fragestellungen reflektiert, die ihn selbst bewegen. In der Von der Heydt-Kunsthalle stehen dem Sammler aus Frankreich fünf Räume zur Verfügung, die er als Kurator, der die Auseinandersetzung mit Künstlern und Publikum sucht, subjektiven Argumenten folgend mit Stücken aus seiner höchst außergewöhnlichen Kollektion bespielt. Welche Themen Mairet aktuell beschäftigen, zeigt sich im Zusammenhang seiner Künstlerauswahl. Die Reflexion entzündet sich am einzelnen Werk. Aus Fragestellungen entwickeln sich neue Möglichkeiten, neue Hypothesen, neue


Perspektiven und Verweise. Ungewohnt sinnliche, ironische und packende Arbeiten sind es, die unangestrengt und unkompliziert zunächst vorgeben, leicht verständlich zu sein. Schnell wird aber deutlich: Was man sieht, ist nicht, was man denkt – nichts passt zusammen, nichts stimmt! Mit Arbeiten von Künstlern verschiedener Nationalitäten, darunter Maike Freess, Georges Rousse, Sophie Calle, Gilles Barbier, Trine Lise Nedreaas, Chan Kai-Yuen, Vincent Corpet, Chloe Piene, Djamel Tatah, Wolf Vostell, Nathalie Elemento, Marc Desgrandchamps sowie Werken aus seiner bekannten Sammlung historischer

Polizeifotos von Lustmördern, ist eine anspielungsreiche Schau entstanden, die humorvoll und mit Sinn fürs Absurde an unausgesprochenen Tabus rüttelt.

Maike Freess Insomnia 3, Le diner, 2004, Fotografie auf Aluminium, 122 x 139 cm

Es erscheint ein Katalog mit Texten von Catherine Millet, Andrea Hilgenstock und Matthias Lengner bei Lienart éditions, F - Montreuil-sous-Bois, dt., engl., frz., (Museumsausgabe 20 Euro) Von der Heydt-Kunsthalle im Haus der Jugend Barmen Tel. 0202 563 6231, Fax 563 8091 Geschwister Scholl Platz 4-6 42275 Wuppertal von-der-heydt-kunsthalle.de

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Vorne: John In Eichen Mitte: Banu Bรถke hinten: Marco Wohlwend

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Singen gegen das Böse Der Freischütz in Wuppertal

v. l. n. r. Marco Wohlwend, Wencke Drumm, Niclas Oettermann, Dorothea Brandt

Auf einem Stuhl sitzt ein adrettes Männlein mit Aktentasche und macht mit Thermoskanne und Pausenbrot eine behäbige Jause, um ihn herum eine Fünfziger-Jahre Dorfgemeinschaft samt Braut und Bräutigam und Schützenverein, so sieht das Eröffnungsbild zu Andrea Schwalbachs Freischütz-Inszenierung am Wuppertaler Opernhaus aus, der Wald ist nur noch eine Lattenwand, die Nanette Zimmermanns Ausstattung in der Wolfsschlucht zerbersten läßt, übrig bleiben nur noch Plankenreste, auf denen der zweite Akt stattfindet, ein Ort der Menschen, nicht der Natur. Doch zurück zu dem „adretten Männlein“, so harmlos banal aussehend beginnt er die Menschen in seinem Sinne zu manipulieren: Samiel verführt, hetzt, stachelt an, verhöhnt, reißt die Individuen an ihrem Schulbewußtsein und treibt sie zu Selbstopfern, wie Menschenopfern an. Schwalbach hält alles schön in der Schwebe, zeigt nie mit dem Finger auf ganz bestimmte Begebenheiten, so kann es einen jeden auf der Bühne, wie im identifizie-

renden Publikum treffen. Samiel knutscht die Menschen blutig, reißt ihnen die Kehle heraus, läßt sie verbluten, wenn er sie nicht braucht, das Böse kommt harmlos daher; der Schauspieler Marco Wohlwend brilliert mit hoher Konzentration in dieser Hauptrolle des Abends. Selten habe ich einen so spannenden „Freischütz“ erlebt. Doch er hat auch eine Gegenspielerin: Ännchen, die ansonsten harmlose Soubrette hat sein Spiel durchschaut und nimmt den Kampf gegen seine Angstmanipulationen auf, Dorothea Brandt weiß mit Charme und feinem Sopran für sich einzunehmen, auch wenn die Fiorituren nicht ganz so geläufig daherkommen, in der Erzählung von der „sel’gen Base“ vermag sie die Situation umzukehren und das Ende zum finalen C-Dur zu zwingen, doch Samiel sitzt wieder auf seinem Stuhl und wartet harmlos auf seine nächste Gelegenheit. Florian Frannek beginnt die Ouvertüre mit langem Atem und läßt die

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vorne Mitte: Banu Böke, Boris Leisenheimer, hinten: Chor- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen wunderbaren, melodischen Bögen weit ausschwingen, das Sinfonieorchester Wuppertal folgt sicher und konzentriert, freilich mit den oft üblichen Nervositäten in der Hörnergruppe. Doch zieht Frannek in den Spannungsmomenten den Ton dramatisch aufgerauht an, folgt seinen Sängern auf ihrem Niveau, vielleicht nicht immer seiner eigenen interpretatorischen Absicht entlang. Der von Jens Bingert sehr sicher einstudierte Chor ist gut auf Ausdruck und Intention getrimmt und arbeitet sinnvoll mit leichten Klangverschärfungen. Banu Böke, die ich eigentlich sehr schätze, hat zumindest am Premierenabend nicht ihre sonstige Form, gerade die große Arie „Leise, leise fromme Weise“ gerät ihr etwas kurzatmig und läßt leichte Höhenprobleme erkennen, im Verlauf des Abends fängt sich die Sängerin wieder zu ihrer gewohnten Form hin. Ausgezeichnet gefällt Niclas Oettermann als Max, denn er vermag die lyrischen

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Phrasen der Partie mit den dramatischen Aufschwüngen gut zu verbinden und überzeugt durch intensive Charakterisierung. Etwas enttäuschend dagegen John In Eichen als Kaspar, zwar beeindruckt die brunnenvergiftende Tiefe, die er weidlich auszureizen vermag, doch die Höhe seines eher basslastigen Baritons wird fahl und öfters lediglich angestreift. Mit Thomas Laske als Fürst Ottokar und Olaf Haye als Erbförster Kuno hat Wuppertal zwei wunderbare Baritöne seines Ensembles für die Partien zur Verfügung. Martin Js.Ohu als Eremit arbeitet sehr bewußt an seiner deutschen Aussprache, stimmlich fehlt ein bißchen das Balsamische für diese Rolle. Boris Leisenheimer liefert als Kilian einen stimmlich etwas verfehlten Saisoneinstand, gefällt jedoch durch eindringliches Spiel. Am Ende großer Jubel für die musikalisch Agierenden und viel Widerspruch für das szenische Team, wobei da wohl

unterschiedliche Erwartungshaltungen aufeinander gestoßen sind. Für meine Begriffe ein sehr spannender, gelungener und intelligenter „Freischütz“, freilich nichts für Romantiker oder die erste Oper für Kinder. Martin Freitag Fotos: Uwe Stratmann Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de Eine Übernahme mit freundlicher Genehmigung von „Der Opernfreund“


A Bigger Picture Museum Ludwig Köln Ausstellung David Hockney bis 3. Februar 2013 Seine Swimmingpool-Paintings gehören zu den populärsten Bildformeln der 1960er Jahre. Als schillernde Figur des ‚Swinging London' und Bildchronist eines coolen Californian Way of Life wurde David Hockney weltbekannt.

„The Sermon on the Mount II (after Claude)“, 2010, Öl auf Leinwand 171,45 x 259,72 cm, © David Hockney Photo Credit: Richard Schmidt

Aber auch mit seinen einfühlsamen Porträts, meisterhaften Stillleben oder Lanschaftsgemälden, Fotocollagen, Bühnenbildern und intelligenten Verarbeitungen kunstgeschichtlicher Phänomene hat er seit Jahrzehnten einen Platz unter den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Dabei hält sein vielseitiges, enorm frisches Werk immer wieder neue Überraschungen bereit. Hatte Hockney bereits in Kalifornien die Wahrnehmung des Raumes und die Weite der Landschaft unter anderem in Bildpanoramen des Grand Canyon verarbeitet, so ist die Landschaftsmalerei in den vergangenen Jahren geradezu ins Zentrum seines Schaffens gerückt. Seit seiner Heimkehr von Los Angeles ins ländliche East Yorkshire, die sich bereits 1997 anbahnte und schließlich 2005 zu Hockneys dauerhafter Übersiedlung in den Küstenort Bridlington mit seinem von Wäldern und Landwirtschaft bestimmten Hinterland führte, schuf er eine Vielfalt wunderbarer Landschaftbilder. Großenteils direkt in der Natur gemalt, ermöglichen sie die dem Betrachter einen unmittelbaren Zugang, wobei sie gleichzeitig von hoher malerischer Raffinesse zeugen.

Parallel zur traditionellen Malerei experimentiert Hockney seit einiger Zeit mit Bildschirm-Zeichnungen. Mittels der iPhone-App „Brushes„ entstanden zuerst auf dem Touchscreen seines Smartphones und mittlerweile auf seinem iPad Bilder, die durch ihre starke Lebendigkeit bestechen. Sowohl mit der ihnen eigenen Leuchtkraft direkt auf den Screens als auch in großformatigen Ausdrucken bilden sie einen wesentlichen Bestandteil der Ausstellung. Darüber hinaus widmet sich Hockney der Landschaft neuerdings auch in beeindruckenden Multi-Fokus-Filmen, einer von Ihm entwickelten Aufnahmetechnik, die in der Projektion auf neun zusammenhängenden Monitoren ein einzigartig intensives Seherlebnis bietet. In ihrer Komplexität zeigt die Ausstellung einen Künstler, der dem klassischen Thema Landschaft auf souveräne Weise neue Impulse verleiht, wobei in all diesen Arbeiten eine tiefe Liebe zur sichtbaren Welt und zur Schönheit der Dinge mitschwingt.

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„A Closer Winter Tunnel, February - March“, 2006, Öl auf 6 Leinwänden (je 91,44 x 122 cm), 182,88 x 365,76 cm © David Hockney, Collection Art Gallery of New South Wales, Sydney, Photo Credit: Richard Schmidt 650.000 Besucher haben in der Londoner Royal Acadamy die Ausstellung von David Hockney besucht, die dort am 9. April zu Ende ging. Ab dem 27. Oktober 2012 bis zum 3. Februar 2013 wird die Ausstellung nun im Museum Ludwig in Köln in veränderter Form zu sehen sein. Ab sofort sind Tickets hierfür im Internet unter www.koelnticket.de, über www.museum-ludwig.de oder telefonisch unter 0221-2801 zu buchen. Die Ausstellung wird unterstützt von Rolex. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag: 10 – 18 Uhr jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 – 22 Uhr www.museum-ludwig.de

Linke Seite: „The Arrival of Spring in Woldgate, East Yorkshire in 2011 - 2 January 2011!“ (1 Zeichnung aus einem 52 -teiligen Werk). IPad-Zeichnung/Papier, 144,14 x 107,95 cm, © David Hockney „The Arrival of Spring in Woldgate, East Yorkshire in 2011- 12 April, No. 1“ (1 Zeichnung aus einem 52 -teiligen Werk), IPad-Zeichnung auf Papier 144,14 x 107,95 cm, © David Hockney

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„The Arrival of Spring in Woldgate, East Yorkshire in 2011“ Aus einem 52-teiligen Werk, Öl auf 32 Leinwänden, je 91,44 x 121,92 cm, gesamt 65,76 x 975,36 cm, © David Hockney, Photo: Jonathan Wilkinson

„Winter Timber“, 2009, Öl auf 15 Leinwänden, je 91,44 x 121,92 cm, gesamt 274,32 x 609,60 cm, © David Hockney, Photo: Jonathan Wilkinson

„Woldgate Woods, 21, 23 & 29 November 2006“, Öl auf 6 Leinwänden, je 91,44 x 121,92 cm, gesamt 182,88 x 365,76 cm, © David Hockney, Photo: Richard Schmidt

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Leben und Wirken David Hockneys

Hockney wurde als viertes von fünf Kindern als Sohn des Buchhalters Kenneth Hockney und seiner Frau Laura geboren. Der Vater war Hobbymaler und förderte die künstlerische Begabung des Sohnes. Nach dem Besuch der Bradford Grammar School schrieb er sich 1959 am Royal College of Art in London ein, wo er R. B. Kitaj kennenlernte. Er wurde oft mit der Pop-Art in Verbindung gebracht, er selbst verneinte dies jedoch stets. Seine frühen Arbeiten zeigen auch expressionistische Elemente und sind den Arbeiten von Francis Bacon ähnlich. Gelegentlich, wie etwa in We Two Boys Together Clinging (1961), nach einem Gedicht von Walt Whitman benannt, beziehen sich seine Arbeiten auf seine Homosexualität. Später ließ sich Hockney in Kalifornien nieder und malte eine Serie von Ölgemälden von Swimmingpools in Los Angeles. Diese haben einen realistischeren Stil und verwenden leuchtende Farben. Er fertigte auch Drucke, Porträts von Freunden und Bühnenbilder für Glyndebourne, die Mailänder Scala und die Metropolitan Opera in New York City. Er war Teilnehmer der 4. documenta in Kassel im Jahr 1968 und auch auf der documenta 6 im Jahr 1977 als Künstler vertreten.

nach einem von Hockneys SwimmingpoolBildern aus dem Jahre 1967). Viele seiner Werke finden sich jetzt in der alten Textilfabrik Salts Mill in Saltaire, in der Nähe von Bradford. Ab dem Jahr 1976 schuf Hockney mit der Mappe Twenty Photographic Pictures fotografische Arbeiten und hatte mit dieser Kunst Erfolg. Seine „Pictures“ setzte er aus über 100 Polaroidbildern zu einer Fotocollage zusammen. Weil diese Fotos aus verschiedenen Perspektiven und zu etwas unterschiedlichen Zeiten aufgenommen wurden, erinnert das Ergebnis an kubistische Gemälde. Einige dieser Werke stellen Landschaften dar, andere sind Porträts. Ein Beispiel dieser Schaffensphase ist eine aus 63 Polaroids zusammengesetzte Komposition, die die Schwestern Imogen und Hermiane Cornwall-Jones zeigt. Ab Mitte der 1980er Jahre wandte sich Hockney wieder mehr der Malerei zu, die Einflüsse von Henri Matisse und Pablo Picasso aufwies. Gleichzeitig schuf er mit den neuen technischen Möglichkeiten die Home Made Prints, Bilder aus dem Farbkopierer, und übertrug Bilder mit Faxgeräten. Im Jahr 1991 wurde er in die Royal Academy of Arts in London gewählt.

1974 war Hockney das Thema von Jack Hazans Film A Bigger Splash (benannt David Hockney „The Big Hawthorne“ 2008 Öl auf 9 Leinwänden, je 91,44 x 121,92 cm 274,32 x 365,76 cm, © David Hockney, Photo Credit: Richard Schmidt

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Hommage in schmerzlich-komisch Julia Penner führt Regie bei der Uraufführung „Schiefergold“ über und für Wuppertal Schiefergold. Grabungen von Chloë Cremer

Inszenierung: Julia Penner Bühne und Kostüme: Monika Frenz Video: Magdalena Sojka - Licht: Sina Kohn Dramaturgie: Oliver Held Fotos: Uwe Stratmann Besetzung: Vera / Petra Friemelt Baustadträtin / Dr. Annette Pruss CDU- Oppositionsführerin: Sina Ebell Wolf-Christoph / Sebastian Kunert Architekt / Dr. Martin Halter PR-Berater: Gregor Henze Horst / Gerhard Klaassen Bürgermeister / Dr. Dirk Boltz PR-Berater: Holger Kraft Lieselotte / Isabelle Willing Investorin / Rachel Goldfarb kalifornische Rentnerin: Silvia Munzón López.

Der Tapir ist ein tristes Tier. So manches Mal schon waren ja zuletzt in mehr oder weniger lustigen Stücken der Wuppertaler Bühnen Tiere zu sehen: Ein paar Schweinchen gab’s mal im Kleinen Schauspielhaus, einen Elch bei Marius von Mayenburg, und selbst durch Tschechows „Kirschgarten“ ließ man einen konfusen Bären trotten. Fleisch gewordene Verfremdungen, könnte man wohl sagen. Oder Fell gewordene. Aber: Nadja ist doch ganz anders. Nadja kommt in der ersten Inszenierung dieser Spielzeit im Schauspielhaus vor: der Uraufführung „Schiefergold“ von Chloë Cremer. Und sie ist weder verkleideter Schauspieler noch mutmaßlich Expertin für Verfremdung, sondern eine quicklebendige Tapirdame im Duisburger Zoo, die per Video am Stück teilnimmt. Soweit man denn bei einem so gemütvollen Wesen wie einem Tapir von „quicklebendig“ sprechen kann. Lange Rede, kurzer Sinn: Anders als manch anderes Stück mit Tier im Team ist „Schiefergold“ in der Inszenierung von Julia Penner, obwohl

vorne: Holger Kraft, hinten v.l.n.r. Gregor Henze, Sina Ebell, Silvia Munzón López

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voll Ironie und erheblich unterhaltsam, eigentlich etwas Tieftrauriges. Das Spielzeitheft untertitelt „Schiefergold“ mit „Bergische Grabungen“, gefolgt von einem wirklich guten Text über eine lokale Mentalität, die den Reiz des Verfallenen schätzt und den „Schmutz als Patina“ wahrnimmt. Nun ist dies aber nicht das Hauptthema des Stücks, das damit ja eigentlich angekündigt wird. „Schiefergold“ erzählt von Kultur, konkret: einem Altbau mit historischem Mosaik eines kommunistischen Künstlers, die durch Kommerz bedroht wird, konkret: durch Abrißpläne mit dem Ziel, an derselben Stelle eine Beauty-Klinik zu errichten. In dem Gebäude hausen aber seit Jahren eine Handvoll gealterter Kommunarden, die sich weigern zu gehen: Bremsen als Revolution mit anderen Mitteln, nachdem die eigentliche gescheitert ist. Eine spannende Geschichte – aber mit bergischen Mentalitäten hat sie wenig zu tun. Mit am meisten Lokalkolorit bringt noch eben der Tapir ein, der bei


einer mißglückten Werbeaktion aus der städtischen „Seilbahn“ springt: Nadja als Tuffi-Wiedergänger.

„Wir haben diese Stadt wieder aufgebaut. Weißt du noch?“ Lacher. Aber eigentlich ist auch das ja schrecklich traurig.

Viel mehr geht es heute Abend um überlebte Ideen, um überlebte Menschen: Mitbewohnerin Lieselotte war früher vielleicht eine Art Uschi Obermaier; heute sinniert sie, wie sie sich den Blick auf ihr eigenes Alter wünscht: „Als Teil meiner aparten Persönlichkeit.“ Klar und ernst spielt sie Silvia Munzón López, und Ähnliches gilt für so schmerzlich-komische Sätze wie: „Ich möchte so weinen, wie es hier manchmal regnet.“ WolfChristoph (Gregor Henze) hatte mal was mit Lieselotte, ist jetzt aber mit Vera zusammen (Sina Ebell, die ansonsten eine Sternstunde hat als depressive Baustadträtin Friemelt). Er verbringt die meiste Zeit damit, der verunglückten DDR nachzutrauern, zu klagen über den „Verrat an einer fabelhaften Idee“. Fast penetrant klingen seine Worte nach den Sprüchen der Vätergeneration, von denen sich abzugrenzen ja das eigene Lebensthema war:

Nicht eben optimistisch stimmen schließlich auch die Intrigen in der Politik: Holger Kraft als Bürgermeister mit Macho-Macher-Charisma, dem man gar nicht anders kann als Beifall zu klatschen, als er Richtung Publikum für sein Projekt agitiert: für „die modernste und“, klar, „sozialste Schönheitsklinik in der ganzen Region“ – er ist Sozialdemokrat. Und die Bürgerliche Dr. Annette Pruss (nochmals Ebell), die ihren Rivalen trickreich zu dem Coup überredet, der ihn am Ende das Amt kosten wird: „Etwas Schweres“ solle auf das historische Mosaik auf dem Gelände fallen und damit ein Haupthindernis für den Abriß beiseite räumen. Etwas Schweres, das heißt: Nadja.

treffend auch. Wenn man all dies aber fast als Liebeserklärung versteht, wie Regisseurin Julia Penner, die aus Wuppertal stammt und vor der Premiere eigens betont hat, daß ihre Heimat „hundertprozentig Cronenberg“ ist: Soviel Tristesse finden und es so positiv sehen, ist vielleicht wirklich typisch Wuppertal. Martin Hagemeyer 19. 1. 2013 20:00 Uhr //// Kleines Schauspielhaus

Weitere Informationen www.wuppertaler-buehnen.de

Machtgeile Politiker und Alt-Idealisten, die sich in Nostalgie vergraben: Speziell bergisch sind sie nicht, diese Grabungen. Anrührend dafür umso mehr, klug und

v.l.n.r. Holger Kraft, Silvia Munzón López, Gregor Henze

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Im Farbenrausch Munch, Matisse und die Expressionisten Noch bis zum 13. Januar 2013 im Essener Museum Folkwang

Das Museum Folkwang widmet einem der spannendsten Kapitel der Malerei des frühen 20. Jahrhunderts eine große Sonderausstellung. Durch die bewährte und enge Kooperation mit der ebenfalls in Essen beheimateten RWE AG, die mit dem überzeugenden Vorfinanzierungskonzept das Museum Folkwang als exklusiver Sponsor tatkräftig unterstützt, konnte diese Ausstellung realisiert werden. Diese Schau stellt erstmals den Norweger Edvard Munch und die „Fauves“, die sogenannten „Wilden“ in der französischen Kunst – Henri Matisse, André Derain, Maurice de Vlaminck – , den Expressionisten in Deutschland wie Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Franz Marc gegenüber. Es werden über 150 Gemälde und Skulpturen präsentiert, von denen einige selten oder bisher noch nie öffentlich gezeigt worden sind. In elf Kapiteln beleuchtet

Max Pechstein Sitzendes Mädchen / Sitzender weiblicher Akt, 1910, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie © 2012 Pechstein, Hamburg/Tükendorf © Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Roman März

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die Ausstellung den neuen Umgang mit und die veränderte Bedeutung von Farbe. Ausgehend von den „Wegbereitern der Moderne“ – Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Paul Signac – präsentiert Im Farbenrausch wie die junge Künstlergeneration in Frankreich und Deutschland zwischen 1905 und 1911 die Malerei endgültig von der Abbildung der Natur befreiten und durch ihren neuartigen Einsatz der Farbe einen revolutionären Malstil kreierten. In der Ausstellung wird deutlich wie sowohl die Künstler der „Brücke“ mit Heckel, Kirchner, Hermann Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff in Dresden als auch die Gruppe der „Murnauer“ Kandinsky, Münter, Jawlensky und Marianne von Werefkin aufmerksam die neuen Entwicklungen in der Malerei verfolgten und diese zum Ausgangspunkt ihres eigenen revolutionären Schaffens machten.


Die von Mario-Andreas von Lüttichau und Sandra Gianfreda kuratierte Schau Im Farbenrausch ist unmittelbar mit der Geschichte des Museum Folkwang verbunden. Das 1902 von dem Sammler und Mäzen Karl Ernst Osthaus in Hagen eröffnete Folkwang Museum, hat bereits früh Munch, Matisse, Braque, die Maler der „Brücke“, sowie Kandinsky, Jawlensky und Marc gefördert, ausgestellt und gesammelt. Dieses frühe Engagement des Museums für die avantgardistische Kunst ist nun Ausgangspunkt, um diese prägende Zeit und den Dialog zwischen den Künstlern in schlagenden Gegenüberstellungen neu zu erschließen. Professor Ute Eskildsen, Interimsdirektorin des Museum Folkwang: „Es ist eine sehr beeindruckende Erfahrung, diese großartige Schau im Neubau von David Chipperfield zu erleben. Eine derartige Konzentration auf die „Fauves“ und die deutschen Expressionisten unter beson-

derer Beachtung von Munch ist bislang weltweit nicht gezeigt worden. Bezogen auf die kurze, aber wesentliche Zeitspanne von 1905 bis 1911 richtet die Ausstellung den Blick auf eine bahnbrechende Epoche und veranschaulicht die vielfältige und fruchtbare Rezeption des Norwegers und der Franzosen in der deutschen Malerei jener Zeit.“ Volker Heck, Leiter der RWE Konzernkommunikation, erläutert das Engagement wie folgt: „Für RWE sind gesellschaftliche und regionale Verantwortung von großer Bedeutung. Uns verbindet aber auch viel mit den „Fauves“ und den Expressionisten, die eine Kunstrichtung geprägt haben, die vor Energie nur so sprüht. Das tun wir in gewisser Hinsicht ja auch. Auch das hat uns motiviert, unsere langjährige Partnerschaft mit dem Museum Folkwang um ein besonderes Highlight zu bereichern.

Öffnungszeiten Sonderausstellung Di – So 10 Uhr – 20 Uhr, Fr 10 Uhr – 22.30 Uhr, montags geschlossen Museumsplatz 1, 45128 Essen, Telefon 201 8845 444/000, www.museum-folkwang.de

André Derain, Vue de Collioure, 1905, Collioure. Das Dorf und das Meer Museum Folkwang, Essen © VG Bild-Kunst, 2011 © Foto: Museum Folkwang, 2011

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Textauszug aus dem Katalog zur Ausstellung Die Ausstellung Im Farbenrausch – Munch, Matisse und die Expressionisten konzentriert sich auf die Entstehung des Fauvismus und die Entwicklung des Expressionismus in Deutschland von 1905 bis 1911. Im Vordergrund stehen auf französischer Seite Henri Matisse, André Derain und Maurice de Vlaminck, die innerhalb dreier Jahre die Malerei endgültig vom Naturabbild befreiten und durch ihren neuartigen Einsatz der Farbe einen revolutionären Malstil kreierten. Im Farbenrausch untersucht, wie diese neue Malerei in den Jahren bis 1911 von den Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland rezipiert wurde – insbesondere von Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff in Dresden, von Alexej

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von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin in München respektive Murnau sowie von Franz Marc und August Macke. Das Jahr 1905 ist für die Malerei in Frankreich wie auch in Deutschland von besonderer Bedeutung: In jenem Jahr verbrachten Matisse und Derain den Sommer im südfranzösischen Fischerdorf Collioure. Im südlichen Licht malten die beiden Freunde mit breiten, locker gesetzten Pinselzügen, in leuchtenden, ungemischten Farben vereinfachte Ansichten des Hafens und Blicke von einer Anhöhe auf das kleine Dorf. Der mit Derain befreundete Vlaminck wählte währenddessen Motive in den Vororten von Paris: Dorfszenen, hügelige Landschaften und Dampfer auf der Seine. Teilweise noch unter dem Eindruck der Malerei Vincent

van Goghs und Paul Signacs befreiten sich Matisse und seine Künstlerkollegen von dem in Frankreich noch vorherrschenden Postimpressionismus und entwickelten ihren innovativen Stil. Den innovativen Umgang ihrer künstlerischen Väter mit der Farbe steigerte die junge Künstlergeneration zu einer „Orgie der reinen Farbtöne“ – so zumindest beschrieb der Kritiker Louis Vauxcelles deren Werke, die 1905 im Salon d’Automne ausgestellt waren, und nannte diese jungen Maler zunächst abschätzig „Fauves“ („wilde Tiere“). Im gleichen Jahr 1905 gründeten Heckel, Georges Braque Paysage à l'Estaque / Landschaft bei L'Estaque, 1906 Öl auf Leinwand, 51 x 60 cm New Orleans Museum of Art


Kirchner, Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl in Dresden die Künstlergemeinschaft „Brücke“ mit dem Ziel, eine Alternative zur malerischen Tradition zu suchen und neue Möglichkeiten künstlerischen Gestaltens aufzuspüren. Ihr schlossen sich 1906 Max Pechstein und Emil Nolde an. Auch die „Brücke“-Künstler entwickelten ausgehend von den Wegbereitern der Moderne – Paul Cézanne, Vincent van Gogh und Paul Gauguin – ihren spontanen, unverwechselbaren Malstil, der die subjektive Empfindung vor dem Motiv ins Zentrum stellt. Prägend für ihre Entwicklung war zudem ihre direkte Auseinandersetzung mit der Kunst der jungen Franzosen, die sie zu Ausstellungen nach Deutschland einluden, aber auch Edvard Munch spielte für sie eine zentrale Rolle ab 1907/1908. Der Norweger hielt sich wiederholt in Berlin, Ham-

burg, Dresden und Chemnitz auf, wo seine Gemälde und grafischen Werke gezeigt wurden. Über den Sammler Gustav Schiefler, der das Werkverzeichnis von Munchs Grafik herausgab, traten Heckel und Nolde 1907 in direkten Kontakt mit Munch. Doch trotz der Bemühungen der „Brücke“, ihn zur Teilnahme an ihren Ausstellungen zu bewegen, kam es nie zu einem gemeinsamen Auftritt. Zur gleichen Zeit begegneten sich mit Jawlensky, Kandinsky, Münter und Werefkin Gleichgesinnte in München, die sich nach längeren Aufenthalten in Italien und Frankreich seit Herbst 1908 regelmäßig im oberbayerischen Murnau zum Malen trafen. Von Jawlensky ermuntert, näherten sie sich der neuen französischen Malerei an und änderten alsbald grundlegend ihren Blick auf die Natur. Marianne von

Werefkin setzte sich zudem mit Munchs Bildwelt auseinander. Gemeinsam lösten auch sie die Farbe zunehmend vom Gegenstand und machten sie zu einem eigenständigen Gestaltungselement: Mit roten Bäumen, blauen Bergen und gelben Wiesen steigerten diese Künstler die Landschaften zu spektakulären Motiven, getragen von einer in höchstem Maße subjektiven Wahrnehmung. Die Expressionisten entwickelten eine neue Ästhetik, indem sie Linien, Farben und Flächen zu bildprägenden Formen zusammenfügten, die Farben vom Lokalton lösten, die Erich Heckel Spaziergänger am Grunewaldsee, 1911 Museum Folkwang, Essen © Nachlaß Erich Heckel, Hemmenhofen © Foto: Museum Folkwang, 2011

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Hermann Max Pechstein Flusslandschaft, um 1907 Museum Folkwang, Essen © Alexander Pechstein, DobersdorfTökendorf © Foto: Museum Folkwang, 2011

Edvard Munch Sittende akt på sengen, 1902 Sitzender Akt auf dem Bett (Mädchenakt auf dem Bett sitzend), Staatsgalerie Stuttgart, The Munch Museum / The Munch Ellingsen Group / VG Bild-Kunst, Bonn 2012, Foto: Staatsgalerie Stuttgart

Proportionen missachteten, alle Kompositionselemente gleichwertig behandelten und die Wiedergabe des Gesehenen mit einer zunehmenden Abstraktion verbanden. Nicht zuletzt aufgrund ihres Blickes nach Frankreich und auf Munchs Werk entwickelten diese Künstler bis 1911 den Expressionismus zu einer eigenständigen, unverwechselbaren Bildsprache – eine der bedeutendsten Leistungen der Moderne in Deutschland. Als solche feierte er 1912 anlässlich der Internationalen Kunstausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler in Köln seinen ersten öffentlichen Triumph. Mit der Ausstellung und mit dem begleitenden Katalog Im Farbenrausch zeichnen wir diesen Wandel des Malstils in Frankreich und etwas zeitversetzt in Deutschland nach. Unser Augenmerk richtet sich dabei auf den neuartigen Umgang mit der Farbe und dessen Folgen: wie sie sich zunehmend von ihrer naturabbildenden Funktion löst, der

Linie als Gestaltungselement übergeordnet und zum Ausdrucksträger inneren Erlebens wird. In der direkten Gegenüberstellung ausgewählter Werke wird deutlich, wie nahe sich die hier vertretenen Künstler in der Bildauffassung waren, aber auch wie unterschiedlich ihre Herangehensweise war. Die Fauves definierten das Verhältnis zwischen Natur und Kunst neu, indem sie den Bildraum aus dem kraftvollen Zusammenwirken der Farben entstehen ließen. Sie lehnten das Festhalten der flüchtigen Erscheinung des Motivs, wie bei den Impressionisten, ab und strebten stattdessen nach dem beständigen Charakter der Dinge. Die Künstler der „Brücke“ gestanden sich in ihrem Programm von 1906 weitere Freiheiten zu, wonach jeder „unmittelbar und unverfälscht“ das wiedergeben solle, „was ihn zum Schaffen drängt“. Dabei stand für sie die Spontaneität im Malakt an vorderster Stelle. Kandinsky hingegen forderte im Gründungszirkular

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der „Neuen Künstlervereinigung München“ im Januar 1909, nach künstlerischen Formen zu suchen, die „von allem Nebensächlichen befreit sein müssen, um nur das Notwendige stark zum Ausdruck zu bringen – kurz, das Streben nach künstlerischer Synthese“. In der Wahl ihrer Motive blieben all diese Künstler zwar den traditionellen Gattungen verpflichtet, sie befreiten sie jedoch von den akademischen Konventionen. So begegnen wir bei Braque, Derain, Matisse, Manguin und Vlaminck vorwiegend Landschaften, Ansichten von Collioure, Chatou oder L’Estaque, bei van Dongen vermehrt Porträts und Aktdarstellungen; Matisse und Vlaminck malten an Farben und Gegenständen überbordende Stillleben; das klassische Thema des Aktes in der Landschaft wurde von Matisse radikal erneuert. Die Dresdener Malerfreunde malten neben Landschaften vorwiegend nackte Modelle in ihren Wohnräumen, die sie zugleich als Ateliers nutzten (möbliert mit von ihnen selbst geschaffenen Möbeln und Gegenständen), oder sie hielten ihr unbekümmertes, zügelloses Dasein in der Seenlandschaft um Dresden malerisch fest. Während das Stillleben von ihnen vernachlässigt wurde, spielte es für Jawlensky, Münter und Macke eine wichtige Rolle. Für die in Oberbayern arbeitenden Maler bildete die Landschaft das zentrale Motiv, wohingegen man Badende bei ihnen vergeblich sucht. Das Motiv der Dame mit Hut wiederum hat alle Künstler gleichermaßen begeistert, seit

Matisse sein berühmt gewordenes Gemälde Frau mit Hut – das leider aufgrund einer testamentarischen Verfügung nicht an Ausstellungen verliehen werden kann – 1905 im Salon d’Automne ausgestellt und damit einen großen Skandal ausgelöst hatte. Bezogen auf diese Zeit sprach der Berliner Kunsthistoriker und Museumsgründer Eberhard Roters 1988 in seinem Aufsatz Ausstellungen, die Epoche machten treffend von „farbensprühenden Bildern“, die nun eingezogen seien „in gepflegte Räume“. Im Blick hatte er die hierzulande bisweilen sehr engagierten Galeristen und Direktoren von Kunstvereinen, aber auch die Privatsammler, in deren Häusern die neuen Bilder auf Tapeten im Dekor des ausgehenden 19. Jahrhunderts hingen, „in einer Atmosphäre bürgerlicher Wohlanständigkeit“. In den Museen dagegen fanden die Werke der Franzosen und der deutschen Expressionisten zunächst nur sehr selten Berücksichtigung – mit Ausnahme des Museum Folkwang eigentlich in keinem. Osthaus hatte sich in den ersten Jahren nach der Gründung der Museums nahezu ausschließlich für zeitgenössische Künstler aus Frankreich und Belgien interessiert. Henry van de Velde, der nicht nur die Innenausstattung des Hagener Museumsbaus, sondern auch das private Wohnhaus des Sammlers entworfen hatte, führte Osthaus bei den Kunsthändlern Ambroise Vollard in Paris und Paul Cassirer in Berlin ein. „In weniger als einem Jahr hatte er Werke von Monet, Renoir, Seurat, Signac,

Cross, van Gogh, Gauguin und Skulpturen von Minne, Rodin und Constantin Meunier erworben“, schrieb van de Velde in seinen Erinnerungen. August Macke bestätigte diese Darstellung, als er Ende Mai 1908 erstmals nach Hagen kam und von dort am 1. Juni dem Sammler Bernhard Koehler nach Berlin berichtete: „Es ist eine ausgewählt schöne Sammlung, wie sie wohl selten zusammenkommt. Er (Osthaus, d.V.) hat nicht nur die besten Modernen, auch alte Sachen, viel Ägyptisches, Griechisches, Indisches, Gotisches und Italienisches. Wir waren ganz jeck, wie man hier sagt.“ Erstaunlich ist, dass Macke die „besten Modernen“ nicht namentlich nennt. Denn bei seinem Besuch konnte er auch drei Gemälde von Matisse entdecken, etwa das in Collioure gemalte Stillleben mit Affodillen, das erste Werk des Franzosen in einem Museum, das der Sammler im Oktober 1907 bei Bernheim-Jeune erworben hatte. Im Dezember 1907 widmete das Folkwang Matisse eine Einzelausstellung mit sieben Gemälden. Im Februar 1908 erwarb Osthaus Die Uferpartie (heute im Kunstmuseum Basel) und noch im Frühjahr desselben Jahres gelangte Badende mit Schildkröte (heute im Saint Louis Museum of Art) in die Hagener Sammlung. Abgesehen von Arbeiten auf Papier und ebenfalls 1908 gestalteten Kacheln, die in einer Wand im privaten Haus Hohenhof eingelassen wurden, konnte sich Osthaus noch Franz Marc, Pferd in Landschaft, 1910, Museum Folkwang, Essen

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Matisses unglasierte Terrakotta Liegender Akt sichern (heute Statens Museum for Kunst, Kopenhagen), die 1907 den Ausgangspunkt für Blauer Akt darstellte, eines der programmatischen Bilder des Künstlers. In derselben Zeit erwarb Osthaus auch Der Hafen von L’Estaque (heute Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Zürich) aus Braques fauvistischer Phase und Kees van Dongens Porträt der japanischen Tänzerin Sada Yacco (1945 zerstört). Zu den Künstlern, deren Werke ebenfalls sehr früh Aufnahme in die Osthaus´sche Sammlung fanden, gehörte Edvard Munch. Bereits im Sommer 1903 soll sich das Gemälde Winter in Nordstrand (heute in Privatbesitz) im Hagener Museum befunden haben. 1906 richtete das Museum Folkwang Munch eine Ausstellung aus und im Bestandskatalog der Sammlung von 1912 sind bereits sechzehn grafische Blätter verzeichnet. Als große Bewunderer der Hagener Sammlung erwiesen sich die „Brücke“Künstler. Schon 1906 begann der Briefwechsel zwischen Dresden und Hagen im Hinblick auf eine Ausstellungsmöglichkeit der „Brücke“. Für Heckel bedeutete das Folkwang-Museum eine „moderne und für uns mustergültige Einrichtung“ und er fühlte sich geehrt, „in diesen schönen Räumen des ersten und vorläufig noch einzigen modernen Museums, (…) eine Ausstellung unserer Werke veranstalten zu können“, wie er in seinem Brief an Osthaus vom 3. Dezember 1906 schrieb. Im Juni 1907 fand die erste Gruppenausstellung der Dresdener Künstler in Hagen statt, im Juni 1910 eine weitere Präsentation. Im Vorfeld dieser Eröffnung setzte wohl August Kuth, Assistent am Folkwang, in der RheinischWestfälischen Zeitung vom 5. Juni 1910 einen Pressetext ab und schwärmte darin für die Künstler der „Brücke“ und deren Ziele: „Unsere Juni-Ausstellung steht ganz im Zeichen des Sturmes und Dranges. Junge Künstler, denen die Berliner Sezession nicht mehr zusagte, schlossen sich zur ‚Brücke‘ zusammen. War’s gekränkter Künstlerstolz, war’s das klare Bewußtsein eigenen Wertes – auf jeden Fall wollten sie frei sein vom bloßen Epigonentum, wollten auf eigenen Füßen stehen (…). Selbst wer im impressionistischen Sehen geübt ist, wer das sprühende

Leben pointillistischer Darstellung erfaßt, wird hier Geduld haben müssen, wenn diese Bilder zu ihm sprechen sollen.“ Und weiter schrieb Kuth von der „Leuchtkraft“ klarer Farben, von „komplementärfarbigen Schatten“, „grandiose(r) Farbenglut“ sowie der Entwicklung des Bildes aus wenigen, aber wesentlichen Farbflächen: „Und die Farbe ist’s hier, die auch das innere Erlebnis der Künstlerseele widerspiegelt.“ Inneres Erleben und äußerer Eindruck sind nach Osthaus’ Auffassung in „harmonischem Farbakkord“ in Einklang gebracht. Nach diesen euphorischen wie authentischen Worten erstaunt es, dass der Sammler Osthaus nicht sofort Arbeiten aller „Brücke“-Künstler für seine Sammlung erwarb, sondern sich zunächst ausschließlich um Nolde bemühte. Dessen leuchtende Farbwelten sollte Osthaus bis 1912 durch zahlreiche Ankäufe anerkennen und – wie die Werke der anderen „Brücke“-Künstler auch – in Ausstellungen vermitteln, etwa in diejenigen des „Sonderbundes westdeutscher Künstler“, für den sich Osthaus nachhaltig einsetzte. Auch Kandinsky, Macke, Marc und Münter, die Künstler der „Neuen Künstlervereinigung München“ und des daraus hervorgegangenen „Blauen Reiter“, waren seit 1909 in Kontakt mit dem Hagener Folkwang-Museum und präsentierten ihre Werke in unterschiedlicher Zusammensetzung in vier Ausstellungen. Im Jahr 1912 machte „Der Blaue Reiter“ auf seiner Deutschlandtournee in Hagen Station und wetteiferte dort in seiner programmatischen Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksmittel mit der Folkwang-Sammlung. Die Industriestadt Hagen war zu jener Zeit die Begegnungsstätte für Avantgarde-Kunst und das Museum Folkwang schon vor hundert Jahren bildlich gesprochen „im Farbenrausch“! Das Osthaus’sche Erbe ging mit dem Erwerb der Folkwang-Sammlung 1922 an Ernst Gosebruch, den damaligen Direktor des Kunstmuseums Essen, über. Dieser erfüllte mit der Zusammenführung der beiden Sammlungen in Essen nicht nur das Vermächtnis, sondern entwickelte die Sammlung höchst museal und im Sinne der Weltkunst weiter. Außerdem erwarb er sowohl Werke der „Brücke“-Künstler als auch der französischen Maler, besonders Derains.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten verlor das Museum – das von dem amerikanischen Kunsthistoriker Paul J. Sachs 1932 als „schönstes Museum der Welt“ bezeichnet worden war – seine führende Rolle als Haus der Moderne. Die Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ von 1937 beraubte das Museum seiner nach 1910 entstandenen Werke der Avantgarde. Von der Osthaus’schen Sammlung blieben die Wegbereiter der Moderne erhalten und auch das Stillleben mit Affodillen von Matisse. Alle anderen Werke, insgesamt rund 1400 Arbeiten, allen voran diejenigen von Heckel, Kirchner, Schmidt-Rottluff, Kandinsky, Nolde und Marc, gingen für das Museum unwiederbringlich verloren. Nach 1945 gelang es den Museumsdirektoren, die erlittenen Verluste mit wichtigen Neuerwerbungen – darunter auch Rückkäufen von 1937 beschlagnahmten Bildern – zu mildern. Darauf aufbauend können bis heute unter glücklichen Umständen Werke der für das Museum und seine Sammlungsgeschichte so wichtigen Künstler erworben werden. Hundert Jahre nach dem zehnjährigen Museumsjubiläum 1912 in Hagen sind damit die Voraussetzungen gegeben, eine großartige Ausstellung zu zeigen zu einem Thema, das Osthaus einst mit seinem ebenso innovativen wie kreativen Sammeln in den Blick genommen hatte: eine Gegenüberstellung avantgardistischer Malerei aus Frankreich und Deutschland. Museum Folkwang Museumsplatz 1, 45128 Essen Telefon: 0201 88-45444 Fax: 0201 88-45330 www.museum-folkwang.essen.de www.museum-folkwang.de Öffnungszeiten: Di – So 10 – 20 Uhr, Fr 10 – 22.30 Uhr Montags, Heiligabend und Silvester geschlossen.

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Magische und intensive Momente Nachklänge zur Musikreihe Klangart Peter Kowald, der große Beweger des europäischen Free Jazz und der Freien Improvisierten Musik hat einmal den schönen Satz gesagt: „Music is an open sky.“ So weit wie in diesem Jahr war der Himmel über dem Skulpturenpark Tony Craggs noch nie. Doch beginnen wir den Rückblick mit einem ganz besonderen Erlebnis.

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Hazmat Modine

Jasper van’t Hof (Pili Pili)

Michel Alibo (Squeezeband)

Tutu Puoane (Pili Pili)

Unvergesslich für den, der es miterleben durfte, war der Gesang Ana Mouras, der unmittelbar unter die Haut und direkt ins Herz ging. Von all den Protagonistinnen, die auf der Renaissance-Welle des Fado surfen, erinnert ihre Stimme am stärksten an die Amalia Rodrigues‘, der ungekrönten Königin des portugiesischen Blues, eines musikalischen Stils, dessen Ursprünge im zwielichtigen Milieu Coimbras und Lissabons des 19. Jahrhundert lagen. Fado ist der musikalische Ausdruck eines melancholischen Lebensgefühls und eines Weltwissens um die Vergänglich- und Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens. Niemand konnte dieses Gefühl so ausdrücken wie

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Amalia Rodrigues, in deren Stimme sich eine gewisse schneidend-klagende Schärfe mit großer Wärme zu einem unnachahmlichen Klang vereinte. Unnachahmlich? Ana Moura interpretiert den Fado auf eine sehr traditionelle Art, aber in ihrem musikalischen Ausdruck kommt sie der großen alten Dame des Fado sehr, sehr nahe. Fado trifft auf Rock An jenem 14. Juli, an dem Ana Moura in Wuppertal auftreten sollte, hatten sich Regengüsse nahezu apokalyptischen Ausmaßes über der Schwebebahnstadt ergossen, die Veranstalter waren nervös; würde das Konzert im Wortsinne ins Wasser fallen? Doch pünktlich zu

Konzertbeginn hatte der Himmel über Wuppertal ein Einsehen. Belohnt wurden die zahlreichen Zuschauer, die sich durch das Wetter nicht hatten abschrecken lassen, durch ein großartiges Konzert. So war es auch den Rolling Stones gegangen, als sie Ana Moura bei einem Gastspiel in Lissabon kennenlernten. Mick Jagger holte Ana auf die Bühne und sang mit ihr im Duett. Seitdem hat die Portugiesin zwei Titel der Stones im Repertoire, von denen sie im Skulpturenpark einen präsentierte: die melancholische Stones-Ballade „No Expectations“ fügte sich als ein funkelndes Juwel in die Perlenkette ihrer Fado-Lieder.


Motto sein, unter dem die Musikreihe in diesem Jahr stand, ein Satz des russischen Malers, Architekten und Photographen, Urahn des Konstruktivismus, Alexander Michailowitsch Rodtschenko: „Es ist der Rhythmus, der im wesentlichen die Struktur bestimmt, und alle räumlichen Relationen sind ihm unterworfen.“ Doch wahrscheinlich sind es hier eher die räumlichen Relationen, denen sich die (musikalischen) Rhythmen unterwerfen…

Volker Goetze und Ablaye Cissoko

Chiwoniso Mareire Wer nach dem Konzert nach Hause fuhr, die Lieder und Stimmung des Parks noch nachschmeckend, -spürend, sah, wie am Abend jenes Julitages die Sonne ganz unvermittelt durch das Dunkel brach und einzelne blaue Flecken sich am Himmel zeigten. Die Straßen dampften, die Bäume leuchteten in einem surreal strahlenden Grün, die Ziegel von alten Fabriken waren von einem glühenden Karmesin. Und über der Stadt stand im geschlossenen Halbkreis vor grauer Regenwand ein leuchtender Regenbogen, der noch einmal von einem etwas schwächeren umschlossen wurde. Schaut man von diesem Fado-Konzert aus auf den ganzen Reigen der diesjährigen

Musikreihe Klangart, sieht man, wie weit der musikalische Bogen diesmal gespannt wurde: vom Blues über den Jazz in seinen unterschiedlichsten Spielarten bis hin zum Hiphop, vom Fado bis hin zum Klezmer aus dem multikulturellen New York. Eine bunte Mischung, ein Potpourri aus Jazz und sogenannter Weltmusik. Ist in solcher Vielheit noch eine Einheit erkennbar? Für den Künstlerischen Leiter E. Dieter Fränzel ist das entscheidende Kriterium, „dass die Musik in ihrer Qualität, Ausstrahlung und Anmutung zum Ort und zu den dort ausgestellten Exponaten passt.“ Ein philosophischer Wink zum Verständnis des Konzepts könnte auch das

Back to the roots Ein deutlich erkennbarer Schwerpunkt in dieser Reihe war – passend zur Ausstellung mit Skulpturen und Masken aus Nigeria – die Begegnung mit Musik vom Schwarzen Kontinent. So wurden Musiker aus dem Senegal, Zimbabwe, der Elfenbeinküste, Mali und Südafrika eingeladen. Den Beginn machten ein Stegharfenspieler aus dem Senegal und ein Trompeter aus dem Bergischen Land, der inzwischen im multikulturellen Schmelztiegel New Yorks lebt. Es war überraschend zu erleben und zu hören, wie gut der am Sound Miles Davis’ geschulte Klang der Jazztrompete Volker Goetzes sich zu den Patterns und repetetiven Strukturen der musikalischen Motive und Themen der Kora fügten. Das große Interesse Volker Goetzes an der musikalischen Tradition und der Griot-Kultur hatten die beiden Musiker zusammengebracht. In Afrika gibt es ein Sprichwort, das die außerordentliche Bedeutung der Griots für den Erhalt der Identität eines Volkes beschreibt: „Wenn ein Griot stirbt, ist es als ob eine Bibliothek verbrennt.“ In den vom Spiel der Kora begleiteten Gesängen und Liedern der Griot werden die kollektiven Erinnerungen eines Volkes bewahrt und tradiert. So ergab sich eine außergewöhnliche, schöne und reiche Begegnung zwischen zwei Kulturen, die der Kora-Spieler Ablaye Cissoko so charaketerisiert: „Aus unserer Verschiedenheit wächst eine Kraft.“ Interessant, vielleicht sogar sehr aufschlussreich für das neue, das sich wandelnde Afrika war, dass dieser Kontinent musikalisch durch starke Frauen mit starken Stimmen repräsentiert wurde: Chiwoniso Maraire und Fatoumata Diawara sind Sängerinnen und Musikerinnen, die ihr Publikum auf ganz unterschiedliche Art und Weise für sich einzunehmen wissen.

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Hazmat Modine Gemeinsam ist ihnen aber, dass sie ihre Kraft aus dem Widerstand gegen patriarchalische Gesellschaften gewinnen; ihre Musik ist immer auch Ausdruck dieses Kampfes um innere und äußere Befreiungen. Chiwoniso Maraire selbst nennt sich und ihr musikalisches Programm „Rebel Woman“. Dabei liegt ihre Kraft in einer inneren Ruhe. Sie selbst begleitet sich auf der Mbira, einem Lamellophon, bei dem eine Art Zupfklavier zur Verstärkung in eine Resonanzkalebasse gelegt wird. Die Mbira ist ein über tausend Jahre altes Instrument, das die Seele der Bantu-Kultur verkörpert. Während der Zeremonie dienen die feingewobenen – an Patterns der Minimalmusic erinnernden Tonfolgen – dazu, eine Art Trancezustand, eine Verbindung zu den Geistern der Ahnen herzustellen. An diese Tradition anknüpfend, nahm Chiwoniso Maraire, begleitet von Manda Saiza (ebenfalls Mbira, Gesang) und Jacob Mafuleny (Perkussion) ihre Zuhörer an diesem Abend mit auf eine magische Reise, die für manche Zuhörer „zu den allerschönsten Momenten bei Klangart“ gehörte.

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Ganz anders Fatoumata Diawara. An der Elfenbein-Küste geboren und in Mali aufgewachsen, wurde die Migrantin bevorzugtes Mobbing-Opfer ihrer Mitschülerinnen. Die Kraft zum inneren Überleben schöpfte sie aus der Musik und so begann sie ihre ersten Songs zu schreiben. Da steht sie nun – 20 Jahre älter und um Erfahrungen durch Zusammenarbeit mit Musikern wie Damon Albarns (African Cubism) und Herbie Hancock (Imagine) reicher – auf der Bühne im Skulpturenpark: ein rührendes, oder sollte man sagen: anrührendes Bild: ein Mädchen mit einer Gitarre, eine Folk-Poetin. Doch was dann später auf der Bühne geschah, hatte mit diesem Bild nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun. Erinnerten die ersten zwei Songs noch von Ferne an eine moderne afrikanische Joan Baez, die der Welt ihre Geschichten erzählen will, so explodierte die weibliche musikalische Kraftmaschine Fatoumata spätestens ab dem dritten Song. Das weltoffene Bildungsbürgertum, das den größten Teil des KlangartPublikums ausmacht, hielt es nicht mehr

auf den Sitzen; diese bleiben bis zum Ende dieses expressiven Klanggewitters afrikanischer Klänge und Rhythmen verwaist. Fatoumata rockte den Park mit ihrer unbändigen Energie, mit einer bis zur Selbstverausgabung gehenden Kraft, mit ihrer Fähigkeit mit dem Publikum zu kommunizieren: eine Energie, die sich vom Bühnenrand aus über das Publikum übertrug. Einer völlig anderen Klangwelt begegneten die Zuhörer bei Hazmat Modines Bahumat-Projekt: eine Musik, wie sie nur in einem multikulturellen Schmelztiegel und im Zeitalter der Globalisierung entstehen kann. Hier mischen sich Zeiten und Stile und fügen sich zu einem frappierenden musikalischen Amalgam: Aus Blues, Jazz und Klezmer, wilden Balkan-Brassband und Southern Soul mixen die acht New Yorker Musiker einen einzigartigen Sound. Lebensfreude pur. Ebenso überraschend, frisch und neu wirkte die Begegnung mit der Squeezeband. Jazz goes Hiphop, versprach das Programmheft. Ein kleiner, sympathischer Etikettenschwindel, vielleicht aus der Hoffung geboren, neue, jüngere Publikumsschichten zu erreichen. Doch was die Squeezeband bot, war guter solider Jazz mit Ausflügen in dessen verschiedenen Spielarten: vom Bebop über Rockjazz bis hin zu Funk. Saxophonist Chico Freeman reiste zurück in die magische und spirituelle Coltrane-Ära, aber ohne die ganz große Inspiration Tranes. Was diesen etwas beliebigen, nett anzuhörenden Mix eine innere Mitte, etwas Spannendes, Neues und – im besten Sinne – Komisches hinzufügte, war das atemberaubende, artistische Spiel des Beat-Boxers Nino G.. Seine Grooves, vor allem aber Soli machten dieses Konzert zu etwas Besonderem, das man nicht mögen muss, aber kann: Beim Beatboxing oder Beatboxen werden Drumcomputerbeats – zuweilen auch Scratches oder Schlagzeug- und andere Perkussionsrhythmen mit dem Mund, der Nase und dem Rachen imitiert. Gemeinsam mit dem Schweizer Perkussionisten Reto Weber bildete diese Perkussionsformation die Herzkammern der Squeezeband. Reto Webers schnelles, präzises, zuweilen sogar ekstatisches


Wade Schuman (Hazmat Modine) Spiel ging in manchen Passagen in der ununterbrochen sprudelnden RhythmusQuelle Nino G’s unter, der die Herzen der Zuhörer – und bei ihm muss man wohl auch hinzufügen – der Zuschauer – im Sturm eroberte. Dazu gehörten auch chaplineske Einlagen, in denen der Beatboxer onomatopoetisch verschiedene Alltagssituationen auf urkomische Weise darstellen konnte wie etwa das Starten einen Motorrads, dem dann plötzlich das Benzin ausgeht. Afrikanisch und großartig sollte dann mit Jasper van’t Hof ’s Pili PiliProjekt der Abschluss der diesjährigen Klangart-Reihe ausfallen. Und tatsächlich hätte alles wunderbar sein können – an diesem Abend mit afrikanischen Temperaturen. Doch dann fiel wegen einer plötzlich auftretenden Krankheit die Posaunistin Annie Whitehead aus. Für die symphonisch angelegten und komplex gewobenen Kompositionen Jasper van’t Hofs ein fast nicht hinnehmbarer Verlust. Hinter den Kulissen berieten sich Veranstalter und Musiker. Annie Whitehead Parts und Soli mussten

spontan und improvisierend von anderen Musikern aufgegriffen werden. „Entweder wird es ein Desaster oder etwas ganz Wundervolles“, entschied Jasper van’ Hoff trotz der widrigen Umstände, das Konzert stattfinden zu lassen. Eine Entscheidung, der großer Respekt, Dank und Anerkennung gebührt. Tatsächlich wurde es dann weder das eine noch das andere: kein Desaster, aber das Wunderbare, das das Septett sonst zu leisten imstande ist, konnte unter diesen schwierigen Bedingungen nicht erreicht werden. Hinzu kamen schwer erträgliche Unstimmigkeiten bei der Abmischung des Sounds, der permanent nachreguliert und korrigiert wurde. Dennoch gab es Momente, in denen die große Kunst des Komponisten und Tastenmagiers Jasper van’ Hoff aufblitzten. „Wenn wir reisen und an Orte zurückkehren, erleben wir häufig, wie der Zauber verloren gegangen ist im Laufe der Zeit. Die Dinge verändern sich, aber die Kultur bleibt.“ Die Stücke und Kompositionen durchzieht diese Wehmut des Abschieds, ein afrikanischer Fado, der zugleich trotzig

das Beharren der Kultur beschwört. „Ukuba Noma Unkungabi“ lautet denn auch der Titelsong der aktuellen Pili Pili-CD; es ist die Übersetzung von Hamlets Frage „Sein oder Nicht sein“ in die Sprache der Zulu. „Ukaba“ lautet die Antwort, die Jasper van’t Hoff und seine Musiker geben und die dafür eine schöne Stimme gewonnen heben: wieder eine Frauenstimme. Wenn die südafrikanische Sängerin Tutu Puoane singt, dann ist es, als ob diese große stille und introvertierte Frau sich in den Rhythmus der Musik hinein schwingt, bis auf den Grund ihrer Seele taucht und dort all die schönen Töne findet, die sie ihrem Publikum dann zum Geschenk macht: eine Kraft zum Weitermachen, die auch dann noch nachklingt, wenn das Konzert zu Ende ist: „Ukaba!“ Blickt man zurück, so bleiben zarte und starke, magische und intensive Momente in der Erinnerung haften und einige wenige beliebige. Quo vadis, Klangart? Es drängt sich der Eindruck auf, als haben sich in diesem Jahr die Akzente ein wenig verschoben, weg von der Freien Improvisierten Musik, die in den vergangenen Jahren einen gefühlten Schwerpunkt bildeten, hin zu einer eher populäreren, lebensfrohen Musik. Wird diese Tendenz eine Fortsetzung finden? Und wenn ja, wird sie der musikalischen Reihe und dem Ort gut tun? Klangart hat in diesem Jahr den Musik-Himmel über Wuppertal weitergemacht, und vielen Menschen, die diese Art von Musik bisher kaum oder gar nicht begegnet sind, den Weg zu neuen musikalischen Ufern geebnet. In der Pädagogik heißt es, der Raum sei der dritte Erzieher. Hier ist es der Skulpturenpark, ein Ort, an dem sich Kunst und Natur so wunderbar begegnen. Und die Kunst E. Dieter Fränzels, jedes Jahr die richtigen und zum Ort passenden „Töne“ zu finden. Heiner Bontrup Fotos: K.-H. Krauskopf

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DRUCKEREI ELBA Der Lärm ist der Stille gewichen ich lese lautlos Blei-Lettern links die einmal in Sprache als Nachrichten aufrecht standen Ich buchstabiere das Wort AUFGABE und weiss um die Zweifachbedeutung und dass die Zeit weiter fortschreitet In der kürzesten Wellenlänge des Lichts färbt sich der Himmel blau Die Weite des Raumes färbt sich nur mit Verlust Die Gleichförmigkeit der Verluste ist in Erinnerung gefangen Die Druckerschwärze vor Augen entziffere ich nur noch Vergangenes im Raum Verblichene Worte schalten sich ab Meine Ohren sind taub geworden vom stetig wiederkehrenden Lärm einer Monotonie Blaues Licht schleift die Konturen und Schatten werden weich und musizieren verwandeln Lärm in ein stummes Lied

Foto von Sylvie Hauptvogel Halle Elba 4, 2008, analoge Fotografie, Originalgröße 60 x 90 cm Text von Friederike Zelesko

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Adventszauber – wie aus einer anderen Zeit Der Weihnachtsmarkt von Schloss Lüntenbeck

Der Weihnachtsmarkt von Schloss Lüntenbeck findet am zweiten und dritten Adventswochenende, 8./9. und 15./16.12., jeweils von 11 bis 19 Uhr statt. Der Eintritt beträgt 3 Euro; Kinder bis 12 Jahre haben freien Zutritt. Parkplätze stehen am oberen Lüntenbecker Weg zur Verfügung.

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Antonia Dinnebier und ihre Schwester Sonja wieseln in Blaumännern und Gummistiefeln über den Hof von Schloss Lüntenbeck. „Zelte aufbauen“ ist angesagt. Mit geübten Handgriffen richten die beiden Frauen die Gestänge auf. „Alles eine Frage der Routine“, lacht Sonja und spannt resolut die Leinen für die Windsicherung der Pagode. In ein paar Tagen, wenn der Weihnachtsmarkt von Schloss Lüntenbeck nach zwei Adventswochenenden vorbei ist, wird den beiden Schwestern und ihren Helfern das Lachen nicht mehr ganz so leicht fallen. Weihnachtsmarkt ist ein Knochenjob, aber auch der Höhepunkt des Jahres. Das liegt natürlich vor allem daran, dass dieses vorweihnachtliche Ereignis regelmäßig zigtau-

sende Besucher anzieht – rund 20 000 waren es im vergangenen Jahr an den zwei Marktwochenenden. 20 000 Menschen, die weitem Umkreis in die Lüntenbeck kommen, um ein Weihnachtsgefühl zu erleben, das die öden, dauerbeschallten Konsumveranstaltungen in den Innenstädten nicht zu bieten haben. Besinnlichkeit kommt von Besinnung – der Besinnung auf das Handwerkliche, das Authentische, auf den Charme der Improvisation und auf sentimentalen Jahrmarktzauber. Diese Ge- und Besinnung ist der gemeinsame Nenner der rund 80 Standbetreiber und der beiden Organisatorinnen des Lüntenbecker Weihnachtsmarkts. Da ist jede


Menge Herzblut im Spiel: Originelles Kunsthandwerk mit dem Anmut des Unperfekten sucht und findet Käufer, die sich gerne auch in einen Plausch über Gott und die Welt verwickeln lassen. Manufakturen präsentieren Preziosen aus Papier, Stein, Glas, Wachs, Metall und Stoff. Statt der Bratwurst vom Grill gibt´s Tiroler Spinatködel in köstlicher Soße und andere Leckereien vom Schlossgastromomen. Auf dem Hof und in den Wirtschaftsgebäuden ziehen der Puppenspieler Kiepenkasper, der Geschichtenerzähler Aloys und das Schnipselkino Sonofeo die Kinder in den Bann. Alles duftet nach Holz, Gewürzen, Leder – und dem Glühwein, den Schlosswirt Jürgen Tschuschke

aus einer eigens für den Lüntenbecker Weihnachtsmarkt abgefüllten Partie Winzerwein schon lange vor dem ersten Markttag angesetzt hat. Musik von Vivaldi, Bach und Händel schwebt über dem bunten Treiben, das wie aus einer anderen Zeit anmutet – trotz des manchmal großen Gedränges. Für Antonia und Sonja Dinnebier begannen die Vorbereitungen für ihren diesjährigen Weihnachtsmarkt bereits im Sommer. Die Parkfläche neben dem Schloss ist neu gestaltet worden. Ein von Granitsteinen eingefasster Rundweg lädt zum Lustwandeln – und an den Markttagen zum Bummel entlang der neuen Stände, die sich hier jetzt präsentieren.

Der Lüntenbecker Weihnachtsmarkt ist ganz nebenbei eine gute Gelegenheit, die „Community“ von Wuppertals einziger Schlossanlage kennen zu lernen. Dazu zählt neben dem Restaurant „Pilkens im Schloss“ auch der Künstler Martin Smida, der am alten Mühlenturm seine monumentalen Pilz-Skulpturen zeigt – als „Work in progress“. Michael Schumacher Fotos: Jörg Lange

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Scherbengericht Ingeborg Wolff inszeniert im Wuppertaler TiC brillant Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“ Inszenierung: Ingeborg Wolff Bühne: Iljas Enkaschew Kostüme: Noëlle-Magali Wörheide Maske: Andreas Frank Musik: Stefan Hüfner Besetzung: Robert Cramer (Dorfrichter Adam) Alexander Bangen (Schreiber Licht) Martina Wortmann (Frau Marthe Rull) Elisabeth Wahle (Eve, ihre Tochter) Katharina Kranemann (Gerichtsrätin Walter) Ragna Gerhardt (Grete, eine Magd) Gela Banerjee (Frau Brigitte) Hartwig Kolbe (Veit Tümpel, Bauer) Robin Berenz (Ruprecht, sein Sohn)

v.l.: Alexander Bangen, Robert Cramer Foto Martin Mazur

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So muß ein „Krug“ gemacht sein! Flämisch handfest, dennoch eloquent in der Sprache, volkstümlich in der Handlung, doch hochstehend in der Moral, burlesk in Ablauf und Gestaltung, zugleich seriös im feinfühligen Regiekonzept und differenzierten Spiel. Kleist hat mit seinem „Zerbrochnen Krug“ Schillers Maxime von der „Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ perfekt umgesetzt. Hinter vordergründiger Komödie steckt – und verbirgt sich nicht einmal – der Anspruch einer höheren Moral, die er stets von Individuum, Gesellschaft und Obrigkeit erwartete und deshalb seinen Stoffen mitgab. Das Wuppertaler TiC-Theater stellte bei der Premiere am Freitagabend genau eine solche Fassung der klassischen Komödie Heinrich von Kleists (1808) vor. Viele Köche, sagt man, verdürben den Brei. Wie der Volksmund sich irren kann, belegten eindrucksvoll Ingeborg Wolff, die hier nicht ihren ersten

fulminanten Erfolg als Regisseurin an der engagierten kleinen Bühne feiern konnte, Stefan Hüfner, der neben seiner Domäne, der musikalischen Bearbeitung, Kleists Text ein behutsam aufgebürstetes Gewand anmaß, Iljas Enkaschew, der ein perfektes Bühnenbild für dieses deftig-delikate Kammerspiel schuf, Noëlle-Magali Wörheide, deren Kostüme eine Brücke zum Heute schlagen und nicht zuletzt Andreas Frank, der als Maskenbildner dem Dorfrichter Adam ganz köstliche Wunden schlägt. Die bejammert der waidwunde Richter beim morgendlichen Herauswälzen aus seinem Alkoven mit Weh und Ach, noch ohne zu ahnen, was dieser heraufdämmernde schreckliche Tag ihm überdies bringen wird. Robert Cramer ist die Verkörperung des verkaterten Elends, ein Adam, der über eine Mitleid fordernde Skala von Klagelauten verfügt, eine herrliche Ouvertüre zu einem äußerst unterhaltsamen Theaterabend. Heute ist Gerichtstag auf dem Dorf, und ausgerechnet heute wird der Utrechter


Gerichtsrat (mit Katharina Kranemann zeitgemäß weiblich und mit einer verständnisvollen Note besetzt) zur unangemeldeten Revision eintreffen, wie durchgesickert ist. Und der Fall, der zu Adams Schrecken just heute vorgetragen wird, ist die Klage um einen Krug, den ein Spitzbube der Frau Marthe (resolut: Martina Wortmann) zerbrach, als er nächtens Hals über Kopf durchs Fenster aus dem Zimmer von deren Tochter Eve (zerrissen: Elisabeth Wahle) floh. Was in dieser Nacht geschehen ist und warum, wer welche Rolle in dem dörflichen Drama spielte, wieso des Dorfrichters Perücke sich im Staket vor Eves Zimmer wiederfand und woher seine Scharten rühren, will die Gerichtsrätin zunehmend energisch herausfinden, während Adam alles tut, um – wir wissen wieso – zu verhindern, daß die Wahrheit ans Licht kommt und sein Schreiber Licht (süffisant intrigant: Alexander Bangen) des Richters Lügen scheinbar unabsichtlich ad absurdum führt.

Unter Ingeborg Wolffs Hand (sie hat im Laufe ihrer Schauspielkarriere sowohl die Marthe als auch die Brigitte verkörpert) ist dem bis in die Haarspitzen motivierten Ensemble eine hinreißende Aufführung gelungen, unterstützt von Iljas Enkaschews bis ins i-Tüpfelchen durchdachtem Bühnenbild. Die behutsame Anpassung des Kleistschen Textes istStefan Hüfner ohne Eingriff in Kleists Intention hervorragend gelungen, und der Regieeinfall, in Schlüsselmomenten das Bild anzuhalten, es in das Licht des Gemäldes eines flämischen Meisters zu tauchen, um der Bedeutung der folgenden Sätze besonders Gewicht zu verleihen, ist nachgerade genial. Wie Adam sich bis zur Entdeckung seiner Schande lügenhaft windet, kann besser als von Robert Cramer kaum gegeben werden, Alexander Bangen gibt dessen Widerpart Licht dezent aufdringlich (doch, das geht), Eves Seelenqual liest man der bezaubernden Elisabeth Wahle mitfühlend von den zarten Zügen ab und Katharina Kranemann läßt

zum guten Schluß augenzwinkernd auch die Fehlbarkeit der hohen Gerichtsrätin durchscheinen. Abgesehen davon ist ihr auch der (zerbrochne) Krug zu verdanken, den Frau Marthe anklagend schwenkt – Frau Kranemann ist nämlich auch eine hervorragende Keramikerin. Vergessen wir nicht die omnipräsente Ragna Gerhardt als herumgescheuchte Magd Grete, unauffällig, doch effektiv. Wie schon oben gesagt: so muß ein „Krug“ im Sinne Kleists sein. Theater vom Feinsten. Lesenswert auch das gut gemachte Programmheft, das Kleist vorstellt und die Inszenierung griffig erklärt. Eine Aufführung, die ich Ihnen sehr ans Herz legen möchte. Frank Becker Termine unter: www.tic-theater.de v.l.: Bangen, Cramer, Wortmann, Kolbe, Berenz, Mit d. Rücken z. Publikum: Wahle Foto Martin Mazur

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Kunst am Bau als Dialog Der Künstler Christian von Grumbkow

Otl Aicher, einer der großen Designtheoretiker unserer Zeit, forderte schon in den 70er Jahren die Künstler auf, ihre Elfenbeintürme zu verlassen und sich an der Entwicklung ergonomischer – das heißt: menschengemäßer – Konzepte für die Gestaltung des öffentlichen Raums zu beteiligen. Christian von Grumbkow ist einer der wenigen Künstler, die sich dieser Aufgabe ernsthaft stellen – und zwar ohne die verbreitete Attitüde der Herablassung derer, die in angewandter Kunst eine Form der Prostitution sehen. Christian von Grumbkow konfrontiert sich bewusst mit den kulturellen und sozialen Bedingungen, die er in den Unternehmen, für die er arbeitet, vorfindet. Aus dem Spannungsfeld zwischen seinem spezifischen künstlerischen Ansatz und dem komplexen Bezugsrahmen aus Unternehmenskultur, architektonischen Vorgaben und den jeweiligen Nutzungskonzepten der Gebäude entwickelt Christian von Grumbkow autochthone Formate, die in vielfältiger Weise mit ihrer Umgebung kommunizieren – mit der Architektur und mit den Menschen, für die sie geschaffen wurde. „Kunst am Bau“ ist nach seinem Verständnis eben keine Disziplin der Dekoration, sondern eine Form des visuellen Dialogs. Das nachfolgende Interview legt davon Zeugnis ab. Es dokumentiert in zahlreichen Beispielen die Arbeit eines Künstlers, der sich als „Zeit genosse“ im besten Sinne begreift und als solcher die kühle Rationalität unserer Lebensund Arbeitswelt mit mächtigen Bildkommentaren von großer Sinnlichkeit relativiert. DBZ: Herr von Grumbkow, Kunst am Bau trifft auf völlig andere Präsentationsbedingungen als Kunst, die in Museen oder Galerien gezeigt wird. Sie haben es im öffentlichen Raum nicht unbedingt mit einem kunstaffinen Publikum zu tun. Beeinflusst Sie dieses Ausgeliefertsein? Chr. v. Gr.: Ich fühle mich überhaupt nicht ausgeliefert. Meine Projekte geben mir die Gelegenheit, den doch sonst sehr hermetischen Raum der Kunstszene zu verlassen. Das mag manch einer für riskant halten. Ich mache aber die Erfahrung, dass die Menschen sehr vorbehaltlos und offen mit meinen Arbeiten umgehen. Mehr noch: Ich erlebe in den Unternehmen immer wieder, dass Mit arbeiter und Besucher vor meinen Bildern innehalten und sich in die visuelle Erzählung aus Farbe und Struktur vertiefen. Es gibt offensichtlich ein großes Bedürfnis nach Kontemplation. DBZ: Kunst, die sich in den Dienst von Funktionsarchitektur stellt, wird vielfach der Vorwurf gemacht, sie habe eine rein dekorative Funktion und diene letztlich nur der Bemäntelung ziemlich profaner Interessen. Sind Sie ein Dekorateur der (Markt-)Macht?

Wandbild für das Foyer der Volkswohlbund Lebensversicherung a.G., Dortmund, ca. 1000 x 550 cm

Chr. v. Gr.: Nein, so sehe ich das nicht. Ich bin ebenso wenig ein Dekorateur der Macht, wie Vermeer oder Rembrandt Lakaien ihrer bürgerlichen Auftraggeber gewesen sind. Ich will mich nicht mit diesen beiden Großen auf eine Stufe stellen – aber Kunst kann durchaus

„nach Brot gehen“, ohne kompromittiert zu werden. Um einen Begriff aus der Musik zu gebrauchen: Ich setze mit meinen Bildern die Kontrapunkte, die eine auf Effizienz und Produktivität ausgerichtete Arbeitswelt lebensnotwendig braucht. „Kunst am Bau“ hat eine psychohygienische und damit soziale Funktion. Ein Verzicht auf sie bedeute Verarmung und Verrohung. DBZ: Sie werden ja in der Regel vor vollendete architektonische Tatsachen gestellt. Der Raum, in dem sich ihre Kunst entfalten soll, ist vorgegeben. Wie nähern Sie sich einer architektonischen Situation? Chr. v. Gr.: Staunend. Sehend. Begreifend. Ich bin so etwas wie das Alter Ego des Architekten. Ich folge mit großer Empathie seinen Konzepten, ohne seinen Zwängen unterworfen zu sein. Auf diese Weise entsteht ein visueller Dialog zwischen Raum und Bild – eine Korrespondenz, die sich den Menschen unmittelbar erschließt. Davon kann übrigens auch die Architektur profitieren. Sie wird im besten Falle unmittelbar sinnfällig. DBZ: Welchen Einfluss hat die Nutzung eines Gebäudes auf Ihre Arbeit? Chr. v. Gr.: Die Funktion eines Gebäudes und seiner Räume ist mir immer bewusst. Das geht weit über die rein architektonische Dimension hinaus. Ich frage mich, welche Menschen meine Bilder sehen – und wie diese Menschen diese Bilder sehen. Ich beschäftige mich mit ihrer Arbeitswelt. Ich frage mich,

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Red Rain, 2008, Stadtsparkasse Wuppertal, Zweigstelle Loh was Besucher in das Gebäude führt. Das ist ein konzeptioneller Ansatz, der dazu beitragen will, dass sich die Architektur den Nutzern als Ausdruck einer unternehmerischen Identität kommuniziert. DBZ: Vielfach wird behauptet, „Kunst am Bau“ sei für die Unternehmen eher eine lästige Pflichtübung? Wie erleben Sie den Dialog mit den Auftraggebern? Chr. v. Gr.: Ich erlebe, dass meine Auftraggeber sehr fasziniert sind von dem Prozess, den ich gemeinsam mit ihnen und den Architekten anstoße. Das mag damit zusammenhängen, dass natürlich auch der Arbeitsalltag eines Managers von Routinen geprägt ist und häufig wenig Spielraum lässt für Kreativität. Die Auseinandersetzung mit einem Kunstprojekt hat da geradezu etwas Therapeutisches. DBZ: Sie haben zahlreiche Kunstprojekte gemeinsam mit Architekten und Unternehmen realisiert. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich irgendwann einmal selbst zitieren?

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Chr. v. Gr.: Das ist eher unwahrscheinlich. Und zwar deshalb, weil ich bei der Umsetzung meiner Konzepte sehr intuitiv agiere. Natürlich gibt es immer eine Idee. Aber das Malen im großen Format hat etwas Rauschhaftes. Das Bild entwickelt sich gewissermaßen aus sich selbst heraus. Dieser Prozess ist übrigens auch physisch sehr beanspruchend. Er zwingt mich, oft bis zur physischen Erschöpfung zu arbeiten. Ein Repetieren irgendwelcher Bildmuster ist dabei gar nicht möglich. DBZ: Eine Reihe Ihrer Kunstwerke in den Unternehmen besteht aus Installationen, die mehrere Bildtafeln neben- oder übereinander zeigen. Auch ganze Reihen, ja Serien wurden von Ihnen installiert. Gibt es außer den pragmatischen Erwägungen den Transport und die Handhabbarkeit betreffend noch andere Gründe für diesen Ansatz? Chr. v. Gr.: In meinem Werk gibt es schon sehr lange mehrteilige Arbeiten. Seit den 80er Jahren malte ich verstärkt – angeregt durch

die damalige – mich sehr tief anrührende Auseinandersetzung mit der Malerei der Gotik - diverse Triptychen und Diptychen. Damit wurde eine horizontale Ausrichtung betont, aber auch so etwas wie ein in die Moderne weisender Entwicklungsgedanke. In dem Sinne, dass die Bilder bei aller Abstraktion doch unserer Leserichtung entsprechend – von links nach rechts – so etwas wie eine Metamorphose andeuten und damit auch einen Zeit-Aspekt beinhalten. Also etwa: linke Tafel: Vergangenheit, Mitte: Gegenwart, rechte Tafel: Zukunft. Bei meinen heutigen Arbeiten und gerade bei denen, die ich für Unternehmen male, greife ich gerne auf die Entwicklungs- und die ZeitThematik zurück. Titel, wie z.B. das 10 x 6 Meter messende „LIVE-STREAMS“ (Dortmund, Foyer Volkswohl-Bund, Am Südwall) belegen das in dreifacher Weise: Für jede der drei Etagen habe ich ein Triptychon gemalt, die aber in einem klaren Zusammenhang stehen, der sich dem Betrachter aus den unterschiedlichen Perspektiven erschließt. Das Werk „Red Rain“ (Sparkasse am Loh, Wuppertal


Landschaft, 1997, Öl auf Leinwand, Seminarraum der Firma proviel GmbH, Wuppertal Unterbarmen, 5 x 2,5 Meter) betont die senkrechte Ausrichtung im Raum sehr stark, greift die Fließrichtung der Farbe auf und verstärkt so die Erfahrung von Bewegung. Andere Arbeiten, wie z.B. „20 Variations in Love“ (für das Foyer der Firma Salamander, Wuppertal) zeigen – wie der Titel ja ausdrückt – mehr oder minder monochrome Variationen zur

Farbe Rot-Orange. Bei „Appassionata“ ging es mir auch darum, die eigene Bewegung des Betrachters beim Entlangschreiten der ca. 13 Bild-Meter zum Teil der Bilderfahrung zu machen. Dabei nehmen wir bewusst oder unbewusst die unterschiedlichen Nuancen der vertikal angelegten farbigen Streifen (mal grün, mal schwarz, meist rot) wahr – also

Farbe als etwas Lebendiges, Dynamisches und Belebendes. Das Interview führte der Journalist Michael Schumacher

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Generalprobe Marion trank im Stehen noch schnell eine Tasse Kaffee, schaute dabei auf die Uhr. „Almo, sag ruhig, dass ich wieder zu spät bin.“ Sie biss noch in das Brötchen, wischte sich die Krümel von den Lippen, zog die Reisverschlüsse an den Stiefeln hoch und rief ihm zu: „Denk daran, den Fensterputzer anzurufen. Küsschen!“ Durch die offene Tür wehte der Wind gelbe Blätter herein. Almo holte den Staubsauger und saugte den Steinfußboden ab. Er stand breitbeinig da wie seine Mutter immer gestanden hatte, wenn sie ihn schlug. Sie schlug ihn ohne Leidenschaft, aber mit einer gewissen zeitlichen Regelmäßigkeit, sachlich und nüchtern, manchmal auf Vorrat für einen Ungehorsam, der erst noch zu leisten war. Seinen Marianne Ullmann geb. 1951 in Senden, lebt in Schwerte und auch gern lange und oft in Finnland. Studium Germanistik in Wuppertal. Übers. finn. Lyrik (Aila Meriluoto 1993). Veröffentl. in Lit.-Zeitschriften und Anthologien, u. a. zum Würth LiteraturPreis (1998) und Jugend Literaturpreis Landwirtschaftlicher Verlag Münster (2007). Zuletzt in „Karussell“ und „Versnetze_ fünf“ (2012). Publikumspreis (Prosa) der Wuppertaler Literaturtage 1993 Wiener Werkstattpreis für Prosa 2001 Mitglied der GEDOK Wuppertal

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Hund hatte sie erschossen, als Almo sich entschloss fürs Theater zu schreiben. In der Küche hing sein Papagei kopfüber an der Stange, knackte an den Sonnenblumenkernen herum und ließ die Schalen durch das Gitter fallen. Almo zog den Mülleimer unter der Spüle hervor, fegte den Dreck auf eine Kehrschaufel. Er kniete auf einem Bein und sah zu dem Vogel hoch. „Küsschen, du Geier.“ Der Papagei drehte den Kopf und beobachtete ihn. Almo setzte sich an den Tisch und pickte mit den Fingern ein paar Krumen auf. Einige Futterkörner rieselten auf den Boden. Der Vogel setzte sich auf die Stange und krächzte: „Almo, Dummschwätzer.“ Als Almo am Käfig vorbei ins Schlafzimmer ging, hörte er es unter seinem Schuh


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Sparkasse. Gut für Wuppertal. knirschen, im Vorbeigehen boxte er gegen die Käfiggitter. Dann zog er aus dem Wäscheschrank die Metallkette hervor, legte sie dem Papagei um beide Füße und ließ den Vogel im Käfig baumeln. Almo setzte sich an seinen Schreibtisch, beugte sich über sein Manuskript. Er fügte einen Brief in seinen halb fertigen Text ein, so als würde er an Marion schreiben. Er sei es leid, das Leben an ihrer Seite und was er denn für sie bedeute. Ob er nur noch ein Diminutiv verdiene, eilig hingehaucht durch den Spalt einer sich schließenden Tür. Küsschen. Ein Wort, das mit einem Ausatmen erledigt werden kann. Was er denn wäre, ein Bediensteter, der ihre Telefonate zu erledigen hätte? Sie lasse ihn spüren, was er in ihren Augen sei, jemand, der nicht teilhabe an ihrem Leben Almo versenkte sich in sein Bühnenstück, das von einem Ehepaar handelte, dessen anfängliche Liebe sich im Alltäglichen aufzulösen begann. Wenn die beiden Protagonisten miteinander redeten, bekamen ihre Worte jeweils eigene Bedeutungen, die den anderen verletzten. „Aber das trifft mich nicht“, ließ er die

männliche Figur in seinem Text sagen. „Es sind nicht die Worte, die mich verletzen. Es sind die Sätze. Das, was sich bildet, wenn man Worte aneinanderfügt.“ „So ein Quatsch! Das ist genau, was ich meine“, antwortete die weibliche Person. „Du weichst aus, stellst dich nicht, bist wie ein Wurm, den man mit dem Spaten zerteilt hat.“ „Nicht schlecht, deine Verteidigung, aber ohne Biss, das liegt schon an der schlecht ausgesuchten Metapher.“ Almo deckte mit dem linken Arm das Blatt Papier ab, damit ihm niemand in den Text schaute. Der Papagei stützte sich mit dem Schnabel an seiner Stange ab und versuchte, die Füße aus der Kette zu ziehen. Metall schleifte gegen Metall und es hörte sich an, als würden Ketten in einem Verlies durch die Gänge schleifen. Almo störte sich nicht daran, er arbeitete konzentriert und fand sich in seinem Stück wieder. Er bedachte die Choreographie, wie die Beteiligten sich auf der Bühne anordneten, welche Wege sie zu gehen hätten, um deren Linien auf der Bühne als Muster nachzuzeichnen. Damit ließen sich

S ihre innere Aufgeregtheit, ihre Gefühlswelt aufdecken und Almo konnte ablesen, wie viel dramaturgische Fallhöhe er noch benötigte. Das Licht war das Schwierigste. Das bestimmte er, nicht der Techniker, der manchmal im falschen Moment die Vorbühne ausleuchtete und Personen hervorhob, die zwar gerade sprachen, aber nicht die Akteure waren. Nicht jeder, der spricht, zieht auch die Fäden des Geschehens. Er erinnerte sich an seinen Vater, der das Gewehr reinigte und den toten Hund wortlos begrub. Auch er war tatsächlich Akteur, er verwaltete den Tod. Als eine Kinderhand die Äste des Johannisbeerstrauchs umknickte, hob er nicht den Kopf. Vielmehr beugte sich der Vater noch tiefer und zurrte an dem Jutesack, um ihn in die Grube fallen zu lassen. Es blieb ein kleiner Hügel Erde übrig, den er mit dem Spaten schlug, um das Volumen des Tierkörpers unsichtbar zu machen. Dann bekreuzigte sich der Vater. Almo sägte aus dem Kirschbaum zwei Äste ab, um daraus ein Kreuz zu bauen, das alle Büsche des jungen Gartens überragte. Die

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Marianne Ullmann

Peter Krämer WP/StB

Andreas Niemeyer WP/StB

Thomas Pintzke StB

Katrin Schoenian WP/StB

Dr. Jörg Steckhan RA/WP/StB

Peter Temmert WP/StB

Anke Jagau RA/StB

Susanne Schäfer StB

Stephan Schmacks StB

Matthias Aprath WP/StB

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figuren. Vielleicht ließe sich ein Ehedrama daran entwickeln. Eine weitere männliche Person könnte das Geschehen voranbringen. Almo nahm sich vor, ihn zu fragen, was er von allem hielte. Er würde natürlich nicht wissen, um was es ging und was man von ihm wollte. Aber gerade diese Unbefangenheit würde Antworten hervorbringen, von denen Almo hoffte, dass sie ihn weiterbrächten mit seinem Manuskript. Eine Meinung müsste er aber äußern. Sogar der Papagei hatte eine Meinung. Almo ließ den Mann seine Arbeit tun und bot ihm an, sich zu setzen. Misstrauisch und widerwillig zog sich der Fensterputzer einen Stuhl heran und folgte der Bitte. „Lange habe ich keine Zeit“, sagte der Fensterputzer und zog gleichzeitig ein Päckchen Zigaretten hervor. „Darf ich?“ Almo nickte und dachte an Marion, die die gleiche Marke rauchte. Er war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sich sein Besucher für eine tragische Figur in seinem Stück eignen würde. Wie er so dasaß in seinem blauen Kittel, schlecht rasiert, zwischen seinen dünnen Fingern die Zigarette. Leicht gebräunte Haut. „Wo verbringen Sie Ihren Urlaub?“ „Im Sauerland“, war die Antwort. Almo war überrascht und begann, sich eifrig Notizen zu machen. Auch seine Protagonistin, die zufällig den Namen seiner Frau trug, hätte dort sein können. Bei einem Wellness-Wochenende in einem großen Hotel. Almo skizzierte weiter und baute das Bühnengeschehen aus. Der Fensterputzer wirkte nervös. Sein Blick suchte nach einem Aschenbecher, aber fand keinen. Mit dem Schuh rieb er die heiße Asche in den Teppich. Es roch leicht nach Kaminfeuer. Almo schaute auf und bat den Mann, es sich bequem zu machen, er wolle ihm nun Auszüge aus einem Bühnenstück vorlesen. Danach könne er sagen, wie es ihm gefalle. „Ich muss jetzt gehen“, sagte der Fensterputzer und scharrte unruhig mit seinen Arbeitsschuhen über den Teppich. Aber Almo schüttelte den Kopf. „Das können Sie nicht. Wir sind mitten in der Generalprobe und ich habe Sie gerade sterben lassen.“

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Vögel benutzen es gern als Schlafbalken. Wo ihre Krallen das Holz berührten, waren Kratzspuren zu sehen. Es schellte. Almo erschrak. Der Papagei hing still herunter und starrte zum Eingang. Draußen stand ein Mann, der Bürsten und Wäscheklammern für ein Behindertenwerk verkaufte. Almo kam mit einigen Wäscheklammern in der Hand zurück, die er auf- und zuknipste, um sie zu prüfen. Er fand sie stramm genug und befestigte sie im Gefieder des Vogels. Geschlossene Räume gibt es nicht im Theater, sogar Götter betreten die Bühne. Sie bringen ihre Himmel mit und bestimmen über das Schicksal der Menschen. Sie sind wie Gedanken, die überall sein können und doch Gefangene sind. Almo setzte Wasser für den Kaffee auf. Eine Prise Salz, ein wenig Kakao, das Rezept seiner Mutter. Auf dem Tisch stand noch immer das Frühstücksgeschirr. Eine letzte Fliege saß auf dem Zuckertopf und putzte sich nach einem ausgiebigen Mahl. Almo beobachtete sie lächelnd, doch abwesend. Er befand sich mitten im Text auf dem Weg zum Ziel, kurz vorher, bevor man weiß, wie alles enden wird, man aber fürchtet, dass noch etwas Unverhofftes passieren kann. An diesem Punkt goss er das kochend heiße Wasser in die Kanne. Ein Kaffeeduft zog durch die Küche. Die Hoffnung, dass das sinnliche Erlebnis des Kaffeeaufbrühens ihn in einen Trancezustand versetzte, war zerplatzt. Er stand in der Küche und sah sich um. Die von Marion flüchtig angelesene Zeitung lag zerknickt auf dem Stuhl, der Leitartikel wirkte verstümmelt: ORD. Wie Ordnung, Lord oder Mord, oder Sport mit einem Druckfehler. Marion hinterließ ihm einige Buchstaben, aus denen er zwanghaft versuchte, etwas Sinnvolles wiederherzustellen. Sie war gedankenlos. Sie dachte nicht darüber nach, was sie anrichtete. Sie dachte nicht an die Zeitung, nicht an die Buchstaben, die übrig bleiben würden und erst recht nicht an ihn. Er trug das Tablett mit dem Kaffee zum Schreibtisch und versuchte weiter zu schreiben. Sein Blick wanderte zum Fenster, an dem draußen Herbstblätter klebten. Almo ging zum Telefon und rief den Fensterputzer an. Auf der Bühne könnte man auch ihn ins rechte Licht rücken und in Beziehung setzen zu den anderen Bühnen-


Wuppertaler als Kölner Musik-Legende Es gibt Namen berühmter Komponisten, die sofort und unmittelbar mit ihrer Geburtsstadt in Verbindung gebracht werden. Populärste Beispiele sind Wolfgang Amadeus Mozart mit Salzburg und Bonn mit Ludwig van Beethoven. Was diese beiden Legenden der Musikgeschichte für ihre Städte bedeuten, das ist Willi Ostermann für Köln. Die Zahl seiner Lieder ist kaum zu zählen. Was der von 1876 bis 1936 lebende „Krätzchensänger“ komponiert hat, lebt noch heute und wird von populären Kölner Gruppen immer wieder gespielt. Sogar Josephine Baker hat ein Ostermann-Lied gesungen. Eines dieser fast 200 Lieder ist so etwas wie die Hymne der Stadt Köln: „Wenn ich su an ming Heimat denke un sin d’r Dom su vör mir ston, mööch ich direk op Heim an schwenke, ich mööch zo Foß no Kölle gon.“

Ungeschminkt: Markus Dietz Es gibt in Köln eine einflussreiche Willi Ostermann-Gesellschaft, einen Ostermann-Brunnen und natürlich Bühnenstücke um diesen bis heute populären Künstler. Im Jahre 2004/2005 brachte der gebürtige Pfälzer Walter Bockmayer als Liebeserklärung an sein Köln die gefeierte Revue „…ich mööch zo Foß noh Kölle gonn.“ auf die Bühne des Scala-Theater am Hohenzollernring 48. Es folgte das Stück „Zwischen Himmel und Ääd“. Bockmayer ist der Entdecker von Veronica Ferres, Ralph Morgen-

stern und auch des kürzlich verstorbenen Dirk Bach. Sie alle wurden von dem schrillen, seinen Schauspielern immer alles abfordernden Intendanten, Regisseur und Drehbuchautor gefördert, ehe die große Öffentlichkeit auf sie aufmerksam wurde. Bach begann als Plattenaufleger in der „Filmdose“ und die aus Solingen stammende, mittlerweile reichlich abgedrehte Kartoffelhändler-Tochter Veronica Ferres war die Magd in Bockmayers preisgekröntem „Geilerwally“-Film im Jahre 1988.

Foto: Klaus Göntzsche Doch zurück zu Willi Ostermann und den beiden über 500 Mal mit einer Auslastung zwischen 83 und 94 Prozent gespielten Stücken. Was niemand im Publikum bemerkte und auch bei Befragungen nach den Aufführungen keine Trefferquote hatte: der bejubelte Darsteller des Willi Ostermann mit lupenreinem kölschen Dialekt war der Wuppertaler Schauspieler Markus Dietz. Der am Arrenberg lebende Künstler gehört mit einer kleinen Musical-Unterbrechung in München seit

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Markus Dietz als Willi Ostermann mit Gigi Herr als Zilla Zimmermann 18 Jahren zum Bockmayer-Team. Der privat eher scheue und total unaufdringliche, gelernte Betriebsschlosser hatte mit Gigi Herr eine kaum zu übertreffende Sprachlehrerin. Gisela „Gigi“ Herr ist die Nichte der unvergessenen Trude Herr („Niemals geht man so ganz“) und sie spielt in den jährlich wechselnden Bockmayer-Stücken stets die weibliche Hauptrolle. Komischer als Gigi kann ihre Tante Trude nie gewesen sein. „Wally“ Bockmayer kommt alljährlich aus seinem Miami-Urlaub mit einem neuen Stück zurück nach Kölle. Sein an Kuriositäten nur schwer zu übertreffendes Leben hat Bockmayer in der extrem unterhaltsamen Biographie „Flammende Herzen“ niedergeschrieben. Obwohl er in Köln arbeitet, wohnt Markus Dietz unverändert in Wuppertal: „Ich bin doch in 45 Minuten im Theater. Wuppertal ist meine Heimatstadt, hier fühle ich mich wohl. Es ist

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schade, dass sich Wuppertal nach außen viel zu schlecht verkauft.“ Seine musikalischen Anfänge waren Auftritte mit dem Wuppertaler Fanfarenkorps. Das Bockmayer-Ensemble ist auch für ihn längst ein große Familie und in seiner Zusammensetzung allein eine Art Naturereignis, das man erleben muss. Zart besaitete Charaktere allerdings sind im Scala-Theater fehl am Platze. Premieren am Hohenzollerning nicht weit entfernt vom Friesenplatz sind stets ein Treffen Kölner Gesangs- und sonstiger Künstler wie Hella von Sinnen mit Christine Scheel, King Size Dick, der Geierwally-Darstellerin Samy Orfgen, Janus Fröhlich von der Höhnern und die schon jetzt unsterbliche Kölner Motto-Queen Marie-Luise Nikuta. Das aktuelle Bockmayer-Stück trägt den Titel „Puddelrüh durch die Prämie“. In dem „Tortellini-Western“ spielt Markus Dietz den schwulen „Winnetunt“ und seine Bühnenmutter Gigi Herr (wird im

Markus Dietz als Winnetunt Dezember 70) hat mit Anneliese Kolvenbach ausnahmsweise einen eher normalen Namen. Ein Riesen-Kompliment gab es im Kölner „Express“ nach der Premiere für den Wuppertaler mit dem Kölner Arbeitsplatz: „Star des Abends ist Markus Dietz als Winnetunt. So super-saudoof, total lieb und stimmlich exzellent war noch nie eine Rothaut.“ Mehr „Sahne“ geht wirklich nicht. Gespielt wird bis Ende März 2013. Klaus Göntzsche Fotos: Wolfgang Weimer (2) www.scala-koeln.de Karten-Tel.: 0221-4207593 Preise: von 27,50 (Ü60- Rabatt) bis 41,50 Euro.


Der Beyenburger See Orte der Ruhe von Matthias Dohmen

Foto Björn Ueberholz

Rund eine Stunde benötigt der Wanderer, um den Beyenburger See einmalig zu umrunden. Beyenburg ist ein Mekka nicht nur für Wassersportler, sondern auch für Wanderer und für Radfahrer. Auch wenn im Ort selbst die Infrastruktur in den letzten 20 Jahren stark gelitten hat, ist die gastronomische Versorgung rund um den See im Lauf der letzten Jahre sogar besser geworden. Der See selbst stößt an die Städte Wuppertal, Ennepetal und Radevormwald. Das Gewässer wird vor allem von der Wupper gespeist und vom Wupperverband betrieben, dem es gelungen ist, mit der Schaffung einer Fischtreppe eine echte, zusätzliche Attraktion für Touristen von nah und fern zu schaffen. Anfang bis Mitte der 1950er-Jahre ist der Beyenburger Stausee in seiner heutigen Form entstanden und 1954 endgültig in Betrieb genommen worden. Er hat sich einem zu Eldorado für den Kanusport entwickelt: Am östlichen Ufer befinden sich die Vereinsheime des Vereins für Kanusport

Wuppertal, der Wuppertaler Paddler-Gilde, des Wuppertaler Kanu-Clubs und des Eisenbahner-Sportvereins Wuppertal-Ost sowie auf der gegenüberliegenden Seite des Wassersportvereins Ennepetal. Die drei erstgenannten Vereine bildeten mit der Kanu-Sportgemeinschaft Wuppertal die in den 1970er- und 1980er-Jahren erfolgreichste deutsche Kanusportgemeinschaft. Im neuen Jahrhundert machen vor allem die Drachenbootfahrer des VfK von sich reden, die zahlreiche Titel bei Deutschen und bei Weltmeisterschaften erringen konnten. Über die Aktivitäten des Drachenbootfahrens, wozu 20 Paddler, ein Steuermann und ein Trommler gehören, kann man sich auf der Internetseite www.dragattack.info schlau machen. Ein Drachenboot kann auch für Betriebsausflüge, Schulklassen oder Geburtstagsfeiern gebucht werden. Wen es beim Umrunden des Sees dürstet oder nach einer Bockwurst, einer bergischen Waffel oder sonstigen Speisen verlangt, der

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kann seinen Bedürfnissen in dem Eiscafé Cortina nachkommen, das seine Angebotspalette erheblich erweitert hat, oder die Gaststätte „Zur alten Bruderschaft“ aufsuchen, die beide im Ort selber liegen. Am östlichen Seeweg haben die Paddler-Gilde und der VfK ihre „Kantinen“ für die Öffentlichkeit geöffnet respektive ausgebaut; beim VfK heißt die Einrichtung „Café Bootshaus“, in dem es am ersten, zweiten und dritten Adventswochenende einen „Weihnachtsmarkt im altdeutschen Stil“ geben wird. Das erst mit der Gemeindereform 1929 zum neuen Wuppertal geschlagene Beyenburg hat eine wechselvolle Geschichte. Es ist erstmals 1303 als Beyenborch urkundlich erwähnt. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts gründeten Mönche das Kloster. Etwas später ist die Klosterkirche St. Maria Magdalena gebaut

worden – im „Beyenburger Dom“, der weithin zu sehen ist, bewahrt man heute Reliquien der heiligen Odilia von Steinhaus auf. Das 1399 gegründete Amt Beyenburg umfasste die Kirchspiele Bamen, Lüttringhausen, Radevormwald, Remlingrade und Ronsdorf. 1816 kam die Ortschaft als Teil von Lüttringhausen in den Kreis Lennep. Gegründet wurde das Kreuzherrenkloster 1298, fünfhundert Jahre später im Rahmen der napoleonischen Neuordnung Europas säkularisiert und 1964 neu geweiht. Die Errichtung des einschiffigen spätgotischen Klosterkirche geht auf das Jahr 1485 zurück. Im Museum des Hauses Martfeld (Schwelm) befindet sich heute ein wertvolles Messbuch aus dem 15. Jahrhundert, das noch erhalten ist. Die Kreuzherren, die mit der Säkularisierung Beyenburg verlassen hatten, sind seit

Klosterkirche St. Maria Magdalena in Wuppertal-Beyenburg, Steinhaus

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1963 wieder vor Ort. Klostergebäude und Kirche sind vorbildlich wieder instandgesetzt und lohnen auch eine längere Anfahrt oder einen ausgedehnten Fußmarsch. Die Altstadt, auch Alt Beyenburg geheissen, scheint wie aus der Zeit gefallen. Da die Enge der Gassen einer Ansiedlung von Industrie entgegenstand, ist die alte Struktur bis auf den heutigen Tag weitgehend erhalten, zumal die katholische Enklave vom Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs verschont blieb. Grau geschieferte Häuser mit den für das Bergische so typischen grünen Fensterläden und weißen Fensterkreuzen findet man in stolzer Reihe entlang der Beyenburger Freiheit. Am Haus Nr. 18 steht ein großes Holzkreuz, von dem die Legende sagt, dass Beyenburg vom Feuer verschont bleibe, so lange das Kreuz in Ehren gehalten wird. ...Kanzel


Am Untergraben in Wuppertal-Beyenburg

Ein Kleinod bildet auch der alte, 1888 eröffnete Bahnhof, der heute von der Akademie für Sozialtherapie betrieben wird. Züge verkehren schon lange nicht mehr zwischen Beyenburg und Oberbarmen auf der einen und Radevormwald auf der anderen Seite. An einer Wiederbelebung der Strecke arbeitet aber – zielstrebig und mit glücklicher Hand – der Bergische Ring.

Als ältesten Verein Beyenburgs darf sich mit Fug und Recht die Schützenbruderschaft St. Annae et Katharinae betrachten, als deren Gründungsjahr 1383 angegeben wird (www. bruderschaft-beyenburg.de). Bedeutendster Sportverein der zum Stadtbezirk LangerfeldBeyenburg gehörigen Teilortschaft ist der Bergische Turnerbund Beyenburg 1900 e. V. Als rühriger Chronist hat sich Gerd Helbeck

mit seiner 2007 und 2011 erschienenen zweibändigen – im Übrigen vom Verein für Heimatkunde Schwelm herausgegebenen – Arbeit „Beyenburg – Geschichte eines Ortes an der bergisch-märkischen Grenze und seines Umlands“ erwiesen. Matthias Dohmen

Ausflugtipp Wuppertals östlichsten Stadtteil, das idyllisch gelegene Beyenburg, findet man auf der Wanderkarte „Wuppertal und

Umgebung“ von GeoMap im Maßstab 1:25.000, Stand 2010, mit allen markierten Wanderwegen. Ebenso gibt es auch verschiedene Wanderführer, in denen der eine oder andere Weg Beyenburg streift. Einer davon ist der im Droste-Verlag erschienene Wanderführer „Der Wupperweg“, der den ca. 126 km langen markierten Wanderweg an der Wupper von der Quelle bis zum Rhein in 12 Etappen beschreibt. Der Wanderführer „20 Wanderungen im Ennepe-Ruhr-Kreis“ enthält eine Wanderung am Beyenburger Stausee und noch andere in der näheren Umgebung, erschienen ebenfalls im Droste-Verlag. Die Karte zum Preis von 7,55 Euro und die Wanderführer für jeweils 9,95 Euro sind erhältlich bei der Buchhandlung Baedeker, Friedrich-Ebert-Straße 31, 42103 Wuppertal, Telefon 0202/305011

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Das hat dir der Teufel gesagt! Vor dem Untergang noch einmal: Theater à la bonheur Christian von Treskow inszeniert mit „Trilogie der Sommerfrische“ ein Goldoni-Triple von rarer Güte Inszenierung: Christian von Treskow Bühne: Jürgen Lier Kostüme: Dorien Thomsen Musik: Bastian Wegner Licht: Fredy Deisenroth Dramaturgie: Sven Kleine

Jakob Walser, Hanna Werth

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Die Abrißbirne in den Köpfen Hier ist Bestes aufgeboten: NochIntendant Christian von Treskow hat am Noch-Schauspielhaus der Noch-Kulturstadt Wuppertal mit einem brillanten Noch-Ensemble den Kulturverantwortlichen der möglicherweise in naher Zukunft kulturlosen Bergischen Großstadt gezeigt, was das Wuppertaler Schauspiel zu leisten im Stande ist. Theater allererster Güte nämlich, Theater, wie es besser nicht zu machen ist, Theater von der Qualität, die der Theaterstadt Wuppertal einst einen führenden Rang unter den besten Häusern der Bundesrepublik eingebracht hat. Christian von Treskow, der sich im September 2007 als Regisseur mit seinem „Urfaust“ für Wuppertal empfohlen und 2009 auch als Opernregisseur („Die Zauberflöte“) reüssiert hatte, wäre der richtige Mann, dieses Theater quasi im letzten Moment am eigenen Schopf aus dem von der fahrläs-

sigen Kommunalpolitik zu verantwortenden Sumpf zu ziehen – wenn man ihn denn ließe. Doch die Messer sind gewetzt – insgeheim wohl schon lange – um die Schauspielsparte Wuppertals zu schlachten, die Abrißbirnen poliert, um das wunderbare, denkmalgeschützte Schauspielhaus niederzureißen und dem lebendigen Kulturleben den Garaus zu machen. Ob dann auch wohl am Personal der hoch bezahlten Kulturverwaltung gespart werden wird, wenn man dem Theater die Mittel streicht? Keine Minute Langeweile Aber zurück zu Goldoni und der „Trilogie der Sommerfrische“, denn da gibt es im Gegensatz zur verkorksten Kulturpolitik reichlich zu lachen. Und zu bewundern. Ich weiß nicht, ob Theo Lingen je Goldoni gespielt hat, doch die Bewunderung für das Theater, die er 1969 in seinen Erinnerungen an


die Bühne manifestiert hat, teile ich mit ihm, nicht zuletzt ausgelöst und manifestiert durch Theaterabende wie diesen, der voller Überraschungen, burlesker Späße, gekonnter Clownerien, herrlicher Charaktere, voller Spaß am Spiel und subkutan von tiefer Dramatik ist. Dreieinhalb Stunden, WagnerFreunde kennen das, unterbrochen von zwei Pausen, dauert die Aufführung, ein langer Theaterabend, doch ich wüßte keinen Zuschauer – ich sprach in den Pausen mit einigen - der sich auch nur eine einzige Minute gelangweilt hätte. Das verdanken der Zuschauer und die geneigte Zuschauerin einem Ensemble (s.o.), das sich in bester Spiellaune zeigte sowie einem Buch und Gesamtkonzept, mit dem Christian von Treskow, dem berühmten Konzept Giorgio Strehlers folgend, alle drei Teile der Gesellschaftskomödie an einem Abend aufführt. Paßgenau unterstützen Bühnen- (Jürgen Lier) und Kostümbild (Dorien Thomsen) die filigrane, ideenreiche Kunst des Schauspielintendanten, der alle Register zieht, um mit Habgier, Eitelkeiten, Liebeswirren, Lügen, Leidenschaften und (einem) Happy End sein Publikum zu unterhalten und die Gesellschaftskritik von 1761 á jour zu führen. Theater à la bonheur Hohes Tempo, karikaturistisch treffend überzeichnete Charaktere, viel zu niedrige Türen für viel zu hoch aufgetürmte gepuderte Perücken, opulente, wörtlich zu nehmen decouvrierende Garderoben, ein vergleichsweise einfaches Bühnenbild – es muß

ja gespart werden – sowie die flotte Sprache der aufs Essentielle gekürzten neuen Übersetzung von Achim Gebauer sorgen für das pointenreiche Feuerwerk, welches auch ein verwöhntes Publikum dreieinhalb Stunden bei Laune und der Lachfrequenz wegen unter Atemnot hält. Das läßt man sich gerne gefallen. Hanna Werth in der Schlüsselrolle der Giacinta ist eine hinreißende, glanzvolle Neuentdeckung, Maresa Lühle als ihre Zofe Brigida sprüht vor burleskem Humor, Anne-Catherine Studer gibt das Dummerle Rosina überaus bezaubernd, Juliane Pempelforts Vittoria spritzt das Temperament aus allen Poren. Markus Haase liefert in der Rolle des Schnorrers und Mitgiftjägers Ferdinando, vor allem im Ringen mit der notgeilen Witwe Sabina (Julia Wolff ), ebenso ein Kabinettstückchen ab wie Thomas Braus als intriganter Schacherer Fulgenzio. Mal ganz abgesehen von seinem artistischen Auftritt in der ersten Szene, der sogleich die Aufmerksamkeit auf ihn lenkt, zeigt sich Heisam Abbas als Leonardo, über dem sich das Damoklesschwert des Dalles immer tiefer senkt, als ein von gesellschaftlichen Zwängen und persönlicher Eitelkeit getriebener bankrotter Livorneser Großbürger in perfekter Zerrissenheit. Wie die Genannten gibt auch das übrige Personal aus Glücksrittern und Lakaien, Dämchen und Stenzen ein Lehrstück, wie wunderbar, wie wichtig und unabdingbar Theater als Teil der täglichen Kultur ist. Der im Anschluß an die Vorstellung verlesene Appell des Ensembles zum Erhalt der Wuppertaler Schauspiels war Ausdruck der berechtig-

links: Anne-Catherine Studer, Hendrik Vogt rechts: An Kuohn, Jochen Langner ten Empörung allein darüber, daß eine Stadt wie Wuppertal sich sein Sprechtheater künftig quasi nur noch als verstümmelten Appendix eines unter einem übermächtigen Leiter verschmolzenen Orchester- und Opern-Sparte „halten“ will. Das klingt wie ein Scherz, ist aber bitterer Ernst. Jetzt zugreifen! Wer also in Wuppertal noch einmal in Theater à la bonheur schwelgen will, erwerbe flugs Eintrittskarten für Carlo Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“. Es lohnt. Und mehr Goldoni aus Christian von Treskows Hand bietet seit gestern die Wiederaufnahme seiner turbulenten Inszenierung von „Diener zweier Herren“. Frank Becker Fotos Uwe Stratmann Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de

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Die Pasta Opera besucht Wuppertal Wer bei Konzerten gerne still sitzt und sich vielleicht sogar daran erfreut, den räuspernden Nachbarn mit bösen Blicken zur Ruhe zu stellen, der sollte bei der „Pasta Opera“ lieber zu Hause bleiben. Mit Schwung und Laune singt, tanzt und musiziert das Ensemble um Julia Regehr, während ihre Gäste festlich speisen.

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Schon mal bei Pina Bausch die Stulle ausgepackt? Oder bei einem HaydnStreichquartett das Forte für einen kräftigenden Schluck Wein benutzt? Was uns heute so ungebührlich vorkommen würde, war früher tatsächlich die Regel. Während die Musik spielte, wurde gegessen und getrunken. Man hat sich unterhalten, ist von Tisch zu Tisch spaziert: Zwischendurch wurde auch gern mal applaudiert, wenn der Cembalist mal wieder besonders virtuos extemporiert hatte. Zum stille Sitzen war die Kirche da. Bei der weltlichen Tafelmusik waren Musik und Musikanten stimmungsvolles Dekor, die wie der prunkvolle Raum oder das opulente Mahl dem Wohlleben der geniessenden Teilnehmer dienten. Erst mit der Konzertsaalreform vor gut hundert Jahren bürgerte sich unser heutiges bürgerlich-musikalisches Wohlverhalten ein: nicht kippeln, nicht schwätzen und die Hände auf den Schoß. Dieser Kodex gilt inzwischen

recht strikt für alles, was wir zumindest in Deutschland unter die Ernste Musik einsortieren. Jazzhörer dagegen rauchen, bis der Saxofonist hustend umkippt. Der Punk der 80er Jahre wirft nicht nur Bierbecher, sondern darf auch daraus trinken. Der elektronische Musikfreund nippt an mit Wodka versetzten Engery-Drinks, die von mächtigen Bässen geschüttelt werden, die dann wiederum auch ihn zum zappeln bringen. Opern- und sinfonische Freunde dagegen werden in ihre Schulzeit zurück versetzt: erst stundenlanges Ruhigsitzen mit Frontaldarstellung. Dann applaudiert man mit Freude der grossen Pause. Nach längerem Anstellen gibt es gibt lauwarme Getränke und belegte Brötchen. Schon läutet ein lautes Klingeln die nächste Runde ein: weiter geht’s mit dem gebührenden Ernst des Lebens. Bei Hofe war eine solche Etikette überhaupt nicht gefragt. Konzerte waren Lust und Laune, Musik ein Teil des


Wohlergehens, und nicht Teil einer disziplinarischen Massnahme. Das Schicksal des hustenden Jazzers blieb den Hofmusikern zwar erspart. Aber auch nur, weil im 18. Jahrhundert der Tabak vorwiegend geschnupft wurde. Ludwig der XIV. war einerseits ein erklärter Tabaksfreund, andererseits Rauchgegner und zudem Vorbild für alle anderen Fürsten Europas. Und so zupsten bald Adel wie Volk mit spitzen Fingern den gerapselten Tabak aus mehr oder minder wertvollen Döschen aus Porzellan und Gold und Silber. Geraucht wurde erstmal nur in Spanien. Napoleonische Soldaten brachten die Zigarre später aus Spanien mit, argwöhnisch beobachtet von den herrschenden (und schnupfenden) Häusern. Bei den Preussen galt das Rauchen auf offener Strasse sogar als „Auflehnung gegen die herrschende Staatsgewalt“, war dementsprechend bei Strafe verboten. Heute ist es genau umgekehrt: wer raucht, muss sogar draussen stehen.

Insbesondere, wenn gleichzeitig gegessen werden soll. Es gilt keine Ausnahme, auch wenn die Musiken der berühmtesten Zigarrendreherin der Kulturgeschichte auf dem Spielplan steht. Während des „Toreadors“ aus Carmen darf bei der „Pasta Opera“ gegessen, getrunken, geprostet und sogar geschnupft werden. Wer lieber rauchen geht, ist selber schuld. Er verpasst nämlich eines der vielen Kabinettstückchen (ohne jetzt zuviel zu verraten wollen). Die „Pasta Opera“ nimmt sich und das höfische Genussspektakel dabei so ernst, wie es für eine echte Komödie notwendig ist. Dabei bleibt dann auch kein Auge trocken. Sei es, weil im Sinne einer anarchischen Opera Buffa schmetternde Tenöre durchs Publikum chargieren. Oder wenn bei „Una furtiva lacrima“ aus Gaetano Donizettis „Liebestrank“ aus unbändigem Spass tragischer Ernst herausfunkelt und das Klappern des

Bestecks auf den Tellern zum Verstummen bringt. Manch einer muss schon zwischendurch mit seiner Serviette die feucht gewordenen Augen klären, damit er sein Weinglas wieder findet. Es ist ein Top of the Pops der Opernwelt, das Julia Regehr und ihr Ensemble für den Genussmenschen von heute neu zubereiten. Was ganz der höfischen Konzertpraxis von damals entspricht. Sollte sich ein König, Herzog oder eine wie auch immer geartete Nobilität etwa den Kaprizien eines subalternen, meist bürgerlichen Komponisten oder Konzertmeisters unterwerfen? Erlaubt ist, was gefällt. Nämlich, dem Publikum (und Publikum wie Staat, c‘est moi, sprach schon der große Ludwig). Derart frei im Ablauf waren denn auch die Vorstellungen angelegt. Die Uraufführung von Georg Friedrich Haendels „Wassermusik“ etwa beschrieb der „Daily Courant“ am 19. Juli 1717 folgendermaßen: „Am Mittwoch abend,

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ungefähr um acht, begab sich der König in einem offenen Schiff auf eine Bootsfahrt … und fuhr, von vielen anderen, mit Standespersonen besetzten Booten, begleitet, flussauf nach Chelsea. Ein Schiff der Stadtgilde trug die Musiker, die über 50 Instrumente jeglicher Art verfügten. Sie spielten die ganze Zeit die schönsten, besonders für diese Lustfahrt von Mr. Händel komponierten Sinfonien, welche Seiner Majestät derart gefielen, dass sie auf dem Hin- und Herweg dreimal wiederholt werden mussten.„ Hätte ein Gewitter damals den Ausflug abgekürzt, wäre zwar die Bootsfahrt ins Wasser gefallen gewesen. Dem Musikgenuss hätte dies nicht geschadet. Ob die drei Suiten mit ihren insgesamt 19 Sätzen ihr ein dreimaliges Da Capo bekommen hätten, oder nach Satz zwölf die Landflucht begonnen hätte: Haendels Werk ist kein durchkomponiertes, abgeschlossenes Gesamtkunstwerk sondern eben schmückendes Beiwerk einer prachtvollen Bootspartie. Das Schiff voller Musiker diente dem Herrscher dabei als einer Art barockes Autoradio. Ganz in Haendels Sinne pflückt Julia Regehr für ihre „Pasta Opera“ deshalb einen eklektizistischen Strauss schönster Opernblumen. Komplettiert das Menü auf den Tellern mit ausgewählten Zutaten aus der Welt der Oper. Die Rokoko-Kostüme, die schönen Stimmen, das grosse Essen, die ausserordentliche Umgebung - alles zusammen reisst den Gast aus seinem Alltag. An Stelle von CD-Spieler und „Essen ist fertig“ öffnet sich eine Phantasiewelt unschuldiger Pläsiere. Mehr Hollywoodschaukel als harter Konzertklappstuhl, mehr Neuschwanstein und Disneyland als Musikarchäologie auf Originalinstrumenten. Denn die „Pasta Opera“ greift zwar die höfische Aufführungspraxis des Rokoko auf, ist aber alles andere als mühselig rekonstruierte Historie. Schliesslich wollen wir ja auch keine Schwanenschenkel auf dem Teller haben, bloß weil das damals auf der fürstlichen Tageskarte stand (von den barocken Hygieneunsitten ganz zu schweigen). „Pasta Opera“ ist ansteckende Freude am Genuss. Hier wird nicht nur mit Verdi, Puccini und Rossini gefeiert und getrunken, gesungen und gespielt. Man

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sitzt mittendrin, isst und trinkt und lauscht und lacht. Und wenn der Abend dann vorbei ist, bitte nicht vergessen: egal, ob „Così fan tutte“, „Traviata“ oder „La Bohème“. Beim nächsten Konzertbesuch ploppt der Sektkorken wieder nur im Foyer, ist jedes Hüsteln ein Kapitalverbrechen und wer zu früh klatscht, hat verloren. Hubert Gertis Fotos: Bernd Schönberger

Restaurant Rossini Historische Stadthalle Wuppertal Johannisberg 40, 42103 Wuppertal Telefon 0202 - 455903 www.culinariacatering.de Termine: Donnerstag, 13. 12. 2012, 19:30 Uhr Donnerstag, 24. 01. 2013, 19:30 Uhr Tickets: Telefon 030 - 7886644 www.pastaopera.de


Horch doch mal… …am Umzugskarton ! Das Heft, das keine Stimme hatte Dorothea Renckhoff Studium Theater- u. Literaturwissenschaft, Theorie des Films Ruhr-Universität Bochum; Praktika an Theatern u. als Kulturjournalistin Erstes Engagement am Schauspielhaus Bochum bei Peter Zadek (Assistentin Regie/ Dramaturgie), später Dramaturgin Freie Volksbühne Berlin, Regieassistentin u. Autorin WDR-Fernsehen, Leitende Dramaturgin Rheinisches Landestheater, Chefdramaturgin Städtische Bühnen Münster. Beendigung der Theaterkarriere, da eine führende Position am Theater mit den familiären Anforderungen (verheiratet, zwei Kinder) nicht mehr vereinbar war. Seitdem freischaffend in Köln als Autorin und literarische Übersetzerin. Seit 2008 Mitglied im PEN-Club.

Dorothea Renckhoff, Foto: Frank Becker

‚Passen Sie doch auf!’ rief das Telefonbuch, als der Bildband ihm auf den Deckel fiel. ‚Sie sehen doch, dass ich keinen festen Einband habe!’ Es wurde jetzt ziemlich voll im Umzugskarton. Unten drin langweilten sich schon seit Stunden eine Wolldecke und ein paar dicke Sofakissen miteinander, und jetzt hatte man noch ein paar Bücher oben drauf gepackt, unsortiert, wie es grade kam. Bücher, die ständig benutzt wurden - darum landeten sie zuletzt in der Kiste – und andere, die beim Ausräumen der Wohnung aus irgendwelchen verstaubten Winkeln ans Licht gekommen waren. Der Bildband gab dem Telefonbuch keine Antwort; er war sehr vornehm, aber ebenso schweigsam: in seinem Innern waren viele berühmte Gemälde abgedruckt, aber wenig Text. Das Telefonbuch schimpfte hastig weiter vor sich hin; es sprach immer ganz schnell und leise, weil es so furchtbar viele winzig klein gedruckte Zeilen enthielt. Aber weil es so dick war, geriet es dabei leicht außer Atem und musste husten.

Plötzlich fing das Liederalbum neben ihm an zu singen. ‚Was soll das jetzt wieder!’ empörte sich das Telefonbuch. ‚Ein Gesang geht auf uns nieder!’ quiekte ein kleiner Band mit abgewetztem hellblauem Leinendeckel, ‚hört, das ist ein Seifensieder!’ ‚Ach lassen Sie doch den Quatsch!’ schalt das Telefonbuch. ‚Sonst machen Sie wohl Patsch, und ich flieg in den Matsch?’ kicherte das kleine Buch. ‚Wie herrlich, wieder unter Seinesgleichen zu sein!’ jubelte jetzt jemand von der anderen Seite. Dort lag ein ramponiertes Kochbuch mit abwaschbarem Umschlag. Seit Jahren hatte es mit keiner Seele reden können, weil es ganz allein auf einem Regal in der Küche gestanden hatte, neben den Kaffeebechern, und die redeten in einer anderen Sprache, wenn sie überhaupt ein Wort aus ihren sauber gespülten Mündern brachten. Jetzt verlor das Kochbuch beinah die Seiten vor Freude darüber, dass es endlich seiner Einsamkeit entronnen war. ‚Sollten wir uns nicht miteinander bekannt machen, wenn wir schon zusammen

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verreisen?’ fragte es und klappte höflich den Deckel auf, so dass man seine erste Seite sah, und auf der stand gar nichts, da waren nur ein paar eingetrocknete Spritzer Tomatensauce. Aber das ist eben die Art, wie Bücher sich untereinander begrüßen – so eine Mischung aus Winken und Verbeugung. Ein schmuddeliges Taschenbuch mit einem Segelschiff als Umschlagbild erwiderte den Gruß, und dann stellten die Beiden sich in aller Form vor, indem sie das leere Vorsatzblatt umwendeten und die nächste Seite mit ihrem Titel zeigten, und dazu nannten sie ihren Namen. ‚Kochen für jeden Tag,’ sagte das Kochbuch, und ‚Schatzinsel’ antwortete das schmuddelige Taschenbuch. ‚Insel?’ piepste das kleine Blaue dazwischen, ‚wo hab ich meinen Pinsel?’ Plötzlich schwirrte der Karton von Stimmen und Namen. ‚Robinson Crusoe!’ – ‚Niels Holgerssohn!’ – ‚Gifte und Vergiftungen!’ klang es durcheinander, und das Liederalbum sang dazu mit schallender Stimme. Die Sofakissen hörten neidisch zu, denn sie konnten weder singen noch sprechen. ‚Andersen-Märchen’, sagte ein heller Band. Auf seinem Deckel schlief ein kleines Mädchen in einer Nussschale unter einem Rosenblatt. ‚Dich kenn ich ein paar Jährchen,’ kicherte das kleine Blaue. Es war auf dem Rücken mit braunem Klebeband geflickt, aber dennoch gut gelaunt. ‚Ich bin das Reimlexikon,’ fügte es hinzu, ‚ich war noch nie im Stadion!’ ‚Reimlexikon?’ fragte das Telefonbuch, ‚was soll das denn sein?’ – ‚Schau doch mal in mich hinein,’ jauchzte das Reimlexikon, ‚schreibst du jemals ein Gedicht, und du weißt die Reime nicht, dann schlag einfach in mir nach – Reime weiß ich tausendfach! Flinker – Trinker – linker – Stinker…’ Doch da hörte man plötzlich jemand weinen. Ganz leise, als weinte da jemand, der eigentlich gar keine Stimme hatte. Und doch musste sein Kummer so groß sein, dass alle Bücher dieses Weinen hören konnten. Sogar das Reimlexikon verstummte und lauschte. Und dann sahen sie es. Das Weinen kam aus einem leeren Heft, das raschelte mit den unbeschriebenen Seiten, und fast klang es wie ein Flüstern. Aber es konnte nichts sagen, denn es war ja leer. Und dann klappte es ganz weit auseinander, wie ein Mensch, der die Arme ausbreitet,

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wenn er jemanden kommen sieht, den er sehr lieb hat und der lange fort war. Man konnte es ganz deutlich erkennen, das Heft hatte Sehnsucht. Und die Bücher hörten das Weinen im Rascheln der leeren Seiten, und ein ganz leises, fast tonloses Flüstern: ’Ich will auch eine Stimme haben und sprechen wie ihr!’ Es wurde still in der Kiste. Nur das Reimlexikon suchte leise murmelnd nach einem Reim auf Stimme, und das Liederalbum summte etwas Beruhigendes, aber das war nur ein Zeichen dafür, dass keiner einen Rat wusste. Aber alle dachten verzweifelt nach. Sogar der schweigsame Bildband suchte nach einem Trost: ‚Es ist gar nicht schlimm, wenn man nicht sprechen kann,’ erklärte er, ‚es wird sowieso viel zuviel Unsinn geredet,’ und alle stellten erstaunt fest, was für eine wunderschöne tiefe Stimme er hatte. Aber das Heft raschelte immer bitterlicher, sogar sein Umschlag find an zu zittern. Plötzlich klappte das Märchenbuch sich auf und zeigte ein Bild von einem Mädchen mitten im Meer. ‚Es gibt einen Weg;’ sagte es zu dem Heft, ‚du kannst eine Stimme bekommen,’ und das Heft hörte auf zu rascheln und lauschte gespannt. ‚Du kannst eine Stimme bekommen,’ wiederholte das Märchenbuch. ‚Wenn ein Mensch dein Freund wird und mit einem Stift oder mit Tinte in dich hineinschreibt, oder Bilder auf deine Seiten zeichnet, dann bekommst auch du eine Stimme, dann kannst du sprechen wie wir.’ Und jetzt redeten alle durcheinander, denn jeder wollte einen Vorschlag machen, wie das Heft am besten einen menschlichen Freund bekommen könnte. Das Kochbuch wollte es mit in die Küche nehmen, ‚vielleicht kriegst du ein paar Fettflecke, aber sie schreiben bestimmt Rezepte in dich rein!’ rief es aufgeregt. Das Reimlexikon kannte einen Herrn, der immer Gedichte auf gebrauchte Papierservietten schrieb, der würde sich bestimmt über ein schönes Heft freuen. Jeder hatte eine bessere Idee, und schließlich legte das Märchenbuch das Heft auf eines der Sofakissen und strich ihm noch mal mit der Umschlagklappe über den Rücken, und das Heft zuckte nur noch kurz mit den Seiten, als müsste es ein letztes Mal aufschluchzen, und dann schlief es getröstet ein, denn es war vom vielen Weinen furchtbar müde geworden. Die Bücher aber unterhielten sich nur noch

mit gedämpfter Stimme, um das Heft nicht zu wecken. Freunde wirft man nicht zum Altpapier ‚Wie lange müssen wir denn jetzt hier drin sitzen?’ fragte der dicke Wälzer, der sich als Nils Holgersson vorgestellt hatte, ‚man kriegt ja kaum Luft in diesem Karton!’ ‚Ja,’ sagte jemand aus der Ecke der Kiste, ‚du bist mit den Wildgänsen gereist, vielleicht leidest du in dieser Enge fast so sehr wie ich.’ Alle reckten sich, um zu sehen, wer da sprach. Es war eine große alte Weltgeschichte mit wunderbar verziertem Einband. Bis jetzt hatte sie still für sich auf einem eigenen Kissen gelegen, und man merkte sofort, dass sie sehr vornehm sein musste, denn die Ränder ihrer Seiten waren vergoldet. Darum duzte sie auch alle anderen Bücher, ohne um Erlaubnis zu fragen. ‚Ich bin nämlich an einen Ehrenplatz im Schrank gewöhnt, ganz für mich allein,’ erklärte sie, und dann erhob sie sich und zeigte die goldenen Blumenranken auf ihrem schönen Rücken. Die Bücher waren sehr beeindruckt. Nur das Telefonbuch lachte in sich hinein, denn es hatte als einziges den vorderen Deckel der Weltgeschichte gesehen, wo ein hässlicher dunkler Ring von einem feuchten Glas auf dem feinen Leder zurückgeblieben war. ‚Ich hätte wohl auch beim Umzug Anspruch auf bevorzugte Unterbringung,’ fuhr die Weltgeschichte fort, ‚aber es hat keinen Sinn, sich deswegen aufzuregen, das wirbelt nur den Staub auf. Morgen ist es geschafft, und jeder kommt an den Platz, wo er hingehö….’ Doch da flog ihr mit lautem Klatschen etwas auf den Rücken. Es war ein ComputerLehrbuch, das gellend schrie. Man konnte es kaum verstehen, es klang wie ‚Wiiiiill niiiicht’ - - und ‚Papiiiiiiiier’ - -, und dabei zuckte es vor Angst und flatterte mit allen Seiten. ‚Es will nicht in den Papier-Container,’ übersetzte ein kleines Wörterbuch, denn zum Übersetzen war es ja gemacht. – ‚Ich hab Aaaaangst!’ heulte das ComputerLehrbuch, ‚meine ganze Familie ist im Papier-Container gelandet, und jetzt bin ich dran! Es ist ein schrecklicher Tod, man wird mit dem Lastwagen abgeholt und zerrissen und zerfetzt!’ Und dann blieb ihm vor Angst die Stimme weg. ‚Papier-Container?’ fragte das Kochbuch mitleidig, ‚aber das ist ja furchtbar! Habt ihr das gehört?’ wandte es sich an die


andern, aber die gaben keine Antwort, einige rückten sogar ein bisschen von dem Computer-Buch ab, als hätte es eine ansteckende Krankheit. Nur die Schatzinsel sah sich um und überlegte, ‚können Sie sich nicht irgendwo verstecken?’ schlug sie vor, ‚vielleicht unter den Sofakissen?’ ‚Versteck dich bei den Sofakissen,’ alberte das Reimlexikon, ‚sonst wirst du morgen früh zerrissen! Darauf weiß ich noch einen Reim,’ fügte es hinzu und lachte über seinen eigenen Witz, ‚aber den kann ich in so vornehmer Gesellschaft nicht benutzen,’ und es schielte zu der Weltgeschichte hinüber, die sich gerade angeekelt unter dem ComputerLehrbuch wegzuwälzen suchte. Aber das fand gerade seine Stimme wieder: ‚Ja, habt ihr denn alle keine Ahnung, was los ist?’ fragte es ungläubig. ‚Meint ihr, ich bin als einziger fürs Altpapier bestimmt? Die ganze Kiste hier wird morgen zum Container gebracht! Die andern Bücherkartons sind alle längst fort; die Wohnung ist leer; wir sind mit dem Müll zurückgeblieben, mit uns ist es aus!’ Niemand sagte etwas. Plötzlich schien es eisig kalt im Karton zu sein. Alle starrten einander in panischem Entsetzen an. ‚Ich dachte, wir ziehen bloß um,’ flüsterte das Liederalbum. ‚Ich hab ja befürchtet, dass es eine lange, unbequeme Reise wird…’ nickte das Wörterbuch. ‚Oder dass man einen schlechteren Platz im Schrank bekommt,’ ergänzte der Bildband. – ‚Aber zum Altpapier??’ Dem Liederalbum war die Lust zum Singen vergangen. ‚Was machen wir denn jetzt?’ fragte das Kochbuch verzweifelt. ‚Das können wir uns doch nicht so einfach gefallen lassen!’ – ‚Was sollen wir denn machen!’ antwortete

die Schatzinsel resigniert, ‚es sind schon hübschere Bücher als ich in den Container gewandert,’ und sie zeigte betrübt ihren schmuddeligen Einband. – ‚Das mag ja für dich gelten,’ bemerkte die Weltgeschichte verärgert, ‚aber seht mich doch an, Lederband, Goldschnitt, so was wirft man doch nicht weg!’ ‚Die Leute werfen heutzutage noch ganz andere Sachen weg,’ widersprach das Kochbuch, ‚ganze Braten habe ich schon in den Mülleimer wandern sehen, nicht nur alte Schwarten wie Sie!’ Die Weltgeschichte sah sich empört um, aber niemand sagte etwas; die Todesgefahr machte die vornehme Vergoldung plötzlich wertlos. Nur der Bildband mischte sich ein, ‚keinen Streit!’ kommandierte er streng, ‚wir müssen überlegen, wie wir uns wehren können.’ ‚Eins und zwei und drei und vier,’ quiekte das Reimlexikon, ‚wir wollen nicht ins Altpapier!’ ‚Das hilft nichts,’ sagte das Telefonbuch düster, ‚meine Eltern und meine Großeltern sind auch dort gelandet, dagegen kann man nichts machen, die Menschen sind stärker. Ich dachte ja, ich hätte noch ein paar Monate zu leben…’ und eine dicke Träne quoll aus seinem gelben Deckel. – ‚Nun wein doch nicht!’ rief Nils Holgerssohn, und seine Stimme zitterte. Nur das Märchenbuch mit dem kleinen Mädchen in der Nussschale auf dem Einband war zuversichtlich geblieben. ‚Ich glaube das nicht,’ sagte es, ‚der Professor liebt uns mehr als alles andere auf der Welt, ich kenne ihn seit seiner Kinderzeit. Der hat noch nie im Leben ein Buch weggeworfen, das weiß ich genau!’

‚Dann fängt er vielleicht heute damit an,’ murrte das Liederalbum finster. – ‚Der hat ja auch als kleiner Junge sein Limonadenglas auf mir abgestellt,’ petzte die Weltgeschichte, ‚seht euch den hässlichen Ring an! Wer so was tut, dem ist alles zuzutrauen!’ und die vergoldeten Kanten ihrer Seiten bebten vor Entrüstung. ‚Aber da war er ja noch klein,’ begütigte das Märchenbuch, ‚das würde er doch heute nicht mehr tun. Nein, nein, er lässt uns nicht im Stich!’ – ‚Was macht dich da so sicher?’ fragte das Kochbuch mit einem kleinen Bisschen Hoffnung in der Stimme. ‚Wir waren Freunde,’ antwortete das Märchenbuch und nickte zuversichtlich mit dem Deckel, und das kleine Mädchen in der Nussschale nickte unter seinem Rosenblatt mit. ‚Und deshalb meinen Sie, uns passiert nichts?’ fragte das Computer-Lehrbuch zweifelnd. ‚Ja!’ rief das Märchenbuch, ‚Freunde wirft man doch nicht zum Altpapier!’ – ‚Glaubst du!’ lachte die Weltgeschichte höhnisch. ‚Ja!’ sagte das Märchenbuch sehr bestimmt, ‚man muss seinen Freunden auch vertrauen!’ und dann hörte man die Stimme des Professors. ‚Diese Kiste schaffe ich später selber hinüber,’ sagte er, ‚es war mir zu riskant, sie den Möbelpackern zu überlassen, sie enthält meine wichtigsten und meine liebsten Bücher, davon darf keines verloren gehen!’ Die Bücher sahen einander stumm an. Erst ganz langsam begann die Angst sich zu lösen. Doch dann fing sogar die Weltgeschichte an zu lächeln. Aber das Märchenbuch seufzte so tief, als bräche die Nussschale auf seinem Deckel in Stücke, und das Rosenblatt wehte fort. Dorothea Renckhoff

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Paragraphenreiter Kann ich mit Musik Steuern sparen ?

Susanne Schäfer, Steuerberaterin Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/ Steuerberatungsgesellschaft

Grundsätzlich schon – wenn ich damit auch Geld verdiene. Wenn ich zum Beispiel Konzertgeiger und in der Lage bin, mit meiner Musik meinen Lebensunterhalt zu verdienen, unterliegt die Differenz zwischen meinen Einnahmen aus dieser Tätigkeit und den Ausgaben, die ich tätigen muss, um diese Einnahmen überhaupt zu erzielen, der Einkommensteuer. Zu diesen Ausgaben zählen auch diejenigen für den Erwerb einer Geige. Und da so eine Geige gemeinhin ein paar Jahre hält, darf ich die Ausgaben für sie nicht sofort bei Zahlung, sondern nur über die voraussichtliche Nutzungsdauer der Geige verteilt als Absetzung für Abnutzung dieser Geige von meinen Auftrittshonoraren abziehen. Da ich ein richtig guter Geiger bin, brauche ich natürlich auch eine richtig gute Geige. Da traf es sich gut, dass letztes Jahr in London eine Stradivari mit dem schönen Namen „Lady Blunt“ versteigert wurde, für die ich für umgerechnet 12.070.000 Euro den Zuschlag erhielt. Jetzt frage ich mich nur: wie lange hält die Lady voraussichtlich noch? Schließlich wurde sie schon im Jahr 1721 gebaut. Das kann einerseits darauf hindeuten, dass sie bei guter Pflege uralt wird. Möglicherweise macht sie´s aber auch nicht mehr lange. Wieviele Jahre kann ich meine Stradivari nun voraussichtlich noch nutzen?

TANZTRÄUME Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch. Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss Verlag HP Nacke Wuppertal, 2011 120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro Verlag HP Nacke KG Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal Telefon 0202 - 28 10 40 verlag@hpnackekg.de

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Das wissen die Finanzbehörden nicht. Sie wissen allerdings, wie lang eine von Jean-Baptiste Rogerius im Jahre 1693 in Brescia gebaute Geige voraussichtlich noch hält. Die ist zwar nicht ganz so wertvoll (sie wurde im Jahr 1988 für damals nur 247.280 DM erworben), aber immerhin schon einmal Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesfinanzhof gewesen. Und der hat entschieden, dass für im Konzertalltag regelmäßig bespielte über 300 Jahre alte Meistergeigen eine typisierte Restnutzungsdauer von 100 Jahren angesetzt werden darf. So eine Geige ist nämlich ein (in der Tat) langlebiges Wirtschaftsgut, das – auch wenn es wirtschaftlich möglicherweise sogar einem Wertzuwachs unterliegt (wovon ich für meine Stradivari doch ausgehe) – bei regelmäßiger Nutzung technisch verschleißt. Im Ergebnis darf ich damit meine Einkünfte als Musiker für die nächsten 100 Jahre um eine steuerliche Abschreibung von 120.700 Euro im Jahr mindern. Das setzt allerdings voraus, dass ich überhaupt dauerhaft Einnahmen in mindestens dieser Höhe erziele. Denn wenn meine Betriebsausgaben über einen längeren Zeitraum meine Einnahmen übersteigen, geht das Finanzamt davon aus, dass ich keine Einkunftserzielungsabsicht verfolge und mein Geigen nur eine sogenannte „Liebhaberei“ ist. Und die soll nun wirklich nicht noch steuerlich gefördert werden. www.rinke.eu


GEDOK – Lobby für Künstlerinnen Kunstförderer – das tragende Fundament

„Und wenn Sie es nur für ein Jahr machen“! sagte die von mir so sehr geschätzte Sängerin und Pianistin Friedel Becker-Brill. Aus einem Jahr wurden acht Jahre Gedok Wuppertal und noch einmal 13 Jahre Bundes Gedok Deutschland und Österreich, Mauerfall – 5 NBL (fünf neue Bundesländer) und Europa ! Die Gedok- Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V., so ihr jetziger Name, wurde 1926 von Ida Dehmel in einer Blitzaktion in Hamburg gegründet; damals unter dem Namen „Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“, auf den heute noch gültige das Kürzel zurückgeht. Die Gründung erfolgte aus der Notwendigkeit und der Weitsicht, Künstlerinnen ein Forum zu schaffen in der bis dato männer- und künstlerdominierten Welt. In den 20er Jahren herrschten für Künstlerinnen denkbar schlechte Voraussetzungen. Nachdem die Weimarer Verfassung Frauen den Zugang zu allen Hochschulen und Akademien garantiert hatte, begann die Gedok sich für die Realisierung dieser Ausbildungsgarantie und Chancengleichheit für Künstlerinnen aller Sparten einzusetzen. Doch das von Ida Dehmel gefällte Urteil, die Frauenbewegung habe ihr Ziel erreicht, war vorschnell. Trotz formal erreichter Gleichberechtigung hat sich in den Jahren seit Gründung der Gedok die Situation für Künstlerinnen in keiner Weise zufriedenstellend verbessert. Damals wie heute lavieren sie am Existenzminimum – bis auf

wenige Ausnahmen. Für die meisten ist die partielle Förderung durch die Gedok von existenzieller Bedeutung. Zahlreiche bedeutende Künstlerinnenpersönlichkeiten schlossen sich der Gedok an: Jenny Wiegmann, Luise Dumont, Gertrud von le Fort, Ina Seidel, Ricarda Huch, Grete von Zieritz, Li Stadelmann, Elly Ney, Ida Kerkovius, Charlotte Behrendt-Corinth (die maßgeblich an der Gründung der Gedok Gruppe Wuppertal, 24. 11. 1931, beteiligt war), Klara Westhoff-Rilke, Grete Jürgens, Käthe Kollwitz, Leni Matthaei, Alma Mahler, Ruth Zechlin, Hilde Dominn, (zu deren 90. Geburtstag hielt ich die Laudatio im Heidelberger Zimmertheater). 1932 erfolgte die Umbenennung in „ReichsGedok“. Das bedeutete: Weiterführen der Aktivitäten der Gedok, unter zunehmend erschwerten Bedingungen. Es gehört zu ihrem historischen Hintergrund, dass Käthe Kollwitz, die sich auch für die schwierige Lage der meist doppelt belasteten Künstlerinnen engagierte, an der ersten großen Verkaufsausstellung in der Hamburger Galerie Commeter mit 500 Exponaten vertreten war. In der Nazi-Ära erhielt sie Berufsverbot. Die Gedok dankte ihr diese Haltung, als sie 1936 und 1942 mit Zivilcourage je eine Ausstellung in Frankfurt am Main präsentierte. Erlaubnis hierzu musste speziell bei der Reichskulturkammer erbeten werden. Die Kollwitz konnte alle Werke verkaufen. Diktaturen sind grausam ! Im April 1933 wurde Ida Dehmel bei einer GedokSitzung im Hamburger Hof von mit

Drs. Renate und Helmut J. Massmann

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Gummiknüppeln bewaffneten SA-Leuten gezwungen, den Vorsitz der Gedok niederzulegen, sie wurde herausgeprügelt. So brutal endete die erste Phase dieser aufblühenden inzwischen 7000 Mitglieder zählenden Frauen-Künstlerinnenvereinigung. Ida Dehmel schied 1942 freiwillig aus dem Leben. Die Schwere des Krieges ließ 1944 und 1945 – es bestanden 15 Gedok Gruppen ! – keine Gedok Aktivitäten mehr zu. Dennoch half die „Reichs“-Gedok ihren Mitgliedern mit Geld und Material. Ab 1948 bezeichnete sich die Gedok als: Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfreunde e. V. Wieder- und Neugründungen erfolgen, 1989 nach dem Mauerfall auch in den 5NBL. Ab sofort galten hier marktwirtschaftliche Gesichtspunkte. Hatten doch die Künstlerinnen der Ex-DDR keine Materialsorgen, ihre Werke wurden vom Staat angekauft ! Ab 1992 galt es, die Entwicklung der kulturpolitischen Gegebenheiten auf dem sich konstituierenden europäischen Binnenmarkt für die Möglichkeiten von Künstlerinnen wachsam zu verfolgen. Die wirtschaftlichen und die individuellen künstlerischen Interessen mussten grenzüberschreitend vertreten werden. Ab 2000 die Bezeichnung: Gedok-Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V. Die Gedok heute ist das größte und traditionsreichste interdisziplinäre Netzwerk für Künstlerinen, die in allen Kunstsparten speziell die Interessen von Künstlerinnen vertritt. Die Gedok hat die wichtige Aufgabe, die künstlerische Arbeit der Frau sowie junge, talentierte Künstlerinnen zu fördern, ihnen den Weg in die Öffentlichkeit zu erleichtern, Werk und Leistung publik zu machen, die Verbindung zwischen Künstlerinnen und Kunstfreunden zu festigen. In der Gedok sind spartenübergreifend alle künstlerischen Disziplinen zusammengeschlossen. Sie umfasst die Fachgruppen Bildende und Angewandte Kunst, Musik, Literatur, Rezitation, Darstellende Kunst und Performance, die sich gegenseitig im Austausch befruchten. Die fachlichen Interessen der Künstlerinnen werden auf Bundes- und Regionalebene durch Fachbeirätinnen vertreten. Über die Aufnahme als Künstlerin entscheidet eine unabhängige Jury nach

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professionellen Maßstäben zur Sicherung der Qualität. 23 Gruppen mit ihren ca. 4000 Mitgliedern sind in der Gedok zusammengeschlossen, arbeiten als selbständige regionale Gruppen in der Bundesrepublik und Wien, bleiben aber dem gemeinsamen Ziel verpflichtet. Jährlich organisiert die Gedok etwa 1200 bis 1500 Veranstaltungen. Das tragende Fundament der Gedok ist die bedeutende Gruppe der Kunstförderer / Innen, die die Künstlerinnen durch ideelle, aktive Mitarbeit und finanzielle Hilfe unterstützt. Allen Kunstinteressierten steht die Mitgliedschaft in dieser Gruppe offen. Die Einzigartigkeit der Gedok besteht in dem Dialog der Kunstfreunde/Innen mit den persönlichen Begegnungen von Künstlerinnen. Die Gedok ist als gemeinnützig anerkannte Organisation politisch und konfessionell ungebunden, die ihre ehrenamtliche Arbeit aus Beiträgen, Spenden sowie projektgebundenen Mitteln zur Förderung der Kunst tätigt. Die Gedok setzt sich stetig für die Festigung der gesellschaftlichen und sozialen Stellung der Frau als Künstlerin ein, um deren besondere Lebens- und Arbeitssituation zu verbessern, besonders auf die geschlechtergerechte Gestaltung aller Bereiche künstlerischen Schaffens. Die Gedok gehört mit dem Deutschen Künstlerbund (DKB) und dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (BBK) der Internationalen Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK) – Sektion Bundesrepublik Deutschland e.V. (IAA/ AIAP-UNESCO) an. Die Gedok ist Mitglied im Deutschen Musikrat, Deutschen Frauenrat, Deutschen Kulturrat. Die Gedok ist Gründungsmitglied des Kunstfonds, vertreten in der VG-Bildkunst -Verwertungsgesellschaft Bildkunst. Die Gedok ist Gründungsmitglied der Künstlersozialkasse (KSK), und des Künstlersozialwerks. Die Gedok kooperiert europaweit mit dem European Forum For The Arts And Heritage (EFAH), dem European Council OF Artists (ECA) und der International Society For Music Education (ISME). Bundesweite Aktivitäten der Gedok Die Gedok vergibt Preise für herausragende Leistungen auf den Gebieten der bildenden Kunst, der angewandten Kunst, der Musik, der Literatur. Die Gedok fördert interdisziplinäre Symposien, veranstaltet Podiumsdis-

kussionen und internationale Symposien, sie publiziert Kataloge, Dokumentationen, sowie Anthologien, gibt CDs und Videos heraus. Der 1968 gestiftete Ida-Dehmel-Literaturpreis wird alle drei Jahre an eine deutschsprachige Autorin für deren Gesamtwerk verliehen als Anerkennung von Spitzenleistungen innerhalb des deutschen Sprachraumes. Bisherige Preisträgerinnen: Hilde Domin, Erika Burkart, Margot Scharpenberg, Rose Ausländer, Ingeborg Drewitz, Barbara Frischmuth, Eva Zeller, Helga M. Novak, Kerstin Hensel, Doris Runge, Ulla Hahn. Während meiner Präsidentschaft habe ich den Ida-Dehmel-Literaturpreis an Brigitte Kronauer, Sarah Kirsch, Elke Erb verliehen. Als Sternstunde, in Vorreiterrolle, gilt meine Verleihung dieses Preises 1998 an Herta Müller in Leipzig im Haus des Buches, und die freudige Erregung als Herta Müller 2009 den Nobelpreis für Literatur erhielt ! Gleichzeitig wird seit 1971 der GedokLiteraturförderpreis an eine junge Autorin vergeben. Hilde Domin hat immer mahnend auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die junge Autorinnen haben, um veröffentlicht zu werden und diesen Förderpreis angeregt. Gleichzeitig mit Herta Müller habe ich Kathrin Schmidt diesen Förderpreis verliehen, die 2009 den Deutschen Buchpreis erhielt. Darauf habe ich den Vortrag: „Die Nobelpreisträgerin 2009 Herta Müller und die Preisträgerin Deutscher Buchpreis 2009 Kathrin Schmidt, Vita und Werk in Wort und Bild“ erstellt. Die Darstellung der Gedok-PreiseWerkWechsel, Fantasie und Form und weitere bleibt zukünftigem Beitrag vorbehalten. Auch im 86. Jahr ihres Bestehens hat die Gedok nichts an Aktualität verloren. Das Interesse der Künstlerinnen an der Gedok ist ungebrochen. Kein anderer Künstlerverband bietet seinen Mitgliedern vergleichbare Unterstützung und Förderung. Die Kunst der Gedok liegt in der Bündelung der Interessen der einzelnen künstlerischen Sparten zu einer Strategie des Gemeinsamen. Diese Gemeinsamkeit ist ein Forum, ein Bündnis, eine Lobby für Künstlerinnen und Frauen, das nicht selbstherrliche Monaden züchtet, sondern Neugierde, Begeisterung, und Kreativität entwickeln und erhalten hilft. Denn Kunst ist ein Stück Lebensqualität! Dr. Renate Massmann


Fünf Jahrzehnte Entwicklungshelfer Annäherungen an ein Porträt von Klaus Dieter Peters Die Entwicklungshilfeorganisationen, für die Klaus Dieter Peters tätig war, sind christlich geprägt oder stehen wie die Ebert-Stiftung der SPD nahe. Bei der Welthungerhilfe handelt es sich um eine Nichtregierungsorganisation, bei der GIZ um eine Einrichtung der Bundesregierung.

Klaus Dieter Peters in einer Dorfunterkunft für Durcheisende, Grenze Kenia

Klaus Dieter Peters, 76, ist vor einigen Wochen aus Äthiopien heimgekehrt. Dort, schreibt er, „ist alles anders: die Schrift, die Uhrzeit, die Kalendertage und das Datum unserer christlichen Feiertage“. Schon bei der Ankunft werden alltagskulturelle Unterschiede sichtbar, so stromern zum Beispiel überall in der Hauptstadt Addis Abeba auf den Straßen Kinder herum, viele sind kleine Diebe, andere schlagen sich als Schuhputzer oder als Verkäufer von Telefonkarten, Kaugummi und anderer Utensilien durchs Leben. Doch Peters ist auf der Durchreise ins Borana-Land, wo ihn ein Nomadenvolk erwartet, dessen demokratische Tradition älter ist als in dem Land, aus dem er kommt. Was er dort erlebt hat, schildert er in einem Bericht, den wir in dieser Ausgabe nachfolgend abdrucken. Mehr als sein halbes Leben hat er mit Unterbrechung in Asien und Afrika verbracht. Seinen letzten runden Geburtstag feierte er 2011 in Myanmar, dem früheren Burma. Wenn der am

Katernberg lebende gebürtige Wuppertaler eines nicht kennt, dann ist es, sich zur Ruhe zu setzen und Däumchen zu drehen. Irgendwie schade, denn auf Sumatra oder in Neu-Guinea, in Sambia oder Sierra Leone kam er bislang nicht dazu, weiter am Manuskript über seine Erinnerungen zu arbeiten, und zu erzählen, hat er eine ganze Menge. Aus einer achtköpfigen Familie stammen, hat er selbst vier Kinder und sieben Enkel. Bauingenieur war der Vater, Mitglied des Rates der Stadt Wuppertal am Ende der Weimarer Republik und nach dem Zweiten Weltkrieg mit Johannes Rau und Gustav Heinemann in der Gesamtdeutschen Volkspartei, die später in der SPD aufging. Klaus Dieter zog es früh aufs Land und in die weite Welt: Nach der Volksschule absolvierte er eine Gärtnerlehre in der Wuppertaler Stadtgärtnerei und später ein Praktikum bei einem Bergbauern in der Schweiz, rückblickend gesehen „mit die härteste Prüfung“ seines Lebens. Nach weiteren Wanderjahren zurück in Deutschland, brachte er es zum Diplomagraringenieur.

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Sein Bruder Jürgen Peters hatte sich seinerzeit entschlossen, seine Kariere zurückzustellen und als junger Maschinenbauingenieur für den heutigen Evangelischen Entwicklungsdienst und für die Rheinische Mission, heute Vereinte Evangelischen Mission, zu arbeiten und in Sumatra eine technische Schule aufzubauen. Von ihm erfuhr Klaus Dieter, dass man dringend einen landwirtschaftlichen Fachmann für Neu-Guinea suchte. Er meldete sich umgehend für diese Arbeit und reiste 1962 für Dienste in Übersee und die Rheinische Mission als Landwirt in dieses Land, wo er mit Missionar und Linguist Siegried Zöllner aus Schwelm und dem holländischen Arzt Wim Vriend zusammenarbeitete. In Neu-Guinea bestand seine Aufgabe in erster Linie darin, durch geeignete landbautechnische und ernährungsphysiologische Maßnahmen den akuten Eiweißmangel der Eingeborenen zu beheben. Weitere Arbeitgeber in dem folgenden halben Jahrhundert waren die GTZ, heute Gesellschaft für internationale Entwicklung (kurz GiZ genannt), die Christlichen Fachkräfte, die Welthungerhilfe, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Hoechst AG. Zwischendurch unterbrach er seine seiner Auslandstätigkeit zweimal, um auch in Deutschland Arbeitserfahrung zu sammeln, zuerst bei der deutschen Kraftfutterindustrie und danach bei der Bayer AG. Die Menschen, bei denen er seinen ersten Einsatz in Übersee hatte, lebten noch in der Steinzeit, vollkommen isoliert von der übrigen Welt. Häufig kam es bei ihnen zu kriegerischen Auseinanderset-

zungen und nicht selten auch zum „Verzehr“ der getöteten verhassten Feinde. „Angst haben wir auch gehabt, besonders in der Luft in unseren kleinen Missionsflugzeugen, zum Beispiel bei extremen Schönwetterturbulenzen oder riskanten Landungen“, sagt Peters heute. Die Verbindung mit der Außenwelt war nur über Kurzwellenradio und die kleinen Flugzeugen der Missionary Aviation Fellowship möglich. „Yali war noch unbekannt, und wir mussten versuchen uns langsam hineinzufinden.“ Diese Erfahrung half ihm auch beim Erlernen anderer Sprachen wie Indonesisch oder der in Westafrika gesprochenen Idiome Krio oder Mende. Sein entwicklungspolitisches Credo lautet: Immer die zumutbare Eigenbeteiligung einfordern und nie etwas verschenken. Ob ein Brunnen gebohrt oder eine neue Süßkartoffelsorte eingeführt werden soll: Die Menschen müssen der Überzeu-

gung sein, dass ihnen die neue Herangehensweise persönlich nutzt. Wenn sie einmal Feuer gefangen haben, setzt das erworbene Wissen ungeahnte Energien frei. Oberlehrer und Besserwisser bleiben besser zu Hause. Die beste Theorie nützt niemandem, wenn sie nicht umsetzbar ist. Peters: „Wir arbeiten an angepassten Problemlösungen, nicht an einem Zivilisationsobjekt.“ Erarbeitete Lösungen beziehen sich hauptsächlich auf die Verminderung von Armut, die Sicherung von Ernährung, berufliche Qualifikationen und die Erhaltung einer menschengerechten Umwelt. Alles Projekte, die Zeit brauchen. Anders sieht es bei der immer häufiger notwendig werdenden Katastrophenhilfe aus, bei der schnelles Handeln und Organisationstalent gefragt sind. Matthias Dohmen

Christliche Fachkräfte www.gottes-liebe-weltweit.de Deutsche Welthungerhilfe www.welthungerhilfe.de Evangelischer Entwicklungsdienst www.eed.de Friedrich-Ebert-Stiftung www.fes.de Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, www.giz.de Vereinte Christliche Mission www.vemission.org

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www.occhio.de

Frank Marschang e.K., Karlstrasse 37, 42105 Wuppertal Tel 0202-24 43 440, www.lichtbogen-wuppertal.de Di – Fr 10 –18 Uhr und 14 –18.30 Uhr, Sa 11–16 Uhr


Weihnachtsgrüße aus Sooderee von Klaus Dieter Peters Am 8. Januar feiern die orthodoxen Christen in Äthiopien offiziell Weihnachten. Für ein solches Fest reicht natürlich ein Sonntag nicht aus und deshalb wird vier Tage lang gefeiert, was jeder hier, auch die Muslime, von ganzem Herzen begrüßt. In Äthiopien ist alles anders, die Schrift, die Uhrzeit, die Kalendertage und eben auch das Datum unserer christlichen Feiertage.

Ich habe mich in ein an einer heißen Vulkanquelle gelegenes Hotelchen zurückgezogen und nehme jeden Tag zweimal ein heißes Bad. Das tut den alten Knochen gut, denn sie mussten in den letzten zwei Monaten mehr runde 8000 km Fahrt im Geländewagen über sich ergehen lassen. Unten am Schwimmbad mit heißem Wasser erholen sich die einheimischen Gäste bei extrem lauter Pop-Musik. Diese Dauerberieselung mit Musik wird von neun Uhr morgens bis fünf Uhr Nachmittags gratis vom Hotel zur allgemeinen Freude der Äthiopier angeboten. Daneben gibt es noch die Gruppe der frechen Kapuziner-Affen welche auf dem Baum vor meinem Balkon auf eine günstige Gelegenheit lauern, um in meinem Zimmer Inventur zu machen. Aber jetzt der Reihe nach. Von Frankfurt nach Addis Abeba sind es nur gute sieben

Stunden Tagesflug mit der Lufthansa und man muss nur 2 Stunden Zeitdifferenz verdauen. Das ist verglichen mit den Asienflügen eine ausgesprochen angenehme Sache. Die Millionen-Stadt Addis Abeba 2400 Meter über dem Meer gelegen, wächst in einem atemlosen Tempo. Rasant breitet sie sich wie eine Spinne mit vielen Armen jeden Tag schneller zwischen grünen Hügeln aus. Überall wird gebaut und gebaut, so dass die Stadtverwaltung ernste Schwierigkeiten hat, mit dem Bau der erforderlichen Basis-Infrastruktur nachzukommen. Allerdings hat sie in weiser Voraussicht bereits ein Schnellstraßensystem geplant und auch schon zu einem erheblichen Teil gebaut. Trotzdem gibt es schon eine Menge Verkehrsengpässe in denen man im Stau ein Feinstaub- oder CO2-Bad nehmen kann. Auf den Nebenstraßen trifft

Addis Abeba 10 Std. Fahrt über Stock und Stein

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man noch auf eine Ziegen- und Rinderherde oder auch auf ein paar vollbepackte Eselchen, die sich zielstrebig durch die Autokolonnen bewegen. Die Baugerüste der Hochhäuser bestehen aus dünnen Eukalyptus-Stangen. Wenn ich die Bauarbeiter an den Außenwänden der Wolkenkratzer in schwindelnder Höhe auf diesen wackeligen Hölzern herumspazieren sehe, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Wenn ich dann noch etwas genauer hingucke und sehe, wie hier manchmal gebaut oder besser gesagt gepfuscht wird, kann ich nur hoffen, dass dieser Stadt ein ernstes Erdbeben erspart bleibt. In meinem Hotelchen kann ich die Billigbauweise direkt von innen studieren. Auch die Einrichtung der Bruchbude ist von zweifelhafter Qualität. Der Wasserhahn klebt an meiner Hand, wenn ich ihn benutze; am rechten Eck des Kleiderschrankes fehlen vier Schrauben und er droht bald umzufallen. Das Licht im Badezimmer brennt Tag und Nacht, man kann es nicht ausschalten. Das Waschbecken leckt und die Brause funktioniert nicht. Alles kleine Sachen, die mit wenig Aufwand zu beheben sind. Von einer Maintanace-Kultur ist das Land Äthiopien aber noch meilenweit entfernt. Immerhin. Für das fehlende Frühstücksbuffet produziert der junge Egg-Master mit strahlendem Lachen jeden Morgen in einer Rekordzeit von zwanzig Minuten ein ausgezeichnetes Omelett in seiner kleinen Hotelküche. Außerdem trifft man interessante Leute beim Frühstück im Hotel. Am

meisten imponieren mir die Gäste aus dem Süd-Sudan, baumlange Kerle, ehemalige Freiheitskämpfer, die jetzt in ihre Heimat zurückkehren. Sie sind kohlrabenschwarz, so schwarz wie die Nacht und weit über 2 Meter groß. In Addis gibt es auch eine sehr aktive evangelische deutsche Gemeinde, die mir sehr in Yabello fehlt. Die Menschen in Addis und auch im äthiopischen Hochland verstehen sich nicht als Afrikaner und sie sind in der Tat auch anders als die Leute die ich in Südost-Afrika und noch andersartiger als die Westafrikaner, die ich kennengelernt habe. Fleißig sind sie alle, die Kellner im Hotel erledigen ihren Dienst im Dauerlauf, aber es fehlt an einem effizienten Management. Äthiopien ist das Ursprungsland des Kaffees und man ist stolz auf die traditionelle Kaffee-Zeremonie die ein stundenlanges Palaver vorsieht, denn reden tun sie alle gerne und lange und laut, ganz besonders dann wenn sie in ihr geliebtes Handy sprechen. Je länger sie reden um so lauter und unkontrollierter wird ihre Stimme. Abends sind die Cafés der Stadt überfüllt mit diskutierenden Gästen. Die jungen Mädchen verstehen es, sich nach der letzten Mode zu kleiden, die sie durch gekonnte Kombinationen mit traditionellen Tüchern noch attraktiver machen. Die Damen der älteren Generation tragen dagegen meist noch ihre langen traditionellen Kleider und Kopftücher und ab und zu kann man auch eine voll verschleierte Muslimfrau in schwarzer Burka

sehen. Es sind alles freundliche Leute die das Leben auch mit wenig Geld bei einer Tasse Kaffee zu genießen verstehen, nur leider sind 80 Millionen Menschen mehr als das Land gegenwärtig ernähren kann und jedes Jahr kommen noch über zwei Millionen neu geborene dazu. Die Föderation Äthiopiens ist etwas einmaliges, denn in jedem Bundesstaat wird in den Schulen in der Stammessprache unterrichtet die dann auch die offizielle Amtssprache in dem jeweiligen Bundesstaat ist. In diesem schönen Land kann ich mich, anders als letztes Jahr in Myanmar, frei bewegen. Es gibt überall gut sichtbar Militär und Polizei die für Ordnung und Sicherheit sorgen. Auch das ist anders als in Myanmar wo die Staatsgewalt unsichtbar aber trotzdem überall rigide präsent war. Das Land ist so etwas wie eine pseudo-demokratisch funktionierende Entwicklungsdiktatur die nach dem chinesischen Prinzip funktioniert: Konzentriere dich auf die Entwicklung der Infrastruktur, lass das Kapital privat arbeiten aber behalte die Macht fest in deiner Hand. Diese Konzeption führt leider unweigerlich zu einer immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich. Allerdings sind die Häuser der Reichen in Addis lange nicht so protzig wie die Paläste der Reichen in Rangun und die Einkommensverteilung ist immer noch sehr viel besser als in Myanmar obwohl Äthiopien sehr viel ärmer an natürlichen Ressourcen ist. In vielen Städten des Landes gibt es

Nomadenhütte mit Boranafrau

Tierarzt

Major


sogar einen sozialen Wohnungsbau für die untere Mittelklasse. Ohne Zweifel hat die Regierung in Addis einen wirtschaftlichen Aufschwung in Gang gesetzt dem aber noch ein finanzierbares Sozialkorset fehlt, für welches die kurzsichtigen Investoren aus Indien, China und den arabischen Ländern wenig Verständnis haben. Auch hemmt eine zu starre Bürokratie, ein Relikt aus der sozialistischen Vergangenheit und eine immer mehr ausufernde Inflation die nachhaltige Entwicklung des Landes. Vor allem die wuchernde Inflation mit steil ansteigenden Lebenshaltungskosten führt zu dem Paradox einer rapid wachsenden Wirtschaft mit zunehmender Verarmung weiter Bevölkerungskreise.. Von Addis braucht man gute 10 Stunden mit dem Auto bis nach Yabello in das Projektgebiet der Welthungerhilfe. Nachdem man die industriellen Vororte von Addis verlassen hat fährt man durch eine Landschaft, die von Linsen, Weizen, Gerste und Teff anbauenden kleinbäuerlichen Betrieben geprägt ist. Teff ist eigentlich kein richtiges Getreide sondern noch eine Gras-Art deren Samen jeden Tag zur Herstellung des Nationalgerichtes Injera verwendet wird. Injera wiederum ist ein Teig, welcher nach dem Backen als Unterlage für rohes oder gegrilltes Fleisch, Bohnen und Linsen, manchmal auch Rührei, dient. Teff schmeckt etwas säuerlich, soll aber sehr gesund sein. Nach etwa fünf Autostunden durchquert man eine Hochebene mit einer Riesenfarm, auf welcher während der Getreideernte eine Armada von Mähdreschern der Firma Claas aus Gütersloh operiert. Der Mann, dem diese Farm gehört, soll in Amerika wohnen. Auch kann man in einiger Entfernung mehrere große Seen erspähen. Etwas später, nachdem man die kleine aber saubere Stadt Awassa passiert hat, geht es wieder hinauf in die Berge, wo die Kleinbauern vom Kaffee- und Chat-Anbau leben. Die Droge Chat wird überall fleißig konsumiert und dazu in großen Mengen in die arabischen Länder exportiert. Wieder ein paar Stunden später dominiert eine Bananenart die landwirtschaftlichen Flächen, deren Stamm und Wurzel und nicht die Früchte als Grundnahrungsmittel dienen. Und dann endlich öffnet sich, soweit das Auge sehen kann, die unendliche dünn besiedelte Weite des Borana-Noma-

denlandes mit seinen welligen Hügeln und bizarren Höhen. Yabello ist ein kleiner Ort mit einer Ansammlung von hässlichen Lehmhütten und ein paar unschönen Ziegelbauten. Für Schönheit und Ordnung hat in schwarz Afrika meist niemand ein Auge und im Büro der Nichtregierungsorganisation welche ich beraten soll herrscht das absolute Chaos. Die Organisation arbeitet gleichzeitig für mehr als 10 Geber, hat etwa 20 Projekte zu bedienen und ist in ihrer Kapazität restlos überfordert. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie ein solches Durcheinander erlebt. Ein Büro für mich und meinen Kollegen Ralph Heeschen, welcher der Wasserkomponente des Projektes als Berater zugeordnet ist, gibt es nicht und so habe ich mein Büro in mein Hotelzimmer verlegt. Nach einer Anfangszeit in einem dunklen Loch ohne Licht und Wasser und einer durchgelegenen Schaumgummimatratze habe ich jetzt ein sauberes Hotelzimmerchen in welchem es zum Glück auch meist Wasser und Elektrizität gibt. Das Hotel liegt etwa 7 Kilometer vor dem Ort Yabello an einer Kreuzung, wo sich die einzige Asphaltstraße in unserem Projektgebiet, die an die Grenze von Kenia führt, mit einer Straße aus dem Westen in der Gegend des Nils trifft und auf welcher regelmäßig Abenteuertouristen reisen. Die Touristen brauchen nach maximal 300 Kilometern Piste Schlaf und deshalb gibt es an der Kreuzung zwei annehmbare Hotelchen. Außerdem gibt es an der Kreuzung zwei Tankstellen und eine Menge Chatbuden. Abends bestimmen die Hirten mit ihren Herden von Rindern, Ziegen und Schafen, die von weit entfernten Weiden zurückkehren, das Leben an der Kreuzung; so ist immer etwas los an unserer Junction. Morgens um 5 Uhr weckt mich kein Hundegebell wie in Myanmar sondern ein vielstimmiges Eselgeschrei. Dann mache ich einen Spaziergang damit mein künstliches Knie nicht aus der Übung kommt. Um 7.30 holt mich mein Fahrer am Hotel ab. Mein erster Fahrer hieß Major Wandemu. Den Titel Major habe ich ihm verliehen, den er war unter dem sozialistischen Megistu Regime Offizier in der äthiopischen Armee und als solcher auch für drei Jahre zur Ausbildung in der Sowjetunion. Unter der neuen Regierung

Ziegenverteilung

Alter Nomade

Kamelhirte mit Herde

Nomadenversammlung unter einem Akazienbaum in der Steppe.

Tempel/Pagode

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wurde er mit 50.000 anderen Soldaten der Megistu-Armee entlassen ohne dass er sich als Zivilist seine laute Kommandosprache abgewöhnen konnte. Das Kommando über den Einsatz des Fahrzeugs konnte ich ihm zwar entreißen, von seinem Kommandoton aber war er nicht abzubringen. Einmal, als wir zusammen die beeindruckende alte Kirche von Haila Selasi in Addis besichtigten, klingelt plötzlich sein Handy und schon donnert er im Kommandoton los als stände er auf einem Kasernenhof und nicht in einer ehrwürdigen Kirche. Ein anderes Mal krachten kurz vor uns zwei Autos zusammen. Ein kleiner weißer Mann lag blutend neben seiner blutüberströmten zierlichen äthiopischen Frau und fünf junge Männer liefen ziellos unter Schock hin und her und um die Fahrzeugwracks herum. Major Wandemu herrscht mich an: Du bleibst sitzen, soll heißen das machen wir schon. Das ist keine Arbeit für einen Franchi (Europäer). Wir haben dann trotzdem zusammen die Schwerverletzten eingeladen und in die Krankenstation der nächsten kleinen Stadt gebracht von wo sie ein UN Hubschrauber nach Addis in die Klinik brachte.

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seinen Dienst quittiert, mit dem Argument vier Wochen Staub schlucken auf den Pisten im Boranaland ohne Badewasser in Yabello, sein genug für einen Major. Jetzt ruft er mich jede Woche an und fragt ob es mir in Yabello immer noch gut geht. Nach Major Wandemu wurde Abdulah mein Fahrer, ein kleiner Muslim und Casanova dem ich zuerst einmal das Chatkauen während des Dienstes verbieten musste, der aber trotz seiner Jugend überlegt und vorsichtig fährt. Im Gelände fährt er sogar besser als Major Wandemu. Arbeitswütig ist er nicht. Nach einem langen Tag auf der Piste beklagt er sich über zu kurze und unregelmäßige Essenspausen, zu viel Stress und Rückenschmerzen.

heißt es doch so schön in einem altem Gedicht: Es ist so ruhig die Heide liegt im warmen Mittags Sonnenstrahle ein rosaroter Schimmer liegt über den alten Grabmälern, kein Ton der aufgeregten Zeit drang je in diese Einsamkeit.

Ich kann es einfach nicht fassen, obwohl unsere wenig befahrene schnurgerade Asphaltstraßen über viele Kilometer überschaubar ist, bringen es vor allem die jungen Fahrer der wenigen Minibusse und Kleinlastwagen immer wieder fertig auf dieser Straße frontal zusammenzustoßen, sich zu überschlagen oder andere Unfälle mit vielen Toten zu produzieren. Major Wandemu hat nach vier Wochen

Bei den Nomaden im Boranaland. Weihnachten ist schon lange vorbei aber der Rundbrief ist immer noch nicht weg. Über Äthiopien habe ich von Sooderee genug berichtet, denn ich habe ja nur wenig von diesem großen Land gesehen. Heute ist wieder ein Feiertag und zum Schreiben werde ich so schnell nicht wieder kommen, deshalb schnell noch einiges zu meiner Arbeit unter den Nomaden. Es ist wie an einem heißen Hochsommertag in Deutschland. Ich liege mittags unter einem Akazienbaum so wie vor fast siebzig Jahren als Sechsjähriger unter dem Apfelbaum im Garten meiner Großmutter und sehe verträumt in das endlose, tiefblaue Firmament über mir. Ein Bussard zieht hoch oben seine erhabenen Kreise. Kein Krach, keine Hektik sondern Ruhe und Zufriedenheit. Ich strecke und recke mich mit unendlichem Wohlgefühl. Wie

Schrill unterbricht mein Handy die Stille. Aus der Traum. Die Mittagspause ist vorbei. Der Bussard über mir ist kein Bussard sondern ein Geier und Braunfels und der Garten meiner Großmutter liegen in weiter Ferne. Wir leben zudem in Jahr 2012 und da funktioniert das Handy sogar in der Savanne. Dr. Kassim, einer der jungen Veterinäre, mit denen ich 24.000 Geißen in einem Gebiet so groß wie der Freistaat Bayern verteilen soll will wissen wo ich stecke. Er hat Recht, schließlich sind wir nicht hier um Urlaub zu machen. Heute haben wir 800 Ziegen prophylaktisch gegen Parasiten und Krankheiten zu behandeln und dann an 160 Nomadenfamilien zu verteilen. Das muss in Gegenwart von Regierungsvertretern mit einem Fingerabdruck 6-mal dokumentiert werden, denn die meisten Nomaden können nicht lesen oder schreiben. Dabei gibt es manchmal hitzige Auseinandersetzungen. Ein Mann will Ziegen holen, aber nicht er sondern seine Frau ist registriert und die ist nicht da, also bekommt er die Tiere nicht. Alles schreit durcheinander, jeder übertönt den anderen. Ich habe einen Vorschlag, aber niemand hört auf mich. Mit asiatischer Höflichkeit komme ich hier nicht weiter, also schreie ich überlaut auf Deutsch, Ruhe! Alles hört erschreckt auf zu lamentieren und starrt mich mit offenem Mund

Felsen„burg“

Termitenhügel

Borana-Kind


ungläubig an. Jetzt kann ich über Kassim der selber ein Borana ist, schnell in Ihrer Sprache ein paar Fragen stellen und siehe da die ist Sache ist zum Erstaunen aller in 5 Minuten zur allgemeinen Zufriedenheit geregelt. In 2010 und 2011 hat eine lang anhaltende Trockenzeit die Herden vieler Nomaden dezimiert zur Freude der Geier und Hyänen die es hier überall gibt. Vor allem die Ärmsten der Armen haben oft alle ihrer wenigen Tiere verloren. Deshalb wurden die Ziegen von Leuten gekauft die einigermaßen glimpflich durch die Dürre gekommen sind und danach an solche Familien verteilt, welche nicht alles verloren haben. Die 4.800 bedürftigen Familien der Aktion müssen zunächst zusammen mit einer Kommission von Regierungsund Nichtregierungsvertretern registriert werden. Die Aktivität wird von der deutschen Regierung daher dem Ministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ)finanziert. Die Welthungerhilfe arbeitet dabei als Unterauftragnehmer der GiZ. Anfangs hatten alle Beteiligten etwas Bammel vor dieser Aufgabe, denn keiner von uns brachte Erfahrung auf diesem Gebiet mit sich, aber zwischenzeitlich haben wir die Sache fest im Griff auch wenn es mit dem lokalen Partner immer wieder Schwierigkeiten gibt. Ja, ja die Boranas sind ein besonderes Völkchen. Sie wohnen zufrieden in erbärmlichen Rundhütten ohne jeden Komfort, schlafen wenn sie unterwegs sind auf Ziegenhäuten im Freien und wandern mit ihren Herden hunderte von Kilometern durch die Savanne. Gerne würde ich öfters mit ihnen unter freiem Himmel schlafen, aber leider kann ich keinen vernünftigen Schlafsack auftreiben und ohne einen solchen ist es in 1.800 Meter Höhe nachts zu kalt für einen empfindlichen Franchi. Die Frauen der Boranas lieben bunte Tücher und Kleider und reiben Ihre Haare mit Fett oder Milch ein. Die Männer laufen herum wie die Strauchdiebe und sind mit uralten, zerrissenen Klamotten und wilden Kopftüchern bekleidet. Im Augenblick geht es ihnen gut denn es hat im Oktober und November geregnet wie

seit langem nicht mehr, das Gras wächst wieder und das Vieh erholt sich von den mageren Jahren. Außerdem gibt es bis zur nächsten Ernte im Februar noch Nahrungsmittelhilfe für die Ärmsten. Dazu werden Brunnen rehabilitiert oder neu gebohrt, kurzum es passiert eine ganze Menge zu ihren Gunsten. Die Boranas haben schon vor hundert Jahren lange vor der ersten deutschen Republik ein demokratisches System entwickelt welches heute noch funktioniert und auch in Zeiten der Dürre und knappen Ressourcen für Frieden innerhalb des Stammes sorgt. Alles erinnert mich hier an die Geschichten im Alten Testament, denn Abraham war auch ein Nomade und sagte schon vor viertausend Jahren zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und Dir und zwischen meinen Hirten und Deinen Hirten, denn wir sind Brüder. Allerdings finden doch immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen mit den benachbarten Somaliern oder Gabras statt, welche nach weniger friedlichen Gesetzen leben. In der Regel geht es dabei um Zugang zu Wasserstellen oder Weideplätzen Da beide Seiten mit Kalaschnikows bewaffnet sind gibt es dabei Tote und Verletzte. Manchmal können wir deshalb nicht, wie geplant, in ein bestimmtes Gebiet fahren wo gerade wieder Unruhen ausgebrochen sind. Über die Grenze nach Kenia konnten wir aber sogar ohne Pass und Visum reisen. Wir waren gerade in Moyale, einer kleinen Grenzstadt im Boranaland. Diese Stadt wird in der Mitte von einer geraden, asphaltierten Straße durch eine Distriktgrenze geteilt. Links von der Straße liegt Somali-Land und rechts von der Straße Boranaland. Da bleibt es nicht aus, dass immer wieder Unruhen zwischen den zwei feindlichen Brüdern ausbrechen. Außerdem setzt sich die Stadt über die äthiopische Grenze nach Kenia hinein fort. Es gibt also ein Moyale in Äthiopien und ein Moyale in Kenia. Die Grenze nach Kenia wird nur durch ein Seil, welches über der Straße hängt, gesperrt. Fußgänger von hüben und drüben passieren die Grenze unkontrolliert aber ein Auto braucht eine Sondergenehmigung will es denn die Grenze passieren. Wir hatten Glück und brauchten den Grenzwächter, der oft nicht

vor Ort ist, nicht suchen, er saß in einem kleinen Schildwachen-Häuschen und las in einer Zeitung. Der Mann hatte Verständnis für meinen Wunsch einmal das kenianische Moyale zu besuchen. Zu Fuß und ohne meinen Reisepass den ich nicht dabei hatte, kein Problem, aber mit dem Auto verboten. Nach kurzer Diskussion erreichte Major Wandemu einen geeigneten Kompromiss. Wir versprachen dem Grenzposten in ein paar Stunden zurück zu sein und überließen ihm unsere zwei Laptops als Garantie und fuhren mit dem Auto über die verbotene Grenze. Auf der kenianischen Seite gab es nur freundliche Grenzer, welche ebenfalls volles Verständnis für meinen Wunsch hatten den kenianischen Teil von Moyale kennen zu lernen. So einfach ist es einen Auslandsbesuch zu machen wenn man Major Wandemu als Fahrer dabei hat. Einmal, ich hatte schon tagelang einen ordentlichen Dünnpiff und wir hatten gerade eine Gruppe bewaffneter Männer in Uniform und Halbuniform getroffen bekam ich, in the middle of nowhere, böse Koliken so dass mir schwarz vor den Augen wurde. Zum Glück waren es keine Nierenkoliken sondern eine heftige Amöbenruhr. Sonst aber freue ich mich über die großartige Landschaft, die vielen kleinen Dik diks, das sind zierliche kleine Zwergrehe, so groß wie bei uns ein Feldhase. Manchmal sehen wir auch ein Rudel Gazellen, Paviane oder Schakale und vor zwei Wochen hatten sich hunderte von Störchen bei uns in der Savanne ein Winterquartier ausgesucht. Wenn dann abends das Licht bei der Heimkehr funktioniert und ein paar Tropfen aus der Brause fallen ist mein Glück vollkommen. Neben dem Geißen-Projekt soll ich noch einen Vorschlag für eine langfristige nachhaltige Entwicklung draften. Denn alles was bisher passiert ist, war Nothilfe, die wichtig zum Überleben war und ist, aber nicht vor den Folgen der nächsten Dürre bewahren kann. Das ist eine interessante Aufgabe die mir viel Freude macht und bei welcher ich viele interessante Leute bei den Behörden, Instituten, Universitäten, traditionellen und zivilen Organisationen kennen lerne. Aber davon zu schreiben würde zu weit führen.

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Neue Kunstbücher Meisterwerke in der Emanzipation der Kunst vorgestellt von Thomas Hirsch Es hat in der Geschichte der Menschheit lange gedauert, bis sich die Bildende Kunst als eigene Disziplin emanzipiert und in der Folge personalisiert hat. Die Maler und Bildhauer hatten zunächst rein dienende – vermittelnde, moralische – Funktion. Im Abendland veranschaulichten sie mythologische Szenen und porträtierten herausragende Persönlichkeiten der sakralen und der weltlichen Sphären, häufig als Auftragsarbeiten, oft im Kontext von Architektur. Mithin waren die Künstler hochspezialisierte Handwerker. Familienbetriebe, Werkstätten und Schulen bildeten sich heraus, die große Meister hervorbrachten. Ein Indiz für die Tragweite, die der Zuordnung und Individualisierung der Werke beigemessen wird, ist die Findung von Notnamen. Mit der Etablierung der Kunstgeschichte als Fachdisziplin erfolgen die Zuschreibungen anhand von stil- und materialanalytischen Maßnahmen.

Konrad Witz, 392 S. mit 287 überwiegend farbigen Abb., gebunden mit Schutzumschlag, 31,2 x 25,5 cm, Hatje Cantz, 68,Euro Einer der frühen Meister des deutschsprachigen Raumes, dessen Biographie nur ansatzweise bekannt ist, ist Konrad Witz. Belegt ist Konrad Witz erst in Rottweil und ab 1434 in der Zunft in Basel. Sein Hauptwerk ist der Genfer Altar (um 1444), und der glückliche Sonderfall, dass die Rahmungen mit ihren Beschriftungen

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erhalten blieben, ermöglicht die Zuschreibung auf ihn. Auf den beiden Flügeln ist der Fischzug des Petrus zu sehen, eingefügt in die reale Umgebung des Genfer Sees – damit handelt es sich um die erste topografisch konkrete Landschaftsdarstellung der deutschen Malerei. Aber Konrad Witz gilt überhaupt als Neuerer der Kunst. Indem die Lichtquellen außerhalb des Bildes stammen und die Schatten in dieses fallen, erweitert sich der Illusionsraum über die Darstellung hinaus. Bei all dem ist Konrad Witz ein Meister des Realismus, der unterschiedliche Stofflichkeiten virtuos evoziert. Er lädt Mimik und Gesten expressiv auf und erfüllt die alten, biblischen Geschichten mit neuem Leben. Um so bedauerlicher ist, dass sein Werk nur in Teilen bekannt ist; immerhin befinden sich 14 Tafelbilder im Kunstmuseum Basel – soviel wie sonst nirgendwo. Es war also konsequent, dass das Basler Haus im vergangenen Jahr eine Ausstellung mit Konrad Witz durchgeführt hat. Das dazu erarbeitete Buch schafft den Spagat zwischen ästhetischer Berührung und wissenschaftlicher Analyse. Und es dokumentiert sämtliche Bilder von Konrad Witz, teils im Gegenüber mit den Infrarot-Reflektografien. Die Kunst von Konrad Witz ist aufrüttelnd, symbolisch und voller mutiger Neuerungen und Hinweisen auf das gesellschaftliche und kulturelle Umfeld, das teilt diese umfangreiche Monographie mit. Weniger attraktiv wirkt die Werkübersicht zu dem Bildschnitzer Hans Brüggemann, die Jan Friedrich Richter vorgelegt hat. Das liegt (aus unserer Perspektive) im Wesen des künstlerischen Mediums. Hans Brüggemann hat Altarretabel geschnitzt und deren Holz teils belassen, also nicht bemalt. Der Figurenkanon war vorgegeben. Aber das ändert nichts an der Bedeutung und dem Eindrucksvollen seiner Kunst auch nach 600 Jahren – und daran, dass dieser Überblick ein Desiderat war. Tatsächlich ist sein Hauptwerk bekannter als Brüggemann selbst, der Bordesholmer Altar, der 1521 vollendet wurde und sich heute im Schleswiger Dom befindet. Mit einer Höhe von 12,60 m ist er das größte erhaltene Schnitzretabel auf deutschem Boden und mithin ein Hauptwerk der Spätgotik.

Jan Friedrich Richter, Hans Brüggemann, 266 S. mit rund 200 s/w-Abb., geb. mit Schutzumschlag, 30,5 x 23,5 cm, Deutscher Verlag f. Kunstwissenschaft Berlin, 79,- Euro Hans Brüggemann war zunächst am Niederrhein und in den Niederlanden tätig; mit dem Wechsel nach Norddeutschland, an den Hof von Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein in Gottorf (ab 1514) entwickelten sich Kontakte insbesondere nach Dänemark. Jan Friedrich Richter zeigt nun die Beeinflussung durch Albrecht Dürer und das Klima am Niederrhein auf. Er betont, wie wenig norddeutsch sein Stil doch war und scheidet Hans Brüggemann von seinen Gesellen. Hilfreich für das Verständnis dieser Analysen sind die vergleichenden fotografischen Reproduktionen. Die Detailabbildungen schreiten sukzessive das Bordesholmer Retabel ab und arbeiten die plastische Staffelung und das Gestenreiche der Figuren heraus, gerade in den harten s/w-Kontrasten erschließt sich seine Kunst. Und die ist großartig. Ein weiteres bildnerisches Medium, das ebenso an der moralischen Vermittlung orientiert ist, ist die Druckgraphik. Die Kupferstiche und Holzschnitte waren erschwinglich und handlich, kamen zu der Bevölkerung und dienten der Textillustration. Frühe Meister sind die Brüder Sebald und Barthel Beham, die, aus Nürnberg stammend und dort wohl in der Werkstatt von Albrecht Dürer unterrichtet, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhundert gelebt haben. Ihre jeweiligen Werke greifen gesellschaftliche und religiöse Themen auf und


sich nicht wundern, dass viele der Werke so klein reproduziert sind: Sie sind so klein.

J. Müller, Th. Schauerte (Hg.), Sebald und Barthel Beham – Die gottlosen Maler von Nürnberg, 284 S. mit ca. 130 üwg. s/w-Abb., Broschur, 29,5 x 20 cm, Edition Imorde, Gebr. Mann Verlag, 39,90 Euro wenden sich gerade gegen Konventionen. Eine wichtige Rolle für die Brüder spielten Luther, die Reformation und Thomas Müntzer. Selbst schlossen sie sich dem radikalen Flügel der Täufer an; 1525 wurden sie wegen Ketzertum aus der Stadt Nürnberg verbannt, wohin sie später nur kurzzeitig zurückkehrten. Während Sebald, der mit seiner Kunst noch der Pornographie angeklagt wurde, über Umwege nach Frankfurt zog und dort mit seinen Kupferstichen und Holzschnitten ein gutes Auskommen hatte, ließ sich der jüngere Barthel in München nieder und etablierte sich neben der Tätigkeit als Kupferstecher als Porträtist im Bereich der Malerei. Aber wie radikal waren die frühen Druckgraphiken tatsächlich? Das zu einer Ausstellung im Albrecht-DürerHaus erschienene Buch vermittelt mit über 100 druckgraphischen Blättern die Dimensionen hinter den Darstellungen und die Brisanz für die damalige Zeit. Die Blätter sind in der Tat erstaunlich, mitunter von einer prallen Drastik – man spürt sofort, dass es sich hier um freie Kunst handelt, die ihrer Botschaft verpflichtet bleibt. Das Buch wurde vom SFB 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“ der Technischen Universität Dresden erarbeitet, wobei man allerdings nicht erfährt, was es damit auf sich hat. Egal, die Aufmachung des Buches ist engagiert und hingebungsvoll. Nur darf man

Total druckfrisch ist das vierte Buch, das am weitesten in die Vergangenheit zurückreicht: Im Hirmer Verlag ist eine hochkarätige Einführung zum Mosaik erschienen. Heute eher illustrativ und kunsthandwerklich begriffen, handelt es sich dabei im Altertum und in der Frühzeit der Kunst um hoch geschätzte, wertvolle Kunstwerke im Kontext von Architektur, die offen für die verschiedenen künstlerischen Genres waren. Das vermittelt nun der Prachtband anschaulich mit vielen Farbabbildungen. In seiner Systematik, mit der er in das Thema einführt und dann wichtige erhaltene Mosaike (und deren Umgebung) zeigt, hat er etwas von einem Schulbuch, und das ist nicht negativ gemeint. Der Überblick reicht vom Hellenismus bis in die Spätantike, vorgestellt werden etwa das Nilmosaik in Palestrina, die Casa del Fauno in Pompeji oder die römische Basilika des Junius Bassus und San Vitale in Ravenna. Immer tragen die Darstellungen etwas Deutliches, Direktes in einer für uns vielleicht überzogenen Dramatik, schon in der Mimik der Gottheiten – könnte man von einer frühzeitlichen Pop-Art sprechen? Die Mosaike referieren auf Gemälde, die längst verschollen sind, ihre Schöpfer bleiben namenlos. Aber daran, dass wir es auch hier nicht nur mit Kulturgütern, sondern auch mit Kunstwerken zu tun haben, ändert das nichts.

U. Pappalardo, R. Ciardiello, Griechische und römische Mosaiken, 320. S. mit 250 Farbabb., Leinen mit Schutzumschlag im Schuber, 33 x 26,5 cm, Hirmer, 118,- Euro

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Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

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Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte e. V. Band 14

Manfred Reuter

„In Treue fest“ Eine Studie über ausgewählte Polizeigewerkschaften und Polizeigewerkschafter in der Weimarer Republik

Verlag für Polizei wissenschaft

Über die Weimarer Republik ist schon viel geschrieben worden, ihre Parteien, Regierungen, das demokratische und das undemokratische Potential. Zu Letzterem gehörte die Polizei, die bislang kaum Gegenstand von Untersuchungen war. Manfred Reuter, der vor Aufnahme seines Studiums einige Jahre im Vollzugsdienst gearbeitet hat, legt eine Studie über Polizeigewerkschafter in der Weimarer Republik vor. Die große Mehrheit und vor allem das Führungskorps stand traditionell „In Treue fest“ zum Kaiser und verhielt sich nach 1918/19 der neuen demokratischen Republik gegenüber abwartend, wenn nicht feindlich. Was es an Vorläufern der heutigen Gewerkschaft der Polizei gab, fiel wie die Otto-BraunRegierung dem 1932 „Preußenschlag“ zum Opfer. Manfred Reuter, „In Treue fest“. Eine Studie über ausgewählte Polizeigewerkschaften und Polizeigewerkschafter in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft 2012 (= Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte, 14). 132 S., 16,90 Euro

Eine außergewöhnliche Veröffentlichung stellen Horst Lademachers „Grenzüberschreitungen“ dar, in denen er seinen „Weg zur Geschichtswissenschaft“ beschreibt. Lademacher, im Sauerland geboren, wo er heute wieder lebt, als Neunjähriger auf der NS-Eliteschule Napola, Abitur, Studium u. a. der Geschichte und der Niederlandistik, an niederländischen und deutschen Universitäten lehrend, zuletzt Chef des Niederlande-Instituts der Uni in Münster: In einem überdimensionalen Interview mit Burkhard Dietz und Helmut Gabel resümiert er seine Erfahrungen in einem noch lange Jahre nach der Befreiung verminten Gelände. Die deutsche Geschichtswissenschaft war traditionell konservativ bis stockkonservativ, hatte wenig Probleme, sich im Dritten Reich einnorden zu lassen und kämpfte auch im Kalten Krieg an vorderster Linie. Wenige hielten dagegen, der in kleinen Verhältnissen aufgewachsene mittlerweile 81-jährige Historiker der Arbeiterbwegung ist einer davon. Dem Buch ist weiteste Verbreitung zu wünschen – nur der Peis ist etwas üppig. Horst Lademacher, Grenzüberscheitungen. Mein Weg zur Geschichtswissenschaft – Erinnerungen und Erfahrungen im Gespräch mit Burkhard Dietz und Helmut Gabel, Münster/New York/München/Berlin: Waxmann 2012. 347 S., 42,00 Euro

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„Nur Geduld“ lautet das Motto des „Kinderzimmerkalenders 2013“ von Wolf Erlbruch. Die 13 Blätter bevölkern Katzen und Mäuse, aber auch Hunde, ein Geweihträger, Federvieh, Hasen, eine Eule und ein Pferd. Sie alle befinden sich in komischen Situationen, sind überfordert oder versuchen das Unmögliche. Und manchmal haben sie nur Angst wie das Häschen, das sich nicht traut, vom Drei-Meter-Brett herunterzuspringen. Es geht den Tieren wie den Menschen, lautet die Botschaft. Umgedreht: Es geht den Menschen wie den Tieren. Das aus Sicht des Rezensenten schönste Motiv: Eine Katze liegt mit gebrochenem und eingeschienten Bein im Krankenhausbett, und auf der Fußspitze turnt eine Maus herum, die auf den Gips geschrieben hat: „Nur Geduld! Mausi“. Der Stubentiger hat zwar die Krallen ausgefahren, aber dem grau Gefellten kann er damit nicht imponieren. Etwas ratlos schaut die Katze auf eine Portion Käse, die auf dem Nachttisch steht und geradezu darauf wartet, dass sich die Maus darüber hermacht. Erlbruchs Kalender ist einmal mehr zu wünschen, dass er in vielen Kinder- und Erwachsenenzimmern hänge. Mit Ungeduld wartet man schon auf die Ausgabe ... von 2014. Wolf Erlbruch, Kinderzimmerkalender 2013, Wuppertal: Peter Hammer 2012. 13 Blätter, 19,90 Euro


Neue Wuppertal-Kalender Bjørn Ueberholz – Fotografie 2013 Wuppertal In Zusammenarbeit mit Wuppertal Touristik und der Wuppertaler Rundschau hat Bjørn Ueberholz den Wuppertal Kalender 2013 erstellt. Er beleuchtet die schönen Seiten unserer Stadt und erhofft sich die gemeinsame Bewerbung aller dargestellten Besonderheiten unserer Stadt nach innen und außen.

Er ist bei den Reisebüros der Wuppertaler Rundschau und den Niederlassungen des Wuppertal Touristik, im Museum, am Döppersberg und demnächst auch in der Schloßbleiche zu haben. 13 hochwertige Vierfarb-Reproduktionen zzgl. 1 Übersichtsblatt. Format 33 x 30 cm. Er kostet 14,80 Euro. Verlag HP Nacke Die Wuppertaler Schwebebahn Sechs Fotografen und ihre Sicht auf die Wuppertaler Schwebebahn

Die Wuppertaler Fotografen Andreas Fischer, Karl-Heinz Krauskopf, Jörg Lange, Bettina Osswald, Uwe Schinkel und Bjørn Ueberholz lieferten interessante Motive aus teils ungewöhnlichen Perspektiven, die die Schwebebahn in faszinierenden Bildern darstellen. 13 hochwertige Vierfarb-Reproduktionen zzgl. 1 Übersichtsblatt. Format 36,5 x 30 cm. ISBN 978-3-942043-89-2, Preis im Buchhandel 14,90 Euro.

Pina Bausch Tanztheater Wuppertal mit Fotografien von Jochen Viehoff im Verlag HP Nacke Wuppertal Pina Bausch lebt ! Die aktuellen Fotografien von Jochen Viehoff im neuen Pina Bausch-Kalender 2013 zeigen die überraschende Lebendigkeit, die in den weltweiten Aufführungen des Wuppertaler Ensembles auch drei Jahre nach dem Tod der berühmten Choreografin noch auf die Bühne kommt.

13 hochwertige Vierfarb-Reproduktionen in Staccato-Rasterung, Fotos glänzend lackiert, zzgl. 1 Übersichtsblatt. Format 30 x 48 cm auf 200 g/m2, matt Kunstdruck. ISBN 978-3-942043-88-5, Preis im Buchhandel 18.90 Euro

The art of tool making

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Kulturnotizen

Vorschau Fr., 25. Januar 2013, 19 Uhr, Pavillon ...einer Amsel zupfeifend Mit Werken von Claude Debussy, Elliott Carter, Wolfgang Rihm, Salvatore Sciarrino, Maurice Ravel, Huw Watkins. Atmosphäre und Stimmungen in der Musik des 20. Jahrhunderts, ausgehend von den beiden Impressionisten Debussy und Ravel, stehen im Vordergrund. Flöte und Harfe sind zwei Instrumente, die ganz besonders für den Klangfarbenreichtum des Impressionismus stehen. Beide Instrumente haben aber auch hundert Jahre später Komponisten wie Salvatore Sciarrino und Wolfgang Rihm zu Werken mit ähnlichen Intentionen, jedoch in einem ganz neuen Stil, inspiriert. Bei Sciarrino ist es ein Gemälde Arnold Böcklins (Faun, einer Amsel zupfeifend), das hinter einem klangvollen Werk für Flöte und Harfe steht. Rihm greift ganz bewusst auf die Besetzung von Ravels Introduction et Allegro zurück und evoziert schon mit dem Titel En plein air eine ganze Reihe impressionistischer Bilder. Elliott Carter bleibt auch mit seinem Alter von 104 Jahren der sympathische amerikanische Komponist, des-sen Werke Vielschichtigkeit und Gleichzeitigkeit von Charakteren auszeichnen.Esprit rude / Esprit doux I könnte man auch als ein komplexes Gespräch zwischen Klarinette und Flöte bezeichnen – gleichzetitig abstrakt wie emotional. Sa., 23. Februar 2013, 19 Uhr, Pavillon So., 24. Februar 2013, 18 Uhr, Pavillon differing movements Es kommt Bewegung in den Pavillon – zeitgenössische Musik und Tanz finden zueinander. Mit Werken von Gabriel Prokofiev, Joe Cutler, Tan Dun, Detlev Glanert, Arvo Pärt, John Adams Ausstellung Didier Vermeiren Noch bis So, 17. 2. 2013 Das gesamte Oeuvre Didier Vermeirens (geb. 1951 in Brüssel) entwickelte sich in einem steten Austausch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen einer Interpretation der Geschichte der Bild-

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hauerei einerseits und der zeitgenössischen Erforschung ihrer Essenz andererseits. Die Inkorporation des Raumes durch die Skulptur - des ganzen Raumes, einschließlich des Firmamentes - ist, so verstanden, eine der charakteristischen Eigenschaften der Bildhauerei des 20. Jahrhunderts. Carl Andre sagte einmal in Bezug auf Brancusis Unendliche Säule, dass seine eigenen Skulpturen, die so gänzlich horizontal, flach ausgebreitet und ebenerdig sind, dennoch „eine Säule aus Luft“ über ihrer Oberfläche erzeugen, die man sich „endlos“ ansteigend über die Werke hinaus oder begrenzt durch den Himmel oder das Gewölbe des Gebäudes vorstellen kann. Öffnungszeiten: März – November: Di – So 10 – 18 Uhr Dezember – Februar: Fr – So 10 – 17 Uhr An Feiertagen geöffnet. Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal 0202-3172989 www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Literarisch-musikalische Forschungsreise durch das Bergische Am Donnerstag, den 10. Jan. 2013 um 20 Uhr lädt kreativ50plus an der Akademie Remscheid zur Lesung „…ins blaue…“ ein. In 15 erfolgreichen Lesungen hat das Trio „literaturprogramme.de“ bereits Aspekte des Lebens und Wohnens im Bergischen Land mit Musik und Literatur beleuchtet. Im Rahmen von kreativ50plus resümieren die Schauspieler Caroline Keufen & Olaf Reitz, begleitet von der Akkordeonistin Ute Völker, in einem „best-of“-Programm aus den Reisen in die Vergangenheit und in die Zukunft. Mit viel Spielfreude und Humor lesen sie aus regionalen Texten, Fachberichten, Journalen, rezitieren Lyrik und Prosa verschiedener Jahrhunderte und Autoren. Damit ziehen sie eine anregende Bilanz zum Thema Heimat. – Kosten 5,- Euro

Literaturprogramme.de ist ein Trio für musikalische Lesungen. Die Schauspieler Caroline Keufen und Olaf Reiz lesen, Ute Völker improvisiert mit Akkordeon. Digitalfotografie/Internet mit Apple Kreativ50plus an der Akademie Remscheid bietet im Januar zwei Seminare für alle, die ihren Mac besser für sich nutzen möchten. Im OP 251 Apple Spezial: Digitalkamera und Applecomputer - leicht gemacht I können Interessierte mit Digitalkamera hier praktisch erkunden, wie die kleinen Technikwunder funktionieren und sich mit den grundlegenden Einstellmöglichkeiten beschäftigen. Sie können herausfinden, was ein Foto aussagekräftig macht: Überzeugende Motive, wirkungsvolle Ausschnitte und Perspektiven, spannende Farben, Bildaufteilungen und vieles mehr. Im Workshop steht das lustvolle und kreative Fotografieren im Vordergrund. Inhalte sind aber auch, wie man die Bilder von der Kamera auf den Apple-Computer überträgt, sie sortiert und von da aus zum Fotolabor weitergibt. Termin: Fr., 11. 1., 15 Uhr – So. 13. 1. 2013, 13 Uhr Dozentin: Sonja Wessel Heute findet man fast alles im Internet. Nur wie? Im OP 252 Apple Spezial: Mit dem Applecomputer im Internet lernen Sie, mit Ihrem Apple Computer im Internet zu recherchieren. Sie erfahren, wie Sie interessante Inhalte herunterladen, Lesezeichen setzen. Sie beschäftigen sich mit der für Sie passenden Einrichtung Ihres Webrowsers, der Weitergabe von Links an Freunde und vielem mehr, um den riesigen Informationspool Internet sinnvoll nutzen zu können. Sie lernen außerdem, über das Web kostenlos mit Freunden in aller Welt zu telefonieren oder ortsunabhängig von Bildschirm zu Bildschirm Computerhilfe zu bekommen. Bringen Sie ihre Fragen mit und probieren Sie alles Gehörte im Kurs gleich aus. Termin: Mo., 14. 1. 15 Uhr –Mi. 16. 1. 2013, 13 Uhr Dozentin: Sonja Wessel www.kreativ50plus.de


Müllers Marionetten-Theater Im Dschungel(buch) sind die Affen los! Die Elefanten singen, die Affen tanzen und Schlangen und Tigern wird gehörig der Marschgeblasen. Mit der Wiederaufnahme von „Das Dschungelbuch“ am 11. Dezember 2012 zeigt sich Müllers Marionetten-Theater kurz vor Jahresende noch einmal von seiner komischsten Seite.

Diese Gemütlichkeit kennen wir! Herzerfrischend und urkomisch heizen Mogli und seine Freunde mit heißen UrwaldSongs in der kalten Jahreszeit ordentlich ein. Ein heiteres Stück nach der berühmten Geschichte von Rudyard Kipling für Theater- und Dschungelfreunde von 3 bis 99 Jahren. Mit Songs von Uwe Rössler, Terry Gilkyson, Richard M. Sherman und Robert B. Sherman. Aufführungstermine: 11., 12., 13., 14. Dezember 2012, jeweils um 11 Uhr, 15. und 16. Dezember 2012, jeweils um 16 Uhr

Knusper knusper knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen? Grimms Märchen kennen und lieben Klein und Groß. Zum Abschluss der Jubiläums-Spielzeit und im Rahmen des Grimm-Jahres zeigt Müllers Marionetten-Theater zwei weitere Klassiker des berühmten Märchen-Brüder-Paares. Ebenso betörend ist auch Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau. Die berührende Bühnenfassung von Günther Weißenborn lässt den Zuschauer für eine Stunde eintauchen in die schönste Unterwasserwelt – bunte Fische, die Hip-HopLieder singen, bildschöne Nixen, die in paillettenbestickten Kostümen um die Wette glänzen, ein zartfarbiges Bühnenbild und eine Geschichte, die sowohl Kindern als auch Erwachsenen auf besondere Weise an die Herzen geht. Untermalt ist das Stück mit der bewegenden Musik von Uwe Pferdler. Aufführungstermine: Frau Holle 4., 5., 6., 7. Dezember 2012 jeweils um 11 Uhr, 8. und 9. Dezember 2012 jeweils um 16 Uhr Hänsel und Gretel 18., 19., 20. Dezember jeweils um 11 Uhr, 19., 22., 23., 26., 27., 29., 30. Dezember 2012 jeweils um 16 Uhr Eine kleine Meerjungfrau 13., 19., 20., 26., 27. Januar jeweils um 16 Uhr

Märchenhafte Winterzeit Müllers Marionetten-Theater spielt Klassiker und Neuerscheinungen In diesem Winter geht es in Müllers Marionetten-Theater wahrhaft märchenhaft zu. Für eine klassische Weihnacht zeigen Ursula und Günther Weißenborn im Dezember „Frau Holle“ und „Hänsel und Gretel“, im Januar kommt dann „Die kleine Meerjungfrau“ gleichsam mitreißend wie modern daher.

Zauberhafte Flötentöne Müllers Marionetten-Theater zeigt am 11. Januar 2013 um 19:30 Uhr „Die Zauberflöte“, ein anspruchsvolles Kulturerlebnis für Erwachsene. Damit auch die Kleinen die virtuose Marionetten-Oper erleben können, hat Günther Weißenborn eine verkürzte kindgerechte Fassung inszeniert, die ebenso wie das Original durch seinen hohen musikalischen Anspruch überzeugt. Kleine Operngäste erwartet

am 12. Januar 2012 um 17 Uhr eine Vorführung, die lustig und anrührend, spannend und lehrreich zugleich ist. Sie ist alles zusammen: Abenteuergeschichte, Liebesromanze, Schauermärchen. Sie ist spannend, anrührend und lustig und sie stellt eine wertvolle Sammlung der schönsten Melodien dar. Diese Oper enthält Lieder, die über Jahrhunderte bis heute aktuell empfunden werden – nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern, die dem einnehmenden Gesang und der Musik erfahrungsgemäß gebannt lauschen. Müllers Marionetten-Theater hat sich erlaubt, neben der Original-Oper für Erwachsene, die seit Jahren erfolgreich läuft, mit der „Zauberflöte für Kinder“ eine Oper so einzurichten, dass Kindern nach dem Theaterbesuch noch Zeit zum Abendessen und Spielen bleibt. Herausgekommen ist eine Inszenierung, die Klein und Groß in ihren Bann zieht, neunzig beglückende Minuten lang. Termine: Zauberflöte: 11. Januar 2013 um 19:30 Uhr Zauberflöte für Kinder ab 8 Jahren: 12. Januar 2013 um 17 Uhr, Eintritt: 11,– Euro/ermäßigt 8,– Euro Ein Varieté der besonderen Art Marionetten tanzen Striptease, Rap und „in the rain“ In ihrem Jubiläums-Varieté präsentieren Ursula und Günther Weißenborn von Müllers Marionetten-Theater am 31. Dezember 2012 um 18 und um 20:30 Uhr die komplette Spannbreite ihres puppenspielerischen Könnens. Mit den schönsten Szenen ihrer Stücke und noch nie gezeigten Showeinlagen wie einem aufregenden Marionetten-Striptease zeigen die Wuppertaler Puppenspieler an Silvester das, was mit Marionetten eigentlich nicht möglich ist. Es ist die hohe Schule des Marionettenspiels, der in den Varieté-Programmen in kurzen, knackigen Szenen gehuldigt wird: Es sind Maler, Tänzer, Sängerinnen, Rapper, Stepper und Äquilibristen am Werk, wenn es darum geht, die Schwerkraft zu überlisten und die Herzen zu erobern. Der kunstvolle Rap aus „Die kleine Meerjungfrau“, eine der anrührenden Szenen zwischen Papageno und Papagena aus der „Zauberflöte“, ein Ballettsolo aus dem Schwanensee, ein tolldreister MarionettenStriptease und noch vieles mehr verbinden

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Kulturnotizen Zweite Haut Ausstellung von BBK Bergisch Land und Gästen in OLGA – Raum für Kunst – Ludwigstr. 14, 42105 Wuppertal, www.o-l-g-a.de Von 17. 11. 2012 bis 15. 12. 2012 Vernissage: Sa.17. 11. 2012, 18.00 Uhr Finissage: Sa. 15. 12. 2012, 17.00 Uhr Ursula und Günther Weißenborn zu einem facettenreichen Varieté-Abend, mit dem sie ihren Gästen in der Jubiläums- Spielzeit einmal mehr eine wundervolle Marionetten-Vorführung bieten. Denn obgleich Marionetten ja nur Holzstücke an Fäden sind, transformiert sich die tote Materie im Theater ins Wunderbare, sodass der Heitere beglückt und der Verstockte beflügelt wird! Termine: 31. Dezember 2012 18 und 20:30 Uhr Bitte beachten Sie, dass ab sofort Vormittagsvorstellung auch für kleine Gruppen jederzeit möglich sind! Wuppertaler Bühnen Vom guten Ton. Die Welt ist voll Geplapper Musiktheater für vier Singstimmen, vier Bläser & Zupforchester. Text: Cornelie Müller, Komposition: Thomas Beimel Dorothea Brandt (Sopran), Michaela Mehring (Mezzosopran), Jud Perry (Tenor), John Jannsen (Bariton), Bläser der Wuppertaler Sinfoniker, MandolinenKonzertgesellschaft Wuppertal

Ltg. Detlef Tewes Bühne + Inszenierung: Cornelie Müller Uraufführung: 21. 10. weitere Aufführungen: 27. 10. / 30. 11. / 7. 12. / 9. 12. / 16. 12. www.wuppertaler-buehnen.de

Ein junger Mann möchte heiraten. Seine Mutter hat aber schlimme Vorahnungen. Sie erfährt, dass die Braut schon einmal verlobt war mit Leonardo, einem Mitglied der »Mörderfamilie«, die ihren Mann und ihren ältesten Sohn getötet haben. Ihre Visionen werden Realität, die Logik der Blutrache lässt keinen Ausweg. Während der Hochzeitsfeier verschwindet die Braut. Sie flieht mit Leonardo, denn er hat sie, sie hat ihn nie vergessen können. Der Bräutigam setzt ihnen nach, und als er sie stellen kann, kommt es zur Tragödie.Wolfgang Fortner hat 1951 das Theaterstück von Federico García Lorca vertont, der 25 Jahre zuvor während des spanischen Bürgerkrieges von der faschistischen Falange ermordet wurde. Premiere 13. Januar 2013 – Opernhaus Inszenierung / Bühne: Christian von Götz Musikalische Leitung: Hilary Griffiths Schauspiel Leonce und Lena ein Lustspiel von Georg Büchner Büchners Lustspiel von 1836 wirkt leichtfüßig, und ist gespickt mit satirischen Anspielungen und versteckten Boshaftigkeiten, die das Duodezfürstentum und die Gedankenlehre des herrschenden Adels aufs Korn nahm. Es erzählt von Gemütszuständen einer jungen Generation: Antriebslosigkeit, Unsicherheit, Zukunftsangst, Verweigerung und Auflehnung gegen Strukturen und Autoritäten. Kommt einem irgendwie bekannt vor… Premiere 25. Januar 2013 – Opernhaus Inszenierung: Markus Lobbes Dramaturgie: Oliver Held

Termine Literaturhaus Wuppertal e.V.

Weitere Aufführungen der Wuppertaler Bühnen: Musiktheater Bluthochzeit Lyrische Tragödie in zwei Akten von Federico García Lorca //// deutsch von Enrique Beck, Musik von Wolfgang Fortner.

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Erika Windemuth, Hände. Foto: S. Steinprinz Teilnehmerinnen: Barbara Held, Sylvie Hauptvogel, Zahra Hassanabadi, Sabine Kreiter, Birgit Litsch, Doris Oberschachtsiek, Petra Pfaff, Maria Pienkowski, Birgit Reinhardt, Ulla Schenkel, Jule Steinbach, Ruth Velser, Erika Windemuth, Teresa Wojciechowska Gemeint ist die zivilisatorische Hülle zwischen ICH und NICHT-ICH: Schmuck, Schutz, Käfig? Erfahrungen aus diesem Zwischenbereich werden mit den Mitteln der Kunst geformt, gebündelt und auf einen Punkt gebracht. Der schmale Steg dieser Definition führt ins Reich der Poesie, der Verführung, des Protestes, des Spotts und der Ironie. So fokussieren die KünstlerInnen das Thema auf ganz unterschiedliche Weise: Es wird mit verschiedenen Materialien gearbeitet: weichen, organischen, harten, transparenten, abweisenden und anderem. Gezeigt werden Performances, Video, Objekte, Bilder, Kostüme, Skulpturen. Öffnungszeiten: Mi. 15 –19 Uhr, Sa. 11 –15 Uhr, So. 11–15 Uhr

Szenenfoto einer Aufführung des BackstageKlubs des Münchner Volkstheaters.

12.12.2012 - 19:30 Uhr Jan Brandt liest aus „Gegen die Welt“ <http://www.literaturhaus-wuppertal. de/termine/2012/jan_brandt.php> Schauplatz der Romanhandlung ist das ostfriesische Dorf Jericho, in das Mitte


der 1970er Jahre der schüchterne Daniel Kuper hineingeboren wird. Jan Brandt schrieb ein Epos über das Erwachsenwerden in der Provinz, über Freundschaft, Pop und Außerirdische. 23.01.2013 - 19:30 Uhr Leif Randt: „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ <http://www.literaturhaus-wuppertal.de/ termine/2012/leif_randt.php> In seinem zweiten Roman entwirft Leif Randt eine kunststoffschöne Welt am Abgrund, die ebenso utopisch wie greifbar nah scheint. Doch die goldenen Tage von CobyCounty sind gezählt. Johnny Cash Show Well, you’re my friend Von Johnny Cash und Weggefährten Von 1969 bis 1971 moderierte Johnny Cash im amerikanischen Fernsehen jeden Samstag die „Johnny Cash Show“. Getreu seinem Motto „Do the Right Thing“ versammelte er die spannendsten Künstler seiner Zeit vor der Kamera und überwand dabei spielend leicht alle sozialen, rassistischen und politischen Grenzen, die Amerika in diesen Jahren zerrissen. Es war immer wieder überraschend, wer vorbeischaute und zum unnachahmlichen Sound der Sendung beitrug: Louis Armstrong spielte Country Songs, Ray Charles machte „Ring of Fire“ zum ultimativen Blues, Bob Dylan, Neil Young und Anita Carter sangen ihre großen Songs, Dennis Hopper rezitierte Gedichte, Andy Kaufman verwandelte sich in Elvis

und Cash selbst sang mit allen im Duett. Nach über 80 erfolgreichen „A Tribute to Johnny Cash“-Abenden im Schauspielhaus führt das Team um Thomas Anzenhofer und Torsten Kindermann nun die „Johnny Cash Show“ in die zweite Runde. 31. Dezember 2012, 16 Uhr und 20 Uhr, Karten nur an der Kasse www.schauspielhausbochum.de

August Macke-Haus Bonn Im Garten der Kunst Hommage an Hans Thuar zum 125. Geburtstag Ausstellungsdauer: bis zum 27. Jan. 2013

Siza-Pavillon – Forum für räumliches Denken – Raketenstation Hombroich Aus den Beständen der Insel Hombroich: Bruno Goller. Bilder & Zeichnungen noch bis 6. Januar 2013

Hans Thuar, Reh in Berglandschaft, 1914, Öl auf Leinwand, 55 x 90 cm, Privatbesitz Mit seinen leuchtenden Landschaften, farbintensiven Stillleben und psychologisch feinsinnigen Porträts gehört Hans Thuar zum inneren Kreis der rheinischen Expressionisten. Geboren 1887 bei Lübben im Spreewald, verbrachte er seine Kindheit in Köln und war nach einem schrecklichen Unfall im Alter von elf Jahren an den Rollstuhl gefesselt. Inspiriert durch seinen besten Freund, August Macke, wandte sich Hans Thuar früh der Kunst zu und entwickelte in der Auseinandersetzung mit der Avantgardekunst seiner Zeit noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine seinem Naturell entsprechende, kraftvolle, expressive Malerei. Ein dynamischer Pinselstrich, ein pastoser Farbauftrag und die Zerlegung der Bildgegenstände in ein kubistisch inspiriertes Formenkonglomerat charakterisieren seine Bilder der Zwanziger Jahre.

Hans Thuar, Gefällter Baum (Flodeling), 1912, Öl auf Leinwand, 51 x 80 cm, Kunstmuseum Bonn Anlässlich seines 125. Geburtstages widmet ihm nun das August Macke Haus eine umfangreiche Schau seines eindrucksvollen Werkes mit zahlreichen Arbeiten aus Privatbesitz. www.august-macke-haus.de

Bruno Goller gilt als einer der bedeutendsten Maler Deutschlands im 20. Jahrhundert. Sein Werk entzieht sich weitgehend künstlerischen Strömungen und kunsthistorischen Zuweisungen; es ist zwingend sich selbst verpflichtet. Dem Kunstbetrieb verweigerte sich Bruno Goller lebenslang zunehmend; er ist „eine der authentischsten Figuren der Kunst vor und nach der Jahrhundertmitte“ (Werner Schmalenbach). In der Ausstellung im Siza-Pavillon auf der Raketenstation Hombroich sind mehr als 40 exemplarische Werke aus sieben Jahrzehnten (1922–1993) zu sehen, darunter einige, die bisher noch nicht gezeigt wurden. Ergänzt wird sie durch ein Porträt Gollers, das sein prominentester Schüler, Konrad Klapheck, gezeichnet hat. „Bruno Goller. Bilder und Zeichnungen“ weist voraus auf eine geplante Reihe Aus den Beständen der Insel Hombroich mit hochkarätigen Ausstellungen etwa zu Hans (Jean) Arp, Bernd und Hilla Becher, Gotthard Graubner, Konrad Klapheck, August Sander oder Oskar Schlemmer. Durch ausgewählte bildende Kunst, Fotografie und Literatur werden die weiterhin im SizaPavillon auf der Raketenstation Hombroich stattfindenden Ausstellungen im Grenzbereich Architektur und Skulptur ergänzt. Stiftung Insel Hombroich Raketenstation 4, D-41472 Neuss, Tel. 02182/887-4000 Öffnungszeiten der Ausstellung jeweils Mi, Sa, So, 12–18 Uhr sowie am 26. Dezember von 12–18 Uhr www.inselhombroich.de

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Tagesnotiz Am Nachmittag zuhause trete ich einmal auf die Terrasse. Oma sitzt dort, ganz eingepackt in Bademantel, Schal und Zipfelmütze. Nur das kleine Gesicht ist zu sehen.

Ich setze mich zu Oma auf die Bank. Vor uns im Garten steht der hilfsbereite Marek auf der Leiter und fuhrwerkt in unserem Kirschbaum herum. Die Äste werden geschnitten.

Über uns spannt sich ein wunderbarer Herbsthimmel, zartblau mit hellgrauen Wolken. Nach den Therapiebüchern über Imaginations-Therapie, die mir in letzter Zeit begegnet sind, wäre das die perfekte Vorstellung von Gesundheit. Man muss sich diesen Himmel vorstellen und wird gesünder.

„Schau dir diesen Himmel an, Elisabeth“, sage ich zu Oma. „Dabei werden selbst Kranke gesund.“ Oma beginnt zu singen, und ich falle ein: Und in den Schneegebirgen, da fließt ein Brünnlein kalt. Und wer das Brünnlein trinket, und, wer das Brünnlein trinket, wird jung und nimmer alt.

Ich hab daraus getrunken So manchen frischen Trunk. Ich bin gesund geworden, ich bin gesund geworden, ich bin noch immer jung. Oma beherrscht den Text. Ich kannte die zweite Strophe nicht. Ich packe meine Sachen zusammen. Der Nachmittag kann beginnen. Wenn man immer nur an den gegenwärtigen Augenblick denken würde, wäre alles in Ordnung. Karl Otto Mühl

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