Die Beste Zeit Ausgabe 1

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für’s schönste Alter Wuppertal und Bergisches Land

Okt. / Nov. 2009 - 3,50 Euro

Claude Monet Von der Heydt-Museum Wuppertal 11. Oktober 2009 - 28. Februar 2010

Besuch im Jammertal Eine stille, grüne Senke am Rande des Ruhrgebietes

Karl Otto Mühl Im schwarzen Anzug Zur alten Bergbahn

Pina Bausch Tanztheater Wuppertal Schönheit und Schmerz

Rudolf Schoofs Landschaft ist auch Geste Zum Tod von Rudolf Schoofs

Michael Zeller Die Soester Fehde Schauspiel in 2 Akten

Tony Cragg Skulpturenpark Waldfrieden

Uwe Ochsenknecht Der Romeo gegen den Strich

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Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, hat man wie ich sein ganzes bisheriges Leben im Tal und in den Bergen an der Wupper verbracht, dann weiß man um die schönen Seiten dieser Region, die doch so oft ins Abseits gerät, nicht selten hinter Ruhrgebiet und Rheinland zurückstecken muss und auf den vielen Rankings unserer Zeit meist die letzten Plätze einnimmt. Dabei hat die kulturelle Landschaft zwischen Remscheid, Solingen und Wuppertal viel mehr zu bieten, als Zugereiste und Besucher hinter der Fassade bergischer Verschlossenheit zunächst erahnen. Wer einen Blick in die örtlichen Kulturprogramme wirft, mag von dem großen Angebot überrascht sein. Kunst, Musik, Theater, Tanz, Literatur, Kino, kulinarische Genüsse und Orte, an denen man die Seele baumeln lassen kann, gibt es im bergischen Städtedreieck zuhauf. Zahlreiche Künstler, Kreative und Kulturschaffende bilden mit ihrem Engagement, ihren Ideen und ihren Unternehmungen ein einzigartiges, produktives Netzwerk, das die Vielfalt und die hohe Qualität des hiesigen kulturellen Angebotes prägt und die Szene so lebendig macht. Im bergischen Städtedreieck geht es daher alles andere als provinziell zu, wie die Bergischen gern belächelt werden. Hier ist vielmehr verwirklicht, was für die sogenannte deutsche Provinz typisch ist – anders als etwa in Frankreich, wo sich das kulturelle Leben traditionell auf die Hauptstadt Paris konzentriert. Trotz des Berlin-Booms der letzten fünfzehn Jahre und den Einschnitten in den kommunalen Kulturhaushalten gibt es auch in den kleineren Großstädten unseres Landes noch immer ein qualitativ wertvolles und innovatives Kulturangebot, das für gehobene Lebensqualität sorgt und auch überregional von sich reden macht. Das bergische Städtedreieck ist da keine Ausnahme. Hier hatte Pina Bausch ihr Zuhause, hier wird jährlich der Bergische Kunstpreis vergeben, Künstler und Musiker von Weltruf wirken hier und der Boden für literarische Werke ist fruchtbar. Die Provinz, so meine ich, steckt eigentlich in den Köpfen der Menschen. Sie lässt sich nicht an der Anzahl der Einwohner ablesen und ist in Hamburg oder Berlin prozentual genauso verbreitet wie in Remscheid oder Radevormwald. Als langjähriger Kulturschaffender in Wuppertal mit vielen Kontakten zur Kunst-, Literaturund Musikszene der Region ist es mir schon lange ein persönliches Anliegen, den kulturellen Reichtum an der Wupper und darüber hinaus in einem anspruchsvollen Magazin zu präsentieren. Jetzt ist es soweit – Sie halten heute Die beste Zeit in Ihren Händen – ein Magazin mit vielen Seiten voller Kunst, Kultur und Lebensart aus dem Bergischen Land, das in Zukunft wieder vier bis sechs mal pro Jahr erscheinen wird. Ich möchte damit einer Leserschaft in den besten Jahren Orientierung bieten, wie die kostbare freie Zeit mit Qualität und Lebensart gefüllt werden kann. Wie ich, haben Sie Die beste Zeit noch vor sich. Und die hängt, wie inzwischen bekannt ist, keineswegs vom biologischen Alter ab. Sie fühlen sich aktiv, Sie sind an Neuem interessiert und Sie wissen, was Sie wollen: Die beste Zeit energisch in die Hand nehmen. Sie müssen nicht mehr alles mitmachen – dafür ist Ihnen Ihre Zeit zu wertvoll –, sondern Sie beschränken sich gern auf das, was wirklich zählt und was die Zeiten überdauert. Ganz einfach: Von allem nur das Beste. Endlich also ist die Zeit gekommen, in der Sie genug Zeit und Muße haben, sich den schönen Künsten zu widmen und das Leben zu genießen: Die beste Zeit. Neben Bekanntem und Etablierten aus dem Bergischen Land und der näheren Umgebung möchte ich Sie auf den nächsten Seiten auch auf Unerhörtes und Herausragendes neugierig machen, das Ihre beste Zeit bereichern könnte. Und sollten Sie sich entscheiden, einmal nicht auszugehen, sondern in aller Ruhe zu Hause zu bleiben, möchte ich Ihnen allein schon beim Anschauen und Lesen des Magazins einen Genuss bereiten. Um Ihnen nachhaltig Qualität liefern zu können, habe ich bekannte und anerkannte Kulturjournalisten, Künstler und Literaten aus der Region dafür gewinnen können, zur besten Zeit mit ihrem Sachverstand beizutragen. Bei der ästhetischen Gestaltung der vor Ihnen liegenden Seiten lasse ich ebenso viel Sorgfalt walten wie bei der Auswahl der Inhalte, damit Die beste Zeit ein Erlebnis für Auge und Geist wird. Viel Freude beim Lesen und Genießen wünscht Ihnen Ihr HansPeter Nacke

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Aktuelle Ausstellung:

Lilli Hill | Herbert Mehler

HÜLLE UND FÜLLE Malerei | Skulptur 01. November - 19. Dezember 2009

Kolkmannhaus | Innenhof | 1. Etage | Hofaue 55 | 42103 Wuppertal Tel. 02 02 - 612 758 50 | Fax 02 02 - 612 758 51 | Mobil 0 175 - 410 48 77 www.janzen-galerie.com | info@janzen-galerie.com Vermittlung von zeitgenössischer Kunst Wechselnde Einzelausstellungen Objektgestaltung | Art Consulting | Kunstkonzept

Bausch Kalender Pina Bausch Tanztheater Wuppertal 2010 Pina 2010 Tanztheater Wuppertal Fotografien von Jochen Viehoff

Mit Fotografien von Jochen Viehoff, Wuppertal

13 Szenenfotos aus

Neues Stück 2009 · Iphigenie auf Tauris · Danzón Das Frühlingsopfer · Kontakthof · Komm tanz mit mir Für die Kinder von gestern, heute und morgen 13 hochwertige Vierfarb-Reproduktionen, Fotos glänzend lackiert, zzgl. 1 Übersichtsblatt. Format 34,5 x 48,6 cm. Verlag HP Nacke KG Wuppertal ISBN 978-3-9812319-4-6

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Inhalt Heft Nr. 3/2009

Claude Monet von der Heydt-Museum Wuppertal 11. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010

Seite 7

100.000 Besucher werden in Wuppertal erwartet

Seite 14

Landschaft ist auch Geste Zum Tod von Rudolf Schoofs

Seite 16

Skulpturenpark Waldfrieden Die Cragg Foundation - Einklang von Natur und Kunst

Seite 18

Besuch im Jammertal Eine stille, grüne Senke am Rande des Ruhrgebietes

Seite 21

Pina Bausch Schönheit und Schmerz

Seite 24

Buchvorstellungen 8 Titel in der Besprechung, Sachbücher, Romane und 3 neue Kunstbücher

Seite 29

Im schwarzen Anzug Morgenkaffee XIII - von Karl Otto Mühl

Seite 34

Zur alten Bergbahn von Karl Otto Mühl

Seite 35

Die Soester Fehde Textbuch zum Schauspiel in zwei Akten von Michael Zeller

Seite 37

Der Romeo gegen den Strich Uwe Ochsenknecht

Seite 38

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Claude Monet von der Heydt-Museum Wuppertal 11. Oktober 2009 bis 28. Februar 2010

Waterlilies, 1915, Öl auf Leinwand 130 x 153 cm, Inv. Nr. 6085 © Musée Marmottan Monet, Paris / The Bridgeman Art Library

Als sich Claude Monet, der bedeutendste impressionistische Künstler 1890 in Giverny niederließ und dort seinen Garten mit dem berühmten Seerosenteich anlegte, eröffnete er mit seinen Bildern, die in diesem Garten und am Teich entstanden, der Kunst ganz neue Möglichkeiten. Aus den Spiegelungen der Umgebung im Teich entstanden plötzlich Bilder, in welchen das Oben und Unten nicht mehr eindeutig zu bestimmen sind - welche Pflanzen, Blumen und Blüten befinden sich tatsächlich in dem Teich, welche spiegeln sich nur darin, fragt sich der erstaunte Betrachter dieser Bilder. Zugleich erfährt er eine ungewöhnliche Entgrenzung: Dimensionen und Perspektive geraten aus dem Gleichgewicht, eine getreue Maßstäblichkeit ist in diesen Bildern nicht mehr festzustellen. Sind die Seerosen besonders groß oder ist ihnen der Maler so nahe gerückt, dass sie im Vergleich zu ihrer Umgebung so riesig wirken und in welchem Verhältnis stehen sie zu der scheinbaren Unendlichkeit der Wasserfläche des (in Wirklichkeit recht kleinen) Teiches? Indem Monet anhand des Sujets dieses Teiches alle Dimensionen der Malerei gesprengt hat, ist es ihm gelungen, die Malerei aus der abbildhaften Eindeutigkeit des 19. Jahrhunderts zu befreien und die Türen zur Abstraktion, zum Absoluten und zu einer völlig neuen Kunst, die sich im 20. Jahr-

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hundert entwickeln sollten, aufzustoßen. Darin liegt seine bedeutendste künstlerische Leistung, und deshalb soll in der Ausstellung des von der Heydt-Museums das Spätwerk eine besondere Stellung einnehmen. 43 Jahre, d. h. genau die Hälfte seines Lebens, verbrachte Claude Monet in Giverny. Als er sich dort niederließ, war er 43 Jahre alt und hatte schon flussabund -aufwärts in vielen Städten entlang der Seine, von Le Havre bis Paris, in Argenteuil, Vétheuil und Poissy gemalt. Das Abenteuer der impressionistischen Malerei, der er zum Ruhm verholfen hatte, hatte den Höhepunkt überschritten. Dass die Wahl gerade auf dieses kleine Dorf an der Grenze zwischen der Ile-de-France und der Normandie fiel, hatte vor allem praktische Gründe. 1883 lebte Claude Monet schon mit Alice Hoschedé, der Witwe seines Mäzens und Freundes Ernest Hoschedé, dem ersten Besitzer seines berühmten Gemäldes „Impression - Soleil levant“, zusammen. Von seiner ersten Frau Camille, geborene Doncieux, die 1879 viel zu früh im Alter von 30 Jahren verstorben war, hatte er zwei Söhne - Jean und Michel; Alice Hoschedé hatte sechs Kinder, so dass zum Haushalt der Familie MonetHoschedé zehn Personen gehörten. Das Haus musste also groß sein und Monet beanspruchte jetzt mehr Platz für seine Arbeit, als ihm bis dahin zur Verfügung gestanden hatte. Das Anwesen in Giverny entsprach in allen Punkten seinen Bedürfnissen: Ein großes Gebäude mit vielen Zimmern und einer alten, ideal als Atelier geeigneten Scheune, einem großen Garten, und einem kleinen Bach, der sich ganz in der Nähe durch die Felder entlang der Seine schlängelt. Felder, Blumen, Wasser, das waren die Motive, die dem Künstler gefielen. Ohne sich ganz über die Konsequenzen seines Umzugs bewusst zu sein, aber dank einer starken Intuition, die sein Handeln stets bestimmte, hatte Claude Monet den idealen Ort gefunden. Dem

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Auge des Malers war sofort aufgefallen, dass der Mäander der Seine, an dem das Dorf liegt, optimale Lichtverhältnisse verspricht und beste Arbeitsbedingungen bietet. So erwies sich Giverny schon sehr bald als die entscheidende Etappe in Claude Monets Künstlerleben. In Giverny beginnt für Monet ein künstlerisches Wagnis. Er lässt den Impressionismus hinter sich und eilt seiner Zeit weit voraus. An diesem Ort hat er endlich seinen Platz fürs Leben gefunden. Er ergreift schnell Besitz von ihm und gestaltet ihn so, dass er ihn für seine Malerei nutzen kann. Es ist diese langsame und subtile Anpassung, die völlig neue, ja bahnbrechende Methode, sich ein Gebiet zu erschließen und völlig in ihm aufzugehen, die die jungen Maler, denen er als Vorbild dienen wird, begeistert. Mit der Serie der Seerosenbilder fügt Monet seinem Werk einen völlig revolutionären Aspekt hinzu. Dieses Motiv wird zu seiner ureigensten Handschrift, zum unverwechselbaren Stempel seiner Identität. Mit ihm dringt er bis zu den Grenzen der Malerei vor. Er beschreitet völlig neue, bisher unerforschte Wege und eröffnet der Malerei damit ganz neue Horizonte. 27 Jahre lang hat Claude Monet dieses Motiv immer wieder neu gestaltet und ihm zu einem festen Platz in der Malerei verholfen. Die Seerosen wurden oft kommentiert, dabei wurde jedoch die einzigartige Pionierleistung des Malers nicht genügend gewürdigt. Claude Monet wird zum „Schöpfer“, der Künstler wird zum Gestalter der Natur. Er findet sie nicht, wie Picasso später sagen wird - „Ich suche nicht, ich finde“ - sondern er erschafft sie, er ist der große Organisator. Er bedient sich der Natur, führt sie zurück auf ihre Gesetzmäßigkeiten, an einem ganz bestimmten, auserwählten Ort, den er selbst so umgestaltet, dass er ihn für sein Malvorhaben nutzen kann.

„Es hat lange Zeit gedauert, bis ich meine Seerosen richtig verstand“, wird Claude Monet im Rückblick später bemerken. „Es hat mir Freude gemacht, sie zu pflanzen; ich kultivierte sie, ohne dabei zunächst daran zu denken, sie zu malen. Eine Landschaft erschließt sich nicht an einem Tag ... “. Außerdem ist die Anlage eines Wasserbeckens keine Kleinigkeit; zunächst war es nur eine provisorische Anlage. Monet hatte das Haus in Giverny anfangs lediglich gemietet. 1890 kauft er es, und 1892 heiratet er die Witwe Alice Hoschedé. Giverny wird zum Lebens- und Arbeitsmittelpunkt für Claude Monet, und die Anlage des Wassergartens wird seine Hauptbeschäftigung. Sie findet in drei Etappen statt: Die eigentliche Anlage in den Jahren 1893-1897, die Vergrößerung 1901, und 1910 die Wiederherstellung des Beckens nach den furchtbaren Überschwemmungen. Als Monet das Anwesen in Giverny kauft, besteht es aus dem Haus, einem alten Gemäuer mit einem Gebäudeflügel auf der linken Seite, in dem er ein zweites Atelier einrichten wird, und einem Garten. Schon bald wächst der Wunsch, ein Wasserbecken zu schaffen. Monet hat festgestellt, dass sich jenseits der Straße, die das Anwesen nach unten begrenzt, hinter einem kleinen Hügel, über den die Eisenbahnlinie von Gisors nach Gaillon führt, eine Senke befindet, in der sich nach jedem Regen das Wasser ansammelt, und bald hat er die Idee, an dieser Stelle einen Teich anzulegen. Ein Wasserbecken gehört nach seinem Verständnis unbedingt zu einem Garten. 1893 ist es vollbracht. Monet erwirbt das lange Zeit heiß begehrte Gelände. Nach zahlreichen Auseinandersetzungen mit den örtlichen Behörden erhält er endlich die Genehmigung, den kleinen Seitenarm der Epte, die dort durch das Gelände fließt, umzuleiten und ein

The Waterlily Pond, 1917-19, Öl auf Leinwand, 130 x 120 cm, Inv. Nr. 5165 © Musée Marmottan Monet, Paris / The Bridgeman Art Library

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Abb. linke Seite: Bridge over a Pond of Water Lilies, 1899 The Metropolitan Museum of Art

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Abb. rechte Seite: Waterlilies with Reflections of a Willow Tree, 1916-19 テ僕 auf Leinwand, 131 x 155 cm, Inv. Nr. 5099 ツゥ Musテゥe Marmottan Monet, Paris / The Bridgeman Art Library


Bassin auszuheben. Wenn er zu diesem Zeitpunkt den Teich auch noch nicht als mögliches Motiv sieht, erkennt er doch bereits die Bedeutung, die er für seine Arbeit haben wird. Drei Ansichten des Teichs - die drei ersten! - , entstanden in den Jahren zwischen 1893 und 1897, zeugen davon. Ab 1897 spricht Monet von seinem „Seerosenprojekt“. Zuvor war ihm ganz plötzlich der Gedanke gekommen, dass der Wassergarten sich dazu eigne, eine Idee, die er auch schon mit seinen Serien verfolgte, in die Tat umzusetzen: der Malerei ein zu Hause zu schaffen. Zwischen dem Entstehen einer Idee und ihrer Verwirklichung findet ein Reifeprozess statt, in dem alles noch einmal

überdacht und auf seine Notwendigkeit geprüft wird. Monet hat es nicht eilig. Er nimmt sich Zeit. Die Idee des Malers ist revolutionär. Immer schon wollte er die Grenzen der Malerei sprengen. „Ein Ganzes ohne Ende, eine Welle ohne Horizont und ohne Ufer“, nennt er es später. Ein großer „Brocken“, wie er es 1887 nannte, als er die berühmte „Barke“ schuf. „Ich habe mir schon wieder etwas Unmögliches vorgenommen, Wasser und Pflanzen, die auf dem Grund schwimmen.“ Mit den Seerosen und diesen im Kreis angeordneten Tafeln sprengt Claude Monet die Grenzen des Formellen. Es geht darum, dort, „in situ“, einen einzigartigen Ort zu schaffen, der sich dem Betrachter als Zufluchtsort, als

Refugium darstellt. Und das in voller Absicht, wie aus den Worten des Malers selbst hervorgeht: „Die von der Arbeit überanstrengten Nerven können sich hier beim Anblick des stillen Wassers entspannen, man kann beim Anblick des blühenden Aquariums in tiefe Meditation verfallen“. Um die Jahrhundertwende, als er die Arbeit an den beiden ersten Serien von Seerosenbildern, von denen er 1900 ca. ein Dutzend bei Durand-Ruel ausstellt, beginnt, ist Claude Monet noch weit davon entfernt, daran zu denken, sein Vorhaben in die Realität umzusetzen. Nur ganz allmählich, im Laufe der Zeit, nimmt das Projekt Konturen an, und nur nach und nach liefert sich Monet

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Argenteuil, 1875 Musée de l‘Orangerie, Paris ©bpk / RMN / Franck Raux

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ihm völlig aus, ungeachtet aller widrigen Umstände, die ihm das Leben beschert, und davon gibt es einige. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Claude Monet kein junger Künstler mehr; er steht kurz vor der Vollendung des 60. Lebensjahres, ist also in einem Alter, in dem man sich gewöhnlich zur Ruhe setzt. Und Monet zieht sich tatsächlich zurück, nach Giverny. Die Zeit der Serien geht langsam zu Ende. 1904 werden noch die LondonBilder und 1908 die Venedig-Bilder entstehen, aber dann ist Schluss mit dem Verreisen. Monet bleibt in Giverny. Von da ab malt er beinahe ausschließlich nur noch Seerosenbilder, und sein „Wassergarten“ ersetzt ihm die schönsten Plätze der Erde. Man könnte ihn in Anlehnung

an Jean-Paul Sartre „Der Gefangene von Giverny“ nennen. „Die Malerei ist eine Insel, von der ich nur die Küste gesehen habe“ erklärte Jean-Baptiste Chardin am Ende seines Lebens. Diese Formulierung, die Ausdruck großer Bescheidenheit aber auch einer gewissen Hartnäckigkeit des Malers ist, beschreibt genau das Gefühl, das der Besucher beim Anblick der großen Seerosenbilder von Monet empfindet. Alles zielt darauf ab, alte Sehgewohnheiten abzustreifen. In diesen Bildern gibt es weder Ufer noch Horizont. Jede einzelne Tafel ist Teil des Ganzen und gleichzeitig paradoxerweise in sich ein Ganzes und man kann sie nur verstehen, wenn man sich ganz in sie hinein


begibt, sich von ihnen in Besitz nehmen lässt. Monet lässt uns keine Wahl: seine Malerei überflutet uns, sobald wir uns ihr nähern. Spiegelungen auf der Wasseroberfläche, Wolken, die hängenden Zweige der Trauerweide und die von den Bewegungen der Wasserpflanzen erzeugten Wellenbewegungen vermischen sich im Auge des Betrachters. Ordnung und Chaos wohnen diesen Bildern gleichermaßen inne, Nord und Süd, Ost und West verschmelzen, so als gelte es, uns die Orientierung zu nehmen. Es besteht keine Hoffnung, sich an den Ästen der Trauerweiden festzuklammern, - sie sind nur andeutungsweise sichtbar, und lediglich ihr Stamm dient als Orientierungspunkt -, es gibt nichts, woran man sich festhalten oder worauf man den Fuß setzen könnte. Die Seerosen zwingen den Betrachter dazu, fortgesetzt in Bewegung zu sein, einer Art Auf- und Abbewegung - einer Art Navigation - zu folgen, sowohl in geistiger wie in physischer Hinsicht, denn in ihnen findet ein permanenter alchemistischer Prozess statt. Monet hat gemalt, wie man ein Gefäß füllt, bis der Inhalt es ganz und gar ausfüllt, bis es schließlich nicht mehr als Behältnis zu erkennen ist. Monet will den Raum umfassen, von unten, von oben, von vorn, von hinten, kurz von allen Seiten, so dass der Betrachter zum integralen Bestandteil des Bildes wird, dass er in das Bild eintaucht, sich in ihm ertränkt, mit ihm in einer Art Osmose verschmilzt. So wie Beaudelaire seinen Leser zu einer „Erhebung“ einlädt: Hoch über den Teichen, hoch über den Tälern, Den Bergen, den Wäldern, den Wolken und Meeren, Weit hinter der Sonne, weit hinter dem Äther, Weit hinter den Grenzen der Sternensphären, so möchte Monet, dass der Betrachter sich den Wellen hingibt, in das flammende Herz der Farben eintaucht. Der Dichter wie der Maler beschreiten hier völlig neue Wege. Die Seerosenbilder

sind das Ergebnis eines ganz und gar einzigartigen Prozesses. Ein horizontales Motiv wird in die Vertikale transponiert. Entgegen allen Regeln der Elementarphysik und des gesunden Menschenverstandes stellt der Maler eine Ordnung auf, deren neue künstlerische Logik ausschließlich darin besteht, dass sie funktioniert. Der amerikanische Künstler Jackson Pollock hat das genau verstanden, als er das Thema aufgriff. Das Werk dieses herausragenden Vertreters der amerikanischen Kunst der 1940er1950er Jahre, legt, nach Kandinsky und Malewitsch, Zeugnis von dem ungeheuren Einfluss des Malers von Giverny auf nachfolgende Künstlergenerationen ab. Bild- und Textmaterial: Von der Heydt-Museum Wuppertal

Claude Monet (* 14. November 1840 in Paris; † 5. Dezember 1926 in Giverny, auch Oscar-Claude Monet oder Claude Oscar Monet) war ein französischer Maler, dessen mittlere Schaffensperiode der Stilrichtung des Impressionismus zugeordnet wird. Das Frühwerk bis zur Mitte der 1860er-Jahre umfasste realistische Bilder, von denen Monet einige im Pariser Salon ausstellen durfte. Ende der 1860er-Jahre begann Claude Monet impressionistische Bilder zu malen. Ein Beispiel seiner Bilder dieser Schaffensphase ist die Hafenansicht Le Havres Impression, Sonnenaufgang, welches der gesamten Bewegung den Namen gab. So entfernte er sich vom durch die traditionellen Kunstakademien geprägten Zeitgeschmack, was seine finanzielle Situation verschlechterte. In den 1870erJahren beteiligte sich Monet an einigen der Impressionisten-Ausstellungen, an denen auch Künstler wie Pierre-Auguste Renoir oder Edgar Degas teilnahmen, und wurde vor allem vom Kunsthändler Durand-Ruel gefördert. Trotzdem blieb Monets finanzielle Situation bis in die 1890er-Jahre angespannt. In dieser Zeit entwickelte Monet das Konzept der Serie, in denen er ein Motiv in verschiedenen Lichtstimmungen malte. Daneben begann er in Giverny seinen berühmten Garten anzulegen.

Bild- und Textmaterial: Wikipedia

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100.000 Besucher werden in Wuppertal erwartet

Sur la plage à Trouville, 1870-71 Musee Marmottan Monet, Paris ©Musee Marmottan, Paris, France/ Giraudon/ The Bridgeman Art Library

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Die ab Oktober zu sehende Monet Ausstellung im Von der Heydt- Museum Wuppertal ist ein Highlight für jeden Kunstbesucher, ob aus der Region oder von außerhalb. Denn diese Ausstellung ist die erste große Überblicksausstellung zum Werk von Claude Monet in Deutschland. Die 100 meist großformatigen Werke werden ergänzt durch Früh- und Spätimpressionisten – Wegbegleitern Monets, wie Renoir, Pissarro, Sisley, Cézanne oder Manet. Nicht nur das Spätwerk mit vielen der berühmten Seerosenbildern ist zu sehen, sondern auch Karikaturen, Werke aus Monets Schul- und Akademiezeit oder Einzelstücke mit Einflüssen von Eugène Boudin. Die Spätwerke Montes – die Seerosenbilder oder Wasserlilienbilder, die kunsthistorisch betrachtet den Beginn der Abstraktion in der Malerei einleiten, werden durch das bisher einmalige Konzept einer Werkübersicht geradezu lebendig erfahrbar gemacht. Die hohe Qualität und Bedeutsamkeit dieser Werke wird durch den Vergleich mit älteren Werken besonders herausgestellt. Zwischen dem Betrachten von weltbekannten Werken wie ›Bridgeover a Pond of waterlilies‹, 1899, ausgeliehen vom Metropolitan Museum of Art, den ›Waterlilies‹, 1915 vom Museé Marmottan-Monet, Paris und den frühen

Werken liegen zudem unerwartete künstlerische Querverbindungen, die zu entdecken sind. Viele der Seerosenbilder sind Leihgaben des Pariser Musée Marmottan-Monet. Im Gegenzug erhält das Pariser Museum Werke aus der Von der Heydt-Sammlung des Expressionismus für eine erste Ausstellung des deutschen Expressionismus in Frankreich. Diese wechselseitige Unterstützung ermöglicht nicht nur große ThemenAusstellungen, Wuppertal und die moderne sondern macht deutlich, wie international bedeutsam die Sammlung des Von der Heydt-Museums ist. Aber ohne zusätzliche finanzielle Mittel würde die Monet-Ausstellung nicht auskommen. Mit der Wuppertaler Kultur verbundene Förderer des Von der Heydt-Museums unterstützen diese Ausstellung. Mit Hilfe der Werner JackstädtStiftung Wuppertal wurde die MonetAusstellung realisierbar. Die ökonomische Strategie des Werk-Tausches in Kooperation mit internationalen Museen und die Stiftungsförderung machen es möglich, dass in Wuppertal international bedeutsame Ausstellungen gelingen können. Was auf den ersten Blick als Kunst-Ökonomie einer Museumslandschaft verstanden werden könnte, birgt jedoch gerade in Bezug auf Wuppertal auch eine kunstgeschicht-


lich und historisch bedeutsame Tradition in sich. Der Bankier August von der Heydt (1851-1929) und sein Sohn Eduard von der Heydt (1882-1964) haben als eine der ersten Mäzene und Sammler ›Kunst der Moderne‹ mit Werken von Picasso, Matisse, Braque erworben und nach Wuppertal verortet. Mit der Sammlung von Vorbereitern der Moderne aus dem 19. Jhd. wie Courbet, Manet, Monet, Renoir, Cézanne und Van Gogh knüpfte August von der Heydt die Kunst aus dem 19. Jhd. an die des 20. Jhd. und hinterließ Wuppertal eine kunsthistorisch einmalig wertvolle Sammlung. Das Städtische Museum Elberfeld wurde 1961 aufgrund dieser einflussreichen Familie zum Von der Heydt-Museum umbenannt. Dieses kulturelle Klima und das rege Interesse von Industriellen an avantgardistischer Kunst um 1900 beruht weitgehend auch auf dem Engagement des damaligen Kunstvereinsleiters Richart Reiche, der 1910 im Barmer Kunstverein (heute Barmer Kunsthalle) in einer der ersten Ausstellungen des Expressionismus Künstler wie Emil Nolde, Franz Marc oder Edvard Munch zeigte. Eine Vielzahl von industriellen Kunstsammlern folgte diesem innovativen Kunst- und Sammlungsgedanken und erwarb zu Beginn

des 20. Jhd. Werke der Impressionisten, Expressionisten und der Kubisten, die heute der Sammlung des Museums ihr besonderes Profil geben. Vielleicht hat sich die historisch bedingte Offenheit für wirtschaftliche Erneuerungen in der Industriestadt des 20. Jhd. auf das Kunstsammeln dieser KunstMäzene übertragen und einen Wettstreit ausgelöst, von dem die Region Wuppertal noch heute profitiert. Seidenweber, Farbenfabrikanten und Textilbleicher prägten Ende des 19. Jhd. und zu Beginn des 20. Jhd. das soziale und ökonomische Gefüge der Stadt Wuppertal und ermöglichten ein reges kulturelles Leben. Im Kontext dieser Stadtgeschichte ist die Monet-Ausstellung nicht nur besonders herausragend, weil sie eine in Europa erstmalige Übersicht über Monets künstlerische Gesamtentwicklung gibt, sondern sie spiegelt auch die kulturelle Tradition, die Verwurzelung von industriellen Sammlern in der Region Wuppertal wieder. Schon mit der Ausstellung ›Der expressionistische Impuls. Meisterwerke aus Wuppertals großen Privatsammlungen‹ hat 2008 Dr. Gerhard Finckh, Direktor des Von der Heydt-Museums diese Linie des privaten Kunstsammelns in Wuppertal aufgezeigt. In weiteren Ausstellungen, wie ›Privat, Wuppertaler Sammler der Gegen-

wart im Von der Heydt-Museum‹ oder der aktuellen Monet-Ausstellung wird deutlich, das das Museum Von der Heydt in seinem Kultur- und Bildungsauftrag sowohl traditionelles Bewusstsein als auch den Bezug zu zeitgenössischen Kunst pflegt und an den Standort Wuppertal rück bindet. Das diese Ausstellungen bedeutend sind und von nationalen und internationalen Besuchern angenommen und gefragt sind, zeigen die hohen Besucherzahlen – zur Monet-Ausstellung werden 100.000 Besucher erwartet. Die Schwebebahn – ein bekanntes Symbol der Industriestadt – ist stellenweise mit Werbefolien für die Monet-Ausstellung versehen. Diese beklebte Schwebebahn ist nicht nur ein durch Wuppertal fahrendes Werbemobil, sondern sie vereint auf eine spielerisch anschauliche Weise die beiden wichtigsten Impulse der Stadt: den industriellen technischen Aufschwung und die Tradition von großen Kunstsammlern. Die Aktualität der kulturellen Landschaft in und um Wuppertal zeigt sich auch in dem Ausstellungsprogramm der Kunsthalle Barmen und dem Skulpturenpark der Cragg Foundation. Textmaterial: Kunsttermine, Ausgabe 3/2009 Bildmaterial: von der Heydt-Museum Wuppertal

Promenade de près d‘Argenteuil, 1873 Musee Marmottan Monet, Paris ©Musee Marmottan, Paris, France/ Giraudon/ The Bridgeman Art Library

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Landschaft ist auch Geste Zum Tod von Rudolf Schoofs

Nur noch selten konnte der Zeichner und Maler Rudolf Schoofs in den vergangenen Monaten das Atelierhaus in Stuttgart verlassen - am 28. Juli ist er nach langer Krankheit im Alter von 77 Jahren gestorben. Eigentlich, so schien es in den Gesprächen mit Rudolf Schoofs immer, ist alles ganz einfach: „Wenn man eine künstlerische Form so entwickelt hat, dass sie nicht mehr verrückbar oder ergänzbar ist“, war er überzeugt, „dann hat sie ihre künstlerische Qualität erreicht“. Und Schoofs’ Blick, den doch Heiterkeit und Wärme prägten, verriet dabei stets, dass es dem Stuttgarter Maler und Zeichner hier um Grundsätzliches ging. „Meine Arbeiten unterliegen stetigem Wandel auf Erweiterung und Neuentdeckung“, ein anderer zentraler Schoofs-Satz, war eine Vorgabe, die er zeichnend und malend jeden Tag neu einzulösen suchte.

Rudolf Schoofs, ohne Titel, 1996 Mischtechnik auf Bütten, 40 x 53,3 cm

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Als „zeichnerische Vereinnahmung von Welt“ skizzierte Franz Joseph van der Grinten 1982 das Schaffen von Rudolf Schoofs. Der Linie vertrauend, den Dingen entlang denkend - tatsächlich hat sich Schoofs die Welt so erschlossen. Bis hin zu jenen Blättern der vergangenen fünf Jahre, in denen Landschaftsfigurationen wie Figurenlandschaften nur mehr als Erinnerungsspuren erkennbar werden und doch gerade daraus die Intensität ihres Eigenwerts gewinnen. In der Stuttgarter Galerie Angelika Harthan waren diese Arbeiten 2007 zu sehen - als Hommage zu Schoofs’ 75. Geburtstag, als Beiträge in einer würdevollen (und von einem wunderbaren Katalogbuch begleiteten) Reihe von Geburtstagsgrüßen.


Eine leise Stimme in jedoch immer unmissverständlich den eigenen Willen bekundenden Tonlage, eine ausgesuchte Freundlichkeit, die vor Zorn nicht schützt. Rudolf Schoofs, 1932 in Goch am Niederrhein geboren, hat die ein, zwei, drei, vier Seelen in seiner Künstlerbrust nie versteckt, noch weniger, dass ihm Stillstand (der ja auch bestätigenden Ruhm bedeuten kann) zuwider ist. Geht das aber - mit feinem Strich widerborstige Energie freizusetzen? Und geht das - umgekehrt mit massiver Verblockung von Pinselstrichen dem Feinsten noch in einer Bildlandschaft nachzuspüren? Schoofs hat es bewiesen, immer wieder, sich selbst in Frage stellend, die eigene Bildwelt konterkarierend und doch immer einer Spur treu bleibend, der Spur der Linie. Assistent einst von Georg Muche in Krefeld, agiert er früh schon als Lehrer. In Kassel und Wuppertal zunächst, dann und doch nur für ein Jahr - in Karlsruhe. Erst aber an der Stuttgarter Akademie findet er Ruhe und legt, von 1976 an, alle Kraft in einen Antritt, der ihn in den 1980er Jahren auch als Maler weit nach oben spült. Schoofs nützt den Ruhm für die Studierenden - frühe Auftritte im Dortmunder Museum am Ostwall etwa machen aus den Schülern selbst gefragte Künstler. Herbert Egl und Thomas Müller nur seien stellvertretend genannt. 1996 zieht sich der Lehrer Schoofs zurück, tritt jedoch der Zeichner und Maler noch einmal an. Und zuletzt, lange schon von Krankheit gezeichnet? Hier taucht in den Blättern eine Figur auf, eine Liegende fast, dort verwischt Schoofs noch im Augenblick der Setzung jede Ahnung des Erinnerbaren. Die Linie ist eine Linie, ist eine Figuration an sich und in sich, ist eine Form, durchmisst und formuliert Raum. Misstraute Schoofs letztlich also seinen doch so erfolgreichen „Städtebildern“, die in ihrer formalen wie farblichen Stringenz durchaus als Summe eines langen Anlaufs gewertet werden können? Das Gegenüber eines „Städtebildes“ von 1987 mit jüngeren Gemälden deutete dies nicht zuletzt 2002 in einer Schau der Städtischen

Rudolf Schoofs in seinem Atelier in Stuttgart Galerie Wendlingen an. Energisch schüttelt Schoofs ja in den späten 1990er Jahren die eigene Erfolgsschrift ab, kehrt auch auf der Leinwand zum risikoreichen Spiel mit der Linie zurück. Diese treibt er, vor allem in der Zeichnung, in durchaus widersprüchliche Felder. Einzig die künstlerische Äußerung selbst hat so Bestand, das mit Stift und Pinsel Gesagte. Einzig der Wandel

ist stetig - Schoofs blieb dabei und machte diesen Vorsatz bis zuletzt zum eigentlichen Bildgegenstand. Landschaft, das machte er im Bann der tanzenden Linien deutlich, ist auch eine Geste. Nikolai B. Forstbauer www.stuttgarter-nachrichten.de Fotos: HP Nacke

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Skulpturenpark Waldfrieden Die Cragg Foundation Einklang von Natur und Kunst

Villa Waldfrieden Wuppertal erbaut 1947-1949 Architekt: Franz Krause

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Im September 2008 eröffnete der international bekannte und in Wuppertal lebende Bildhauer Tony Cragg an der Hirschstraße 12 rund um die Villa Waldfrieden seinen Skulpturenpark. Cragg erwarb die Villa und das verwilderte Gelände im Jahr 2006. Eingebunden in das 15 Hektar große Areal werden seine Skulpturen ausgestellt, die sich in die natürlich verwunschene Landschaft einfügen. In der gläsernen Ausstellungshalle - wo einst der Swimming-Pool der Villa war - finden Wechselausstellungen international renommierter Bildhauerkollegen statt. Die Villa Waldfrieden an den Wuppertaler Südhängen, an der Grenze zwischen Barmen und Elberfeld, oberhalb des Wicküler Parks, die 1947 bis 1949 von dem Lackfabrikanten Kurt Herberts errichtet wurde, ist ein in anthroposophischer Baukunst errichtetes Haus. Nicht ein einziger rechter Winkel findet sich in dem ganzen, 44 Räume umfassenden Gebäude. Errichtet hat es der Architekt Franz Krause, der schon 1926 half, die legendäre Stuttgarter Weißenhofsiedlung zu bauen. Heute steht die "Villa mit runden Ecken" unter Denkmalschutz und wurde von Tony Cragg weitgehend originalgetreu wieder in Stand gesetzt. Nachdem das Gelände jahrzehntelang leer stand, entdeckte der weltbekannte Bildhauer Tony Cragg schließlich das Anwesen. Er gründete eine Stiftung, die Cragg Foundation, die das 15 Hektar große Grundstück kaufte. Cragg gestaltete das Gelände geringfügig um, restaurierte die unter Denkmalschutz stehende Villa Waldfrieden, sowie das dazugehörige Gärtnerhaus, errichtete eine Ausstellungshalle an der Stelle, wo zwei marode Schwimmbäder standen und ließ schließlich einige Skulpturen aufstellen. Heute wandelt man auf versteckten Wegen, entdeckt die sich perfekt in die Umgebung einfügenden Skulpturen, mal aus Bronze, mal aus Edelstahl, mal versteckt, mal pro-


minent auf einem Podest positioniert, zwischen Bäumen oder auf Wiesen. Die verwunschene Atmosphäre ist erhalten geblieben, der Park wirkt wieder gepflegt aber doch sehr natürlich. Je nachdem, wie das Licht durch die Äste und Blätter des Waldes fällt, bekommen die teils tonnenschweren Skulpturen Cragg‘s tänzerische Leichtigkeit und ein Gesicht, sie wirken auf den Betrachter trotz ihrer Größe zierlich. Vom Parkplatz 3 (hier war früher der Tennisplatz Herberts) hat man eine wunderbare Sicht auf Unterbarmen und die Hardt. Wer Lust hat, kann am Schluss in das Café Podest einkehren, in dem es derzeit Getränke und Kuchen gibt. Es ist in einem ehemaligen Gärtnerhäuschen im Erdgeschoss untergebracht. Der Park wurde mit Sitzbänken und Beleuchtung ausgestattet, die Wege bearbeitet, jedoch nicht befestigt, um die Naturnähe zu erhalten. Zur Kunst und Natur tritt als drittes Element, temporär die Musik. Dieser Akkord aus Natur, Kunst und Musik erklingt im Wechsel der Jahreszeiten, vom Frühjahr bis hinein in den Spätsommer. Die Konzertreihe KlangArt wird organisiert von E.Dieter Fränzel, in der Wuppertaler Musikszene kein Unbekannter. Der Spannungsbogen reicht vom zeitgenössischen Jazz bis hin zur Neuen Musik

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Tony Cragg (geb. 1949, Liverpool, England), lebt und arbeitet in Wuppertal. Zahlreiche internationale und nationale Ausstellungen u.a.: Teilnehmer der documenta 7 und 8, Kassel; Teilnahme an Biennalen in Venedig, Sao Paulo, Sydney; 1988 Turner-Preis; 2007 Praemium Imperiale Preis für Skulptur; Professuren an der Hochschule der Künste Berlin u. Kunstakademie Düsseldorf; seit 2009 Rektor der Kunstakademie Düsseldorf; Mitglied der Royal Academy of Arts, London; 2008 Eröffnung des Skulpturenparks ›Waldfrieden‹ in Wuppertal

und Weltmusik. So unterschiedlich diese Klangwelten auch sind, so haben sie eines gemeinsam: die Musiker lassen sich vom Geist des Ortes inspirieren. Musik und bildende Kunst finden im Natur-Raum des Skulpturenparks zu einer organischen Einheit, zu einem Dreiklang. Dieser Akkord aus Natur, Kunst und Musik erklingt vom Frühjahr bis in den Spätsommer hinein, je nach Jahreszeit und Witterung „open air“ oder im Ausstellungspavillon. KlangArt im Skulpturenpark Waldfrieden präsentiert Konzerte auf internationalem Niveau, jenseits des Mainstreams: Der Spannungsbogen reicht vom zeitgenössi-

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schen Jazz bis hin zur Neuen Musik und Weltmusik. So verschieden diese Klangwelten auch sind, so ist ihnen hier doch eines gemeinsam: Die Musiker lassen sich vom Geist des Ortes inspirieren, Musik und bildende Kunst finden im NaturRaum des Parks zu einer organischen Einheit, einem Dreiklang aus Natur, Musik und Kunst. Der Skulpturenpark Waldfrieden ist auf jeden Fall einen Besuch wert und eine neue, große Attraktion für Wuppertal. Parkmöglichkeiten sind ausreichend vorhanden (2 Parkplätze am Fuße des Parks, 1 Parkplatz auf halber Höhe).

Skulpturenpark Waldfrieden Di - So: 10 - 18 h Hirschstraße 12 · D-42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de www.tony-cragg.com Foto: Frank Becker


Besuch im Jammertal Eine stille, grüne Senke am Rande des Ruhrgebietes

Deutschland ist ein Jammertal, eine tiefe Senke, in der die Konjunktur derzeit träge verweilt. Erfreuen an der Lage können sich momentan nur jene, deren Profession es ist, Klage zu führen. Also schwebt über dem Jammertal ein quälender Ton in dumpfem Moll, eine hörbar gewordene Depression, die im Trend liegt, weil man halt auch ein bisschen gern so vor sich hin jammert. Ach! Alles teurer geworden! Alles unsicher! Alles schlimm! Alles falsch. Man jammert nicht im Jammertal, man quält sich nicht mit düsteren Prognosen. Stattdessen erfreut man sich des Lebens, hat Spaß am Sein und an der wunderschönen Natur. Der Mensch ist gut drauf im Jammertal, denn das Jammertal ist nicht nur eine sozialpolitische Diagnose, sondern auch ein wunderschöner Ort, der mitten in Nordrhein-Westfalen liegt - ausgerechnet dort, wo man ländliche Idylle so gar nicht erwartet, wo der Ortsfremde und Klischeesichere abgeschreckt wird von nach Staublunge klingenden Ortsnamen wie Oer-Erkenschwick, Marl, Herten und Recklinghausen. Und doch liegt dort nur wenige Kilometer von der Strukturgewandelten Ruhrgebietsbrache entfernt ein herrliches Fleckchen Erde, ein umwaldeter Ort, an dem einzig und allein fröhlich vor sich hin zwitschernde Vögel für die Geräuschkulisse zuständig zeichnen: Willkommen im Jammertal. Eine Kreuzung im südlichen Zipfel des südlichen Münsterlands. Links führt der Weg nach Datteln, geradeaus liegt Recklinghausen. Und rechtsrum geht‘s ins Jammertal, in eine Senke, die schon immer so heißt. „Hier ist noch saubere Luft“, sagt Erich Theissen. Seit 22 Jahren kommt der Hattinger ins Jammertal und genießt das Leben in einer schmucken Caravansiedlung, in der man vor lauter Blockhausidylle gar nicht mehr erkennt, dass unter den sauber lackierten Balken noch rund 160 Wohnwagen existieren. Tiptop gepflegt ist das hier. „Da braucht man keinen Urlaub“, sagt der Rentner, und seine Frau berichtet, dass gestern der Kuckuck da war. Und letzte Woche die Rehe.

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Besuch im Jammertal

Irgendwann haben auch mal zwei Hirsche auf den Wegen gestanden, die hier idyllentauglich „Zum See“, „Zum Bach“ oder „Im Morgenglück“ heißen. Nein, jammern mag hier niemand. Vielleicht mault mal einer leise in seinen Bart über den etwas zu hohen Bretterzaun, mit dem sich der Nachbar abkapselt, aber jammern? Die einzigen, die im Jammertal Grund hätten, zu jammern, können es nicht. Es sind Galloway-Rinder, zottelige Gesellen, die auf einer saftig gelb-grünen Blumenwiese stehen und sicher das ihnen

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dräuende Schicksal beklagen würde, wenn sie es denn könnten. Schließlich dürfen sie nicht endlos grasen, nicht nur, weil ihr Grün demnächst zum Golfplatz mutiert, sondern auch weil sie irgendwann in ziemlich schmackhafter Form gleich nebenan landen dürften. Dort steht nämlich ein Landhotel, sozusagen das wirtschaftliche Zentrum des vielleicht drei mal drei Kilometer großen Jammertals. Auch im Hotel gibt es keinen Grund, zu jammern. Eine 90-prozentige Jahresauslastung meldet die Geschäftsführung für die 135 Betten in 72 Zimmern, ein wahr-

lich stattlicher Wert, der zusätzlich belegt, dass das Jammertal für viele durchaus hochattraktiv wirkt. Es sind Menschen, die Ruhe suchen und sportlichen Ausgleich. Balsam für die im Geschäft gestresste Seele und für den Körper gibt es hier, denn das Landhotel Jammertal ist gleichzeitig auch ein Wellness-Tempel. „Nicht erschrecken, jetzt kommt das Öl“, sagt eine sanfte Stimme und dann kommt es, das warme Öl. Es ergießt sich über eine viel zu trockene Haut und wird eingesogen von gierigen Poren. „Scher-


zo“ heißt die schmeichelnde MassageZeremonie und trägt im Untertitel die nicht unangebrachte Bezeichnung „Behandlungssinfonie“. Mit Öl gesalbt, mit Bürsten gestreichelt, mit fernöstlicher Entspannungssoße aus den unsichtbaren Boxen akustisch eingelullt, so lässt es sich aushalten, das Leben im Jammertal. Wer hier trotzdem jammert, hat möglicherweise überzogene Erwartungen oder gehört zur Gattung lautstark auftretender Kegelclubs oder Ballermänner. Für die ist die Eventlage im Jammertal tatsächlich eher bescheiden. „Hier ist der Hund begraben“, sagt Geschäftsführerin Antje Dahlke. Nichts als Natur drum herum, keine Disko, keine Kneipe. Nur das Hotel, die Rinder, die Camper und die Natur. Und die Hotelleitung begrüßt es im Sinne der Erholung suchenden Gäste durchaus, dass die Mobilfunkabdeckung im Tal eher mangelhaft ist. „Wir pflegen die Abgeschiedenheit“, sagt Hotelchefin Dahlke und verlässt sich in Sachen Werbung auf Mundpropaganda. Man erzählt sich halt, dass Bonner, Kölner und Düsseldorfer nicht weit fahren müssen, um dann doch ziemlich weit weg vom Alltag zu sein, wenn sie einmal hinab gefahren sind ins Jammertal, wenn sie sich die hauseigene Wellness-TeeMischung servieren lassen und schnuppern am Duft von Lavendel, Thymian und Rosmarin. Das soll Harmonie und Abwehrkräfte stärken. Man trinkt auch Gingko, Kefir oder Kombucha. Alles für den Aufbau und den Erhalt der Kräfte. Der Depression keine Chance. Im Jammertal wird man eingepackt in Watte, behütet, beschützt und betüddelt. So muss die Hölle für Hektiker aussehen. Die einzige wirkliche Enttäuschung, die das Jammertal zu bieten hat, ist nur jene, die einsetzt, wenn man erfährt, dass der Name der Niederung gar nichts zu tun hat mit Wehklagen. Vielmehr stand ein hindurch gluckerndes Gewässer Pate bei der Namensgebung. Solch einen Bach nannten die Kelten schlicht „Gammer“, woraus nach einer Lautverschiebung ins Französische irgendwann der heutige

Jammer wurde, der sich durch sein Tal gräbt, einfach so und unbeeindruckt von der desolaten Wirtschaftslage. Man kann daraus lernen, dass es manchmal hilft, seiner eigenen Niedergeschlagenheit zu misstrauen. Es gibt eben Orte, die einen wieder Grundvertrauen lehren. Das Jammertal ist so ein Ort, an dem man kapiert: Krise ist, was man draus macht. Text- und Bildmaterial : Die Welt online, Hans Hoff www.landhotel-jammertal.de

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Pina Bausch Schönheit und Schmerz

Pina Bausch während einer Wiederaufnahmeprobe zu „Komm tanz mit mir“ am 17. 6. 1983 im Wuppertaler Schauspielhaus.

„Ich bin gerne hier,“ hat Pina Bausch einmal über Wuppertal gesagt, „und ich finde es wichtig für unsere Arbeit, dass ich (...) in einer Stadt bin, die eine Werktagsstadt ist, keine Sonntagsstadt. Ich weiß schon immer, wenn ich in die Lichtburg gehe, da an dieser Bushaltestelle vorbei und diese Leute da sehe, die oft sehr müde und sehr traurig aussehen – so etwas ist wahnsinnig wichtig: dass man weiß, in welcher Welt man lebt, und nicht einfach nur denkt, alles ist wunderbar. Das finde ich ganz wichtig für mich und für meine Arbeit, wo alle diese Menschen, diese Gefühle vorkommen (...).“ So äußert sich Pina Bausch in einem ihrer Interviews, welches die Journalistin und Filmemacherin Anne Linsel für eine TV-Dokumentation von 2006 über die Tänzerin und ihr Ensemble geführt hat. Diese Sätze waren noch einmal zu hören, als die Dokumentation an jenem Abend im Fernsehen ausgestrahlt wurde, nachdem überraschend der Tod der großen Tänzerin und Choreographin bekannt geworden war. Es sind Sätze, die mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gehen, denn sie verdeutlichen nicht nur die enge Verbundenheit Pina Bauschs mit der Stadt, der sie seit 1973 bis zuletzt

die Treue gehalten hat, obwohl sie mit ihrem berühmten Tanztheater in den kulturellen Zentren dieses Landes mehr als willkommen gewesen wäre. Ihre wenigen, einfachen und leicht verständlichen Worte bringen außerdem die Stimmung in einer Stadt auf den Punkt, deren Schönheit von einer gebrochenen Art ist und sich dem Durchreisenden wie auch vielen Alteingesessenen nicht leicht zu erkennen gibt. Pina Bausch hat dabei nicht in erster Linie die städtebaulichen Merkwürdigkeiten im Tal der Wupper vor Augen, sondern für sie sind es die Menschen, welche die eigenartige

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Pina Bausch

Jo Ann Endicott und Urs Kaufmann, Komm tanz mit mir

Ditta Miranda Jasjfi und Damiano Ottavio Bigi, Neues Stück 2009

Pina Bausch Szenenfoto aus „Danzón“

Na Young Kim, Neues Stück 2009

Clémentine Deluy, Neues Stück 2009

Schönheit dieser Stadt prägen. Es ist eine traurige, schmerzhafte Schönheit, die ihre Wunden offen zur Schau trägt und ganz ungeschminkt von den Beschwernissen des Alltags erzählt, eines Alltags, der von Arbeit oder auch zunehmend von deren Fehlen geprägt ist, eine Schönheit, welche die gestörten Beziehungen der Menschen auf der Straße sichtbar macht, ihre Erwartungen, Enttäuschungen und die Verletzungen zeigt, die sie sich gegenseitig zufügen, schließlich eine Schönheit, die von der tiefen Sehnsucht nach einem besseren Leben erzählt. In einer Stadt wie Wuppertal ist damit ganz offenbar, was in den südlichen Regionen dieses Landes vielleicht eher hinter lieblicher Beschaulichkeit verborgen bleibt, in den großen Städten hinter Geschäftigkeit und vordergründiger Grandiosität. Pina Bausch hat sich für Wuppertal entschieden, weil sie für ihre Arbeit aus diesem manchmal so bedrückenden Klima geschöpft hat. Deshalb ist ihr Bekenntnis zu dieser Stadt zugleich ein Schlüssel zum Verständnis ihres Tanztheaters. Was das Leben in Wuppertal ausmacht, lässt sich in den Stücken Pina Bauschs wiederfinden. Vielleicht hat es auch deshalb so lange gedauert, bis die Wuppertaler sich mit ihrer weltberühmten Choreographin anfreunden konnten und sie erst nach

Jahren bei ausverkauften Vorstellungen regelmäßig mit stehenden Ovationen gefeiert haben. Denn wer lässt sich, so gesehen, schon gern den Spiegel vorhalten? Aber: „Ich wollte ja gar keinen provozieren“, sagt Pina Bausch an anderer Stelle in Linsels Film – eine für viele sicherlich überraschende Aussage. Vielmehr spürte Bausch mit großer Sensibilität und Bedingungslosigkeit die Härten der Realität auf. Provokant war nicht das Tanztheater, sondern das Leben, von dem es berichtete. Aus heutiger Sicht fing alles ganz harmlos an, doch für die Zeitgenossen in Wuppertal, die von einem vorzugsweise klassischen Ballett abendliche Erbauung erwarteten, war es wie ein Schlag ins Gesicht. 1973 begann Pina Bausch mit einer eigenen Choreographie, „Fritz“, als Direktorin des neugegründeten Tanztheaters Wuppertal – damals noch stark mit der Formensprache des Modern Dance verbunden. Bausch war zu dieser Zeit am Beginn einer vielversprechenden Karriere. Schon im Alter von vierzehn Jahren studierte die 1940 geborene Solingerin bei Kurt Jooss an der Essener Folkwang-Schule. Bis dato war die elterliche Kneipe ihre Heimat – oder auch das „Café Müller“ aus der Nachbarschaft, später (1978) das Setting

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Pina Bausch einer ihrer bewegendsten, von ihr selbst getanzten Choreografien. Nach ihrem Abschluss zog es die junge Tänzerin aus dem Bergischen hinaus in die große Welt – nach New York, wo sie an die berühmte Juillard School ging. 1962 kehrte sie nach Essen zurück und wurde Solistin in dem von Jooss neu gegründeten Folkwang-Ballett. Es dauerte nicht lange, da weckte Bausch mit eigenen Choreografien erstmals die Aufmerksamkeit der Tanzwelt. Schon damals ist das Dunkle, Abgründige in den frühen choreographierten Opern zu spüren, die sie in Wuppertal mit ihrem Ensemble aufführte. So auch in Strawinskys „Sacre du Printemps“ (1975), in dem sie die Tänzer in erschütternder Brutalität bis an den Rand der Erschöpfung bringt. Die für Pina Bausch typische Mischung aus Tanz und Theater, die jeden einzelnen Tänzer als ganze Person in das Stück einbezieht und Gesang, Sprache, Pantomime zum Bestandteil der Choreographie macht, entwickelte sie in jenen ersten Jahren in Wuppertal – ebenso wie ihre unerbittliche Körpersprache, in der Schönheit nicht ohne Schmerz zu haben ist. Legendär die Geschichten von wutentbrannten Zuschauern, die den Saal bei laufender Vorstellung türeschlagend verließen und jenen, die sich keine Eintrittskarten leisten konnten, nach der Pause unfreiwillig Platz machten. In dieser Zeit entstand etwa ihre tieftraurige, romantische Beziehungsgeschichte „Komm tanz mit mir“ (1977). Hier gerät die fröhliche Aufforderung des Kinderreims zum verzweifelten Schrei nach Selbstachtung in der Liebe. Man kann es den flüchtenden Zuschauern kaum verdenken – die gegenseitige Zerfleischung der beiden Hauptfiguren ist bis heute bei aller Meisterschaft kaum zu ertragen. Selbst wenn es einmal satirisch zugeht wie in „Ahnen“ (1987), bleibt das Schrill-Belustigende nicht ohne abgründigen, bitterbösen Unterton – hat man doch während des ganzen Stückes die Befürchtung, einer der Tänzer würde früher oder später von dem umherfliegenden Helikopter

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geköpft oder zumindest von einem der Kakteen-Ungetüme aufgespießt. Trotz aller Empörung, sogar von Kritikerseite, beharrten Pina Bausch und ihr Ensemble auf dem einmal eingeschlagenen Weg. Zu Recht: In den achtziger Jahren feierte das Pina Bausch Tanztheater erstmals internationale Erfolge. Stücke wie „Kontakthof“ (1978), „Keuschheitslegende“ (1979) oder Nelken“ (1982) – heute allesamt Klassiker des Tanztheaters – handeln von dem, was die Leute bewegt, wie Pina Bausch sich einmal ausgedrückt hat, und nicht so sehr, wie sie sich bewegen. Seitdem ist das Pina Bausch Tanztheater mit Gastspielen in der ganzen Welt zu Hause. Aber auch das Publikum im heimischen Wuppertal wurde zusehends internationaler, was die überschaubare Kulturszene im Tal zu jeder Aufführung belebte. Vor allen Dingen während der großen Tanzfestivals der letzten Jahre fielen tanzverrückte Besucher aus aller Welt in Scharen ein. Zugleich bot dies den Wuppertalern die Möglichkeit, andere Größen der internationalen Tanzszene kennen zu lernen und die Bandbreite dessen zu würdigen, was jenseits des Bausch’schen Tanztheaters zeitgenössische Choreografen leisten. Unterdessen wurden Pina Bausch Preise über Preise verliehen – 1986 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 1990 den NRW Staatspreis, 1997 wird sie in den Orden Pour le Mérite aufgenommen. 2007 erhielt sie in Tokio den Kyoto-Preis für ihr Lebenswerk und den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig, im letzten Jahr bekam sie die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Wuppertal. Bis in die Gegenwart sind es Themen wie Liebe, der Geschlechterkampf, Angst, Tod und Sehnsucht, die sich durch das gesamte Werk Pina Bauschs ziehen. Erst mit dem neuen, jüngeren Ensemble erhielt dabei ein neuer Ton Einzug in das Tanztheater – nicht immer zur Freude von Fans der ersten Stunde. Schönheit ist nun nicht mehr zwangläufig mit Schmerz im Bunde. Zwar tun sich Männer und

Frauen auch weiterhin Leid an. Doch mit ungewohnter Leichtigkeit wird eine opulente Sinnlichkeit in immer neuen Varianten genussvoll zelebriert. Ein energiegeladenes, häufig sogar optimistisch wirkendes Aufbegehren gegen vorhandene Widerstände erobert die Bühne, so etwa in „Vollmond“ (2006), wo sich die Spannung nächtlichen Treibens an einem Felsbrocken des Bühnenbildes und viel spritzendem Wasser entlädt. Der Preis für den neuen Stil ist eine gewisse Austauschbarkeit der Stücke, die sich nicht mehr so eindeutig auf einen zentralen atmosphärischen Gehalt reduzieren lassen, wie es bei den alten Choreographien der Fall ist. Doch in jedem Frühsommer aufs Neue beeindruckte die Uraufführung des jeweiligen „Neuen Stückes“ mit dem schier unerschöpflichen Formenreichtum der Körpersprache, zumal Pina Bausch dafür zunehmend Anregungen aus anderen Teilen dieser Erde fand – in diesem Jahr zum letzten Mal. Geblieben ist bis zum Schluss die unbedingte Beharrlichkeit ihrer Arbeit, die Perfektion der Tanzfiguren, die atemberaubende Körperbeherrschung der Tänzer, denen Pina Bausch sichtlich alles abverlangte. Arbeit und Liebe – so bringt das Ada, eines der Tanzzentren Wuppertals, das Werk Pina Bauschs und ihre lebenslange Hingabe für den Tanz auf den Punkt. Ihr Tod, still und heimlich und so zurückhaltend wie sie selbst, ist ein Verlust für die Stadt, der sich nicht ermessen lässt. Wuppertal ist ohne Pina Bausch noch trauriger geworden.

Text von Susanne Buckesfeld Bildmaterial: Jochen Viehoff Farbabbildungen, Günter Krings s/w-Foto


Buchvorstellungen Deutsch erschienenen Überblick: von den frühen klassischen Werken bis zu den philosophischen Texten der 100 Schulen, vom Buch der Wandlungen bis hin zu den grundlegenden Schriften der daoistischen und konfuzianischen Meister. Die Ursprünge und Quellen der chinesischen Kultur werden in zum Teil exklusiv für diesen Band angefertigten Übersetzungen sichtbar.

Eine Sammlung chinesischer Klassiker Hg. von Eva Schestag und Olga Barrio Jiménez S. Fischer Verlag Anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2009 haben Eva Schestag und Olga Barrio Jiménez die Edition in vier Bänden vorbereitet. Die beiden ersten Bände sind eigens für diese Ausgabe zusammengestellt und zum Teil neu übersetzt worden. Eva Schestag studierte Sinologie in München, Nanjing, Zürich und Taipeh. In Frankfurt konzipierte sie für das Museum der Weltkulturen die Ausstellung »Bilder vom Glück« und unterrichtete als Lehrbeauftragte an der Universität Frankfurt am Main klassisches Chinesisch. Die in Spanien geborene Kulturjournalistin Olga Barrio Jiménez studierte Geographie und Geschichte und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit der europäischen Rezeption chinesischer Literatur. China – Ehrengast der Frankfurter Buchmesse Band I (Originalausgabe) Das alte China. Die Anfänge der chinesischen Literatur und Philosophie. Eine Anthologie. Hg. von Eva Schestag. 360 Seiten, ISBN 978-3-10-073564-5 Die chinesische Literatur ist eine der ältesten schriftlich überlieferten Literaturen überhaupt. Der erste Band der vierbändigen ChinaEdition gibt einen bisher so nie auf

Band II (Originalausgabe) Von Kaiser zu Kaiser: Die klassische chinesische Lyrik. Eine Anthologie. Hg. von Eva Schestag und Olga Barrio. 360 Seiten, ISBN 978-3-10-009649-4 Die Tang- und die Song-Dynastien stehen als Blütezeit der chinesischen Lyrik im Mittelpunkt des Bandes, doch kann man die Gedichte von Li Bai, Du Fu und Wang Wei nicht wirklich schätzen, wenn sie nicht im Zusammenhang ihrer Vorgänger und Nachfolger oder außerhalb des Kanons stehenden Zeitgenossen wie Han Shan sieht. Der Band stellt nicht nur ein in seiner Form nie da gewesenes Panorama der klassischen chinesischen Poesie in deutscher Sprache dar, sondern ist gleichzeitig eine ganz neue Begegnung mit den eigenen großen Dichtern als Nachübersetzer, Albert Ehrenstein, Bert Brecht, Rainer M. Gerhard oder Günter Eich.

In den Schuberkarton eingelegt wird »Der Drei-Zeichen-Klassiker«, ein in jedem Sinn elementarer Einstieg in die Schriftwelt der klassischen chinesischen Kultur. In sich reimenden Zeilen von jeweils drei Zeichen liest sich der Text wie ein langes, leicht einprägsames, rhythmisches Gedicht: Sanzi Jing: Der Drei-Zeichen-Klassiker Wang Yinglin (1223 – 1296). Aus dem Chinesischen übersetzt von Eva Schestag 50 Seiten – Originalband. Zweisprachig Chinesisch – Deutsch. Nur als Begleitband zur gesamten Reihe in der Kassette erhältlich.

Band III: Die goldene Truhe: Chinesische Novellen. Eine Anthologie, ISBN 978-3-10-009648-7 (hg. v. Wolfgang Bauer und Herbert Franke; Lizenz: Hanser) Band IV: Der Aufstand der Zauberer. Ein Roman aus der Ming-Zeit, ISBN 978-3-10-021510-9 (aus dem Chinesischen von Manfred Porkert; Neuausgabe) Eine Sammlung chinesischer Klassiker. 4 Bände im Schuber + Der DreiZeichen-Klassiker Hg. von Eva Schestag und Olga Barrio Jiménez, ISBN 978-3-10-010240-9 Subskriptionspreis bis 31. März 2010: 89,00 Euro; 147,00 sFr (UVP) Einzelbände: ca. 25,00 Euro; 43,00 sFr

50 Plus ist absolutes Trendthema Viele, die sich damit auseinandersetzen, schrappen jedoch selbst gerade mal zart an der 50 - eigentlich noch viel zu jung, um über Alter und das Altern zu sprechen. Die Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin Nora Ephron, aus deren Feder herrlich amüsante Filme stammen wie „Harry und Sally“ oder „Schlaflos in Seattle“, ist Jahrgang 1941 und hat die Schallgrenze bereits überschritten. Als sie merkte, dass sie und ihre Freundinnen immer häufiger in Rollkragenpullovern

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Buchvorstellungen auftraten, wurde ihr klar, dass sie offenbar ein Alter erreicht hatten, dessen Auswirkungen mit Kosmetika allein nicht mehr zu retuschieren waren, denn: DER HALS LÜGT NIE! Entwaffnend offen, sehr persönlich und humorvoll erzählt Ephron in ihrem gleichnamigen Buch von den Wahrheiten des Älterwerdens, davon, dass die Instandhaltung immer länger dauert, die Lesebrille dauernd verschwindet, obwohl mehr Zeit zum Lesen wäre, die ersten Freunde gehen, und man bedauert, mit 26 keinen Bikini getragen zu haben... Sie lässt alle Optionen offen, ob man der vergehenden Jugend künstlich nachhelfen will oder nicht - alles ist erlaubt. Ihr Fazit: Alter ist eine relative Größe - egal die wievielte Null man mit sich herumträgt - jedes Alter birgt seine Schönheiten und Freuden. „Die harten Wahrheiten und witzigen Gedanken in diesem Buch sparen die Eitelkeit des Publikums und der Autorin selbst nicht aus, aber sie sind Heilsalbe für so manche Wunde. Und viele von Ephrons Einsichten kommen uns sehr gelegen. Es leuchtet ein: Männer kommen, Männer gehen, unsere Körper aber bleiben!“ New York Times DER HALS LÜGT NIE wurde in den USA mit dem „Book Sense Book of the Year Award“ ausgezeichnet.

Im Zeichen der Madonna In ihrem neuen Roman begibt sich die spanische Autorin Susana Fortes an die Aufklärung eines fünfhundert Jahre zurückliegenden Verbrechens: Florenz, April 1478: Die Kuppel von Santa Maria del Fiori strahlt in der Frühlingssonne, die ganze Stadt freut sich auf das Auferstehungsfest. Nichts deutet darauf hin, dass der Dom kurz darauf zum Schauplatz eines blutigen Gemetzels an den Medici wird. Der Maler Pierpaolo Masoni, Augenzeuge und Überlebender

des Massakers, ahnt, wer die Verantwortlichen des Attentats sind, weiß sein Wissen jedoch geschickt zu verbergen… Rund 500 Jahre später kommt die spanische Kunsthistorikerin Ana Sotomayor nach Florenz. Sie recherchiert für ihre Doktorarbeit über den Maler Masoni. Dieser, ein Zeitgenosse Leonardo da Vincis, schuf nicht nur eine Reihe bedeutender Werke, die im Auftrag der Medici entstanden. Er hinterließ der Nachwelt auch eine Reihe handschriftlicher Dokumente, die Einblick in seine Gedankenwelt geben und so für das Verständnis seiner Bilder von größter Bedeutung sind. Insbesondere seine „Madonna im Schnee“ gibt der Kunstwelt Rätsel auf. Ana hofft, dass sie das Werk nach Einsicht der Schriften besser deuten kann. Doch es gibt jemanden, der um jeden Preis verhindern will, dass sie das Geheimnis der „Madonna“ entschlüsselt… „Ein wundervolles Buch, hervorragend konstruiert und fesselnd geschrieben – so unterhaltsam wie geistreich!“ El Mundo „Eine wunderschöne Liebesgeschichte, aber auch die Geschichte eines fünf Jahrhunderte zurück liegenden Kampfes um die Macht – Susana Fortes hat beides zu einem beeindruckenden literarischen Kunstwerk vereint.“ Revista Literaturas IM ZEICHEN DER MADONNA erschien im September im Limes Verlag

Einfach mehr Herz: Meine Stadt. Meine Stadtwerke.

www.wsw-online.de

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40 Tage im Kloster des Dalai Lama Stephan Kulle, Scherz Verlag Der Journalist und Theologe Stephan Kulle gehört zu den profiliertesten Kennern des Papstes und Vatikan-Insidern. Für dieses Buch hat er das Kloster des Dalai Lama aufgesucht. Im nordindischen Dharamsala erlebt Kulle das Leben der Mönche hautnah und erhält Einblicke in das Innerste des tibetischen Buddhismus. Er wohnt stundenlangen Meditationen und faszinierenden Debatten der Mönche bei, lässt sich von den Klängen der Hörner, der Pauken und Becken gefangen

nehmen und spürt der großen Sehnsucht vieler Westler nach, die zu diesem mystischen Ort voller Gegensätze pilgern. Ein packender und faszinierender Blick in eine andere spirituelle Welt Stephan Kulle, Jahrgang 1967, ist Theologe, Journalist und Buchautor (»Riss im Glück«, »Warum wir wieder glauben wollen« und »Papa Benedikt«). Er arbeitet unter anderem als Fernsehreporter und Moderator. Für den Fernsehsender Phoenix berichtete der Vatikanexperte vom Konklave 2005. Dabei sorgte er für weltweites Aufsehen, als er vier Minuten vor der offiziellen Bekanntgabe den Namen des neuen Pontifex Maximus verkündete.

www.stephan-kulle.de Stephan Kulle 40 Tageim Kloster des Dalai Lama 400 Seiten, gebunden 8 Seiten Bildteil 19,95 Euro; 34,90 sFr (UVP) ISBN: 978-3-502-15098-5 Foto: Gaby Gerster

Zeitreisen für Anfänger Roman Sharon Griffiths, Scherz Verlag 2008: Die Journalisten Will und Rosie lieben sich, wohnen zusammen, sind aber immer noch kein wirkliches Paar. Er meint, sie sei zu unabhängig, um sich zu binden. Sie hält ihn für zu unreif … Als Rosie für ein Feature über die 50er Jahre recherchiert, findet sie sich plötzlich selbst in ihrer Story wieder: Es ist 1953, und sie arbeitet bei einer Zeitung: Büros voller Männer und Zigarettenqualm, während die Frauen Kaffe kochen und Rezepte schreiben. Keine elektrischen Küchengeräte, kratzende Kleidung (Hüftgürtel!), schwere Hausmannskost… Will ist ebenfalls dort. Aber in den 50ern heißt er Billy, hat mit sechzehn geheiratet und drei Kinder. Rosie wünscht sich sehnsüchtig, dass der Billy der 50er Jahre sie so liebt wie der Will der Gegenwart. Ironie des Schicksals: Jetzt, als Rosie Will wirklich kennt

und sich sicher ist, dass er der Richtige ist, kann sie ihn nicht mehr haben. Es sei denn, es gelingt ihr, nach 2008 zurückzukommen… Eine große romantische Komödie: britisch, witzig, warmherzig. Sharon Griffiths, geboren und aufgewachsen in Wales, hatte eine 1950er Freilandkindheit. Sie studierte Anglistik an der Universität Bristol, arbeitete danach lange für die BBC und später für ITV. Auf einer Pressereise in einem Güterzug zwischen Ipswich und Glasgow, bei der sie die einzige Frau an Bord zwischen vierzig Männern war, begegnete sie ihrem späteren Ehemann, dem sie in den Norden und in die Printmedien folgte. Unter anderem schreibt sie mittlerweile fünf Kolumnen in der Woche. Schreiben ist ihr die liebste Arbeit von allen. »Zeitreisen für Anfänger« ist ihr erster Roman. www.sharon-griffiths.com Sharon Griffiths Zeitreisen für Anfänger Roman Aus dem Englischen von Karin König ca. 384 Seiten, Klappenbroschur ca. 14,95 Euro; 26,90 sFr (UVP) ISBN: 978-3-502-10208-3

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Neue Kunstbücher

CADMO

GRACE

MERCURY

Vorgestellt von Thomas Hirsch. Die Leistung liegt in der Begrenzung und der Konzentration. Dies trifft auf drei neuere, zu Ausstellungen erschienene Kunstbücher zu, die sich jeweils einer Epoche zuwenden und damit intensive Einblicke in die Kunstgeschichte bieten.

Lichtbogen Frank Marschang e.K. Karlstraße 37 42105 Wuppertal Tel. 0202 . 244 34 40 Fax 0202 . 244 34 39 www.lichtbogen-wuppertal.de info@lichtbogen-wuppertal.de

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Portrait-Kunst der Renaissance Van Eyck, Dürer, Tizian ... Die PorträtKunst der Renaissance, 272 S. mit ca. 170 farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 33 x 24,5 cm, Belser, 49,90 Euro. Eine der revolutionären Taten der Renaissance ist die Bildnisdarstellung. Erstmals wurde eine Ähnlichkeit gefordert, mithin ein Realismus, der von den Auftraggebern ausging. Im Norden Europas hat dies indes zu anderen Ergebnissen als im Süden geführt. Das Buch „Van Eyck, Dürer, Tizian ... Die PorträtKunst der Renaissance“ (Belser) geht dem anhand der herausragenden Beispiele der Porträtkunst in den unterschiedlichen Medien und Gattungen nach, wozu noch die Freundschafts- und Hochzeitsbildnisse gehören. Entsprechend ist das nun erschiene Buch nach Bildtypen und Anlass unterteilt, was leider nicht immer zwingend motiviert ist. Aber Pisanello mit dem Porträt von Leonello d’Este, Parmigianino mit dem Bildnis eines Sammlers, die Männerbildnisse des Jan van Eyck und Die Gesandten von Hans Holbein d. J. hier vereint zu sehen, ist ein Erlebnis. Gut eingeleitet und großzügig präsentiert – ein Genuss!

Das Zeitalter Rembrandts Das Zeitalter Rembrandts, Hg. K. A. Schröder, M. Brisanz-Prakken, 416 S. mit 213 üwg. farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 29,7 x 28,2 cm, HatjeCantz, 39,80 Euro. Die Papierarbeiten in „Das Zeitalter Rembrandts“ (Hatje Cantz) stammen gleichfalls aus einer Quelle, aus dem Bestand der Albertina in Wien. Im Mittelpunkt steht das Werk von Rembrandt van Rijn: als Stil und als Kristallisationspunkt für seine Malerkollegen in den Niederlanden. Ergänzt wird die Auswahl der niederländischen Meister des 17. Jahrhunderts durch Gemälde, die aus anderen Museen stammen, denn die Albertina selbst beschränkt sich auf Arbeiten auf Papier. Dass sie darin aber zu den wichtigsten Institutionen weltweit gehört, belegt schon der vorliegende Einblick in das „Goldene Zeitalter“, der nach Themen und Genres gegliedert ist, welche die formale und inhaltliche Vertiefung ermöglichen. Es ist nicht einfach, Zeichnungen zu reproduzieren, aber hier gelingt dies vorzüglich und besitzt ein Niveau, welches diesen Arbeiten in der Tat angemessen ist. Ein Buch mit bibliophilen Qualitäten.


Zur Kunst des Manirismus Sturz in die Welt. – Die Kunst des Manierismus in Europa, 255 S. mit ca. 150 farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 28 x 22,5 cm, Hirmer, 37,90 Euro. Auf einem zusammengehörenden Sammlungsbestand beruht das Katalogbuch „Sturz in die Welt“ (Hirmer), welches zur Kunst des Manierismus erschienen ist. Die hier gezeigten – und im Bucerius Kunst Forum in Hamburg ausgestellten – Bilder stammen sämtlich aus Budapest, aus dem Szépmüvészeti Múzeum, das für den Manierismus seinesgleichen sucht. Zu datieren zwischen 1520 und 1610, kennzeichnet den Manierismus eine ausmodellierte, expressiv gedrehte Körperlichkeit wie auch eine überstrahlte Farbigkeit mit einer dramatisierenden Lichtführung; thematisiert wurde insbesondere das Eindringen des (christlich) Überirdischen

in eine irdische Welt. Das Budapester Museum hat dazu allerhand zu bieten, neben solchen Meistern wie El Greco, Bronzino oder Giambologna finden sich Beispiele weniger bekannter Künstler, was ein Gewinn ist. Freilich besitzt das Museum nicht alle Hauptwerke dieser Periode. In der Ausstellung ist dies nur bedingt zu kompensieren, im Buch hingegen wären ohne Weiteres Abbildungen der zentralen Werke möglich gewesen. Trotzdem, es definiert die Dimensionen des Manierismus im europäischen Kontext und bringt dabei manches Überraschende zum Vorschein, ein Standardwerk ist es nicht. Aber das beansprucht es auch nicht.

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Im schwarzen Anzug Morgenkaffee XIII von Karl Otto Mühl

Karl Otto Mühl

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Die Bäckerinnen wundern sich, daß ich nicht im Trainingsanzug erscheine, sondern im dunklen Anzug, in weißem Hemd mit schwarzer Krawatte. Sie sind zu diskret, mich nach dem Trauerfall zu fragen, aber sie reden nur in leisem Ton miteinander. Gleich werde ich zum Friedhof fahren. Die Fahrt dauert nur wenige Minuten. Auf dem Wege komme ich an einer kleinen Kirche vorbei, die im hellsten Sonnenlicht liegt. Ich meine, den Kies unter den Füßen zweier alter Frauen knirschen zu hören, die auf dem Wege dorthin sind. Was für ein Glücksmoment, und wie friedlich ist die Vorstellung vom Tot-Sein und auf dem Friedhof liegen, und wie gut, daß ich mir nicht vorstellen muß, wie die Vorstellung von diesen jetzigen Glücksaugenblicken ins Herz schneiden würde, wenn gerade die Faust des Schicksals unerwartet zugeschlagen hat. So wie bei ihr, die jetzt zu Grabe getragen wird. Sie war ganz überraschend durch den Garten an die Verandatüre gekommen, eine kleinere Frau, etwa Vierzig, sonnengebräunt, strähniges, blondes Haar, nicht gerade schön , aber sicher nicht häßlich, eher der Typ „robust und seetüchtig“; im Gesicht das Wissen, eher unauffällig auszusehen. Wir könnten uns bitte umsehen, da und da und auch da, da habe sie die Gärten auf Vordermann gebracht; Gartengestalterin, das sei ihr Beruf, und preisgünstig sei sie auch. Was soll ich sagen, meine Frau wollte es tatsächlich versuchen, und in den nächsten Tagen arbeitete Helga, so durften wie sie nennen, täglich in unserem Garten, legte sogar die Steinplatten auf dem Weg neu, legte Eingrenzungen an, beschnitt Bäume und Sträucher, stützte wankelmütige Obstbäume, schaffte hübsche, kleine Beete mit Buchsbaum-Eingrenzungen. Geometrie wurde erkennbar. Wir erfuhren mehr: Verheiratet war sie mit einem Gemüsehändler. Sie hatte sogar das Abitur geschafft, dann aber jede geregelte Ausbildung verweigert. Aber dies hier konnte sie. Und sie rauchte. Sie rauchte fast ständig, arbeitete sogar mit der Zigarette im Mundwinkel. Meiner Frau gefielen die Ergebnisse ihrer Arbeit, sie unterhielt sich oft mit Helga, und eines Tages wurden wir sogar von ihr eingeladen, sie habe Geburtstag. Wir lernten ihren schnauzbärtigen, dicklichen Mann kennen, der kaum sprach und sich so unserer Beurteilung entzog. Wir erfuhren, daß sie mit ihrer Mutter schon länger verfeindet war. Die war auch nicht gekommen. Die Wohnung war ärmlich eingerichtet. Wir tranken Kaffee, erzählten von unseren Berufen, ich bereits pensioniert. Sie hörte zu, aber ich merkte, daß es sie nicht interessierte. Ihre Augen wanderten unruhig hin und her. Ich glaube, sie fand, dies hier war nicht das Leben, ja, nicht einmal der Augenblick, die sie eigentlich wollte. Nachdem sie das Gröbste geschafft hatte (und das war nötig gewesen, denn wir sind keine Garten-Könner), kam sie weiterhin in kurzen Abständen stundenweise und sah nach dem Rechten. Dann konnten wir den Hund schon einmal in ihrer Obhut lassen und Einkaufen oder zu sonst etwas gehen. Wir sprachen nicht darüber, aber wir waren froh, daß wir sie hatten. Sie war uns sozusagen zugelaufen, aber wir hätten sie freiwillig nicht mehr hergeben wollen. Sie und wir gehörten zu unserem jeweiligen Leben. Sie wußte genau, was wir taten, was wir vorhatten, woran uns etwas lag, sie fragte auch manchmal, ob dieses oder jenes jetzt in Ordnung sein, zum Beispiel ein ungünstiger Leberwert. Sie suchte und fand für uns abgegangene Knöpfe, und, als eine Tante bestattet wurde, die uns oft besucht hatte, saß sie hinten in der Trauerkapelle. Wir hatten uns schon einige Male gewundert, aber eines Tages wurde es klar. „Sie bestiehlt uns“, sagte meine Frau. Einmal war Geld aus dem Portemonnaie verschwunden, ein anderes Mal sogar eine Armbanduhr. Beides hatte offen herumgelegen. Aus den Schubladen schien sie nie etwas zu entnehmen. Vielleicht kannte sie die verschiedenen Kategorien von Raub, Einbruch und Diebstahl und wählte Delikte, die sie für die leichteren hielt.


Zur alten Bergbahn Nach einigem Nachdenken und Beraten beschlossen wir, nichts zu sagen. Da war nichts zu beweisen und nichts zu erreichen. Eine längere Reise gab uns die Möglichkeit, den Kontakt abzubrechen, da wir uns nach der Rückkehr nicht bei ihr meldeten. Vielleicht ahnte sie auch etwas von unserem Wissen. Eines Tages rief ihre Schwester an. Helga sei an Krebs gestorben, und morgen sei die Beerdigung. Wahrscheinlich habe sie zuviel geraucht. Aber sterben habe sie nicht wollen, das habe sie immer wieder beschwörend gesagt, als sie im Hospiz lag. Wir standen am Grab. Außer uns noch ihr Mann, der Gemüsehändler, und seine Freunde, dazu Helgas Schwester. Der Mann würde nach dem letzten Glöckchenbimmeln heimkehren in eine stille, dämmerige Wohnung. Hoffte er noch auf irgend etwas in der Zukunft? Diese Geschichte hat kein schlüssiges Ende und ergibt keinen Sinn, was sonst ja die meisten Geschichten ausmacht. Sie endet aber für mich in einem Bild – eine lange breite Straße, eine Art Via triumphalis, und rechts und links Gestalten wie Skulpturen aus der Antike, immer zur nächsten Bewegung bereit. Und eine dieser Figuren ist Helga. Sie steht da mit angespanntem Gesichtsausdruck, nicht weniger edel als die anderen Figuren, und niemand denkt, daß sie jemals Geld und Armbanduhren gestohlen hat. Alle diese Gestalten haben dies und jenes gemacht, aber es waren kleine Schwankungen und Bewegungen auf dem Marsch, zu dem sie sich gleich in Bewegung setzen werden, und auf dem wir uns alle befinden. Wohin diese Straße führt, kann ich nicht sehen, aber mitten unter den Marschierenden ist Helga.

Vor sechs Wochen saß ich in dem Restaurant, das diesen Namen trägt. Es ist eine gute Wohngegend, und das Personal ist auf bessere Leute aus dieser Gegend eingestellt, selbstverständlich auch auf andere. Die kamen vor 50 Jahren meist aus dem Tal mit der Zahnradbahn - aber davon später. Wir waren an diesem Wiedersehensabend vier, die von unserer Abiturklasse noch gehfähig waren. Einer war blind, sein Sohn begleitete ihn. Auch andere Gebrechen wurden erwähnt. Warum soll es uns besser ergehen als der Bergbahn, die vor etwa 50 Jahren stillgelegt wurde, dachte ich. Andere werden eine Fülle von Einzelheiten berichten können über diese Bahn, deren Nase während der Fahrt steil gen Himmel zeigte. Ich erinnere mich aber eher an die Gefühle, die ich zu jeder Zeit hatte, den inneren Horizont, der mich umgab, die Welt, wie ich sie empfand, als wir damals über den bewaldeten Hang hinauf in die Wolken fuhren. Ich glaube, ich bin nur ein einziges Mal mit ihr gefahren. Das war also in den Fünfziger Jahren, und neben mir saß ein Mädchen, das Inge hieß. Sie trug ein geblümtes, sommerliches Kleid und ich hatte meinen Sonntagsanzug an; scharfe Bügelfalten, Hemd, Krawatte, Sakko. Das Mädchen lebt noch, sie war Unternehmerin geworden, und sie lebt heute in einem alten Bürgerhaus mit schattigem Garten am Hang. Wie ich mich in dieser Zeit fühlte? Erbärmlich. Ich genügte mir nicht, ich genügte sicherlich der Welt nicht, dem Mädchen das heiraten wollte und eine Dreizimmerwohnung beziehen, noch weniger; und die ganze Welt genügte mir nicht. Wahrscheinlich habe ich für Inge, oben auf dem Gipfel des Sonntagsglücks angekommen, eine Tasse Kaffee bestellt. Viel Geld hatten wir ohnehin nicht. Eigentlich will ich nur sagen, daß es nach meinem Gefühl eine widerliche Zeit war. Zwar waren wir alle mit dem Leben davongekommen, hatten sie endlich wieder, die anderen, die Angehörigen, die überlebenden Freunde, die Mädchen, aber wir lebten immer noch in einer Trümmerstadt und hatten das Gefühl, daß es immer so weitergehen würde; scharfe Bügelfalten, Sonntagsglück, Kaffee. Und, während wir immer noch auf etwas Besonderes warteten, würde das Leben vergehen. So hatten wir Heimkehrer uns das nicht vorgestellt. Das war mein Lebensgefühl in dieser Zeit. Die Bergbahn wurde stillgelegt – da sie kein lebendes Wesen ist, kann ich auf sie verzichten –, aber die Zeit änderte sich, und, falls sie nicht nur Gutes gebracht haben sollte, sie gab uns wenigstens zu tun. Um gerecht zu sein: Sie brachte uns sogar die Ziele und die Menschen, die wir wichtig nehmen konnten. Und das heißt Leben.

Wir sind froh, daß wir damals nichts gesagt haben. Wahrscheinlich konnte sie nicht anders.

Foto © Frank Becker www.musenblaetter.de

© Karl Otto Mühl, 27. 4. 2009 Foto: Wikipedia

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In den schwersten Stunden lassen wir Sie nicht allein.

seit 1813

Alles hat seine Zeit. 36

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und Nacht 66 36 74


Die Soester Fehde Textbuch zum Schauspiel in zwei Akten von Michael Zeller

Michael Zeller

Verlag HP Nacke KG ISBN 978-3-98 12319-3-9

Michael Zeller

Die Soester Fehde Schauspiel

Verlag HP Nacke KG

www.michael-zeller.de · www.soesterfehde.de

Im Auftrag des „Soester Kulturforums e.V.“ hatt Michael Zeller 2007/08 das Schauspiel „Die Soester Fehde“ geschrieben. Der vorgegebene Stoff ist ein markantes Kapitel aus der Stadtgeschichte von Soest, Mitte des 15. Jahrhunderts. Soest, eine wohlhabende Handelsstadt in Westfalen: Der Rat beschließt, die Herrschaft des Erzbischofs von Köln abzuschütteln und an seiner Stelle den Herzog von Kleve einzusetzen. Der Konflikt ist hochbrisant. Er stellt die Legitimität des Regierens in Frage. Das ganze europäische „Abendland“ ist davon berührt und mischt sich ein: der deutsche König und Kaiser ebenso wie der Papst in Rom (und der Gegenpapst) oder der mächtige Städtebund der Hanse. Vier Jahre lang, von 1444 bis 1449, zieht sich das Ringen der „Soester Fehde“ hin. Mit großem Heer belagert der Bischof die abtrünnige Stadt und schließt sie ein. Über vier Jahre lang stehen für jeden Bürger, hoch wie nieder, täglich Leben und Tod auf dem Spiel. Das historische Ereignis ist lückenlos dokumentiert. Doch kein einziges persönliches Schicksal hebt sich, nach damaliger Denkart, in den Urkunden ab, keine Spur führt ins Private. Jede Figur war von mir zu erfinden, ihr Denken, Fühlen und Handeln, je nach Geschlecht, Alter, Stand verschieden. Die Hauptschwierigkeit lag für den Autor darin, historische Treue und die Erfordernisse eines bühnenwirksamen Handlungsverlaufs in die Waage zu bringen, dem mittelalterlichen Lebensgefühl zu entsprechen wie einem davon weit entfernten Zuschauer des 21. Jahrhunderts. Das Stück 1. „Die Soester Fehde“ ist ein personenreiches Stück geworden. In zwei Akten – zu je ca. zwanzig Szenen – treten über dreißig Figuren auf: der Erzbischof von Köln wie sein Gegenspieler, der jugendliche Herzog Johann – der Soester Stadtsekretär Bartholomä und der Fahrende Schüler Gregorius – Anna, Tochter des Stadtschreibers, und ihr Liebster, der Musikant Anselm. Es erscheinen auf der Bühne Ratsherren, Kaufleute, Geistliche, Bauern, Soldaten, auswärtige Söldner, Handwerker der Zünfte, Bewohner des Armenhauses, Passanten der Straße, Kinder, der Bäcker Hörster, der irre geworden ist. 2. Über das konkrete historische Geschehen vor einem halben Jahrtausend hinaus geht es in dem Stück „Die Soester Fehde“ um Krieg, und es geht um die Liebe – Themen jenseits der Epoche. Hier beginnt eine andere Geschichte. Das junge Liebespaar Anna und Anselm gerät in die Mühlen des Kriegs. Anselm, der Musikant, soll Feuer gelegt haben in der Stadt. Er wird eingekerkert und ist des Todes. Anna versucht ihn zu retten. Im Soester Rathaus sitzt ein Verräter. Er versorgt den Bischof mit frischen Informationen. Stadtsekretär Bartholomä, der politische Kopf der Soester, nutzt diesen Verrat in den eigenen Reihen. Dank seiner Intrige werden die anstürmenden Truppen zurückgeschlagen. Die Soester Frauen helfen dabei auf der Stadtmauer mit wirksamen Waffen. Der Bischof muss die Belagerung der Stadt abbrechen. Auch Anselms Geschick nimmt ein versöhnliches Ende. 3. Aus „Trümmern von Dasein und Überlieferung“, wie Goethe es nennt, ist in dem Stück „Die Soester Fehde“ eine „zweite Gegenwart“ angestrebt. Sie soll – so ist es der Wunsch von Zeller - der Vergangenheit des Mittelalters ebenso gerecht werden wie dem Zeitalter, in dem wir heute leben. Die Aufführung Von Anfang an war die Aufführung der „Die Soester Fehde“ als eine Freilicht-Veranstaltung geplant, in der mittelalterlichen Kulisse des Stadtkerns von Soest: zwischen Patroklidom und Petrikirche. Es ist vorgesehen, „Die Soester Fehde“ dort alle zwei Jahre zu zeigen. Für die Inszenierung konnte der Regisseur Michael Ritz gewonnen werden. Zeller schätzt seine Arbeit seit vielen Jahren. Ritz verfügt über eine reiche Erfahrung gerade auch mit Theater unter freiem Himmel.

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Der Romeo gegen den Strich „Wir haben diese Rolle gegen den Strich besetzt, wollten mutig sein und dem Publikum eine unkonventionelle Lösung bieten.“ Zitat des damaligen Wuppertaler Generalintendanten Hellmuth Matiasek zur Besetzung der Rolle des Romeo in der Premiere von „Romeo und Julia“ am 19. September 1979 im Wuppertaler Schauspielhaus. Den Romeo spielte Uwe Ochsenknecht.

Uwe Ochsenknecht

Der gebürtige Mannheimer Uwe Adam Ochsenknecht war damals 23 Jahre alt und kam schlichtweg über das „Vorsprechen“ (neudeutsch: Casting) nach Wuppertal. Professor Dr. Hellmuth Matiasek, heute Präsident der bayerischen Theaterakademie August Everding im Münchner Prinzregententheater und drei Spielzeiten lang Intendant in Wuppertal, wagte das Risiko mit dem noch wenig bekannten Schauspieler, der vor dem Abitur die Schule verlassen hatte, mit 17 Jahren als einer von zehn aus 500 Bewerbern die Aufnahme für die Bochumer Schauspielschule bestand und schon 1978 (also vor Wuppertal) eine Nebenrolle im Hollywood-Streifen „Lawinenexpress“ spielte. Sein Romeo-Auftritt an der Seite von Lilo Wicki als Julia war dennoch gewöhnungsbedürftig. Matiasek: „Mir hatte Ochsenknecht beim Vorsprechen gut gefallen. Er brachte seinen ganzen rauen Charme in diese Rolle hinein. Der Romeo ist schließlich kein Geistesheld, sondern er hat auch etwas Naives. Uwe Ochsenknecht war eine Seele von einem lieben Kollegen.“ Ob Matiasek damals schon ahnte, was aus seinem untypischen Romeo einmal werden würde? „Das war sicher nicht abzusehen. Aber zu einer großen Karriere gehört auch sehr viel. Man braucht Mentoren, Mutmacher und nicht zuletzt Glück. Und mit Uwe ist es ja dann sehr steil in die Höhe gegangen. Wenn wir uns heute sehen, fallen wir uns in die Arme, freuen uns und reden auch über die Wuppertaler Zeit.“ Nach nur einem Jahr verließ Uwe Ochsenknecht die Wuppertaler Bühnen in Richtung Bochum, Hamburg, Film

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und Fernsehen. Obwohl wahrlich kein Schönling, hatte dieser Bereich offenbar nach ihm gelechzt. Die großen Auftritte ließen nicht lange auf sich warten. 1981 kam die Rolle des Bootsmannes Lamprecht in „Das Boot“ von Wolfgang Petersen, 1985 „Männer“ von Doris Dörrie und 1986 „Schtonk“ in der Regie von Helmut Dietl. Auch mit Willy Bogner hat er gedreht: „Feuer, Eis und Dynamit“. Im Jahre 2001 hat er in „Fußball ist unser Leben“ den Schalke-Fan Hans Polak gespielt. Mit Rudi Assauer als Rudi Assauer und mit Ulli Potofski. Der RTLModerator erinnert sich: „Wir waren ja im Vergleich zu den wirklichen Schauspielern eigentlich die Deppen bei dieser Arbeit. Uwe Ochsenknecht war sehr unkompliziert und hat uns auch schnell akzeptiert. Der Film ist mittlerweile schon vier Mal im Fernsehen gelaufen und in jeder Videothek zu leihen.“ Und dann hat er 1992 auch wieder gesungen. Das gefiel ihm allerdings schon als Zehnjähriger im Opernchor von Mannheim. Mittlerweile gibt es viele Angebote des Musikers Uwe Ochsenknecht. Rio Reiser hat ihm für das DeutschrockAlbum „O-Ton“ den Text zum Song „Spiegelverkehrt“ geschrieben. Heute singt Uwe Ochsenknecht bevorzugt in englischer Sprache. Im November 2008 erschien mit „MatchPoint“ das fünfte Studioalbum des Schauspielers. „Das Album ist von vielen Stilrichtungen beeinflusst, da ist was Rockiges, was Souliges dabei - und trotzdem ist es ein Guss“, sagte Ochsenknecht. Im Umgang mit den Medien neigt er auch zu Scherzen wie diesem: „Meine Hobbies sind Stricken und Bleigießen“. Nach Wuppertal ist er vor einigen Jahren anlässlich der Tom-Tykwer-Premiere von „Der Krieger und die Kaiserin“ ins CinemaxX gekommen. Nur wenige Meter entfernt von seinem Auftrittsort als Romeo. Sein Wuppertal-Entdecker Hellmuth Matiasek lebte während der Intendanz im Tal in der Wilhelmstraße 2 in Solingen. Matiasek: „Es war die Crusius-Villa, ganz wunderbar.“ Der Ehemann der Schauspielerin Cornelia


Froboess (Hochzeit am 3. August 1967) kehrte von Wuppertal zurück an das Theater am Gärtnerplatz in München. Ihm folgte als Intendant in Wuppertal der glücklose Jürgen Fabritius. Matiasek: „Ich habe Wuppertal in allerschönster Erinnerung. Es kommen auch immer wieder Menschen nach München, die ich aus dieser Zeit kenne.“ Mit seiner von Kindesbeinen an populären Ehefrau („Pack die Badehose ein“) lebt er seit Jahren auf dem „Rinklhof“ am Kufstein. © Klaus Göntzsche Portrait: Wikipedia

Uwe Ochsenknecht mit Lilo Wicki als Julia in „Romeo und Julia“ Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und Bergisches Land Auflage 4.000 Exemplare Erscheinungsweise: 6 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wieder. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.

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