Die Beste Zeit Ausgabe 2

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart Wuppertal und Bergisches Land

Monet in Wuppertal Dorothea Renckhoff Ausstellung übertrifft alle Erwartungen Aber die Richtige Noch bis zum 28. Februar 2010 Der gläserne Birnbaum

Januar /Februar 2010 - 3,50 Euro

Andreas Steffens Glück. Aspekte und Momente Nordparkverlag

Kleines Schauspielhaus Ich Tasche, Felicia Zeller Willfried Penner, ELS-Abend

Öffentlich zugänglich Hermann Schulz Der Zeichner und Bildhauer Fußballreise nach Afrika Karl Burgeff im Bergischen Land

Klang Art im Skulpturenpark Ein Rückblick

Wuppertaler Jazzmeeting Eine Erfolgsgeschichte

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In den schwersten Stunden lassen wir Sie nicht allein.

seit 1813

Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag

und Nacht 66 36 74


Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, dass Ende 2009 der „Testlauf“ unseres Magazins Die beste Zeit so ermutigend freundlich aufgenommen worden ist, hat HansPeter Nackes Entschluss gefestigt, Sie künftig zweimonatlich mit einer unterhaltsamen und informativen Mischung von Beiträgen und Berichten aus unserer kulturreichen Region zu versorgen. Dass ich Sie heute an dieser Stelle als Mitherausgeber begrüßen darf, ist Ergebnis der Überlegung, das Potential von zwei in ihrer Erscheinungsform zwar unterschiedlichen, in der Zielsetzung aber identischen Medienformen für Die beste Zeit zu bündeln. Die Themen-Palette meines seit drei Jahren täglich und auch weiterhin aktuell im Internet erscheinenden Magazins für Kultur und Reise „Musenblätter“ (www.musenblaetter.de) bot Möglichkeiten der informativen Verknüpfung, die man nutzen sollte. HP Nacke brauchte keine Überzeugungsarbeit zu leisten, um mich als Mitherausgeber zu gewinnen. Wir haben uns zusammengetan, um für Sie das Beste in Die beste Zeit zu bringen. Auch im ersten Heft 2010 spielt die Wuppertaler Monet-Ausstellung, eines der größten Kulturereignisse hierzulande der letzten Jahrzehnte, eine Rolle - Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh konnte am 3. Dezember 2009 die 100.000. Besucherin im Von der Heydt-Museum begrüßen. Die Ausstellung wird noch bis zum 28. Februar Wuppertal in den Fokus der Kunstwelt rücken. Susanne Buckesfeld erzählt Ihnen einiges dazu. Das im Sommer in Tony Craggs Skulpturenpark „Waldfrieden“ u.a. mit Markus Stockhausen, Joachim Kühn, Rabih Abou-Khalil, Ferenc Snétberger, Arild Andersen und Dietrich Rauschtenberger veranstaltete „Klangart“-Festival erwies sich als Solitär der Verbindung von Jazz, zeitgenössischer und Weltmusik. Heiner Bontrup war dabei und vermittelt mit den stimmungsvollen Fotos von Karl-Heinz Krauskopf die phantastische Stimmung der Konzerte. Für 2010 steht schon ein neues „Klangart“-Programm. Über Jazz, nämlich das Wuppertaler Jazzmeeting, schreibt auch Rainer Widmann, Gründer der JazzAGE, in der Szene der Region einer der bestinformierten und aktivsten Mittler. Gemeinsam mit E. Dieter Fränzel, der die „Klangart“ auf die Beine gestellt hat, ist er Herausgeber des Buches „Sounds like whoopatal – Wuppertal in der Welt des Jazz“. Die Sorge um den Bestand der Wuppertaler Bühnen, insbesondere des ohnehin schon fast unerträglich geschrumpften Schauspielensembles, treibt derzeit die Theaterfreunde der um. Die drohende, weil als Sparmaßnahme bereits angekündigte Schließung der soeben erst (wieder-) eröffneten Spielstätte des Kleinen Schauspielhauses an der Kluse hat bereits für harsche öffentliche Kritik gesorgt. Dass solche Sparpläne fast unmittelbar nach dem Tod der Choreographin Pina Bausch aus der Schublade geholt wurden, macht nachdenklich. Die beste Zeit wird die Entwicklung aufmerksam beobachten und die Arbeit des Theaters begleiten. Mit dem umstrittenen ICE-Einakter „Ich Tasche“ machen wir den Anfang. Wer vor einigen Spielzeiten in Wuppertal die herrliche Groteske „Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ von Long/Singer/Winfield gesehen hat, kennt eine der Autorinnen unseres aktuellen Heftes: Dorothea Renckhoff. Von ihr stammt die deutsche Fassung dieser turbulenten Komödie. In Die beste Zeit können wir Ihnen zwei neue Prosa-Texte der Dramatikerin und Schriftstellerin präsentieren. Als Leiter des Peter Hammer Verlages ist Hermann Schulz eine Größe in der deutschen Verlagslandschaft geworden. Seit er nicht mehr ans Büro gebunden ist, schreibt und reist er vermehrt, zur Recherche seiner oft in Afrika angesiedelten Geschichten und als begehrter Lesender seiner eigenen Bücher. Für Die beste Zeit erzählt er vom Entstehen seines neuen Jugendromans „Mandela und Nelson“, der soeben als Buch und als von Axel Prahl gelesenes Hörbuch erschienen ist. Apropos Bücher: der Philosoph Andreas Steffens hat die Aspekte und Momente des Glücks beleuchtet (NordPark Verlag). Mehr von und über Steffens in den Musenblättern. Thomas Hirsch präsentiert vier neue erlesene Kunst-Bände. Das sind nur einige Streiflichter aus dem aktuellen Die beste Zeit. Viel hat sich seit Ende 2009 und zu Beginn des mit Hoffnungen überfrachteten Starts von 2010 getan. Am Kulturellen versuchen wir Sie in Momentaufnahmen, Porträts, Rezensionen und Essays teilnehmen zu lassen. „Alle freut, was alle freut“ ist der Titel eines hübschen Buches von Ernst Jandl. Wir freuen uns, wenn Sie sich freuen und es uns gelingt, Sie angenehm zu unterhalten. Ihr Frank Becker

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Unsere Kulturförderung ist gut für die Sinne. Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nichtstaatliche Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de

Sparkasse. Gut für Wuppertal.

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Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und Bergisches Land

V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke und Frank Becker Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal

Auflage 4.000 Exemplare

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden.

Erscheinungsweise: 5 mal pro Jahr

Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt

Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.

Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wieder. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.

Bürobedarf Illert Am Kerstenplatz 42103 Wuppertal Tel.: 0202/9765808 www.buero-illert.de

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Inhalt Heft 1 Januar/Februar 2010

Monet in Wuppertal Ausstellung übertrifft alle Erwartungen noch bis zum 28. Februar 2010

Andreas Steffens Seite 7

KlangArt Die Konzertreihe im Skulpturenpark: Ein Rückblick

Seite 10

Seite 14

Seite 36

Eine Erfolgsgeschichte von Rainer Widmann

Seite 38

Hermann Schulz Seite 16

Dorothea Renckhoff Aber die Richtige... Der gläserne Birnbaum

Vorgestellt von Thomas Hirsch

Das Wuppertaler Jazzmeeting

Kleines Schauspielhaus Willfried, da musse dir besondere Mühe geben...

Seite 34

Neue Kunstbücher

Ist das denn nicht der Zug nach Hamburg? Felicia Zellers ICE-Einakter „Ich Tasche“

Glück. Aspekte und Momente

Seite 19 Seite 21

Manchmal schreibt man ein Buch zwei Mal. Über eine Fußball-Reise nach Afrika

Seite 41

Nur wer gut schläft, ist auch gut wach! Bettenexperte Ulrich Isfort

Seite 43

Aus mir braust finstre Tanzmusik Else Lasker-Schüler und der Jazz

Seite 23

Was blüht denn da in Elberfeld? Das Hotel Miraflores am Fuße des Briller Viertels

Seite 26

Öffentlich zugänglich Der Zeichner und Bildhauer Karl Burgeff im Bergischen Land

Seite 30

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? Alle Kunst ist zugleich

Oberfl채che und Symbol.

Wer unter die Oberfl채che dringt, tut es auf eigene Gefahr.

Wer dem Symbol nachgeht,

tut es auf eigene Gefahr.

In Wahrheit spiegelt die Kunst

den Betrachter, nicht das Leben. Oscar Wilde

30 Jahre Galerie Epikur Wuppertal www.galerie-epikur.de

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Monet in Wuppertal Ausstellung übertrifft alle Erwartungen

Fotos: Andreas Fischer

Noch immer ist der Anblick erstaunlich. Der Anblick der weltstadtmäßig langen Schlangen nämlich, die sich nun schon seit Mitte Oktober täglich durch die Elberfelder Innenstadt ziehen. Ob bei strömenden Regen und Weihnachtsmarkt, ob bei Schneefall und Minusgraden: geduldig harren Tag für Tag rund zweitausend Menschen aus, um sich im Von der Heydt-Museum jene Ausstellung anzusehen, die alles Bisherige in den Schatten stellt. Das hat noch nicht mal Renoir geschafft, dessen Landschaftsmalerei im Winter 2007/08 am Turmhof zu sehen waren. Sie wissen es längst: von Claude Monet und seinen Werken ist die Rede. Der berühmteste Impressionist aller Zeiten hat es geschafft, die Massen zu mobilisieren und im Handumdrehen Wuppertal zu einem Zentrum internationaler Kunsttouristen zu machen. Führende Kunstkritiker haben die Retrospektive zur Ausstellung des Jahres 2009 erklärt. Catrin Lorch von der Süddeutschen Zeitung lobte die „kunsthistorisch spannende Hängung, in der es viel zu vergleichen und zu entdecken gibt.“ Für Stefan Koldehoff (Deutschlandfunk) bietet die Monet-Ausstellung „eine veritable Retrospektive in sehr kluger Präsentation“, und nach Bertram Müller (Rheinische Post) besticht die Schau „mit ungewöhnlich hochrangigen Leihgaben“. Der Dank dafür gebührt in erster Linie Museums-Chef Gerhard Fickh und sei-

nem Team, die es mit Unterstützung der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung möglich machten, dass erstmals in Deutschland ein umfassender Blick auf das Werk des Franzosen ermöglicht wird. Da ist es schon folgerichtig, dass die Titel der ausgestellten Gemälde samt Jahreszahl und Herkunft in großen Lettern über den Werken prangen und damit selbst des Ausstellens für würdig befunden wurden – sind die Namen der verleihenden Museen doch beinahe so illustre und sehenswert wie die Monet’schen Schöpfungen selbst: aus New York, Toronto, Zürich und anderswo stammen die berühmten Gemälde, die allermeisten aber aus dem Musée Marmottan Monet in Paris. „Haben die überhaupt noch etwas an den Wänden dort?“, fragt eine erstaunte Besucherin nach einem Gang durch die Ausstellung. Ja – und zwar aus Wuppertal. Im Austausch für mehr als vierzig Gemälde des französischen Impressionisten sind im Marmottan, das die weltweit wichtigste Sammlung mit Werken Monets beherbergt, hiesige Vertreter des Expressionismus zu sehen. Clever, denn nun kennen auch Pariser Kunstliebhaber das Tal an der Wupper, dessen Kunstschätze gegenwärtig noch ihre Wände zieren – und kommen vielleicht einmal her, um zu sehen, wo ‚ihre’ Monets in der Zwischenzeit ein Zuhause gefunden haben. So gibt es allen Grund, stolz zu sein auf die große Schau. Denn nicht nur der all-

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seits bekannte Name des Malers ist es, der die Menschen in Scharen nach Wuppertal zieht. Die hohe Qualität der Ausstellung selbst macht den Besuch zu einem besonderen Erlebnis, auch für Kenner. Einzelne Aspekte des Werkes Monets zu beleuchten, haben sich vordem eine ganze Reihe von Ausstellungen zur Aufgabe gemacht. Aber einen schlüssigen Überblick über alle Werkphasen des Künstlers zu präsentieren – das ist wahrlich ein Kunststück angesichts der hohen Auflagen, die der Verleih von Werken Monets aus aller Welt mit sich bringt. Besonders beachtlich ist die Präsentation des seriellen Charakters einiger der wichtigsten Werkreihen aus der Hochphase des Impressionisten. Für gewöhnlich ist lediglich ein Einzelstück zu sehen, wenn Monets einzigartige Auffassung der wechselnden Lichtwirkungen auf die Kathedrale von Rouen, das Parlament in London oder jene berüchtigten Heuhaufen verdeutlicht werden, auf wel-

che die Zeitgenossen einst mit so viel Unverständnis reagiert hatten. In Wuppertal aber sind mindestens drei Beispiele dieser impressionistischen Serien zu sehen, um das subtile und äußerst wirkungsvolle Wechselspiel der Farben von Bild zu Bild studieren zu können. Nicht zuletzt beeindruckt die Fülle der Seerosen-Werke, Höhepunkt des künstlerischen Schaffens und auch der Ausstellung selbst, die mit diesem bildlichen Tusch glänzend endet. Weniger schön sind da die organisatorischen Probleme, die den Beginn der Ausstellung begleiteten. Nach Stunden des Anstehens wurden Wartende nach Hause geschickt, eigens aus der Ferne Angereiste kamen nicht in den Genuss der Ausstellung, vor den Toren spielten sich teils tumultartige Szenen ab. Die Hotline war ständig besetzt, Führungen waren rasch ausgebucht. Doch trotz alledem trifft der vielfach geäußerte Vorwurf nicht, man habe sich auf die Besuchermassen nicht

eingerichtet. Einen ganzen Monat lang hatte das Von der Heydt-Museum die Pforten geschlossen, um nicht nur den Aufbau der Ausstellung, sondern auch eine Umstrukturierung des Eingangsbereiches in aller Ruhe besorgen zu können. Der Museumsshop wurde kurzerhand in die erste Etage verlagert, um das reichhaltige Programm an Monet-Fan-Artikeln in zwei großzügigen Räumen anzubieten und im unteren Eingangsbereich Platz zu schaffen. So konnten zwei getrennte Kassen eingerichtete werden – eine ist vorbestellten Karten und angemeldeten Gruppen vorbehalten, an der anderen erhalten reguläre Besucher Einlass. Die Garderobe wurde aus dem Schatten der Treppenanlage in das hintere, weitläufige Forum verlagert, so dass sich das Anstehen an der Jackenabgabe stets in Grenzen hält. Schließlich erfolgte die Einrichtung zweier gesonderter Eingänge, wodurch die Abholung vorbestellter Karten zügig abgewickelt werden kann. Damit sich die meist zeitgleich geführten Gruppen in der Ausstellung nicht ins Gehege kommen, wurde eine neue Audio-Anlage angeschafft. Zur Verstärkung der freien Mitarbeiter, die durchs Haus führen, gesellten sich neue Fachkräfte hinzu. Die Menge der Anmeldungen und Kartenvorbestellungen wird mit einer eigens dafür eingestellten Mitarbeiterin an der Hotline erledigt. Doch trotz aller sorgfältigen Vorbereitungen zur Bewältigung der erwarteten 100.000 Besucher gab es Engpässe und Pannen, denn der Ansturm brach schlicht alle Erwartungen. Schon im November erreichte man bereits die anvisierten 100.000 – bis zum Ende der Ausstellung im Februar werden mindestens noch einmal so viele Besucher erwartet. So gesehen war das nicht abreißen wollende Murren

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Elberfeld wurde das Rathaus bald zu klein, so dass man in das neu errichtete Gebäude am Neumarkt umzog. Dies war die Stunde des Elberfelder Museumsvereins, der die Gelegenheit nutzte und 1902 am Turmhof den lang gehegten Wunsch nach einem Museum in die Tat umsetzte. Doch bald schon haderten die Museumsleute mit den räumlichen Begebenheiten, die bereits 1912 zu eng wurden, so dass das oberste Stockwerk des benachbarten Geschäftsgebäudes miteinbezogen wurde. Mit dem weiteren Anwachsen der Sammlungsbestände wurde schon Anfang der zwanziger Jahre an einen Neubau gedacht. Doch erst 1985, unter Direktorin Sabine Fehlemann, konnte mit einem Umbau begonnen werden, im Zuge dessen sich einige der drängendsten Raumprobleme lösen ließen. Heute sind die engen Räumlichkeiten, die vormals den Wechselausstellungen dienten, lediglich Präsentationen zu Einzelaspekten der Sammlung vorbehalten, während die umfangreichen Sonderausstellungen in den repräsentativen Räumen der ersten und zweiten Etage gezeigt werden. Dennoch: das Museum wächst leider nicht mit der Größe und Bedeutung der Werke, die in ihm gezeigt werden. Die Monet-Ausstellung sprengt einfach in jeder Hinsicht den Rahmen. Und das ist, so meine ich, in erster Linie ein Grund zur Freude. Susanne Buckesfeld Fotos: Andreas Fischer der notorisch unzufriedenen Wuppertaler über die Störungen am Von der HeydtMuseum zu einem großen Teil ungerechtfertigt, zumal bei auftretenden Mängeln sofort Abhilfe geschafft werden konnte. Nur an der Wartezeit ließ sich bis heute nichts ändern. Kein Wunder – schließlich ist das Interesse an Monet nicht gerade ein Einzelfall. Und überhaupt: wer etwa nach Berlin fährt, um sich sieben Stunden für ein Best-of des New Yorker Museum of Modern Art anzustehen, der kann auch in Wuppertal in weniger als der Hälfte der Zeit auf Monet warten. Die Bestimmungen der Versicherung lassen nichts anderes zu: nur maximal 200 Personen dürfen sich gleichzeitig in den Räumen der Wechselausstellung aufhalten. Neben

einer einigermaßen freien Sicht, wozu ja auch nichts einzuwenden ist, bringt dies eben auch eine etwas längere Wartezeit mit sich. Und das Warten, so ist sich die Mehrzahl der Besucher einig, ist die Ausstellung allemal wert. Zudem war die Enge am Turmhof schon immer ein Problem, handelt es sich doch um das alte Rathaus, das 1827-42 nach Entwürfen des Schinkel-Schülers Johann Peter Cremer im klassizistischen Stil für ganz andere Zwecke gebaut worden war. Nie hatte man daran gedacht, dass sich einmal Heerscharen von Kunstliebhabern durch die ehemaligen Amtsstuben drängen würden. Doch selbst für die Verwaltung der im 19. Jahrhundert stetig wachsenden Fabrik- und Industriestadt

Von der Heydt-Museum Wuppertal bis 28. Februar 2010 www.von-der-heydt-museum.de

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KlangArt Die Konzertreihe im Skulpturenpark: Ein Rückblick

Mit einem wunderbaren Blick über das Tal der Wupper bis hin zu dem gegenüberliegenden Höhenzug an der Hardt liegt inmitten eines großen Parks die im anthroposophischen Stil erbaute Villa des Industriellen Kurt Herberts, der einst in Wuppertal eine große Lackfabrik betrieb. Herberts hatte unter den Nazis als entartet gebrandmarkte Künstler wie Oskar Schlemmer und Willi Baumeister vor dem Zugriff der Gestapo geschützt und versorgte sie mit Aufträgen in seinem eigens gegründeten „Maltechnikum“, das die Möglichkeiten firmeneigener Lacke untersuchte. Lange Zeit lagen Villa und Park in einem Dornröschenschlaf – bis der in Wuppertal lebende britische Bildhauer Tony Cragg diesen Ort für sich entdeckte. Zwischen altem Baumbestand und exotischen Pflanzen begegnen Besucher Skulpturen Craggs und anderer international renommierter Künstler. So ist inmitten der alten Industriestadt Wuppertal ein magischer Ort entstanden, ein Ort der Stille, der Muße und Kontemplation, der dem alten Namen „Waldfrieden“ einen unerwartet neuen und schönen Sinn gibt. „Man benutzt zwar ganz unterschiedliche Techniken, um aus Material, seiner Masse und seinen Resonanzen neue Formen zu entwickeln, aber das Abenteuer bleibt dasselbe. Materialien neue Bedeutung geben – und der Wald schaut und hört gespannt zu“, schreibt dazu Tony Cragg in der ihm zuweilen eigenen lakonischen und kryptischen Art. Unter dem Titel „KlangArt“ hat die neue Konzertreihe im vergangenen Jahr viele Menschen in ihren Bann gezogen. Wie in einer Prozession pilgerten die Musikliebhaber auf den Berg, vorbei an den großen Skulpturen Tony Craggs und die wunderbaren Ausblicke über das Wuppertal genießend. Überraschend war, wie schnell das Publikum die neue Musikreihe für sich entdeckte. Die Konzerte waren meist ausverkauft; insgesamt haben mehr als 3600 Menschen im Park am Waldfrieden die Konzerte besucht. Dabei haben nicht nur Wuppertaler „KlangArt“ entdeckt; viele Kulturbegeisterte reisten auch aus dem Ruhrgebiet und den rheinischen Metropolen an. Der große Erfolg dieser Musikreihe ist wohl auf den fein abgestimmten Mix aus Jazz, Improvisierter

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Musik und Weltmusik zurückführen. Und auf den Zauber des Ortes. Für den künstlerischen Leiter von „KlangArt“, E. Dieter Fränzel, war es von Anfang an wichtig, „dass die Musik, die wir hier präsentieren, zur Eigenart und Atmosphäre des Ortes und zur Ausstrahlung der hier ausgestellten Kunst passt. Bemerkenswert ist, dass wir an diesem Ort auch ein Publikum erreichen, das wir gewöhnlich nicht in den üblichen Clubs vorfinden.“ „Mit dem Raum spielen“ Ein solches auf den Ort und den Raum bezogenes Konzept ist rational kaum beschreibbar, wichtig ist das künstlerische und musikalische Fingerspitzengefühl, mit dem die Musikauswahl getroffen und ein Spannungsbogen aufgebaut wird, der vom Frühjahr bis zum Spätsommer einen Zeitraum von sieben Monaten umfasst. E.Dieter Fränzel: „Wir wollten bei der Zusammenstellung des Programms die beiden Orte, an denen gespielt wird, berücksichtigen.“ So fanden die ersten drei Konzerte im gläsernen Pavillon des Skulpturenparks statt, in dem während der KlangArt-Zeit zunächst die raumgreifenden Plastiken Eduardo Chillidas, später die verspielt-leichten Arbeiten von Jean Dubuffet ausgestellt waren. „Der Raum selbst bildet mit seiner ganz speziellen Akustik für die Musiker eine besondere Herausforderung. Sie spielen nicht nur im Raum – sie spielen mit dem Raum. Wir haben erlebt, dass der als Ausstellungshalle konzipierte Pavillon im musikalischen Spiel als Klang- und Resonanzkörper einbezogen wird.“ sagt Fränzel. Welche Klangmöglichkeiten dieser Raum bietet, loteten in dem Eröffnungskonzert der New Yorker Avantgarde-Musiker Rob Brown auf seinem Altsaxophon im Zusammenspiel mit dem Urgestein des Wuppertaler Free Jazz, dem Perkussionisten Dietrich Rauschtenberger aus. „Töne schön wie Juwele“ Der in Wuppertal lebende Musiker Arkady Shilkloper erkundete auf seine ganz eigene Weise die Klangspektren des Raumes. Als klassisch ausgebildeter Hornist, ehemals Mitglied der Moskauer Philharmonie, hat er mit dem Moscow Art Trio Furore gemacht. Auf seinem Instrument


Ferenc SnĂŠtberger Trio am 28. August 2009

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Joachim Kühn am 21. Juni 2009

zählt er weltweit zu den begehrtesten Solisten, sowohl im Jazz als auch in der Klassischen Musik. Mit seinen Hörnern - darunter ein Schweizer Alphorn sowie ein Didgeridoo - war Shilkloper prädestiniert, im nachhalligen Kunstpavillon akustische Hörerlebnisse zu schaffen. „Was der klassisch ausgebildete Musiker aus den Hörnern an Beweglichkeit und Klangreichtum herausholt, ist faszinierend“, schrieb die WZ am 21. September 2009. „Zu strahlenden und geheimnisvoll bedeckten Tönen lässt er Instrumente schmatzen, blubbern und jauchzen.“ Dabei gestaltete Shilkloper eine Performance mit Jean-Laurent Sasportes, der sich nicht nur als Solotänzer im Tanztheater Pina Bauschs einen Namen erworben hat, sondern auch als profilierter Choreograf und Partner von Musikern wie Peter Kowald und Barre Phillips. In ihrem musikalischtänzerischen Dialog loteten die beiden die Dialektik von Zweierbeziehungen aus, in denen der Werbende seinen leidenden und sich verweigernden Partner zum Leben erwecken will. Überaus sublim und fein gesponnen war der musikalische Dialog zwischen dem Trompeter, Komponisten und Improvisator Markus Stockhausen, der im Duo mit seiner Lebensgefährtin und musikalischen Partnerin, der Klarinettistin Tara Bouman, den Klangraum des Pavillons im Spannungsfeld von Komposition und intuitiver Musik erkundete. „Was die Klarinettistin und der Trompeter machen, war atemberaubend. Töne schön wie Juwele, zart flirrende, voller Gefühl und doch klar konturiert erfüllten den Raum.“ (WZ, 21. Mai 2009)

Rob Brown, Dietrich Rauschtenberger am 8. Februar 2009

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Die Open-Air-Konzerte im Skulpturenpark setzten mit einem wahren musikalischen Feuerwerk ein: Arabische Tonskalen, labyrinthische Themen, ungerade Metren bilden die Basis des Großmeisters der Oud, der arabischen Laute: Rabih Abou-Khalils Klangkosmos verband sich zu atemberaubend brillanten Improvisationen des Tastenkünstlers Joachim Kühn, der seine Wurzeln gleichermaßen bei Johann Sebastian Bach und Ornette Coleman sieht. Zusammen mit Jarrod Cagwin, der für das rhythmische Fundament sorgt, entfaltete das Trio eine


geistesgegenwärtige Interaktion mit humorvollen Pointen und überraschenden Wendungen. Nutzte Abou-Khalil die Bühne des Skulpturenparks für durchaus geistreiche Volten gegen das selbst erklärte Reich des Guten, die USA, so führte KlangArt im folgenden Open-Air-Konzert zurück zum Entstehungsort des Blues und des Jazz – wenn auch auf eine ganz eigene und eigenwillige Art und Weise, nämlich in Form einer Hommage an einen Mythos der Popkultur, der zugleich einer der experimentierfreudigsten und kreativsten Musiker an der Schwelle zwischen Rock und Jazz war: Jimi Hendrix. Für Nguyên Lê, der als Sohn vietnamesischer Exilanten in Paris geboren wurde, ist Hendrix ein Vorbild in seiner Art der unkonventionellen Gitarrentechnik und künstlerischen Gestaltung. Gemeinsam mit Cathy Renoir (Gesang), Michel Alibo (Bass) und Francis Lassus (Schlagzeug) verband Nguyên Lê Jimi Hendrix Spielweise mit asiatischen und arabischen Einflüssen. „Ihr müsst das nehmen wie alten Whiskey. Am Anfang tut’s weh, dann wird’s ganz warm und dann wird man süchtig.“ Mit einem dreitägigen Festival und großen Interpreten endete die musikalische Weltreise im Skulpturenpark dann im August. Auf dem Weg zu einer Synthese aus Flamenco, Jazz und Klassik verschmilzt Ferenc Snétberger diese Einflüsse zu einem ganz persönlichen Stil. Der musikalische Kosmopolit entstammt einer ungarischen Sinti-Roma-Familie. Gemeinsam mit dem norwegischen Bassisten Arild Anderson und dem italienischen Perkussionisten Paolo Vinaccia entführte Snétberger das Publikum in den Balkan und nach Andalusien. „Für ganz wunderbare Musik, so harmonisch, kompliziert und durcheinander zugleich“, dankte Hausherr Tony Cragg. Verrückt, ausgelassen und witzig – so präsentierte Erika Stucky und ihr Trio ein Musikprogramm unter dem Titel „Mrs. Bubble & Bones“. Aufgewachsen in San Francisco, mit Picknicks unter Hippies im Golden Gate Park, so hat Erika Stucky ihre Kindheit erlebt. Dann der Kulturschock, der Sprung in die Heimat ihrer Eltern,

Erika Stucky am 29. August 2009

Renaud Garcia-Fons > Linea Del Sur < am 30. August 2009

Günter Baby Sommer am 4. Oktober 2009

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ins schweizerische Bergdorf, in die Idylle der Jodelchöre und Trachtenkapellen und Alphornbläser. Und genau dieser Spagat, den ihre Biografie geprägt hat, spiegelt auch ihre Musik wider: zwischen AlpenGirlie und Jazz-Lady, von Blues bis Dada, bodenständig und abgedreht. Gemeinsam mit Bertl Mütter (Posaune) und Jon Sass (Tuba) lotete sie musikalisches Material von unglaublicher Spannweite aus: von Pop-Klassikern bis zur Alpen-Folklore: Mal bizarr und dann wieder herzzerreißend. „Ihr müsst das nehmen wie alten Whiskey“, riet Erika Stucky ihrem Publikum. „Am Anfang tut’s weh, dann wird’s ganz warm und dann wird man süchtig.“ Arkady Shilkloper am 29. August 2009

Fraglos war das letzte Konzert des Festivals mit dem französischen Bassisten Renaud Garcia-Fons, dem „Paganini des Kontrabass“, wie er von Kritikern genannt wird, ein würdiger und krönender Schluss- und zugleich Höhepunkt der ersten Musikreihe im Skulpturenpark. Mit Antonio Ruiz „Kiko” (Gitarre) Pascal Rollandi (Perkussion) sowie David Venitucci (Akkordeon) hatte Renaud Garcia-Fons hervorragende Musiker an seiner Seite, die ihn bei seinen atemberaubenden Improvisationen durch die mediterrane Klangwelt begleiteten. „Einfach zum Weinen schönen“ befand die Kritikerin der Remscheider Generalanzeigers (1. September 2008). „Nie zuvor hat man das mächtige Instrument so beweglich und so melodienselig wie eine Gitarre gehört.“

Rabih Abou-Khalil am 21. Juni 2009

Der lang anhaltende Beifall war wohl auch nicht nur Dank und Anerkennung für dieses hervorragende Konzert, sondern für die Heiterkeit, Freude und den Genuss, den KlangArt den Zuhörern in diesem ersten Jahr bereitet hat und Lust auf (viel) mehr gemacht hat. Solidarität Obwohl die Konzerte mit Dietrich Rauschtenberger und Arkady Shilkloper einen solchen Gedanken nahe legen, gehört es nicht unbedingt zum künstlerischen Prinzip von KlangArt, Wuppertaler Musiker mit auswärtigen Musikern in Projekten zusammen zu führen. „Aber“, so E. Dieter Fränzel, „wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt, machen wir das gerne.“ Dass Tony Cragg und KlangArt

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Nguyên Lê, Cathy Renoir am 5. Juli 2009 die lokale Kulturszene unterstützen, zeigte das bis auf den letzten Platz gefüllte Benefizkonzert, das der Dresdner Trommler Günter Baby Sommer gemeinsam mit der türkischen Sängerin Saadet Türköz im Pavillon gab. Für Sommer und Türkoz war es die erste musikalische Begegnung, und doch entfaltete sich zwischen den beiden ein wunderbarer Dialog, artistisch, humorvoll und von atemberaubender Leichtigkeit. Eine Musik, die so nur aus dem Geist der Improvisation und dem herausragenden Können der Musiker entstehen kann. Das einzige, das die beiden Künstler bis zu diesem Konzert verband, war die Tatsache, dass sie mit dem Wuppertaler Bassisten und Menschenzusammenführer Peter Kowald gespielt hatten. Der Erlös des Konzertes ging zu Gunsten der Peter-Kowald-Gesellschaft, die den „ORT“, das Atelier Peter Kowalds in der Luisenstraße 116, unbedingt als Spielstätte für freie improvisierte Musik erhalten will.

Und es geht weiter… „Klangart“ war so erfolgreich, dass es im kommenden Jahr fortgeführt werden wird. Wieder erwartet die alten und (hoffentlich) neuen Liebhaber dieser Musikreihe ein wohl temperiert zusammengestelltes Programm im Spannungsfeld von zeitgenössischen Jazz und frei Improvisierter Musik und Weltmusik auf internationalem Niveau:

Heiner Bontrup Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

Freitag, 27. August 2010, 20 Uhr BABY SOMMER QUARTETT Manfred Schoof, Gianluigi Trovesi, Barre Phillips, Günter Baby Sommer

Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal Telefon 0202-3172989 www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Sonntag, 25. April 2010, 18 Uhr Gunda Gottschalk Joëlle Léandre - Xu Fengxia Sonntag, 30. Mai 2010, 18 Uhr Limpe Fuchs & Zoro Babel Samstag, 19. Juni 2010, 19 Uhr Savina Yannatou & Primavera en Salonico Sonntag, 20. Juni 2010, 18 Uhr TRIBUT TO CHARLIE MARIANO Bobby Stern, Philip Catherine, Jasper van’t Hof, Dieter Ilg, Aldo Romano Sonntag, 4. Juli 2010, 18 Uhr Paolo Fresu Quartett

Samstag, 28. August 2010, 19 Uhr SOLEDAD – Manu Comté, Jean-Frédéric Molard, Alexander Gurning, Patrick De Schuyter, Géry Cambier Sonntag, 29. August 2010, 18 Uhr Jean Luc Ponty & Wolfgang Dauner

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Ist das denn nicht der Zug nach Hamburg? Felicia Zellers ICE-Einakter „Ich Tasche“ – und mit ihm das Publikum - steht eine Stunde lang kompakt unter Strom

v.l.: Sphie Basse, Maresa Lühle, Marco Wohlwend, Holger Kraft

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Atemberaubender Auftakt Was sich im Wuppertaler Kleinen Schauspielhaus – das wegen der hohen Verschuldung der Stadt durch kurzsichtige Sparpläne von der Schließung bedroht ist - zu Beginn des Einakters zwischen den in ICE-Farben gehaltenen rot-weißen Stuhlreihen abspielt, ist aus dem prallen Leben gegriffen – wer hätte sich nicht schon mit zu viel Gepäck beladen durch die engen Gänge eines mit Scharen ebenso beladener Fahrgäste vollgestopften Zuges geschoben? Vermutlich waren dabei auch die Wagen in umgekehrter, will sagen falscher Reihenfolge an die Lok gehängt. Doppelt verkaufte und falsch reservierte Plätze „...aber ich habe doch dafür eine Stunde am Schalter...“ – kennen wir. Und hat man dann seinen Sitz: brutal laute Zeitungsumblätterer (die machen das mit Absicht!), PC-Benutzer, Butterbrotesser (stinkende – nicht die Esser, die Brote), Sitznachbarn mit Blähungen (Stück Brot dazu...? – ist Furzen ein natürliches Recht?), Mobiltelefonierer, sinnentleert (beide: Mensch und Gespräch), in typischen Satzfragmenten einer verrotteten, einst deutschen Sprache (..ich so.. - ..er so... - ...wir so... - ...voll krass...) und einer ebenso verkommenen Gesellschaft. Der alltägliche Bahnsinn Es ist eben der tägliche und typische Bahnsinn einer weißroten Alptraum-Reise, den Felicia Zeller für ihr Stück aufgespießt und bis zum Exzess gekonnt breitgetreten hat. „Ist das denn nicht der Zug nach Hamburg?“ – „Also wir fahren nach Mannheim!“ – „Denken SIE!“ Vier Schauspieler (Sophie Basse – Holger Kraft – Maresa Lühle – Marco Wohlwend) übernehmen in fliegendem Wechsel die Personifizierung vieler Charaktere, die wir auch alle kennen, begegnen sie uns doch täglich – in der Bahn. Kurzbeschreibungen wie „weiblich, an einem rosa Schal strickend“ oder „Ich, Tasche“ skizzieren vor, was vom Publikum mit Begeisterung im Handumdrehen identifiziert wird. In Endlosschleife wiederholte Allgemeinplätze, simultan empörte Ehepaare, impulsive Ausbrüche, hysterischer Vandalismus, hervorgerufen durch Tabakentzug („Ich will eine rauchen!“)


Kleines Schauspielhaus Wuppertal punktgenaue Beobachtung von Mensch und Situation machen dank des spielfreudigen Ensembles aus dem Stück einen amüsanten Beleg dafür, dass man mit wenigen Sätzen eine kurzweilige kabarettistische Stunde gestalten kann. Dass dazu beinahe die ICE-typischen bilingualen Durchsagen des sächsischen Zugpersonals (oder sollte man besser sagen: trilingual?) ausreichen würden, zeigt das wiedererkennende Gelächter im Auditorium. Mit Entsetzen Scherz... Denn Kabarett ist es – einschließlich des Endes mit Schrecken – was Peter Wallgram mit Felicia Zellers Stück auf die Bühne des Wuppertaler Kleinen Schauspielhauses bringt. Wird der vermeintliche Selbstmord-Attentäter mit einem Kloß im Hals noch lachend als ein Witzbold entlarvt, der sich Leberwurstbrote um den Körper geschnallt hat, endet die Zugfahrt mit einem pyrotechnischen Knall in einem Chaos blutender, verwirrter und verzweifelter Passagiere und abgerissener Gliedmaßen – bei Fulda. Erinnerungen an die ICE-Unfälle von Eschede und Fulda werden bewusst geweckt. Das ist schrecklich, aber zulässig. Denn: hatten wir das nicht längst verdrängt? Eine temporeich inszenierte, unterhaltsame Stunde Theater/Kabarett, die zeigt, was mit einfachen Mitteln und minimalem Aufwand mit engagierten Darstellern machbar ist. Die kaum wieder gutzumachenden kulturellen Folgen einer im Gesamthaushalt völlig unbedeutenden Einsparung der Sparte Schauspiel wären für die Großstadt Wuppertal und ihr im Vergleich zu ähnlichen Kommunen ohnehin eingeschränktes Kulturangebot unabsehbar.

Willfried, da musse dir besondere Mühe geben... Es gibt Abende im Theater, in der Oper, im Kabarett oder in anderen Stätten der Unterhaltung, die hat man schon vergessen, wenn der Mantel an der Garderobe abgeholt wird. Und dann gibt es Aufführungen, die bleiben haften. Man möchte sich nicht einmal von der Eintrittskarte trennen. Obwohl man mit reichlich Skepsis gekommen war. Der 5. Dezember 2009 im Kleinen Schauspielhaus von Wuppertal: Ein Samstagabend zu Ehren von Else Lasker Schüler und der Stadt aus der sie kam: Wuppertal. Von und mit Julia Penner, Alexander von Hugo und Willfried Penner. Zwei junge Schauspieler mit Wuppertaler-Blut, die sich auf der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin kennenlernten, beide in Kreuzberg leben, kein Paar sind, sich aber blendend verstehen. Den Dritten im Trio kennt in Wuppertal eigentlich jeder und umgekehrt ist das ähnlich: den Juristen Willfried Penner, Jahrgang 1936, Hausmeistersohn vom Nützenberg, am Gericht in Wuppertal Erster Staatsanwalt, 28 Jahre lang von 1972 bis 2000 im Deutschen Bundestag, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium in der Regierungszeit von Bundeskanzler Helmut Schmidt, von 2000 bis 2005 für viele überraschend als erster Mann in diesem Amt ohne eigene soldatische Vergangenheit ein engagierter Wehrbeauftragter des Bundestages. In seiner Wuppertaler Heimat vor Lichtjahren 2. Vorsitzender des kleinen Fußballvereins BV 1885 auf dem Sportplatz an der Kaiserhöhe, selbst in der Jugend bei der TSG Vohwinkel 1880 im Einsatz, 25 Jahre lang trotz großer Politik Vorsitzender des Stadtsportbundes und seit dem Jahre 2005 Ehrenbürger dieser Stadt. Zu Hause auf allen Sportplätzen-und Hallen. Begehrter Redner bei Vereinsjubiläen, zuletzt noch, als der TV Friesen im November 2009 in der Pauluskirche sein 125. jähriBühnenfoto von Daniel Werkle mit (v.l.) Julia Penner, Alexander v. Hugo und Willfried Penner

Inszenierung: Peter Wallgram Bühne, Kostüme: Pia Maria Mackert Dramaturgie: Oliver Held Fotos: Uwe Stratmann Besetzung: Sophie Basse, Holger Kraft, Maresa Lühle, Marco Wohlwend Frank Becker, Musenblätter Foto: Wuppertaler Bühnen

Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de

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Dr. Willfried Penner, Foto: Jörg Lange ges Jubiläum feierte. Dabei hatte er schon die Rede zum 100.Jubiläum gehalten. Er kommentierte es gelassen: „Da waren ja nur noch 25 Jahre aufzuarbeiten.“ Nur am Rande: Willfried Penner hat schon vor ungefähr 30 Jahren sehr konkret den Vorschlag gemacht, ein überdachtes Stadion in Wuppertal zu bauen. Das war zu viel an Vision für die damals Verantwortlichen. Es dachte noch niemand an heute fast alltägliche Arenen auf Schalke, in Düsseldorf und andernorts. Die extrem erdverbundenen Kicker des BV 85, der TV Friesen, die große Bundespolitik, die vielfältigen Sorgen der Sportvereine dieser Stadt und nun eine Hommage an Else Lasker Schüler. Welch ein Spagat. Drei Wochen zweimal täglich bis zu vier Stunden Proben, mitunter bis in den späten Abend. Disziplin, wenig spontanes Handeln, sich einfügen in das Team der jungen Menschen. Willfried Penner hat das mit einer ungeheuren Disziplin geschafft. Wer diesen oftmals etwas „klöngeligen“ Kerl nur ein wenig kennt, der wunderte sich schon sehr. Bis ins kleinste Detail, wenn er seine Joppe auf der Bühne ordentlich über den Stuhl hängte. Keinen Einsatz verpasste, immer im Ablaufbilde war. Drei Tage nach den beiden Abenden vor vollen Rängen bilanzierte er: „Es war eine Anstrengung, die ich so nicht erwartet hatte. Ich wollte mein Bestes geben und nicht aus dem Rahmen fallen. Die beiden haben mir mit nie ermüdender Lust und immer freundlich den Weg gewiesen. Ich habe schon gewusst: „Willfried, da musse dir

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besondere Mühe geben.“ Und auf die Frage nach dem Lampenfieber gestand er: „Ja, ich war schon angespannt. Auch wenn mir das Metier ja nicht so ganz fremd war.“ Manches war allerdings anders als bei „normalen“ Premieren. Als das Publikum kam, saßen die drei Akteure schon vor der Bühne und Penners Schwäger Ria, die Tante von Julia, wollte nicht unhöflich sein und begrüßte die drei erst einmal persönlich. Man nahm es gelassen und freundlich. Allein das vermeintliche „Gebrabbel“ zum Auftakt des Abends verlangte höchste Disziplin und sorgte bei so manchem Besucher auch für durchaus gewollte Verwirrung. Sie löste sich schnell. Keine Sekunde hatte der Abend mit zweimal 45 Minuten Längen. Virtuos die Steppeinlage Alexander von Hugos und sein Spiel mit der Klarinette. Die spürbare Zuneigung von Julia Penner und Alexander von Hugo zu ihrem Wuppertal. Die beiden kannten sich aus gemeinsamen Zeiten des Kinder-und Jugendtheaters, im TiC waren sie allerdings zu unterschiedlichen Zeiten aktiv. Nach Stationen in Konstanz mit einer bejubelten „Grusche“ im „Kaukasischen Kreidekreis“ von Brecht und zwei Jahren im Ensemble der Bühnen von Frankfurt am Main wird sich Julia Penner nun auf dem freien Markt versuchen. Ihr Bühnenpartner Alexander von Hugo mit seiner ungeheuer breiten Begabung gehörte drei Spielzeiten lang dem Ensemble des Theaters in Heilbronn an. Seine Vita ist gezeichnet durch Vielfalt und Mut zum Reisen (www.alexandervonhugo.de). Mitte der 90-er hat er bei Radio Wuppertal im Bürgerradio moderiert. Sein Bruder Clemens (32), der heute als Unternehmensberater in Berlin lebt, war für den Wuppertaler SV Jugendnationalspieler im Handball. Zurück zu Willfried Penner. Es war schon ergreifend, als er am Ende des Abends die Totenrede für Else Lasker Schüler hielt. Das war die Lieblingsdichterin seiner vor zwei Jahren verstorbenen Ehefrau Katharina, die er in den 60-er Jahren noch zu seligen MeinungsvielfaltZeiten der Wuppertaler NRZ-Redaktion kennenlernte und 1970 heiratete. Doch auch das Finale des Abends hat Willfried Penner trotz spürbarer Rührung gemeistert, als er an der Passage von der Inschrift

auf dem Grabstein seiner Frau angekommen war. Alexander von Hugo hatte in einem Interview mit der WZ einen „ganz besonderen Abend“ angekündigt. Für hiesige Verhältnisse waren die Reaktionen des oft „knöttrigen“ Wuppertaler Publikums fast enthusiastisch. Zum Premierenpublikum zählte auch der Buchhändler-Ruheständler Wolfgang Nettesheim. Es verbinden die beiden das Abitur am Wilhelm Dörpfeld-Gymnasium und Tischtennisabende trotz heftigster Terminprobleme. Das gesamte Team dieses Abends mit Daniel Werkle, Claudia Wunder, dem Kinder-und Jugendtheater, Thomas Dickmeis, dem Lichtteam der Bühnen, Nadja Rifaie, David Penner und Anna Niedhart, lebhaft unterstützt vom mittlerweile in Barmen wohnenden Intendanten Christian von Treskow, Hajo Jahn und der Else Lasker Schüler-Gesellschaft und den wahrlich sich nicht zu reuenden Sponsoren Stadtsparkasse Wuppertal und WSW sorgten für zwei ungewöhnliche Abende der nicht ereignislosen und oft auch großen Wuppertaler Theatergeschichte. Und hat einen Menschen nach schweren Zeiten glücklich gemacht: Willfried Penner. Gute Kunde kommt für alle, die es nicht geschafft haben, die beiden Abende zu verfolgen: Intendant Christian von Treskow spielt mit dem Gedanken einer Wiederaufnahme. Klaus Göntzsche


Aber die Richtige, wenn’s eine gibt für mich auf dieser Welt… Eine Erinnerung

Dorothea Renckhoff, Foto: Ron Preedy

Die schwarzgelbe Wolke zerbarst in einen Wirbel aus Hagelkörnern: plötzlich ein trockenes Reiben auf dem Pflaster, und schon formierte sich aus Knistern und Rascheln eine leise Rumba, fast ohne Ton und ganz ohne Melodie, nichts als der rhythmische Aufprall der Eisklümpchen. Alles auf der Straße wechselte den Takt. Jeder tat es auf seine Weise – rasche Autos verfielen in ein langsames Gleiten, schlendernde Fußgänger hasteten mit einem Mal im Geschwindmarsch unter Vordächer und Hauseingänge. Ich selbst rettete mich – nur drei Schritte weit – in ein Kaffeehaus. Hinter mir schloss sich der schwere rote Filzvorhang im Eingang und schloss gleichzeitig Kälte und Eis und den raschelnden Rhythmus aus. Die warme Luft trug Rauchschwaden, den Duft von poliertem Holz, von Kirschkuchen und Zichorie – und eine Melodie. Ich fand einen winzigen freien Tisch, dicht neben dem überladenen Garderobenständer; ich wand mich mühsam aus meinem Cape und zwängte mich auf einen Sessel mit dem Rücken zur Wand. Und während ich - zwischen Tisch, Wand und feuchten Mänteln eingeklemmt – vergeblich das Cape loszuwerden suchte, sah ich einen fetten Cellisten auf einem kleinen Podium seiner Arbeit nachgehen. Seine Gestalt schien nach unten hin auseinanderzulaufen, als wollte er um sein Instrument zerfließen. War dieser unbeholfene Mann mit seinem Bogen wirklich der Urheber der eleganten und melancholischen Melodie, die das stickige Lokal nobel und weit machte? Ein Ober hatte sich mit gesträubtem Schnurrbart zu mir durchgekämpft, ohne dass ich hätte sagen können, wie ihm das gelungen war. Vielleicht hatte er unter dem Bart hervor Stühle und Menschen beiseite geblasen, und niemand hatte dies Kunststück gesehen. Ich bestellte Tee, und er befreite mich von meinem Cape und verstaute es auf einem dicht an den Tisch geschobenen Stuhl. Der feiste Cellist spielte Chaplin. Ich sah ihm zu und dachte an den kleinen Tramp mit den kaputten großen Schuhen, der sich für viel Geld ein Cello für Linkshänder hatte

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bauen lassen und doch kein berühmter Virtuose geworden war. Sondern ein Komiker, und ein Weltstar. ‚Oh! That Cello!’ spielte der tropfenförmige Mann auf dem Podium. Plötzlich wurde ich unter Schichten durchnässter Wolle begraben. Eine dünne Person hatte ihre Jacke mit Gewalt unter den Mänteln am Kleiderständer weggezerrt und suchte das Weite. Doch wundersam tauchte der Ober mit dem Schnurrbartwind neben mir auf ; ich hörte, wie er meinen Tee absetzte, und schon konnte ich wieder atmen und sehen, wie er die feuchten Sachen in Ecken und Winkel stopfte und in Hutablage und Schirmständer barg. Einen weißen Blouson rollte er blitzschnell zusammen und bettete ihn sorglich in einer dunklen Pfütze auf dem Fußboden, und der Cellist spielte ‚Oh! That Cello!’ ‚Hört mal,’ sagte jemand am Nebentisch, ‚Chaplin tanzt den >Sterbenden Schwan<.’ Die Runde lachte, aber sie lachte eigentlich nicht sehr. Ich wandte mich zu ihnen hinüber, so weit mir das in meinem Korsettsitz möglich war, ohne aufzufallen. Als erster fiel mir ein jüngerer Mann ins Auge, gelichtetes rötliches Haar, Goldrandbrille und dunkler Mantel mit Samtkragen, den hatte er vermutlich vor der Obhut des Obers bewahren wollen und das warme Ungetüm deshalb anbehalten. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Mit der rechten Hand hielt er eine Tasse vorm Mund, ohne zu trinken. Die Hand war blass und voller Sommersprossen und trug einen breiten goldenen Ring. ‚Du hast also wirklich geheiratet?’ fragte jemand, von dem ich nur einen schweren Nacken und zwischen Sessellehne und Sitz ein Stück von einer schlecht sitzenden Hose sehen konnte. ‚Ja,’ sagte der mit dem Samtkragen und hielt noch immer die Tasse vor dem Mund. ‚Und wen?’ fragte der mit den bauschigen Hosen. ‚Doch nicht diese Tänzerin?’ ‚Doch,’ antwortete der mit dem Samtkragen und warf den Kopf ein wenig in den Nacken, als wäre ihm eine lange Haarsträhne ins Gesicht gefallen. ‚Und warum?’ fragte der mit den bauschigen Hosen. ‚Warum gerade die?’ Niemand sagte ihm, dass er unverschämt war, aber das peinliche Schweigen der

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Tischrunde war deutlicher zu hören als alle bisher gesprochenen Worte. Der Cellist quoll noch immer dem Boden entgegen, spielte noch immer ‚Oh! That Cello!’, und immer noch hielt der Rothaarige die Tasse vor dem Mund, ohne zu trinken. Er hielt sie gefährlich schief, doch er verschüttete nichts. ‚Ich kann dir gerne antworten,’ sagte er mit großer Ruhe. ‚Sie ist nicht die Schönste und nicht die Klügste, und ganz bestimmt nicht die einzig Richtige für mich auf dieser Welt… aber ich bin zufrieden.’ Der mit den bauschigen Hosen fing an, seinen breiten Körper im Takt der Musik zu wiegen, als müsse er den nächsten Satz aus sich heraus schaukeln. ‚Du willst doch nicht im Ernst sagen -’ brachte er schließlich hervor und keuchte beinahe empört, ‚- du kannst doch nicht im Ernst meinen, dass es so etwas gibt? >Die einzig Richtige auf dieser Welt…<?’ ‚Doch,’ erwiderte der mit dem Samtkragen, und wieder glaubte ich, die schräg gehaltene Tasse müsse überfließen, und doch geschah es nicht. ‚O ja,’ bekräftigte er, ‚ich weiß es. Ich kenne sie. Gesehen habe ich sie nie… aber ich habe ihr zugehört... Das war in dem heißen Sommer vor drei Jahren, als es so lange nicht geregnet hat. Ich war nach Salzburg gefahren, habe dort bei Freunden gewohnt, in einem alten Haus auf dem Mönchsberg. Wir hatten viel vor, aber es wurde nichts daraus. Zuerst bekam ich eine Sommergrippe, dann stand ich zu früh wieder auf, hatte einen Rückfall, angeblich war die Lunge angegriffen… das Ganze zog sich hin. Wochenlang lag ich in meinem Zimmer, das Fenster zum Garten stand offen, im Spalier summten die Bienen um die Marillen. Auf der Wiese draußen standen Apfelbäume, dann kam ein Zaun, und hinter dem Zaun wieder Apfelbäume in einer anderen Wiese, und hinter dieser Wiese mit Apfelbäumen gab es ein ähnliches Haus wie das, in dem ich lag. Und dort spielte jemand Klavier.’ Jetzt trank er endlich aus seiner Tasse. Dann setzte er sie ab, schenkte nach, hob sie wieder zum Mund und lauschte dem Cellisten, der jetzt ‚Limelight’ spielte. ‚Zuerst hörte ich es nur ganz leise,’ fuhr er fort. ‚Dann habe ich jemanden mit einem Brief hinüber geschickt und die Dame ge-

beten, beim Spielen ihr Fenster zu öffnen, und von da an konnte ich ihr zuhören, den ganzen Morgen, mehrere Stunden am Nachmittag und oft auch am Abend.’ ‚Wieso Dame?’ fragte der Bauschige. ‚Vielleicht war es ein unförmiger Bursche wie der Cellist da vorn?’ ‚Ich sagte ja, ich habe ihr zugehört,’ antwortete der Rothaarige. ‚Sie spielte Mozart und Beethoven, Mozart und Schubert und Mozart. Und Satie. Ich hörte ihr den ganzen Sommer zu, bis es endlich doch zu regnen begann und wir die Fenster schließen mussten. Da war sie mit einem Mal sehr weit entfernt, aber ich hörte sie doch. Manchmal spielte sie am Nachmittag ‚Ah! Vous dirais-je, maman’, und dann wusste ich, dass ich den Abend allein würde verbringen müssen, weil sie in ihrem goldenen Kleid auf einem Konzertpodium säße und für ein großes Publikum spielte. Es scheinen nur wenige Abende gewesen zu sein im Vergleich zu diesen vielen Wochen, doch sie waren einsam und leer und dehnten sich mit jedem Mal länger, bis sie zurück war und noch einmal das französische Kinderlied spielte. Und es kam eine furchtbare Nacht, in der sie nicht zurück kam. Ich lag mit offenen Augen, starr und abgestorben, und sah den Himmel im offenen Fenster. Er war so lange dunkel und so endlos lange hell, bis ich sie wieder spielen hörte.’ Er betrachtete seine Tasse und stellte sie dann ab, dies Mal, ohne getrunken zu haben. ‚Ich habe sie so geliebt,’ sagte er dann. ‚Ich liebe sie noch. Ich kenne sie, wie kein anderer sie kennt und wie ich niemanden sonst kenne… Sie ist es gewesen. Die einzig Richtige für mich auf dieser Welt.’ Die Cellomelodie füllte die Stille am Nebentisch. Der Ober stand plötzlich neben mir und kassierte. Der Bauschige rutschte auf dem Sessel hin und her und musste schließlich doch fragen: ‚Warum hast du dann die Tänzerin geheiratet?’ ‚Ich hätte es nicht durchhalten können,’ sagte der Rothaarige traurig. ‚Vorurteile, Missgunst, Gerede. Dieser große Altersunterschied. Ich habe es nicht gewagt. Sie war wohl schon achtzig Jahre.’ Das Schweigen am Nebentisch wurde noch tiefer, und noch klarer schwang sich die noble Stimme des Cellos herüber. ‚Ich versteh das nicht,’ mischte sich eine


Der gläserne Birnbaum junge Frau ein, die neben dem Rothaarigen saß und Pfeife rauchte. ‚Du hast sie nie gesehen, aber du weißt, dass sie alt war?’ ‚Ich habe ihr den ganzen Sommer zugehört,’ wiederholte der Rothaarige sanft. Und da die Runde ihn wohl noch immer nicht verstand, setzte er hinzu: ‚Sie spielte vor den raschen Passagen etwas langsamer, damit noch immer schnell wirkte, was ihren Fingern nicht mehr so leicht wie früher fiel.’ Das Cello setzte zu einem letzten sehnsüchtigen Melodiebogen an. Der fette Meister schien der Erschöpfung nahe. Ich zerrte an meinem Cape, bis ich es unter dem Tisch hervorgezogen hatte; dann drängte ich dem Ausgang zu, und der rote Filz schloss sich hinter mir und schloss das Cello und die alte Pianistin mit der warmen Luft und dem Wind aus dem Schnurrbart des Obers drinnen ein. Auch die knisternde Rumba war zu Ende. Vor dem gleichmäßigen Rauschen der vorbeifahrenden Autos erhob sich ein neuer, anderer Rhythmus. Eine Pavane knirschender Schritte auf en liegengebliebenen Eisklümpchen. Dorothea Renckhoff

„Es gibt merkwürdigere Dinge auf der Erde,“ sagte der Fremde nach einer Weile und sah zu, wie Gaspara Weinblätter an die Wand der Gaststube malte. Es war plötzlich dämmrig im Raum geworden, als habe ein Riese seinen Hut über das Haus geworfen, aber es war nur der Schatten des Berges darauf gefallen, der die Sonne verbarg, lange bevor sie unterging. Der Fremde verstummte, und man hörte aus der Ferne die langgezogenen Rufe von Gasparas Vater, der an den steilen Hängen nach Wanderern suchte, die sich verstiegen hatten. Jeden Abend streifte der Wirt viele Stunden zwischen den Felsen umher, durch den Wald und das verlassene Dorf, oft noch lange nach Einbruch der Dunkelheit; schon vielen Verirrten hatte seine Stimme den Weg gewiesen, und manchen Erschöpften hatte er den furchtbaren Weg vom Pass herunter getragen. „Vor langer Zeit habe ich einen Baum gesehen, vor einem alten Stadttor,“ begann der fremde Gast von neuem, „einen Birnbaum, der war aus Glas. Und er lebte… hatte Blätter und Früchte.“ Gaspara sah überrascht zu dem alten Mann herüber, aber sie malte weiter in dem schwindenden Licht, als würde ihre Hand geführt, und die Blätter schlangen sich zum Fries. Vollkommen lautlos schlüpfte der Gecko aus seiner Mauerritze. Der Alte sah ihn huschen, „kannst du an den Wänden laufen, Gecko,“ redete er ihn an, „wie eine Fliege?“ Er sprach mit der kleinen Echse im selben Ton wie mit dem Mädchen. „Was war mit dem gläsernen Birnbaum,“ fragte Gaspara, und der Fremde nickte ihr zu. „Es hat manche Stunde gedauert, bis ich wieder an diesen Ort kam,“ antwortete er, „ich bin Schausteller, muss viel reisen,“ und er deutete auf eine Puppe, so groß wie er selbst, die aufrecht im Stuhl neben ihm saß, starr und steif, aber mit einem Gesicht wie ein Mensch. „Als ich das nächste Mal an das Tor gelangte, war der Baum verschwunden, nur ein paar Splitter lagen noch am Weg. Und eine einzige gläserne Birne. Aber ehe ich sie aufheben konnte, fuhr ein Wagen über sie hin, und nichts blieb zurück als ein Häufchen von einem scharfen, glitzernden Staub.“ Gaspara hatte den Pinsel sinken lassen

und schaute den Fremden an. „Seitdem habe ich immer nach diesem Baum gesucht,“ sagte er, als habe sie eine Frage gestellt, „nach den Früchten aus schimmerndem Glas. Ich musste wandern und reisen, die Sehnsucht nach diesen Birnen brennt mir in der Brust wie geschmolzenes Glas, all mein Geld würde ich für eine einzige hingeben.“ Es wurde immer dunkler im Raum, und Gaspara wandte ihren Weinblättern den Rücken und stellte den Pinsel in ein Wasserglas. „Meine Großmutter hat mir oft davon erzählt,“ sagte sie dann. „Immer wieder hat sie es mir erzählt, wie sie als kleines Mädchen den gläsernen Birnbaum gesehen hat, auf einer Wiese am Berghang, hoch oben, dicht an der Baumgrenze. Schon aus der Ferne hörte man den zarten Ton, wenn der Wind durch die Zweige strich und die Blätter bewegte. Und das Klingen, wenn er die Birnen streifte.“ Plötzlich schien die alte Frau mit im Raum zu sein, und Gaspara sprach mit ihrer Stimme. „Er stand ganz allein und schimmerte in der Sonne, und selbst an trüben Tagen schien ein Licht von ihm auszugehen. Aber ich war die Einzige, die es wagte, eine seiner Früchte zu pflücken. Dann kamen die Herbststürme, und eines Morgens stiegen wir hinauf und fanden ihn zerbrochen… der gläserne Stamm zerborsten in Tausende von Splittern, verstreut über den Hang. Die Äste ein glitzerndes Pulver auf den gefrorenen Grashalmen. Es war nur der erste Reif, hieß es später. Und den gläsernen Birnbaum hätten wir uns nur ausgedacht. Oder geträumt. Aber am Waldrand, wo der Weg zwei tiefe Rinnen in den Boden gegraben hatte, ehe er sich in der Wiese verlor, da fanden sich noch ein paar kleine gläserne Zweige, und eine, eine einzige schimmernde Frucht. Ich steckte sie in die Tasche, aber auf dem Rückweg kam es zu einem Streit, ich weiß nicht wie. Und fast wäre auch sie zerbrochen.“. Der alte Schausteller wartete darauf, dass sie weitersprach, mit einem Blick, als müsse er verdursten, wenn er nicht mehr erfuhr. Die große Puppe schien in dem schwachen Licht zu lächeln. Draußen krächzte ein Vogel, und man hörte den Schlag großer Flügel, der sich entfernte. Gaspara sah den Alten und sein Geschöpf

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Dorothea Renckhoff nachdenklich an, aber dann knirschten Schritte auf dem Weg zum Haus, und der Gecko ließ sein bellendes Lachen hören. Da schloss sie den schon zum Reden geöffneten Mund wieder. Und so erzählte sie dem Fremden nicht, dass der Gecko in seiner Mauerritze zwei der gläsernen Birnen verborgen hielt. Und auch der Schausteller verriet ihr nicht das Geheimnis dieser Früchte, das er lange kannte. Dass man nämlich mit einer dieser lebendigen Murmeln in der Tasche die Gedanken der Menschen hören konnte, als sprächen sie sie laut aus. Dorothea Renckhoff

Studium Theater- und Literaturwissenschaft u. Theorie des Films Ruhr-Universität Bochum; Praktika an Theatern und als Kulturjournalistin Erstes Engagement am Schauspielhaus Bochum bei Peter Zadek (Assistentin Regie/Dramaturgie), später Dramaturgin Freie Volksbühne Berlin, Regieassistentin u. Autorin WDR-Fernsehen, Leitende Dramaturgin Rheinisches Landestheater/ Theater am Niederrhein, Chefdramaturgin Städtische Bühnen Münster. Während dieser Jahre Arbeit u. a. mit Tankred Dorst, Werner Schroeter, Rainer Werner Fassbinder, Kurt Hübner, Helmut Käutner, Karl Wesseler, Peter Zadek, Hans Magnus Enzensberger, Karl Otto Mühl, Harald Mueller, Minoru Miki, Johannes Reben, Barbara Honigmann, Lisa Witasek u. v. a. Beendigung der Theaterkarriere, da eine führende Position am Theater mit den familiären Anforderungen (verheiratet, zwei Kinder) nicht mehr vereinbar war. Seitdem freischaffend in Köln als Autorin und literarische Übersetzerin. Seit 2008 Mitglied im PEN-Club.

Universität Bochum zur Uraufführung im Rahmen von Ruhr.2010 Hörspiele Das Luftspringerkind. Erstsendung WDR 1995 Das Haus am Kanal. Erstsendung WDR 1997 Bücher Willy Millowitsch. Lebensbilder – Theaterbilder. (Biographie). Köln 1996 (Wienand Verlag) Erzählende Prosa - Einzelstücke Eine kleine Mordmusik. Ein Weihnachtskrimi. In: Kölner Stadt-Anzeiger, Weihnachten 1994 Hoffmanns Erzählungen – live. In: Realitäten und Visionen. Hilmar Hoffmann zu ehren. Hrsg. v. Peter Wapnewski unter Mitarbeit von Christoph Mücher. DuMont Buchverlag Köln 2000. Vergiftet. Kriminalnovelle. In: Vergiftet. Eine Neusser Theatergeschichte. Hrsg. v. Burkhard Mauer und Ulrike Schanko. Neuss 2000

Veröffentlichungen Bühnenwerke Das klingende Haus. Theaterstück. Felix Bloch Erben Theaterverlag, Berlin 1998 Uraufführung 15. 11. 2001 Deutsches Schauspielhaus Hamburg Der Blaue Vogel. Oper in fünf Akten. Musik von Harald Banter. Schott Musik International GmbH & Co KH, Mainz 1999. Uraufführung 4. 9. 1999, Theater Hagen Erstsendung Hörfunk WDR 19. 12. 1999 Klassik für jedes Wetter: Schiller und Goethe live auf Wetwork. Theaterstück. Felix Bloch Erben Theaterverlag, Berlin 1999. Glanz und Verdunkelung. Frische Blumen für Straus. Theaterstück für eine Schauspielerin und einen Pianisten. Felix Bloch Erben Theaterverlag, Berlin 2002 Der gläserne Birnbaum oder Milstein wartet auf mich. Theaterstück. Felix Bloch Erben Theaterverlag, Berlin 2004 In Vorbereitung: Das Hexenflosz. Ruhroper für Chöre und Solisten à cappella. Libretto, im Auftrag des Musischen Zentrums der Ruhr-

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Übersetzung von rund dreißig Theaterstücken und Fernsehspielen (u. a. von Alan Ayckbourn, Eduardo de Filippo, Serge Kribus, Charles Ludlam, Pierre Notte, Stephen Poliakoff, Brian Phelan, Ben Travers, Wallace Shawn; die erfolgreichste – ‚Shakespeares sämtliche Werke’ – lief an weit über fünfzig deutschsprachigen Bühnen) Lyrics für diverse Musicals Umfangreiche kulturjournalistische Veröffentlichungen in diversen Medien sowie Vorträge z. B. ‘Translators: Between Copyright and the Right of the Director.’ Vortrag gehalten im Goethe-House New York im Rahmen der Tagung ‚Literary Translations: A German American Dialogue’, 1992. Gekürzt abgedruckt in Literary Managers & Dramaturgs of the America, Vol. 4, No. 3, 1993, S. 1 – 4. - ‚… und die Seele ging weinend durch die Sümpfe davon.’ Das Erlebnis Oscar Wilde bei Siegfried Wagner. In: Peter P. Pachl (Hrsg), Siegfried-Wagner-Kompendium 1, Centaurus Verlag Herbolzheim 2003, S. 219 – 234 (Auch als Sonderdruck).


Aus mir braust finstre Tanzmusik Else Lasker-Schüler und der Jazz

Sie war eine Außenseiterin. Im Leben und in der Literatur. Else Lasker-Schüler hat ihr Leben auf ein solch radikale Art und Weise poetisiert, dass sie sich aus dem Kreis des bürgerlichen Lebens und zum Teil auch des Literaturbetriebs heraus katapultierte. Über sich selbst schrieb sie einmal: „Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenland und seitdem vegitiere ich.“ Sie erfand ihr Leben immer wieder neu, war wahlweise „Tino von Bagdad“ oder „Prinz Jussuf von Theben“, sie schlüpfte in andere Identiäten ebenso gerne wie in exotisch-orientalische Gewänder. Sie war eine Exotin – selbst im schrägen und verrückten Berlin der 20-er Jahre. Schriftstellern wie Thomas Mann oder Franz Kafka war die Exzentrikerin ein Dorn im Auge; doch Gottfried Benn schrieb über sie: „Dies war die größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte... Immer unbeirrbar sie selbst, fantastisch in sich selbst verschworren, feindlich allem Satten, Sicheren, Netten, vermochte sie ihre leidenschaftlichen Gefühle auszudrücken, ohne das Geheimnisvolle zu entschleiern und zu vergeben, das ihr Wesen war.“ Doch dies ist bereits der Abgesang auf eine Liebesbeziehung, die längst erloschen war, gesungen nach dem Tod der Dichterin und der späten Einsicht in den eigenen fatalen Irrtum. Benn hatte sich – bevor er in die innere Emigration ging – für die Nazis begeistert, während sie, die Jüdin, deren Bücher verbrannt wurden, Deutschland bettelarm verließ: 1933 – „seitdem die Welt verrohte“ und „die Ratten im Geklirr“ ihrer Poesie, ihres „Blauen Klaviers“, tanzen, flieht Else Lasker-Schüler ins Schweizer Exil. SA-Truppen hatten die Dichterin in Berlin auf offener Straße geschlagen. In der Schweiz ist sie Persona non grata, erhält Publikationsverbot; sie verzweifelt: „Zerbrochen ist die Klaviatür / Ich beweine die blaue Tote“. Dreimal verläßt sie die Schweiz und reist ins gelobte Land, nach Palästina. Jerusalem wird ihre neue Heimat sein, ihr letztes Exil. Dort stirbt sie am 22. Januar 1945.

Else Lasker Schüler und Gottfried Benn

Die Pionierin des deutschen Autorenfilms Helma Sanders-Brahms erzählt in ihrem Film „Mein Herz – Niemandem“ die Geschichte des Liebespaares Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn – „leidenschaftlich, sinnlich, verzweifelt, wild, einander verfallen und einander hassend“, wie es im Programmheft heißt. Sie spannt dabei den Bogen von der Kindheit der beiden Dichter bis zum Ende Nazi-Deutschlands. Die Liebe zwischen der Jüdin und dem Protestanten, der von den Nazis fasziniert ist, lebt vor allem durch die Texte von Lasker-Schüler und Benn, für manchen einer der schönsten Liebesdialoge der Welt. „Die Gedichte“, so Helma Sanders-Brahms, „sind das Wichtigste, es geht um diese Gedichte, um diesen Gedicht-Dialog vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.“ Der Wuppertaler Free-Jazzer und Improvisationsmusiker Peter Kowald hat die Musik zu diesem Film eingespielt und das poetische Zwiegespräch zwischen den beiden Lyrikern einfühlsam mit seinem Bass-Spiel zu einem „Tibet-Teppich“ aus Wortkunst und (Free) Jazz verwoben. Else Lasker-Schüler ist eine der großen Liebenden der deutschen Literatur, eine Billy Holiday der Lyrik. Doch wie alle Vergleiche hinkt auch dieser. Denn wahrscheinlich ist, dass sie nicht so sehr die Männer liebte, in die sie sich verliebte, sondern mehr die poetischen Funken, die sich daraus schlagen ließen. Für ihre erotische Hingabe fand sie in ihren Gedichten archaisierende Bilder: „Im Zwielicht schmachte ich / Gebunden am Buxbaumstamm / Ich kann nicht mehr sein / Ohne das Skalpspiel / Rote Küsse malen deine Messer auf meine Brust -/ Bis mein Haar an deinem Gürtel flattert.“

Text aus dem Buch: „Sounds like whoopataal - Wuppertal in der Welt des Jazz“ von E. Dieter Fränzel und Rainer Widmann

So mag es kaum verwundern, dass diese Nonkonformistin selbst zur Projektionsfläche für Kreative wurde. Ein Vor- oder Abbild weiblicher Emanzipation und Selbstverwirklichung, eine Identifikationsfigur für radikale Antibürgerlichkeit. „Sie ist die Urmutter aller Hippies“, hat man einmal über sie gesagt. Ob sie auch jazzy war? Der Sound ihrer Lyrik jedenfalls hat Jazzmusiker immer wieder inspiriert. Da mögen auch die Herzen, Rosen und Engel mitschwingen, von denen es in ihren Gedichten wimmelt und die die Lyrik der Dichterin zuweilen in ein fast kitschiges Licht tauchen – und die doch nur

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Wärme spenden sollen in kalter Zeit: Lyrische Floskeln, die auch zum poetischen Inventar vieler Jazz-Standards zählen. In Wuppertal haben sich Kulturschaffende immer wieder intensiv mit Else Lasker-Schüler auseinander gesetzt. Am 28. Januar 1985 fand ein Abend zur gemeinsamen Erinnerung an Else LaskerSchüler und Paul Pörtner (1925-1984) statt. Der rheinische Komponist Manfred Niehaus schrieb eine Kantate „Engel und Sterne“ für vier Frauenstimmen, Trompete, Flügelhorn, Viola und Orgel. Bei der Uraufführung wirkten auch die Jazzmusiker Heinz Becker und Manfred Schoof (Trompeten und Flügelhorn) sowie Bernd Köppen an der Orgel mit. Für Heinz Becker war das die Initialzündung zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk der Elberfelder Lyrikerin. 1987 präsentierte er auf den zweiten Wuppertaler „Grenzüberschreitungen“ sein Else Lasker-Schüler-Projekt. Im gleichen Jahr gibt er gemeinsam mit Karl Heinz Stegmann und Isabel Zeumer eine CD heraus, in der Gedichte Else Lasker-Schülers vertont werden. „Wie soll ich mit diesen außergewöhnlichen, wahnsinnigen, schönen Texten umgehen? Welche Form wäre da richtig?“, fragt sich Isabel Zeumer. Die Antwort: Ein wunderbar klarer funkjazziger Trompetensound Heinz Beckers, inspiriert von Miles Davis‘ „Tutu“, der der expressiven und surrealen Hitze der Verse – „Aus mir braust finstre Tanzmusik / Meine Seele kracht in tausend Stücken“ – eine stählerne Kühle und melancholische Eleganz entgegen setzt,

der die alten Verse unglaublich modern (er)klingen lässt. Dazu tönen Karl Heinz „County“ Stegmanns futuristische Syntheziser-Klänge, ein weiter Klangteppich, der den Gedicht-Zeilen den nötigen Sinn-Raum geben. Isabel Zeumer pendelt sich ein in diesen Funk-Rhythmus und lässt Else Lasker-Schülers Verse in ungewohntem Duktus swingen. Spätestens in den 70er und 80er Jahren avancierte Else Lasker-Schüler zu einer Kultfigur, der sich viele Musiker auf ihre Art zu nähern suchen. Stellvertretend sei der Wuppertaler Musikpädagoge und Komponist Uli Klan genannt, der ihre Gedichte vertont hat: „Ich finde Jazz einen vorzüglichen Weg, Elses Dichtung nahe zu kommen: Ihre Verse atmen oft – wie der Jazz – die freie Assoziation, den anarchisch-„wildjüdischen“ Geist großer Offenheit, sie wirken zuweilen wie improvisiert – auch wenn sie es bei näherem Hinsehen nicht (mehr) sind.“ In seinen Musiken zu ihrer Lyrik gibt es immer wieder Jazz wie etwa in der Swing-Ouverture „something else“ (1988). Unter seiner Dramaturgie führten Schüler und Lehrer der nach der Dichterin benannten Wuppertaler Gesamtschule „Arthur Aronymus und eine Väter“ – den „Nathan für Kinder“ – im Dezember 2001 auf. Klan hatte für diese Inszenierung Musical-Elementen komponiert. Zu hören war auch eine Bearbeitung des Swing-Klassikers „Diamonds are a girl’s best friends“, der durch Marilyn Monroe bekannt wurde. Die Berliner Schauspielerin Ulrike Schloemer hatte das schwer spielbare

Peter Kowald

Dietrich Rauschtenberger

Sven Vilhelmson Stück neu für die Bühne eingerichtet. Wohl nie gab es so viele und so unterschiedliche musikalische Spielarten der Dichtungen Else Lasker-Schülers zu hören wie beim X. Else Lasker-Schüler Forum, das von der gleichnamigen Wuppertaler Literaturgesellschaft 2001 in der Heimatstadt der Dichterin ausgerichtet wurde: Die in Paris lebende Jazzpianistin und Sängerin Caroline Tudyka übersetzte Else Lasker-Schülers Verse ins Französische und einen chansonhaft gefärbten Jazz, die Musiker und Sänger des mongolischen Oktetts Egschiglen in die Sprache und Obertongesänge ihrer Heimat. Lisa Cash, Mitglied der Sisters Keepers, der Interessengemeinschaft afrodeutscher Musikerinnen, interpretierte die „finstre Tanzmusik“ Else Lasker-

Caroline Tudyka


Wolfgang Schmidtke Schülers mit ihrer starken Stimme in wunderbar warmen, soul- und blueshaftem Gesang, während die Sängerin und Performance-Künstlerin Moana Verse der Dichterin als Projektionsflächen erotischer Sehnsüchte zeichnete. Die Hamburger Sängerin Noah Sow, „Mutter des Punk Karaoke“ akzentuierte die surreale Poesie der Gedichte – „Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen / Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen“ – durch stereotype Wiederholungen der immergleichen Verse in provozierend metronomischen Gleichmaß des Tempos, während über ihrem monotonen Gesang die Klanggewitter der Wuppertaler Kultband Uncle Ho herein brachen. Gerade die Spannbreite ganz unterschiedlicher jazznaher Stile,

Manfred Niehaus

mit der sich die Musiker der Dichterin näherten, zeigt die Zeitlosigkeit der Lyrik Else Lasker-Schülers. Die Dichterin stand auch als Patin bereit bei der von der Stadt Wuppertal und der Westdeutschen Zeitung im April 2005 veranstalteten Literaturreihe „Ein Stadt liest ein Buch“. Im Mittelpunkt dieses Literaturfestes stand Uwe Timms Buch „Am Beispiel meines Bruders“, in dem der Autor die Lebensgeschichte seines Bruders aufgeschrieben hat, der sich freiwillig zu einer SS-Eliteeinheit meldet und während des Ukraine-Feldzuges fällt. Ausschnitte daraus wurden von den Autoren Ulrike Müller und Heiner Bontrup mit Gedichten der beiden großen jüdischen Lyriker deutscher Sprache Else Lasker-Schüler und Paul Celan zu einem Sprachteppich verwoben, der die Täterperspektive mit der der Opfer verschränkt. Die Stimmungen der Texte wurden von dem Saxophonisten Wolfgang Schmidtke, dem Schlagzeuger Dietrich Rauschtenberger sowie Sven Vilhelmsson am Bass improvisierend aufgegriffen und in eine Musiksprache transponiert, die einen Zugang zum geheimen Ort der Träume schaffen. Denn Musik und Literatur sind Wege zu diesen Kraftfeldern der Seele. Eine Prognose dürfte mit Sicherheit eintreten: Dies wird nicht die letzte Auseinandersetzung mit Else Lasker-Schüler von Wuppertaler (Jazz-)Musikern sein. Weil die Verse Else Lasker-Schülers Musik sind. Heiner Bontrup

Helma Sander-Brahms

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Was blüht denn da in Elberfeld? Das Hotel Miraflores am Fuße des Briller Viertels

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Der Name geht leicht über die Lippen. Erinnerungen an üppige südliche Gegenden lässt der Wohllaut der Vokale vor dem inneren Auge erstehen. Blühende Landschaften sind es denn auch, durch die der Name erstmals in die Welt kam: „Mira flores“ – „Seht her, die Blumen“ – soll Isabella von Bourbon ausgerufen haben, als sie 1627 auf einer Reise nördlich von Madrid das kleine Dörfchen Porquerizas erblickte. In der kargen Gebirgslandschaft der Sierra de Guadarrama war ihr die prächtige Fülle der Blumen aufgefallen. Seither trägt nicht nur dieser Weiler den klingenden Namen. In leichter Abwandlung fand er den Weg bis in die Neue Welt: Mirafloris heißt ein Stadtteil im peruanischen Lima, beliebt vor allem wegen seiner Gärten und Sonnenstrände. Auch in Argentinien und Bolivien finden sich gleichnamige Orte. In unseren Tagen ziert viele Touristen-Unterkünfte in Spanien die blumige Benennung. Doch selbst im regnerisch-grauen Wuppertal gibt es ein Hotel des ursprünglichen Namens: das Miraflores, vor über einem Jahr, am 8. Februar 2008, mit viel Enthusiasmus

eingerichtet und seitdem geführt von Eva Schmersal. In einer der viel besagten schönen Ecken der bergischen Metropole gelegen, kommt das Haus auf den ersten Blick allerdings so unscheinbar wie ein Mauerblümchen daher. Am Fuße des Briller Viertels, zwischen der viel befahrenen Nützenberger Straße auf der einen Seite und dem nicht minder stark frequentierten Robert-Daum-Platz sowie der Friedrich-Engels-Allee auf den anderen, verstecken sich einige jener kleinen, mit kreativer Energie aufgeladenen Straßenzüge, die hie und da in der trostlosen Steinwüste der Talsohle aufblühen. In einem noch intakten, durch die dichte Bebauung geschlossen wirkenden Karree schlichter Mietsäuser aus der Gründerzeit herrscht geruhsame Stille – erstaunlich angesichts des nur unweit tosenden Autoverkehrs. Biegt man unweit des Robert-Daum-Platzes von der B 7 in eine der Nebenstraßen, taucht man wie in eine andere Welt. Geschützt von hohen Häusermauern, ist der Lärm der Groß-


stadt hier nur gedämpft zu hören So lädt der Altbau des Miraflores mit seinem begrünten Hinterhof in einem beschaulichen Winkel der Stadt zur Einkehr, in enger Nachbarschaft zu vielen Künstlern und Kreativen. Während das Gebäude bei der Anreise mit dem Auto wegen seiner schlichten Fassade leicht übersehen werden könnte, locken vom Bürgersteig aus gesehen die bodenlangen Fenster des Frühstücksraumes und erlauben einen Blick ins behagliche Innere. Warm schimmert der geschliffene Dielenboden des weitgehend in originaler Baustruktur belassenen Gebäudes aus der Gründerzeit. Die modernen grauen Fensterrahmen und farblich passende, wie Wandobjekte angebrachte Heizkörper wirken daher alles andere als kühl, sondern bilden einen spannungsreichen Kontrast zur Patina der Gründerzeit. Die Kombination von Alt und Neu prägt denn auch den Stil des ganzen Hauses. Mit viel Geschmack und Sinn fürs Detail akzentuiert Schmersal modernen Wohnkomfort mit mehr oder weniger antiken Fundstücken, die sie auf Märkten sucht und findet. Späht man von draußen in das Frühstückszimmer, entdeckt man, dass um die schlichten Esstische aus massivem Kirschholz alte Thonet-Stühle arrangiert sind, so dass sich eine angenehme Kaffeehaus-Atmosphäre ergibt, ohne jedoch den drückenden Pomp des 19. Jahrhunderts zu imitieren. Die blassen Grün- und Grautöne der hohen Wände erzeugen vielmehr eine Frische, die niemals kühl wirkt, sondern die anheimelnde Patina des Altbaus dezent hervorhebt. Tritt man durch die große alte Holztüre in den schwarz-weiß gekachelten Eingangsbereich und geht die sorgsam renovierte originale Holztreppe hinauf, sind auf Schritt und Tritt weitere Einzelheiten zu entdecken, die dem Hotel seine einzigartige Atmosphäre verleihen. Im Erdgeschoss etwa macht ein Streifen Wand, in Augenhöhe frei vom Putz belassen, die vielen Schichten ehemaliger Wandbeläge und Tapeten sichtbar. So ästhetisch wie ein informelles Kunstwerk und so dekorativ wie die Bordüre einer Tapete legt Schmersal hier bewusst die Geschichte des Hauses offen. Auch Ver-

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änderungen aus den 1970er Jahren wie etwa die nüchternen Kacheln des hinteren Hausflures hat sie nicht rückgängig gemacht, so dass im Miraflores keine Gefahr besteht, mit vermeintlich authentischen Reproduktionen aus früherer Zeit auf die falsche Fährte gelockt zu werden, wie es der allerorten sprießende Landhausstil vormacht. Lieber lässt Schmersal die Rahmen der alten eingezogenen Holzwände stehen, die einst die Etagenwohnungen vom Treppenhaus trennten. So vergessen ihre Gäste keinen Moment, dass sie in einem wirklich alten Mietshaus logieren. Da es keinen Aufzug gibt, um bis in den dritten Stock zu gelangen, laden auf den Zwischenetagen alte Truhen voller Zeitschriften neben plüschigen Oma-Sesseln mit Blumenbezug den Kurzatmigen zur Pause ein. Überhaupt die Blumen: in der sonst so zurückhaltenden Ausstattung des Hotels spielen sie die Hauptrolle und machen dem Namen Miraflores alle Ehre. Passend zur Saison stimmen im Herbst blasslila Hortensien-Blüten, mit Gräsern in großen Glasvasen arrangiert, auf die Jahreszeit ein – ebenso die munter orange leuchtenden Lampions der Physalis. Auf den Zimmern blühen die Blumen nicht nur in der Vase, sondern auch an der Wand: für jede ihrer drei Suiten und die ebenso vielen Doppelzimmer hat Schmersal nach der Devise „weniger ist mehr“ nur ein einziges Bild ausgesucht – allesamt Blumenstillleben Wuppertaler Künstler. Hier gedeiht die südliche Atmosphäre, die der Name des Miraflores von Anfang an suggeriert, in großen sinnlichen Blütenkelchen oder expressiv ausgeführten Knospen. Vor apart zartgrünen oder beige gehaltenen Wänden blühen sie wahrhaftig auf und machen das ästhetische Empfinden der Hausherrin besonders augenfällig. Doch auch in den kleinen, mehr oder weniger versteckten Details ist Eva Schmersals Sinn für Schönes spürbar, das sie gern in unerwarteten Zusammenstellungen arrangiert. So ist eines der Zimmer mit einem alten Turnhallenspind aus Holz als Kleiderschrank ausgestattet, dem sein Alter deutlich anzusehen ist. Auf den schlichten Nachttischen sind auch

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mal Bürolampen aus den 1930er Jahren platziert, die in der Nachbarschaft der geschmackvoll bezogenen Betten weniger nüchtern wirken als an ihrem ursprünglichen Einsatzort. In den modern ausgestatteten Badezimmern dienen Zinkeimer als Abfallbehälter. Als Ablagefläche finden sich gelegentlich alte Melkschemel. Trotz alledem müssen die Gäste des Miraflores auf modernen Komfort nicht verzichten: alle Zimmer sind mit Fernseh-, Telefon- und Internetanschluss ausgestattet. Nur die sonst übliche Minibar sucht man vergebens. Stattdessen gibt es im Erdgeschoss einen großen Kühlschrank mit kalten Getränken, aus denen sich die Gäste jederzeit bedienen können. „Es ist ein bisschen wie in Paris“, sagt Eva

Schmersal über den Charme ihres Hotels. Von ihrem Lieblingszimmer aus, der Suite unter dem Dach, blickt man auf die ersten Giebel des Briller Villenviertels und könnte tatsächlich ins Träumen kommen. Kein Wunder – wird die Suite doch gern von frisch Vermählten gebucht, die nicht mal mehr in die Ferne schweifen müssen, um in die Stadt der Liebe zu reisen. Unweit des Miraflores beschwören die Kneipen und Lädchen des Luisenviertels oder der nahe gelegene Ölberg tatsächlich so etwas wie Pariser Flair herauf. Die fußläufige Nähe zu solchen Sehenswürdigkeiten der Stadt wie auch zur Elberfelder City und die gute Anbindung zur Schwebebahn haben Schmersals Gäste mittlerweile zu schätzen gelernt. Neben


Geschäftsleuten, die während der Woche kommen, wird das Hotel am Wochenende vor allem von privat Reisenden belegt – einer Handvoll Leuten, die gerne immer wieder kommen und den familiären Empfang der Hausherrin genießen. Morgens serviert sie ihnen Frühstück in kontinentaler und französischer Variante, abends gibt es ein Gläschen Wein oder Bier zur Entspannung. Auch alteingesessene

Wuppertaler schicken vermehrt auswärtige Freunde und Bekannte in das Miraflores. Dabei kommt es schon mal zu bitteren Beschwerden über fehlende Parkplätze in der Nähe des Hotels. Wer dann die automobile Bequemlichkeit höher schätzt als die Eigenarten des Miraflores, auf den kann Eva Schmersal gut verzichten. Sie möchte vielmehr Gäste ansprechen, die ihren Sinn für Individuelles teilen – und solche im

Verborgenen blühende Schätze wie das Miraflores mit ihr entdecken mögen. Susanne Buckesfeld Fotos: Antje Zeis-Loi Hotel Miraflores Nützenberger Str. 23, 42115 Wuppertal Telefon 0202 / 4 96 28 69 www.hotelmiraflores.de

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Öffentlich zugänglich Der Zeichner und Bildhauer Karl Burgeff im Bergischen Land

Kreuzweg, 1955, Stuck, H je ca. 65 cm, in St. Paulus in Velbert Foto: Archiv Karl Burgeff

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Zu den Künstlern, die etliche skulpturale Arbeiten für den öffentlichen Raum geschaffen haben und dort räumliche Klärung, Orientierung und ästhetische Differenzierung bewirken, gehört Karl Burgeff. Burgeff hat in Köln und in der Eifel gelebt und vor allem in Nordrhein-Westfalen und Franken Kunstwerke, die direkt auf Architektur bezogen sind und in dieser aufgehen, sowie Denkmäler und Brunnenplastiken hinterlassen. Und er hat noch öffentliche Beiträge im denkbar kleinsten Format geliefert: mit Münzen, Plaketten und Medaillen. Geboren 1928 in Würzburg, hat Burgeff in seiner Heimatstadt, in Stuttgart sowie Tübingen Naturwissenschaften und Philosophie studiert, ehe er zunächst in Würzburg und dann vor allem an den Kölner Werkschulen ein Studium der Bildhauerei absolviert hat. 1956 schloss er in Köln als Meisterschüler bei Ludwig Gies ab. Von 1968 bis 1993 hat er selbst in Köln – an den Werkschulen, die später in die Fachhochschule eingegangen sind – eine Professur für Bildhauerei und Bauplastik inne. 1975/76 richtet er sich ein Steinmetzhaus in Weibern als Zweitwohnung und Atelier ein, in der Vulkan-Eifel, dort wo der Basalt abgebaut wird und wo er neben den zahlreichen Aufträgen, die an ihn herangetragen werden, ungestört frei arbeiten kann. In einer Monographie, die vor einem Jahr im Kölner Salon Verlag erschienen ist, sind zwischen 1954 und 2003 63 mitunter mehrteilige Beiträge im öffentlichen Raum verzeichnet, wobei sich der profane und der sakrale Bereich die Waage halten. Hinzu kommt eine ähnlich große Anzahl an glyptischen Werken, die in Zusammenhang mit Aufträgen und Wettbewerben entstanden sind. 2005 ist Karl Burgeff in Lohmar gestorben, hochdekoriert vor allem in diesem Metier als Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Medaillenkunst und als erster Preisträger des neu geschaffenen Hilde-Broër-Preises für Medaillenkunst. Schon die Anbindung an Aufträge beeinflusst den stilistischen Spielraum. Burgeff, der sich früh einem skizzenhaften Realismus zugewandt hatte, bleibt diesem im wesentlichen durch sein ganzes Werk hindurch und in allen Medien treu. Gemeinhin wird er der Tradition des Kölner Realismus zugeordnet, mit Künstlern wie Gerhard Marcks und Ludwig Gies – was freilich die Sache sehr verkürzt. Denn während Burgeff etwa


Anna 2x und Tibettrommeln, 1981, Bleistift, Buntstift, Gouache auf Karton, 45,3 x 62,8 cm Foto: Norbert Faehling, Düsseldorf

bei den vier „Hunden“ und den beiden „Hirschen“ (1995-97) an den Eingängen zum Museum Schloss Moyland einen souveränen, mit Humor und Raumgefühl gepaarten Naturalismus vor Augen führt, demonstrieren sein „Dionysos-Brunnen“ (1972/73) im östlichen Lichthof unterhalb des Museum Ludwig in Köln und der „Theaterbrunnen“ in Bonn-Bad Godesberg (1976) – seine vielleicht prominentesten öffentlichen Arbeiten – ein sehr eigenes Stilvermögen: In der Paraphrase des Figürlichen und im Weiterspinnen formaler Vorgaben hin zur geometrischen Abstraktion. Burgeff bedenkt den Auftrag und die gegebene Situation. In Köln: Wie lässt sich eine Restfläche in eine beredte Oase der Ruhe und Beschaulichkeit verwandeln. In Bad Godesberg: Wie wird ein Ort als belebtes Zentrum der Stadt markiert. In Wuppertal zeigt sich Burgeff von einer anderen Seite, „dienend“ im sakralen Bereich, und zwar an der Kirche St. Ewald in Cronenberg, die vom Kölner Baumeister Fritz Schaller stammt. Mit Schaller hat Burgeff schon bei der Neugestaltung der Umgebung von Museum Ludwig und Dom in Köln zusammengearbeitet. An St. Ewald nun bestehen Burgeffs Beiträge in den Portalaufsätzen, gegossen in Bronze auf den Kupfertüren (1974) sowie in der Turmbekrönung des Campanile (1986). Sowohl Pforten und Türgriffe als auch Turmbekrönungen und Wetterfahnen hat Burgeff noch an anderen Kirchen gestaltet, unter vergleichbaren Prämissen und also mit ähnlichen Lösungen. Die Türgriffe sind, in der unmittelbaren haptischen Erfahrbarkeit aus der Nähe, feingliedrig reliefiert und beziehen sich mehrheitlich auf die Geschichte des jeweiligen Gotteshauses mit seinem Namenspatron. Die Turmreiter, die ihrerseits nur aus der Ferne und gegen den Himmel zu sehen sind, sind im Schematischen weitgehend abstrahiert als ineinander greifende Formen, welche die Motive des christlichen Glaubens einschreiben und sich selbst ausbalancieren. Burgeff hat sich schon frühzeitig in der bildlichen Umsetzung der Heiligen Schrift bewährt. Am Anfang seiner Tätigkeit im sakralen Bereich steht eine weitere Arbeit im Bergischen Land: der Kreuzweg von St. Paulus in Velbert, dieser großartigen, von Gottfried Böhm stammenden Katholischen Pfarrkirche. Burgeffs Kreuzweg entstand 1955 (und wurde 2003 restauriert), er umfasst 14 Stationen aus (weißem) Stuck. Seine Besonderheit liegt in der völligen Unmittelbarkeit der Kapitel zum Leiden Christi. „Plastisch“, ohne Fond vor die Wand gesetzt, wirkt jede der Stationen in ihrer Verknappung und ergreifenden Direktheit für sich. Schon da erweist sich Burgeff als Meister der kleinen Erzählung, des innigen Ausdrucks. Die Vorgaben der Kunst am Bau aber, denen er sich schon hier und auch künftighin unterwerfen musste, empfand er nicht als Einengung, sondern als Disziplinierung.

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Turmbekrönung, 1986, Bronze, H ca. 250 cm, an St. Ewald, Cronenberg Foto: Archiv Karl Burgeff

Theaterbrunnen, 1976, Basalt, Bronze; H ges. 300 cm, Platz vor den Kammerspielen in Bonn-Bad Godesberg Foto: Norbert Faehling, Düsseldorf

Über die technische und handwerkliche Virtuosität hinaus liegt vor allem in der atemberaubenden Kombinatorik und in der Anschaulichkeit die Einmaligkeit seines Werkes. Sichtbarer noch wird dies in den Zeichnungen und den (Klein-) Plastiken. Burgeff assoziiert über Zeiten und Kontexte hinweg; sein Geist, der an der Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte geschult und mit einer genialen Beobachtungsgabe ausgestattet ist, entzündet sich an Beiläufigem ebenso wie an Drängendem, Bestürzendem. Immer aber

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strahlen seine Arbeiten eine große Ruhe und Besonnenheit aus. Wie bei der Kunst im öffentlichen Raum ist der Betrachter in der Person von Karl Burgeff aktiver Teilhaber seiner Zeichnungen. – Schon das: Er beobachtet sich selbst. Sowohl auf den Zeichnungen als auch bei den Plastiken kommen wiederholt Hände vor. Einzelne Blätter definieren das Sichtfeld, darin die Brille und die zeichnende Hand. Die Zeichnungen sind sozusagen das Seismogramm seines Denkens. Vorgetragen zunächst mit Blei- und Farbstiften und in

den letzten Jahren mit breiter Kohle und in größerem Format, kommt Burgeff hier immer wieder auf die gleichen Themenkreise und Ideen zurück. Seine Zeichnungen veranschaulichen das geologische Interesse und die Landschaftsschilderung, vor allem in der Eifel, da wo er gelebt und auch im Freien gezeichnet hat, aber auch auf Reisen. Die Sorge über die Zerstörung der Natur und den neugierigen Respekt vor ihren Leistungen. So widmet er sich fast mikroskopisch und auf Augenhöhe einer Brennesel oder einem Pilz. In einer


eigenen Serie zeigt er isoliert verkrüppelte, ihrer Äste und Blätter beraubte Bäume, die „Stutzbäume“, die augenblicklich an einen menschlichen Torso denken lassen. Andere Zeichnungen artikulieren, damit verbunden, die Kritik am bedingungslosen Fortschritt, am Technologiewahn und an aller ökologischen Beeinflussung durch den globalen Transfer. Burgeff wird mitunter tagespolitisch, indem er etwa den Flugzeugabsturz der Concorde oder den Bau einer Schnellstraße durch die Eifellandschaft aufgreift. Immer wieder schöpft seine Bildsprache aus dem Alten Testament wie auch der klassischen Mythologie, er spielt mit Bildern, verbalen Vorstellungen und Formen, fügt Realität und Phantasie, Vergangenheit und Gegenwart zu einer Einheit. So erschafft er einen Oekolus, der sich, der Arche Noah verwandt, seinen Weg durch die Landschaft bahnt. Im Rahmen der Umsetzbarkeit finden sich diese und ähnliche Themen nun auch bei den Plastiken, mit der überraschenden Feststellung etwa einer Verschiebung der Dimensionen ins andere Extrem. Denn ist der Löwenzahn in den Zeichnungen riesig, so ist er nun – bei der Folge der Löwenzahndenkmäler (1991-94), die sich heute im Kunstmuseum des Erzbistums Köln befinden – winzig. Und wie die gezeichneten „Stutzbäume“ entwickelt der Löwenzahn, der sich auf gestuften Holzsockeln windet, ein Eigenleben zwischen geschundenem Körper und unbezwingbarem Aufbegehren. Dabei verzichtet Burgeff hier wie bei fast allen anderen Plastiken – und entsprechend zu den Zeichnungen – auf Farbe. Neben den Schattierungen und Patinierungen der Bronze bleibt es also bei dem erdigen Rot und dem hellen Braun des Tons, nur

mitunter und dann punktuell versehen mit Weißaufsätzen. Eine dieser Kleinplastiken aus gebranntem Ton zeigt Bazon Brock bei der Moderation der Sendung Bilderstreit (2004). Der Wuppertaler Professor, Künstler und engagierte Streiter für die Kunst sitzt vor einer Rahmung, welche gleichsam das Format des Fernsehschirms definiert. Es scheint, als würde sich Brock noch in Pose setzen und dafür eine unbequeme Haltung in Kauf nehmen. Der Anzug mit der Krawatte sitzt tadellos, dem Anlass entsprechend, der Mund ist leicht geöffnet – Brock scheint hier in seinem Element des Vortrags. Karl Burgeff, der im besten Sinne Traditionalist war, stand der Macht der neueren Massenmedien, der Vermittlung durch das Fernsehen wie auch den neuesten Tendenzen der Kunst kritisch gegenüber. Eine leise, feine Ironie klingt gegenüber dem missionarischen Eifer von Brock an – als gelungenes Porträt vermittelt diese Tonplastik doch Burgeffs eigene Skepsis. Übrigens ist sie inmitten einer Folge weiterer, teils in Bronze gegossener Figuren und Figurengruppen entstanden, die Situationen der Kommunikation und der gescheiterten Kommunikation bezeichnen und darin Erzählungen und Geschehnisse anreißen. Schließlich deuten schon die Titel dieser Arbeiten an, dass aller Beiläufigkeit der Darstellung ein konkretes Erleben zugrunde liegt: „Station Agent“, „Drei Lebensalter“, „Dreiergespräch“ klingen ebenso beredt wie lakonisch. Die meisten dieser Plastiken hat Burgeff noch in Bronze gegossen und ihnen damit eine gewisse Ewigkeit verliehen – ja, immer strebt Burgeff nach einer Allgemeingültigkeit, gegenüber der das Vergehen der Zeit in den Hinter-

grund tritt. Mit dieser Verdichtung, mit seiner komplexen und verblüffenden Verknüpfung unterschiedlicher Wahrnehmungsebenen und mit seinem feinen Humor gehört er zu den Künstlern, deren Name selbst weniger bekannt ist. Auf deren Werken im öffentlichen Raum man aber plötzlich überrascht, staunend und innehaltend trifft. Thomas Hirsch © Nachlass Karl Burgeff, Weibern/Köln

Neben den Arbeiten im öffentlichen Raum befinden sich Zeichnungen und Plastiken von Karl Burgeff vor allem in der Stiftung Museum Schloss Moyland in Bedburg-Hau und im Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln.

links Bazon Brock moderiert Bilderstreit, 2004, Ton, Metallrahmen, H 14,5 cm rechts Dreiergespräch, 2004, Ton, H 9,0 cm Fotos: Norbert Faehling, Düsseldorf

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Glück. Aspekte und Momente. »Glück ist ein Luxus, den jeder erlangen kann, wie arm er auch bleibe; denn es gehört nicht zu den unerlässlichen Bedingungen unseres Lebens. Es lässt sich führen auch, ohne glücklich zu sein, und manch einer ist im Unglück sehr alt geworden. Aber es ist eine Voraussetzung dafür, dass unser Leben und unsere Selbstwahrnehmung im Einklang sind. Eigentlich ist das Glück nichts anderes als dieser Einklang. Man erwirbt es nicht, indem man dem Schicksal beweist, dass man seiner würdig ist. Um sein Glück kann man sich nicht bewerben. Von allem, was sich in der Welt begibt, abhängig, ist es durch nichts zu bewirken, obwohl jede Handlung aller zu jeder Zeit an jedem Ort daran mitwirkt, dass es sich ereigne.« Es ist eines der Themen der Philosophie, und kommt in der deutschen doch kaum vor.

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Andreas Steffens Schriftsteller und Philosoph 1957 in Wuppertal geboren

Wie wenig Glück es selbst bei den Philosophen von jeher hatte, lässt sich daran ablesen, dass von den Zeugnissen, denen Andreas Steffens nachdenkend einige seiner Aspekte erwägt, nur wenige von Philosophen stammen, weit mehr von Literaten und bildenden Künstlern. Wege zum Glück mag beschreiben, wer sich zu Lebensratgebertum berufen fühlt; hier finden sich nur Hinweise zu seinem Verständnis versammelt, denen zugedacht, die es etwas genauer wissen wollen, was es damit auf sich hat, mag einer es gerade haben, oder entbehren.

Leseprobe Vorwort Es ist eines der Themen der Philosophie, und kommt in der deutschen doch kaum vor: das Glück hat in der deutschen Ethik, in der deutschen Philosophie und Lebenslehre keinen sicheren und ganz gewiss keinen hohen Platz. An diesem befremdlichen Befund hat sich nichts geändert, seit Dolf Sternberger ihn 1966 in seiner Heidelberger Immatrikulationsrede über ›Das Menschenrecht nach Glück zu streben‹ aussprach. Wie wenig Glück es selbst bei den Philosophen von jeher hatte, lässt sich daran ablesen, dass von den Zeugnissen, denen nachdenkend ich einige seiner Aspekte erwäge, nur wenige von Philosophen stammen, weit mehr von Literaten und bildenden Künstlern. So findet sich die einzige mögliche Metaphysik des Glücks bei einem späten Epigonen der klassischen europäischen Lyrik. In der Beiläufigkeit zweier Zeilen hat Fritz Usinger sie in dem Gedicht ›Anakreon‹ seines großen Zyklus‹ über ›Das Glück‹ zusammengefasst: Hinter den Wegen der Welt ist immer als letztes Ziel das / Glück gesetzt, denn Glück ist Einigsein mit den Göttern. Ausnahmen von der philosophischen Glücksenthaltung sind spärlich geblieben. Robert Spaemanns glänzend vorgetragene Erinnerung, dass Ethik

›Lehre vom gelingenden Leben‹ zu sein habe, ›Glück und Wohlwollen‹, verklang ebenso folgenlos wie Odo Marquards, des Skepsisartisten in allen Lagen, Ermahnung, eine sich auf die Weisheit – also doch auf sich selbst – besinnende Philosophie müsse das Glück, das sie preisgegeben habe, um das Unglück loszuwerden, zurückholen. (Oder es bleiben lassen, um die Last der Weisheit endlich loszuwerden, da das Unglück doch das bei weitem vorherrschende Phänomen ist?) Selbst die fundierteste Neubegründung der ältesten Denkform der Philosophie, die darauf angelegt war, sie zu einer Lebensform zu machen, Wilhelm Schmids ›Philosophie der Lebenskunst‹, behandelte das Glück zunächst nur nebenher. In zwei opuscula hat er das zunächst Unterlassene nachgeholt, unter der zeitgeistantizyklischen Maxime allerdings, dass Glück nicht das Wichtigste im Leben sei. Seitdem ist das Thema im Kielwasser der unerwartet schnell populär gewordenen Wiederentdeckung der Lebenskunst auf findige ›Ratgeber‹ und windige Traktätchen trittbrettfahrender Zeitgeistritter heruntergekommen. So lange missachtet, wurde das Glück schließlich Opfer des Gewinnlertums einer pseudointellektuellen Konjunktur.

Die traditionelle philosophische Enthaltsamkeit vom Glück lag nicht nur daran, dass Kants Entdeckung oder Aufstellung des kategorischen Imperativs, des Sittengesetzes und des Pflichtgebotes Epoche und der Glücks- oder Glückseligkeitsethik den Garaus gemacht hat. Er hat uns die Unschuld genommen, vom Glück zu reden und mit gutem Gewissen nach Glück zu streben, worauf Sternberger den Hauptakzent legte. Auch nicht allein daran, dass die Deutschtümelei es einer zunehmend ideologisch infizierten Philosophie erleichterte, die Wiederentdeckung des Glücks im französischen Denken des 18. Jahrhunderts zu übersehen, und Fontenelles ›Du bonheur‹ oder Malebranches anti-stoische Verteidigung eines als Inbegriff des Genusses verstandenen Glücks im 4. Buch seiner ›Recherche de la vérité‹ unter dem Generalverdacht gegen ›die Aufklärung‹ totzuschweigen. Selbst der Ruch des Revolutionären einer Tradition, die von Heine bis Marcuse – Herbert und Ludwig – Glück auf Freiheit reimte, trug zu ihr nur bei, ohne sie zu verursachen. Sie rührt vor allem daher, dass die deutsche Philosophie, sich gegen den Siegeslauf der Wissenschaften zu behaupten suchend, Erkenntnis- und Wissenschafts- , statt Lebenslehre sein wollte. Diese Fixierung hat auf Dauer beinahe ihr


selbst den Garaus gemacht, sie jedenfalls zu einem universitären Kümmerdasein verurteilt, weit entfernt von gesellschaftlicher Wirkung. Aber in welche Gesellschaft könnte sie zu wirken noch bemüht sein, wenn sie wollte? Die Tradition geselliger Bildung, gebildeter Geselligkeit, die im Gespräch erwägt, was alle angeht, und das Erwogene zur Grundlage öffentlicher Erörterung und Herstellung politischer Verbindlichkeiten macht, war in Deutschland nie besonders ausgeprägt, und hat sich auch in fünfzig Jahren eines freien demokratischen Lebens von der Zerstörung der Gesellschaft und ihrer Elite durch Hitlers Herrschaft nicht erholt. Undenkbar hierzulande, dass es die Wiederwahl eines machthabenden Politikers gefährden könnte, wie einem französischen Präsidenten beinahe geschehen, in entscheidender Fernsehdebatte durch ein falsches Zitat den Verdacht literarischer Unbildung zu wecken. Übrigens unbegründet. Dem Umstand, dass gesellige Nachdenklichkeit in privaten Kreisen sehr wohl ein Fortleben findet, verdankt dieses Büchlein sein Entstehen. Es ist die in den darauf folgenden Jahren bei Gelegenheit immer wieder erweiterte Ausarbeitung einer Gesprächsgrundlage für den ›PKW‹, den Philosophiekreis Wuppertal, einen Kreis Interessierter, der sich unter meiner Mentorschaft Ende der 90er Jahre zusammenfand, und in ›informeller‹ Runde, ohne Statuten und Vereinsaufwand, das gesellige Nachdenken pflegte. Unter dem Eindruck der in Überdruss auslaufenden publizistischen Konjunktur seines Themas mag das Büchlein als Nachläufer aufgenommen werden. Aber die Ersten, die zu Letzten wurden, werden die Ersten wieder sein, wenn erst vergessen sein wird, was sie zu Verspäteten hatte werden lassen. Wen Nachläuferschaft stört, der taugt zur Philosophie nur wenig. Philosophen kommen immer hinterdrein. Sie denken eben nach, selten damit auch einmal vor. Für ihr Metier gilt weit mehr, was Jakob Burckhardt von der Historie sagte, nicht klug für ein andermal, höchstens weise für immer zu machen. Wege zum Glück mag beschreiben, wer sich zu Lebensratgebertum berufen fühlt; hier finden sich nur Hinweise zu seinem

Verständnis versammelt, denen zugedacht, die es in diesem ganz besonderen Fall des Unbegreifbaren etwas genauer wissen wollen, was es damit auf sich hat, mag einer es gerade haben, oder entbehren. Während die ›Aspekte‹ als Gedankenerträge bedachter Lesefrüchte die Leere seiner Unbestimmbarkeit umkreisen, beschreiben die sich anschließenden ›Momente‹ aphorismenartig aus persönlichem Erleben und Beobachtung anderer stammende Erfahrungssplitter, in denen aufblitzt, was Glück sein kann. So wenig wir ihm noch trauen mögen, so sehr brauchen auch wir es, wie alle Menschen es immer gebraucht haben. Insofern ist die gegenwärtige Konjunktur des Glücks nicht nur als Ausdruck einer Zeit verständlich, deren Lebenserwartungen sich zunehmend wieder verdunkeln, sondern auch legitim. Genau das macht sie philosophiewürdig. Liegen die großen Themen erst in der Luft, sind sie zu neuem Bedenken fällig, weil fragwürdig geworden. Dann ist es Zeit, nachzudenken. Kein Gedanke an das Glück ist verschwendet, keiner verspätet. Denn das Bedürfnis nach ihm ist zeitlos allgegenwärtig.

Andreas Steffens Schriftsteller und Philosoph Studium der Geschichte und Philosophie in Düsseldorf und Münster. 1980 – 1996 Galerist in Wuppertal (Galerie Epikur; Galerie Putty). 1989 Promotion an der Heine Universität Düsseldorf (›magna cum laude‹). 1995 Habilitation in Philosophie an der Universität Kassel; Privatdozentur. 1997 Gast am Wissenschaftskolleg New Europe College Bukarest Lehr- und Publikationstätigkeit in den Bereichen Kulturtheorie, Historik, Anthropologie und Ästhetik Forschungsprojekte: Rekonstruktion der Anthropologie als Onto-anthropologie; Entwicklung einer anthropologischen Ästhetik Tätigkeit als Kritiker und Kurator für verschiedene Galerien (Düsseldorf, Berlin, Essen) Werke : Das Innenleben der Geschichte. Anläufe zur Historischen Anthro-pologie (1984) Die Erfahrung der Geschichte (Habilitationsschrift 1995) Poetik der Welt (eva: Hamburg 1995) Philosophie des 20. Jahrhunderts oder Die Wiederkehr des Menschen (Reclam: Leipzig 1999) Aktuelles Kunst-Projekt »Werkzeuge des Lebens«: Philosophie (mit) Bildender Kunst bisherige Stationen: Deutsches WerkzeugMuseum, Remscheid 2007; Neuer Kunstverein, Regensburg 2009; Gemeinschaft Krefelder Künstler GKK, Krefeld 2009 Preise 1987 Preis der Stiftung zur Förderung der Philosophie (Mönchengladbach) 2009 Kultur-Preis der Springmann Stiftung (Wuppertal)

Andreas Steffens Glück. Aspekte und Momente. ISBN: 978-3-935421-43-0 http://www.nordpark-verlag.de Foto: Alistair Overbruck, Köln

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Neue Kunstbücher Vorgestellt von Thomas Hirsch. Im Grunde reflektiert jedes gute Kunstwerk die Bedingungen seiner Existenz – dies führt noch dazu, dass die künstlerischen Medien an ihre Grenzen gehen, ihre Möglichkeiten ausloten und mithin erweitern. Derartiges trifft zumal auf die Fotografie mit ihrem technischen Fortschritt und der digitalen „Machbarkeit“ zu. In jüngster Zeit sind mehrere monographische Publikationen erschienen, die vor Augen führen, wie sehr sich die Fotografie von der rein deskriptiven Wiedergabe vorgegebener äußerer Wirklichkeit entfernt. Der Bauhaus-Künstler László MoholyNagy (1895-1946) gehört hier zu den Pionieren, ohnehin ist er einer der experimentierfreudigsten Künstlern seiner Zeit. Die Dimensionen seines Werkes, mit Schwerpunkt auf den Fotoarbeiten,

eigene Hand und die Blätter von Pflanzen ein, sozusagen als Schattenriss. Seine technischen Verfahren sind gewiss erklärungsbedürftig. Um so mehr ist schade, dass die Texte dieser Monographie nur auf Englisch abgedruckt sind, selbst der Essay von Herbert Molderings und die sehr guten Kommentierungen der Bearbeiterin Renate Heyne. Für dieses Buch spricht, dass es die Werkgenese in Beziehung zur Biographie mit ihren Ortswechseln setzt und insgesamt verdeutlicht, wie bedeutend doch Moholy-Nagy für alles Kommende war. Einen anderen Ansatz markiert das spätere Werk von Heinz Hajek-Halke (1898-1983), das nun in Auszügen unter dem Titel „Phantasie und Traum“ im vorzüglichen Deutschen Kunstverlag vorgestellt wird. Bemerkenswerter Weise wurden beide Publikationen wesentlich von Fotografen protegiert: Moholy-Nagy von Floris Neusüss und Hajek-Halke von Michael Ruetz. Die Fotoarbeiten selbst unterscheiden sich. Schon das: Während Moholy-Nagy seine bildnerischen Ergebnisse kalkuliert, setzen die „Lichtgraphiken“ von Hajek-Halke auf den Prozess

und das Unberechenbare. Ihrer außerordentlichen Schönheit und Einmaligkeit angemessen ist das Künstlerbuch, das, edel gedruckt und großzügig angelegt, die Intensität dieser Arbeiten, die teils auch als Glasnegativ Bestand haben, zum Ausdruck bringt. Im Radius der sog. subjektiven Fotografie anzusiedeln, besitzen sie Affinitäten zur zeitgleichen Malerei des Informel, etwa zu den „Mauerstrukturen“ von Baumeister. Hajek-Halke entwirft Bilder vor der Form, die Vorübergehendes und Verfestigung zugleich sind, geradezu ephemer noch durch Überblendungen. Gegeben ist ein Mikrokosmos mit den (zufälligen) Spuren der chemischen Behandlung, variabel und experimentell. Die Frage, was Fotografie ist und was sie vermag, stellte sich also schon früh. Erst recht in der heutigen Generation, der die „Kunstwürdigkeit“ von Fotografie wie auch der Zugriff auf sie selbstverständlich sind, ist alles möglich. Die Frage nach der Wirklichkeit überhaupt, nach Künstlichkeit und Konstrukt in der Vermischung der Sinnsphären tritt weiter in den Vordergrund. Thomas Ruff etwa ist explizit der Medialität – der Glaubwürdigkeit

László Moholy-Nagy, The Photograms, Catalogue Raisonné, 312 S. mit 616 Abb., geb. mit Schutzumschlag, 29 x 24,5 cm, Hatje Cantz, 78,- Euro wurden in den letzten Jahren wiederholt untersucht. Dazu gehört, dass nun, verlegt bei Hatje Cantz, „The Photograms“, das chronologische Verzeichnis der Fotogramme, erschienen ist. Moholy-Nagy, der autodidaktisch als Maler begann, hat sich für die optischen Gestaltungsmittel als solche interessiert. Seine Fotogramme entstehen zwischen 1922 und 1943. Überwiegend in s/w, zeigen sie (häufig konkret ausgerichtete) Dingkonstellationen im Zueinander von Hell und Dunkel, durchflutet von Licht. MoholyNagy selbst sprach von der „Photoplastik“ als Sonderform der Fotomontage. Ebenso aber fängt er – in Ausschnitten – die

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Phantasie und Traum. Das lichtgraphische Spätwerk von Heinz Hajek-Halke, 112 S. mit 70 Abb., Hardcover, 32 x 24 cm, Deutscher Kunstverlag, 29,90 Euro

Thomas Ruff, Oberflächen, Tiefen, 288 S. mit ca. 150 Abb., Hardcover, 29,5 x 22,5 cm, Verlag für moderne Kunst, 35,- Euro


ver Erfahrungen, in komprimierter, ja, lakonischer Darstellung. Der Aufwand zu diesen Fotografien ist indes enorm. Denn die Modelle sind präzise Miniaturbauten (einstmals) vorhandener Räume. Demand entleert sie und steigert dadurch noch die spezifischen Atmosphären. Vermittelt sind Momente der jüngsten deutschen Geschichte. Demand arbeitet mit der Bedeutung und dem Potenzial des einzelnen fotografischen Bildes, und es macht Sinn, dass er im Buch den Fotografien noch kurze Texte (und zwar von Botho Strauß) vorgesetzt hat. Zu sehen ist eine Sachfotografie, die auf subtile Weise Befindlichkeiten rekonstruiert. Also doch, wir erinnern uns mit den Mitteln der Fotografie.

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und dem Stimulus – von reproduzierten und digital abgerufenen Bildern nachgegangen. Vielleicht könnte man Ruff, der an der Düsseldorfer Akademie bei Bernd Becher studiert hat, als Konzeptkünstler mit den Maßnahmen der Fotografie bezeichnen. Häufig greift er auf vorhandenes fotografisches Material – etwa aus dem Internet – zurück, das er vergrößert. Seine Bilder entstehen in Serien und sie thematisieren ebenso die Bildquellen wie die Wahrnehmung und Vorstellung des Betrachters; dies berührt politische wie gesellschaftliche Phänomene. Meistens gelingt dies. Wie vielschichtig und doch gezielt Ruffs Œuvre ist, verdeutlicht nun die Monographie „Oberflächen, Tiefen“, die zur Ausstellung in der Kunsthalle Wien im Verlag für moderne Kunst erschienen ist. Auch wenn der Druck auf Zeitungspapier zunächst irritiert, wahrscheinlich kommt dieses Buch den Vorstellungen des Künstlers sehr nahe und vermittelt gut, was ihn beschäftigt. Zugleich handelt es sich hier um einen zügigen Einblick in die verschiedenen Werkphasen. Relativ schwere Kosten, sehr gelungen!

CADMO

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Auch das Katalogbuch zur Berliner Schau von Thomas Demand „Nationalgalerie“ umfasst Bilder seit den Anfängen bis heute. Ihm liegt an einer anderen Form der Distanz und der Ordnung als Ruff. Bei Demand, neben Gursky und Struth momentan der deutsche Vorzeigekünst-

Lichtbogen Thomas Demand, Nationalgalerie, mit Texten von Botho Strauß, 226 S. mit 35 Farbtafeln, Hardcover, 29,5 x 27,5 cm, Steidl, 35,- Euro ler mit dem Medium Fotografie, steht jede Aufnahme für sich. Sie birgt einen ganzen Kosmos privater und kollekti-

Frank Marschang e.K. Karlstraße 37 42105 Wuppertal Tel. 0202 . 244 34 40 Fax 0202 . 244 34 39 www.lichtbogen-wuppertal.de info@lichtbogen-wuppertal.de

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Das Wuppertaler Jazzmeeting Eine Erfolgsgeschichte von Rainer Widmann

Am 30. Oktober 2009 präsentierte das Jazznetz Wuppertal im Cafe Ada das 7. Wuppertaler Jazzmeeting. Seit seinem Auftakt im Jahr 2003 stellt das Jazzmeeting ein wichtiges Event des Wuppertaler Kulturherbstes dar und avancierte zum Melting Pot für Musiker, Kulturschaffende und Freunde der improvisierten Musik. Seit sieben Jahren werden immer im Oktober acht aktuelle Bands und Projekte vorgestellt und damit eine Momentaufnahme des Wuppertaler Jazzlebens geboten. Das Jazzmeeting ist im wahrsten Sinn des Wortes zum quirligen kulturellen Treffpunkt geworden. Wie alles begann Im Grunde gab es keinen fertigen Plan. Im August 2001 standen nach dem furiosen Auftritt von Peter Brötzmann auf dem 6.Talklänge-Festival einige Leute zusammen: Peter Kowald, HP Nacke von der Galerie Epikur, Kultur-Managerin Sabine Hesseling, der Grafiker und Bildende Künstler Jorgo Schäfer, der Werbedesigner Siegfried Rammner, die Jazz-Enthusiastin Ingrid Schuh und der Verfasser dieser Zeilen. Schnell war man sich einig, dass eine Stadt wie Wuppertal unbedingt eine Plattform für den Jazz braucht. Die Idee, einen Jazz-Club zu gründen, in dem Wuppertaler Musiker kontinuierlich ihre aktuellen Projekte vorstellen, wurde nach vielen Beratungen verworfen. Weder fand sich ein geeigneter Ort noch konnte ein solides Betreiber-Konzept entwickelt werden. Schließlich entschied sich die inzwischen zum Jazznetz1 gewordene Gruppe für eine Testveranstaltung in der Kulturkneipe Cafe Ada in der Elberfelder Nordstadt. An einem Abend sollte auf zwei Bühnen eine Werkschau der lokalen Jazzszene präsentiert werden. Von Anfang an standen der Vernetzungsgedanke im Vordergrund und damit keine Beschränkung auf eine bestimmte Stilrichtung des Jazz. Ganz im Sinne von Peter Kowald: „Music is an open sky.“

7. Wuppertaler Jazzmeeting 2009 Foto: Thorsten Leiendecker

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1. Jazzmeeting Mit der großen Resonanz auf das 1. Wuppertaler Jazzmeeting am 3. Oktober 2003 hatte niemand gerechnet. Das Cafe Ada platzte aus allen Nähten. Es kamen viel mehr Besucher als erwartet, viele junge Menschen und viele, für die ein Jazzkonzert neu war.


Music is an open sky Die Stimmung war offen und entspannt. Auch die Presse reagierte überaus positiv. Jan Drees in der WZ: „Das 1. Wuppertaler Jazzmeeting übertraf Freitagabend im Ada die Erwartungen. Dabei kamen die Fans der verschiedensten Stile voll auf ihre Kosten. Im Paternoster-Prinzip spielten 64 Musiker bis spät in die Nacht auf zwei Ebenen und stellten Bossa Nova neben Big-Band Sounds, Plattenteller zum Piano, Avantgarde neben Afro-Latin.“ Highlights Zwar wird Wuppertal in Jazzkreisen gerne als Free-Jazz-Stadt wahrgenommen, aber es leben und arbeiten hier auch viele exzellente Musiker, die für andere Jazz-Richtungen stehen. Bei den Meetings sollen sich diese Musiker präsentieren können und damit Klischees und Vorurteile abgebaut werden. Dietrich Boettcher, Saxophonist der für das 4. Jazzmeeting zusammengetrommelten 9-köpfigen Band „Route six-o-six“, bei der zusammengerechnet 606 Jahre (!) Wuppertaler Jazzgeschichte auf der Bühne standen, nach dem Konzert: „Ich war überrascht, wie viele junge Leute unsere Methusalem-Band heftig beklatschten!“ Das Jazzmeeting ermöglichte immer wieder einmalige und unerwartete Kooperationen. So spielte 2004 Peter Brötzmann mit Dietrich Rauschtenberger, beide haben Anfang der 60er Jahre „den Free Jazz erfunden“, Andreas J. Leep und der Theremin-Musiker Christian Stritzel konzipierten für das 3. Jazzmeeting eine Klangcollage mit DJ Charles Petersohn. Eugen Egner stellte 2006 mit Rauschtenberger und Wehr das Trio „Gorilla Moon“ einem größeren Publikum vor. Regelmäßig erhalten Big Bands, wie die „Jazzpension“ der Bergischen Musikschule, die Möglichkeit aufzutreten. Zu einem festen Programmpunkt wurden die Auftritte junger Nachwuchsbands, die im Rahmen einer Sommerjazzsession ausgewählt werden und sich oft erstmals vor großem Publikum präsentieren. Umjubelt wurden Marvin Beckers 35sec. oder anna-luca. Das Meeting dient auch als bunter Markt musikalischer Möglichkeiten. Musiker, die einander allenfalls vom Hörensagen kennen, knüpfen Kontakte und arbeiten künstlerisch zusammen. Ein Beispiel

Uli Wewelsiep, Foto: Gerd Neumann

Peter Brötzmann mit Dietrich Rauschtenberger

Martin Stürtzer und Christian Stritzel, Foto: Jürgen Hoge

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dafür ist das Duo Carlos Diaz und Ulrich Galden, eine Begegnung zwischen lateinamerikanischer Musik und Blues. Vor zwei Jahren konnte auch der Landesmusikrat als Sponsor gewonnen und eine Förderung des Landes NRW ermöglicht werden. Visionen für die nächsten Meetings In „Sounds like whoopataal“2 wird der Einfluss und die internationale

Bedeutung der Wuppertaler Jazzszene vielschichtig dokumentiert. Dies korrespondiert mit einer Zielvorstellung für das Jazzmeeting: Die Jazzszenen anderer Städte und Länder stärker einzubinden und zu vernetzen. Beispielsweise den Sound und den Jazz New Yorks nach Wuppertal holen. Damit könnten die kulturellen Potentiale beider Städte genutzt und an alte Traditionen angeknüpft werden. Einen Kulturaustausch dieser Art hat es

Ulrich Galden und Carlos Diaz, Foto: Dennis Scharlau

in Wuppertal bereits in den 80er Jahren bei den drei Projekten „Grenzüberschreitungen“, im Rahmen des Projekts „365 Tage vor Ort“ von Peter Kowald sowie bei den „Talklängen“ von Uli Armbruster gegeben. Dort wieder anzuknüpfen und Begegnungen mit den Jazzszenen anderer Metropolen oder Länder herbeizuführen, das könnten Highlights der kommenden Jazzmeetings werden.

Axel Petry, Foto: T. Leiendecker

4. Jazzmeeting 2006, Foto: Dennis Scharlau ___________________________ 1

Das 7. Wuppertaler Jazzmeeting, wurde von den Jazznetzmitgliedern E.Dieter Fränzel, Christoph Irmer, HP Nacke, Ulrich Rasch, Dietrich Rauschtenberger, Jürgen Schäfer und Rainer Widmann gemeinsam mit dem Cafe Ada-Team um Alexandre Airaudo organisiert. 2

„Sounds like whoopatal – Wuppertal in der Welt des Jazz“ Herausgeber: Dieter Fränzel und Rainer Widmann / Jazz Age Wuppertal, 2. überarbeitete Auflage 2008, Klartext-Verlag Essen, 328 Seiten, 600 Abbildungen mit CD, Euro 34,90.

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Manchmal schreibt man ein Buch zwei Mal Der Wuppertaler Autor Hermann Schulz über eine Fußball-Reise nach Afrika

Auf meinen Reisen habe ich immer Motive und Geschichten gefunden, die ich gar nicht gesucht hatte. Manchmal verkriechen sich Erlebnisse jahrelang, um sich im richtigen Augenblick zu Wort zu melden. 2002 besuchte ich am Victoriasee in Tansania ein befreundetes Ehepaar. Gerade waren ihnen Zwillinge geboren worden, und zwar am 9. Mai. Weil an einem 9. Mai Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten von Südafrika gewählt wurde, nannten die Eltern voller Stolz das kleine Mädchen Mandela und den Sohn Nelson. Der fußballbegeisterte Vater schwärmte davon, sein kleiner Nelson würde vielleicht eines Tages ein großer Spieler werden. „Vielleicht Mandela ja auch“, warf ich ein und es gab ein freundliches Gelächter. Da ahnte ich noch nicht, dass ich ein paar Jahre später ein Buch über Fußball in Afrika schreiben und die beiden, Mandela und Nelson, zu Hauptpersonen in einer Mannschaft machen würde. Obwohl Fußball nicht gerade zu den Themen gehört, die mich besonders interessieren, meldete sich die Geschichte Anfang 2007 aus geheimnisvollen Tiefen, und ich begann mit den Aufzeichnungen. Da war mir noch nicht bekannt, dass die FußballWM 2010 in Südafrika stattfinden würde. Die Nachricht beflügelte mich aber nicht unerheblich und ich schrieb die Geschichte von „Mandela und Nelson“ bis zum Sommer 2008 nieder. Was ich mir da ausgedacht hatte, befriedigte mich ganz und gar nicht. Was wusste ich schon vom Leben der Jugendlichen in Afrika? Selbt das Thema Fußball war mir ziemlich neu und ich musste mir von meinem zehnjähigen Enkel Nicki Rudloff Unterricht geben lassen. Aber auch das reichte nicht, um mich zufrieden zu stellen. Was da auf meinem Papier stand, war hölzern, blutleer und „ausgedacht“. Wenn schon der Autor nicht zufrieden ist: Wie würden erst die Leser reagieren? Da traf ich im August 2008 in Ahlen/ Westfalen einen alten Freund wieder: den tansanischen Pantomimen und Trommel-

lehrer Nkwabi Ngangasamala. Ich erzählte ihm von meinem Buchplan und meinen Bauchschmerzen. „Hör mal, mein Freund! Wenn ich Infos brauche über eure Jugendlichen: Darf ich dir meine Fragen über E-Mail schicken?“ „Natürlich!“, sagte er hilfsbereit, „jederzeit. Aber…“, er zögerte und grinste, „aber besser wäre es natürlich, du könntest mal für ein paar Tage zu uns kommen. Da kriegst du doch einen viel besseren Eindruck!“ In dem Augenblick, in diesem Restaurant in Ahlen, bekam der Plan für mich ein ganz neues Gewicht. Ich sagte zu, unter

Engländer in den 30er Jahren. Gemeinsam mit der WDR-Journalistin Sabine Jaeger ging die Reise los, unsere Unterkunft in Bagamoyo war, wie schon bei früheren Besuchen, das freundliche Travellers Lodge. Freund Nkwabi hatte unseren Besuch bestens vorbereitet. Wir besuchten zunächst ein paar Schulen, trafen den Gründer des Fußballclubs („Saadani Social and Sport Club“) Maeda Haji, den recht verwahrlosten Fußballplatz und strichen durch die Gegend. Sabine Jaeger fand sofort Wege zu den Herzen der Kinder und führte, manchmal mit,

Jugendfußball in Bagamoyo mit dem neuen Ball aus Deutschland, Foto: H. Schulz der Bedingung, dass er mich in seiner Heimatstadt Bagamoyo (ein Hafen am Indischen Ozean) begleiten würde. Ohne ihn, seine Persönlichkeit und seine Übersetzerdienste, würde ich nicht in wenigen Tagen die Türen zu den Jugendlichen öffnen können. „Aber klar! Lass mich wissen, wann du kommst, dann nehme ich ein paar Tage Urlaub.“ Man kann nun nicht für jedes Buch eine halbe Weltreise machen! Ich hatte noch einen guten Grund, die Anstrengung und die Kosten auf mich zu nehmen: Ich schrieb gleichzeitig an einem Roman, der 1938 in Dar es Salam spielt. Bei Gelegenheit dieser Reise würde ich endlich in Ruhe die Altstadt von Dar kennen lernen, die Orte des Geschehens, die ich nur aus der Phantasie entwickelt hatte. Auch fehlte mir, trotz aller Bemühungen, ein Stadtsplan von Dar es Salam aus der Zeit der

manchmal ohne Übersetzer, umwerfende Gespräche, die sie auf Band aufnahm. Als erfahrene Journalistin wusste wie genau, wonach sie suchte; ich selbst nahm einfach Eindrücke auf: Kinderarbeit am Strand, Bettler, Heimkehr der Fischer, Boote aus Sansibar, den Fußballplatz ohne Linien oder Tornetze. Die Jugendlichen und Kinder, Jungen und Mädchen, spielten leidenschaftlich, wenn auch meist mit selbstgemachten Bällen, barfuß oder mit zerlumpten Turnschuhen. Begeistert nahmen sie die drei Fußbälle entgegen, die ich mitgebracht hatte, und setzten, uns zu Ehren, ein Spiel an. Maeda Haji überrumpelte mich völlig, als er mich aufforderte, nach dem Ende des Spiels, vor allen Spielern und Zuschauern auf, ein Gebet zu sprechen. „Sind das Katholiken? Muslims? Protestanten?“, fragte ich ihn flüsternd. Er grinste: „Von allem etwas! Bete so, dass es

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für alle passt! Auch für die Heiden!“ Als Kind einer Missionarsfamilie schüttelte ich natürlich ein Gebet aus dem Ärmel, gelernt ist gelernt! Und ich erntete heftigen Applaus. Für mich war es eine neue Erfahrung, dass man nach einem guten Gebet Beifall kassiert. Natürlich machte ich mir in diesen Tagen Notizen. Ohne einen Übersetzer allerdings wäre der Ertrag mager gewesen. So konnte ich den Jungen am Strand fragen, wieviel er verdient, warum er arbeiten muss; einen anderen, was er mit dem riesigen Tintenfisch machen wird, dem er die Tinte aus dem Leib prügelte, warum die (blinde) Lehrerin drei Jungen mit dem Stock ein paar Schläge auf die Hand verabreichte. Ebenso wichtig waren atmosphärische Eindrücke; die Leidenschaft der Kinder, ihr Humor, ihr Umgehen miteinander, ihr Phantasiereichtum - und ihre Bedürftigkeit natürlich auch. Ich wollte kein Buch über die Armut in Afrika schreiben (darüber lesen wir täglich in den Zeitungen), sondern über die Heiterkeit, das Zusammenleben, die Kreativität, den Umgang von Jung und Alt miteinander; über all das, was stärker ist als alle Missstände und Afrika so liebenswert und reich macht. Und sich von unserer wohlorganisierten, plangeschliffenen Wohlstandsgesellschaft so sehr unterscheidet. Meine Geschichte bekam durch die Erlebnisse in Bagamoyo eine ganz neue Sprache, neue Farben und lebendige Details. Diesen Reichtum haben mir Afrika und seine Menschen geliefert! Während des Schreibens lächelte ich immer wieder in Gedanken an Gesichter, Grimassen, Gelächter, heitere Begegnungen und die vielen unerwarteten Tanzschritte – auch während eines Fußballspiels. Das Buch „Mandela und Nelson“ erscheint Mitte Februar im Carlsen- Verlag. Auslandsausgaben sind schon vor Erscheinen unter Dach und Fach, Verhandlungen über einen Film laufen gerade. Für den WDR fertigte ich eine Hörspielfassung an, die im Juni gesendet und vom NDR und dem HR übernommen wird. Als Hörbuch erscheint „Mandela und Nelson“ im Verlag Hörcompany Anfang März 2010. Sabine Jaeger überzeugte den WDR davon, dass eine solche Recherchereise mit einem Schriftsteller nach Afrika ein

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spannendes Thema ist – und schrieb das Feature „Geschichten fallen nicht vom Himmel. Unterwegs mit dem Schriftsteller Hermann Schulz in Afrika“. Es wird eine Woche vor der Hörspielausstrahlung gesendet werden. Maeda Haji fragte mich beim Abschied bescheiden, ob wir nicht ein bisschen Hilfe aus Deutschland organisieren könnten. Neue Bälle und Trikots zum Beispiel, und damit die Mannschaft nicht länger per Anhalter zu Auswärtsspielen fahren muss. Sabine Jaeger organiserte den Kontakt zum Fan-Club BVB International; schon bald nach der ersten Begegnung ging eine große Sendung mit Sportartikeln nach Bagamoyo auf die Reise. Eine richtige Partnerschaft kam zustande. Der Ahlener Fußballclub zog nach. (Wer sich an diesem liebenswerten Hilfsprojekt beteiligen möchte, kann die Kontaktadresse über den Autor bekommen: schulz-hermann@t-online.de) Hermann Schulz - Mandela und Nelson CARLSEN Verlag Hamburg, 128 Seiten ISBN 978-3-551-55571-7, 9,90 Euro

Neu von Hermann Schulz

Top-Titel zur Fußball WM 2010 in Südafrika Für Jungs und Mädchen! Gelesen von Tatort-Schauspieler und Fußballfan Axel Prahl Erscheint zeitgleich mit der Buchausgabe im Carlsen Verlag Mandela und Nelson Das Länderspiel gelesen von Axel Prahl 2 CD | Laufzeit 2 Std. 35 Min. 14,95 Euro ISBN 978-3-939375-77-7 Erscheinungstermin: Frühjahr 2010

Hermann Schulz, Foto: Frank Becker

Axel Prahl, Foto: Stephanie Neumann

wurde 1938 in Nkalinzi (Ostafrika) geboren und ist in Deutschland aufgewachsen. Er leitete 37 Jahre den Peter Hammer Verlag. Bei der Hörcompany ist u.a. sein Roman Wenn dich ein Löwe nach der Uhrzeit fragt als Hörbuch erschienen, das mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet wurde.

ist im richtigen Leben genau wie in seiner bekannten Rolle als Kommissar Thiel im Münster-„Tatort“ großer Fan vom FC St. Pauli. Er spielte an verschiedenen Theatern, u.a. an dem GRIPS-Theater in Berlin und ist oft in TV und Kino zu sehen.


Nur wer gut schläft, ist auch gut wach! Nie richtig ausgeschlafen, lange Anlaufschwierigkeiten und allmorgendlich erstmal Schmerzen, bevor man richtig stehen kann. In der Praxis des Bettenexperten Ulrich Isfort wiederholt sich die Schilderung dieser Beschwerden täglich. Zahlreiche Studien lüfteten bereits das Geheimnis guten Schlafs. Ein Fazit: ob falsche Ernährung, Stress, Sorgen, schlechte Haltung, Bewegungsfehler oder mangelnde Bewegung – auf die Regeneration in der Nacht kommt es an, und diese kann nur durch die optimale Schlafunterlage begünstigt werden. Ob kurz, ob lang, dick oder dünn, jeder Mensch ist anders. Wer gut schlafen will, der muss die für ihn ergonomisch richtige Liegeposition finden. Die Wirbelsäule muss sowohl in Seitenals auch Rückenlage ihre natürliche Form behalten. Genau dieser Problematik widmen die Hersteller moderner Bettsysteme all ihre Aufmerksamkeit. Hier werden Matratzen und die Unter-

Matratze oder welcher Lattenrost ist für mich richtig? Und wo finde ich meinen Schlafberater?“ Der Fachhandel hat sich jüngst im „Netzwerk Gesundes Schlafen“ zusammengeschlossen, auch um sich als Dienstleister gegen die Überflutung von Discountern behaupten zu können. Über www.netzwerk-gesundes-schlafen.de findet man in jeder Region seinen Experten. Der Schlafberater Isfort: „Bei uns liegt jeder Beratung eine Analyse der Schlafgewohnheiten, eventueller gesundheitlicher Probleme und persönlicher Bedürfnisse zugrunde, bevor wir das optimale für unsere Kunden finden. Ein guter Schlaf kann der Beginn eines gesünderen und aktiveren Lebens sein. Egal ob mit 35 oder mit 75 Jahren!“ federung dem Körper angepasst, nach Maß und nach exakter, sorgfältiger Abstimmung. Für gesundheitsbewusste Verbraucher steht die Frage im Raum: „Welches Bettsystem, welche

Wer also dem Experten vertraut, wird Heinrich Heine im Munde führen „... Ich ging nach Haus und schlief, als ob die Engel gewiegt mich hätten...“.

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