Die Beste Zeit Ausgabe 3

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart Wuppertal und Bergisches Land

April/Mai 2010 - 3,50 Euro

Else-Lasker-Schüler Forum in Cantania, Sizilien

Carlos Granger Den Prinzipien treu

Antonia Dinnebier Das Bergische Städtedreieck

Felix Dröse in Remscheid Angewandte Erkenntnis Kunst

Karl Otto Mühl Der Dichter Windgassen

Der Verleger Hans Putty zum 100. Geburtstag

Peter Kowald Music is an open sky

Udo Meyer Der Wahrheit verpflichtet

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch

König Lear, W. Shakespeare Opernhaus Wuppertal

Michael Zeller Kulturhauptstadt 2010

1. Festival der Stimmen Ein Rückblick

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In den schwersten Stunden lassen wir Sie nicht allein.

seit 1813

Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag

und Nacht 66 36 74


Editorial Liebe Leserin, lieber Leser, ich freue mich, dass Sie heute das dritte Heft unseres Kultur-Magazins Die Beste Zeit in den Händen halten. Noch immer lassen sich die Seiten unserer Publikation mühelos mit Berichten über das reichhaltige kulturelle Leben in unserer Region und mit Porträts über zahlreiche Kunstschaffende füllen, die das Bergische Land als ihren Lebens- und Schaffensmittelpunkt gewählt haben. Dass dies nicht selbstverständlich ist, drängt in letzter Zeit unübersehbar ins Bewusstsein. Denn die schlechten Nachrichten häufen sich – fast täglich wird in den hiesigen Medien über die geplante Schließung von Einrichtungen in den Bereichen Kultur, Sport und Soziales berichtet. Es sind kulturelle Einrichtungen betroffen, die nicht nur die viel beschworene „Lebensqualität“ in unserer Region verbessern, sondern die tatsächlich Werte schaffen, die wir zum Leben brauchen. Bleibende Werte, auf die wir stolz sein können – verwirklicht sich in der nahezu flächendeckenden Verbreitung von Theatern, Museen, Orchestern und den vielen lebendigen Stätten der freien Kultur doch das viel beschworene Land der Dichter und Denker. Wir stimmen dennoch nicht weiter in den Chor der Klagenden ein, auch wenn wir den Protest gegen den massiven und existenziell schädigenden Raubbau am Kultursektor für dringend geboten halten. Vielmehr machen wir es uns in der Besten Zeit zur Aufgabe, über das kulturell Wertvolle und Schützenswerte in unserer Region zu berichten und uns so für seinen Erhalt einzusetzen. Regelmäßig können Sie in der Besten Zeit nachlesen, welche Größen in Kunst, Musik, Tanz und Literatur das Bergische Land hervorgebracht hat und auch in Zukunft hoffentlich noch hervorbringen wird, um uns alle mit geistiger, ästhetischer und seelischer Nahrung zu versorgen, ohne die das Leben zum bloßen Überleben gerät. So berichtet der Wuppertaler Autor Heiner Bontrup in dieser Ausgabe der Besten Zeit von der nachhaltigen Wirkung Else Lasker-Schülers und Armin T. Wegners, die bis nach Sizilien reicht, wo kürzlich das 16. Internationale Else-Lasker-Schüler-Forum stattfand – unter Beteiligung einer namhaften Wuppertaler Delegation. In einem vielschichtigen Porträt nähert sich Bontrup zudem einer weiteren Wuppertaler Künstlerpersönlichkeit an, dem großen Freejazzer Peter Kowald. Auch Kowalds kreativer Geist lebt bis heute an seinem ehemaligen Wohn- und Arbeitsplatz, dem „ort“, nach, wo Musiker verschiedenster Kulturen zusammen kommen und noch immer im Namen Kowalds schaffen. Übrigens: die Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. wurde erst im Februar durch den Landesmusikrat NRW und der Staatskanzlei NRW, vertreten durch den Staatssekretär für Kultur, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, als herausragende Spielstätte für den Bereich Jazz und improvisierte Musik ausgezeichnet. Wieder ein Grund, stolz auf das Kulturleben in unserer Region zu sein. Dies ist auch der Tenor einer Rezension Frank Beckers zur aktuellen König Lear-Aufführung durch das Wuppertaler SchauspielEnsemble. Gerade jetzt, da das Wuppertaler Schauspiel zusammen mit der Opern-Sparte durch mutige Inszenierungen und einen Spielplan auffällt, in dem auch aktuelle, brennende Themen ihren Platz haben und der Kontakt zum Leben in der Stadt gesucht wird, wäre die Schließung des Schauspielhauses ein enormer Verlust für die Region – und würde das strukturelle Haushaltsloch der Stadt kein bisschen stopfen. Dies ist auch in Remscheid der Fall, wo die diskutierte Schließung der Städtischen Galerie dem Kämmerer sogar zunächst einmal Mehrkosten verursachen würde, da bereits gewährte Fördergelder zurückgezahlt werden müssten. Auch hier hat ein junger, engagierter und kompetenter Kurator in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass die Qualität des Hauses internationalem Vergleich standhält. Wir freuen uns daher sehr, dass der Verantwortliche, Oliver Zybok, in diesem Heft über die aktuelle Felix Droese-Ausstellung berichtet. Michael Zeller indes wagt einen Blick über den Tellerrand zur Kulturhauptstadt Ruhr.2010, wo viele Kultureinrichtungen wie im Bergischen um ihre Existenz bangen. Dass wir trotz alledem auch in Zukunft noch viel Spannendes und Erhellendes aus dem Kunst- und Kulturleben im Bergischen Land zu berichten haben, um Sie, liebe Leserin, lieber Leser, weiterhin für unsere Region zu begeistern, das wünscht Ihr HansPeter Nacke

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Wir ziehen um Wegen Renovierung bleibt die Galerie voraussichtlich bis Mitte April 2010 geschlossen. Der neue Ort für die Kunst: Galerie Epikur Wuppertal Friedrich-Ebert-Straße 152 a 42117 Wuppertal Im Jahr 2010 werden wir neben unseren Ausstellungen zu einer Reihe von klassischen Salons einladen, die schwerpunktmäßig die Grundlagen unserer Kunstvermittlung für die nächsten Jahre bilden werden. Mit der Gründung dieses Salons möchten wir die Wiederbelebung der traditionellen Salons als Begegnungsstätte für Bildende Künstler, Musiker, Literaten, Philosophen und Besucher fördern. Erste Ausstellung in den neuen Räumen Christian von Grumbkow www.galerie-epikur.de info@galerie-epikur.de

Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und Bergisches Land Auflage 4.000 Exemplare Erscheinungsweise: 5 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke und Frank Becker

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Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wieder. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträ-gen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.


Inhalt Heft 2 April/Mai 2010

XVI. Else-Lasker-Schüler Forum in Cantania Das Leichte, die Poesie und die Kunst der Improvisation

König Lear, William Shakespeare Opernhaus Wuppertal Seite 6

Felix Droese Angewandte Erkenntnis Kunst

Neue Kunstbücher Seite 13

Peter Kowald - Ein Portrait Music is an open sky

Seite 15

Verleger, Galerist und Kunsthändler zum 100. Geburtstag

Seite 39

Ein Rückblick

Seite 42

Seite 19

Internationales Camus-Festival Seite 24

Michael Zeller Kulturhauptstadt 2010 Essen und das Ruhrgebiet

Seite 37

1. Festival der Stimmen

Karl Otto Mühl Der Dichter Windgassen

vorgestellt von Thomas Hirsch

Hans Putty

Antonia Dinnebier Landschaften aus Naturschönheiten und Fabriken

Seite 34

15. - 24. Januar in Wuppertal

Seite 45

Kulturnotizen

Seite 48

Seite 26

Udo Meyer Der Wahrheit verpflichtet

Seite 28

Carlos Granger Ein Einzelgänger der britischen Bildhauerei Den Prinzipien treu Seite 31

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Das Leichte, die Poesie und die Kunst der Improvisation Italienische und deutsche Komponisten und Autoren, Musiker und Literaturwissenschaftler begegneten sich beim XVI. Else Lasker-SchülerForum in Catania, Sizilien. Überraschenderweise zeigte sich, dass „Heimat und Emigration im Lichte des Mauerfalls“ – so der Titel des Forums – keineswegs ein rein deutsches Thema ist.

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60 Tonnen Stahl, Mensch und Gepäck werden auf eine Geschwindigkeit von 250 Kilometern pro Stunde beschleunigt, und dann hebt sie ab, diese moderne Zeitund Raumverflüssigungsmaschine. Das Schwere hört auf schwer zu sein, beginnt zu schweben und mir fällt in diesem Moment einer von sechs Vorschlägen Italo Calvinos für das kommende Jahrtausend zur Verteidigung der Literatur ein: Leichtigkeit. Aber, so gehen meine Gedanken weiter, während die Boeing 737 an Höhe gewinnt, Leichtigkeit ist eine Funktion von Energie und Kraft. Nach einer guten halben Stunde tauchen unter uns im Rund des Fensters die bizarren Origamiarbeiten eines kosmischen Genies auf. Wir bewegen uns in einem blauen Luftmeer; Wolken türmen sich auf zu Wattebäuschen. 11.000 Meter unter uns schiebt sich langsam in unser Blickfeld das Sehnsuchtsland Mignons, der tragisch umschatteten Lolita in Goethes Wilhelm Meister: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen? Dahin, dahin…“ Dort, das könnte Venedig sein, die Lagunenstadt, in der Thomas Mann sein Alter Ego Gustav Aschenbach dessen sexuelle Identität und den Tod finden ließ.

Literarisch, so scheint es, sind Deutschland und Italien wahlverwandt. Und die Literatur ist es auch, die viele der Gäste an Bord der Boeing 737 an diesem 3. November 2009 zusammenführen. Sie alle sind Teilnehmer am XVI. Else-Lasker-SchülerForum in Catania, Sizilien. Mauer im Kopf Dass Literatur-Foren in Zürich und Jerusalem stattgefunden haben, den Fluchtstädten der Dichterin, die 1933 von braunen Schlägertruppen ins Exil getrieben wurde, leuchtet unmittelbar ein. Da die Wuppertaler Literaturgesellschaft das Schicksal der vertriebenen Dichterin aber immer auch stellvertretend verstand für alle Menschen, die aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen verfolgt und heimatlos wurden, initiierte sie weitere Veranstaltungsreihen in jenen Orten, in die viele oppositionelle Intellektuelle unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers flüchteten, um Verfolgung und Konzentrationslager zu entgehen. Doch warum ausgerechnet ein Symposion im fernen Sizilien zu einem so scheinbar urdeutschen Thema wie dem Mauerfall? „Mauern gibt es überall“, sagt der in Catania und Syrakus lebende


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Hans Richter

Heinz Rölleke

Hajo Jahn

Komponist Joe Schittino, der das Libretto des Mauer-Oratoriums von Klaus Rohleder vertont hat. „Auch bei uns in Italien - unsichtbare, aber reale Mauern: zwischen Arm und Reich, Norden und Süden, Macht und Intelligenz. Die Mauer ist ein Thema, das uns alle angeht.“ Das Ende der Mauer war ein Glücks-Fall der deutschen Geschichte. Niemanden hätte das mehr gefreut als Else Lasker-Schüler, deren Leben dem Projekt gewidmet war, jene unsichtbaren Mauern - trotz aller bitteren Erfahrungen - einzureißen, von denen Joe Schittino spricht: insbesondere die zwischen Leben und Poesie. Doch gerade im Lichte des Mauerfalls muss an die dunklen Erfahrungen des Exils und den Verlust von Heimat erinnert werden. Beides gehört untrennbar zur deutschen und europäischen Geschichte.

Berliner Mauer en miniature Blende zu. Kameraschwenk, Blende auf: Irgendwo in der thüringischen Provinz, unweit der tschechischen und bayerischen Grenze lebt der Schriftsteller Klaus Rohleder. Geboren in Waltersdorf bei Greiz, hat Klaus Rohleder ein Doppelleben geführt. Seinen Lebensunterhalt hat er als Bauer, oder wie es im DDR-Jargon hieß, als Mitarbeiter einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) verdient, und zwar auf seinem eigenen Land, das zwangsverstaatlicht wurde. Zugleich war er als Schriftsteller und Dramatiker tätig. Er hat Widerstand geleistet gegen die DDR-Zerstörung der alten, gewachsenen Dorfkultur. Er, der mit und in der Natur lebt und arbeitet, war entsetzt über den Umgang des Arbeiter- und Bauernstaates mit der Landschaft. Der Geist von Bitterfeld war in der DDR allgegenwärtig.

Lieber bestellte er Haus und Hof als künstlerische Kompromisse mit diesem Regime zu schließen. Lange Zeit verhinderte die SED die Aufführung seines Stücks „Das Fest“. Erst als ein Hauch von Glasnost und Perestroika den SED-Staat durchwehte, konnte es 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, in Berlin uraufgeführt werden. Heiner Müller war begeistert; die Stasi hingegen verfolgte Klaus Rohleder als „zweiten Rainer Kunze“. Trotz seiner Verbitterung über die vergebenen Chancen nach dem Mauerfall öffnete sich nach 1989 für Klaus Rohleder die Welt. Neben der Freiheit des Wortes gewann er nun die Freiheit der Reise. Für einen Moment wurde alles Schwere in der Heiterkeit des Südens leicht. Die erste Reise führte ihn nach Sizilien, wo er den jungen Komponisten Joe Schittino traf, der

Heiner Bontrup

Joe Schittino

Lorella Bosco


Michele Wegner

Dietrich Rauschtenberger

Klaus Rohleder

am Musikkonservatorium in Catania, der Heimatstadt Vincenzo Bellinis, Komposition studiert hatte. Zwischen den beiden entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Und eine künstlerische Partnerschaft. Anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls schrieb Rohleder ein Oratorium, das im Mittelpunkt des XVI. ElseLasker-Schüler-Forums stand und an dem geschichtsträchtigen 9. November seine Uraufführung im Auditorium der Universität erlebte. Aufgeführt wurde das Werk in einer Klavierfassung, an der neben vier Solisten, Absolventen der Musikhochschule Catania, der Wuppertaler Chor „Feyne Töne“ mitwirkte. Wochenlang hatte sich der Chor unter Leitung von Monika Fey vorbereitet und trug wesentlich zum Gelingen der musikalisch und technisch sehr anspruchsvollen Komposition Joe Schittinos bei.

Diese wurde vor allem vom wunderbaren Spiel des Pianisten Luca Ballerini, Dozent am Konservatorium Bellini, getragen. Die Geschichte, die das Oratorium erzählt, erinnert an das Lied von den beiden Königskindern, die nicht zueinander kommen konnten, das Wasser war zu tief. Eine alte Norne, also eine böse Schicksalsmacht, hatte das Licht gelöscht, damit der Knabe bei seinem Versuch, den Weg über das Wasser zu seiner Geliebten zu finden, die Orientierung verliere. Am Ende des schaurig schönen Liedes sind beide tot: Königstochter und Königssohn. Auch die moderne Mär endet tragisch: Ein kleiner Bach fließt mitten durch das Dörfchen Töpen-Mödlareuth an der thüringischbayerischen Grenze. Ein 100-Seelendorf. Als die Mauer gebaut wird, geht sie mitten durch den kleinen Fluss und trennt das

Dorf und ihre Bewohner, eine „Berliner Mauer en miniature“. Oft erkennt man die Macht der Verhältnisse im Kleinen besser als im Großen: Im Oratorium lebt diesseits der Grenze ein Mann, jenseits der Grenze eine Frau. Aber die Ideologie der Systeme ist stärker. Die Liebe zerbricht an der Faktizität der Verhältnisse. Blende zu; Kameraschwenk. Blende auf: Catania, Piazza Dante. Dort liegt die Universität, hoch auf einem Hügel. Die Universität ist im größten BenediktinerKloster Europas, einem imponierenden Barock-Bau, untergebracht, errichtet aus vulkanischem Gestein des unweit gelegenen Ätnas. Die ehemaligen Kammern der Mönche haben sich in moderne Seminarräume verwandelt. So begegnen sich hier Religion und Aufklärung, Barock und Postmoderne. Dies ist der Ort, an dem alle Veranstaltun-

Sabine Paas

Sigrid Bauschinger

Uli Klan

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Oratorium gen des XVI. Else-Lasker-Schüler-Forums stattfinden. Die Universität ist gemeinsam mit der Musikhochschule und der Armin T. Wegner-Gesellschaft Kooperationspartner des Forums. Eröffnet wurde das Forum, das vom Auswärtigen Amt in Berlin gefördert wurde, mit Reden und musikalischen Beiträgen. Hajo Jahn, Vorsitzender der Else-LaskerSchüler-Gesellschaft, erinnerte daran, dass das Exil nicht nur eine schmerzliche Erfahrung des 20. Jahrhunderts ist, sondern eines der zentralen Themen des 21. Jahrhunderts werden wird. Indianerkleid oder Husarenrock? Der Wuppertaler Professor Heinz Rölleke, Mitherausgeber der historisch-kritischen Ausgabe der Werke Else Lasker-Schülers, erinnert in seinem Festvortrag an die Beziehungen zwischen der Dichterin und dem Duce. In der ihm eigenen sachlichen und im besten Sinne unaufgeregten, sich streng an die Fakten haltenden Art, entwickelte er indirekt ein Psychogramm der Dichterin. Sie stellte sich vor, dass auf dem Schreibtisch Mussolinis ihre Gedichtbände lägen, und sie malte sich aus, wie sie bei einer Audienz den Duce so beeindrucken würde, dass er alle Juden frei ließe. In einem Brief an den Bühnenbildner Teo Otto aus dem Jahre 1936 fragte sie sich, ob sie besser „in einem Indianerkleid oder Husarenrock“

Ansichten Cantania im Arbeitszimmer des Duce erscheinen solle, um Mussolini im Sturm zu erobern. Deutlich erkennbar werden die Realitätsferne und zugleich die Stärke ihrer Vorstellungskraft. Ebenso das kluge Kalkül einer zu Unrecht als unpolitisch apostrophierten Frau, die ahnte, dass Mussolini einen anderen Umgang mit den Dichtern pflegte als der Diktator in Berlin. Die Schattenseite dieser Haltung, die natürliche Eitelkeit der Künstler, überreich genährt durch die bittere Frucht des Exils, ist freilich der Narzissmus -: die Macht des Duce war eine ideale Projektionsfläche für ihre Sehnsucht nach literarischer Anerkennung. Bis heute… Der Musiker, Komponist und Pädagoge Uli Klan, Mitbegründer der Armin T. WegnerGesellschaft gestaltete den musikalischen Rahmen der Eröffnungsveranstaltung mit seinen von ihm selbst vorgetragenen Vertonungen von Lasker-Schüler- und Armin-T.-Wegner-Gedichten. Armin T. Wegner, Journalist und Schriftsteller, der einst den Völkermord der Türken an den christlichen Armeniern weltweit bekannt und angeprangert hatte, stammt ebenso wie die jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler aus Wuppertal. Als Hitler zum Reichskanzler gewählt wurde, forderte er den Diktator in einem öffentlichen Brief zur Zurücknahme der Judenpolitik auf. Wegner wurde

sofort inhaftiert. Er verbrachte vier Monate in Gefängnissen, wurde gefoltert und es begann die Odyssee seiner Seele durch die Höllenkreise der Konzentrationslager Oranienburg, Börgermoor und Lichtenburg. Aus bis heute ungeklärten Gründen wurde er aber wieder entlassen, ging nach Italien ins Exil und verbrachte viele Jahre auf Stromboli, der nördlichsten der Äolischen Inseln vor der Küste Siziliens. Dieser Insel seines Exils hat Wegner ein Gedicht gewidmet, Uli Klan machte daraus ein Lied und trug dieses – sich selbst am Flügel begleitend - zur Eröffnung zweisprachig vor: deutsch und italienisch. Michele Wegner, der Sohn des deutschen Dichters, der noch heute auf Stromboli lebt und der Einladung der Armin T. WegnerGesellschaft zum Literaturforum in Catania gefolgt war, berichtete eindrucksvoll von den Folgen, die das Exil seines Vaters für diesen und ihn selbst habe. Er, Michele, sei der letzte Wegner, der eine doppelte Identität in sich trage, eine deutsche und eine italienische. „Alle Wegners, die folgen, sind italienisch.“ Sigrid Bauschinger, die Autorin der bis heute wichtigsten Biografie über Else LaskerSchüler, berichtete über die Versuche der Dichterin, Papst Pius XII. dazu zu bewegen, eine kritischere und mutigere Haltung gegenüber Nazi-Deutschland einzunehmen und sich offen gegen die Verfolgung ihrer

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Der Kubist, Probe Glaubensschwestern und -brüder einzusetzen. Ihre Hoffnung, dass der Papst eine vergleichbare moralische Autorität wie die Gestalt des Bischofs in ihrem Versöhnungsstück „Arthur Aronymus und seine Väter“ annehmen würde, sollte sich jedoch als trügerisch erweisen. Literarisch-musikalisches Roadmovie Nicht wissenschaftlich, sondern auf eine ganz andere und eigene Weise näherte sich das Hörstück „Der Abend kommt als Kubist“ des Wuppertaler Autors Heiner Bontrup dem Thema des Forums an. Wenn es das Ziel der Foren ist, eine Kultur der Erinnerung an vergangenem und gegenwärtigen Unrecht zu entwickeln, das Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen, widerfahren ist und widerfährt, so beschäftigte sich die Text-Musik-Collage mit der Frage nach dem Vorgang der Erinnerung selbst. In dem Hörstück schlüpften das Urgestein der Wuppertaler Bühnen Hans Richter und die Kölner Schauspielerin Sabine Paas in die Rollen der modernen Italienreisenden. Die zeitgenössische italienische Reise ist „Kino-im-Kopf“, ein literarisch-musikalisches Roadmovie, in dem sich Musik, Poesie und Philosophie zu einer Meditation über das Wesen von Zeit und Erinnerung verdichten. Text und Musik wurden zu

Während der Proben einem Sinn- und Klangraum verwoben, den der Jazzmusiker Dietrich Rauschtenberger (Saxophon, Schlagwerk, Perkussion), Giovanni Caruso, Dozent für Perkussion am Musikkonservatorium der Universität Catania (Vibraphon) sowie Maik Bash-Shiti (afrikanische Trommeln) improvisierend füllten. Die Wuppertaler Malerin und Bildhauerin Ulle Hees hatte während der Proben zu dem Stück in ihrem Wuppertaler Atelier Bildsequenzen – Aquarelle auf Glas - entworfen, die als Bühnenbilder während der Inszenierung projiziert wurden. Das Leichte und die Kunst der Improvisation Am Ende kehren meine Gedanken noch einmal zu Else Lasker-Schüler zurück – und zu Italo Calvinos Vorschlag für das kommende Jahrtausend. Ich lerne von der Wuppertaler Dichterin, den Irrglauben zu überwinden, dass wir nur an die Realität und ihre Gesetze gebunden sind. Was hat diese Frau leiden müssen: kein Mann, der sie auf Dauer ausgehalten hat, immer war sie ihren Partnern in ihren kürzer- oder länger weilenden Beziehungen zu wenig oder zu viel oder zugleich zu viel und zu wenig. Der Tod des Sohnes. Armut. Das geliebte Berlin - perdu. Publikationsverbot in der Schweiz. Exil. Soviel Gravitationskraft der privaten und historischen Verhältnisse war

selten. Und doch verstummte ihre dichterische Stimme nicht – bis zum Schluss, zum bitteren Ende. Zum bitteren? Vielleicht doch auch zum leichten… Denn in ihren Gedichten bewahrt sie sich das Leichte bis zum Schluss. Immer triumphiert die Imagination über die Macht der Verhältnisse, selbst dann wenn sie diese beweint wie in ihrem Gedicht „Mein blaues Klavier“. Wenn sich Wirklichkeit und Möglichkeit, Realität und Utopie berühren, entsteht Poesie. Und Poesie kann auch für uns, die Ersten in diesem noch so jungen Millennium – wie für Else Lasker-Schüler – ein Lebens- und ein Überlebensmittel sein. Wir haben hier in Sizilien viel Gastfreundschaft und eine Erinnerung an die Leichtigkeit des Seins erfahren, nach der wir uns so oft sehnen. Eine Leichtigkeit, die auch aus der Improvisation kommt, die hier in Italien – mehr als in Deutschland - notwendig ist, um die Kräfte des Chaos zu bannen. „Ich glaube“, so schrieb mein Freund, der Improvisationsmusiker Dietrich Rauschtenberger, „viele Leute haben Angst vor dem Improvisieren. Es macht sie unsicher, wenn sie keinen Plan haben. Leben heißt aber improvisieren. Wenn sie das merkten, würden sie fallen wie Schlafwandler.“ Und dem ist nichts hinzuzufügen. Heiner Bontrup

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Felix Droese – Angewandte Erkenntnis Kunst Ausstellung in der Galerie der Stadt Remscheid

Die Galerie der Stadt Remscheid definiert sich als ein Ort der Begegnung, der auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene die heute und in Zukunft wichtigen künstlerischen Fragen und Positionen in Ausstellungen reflektiert, sichtbar macht und dabei im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert. Neben der Zielsetzung regionale und nationale Kunst vor dem Hintergrund einer internationalen Ausstellungsprogrammatik zu bündeln, zu perspektivieren und zu entwickeln, bildet die Einrichtung des Teo-Otto-Archivs, dessen Relevanz in den letzten Jahren stetig gewachsen ist, eine weitere wichtige Schwerpunktsetzung der gegenwärtigen Aktivitäten des Hauses. Der Bühnenbildner gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten auf diesem Gebiet. Damit verfügt die Galerie, die mit Kunstinstitutionen des In- und Auslandes kooperiert über ein überregional einmaliges Profil. Für die regionale Aufmerksamkeit wurde seit 2007 erstmals ein umfangreiches pädagogisches Programm entwickelt, das

neben Führungen von Fachkräften auch Workshops für Kinder- und Jugendliche sowie Senioren beinhaltet. Diese pädagogische Ausrichtung sorgt dafür, dass sich die Galerie als Ort der Begegnung weiter etabliert hat. Zur Zeit werden unter dem Titel „Angewandte Erkenntnis Kunst“ Arbeiten des in Mettmann ansässigen Künstlers und Beuys-Schülers Felix Droese aus den vergangenen, knapp vierzig Jahren gezeigt. „Nach Duchamp liegt mit dem erweiterten Kunstbegriff das Besondere und Eigene [...] wieder vor – die Kunst kann jetzt wieder zweckhaft eingesetzt werden, nämlich zu dem Zweck, die große Menschheitsfrage des gemeinschaftlichen Lebens zu lösen oder, wie Beuys gesagt hat, die ‚Soziale Plastik’ zu schaffen, aber eben gerade aus der Methodik der Kunst heraus, nicht aus der Methodik der Herrschaftssprache. Ich könnt’ auch sagen,“ so Droese weiter, „das Leben ist eine Rechenaufgabe, aber dieses Leben ist nichts wert, wenn ich für dieses Leben nicht eine Lösung bringe. Das ist eine sehr wichtige Sache: In meinen Bildern eigne ich mir ein Formenvokabular an, das ich als meine Eigenheit sehe. Und diese Eigenheit aber muss ich auch auf

andere Gebiete übertragen, die künstlerischen Formen müssen sich transformieren. Wenn ein Gefäß im Glasofen hergestellt oder ein Scheck ausgeschrieben und der Geldkreislauf in Gang gesetzt oder eine Skulptur geschaffen wird, dann müssen daraus Äußerungen des befreiten Menschen werden.“ Droese spricht in enger Anlehnung an diese Aussage heute von der Kunst als einer angewandten Erkenntnis. Was ist damit gemeint? Um eine Antwort zu erhalten, ist es sinnvoll, unter wahrnehmungstheoretischen Gesichtspunkten auf die Differenz von Erkenntnisurteilen und ästhetischen Urteilen zu verweisen. Für Droese werden in diesem Zusammenhang ästhetische Urteile nicht in normativer Hinsicht abgegeben, sondern als Instrument des Handelns. Im Hinblick auf die individuelle Lebenspraxis ist es möglich, ein Urteil anzuerkennen, wenn derjenige, der ein Urteilt fällt, seine Haltung und sein Handeln, seine eigene Bedingtheit im Wahrnehmen und Urteilen in der Erläuterung formulieren kann. In Anlehnung an die Vorstellung von Alexander Gottlieb Baumgarten, dem Begründer der modernen Ästhetik als Wissenschaft, ist ein ästhetisches Urteil nur dann akzeptabel,

Foto: Frank Becker

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wenn es im Existenzkontext des Urteilenden begründbar bzw. für Außenstehende nachzuvollziehen ist. Dabei bleiben ästhetische Urteile aber nicht nur auf die Künste bezogene subjektive Geschmacksurteile, sie werden in allen Lebensbereichen getroffen. Diese Definition erlangt bis heute nur langsam eine gesellschaftsrelevante Bedeutung, denn Ästhetik wird immer noch als Lehre vom Schönen missverstanden. Im Gegensatz zur Politik oder Wissenschaft, die Verbindlichkeiten ihrer Erkenntnisleistungen durch überindividuelle Geltung ihrer Unterscheidungskriterien sichern, zeichnen sich künstlerische Aussagen dadurch aus, dass sie ohne derartige Verallgemeinerungen auskommen. Künstler sind in ihren Aussagen auf sich selbst gestellt. Sie versuchen zwar in ihren Urteilen einen allgemeinen Geltungsanspruch zu begründen, aber nicht durch allgemeingültige repräsentative Programmatiken. Exemplarisch sei in diesem Zusammenhang Droeses raumgreifender, frei von der Decke hängender Papierschnitt „Ich habe Anne Frank umgebracht“ (1981) erwähnt. Indem er sich für die Ermordung der jungen Jüdin durch die Nationalsozialisten schuldig bekennt, verdeutlicht er im Hinblick auf die Schoah die historische Verantwortung, für die alle nachfolgenden Generationen Sorge zu tragen haben. Somit ist im Sinne von Joseph Beuys jeder Mensch ein Künstler, nicht weil er ein Architekt, Maler, Bildhau-

er, Musiker oder Schriftsteller sein muss, sondern weil jeder Mensch die Fähigkeit besitzt, seine Aussagen wie ein Künstler nicht durch allgemeine repräsentative Programmatiken zu begründen, sondern durch eigene Fragestellungen. Künstlerischer Ausdruck und politische Stellungnahme sind für Droese untrennbar miteinander verbunden. Das veranschaulicht einmal mehr die Arbeit „Ozonlöcher über Konzentrationslager“, die er anlässlich des Projektes „365 Tage am Ort“, 1994 des Musikers Peter Kowald in Wuppertal vor dessen Atelier in der Luisenstraße installierte. Zwei Autoreifen waren über der Straße durch zwei Transmissionsriemen miteinander verbunden. Auf einem Profil ist die Wortabfolge „AUTO ICH WEISS NICHTS“ eingeschnitten, auf dem anderem die Aneinanderreihung „AUTO ES DENKT MICH“. Beide Reifen sind mit ihren Schriftzügen auf jeweils einem Antriebsriemen abgerollt und durch schwarze Farbe abgedruckt worden. Droese betont die Sinngebung der Arbeit durch die Titelauswahl: „Ja, die Wörter werden sozusagen ausgerichtet. Damit wird eine Vorstellung zusammengezimmert, um die Vorstellung des Anderen in diese Richtung zu lenken. Das ist natürlich auch ein plastischer Vorgang.’ So entsteht eine Assoziationskette: Autoreifen, Ozonloch, Abrollen auf den Treibriemen, Energie, Geschwindigkeit, Verkehr, Transport, Vergiftung der Luft,

Ratte, 1999, Kadaver, Holz, Glas, 52 x 47 x 20 cm

Der Esel von Bagdad, 2004, Acryl/Nessel, Fotokopie auf Papier, 3-tlg., 221 x 267 cm Vergasung, Konzentration, Konzentrationslager, die unter den Ozonlöchern liegen. Gleichzeitig wird natürlich die Frage nach der Schuld, die Frage nach den Opfern und den Tätern gestellt [...]. Diese Fragen ergeben sich wie der Abdruck der Reifenprofile auf den Transmissionsriemen auf den Empfindungs- und Gedankenebenen der Betrachter. Die Alltäglichkeit der das Kunstwerk bildenden Gegenstände legt die Antwort nahe: Der Verursacher der Verbrechen an der Natur und an den Menschen ist der Mensch und die von ihm geformte Gesellschaft selbst“ – Kunst als angewandte Erkenntnis. Oliver Zybok Ausschnitt aus dem Textbeitrag im Katalog Felix Droese – Angewandte Erkenntnis Kunst, hrsg. von Oliver Zybok, Ausst.-Kat. Galerie der Stadt Remscheid, Edition Ultra Violett, Düsseldorf 2010, 56 Seiten, dt./engl. Galerie der Stadt Remscheid Scharffstraße 7-9, 42853 Remscheid, Telefon 02191 162798 Öffnungszeiten Mi - So 14.00 - 18.00 Uhr

Kirschen, 1972, Kirschen, zerdrückt, auf kariertem Papier mit Mittelfalz, 20,8 x 29,1 cm

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„Music is an open sky“ Peter Kowald – Ein Portrait. von Heiner Bontrup

„Was ist das für eine sonderbare Musik, die so flüchtig ist wie der Augenblick und so ernsthaft wie das Leben eines jeden von uns?“, fragte einmal der Musikwissenschaftler und Journalist Bert Noglik. Und, so möchte man hinzufügen, was ist das für ein Mensch, der diese Musik macht? Fragen, die eher ein Staunen formulieren und die Absicht zu einer vorsichtigen Annäherung. Denn der Fixierung, gerade der begrifflichen, hat sich Kowald - als Mensch und als Musiker - entzogen. Es ist ja kein Zufall, dass der Free Jazz, die Improvisierte Musik seine Form war, sich auszudrücken: die unmittelbare Fertigung des musikalischen Gedankens im Augenblick des Spiels. Spontaneität, SichEinlassen auf das Unerwartete, nie fertig sein mit sich selbst und den anderen, immer im Dialog: Das war seine Spielhaltung als Musiker und zugleich sein Lebensmodell. In dieser Einheit von Leben und Musik war und ist Peter Kowald ganz nah bei den Großen des Jazz. Johanson-Brötzmann-Kowald, 1967 Foto: Krista Brötzmann

Peter Kowald

Annäherung eins: Begin the beguine „Kowald, aufgewachsen im Wuppertaler Mittelstand, Armbanduhr zur Konfirmation, Altgriechisch auf dem Gymnasium, schließlich Sprachstudium, schert 1966 aus, wird endgültig und ausschließlich Musiker und ahnt damals gewiss nicht, was auf ihn zukommt...” Geboren wird Peter Kowald am 21. April 1944 in Masserberg/Thüringen. Seine Kindheit und Jugend erlebt Peter Kowald bereits in Wuppertal, seinem späteren unmittelbaren Wirkungsfeld, und es lohnt sich den Lebensspuren zu folgen, die hier ihren Anfang nehmen. Mit 14 verfasst Peter Kowald ein Referat über die Dada-Bewegung. Als wäre da schon eine Ahnung von Zukünftigem. Nachts schleicht sich der Junge zum Bohemé, einer Nachtbar, um heimlich Jazz zu lauschen. Frühe Wahlverwandschaft. Die Wahl des Instruments ist eher ein Zufall. Das Jazz-Idiom fasziniert den Jungen und er schließt sich einer Dixieland-Band seines Gymnasiums an. Doch da ist nur noch Platz für einen Tuba- oder Bassspieler. Also lernt Kowald Tuba, die er übrigens auch später noch als Free Jazzer spielen wird. Und Bass. So einfach ist das. Dann Abitur. Ein Jahr lang studiert Kowald Englisch. Doch da sind ihm die Seminare und Vorlesungen zu voll. Schon hier wird diese Haltung deutlich: Bloß nicht mit dem Mainstream schwimmen. Stattdessen dann Griechisch und Rumänisch. Minderheitensprachen. „Da waren nur drei bis fünf Leute. Ich habe das auch deswegen gemacht, damit ich nicht Lehrer werden konnte. Ich wollte das vornherein ausschließen: Sprachen studieren und dann Gymnasiallehrer

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„Music is an open sky“ werden.” Die Weigerung, Erwartungen zu erfüllen, die Wünsche der Eltern nach einer bürgerlichen Existenz. „Mein Bruder ist Arzt geworden, meine Schwester Taubstummenlehrerin, also dasselbe wie mein Vater. Ich bin der einzige, der das nicht gemacht hat, was mein Vater von uns erwartete. Das waren harte Kämpfe.”

Kowald im ORT, 1994, Foto: W. Krüger

Annäherung zwei: Kaputtspielen „Das war so, dass ich in meinem wohlbehüteten Elternhaus wohnte und Taschengeld hatte. Brötzmanns waren schon verheiratet und hatten öfter keinen Pfennig. Manchmal habe ich dann Lebensmittel von zu Hause mitgenommen. Manchmal hatten wir das Geld für den Bus nicht, das kostete damals 60 oder 80 Pfennig, und ich bin halt zu Fuß gelatscht von der Siegesstraße in die Aderstraße mit dem Bass auf dem Rücken...” Peter Kowald beginnt der Dixieland bald zu langweilen und Dieter Fränzel, der Wuppertaler Jazzexperte und Kulturarbeiter, vermittelt den Kontakt zu Peter Brötzmann. Der ist zwei Jahre älter, trinkt Bier statt Milch, wie Kowald zu dieser Zeit noch, und hat gerade – mit ein paar anderen Leuten - den europäischen Free Jazz erfunden. Brötzmann studiert an der Werkkunstschule Grafik und ist mitten drin in den Bewegungen, die die Bildende Kunst in den 60er Jahren revolutionieren. Er ist bekannt mit Nam June Paik und einigen Fluxus-Künstlern um Wolf Vostell.

Peter Kowald, Luisenstraße116, Foto: AntjeZeis-Loi

Kowald-NYC 1985, Foto: E. D. Fränzel

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In diesem Dunstkreis entsteht auch der Free Jazz: eine hochenergetisch aufgeladene Musik jenseits der Tonalität. Peter Kowald: „Zu Beginn der 60er Jahre war der Jazz in bestimmte Formschemata erstarrt, es gab zu viele Konventionen. Es ging uns darum, zurückzukehren zu dem, was den Jazz seit seiner Entstehung ausgezeichnet hatte: zum unmittelbaren Ausdruck der Gefühle.” Die Freundschaft mit Brötzmann und die musikalischen Entdeckungsreisen jenseits der Tonalität bleiben prägend für Peter Kowald – auch als sich die musikalischen und persönlichen Lebenswege der beiden Musiker zu trennen beginnen. „Brötzmann hat mich mitgezogen. Ich stelle auch heute immer wieder fest, dass Peter in gewisser Hinsicht der radikalste ist. Diese Radikalität von Brötzmann, die sehr expressiv oder expressionistisch, aber auch sehr persönlich

ist, kann mir Tränen in die Augen treiben, ebenso wie Louis Armstrong mir Tränen in die Augen getrieben hat.” Annäherung drei: Globe Unity „Was bedeutet mir Musik? Das ist eine Mischung, bei der mir nicht immer klar ist, was welchen Anteil hat. Da ist die künstlerische Aussage, wie man das ja nennt, und da ist die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft. Und es ist auch einfach ein Lebensstil.” Peter Kowald 1966 wird das Jahr der Entscheidung. Kowald geht mit dem Quintett um Carla Bley auf Tournee. Danach ist nichts mehr so wie vorher. Er erlebt, wie Brötzmann in Solingen von der Bühne geholt und geprügelt wird. Wütendes Publikum schlägt Carla Bley in Hildesheim das Mikrofon auf den Kopf. Danach gibt es kein Zurück mehr ins bürgerliche Leben. Er geht in die Schweiz, wo er mit Irene Schweizer und Pierre Favre spielt, nach Holland zu Musikern wie Misha Mengelberg, Han Bennink, Willem Breuker und nach England zu den akribischen Klangforschern um Evan Parker, Derek Bailey, Paul Rutherford, John Stevens. Es sind die Jahre, in denen Kowald sein musikalisches Ausdrucksrepertoire entwickelt, er die universelle Sprache der Improvisation erlernt, die Semantik der Sounds, die Grammatik des musikalischen Dialogs. Als der Pianist Alexander von Schlippenbach Mitte der 60er Jahre das Globe Unity Ochestra gründet, ist Kowald dabei. Im Juni 1976 spielt das Globe Unity Orchestra mit internationaler Besetzung auf dem Laurentiusplatz in Wuppertal. Hier ist es Kowalds Idee, verschiedene traditionelle Orchester einzubeziehen: das Blasorchester Wuppermusikanten, das Akkordeonorchester Wupperspatzen, dazu eine griechische Folkloregruppe und ein Drehorgelspieler, auf den Dächern angrenzender Häuser sind Paul Rutherford und Günter Christmann postiert, die Alphörner blasen. Ekkehard Jost, Musiker und Musikwissenschaftler, analysiert in seinem Buch “Europas Jazz” (Frankfurt 1987) das Ereignis: „Die sozialen ebenso wie die musikalisch-philosophischen Aspekte dieser Veranstaltung sind naheliegend: neue Hörerfahrungen zu provozieren, den Waren- und Werkcharakter von Musik in Frage zu stellen, die prinzipielle Gleich-


berechtigung aller musikalischen Hervorbringungen zu praktizieren, die alltägliche Umwelt in das musikalische Ereignis einzubeziehen, die Kunst mit dem Leben zu verbinden, und sei es auch nur für die Dauer von 65 Minuten...” Annäherung vier: Grenzüberschreitungen „Die Grenze ist der Ort der Erkenntnis.” Paul Tillich Peter Kowald war ein leidenschaftlicher Kommunikator und hat gern Dinge angestoßen. „Anzetteln”, nannte er das. „Ich habe in Wuppertal viele Dinge angezettelt.” Ein typischer Kowald-Satz. Die Initiative 360 Grad gehörte dazu, die im „Spielraum für Ideen” ganz unterschiedliche Aktivitäten vorstellte: Musik, Malerei, Dokumentation, Bewegung, Erfindung. Ein Local Village für Künstler, Musiker, Menschen, die schöpferisch sein wollen. Und ein Vorläufermodell für das spätere Global Village. Dinge ermöglichen, Menschen zusammenführen, Ideen und Aktionen vernetzen: Hier ist dieser Gedanke noch lokal verortet. Eine Idee, die Kowald später durch seine Reisen, Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen und Ländern weltweit ausdehnen wird. 360 Grad – das heißt Offenheit, Rundum-Blick, sich nicht den Horizont verstellen lassen. Aber 360 Grad - das bezeichnet auch einen Kreis, dessen Linie eine Grenze beschreibt, die einen Innen- und Außenraum trennt, ein Diesseits und Jenseits. Grenzen waren für Peter Kowald eine Provokation, sie zu überschreiten ein fast natürlicher Reflex.

Auch die Musik selbst war eine solche Grenze, die es zu überwinden galt – und zwar in Richtung der anderen Künste: Wieder zettelt Kowald mit Freunden etwas an: die Wuppertaler Grenzüberschreitungen 1983: ein Festival, geplant als Biennale, bei dem Musiker, Dichter, Tänzer und Akteure aus Japan, Afrika, Amerika und Europa zusammenkommen. Natürlich hat ein solches Konzept etwas Bedenkliches,- Sprache, Performance, Tanz und Musik verbinden sich nicht so leicht. Peter Kowald weiß um die Gefahren eines solchen Konzeptes. „Es geht”, sagt Kowald, “nicht darum, die Dinge zu glätten, sondern sie in Frage zu stellen.” Annäherung fünf: Global Village „Eine menschliche Gesellschaft mit mehr als 3.000 Menschen kann nicht funktionieren.” Weisheit der Hopi-Indianer. Globe Unity und 360 Grad waren Urmodelle des Global Village, die Grenzüberschreitungen eine notwendige künstlerische Erweiterung. Global Village, das weltweite Beziehungs- und Kommunikationsgeflecht, war dann eine konsequente Expansion dieses Konzeptes durch Reisen, die die unterschiedlichsten Menschen und deren lokale Kulturen miteinander verband. Als Peter Kowald 1984 der Eduard von der Heydt-Preis der Stadt Wuppertal verliehen wurde, spielte der Bassmann zusammen mit dem phantastischen New Yorker Saxophonisten Charles Gayle. Den hatte Kowald an irgendeiner Straßenecke in Manhattan gehört. Und die Musik war ihm nicht aus dem Kopf gegangen; sie hatte ihn berührt. Also suchte er ihn. So lange, bis er ihn wie-

der gefunden hatte. Heute spielt Charles Gayle, der frühere Straßenmusiker, mit den ganz großen Protagonisten der Improvisierten Musik. Peter Kowald konnte und wollte berührt werden – von Menschen und von Musik. Und er konnte berühren. Und so wurde er ein Menschenzusammenführer, der sein eigenes weltweites Dorf baute. Es gibt im Weltdorf des Peter Kowald häufiger besuchte Marktflecken. Berlin ist so ein Platz, Ost und West. Früh hat Kowald die Nähe zu Musikern aus der früheren DDR gesucht. Mit dem Schlagzeuger Günter „Baby” Sommer beispielsweise, dem Freund von Günter Grass, hat er gejammt. Überhaupt orientierte sich Kowald zunächst – wieder gegen den Mainstream schwimmend – gen Osten. Als Glasnost und Perestroika Reisen in die Sowjetunion erlaubten, gehörte Kowald zu den ersten europäischen Musikern, die dorthin auf Konzertreisen gingen und nicht nur die großen Städte und Konzertbühnen bespielten, sondern gerade auch die sogenannte Provinz. Kowald war ein Pionier der Weltmusik – lange vor Paul Simons „Gracelands” und bevor Peter Gabriel den senegalesischen Musiker Youssou N‘Dour entdeckte. Im Unterschied zum Stilmix der Popmusik wurden fremde Musikkulturen nicht zum bloß exotischen Dekor, sondern konnten im Dialog mit der Improvisierten Musik ihre unverwechselbare Identität bewahren.

Peter Kowald, mit u.a. Ulrike Arnold, Amouzou Glipka, Eva Ohlow,Togo 1992

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Annäherung sechs: 365 Tage vor Ort „Ich bin überzeugt, dass diese Arbeit hier, gerade die Zurücknahme in den lokalen Bezug, eine globale Arbeit ist, sie hat sich nur für diesen Platz hier entschieden.” Und dann mitten hinein in diese Umtriebigkeit und rastlose Reisetätigkeit eine kopernikanische Wende im Leben des Musikers: eine „Zurücknahme“, ein Innehalten, eine Zeit der Reflexion, des persönlichen und künstlerischen Ortens. 1994 will Peter Kowald 365 Tage in Wuppertal bleiben. Ein Jahr soll der Lebensradius des Wuppertaler Musikers soweit messen, wie ihn die Füße oder sein Dreirad tragen, auf dem er seinen Kontrabass transportiert. Die Welt, das ist plötzlich das Luisenviertel. Künstler, Musiker, Schriftsteller aus aller Welt besuchen ihn dort, nehmen teil und gestalten die Abende „vor Ort“, zu denen jeder(!) herzlich eingeladen ist. Musikergespräche, Hauskonzerte, Tanz und Lesungen; über einhundert Veranstaltungen in 365 Tagen. Und dann ein solcher Satz: „Ich fühle mich wie auf einer Insel, mein Lebenskreis ist so eingeschränkt wie bei einem Dörfler aus dem letzten Jahrhundert. Wunderbar, aber ich bin mir der Gefahren dieser Isolierung bewusst.” 365 Tage vor ORT waren auch ein Garant dafür, dass das Global Village nach Peter Kowalds Tod weiterlebte. Der Bassspieler hatte in dieser Zeit das ORT-Ensemble gegründet und junge Musikerinnen und Musiker, die zum Teil von der Klassischen Musik kamen, zur Freien Improvisation geführt. Laurentiusplatz 1976, Foto: ChristianW. Neumann

Text aus dem Buch „Sounds like whoopataal – Wuppertal in der Welt des Jazz“, www.jazzbuch-wuppertal.de

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Annäherung sieben: Grenzüberschreitung ins Jenseits „Die Musik muss durch ein kleines Loch, einen ganz schmalen Kanal hindurch. Das ist schwer, aber sie muss da hindurch. Und wenn sie durch ist, dann kann sie sich öffnen, und es sind all die Tiere und der Wind darin, die ganze Natur ist zu hören.” Ein Sänger der traditionellen Obertonmusik im Gespräch zu Peter Kowald. So weit die Welt Peter Kowalds auch war, in den letzten Jahren wurden die USA für den Bass-Mann immer wichtiger und verlegte seinen Lebensmittelpunkt dorthin: „Ich habe die wahre Musik gefunden, als ich die schwarze Amerikanische Musik wieder entdeckte. In gewisser Weise war diese Reise eine Rückkehr zu den Ursprüngen.” Es begann mit Reisen quer durch den Kontinent. New York, Nashville, New Orleans. Vielleicht lag in dieser Beschleunigung auch eine existentielle Gefährdung. Der Freund Günter „Baby” Sommer glaubt das: der frühe Tod – mit nur 58 Jahren als Ausfluss dieses Lebens im Global Village – ohne Fixpunkt. Ein Selbstverlust im steten Unterwegs. Vielleicht war er auch ein SpielJunkie. Einer, der überall spielen wollte. Selbst an Orten, an denen er nicht mehr hätte spielen sollen. Aber: „He was a strong man, a really strong man”, sagt William Parker, in dessen Haus im East Village von Manhattan Peter Kowald am 21. September 2002 gestorben ist. Parker erinnert sich, wie energiegeladen Kowald in jenem Jahr das Sound-UnityFestival in New York mit vorbereitete: Good vibrations, wenn er mit Musikern

wie Charles Gayle, Andrew Cyrille oder anderen zusammen spielte: relaxed, gut gelaunt, nie müde: „So – who knows?” Vielleicht hat Kowald in den USA auch nach seiner eigenen Identität gesucht. Die er dort suchte und zu finden glaubte, wo er angerührt wurde. Durch den Blues beispielsweise, eine Musik, die er noch in den 60er Jahren kaputtgespielt hatte. Die Kraft, die Energie des Blues kommt aus der Melancholie der Einsamkeit. Es war wohl diese Kraft, die Kowald in der Musik gesucht hat, im Blues, im Rembetiko, in den Obertongesängen der Mongolen. Im Free Jazz. Minderheitenmusiken, die die Kraft der Solidarität, der Freundschaft, der guten Nachbarschaft haben, die sich so nur in den Randzonen der Gesellschaft, im Niemandsland bilden können. „Wo immer er auftauchte, wurde er zu einem wichtigen und kritischen Teil dieses Ortes. Er war ein Macher, ein Mensch mit einem sehr stark entwickelten Sinn für die Bedeutsamkeit der Gemeinschaft, einer, der eine Vision hatte und der davon getrieben war diese Vision zu verwirklichen. Wuppertal war seine Heimat und von dort baute er Brücken zu anderen Kulturen und Künste”, schreibt Patricia Parker, die langjährige Freundin, die Peter Kowald im Sterben, in seiner letzten Stunde begleitet hat. Gerne hätte sie ihm noch hinterher gerufen: „Vergiß nicht einzuatmen! Wenn du immer nur ausatmest, kommst du aus dem Rhythmus! Vergiß nicht: Du wirst geliebt, mach weiter!” Vielleicht war der Tod einfach nur das kleine Loch, durch das Kowald hindurch schlüpfen musste. Eine letzte Grenzüberschreitung ins Jenseits.


„Landschaft aus Naturschönheiten und Fabriken“ Zur Kulturlandschaft des Bergischen Städtedreiecks

Reiseführer stellen die Bergische Region gern im Lichte schwarz-weißer FachwerkRomantik und grau-grüner SchieferhausIdylle vor. - Ein Motiv aus vorindustrieller Zeit, das kaum mehr das Gesicht der drei Großstädte zwischen Köln und Dortmund prägt. Die historischen Stadtkerne von Beyenburg, Lennep und Gräfrath erinnern noch daran. Das Gegenbild stellt diesen Eindrücken Stätten der Industriearbeit und technische Errungenschaften entgegen. Ein Ruhrgebiet mit Bergen? Die Entdeckung der Industrielandschaften hat in den vergangenen Jahren auf beeindruckende Dimensionen und eine ungeheure Veränderungsdynamik industrieller Regionen aufmerksam gemacht. Wer vor diesem Hintergrund ins Bergische Städtedreieck reist, kann ans Thema Industriekultur anknüpfen, doch mag sein Auge das Bergische Städtedreieck als unscheinbar wahrnehmen. Die Ikonen kultiger Industrielandschaft – Landmarken, grob überformte Orte, zwischenstädtische Wildnis, exotisch fremde Kulturlandschaften - sind hier klein, versteckt oder unter einer Schicht althergebrachter Idylle verborgen. Sicher, auch hier warten Landmarken auf - die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands etwa, der größte Kugelgasbehälter der Welt oder das Autobahnkreuz, das sich einmal das größte in Europa nannte. Aber sie stehen nicht auf dem Präsentierteller,

sondern ducken sich ins Tal. Entdecken wird sie nur, wer sich auf die mächtig bewegte Gegend einlässt. An Brachen mangelt es zwischen Remscheid, Solingen und Wuppertal kaum, doch sie glänzen selten durch jene Mischung aus beeindruckenden Industriebauten und wilder Ruderalnatur. Kurzsichtige sehen besser Wer sich ein Bild von dieser Landschaft machen will, kann sich nicht damit begnügen, den Blick schweifen zu lassen, er muss ins Gelände, hinab in die Täler, hinauf auf die Höhen. In der Wupperregion fehlt dem Weitblick das Panoramatische, überall stehen Berge im Weg. Im Gelände gerät man schnell ins Grüne und dabei in Gefahr, sich von der Farbe täuschen zu lassen. Die Grenze zwischen Siedlung und freier Landschaft hat hier ihre Tücken: Ausflugsverkehr herrscht in alten Gewerbegebieten. Wald wächst, wo Landwirtschaft Heide hinterlassen hatte. Naturschutz vereint sich mit Bodendenkmälern. - In der Kulturlandschaft der drei Städte stapeln sich so einige Schichten von Geschichte, von Nutzung und selbst von Natur übereinander, verflechten sich auf eher stille Weise. Auch in der Fläche zeigt sich der stete Wechsel als Konstante. Kleinräumige Mischungen bestimmen weithin das Bild der Städte, zum Unmut der Stadtplaner, die

Vom Fluss zum Getriebe – Wasserrad Steffenshammer

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Ordnung machen wollen und zum Ärger von Land- und Forstwirten, die Restflächen im Siedlungsgebiet bewirtschaften müssen. Schwer lässt sich das Durcheinander lesen, selten ist sein Anblick schön. Umso überraschender freilich sind die Entdeckungen, die bei Nahsicht aus dem Gemisch hervortreten. - Machen wir uns auf die Suche nach dem Eindrucksvollen der bergischen Großstadtlandschaft. Bergig bergische Beziehungen Das Bergische ist weit größer, als die Gegend, von der hier die Rede ist, und es ist eher ländlich zu nennen, während es sich um drei Großstädte handelt, die sich als Bergisches Städtedreieck bezeichnen. Zunächst einmal eint Remscheid, Solingen und Wuppertal ihre Lage im Bergischen Land, eine Bezeichnung, die eine Topographie assoziiert, die hier zwar vorhanden, aber nicht gemeint ist. Namensgeber der Region sind nämlich die Grafen von Berg, die das Territorium einmal beherrschten. So beschwört auch der mittelalterliche Schlachtruf „romerike berge“ das ruhmreiche Berg und nicht die zahlreichen Erhebungen der Gegend. Als Mittelgebirgsregion ist das Städtedreieck dennoch von Geländebewegung geprägt - und vom Wasser. Schon die Geschichte der Berge beginnt unter Wasser, als vor Jahrmillionen die Geologie des Gebietes auf dem Meeresgrund entstand. Im Zeitalter des Devons lagerte sich der Sand ab, der heute das Rheinische Schiefergebirge bildet. An seinem nördlichen Rand wuchsen Riffe, aus denen der Massenkalkzug hervorging, der sich vom Neandertal bis ins Sauerland erstreckt. Als sich das Meer zurückgezogen, das Land aufgefaltet hatte, trat das Süßwasser als formende Kraft auf. Bäche schnitten sich in die Erhebungen ein, es bildeten sich Mulden und Sättel. Eine beachtliche „Reliefenergie“ ist das sichtbare Ergebnis, das man auch in den Waden spürt. Die Bergischen Berge strukturieren die Gegend im Wechsel mit tiefen Tälern zu einer spannungsreichen Landschaft, die Dramatik besitzt. Den Städten verleiht sie ungewöhnliche Qualitäten: Von den Höhen bieten sich tolle Ausblicke. Straßen verlaufen wie Berg und Tal-Bahnen. Häuser stapeln sich an den Hängen übereinander. Bügeleisenhäuser und Treppen, Mauern und Felsen gehören zum Stadtbild.

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Steigung bestimmt auch die Lage der Region zwischen Niederrheinischer Tiefebene und Sauerland. Während die Wolken mit dem Westwind fast 800 m Höhenunterschied überwinden, ergießen sie über die Städte üppigen Regen. Den jährlichen Niederschlag von 1.100 bis 1.400 mm überbietet kaum eine andere deutsche Großstadt. Einheimische behaupten gar, man komme hier mit dem Regenschirm schon auf die Welt.

Fachwerk in Morsbach

Fleißiges Wasser Wasser ist also das Element der Region, die weder Seen noch Küste, nicht einmal einen großen Strom besitzt. Im Bergischen Städtedreieck ist das feuchte Nass auf unspektakuläre Weise allgegenwärtig. Es rauscht im Fluss und fließt im Bach, es staut sich im Graben und dümpelt im Tümpel, es sickert in Siefen, es tröpfelt aus Ritzen und gießt vom Himmel. Das Bergische Städtedreieck besitzt unzählige Gewässer, allein auf Wuppertaler Gebiet summieren


sich mehr als 900 Fließgewässer zu einer Länge von knapp 350 km. Dabei handelt es sich vorwiegend um kleine und kleinste Bäche. Stehende Gewässer sind hier zwar von Natur aus nicht vertreten, aber durch Stauanlagen hergestellt worden. Spektakulär ist, wie sich die Menschen der Region das Wasser zunutze gemacht haben. Es spülte die Wäsche und beförderte die Brühe, es bewässerte das Feld und bleichte das Garn, es drehte das Mühlrad und trieb den Hammer an. Längs freilich

Herbringhauser Talsperre. Wassertürme ergänzten die Speichermöglichkeiten des begehrten Nass. Neben der Ingenieurskunst verdienen aber auch die Wiederaufforstungsbemühungen der Erwähnung. Rodung und Devastierung hatten mit zunehmender Siedlungstätigkeit die geringe Wasserhaltung der Böden zugespitzt. Das ausgeprägte bürgerschaftliche Engagement der Region galt auch der Bodenverbesserung und Grünvorsorge. Baum- und Waldpflanzung

100 Jahren auf Initiative des Schlossbauvereins. Neben dem modernen Identifikationspunkt Technik symbolisiert Schloss Burg Eigenständigkeit und Zusammengehörigkeit der Region durch den Mythos historischer Kontinuität. Mit dem Rückgang des Gewerbes und dem Vormarsch der Verwilderung entstanden in den Tälern Naturqualitäten von hoher ökologischer Bedeutung. Viele vor dem in Arbeitsprozessen strapazierte Bäche und zu Produktionszwecken angestaute Teiche

Schornsteine und Kirchturmspitzen in Elberfeld (Würz 1886, Ausschnitt) ist dieser Arbeitseinsatz Vergangenheit, längst ist das Wasser im Bergischen frei geworden, um aus neuen Blickwinkeln entdeckt zu werden. Wer durch die Täler des Bergischen Städtedreiecks streift, trifft in scheinbar uralten Wäldern aller Orten auf Relikte der Nutzung. An Gelpe und Morsbach etwa ist die „Unschuld“ des Waldes auf dem Boden alter Gewerbegebiete erwachsen. Wasserkraftanlagen nutzten jedes brauchbare Gefälle an den Gewässern, die daher in dichter Folge mit Produktionsstätten besetzt waren. Gräben und Wehre zum Stauen unterbrechen viele der Fließgewässer bis heute und tragen zum spezifischen Bild der Landschaft bei. Dass angesichts des Wasserreichtums Wasserknappheit im Bergischen Städtedreieck immer wieder zum Problem wurde, erstaunt vielleicht. Doch das vom Himmel tropfende und von Bergen rinnende Wasserangebot schwankt und steht nicht verlässlich zur Verfügung. Einleuchtend, dass Wasserspeicherung zu den Pionierleistungen der Region gehört. Das Prinzip des traditionellen Stauteichs, der kontinuierlich Wasser abgibt, erweiterte Otto Intze 1891 im Eschbachtal zur ersten deutschen Trinkwassersperre. Bald folgten weitere: die Panzertalsperre, die Ronsdorfer und

bildete ein wesentliches Ziel der seit Mitte des 19. Jhs. gegründeten Verschönerungsvereine. Erholsame Mythen Die Entdeckung der ehemals so fleißigen Täler als Natur- und Erholungsgebiet reicht aber auch schon in die Vergangenheit zurück. Im ausgehenden 19. Jh., während Klappern, Hämmern und Schmieden die Täler noch erfüllte, blühte in ihnen der Freizeitverkehr auf. Kotten rüsteten zu Gastwirtschaften um, Wochenendausflügler strömten in die abseits gelegenen Täler, die bis dahin der Arbeit vorbehalten gewesen waren. Neben den Talsperren erwiesen sich besonders zwei Bauwerke seit der Jahrhundertwende als Attraktionen des Ausflugsverkehrs: Die Müngstener Brücke stellt eine Pionierleistung der Ingenieure in der Bergischen Region dar, übrigens nicht allein wegen ihrer Höhe, sondern vor allem wegen der Mathematik ihrer Statik und der Logistik ihrer Realisierung. Schloss Burg in Solingen war längst Ruine, als sich die Gegend des alten Stammsitzes der Grafen von Berg entsann. Das bis heute beliebte Ausflugsziel entstand gewissermaßen als mittelalterlicher Neubau erst vor

stehen heute unter Naturschutz. Empfindliche Flora-Fauna-Habitate von europäischer Bedeutung sind hier oft genug durch historische Eingriffe geprägt. Längs der Fließgewässer reihen sich Wüstungen und trocken gefallene Gräben neben produzierenden Betrieben auf. Der neue Mythos der Natürlichkeit ist ungewollt eng mit dem denkmalpflegerischem Interesse an Relikten der Industriegeschichte verbunden. Rückbau der Eingriffe von ehedem steht also selten auf der Tagesordnung. Natur und Industriegeschichte verweben sich zu einem doppeldeutigen Erlebnis, das die viel beschworene Trennlinie zwischen Natur und Kultur verwischt. Polyzentrik der Heimatgefühle Die Wupper, der einzige große Fluss der Region, durchströmt das Städtedreieck, indem sie die einzelnen Städte beinahe umfließt. Wer dem Lauf der Wupper folgt, gelangt von einem Stadtgebiet zum nächsten, doch der Verbindung der Zentren steht der Fluss eher im Wege. Während sich Wuppertal im Tal ausbreitet, liegen die Mitte Remscheids wie Solingens auf den Höhen. Zwischen den Städten stehen so gesehen Wasser und Berge. Die Wege zueinander sind daher weiter als die räumliche Nähe

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vermuten lässt. Das Zusammenwachsen zu einer großen Agglomeration mag aus topographischen Gründen unterblieben sein. Im Kern des besagten Dreiecks von Solingen, Remscheid und Wuppertal jedenfalls findet sich weniger der übliche Siedlungsbrei als vielmehr Grün. In der Mitte der Region steht also der Abstand. Das mag man symbolisch auffassen, schließlich keimen Gemeinschaftsgefühle im Dreieck erst recht zart. Die 1929 vom Staat verordnete kommunale Neugliederung liegt manchem Einwohner noch heute schwer im Magen. Separatistische Ambitionen werden in den Stadtbezirken weiter kultiviert, die Identität aus kleinräumigen Verbindungen abgeleitet. In den drei großen Kommunen stecken viele Kleinstädte: Hinter Remscheid treten Lennep und Lüttringhausen hervor, deren vergangene Eigenständigkeit noch heute im Weichbild der Stadt ablesbar ist. Elberfeld und Barmen bilden die großen Kontrahenten des Wuppertaler Stadtgefüges, das sich auch Ronsdorf, Cronenberg und Vohwinkel einverleibte. Solingen vereinigte sich mit Wald, Ohligs, Gräfrath und Höhscheid. Alttägliche Eifersüchteleien der Stadtteile lassen ahnen, wie weit der Weg zu einer Bergischen Großstadt sein mag, die die IHK ins Gespräch gebracht hat. Im tiefen tiefen Tal Am verbindenden Moment der grünen Mitte setzt die Regionale 2006 an. Mit dem Gespür, dass gerade der Zwischenraum der Siedlungsgebiete Platz für Gemeinsamkeit bietet, hat sie an den Grenzen der Stadtgebiete Verbundprojekte positioniert. Müngsten symbolisiert die Brücken, die hier gebaut werden und künftig wachsen sollen. Im Drei-Städte-Eck gelegen sucht der „Brückenpark Müngsten“, die Verbindung von Ingenieurbau und Naturraum produktiv aufzugreifen. Wer ihn besucht, findet sich aber auch mitten im Netz der so genannten „Wandererlebniswege“. Sie inszenieren das Tal von Morsbach und Wupper als industriellen und natürlichen Wald mit Geschichte, Geschichten und Kunst. Während sie unmerklich zwischen den drei Städten pendeln, verschweißen die Wege die StoßY Berg- und Tal-Straße

kanten der kommunalen Gemeinwesen insgeheim zum regionalen Raum. Fließender Verkehr Andere Wege führen aus der Tiefe der Täler heraus und halten das Dreieck auf ihre Weise zusammen. Der Handel gehörte schon früh zu den Stärken der Bergischen Städte, schließlich schafft er die Rohstoffe herbei und sichert den Absatz der produzierten Waren. Transportwege waren so notwendig wie beschwerlich im bergigen Terrain anzulegen. Da die Wupper nicht schiffbar ist, bildeten die Täler für die Verkehrsverbindungen immer wieder Hindernisse und machten kilometerlange Umwege erforderlich. Die größte Verkehrsklammer bilden derzeit die Autobahnen. Sie umreißen das Städtedreieck als überregionalen Triangel. Die westliche A 3 bleibt, Solingen tangierend, auf Abstand. Im Osten verläuft die A 1 zwischen Remscheids Ortsteilen und dem Rand Wuppertals. Die nördliche A 46 durchschneidet das Siedlungsgebiet Wuppertals, wo sie fast innerörtliche Verbindungsqualität besitzt. Zur Erreichbarkeit innerhalb des Städtedreiecks tragen die Trassen freilich weniger bei. Einige Querspangen versuchen sich daran. Da sie keine großen Steigungen verkraften, bahnen sich die schnellen Straßen bevorzugt in Tallagen und längs der Hänge ihren Weg. Ein so wenig geländegängiges Verkehrsmit-

tel wie die Eisenbahn hätte am unwegsamen Wechsel von Berg und Tal scheitern müssen. Doch die Region gab sich mit den restriktiven Naturverhältnissen nicht zufrieden. Den Anfang machte schon 1841 der Bau der Eisenbahnstrecke zwischen Elberfeld und Düsseldorf, am Ende stand eines der dichtesten Eisenbahn-Netze. Wie in Müngsten überbrückten die Schienen ganze Täler, erschlossen selbst schmale Talböden und große Steigungen dem Bahnverkehr. Von pfiffiger Hangbewältigung berichten so einprägsame Namen wie Korkenzieher- oder Sambabahn. Doch wie überall stehen die Räder der Eisenbahn auch im Bergischen Städtedreieck auf vielen Trassen inzwischen still. Nach dem Rückzug des Bahnverkehrs bereichern einige dieser Strecken das Fuß- und Radwegenetz, das die Wuppertaler Nordbahntrasse bald ergänzen soll. Bahnverkehr herrscht dagegen bei den überregionalen Zugverbindungen wie auf der Kursbuchstrecke 458, die die Hauptbahnhöfe aller drei Städte verbindet. Wo der Weg durch Berg und Tal versperrt ist, schlägt der „Müngstener“ einen Bogen. Die direkte Verbindung zwischen Remscheid, Solingen und Wuppertal findet allein der Finger auf der Landkarte. Antonia Dinnebier

Naturkulisse mit künstlichem Gewässer - Obergraben eines Gewerbebetriebes

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Der Dichter Windgassen Gestern war ich im Altersheim und habe zusammen mit ihrem Sohn Wilfried Frau Milly besucht, die Frau von Jürgen Windgassen, der vor fünfzig Jahren mein Freund war. Sie wusste bestimmt nicht mehr, dass ihr Mann damals ertrunken war, denn sie erkennt niemand mehr; sie erkannte weder mich noch ihren Sohn Wilfried. Sie lebt da in einem winzigen Erkerzimmer, aber sie hat es allein, und es gibt sogar einen winzigen Balkon. Es ist ein Heim, wie ich viele kenne, ein Gesicht hinter der Pförtner-Glasscheibe, alte Menschen, die hin- und her schlurfen oder still in den Ecken sitzen, und durch die ereignislosen Räume geht die Frage mit mir, ob ich auch hier landen werde. Karl Otto Mühl

Wilfried, der Sohn, hat mir von sich erzählt. Er ist Industrie-Vertreter geworden - Hydraulikpumpen, die in Kanada produziert werden -, hat sich für seine bevorstehende Pensionierung eine Wohnung an der Ostsee gekauft und ist verheiratet mit einer geschiedenen schwedischen Professorenfrau, was er mehrfach erwähnt. Auch, dass sie weizenblond ist. Jürgen würde es mir noch öfter erzählen, wenn er noch lebte, er würde platzen vor Stolz auf seinen Sohn. Jürgen selbst wollte eigentlich immer etwas ganz anderes sein, mehr, besseres. Aber was? Er wollte ein anderer sein. Er schrieb Geschichten, aber das Schreiben war nicht der Mittelpunkt seines Lebens, es gelang eigentlich auch nicht; es zog ihn viel heftiger zu Frauen, aber es war keine Professorengattin erreichbar, er wollte, wollte, und über all dem Wollen entstand dann eben doch ein pralles, bemerkenswertes Leben, das nach über fünfzig Jahren von manchen noch nicht vergessen ist. Beim heutigen Besuch im Altersheim kam es mir so vor, als hätte die Demenz ihr Gesicht glatt und alterslos erhalten. Frisch und gesund sah sie aus, seine Frau Milly, obwohl sie auch über Achtzig ist. Jetzt ist es egal, ob sie einfältig oder klug war. Mich beruhigt, dass sie keinesfalls unglücklich sein konnte, sie wirkte wie ein neugieriges und aufmerksames Kind. Das freut mich für Jürgen, der ja nun schon lange da oben ist und auf sie wartet. Jürgen und ich, wir trafen uns in den ersten Nachkriegsjahren, oft, ja, manchmal sogar täglich, nicht selten zusammen mit anderen

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Freunden. Fast immer fuhren wir zu ihm, denn als Betriebsleiter der Bus-Reparaturwerkstätten war er da auf dem Betriebshof am Stadtrand zuverlässig anzutreffen. An einem milden Sommerabend auf einem Stapel Bahnschwellen sitzend, hatte uns der Dichter Windgassen einmal seine Vorstellung von einer glücklichen Liebesbeziehung erzählt, einer, wie z. B. ich oder mein Freund Karlheinz sie verdienen würde. Karlheinz suchte schon seit langem vergeblich eine Freundin. Dies hier war Jürgens Vorstellung: Der junge Mann begegnet einem Mädchen und er ihr, und beide schätzen sich aufgrund ihrer beiderseitigen Vorzüge. Von diesem Verhältnis haben beide Gewinn, und sie haben keinen Grund, es zu beenden, weil kein Wunsch nach einer Ehe im Raume steht. Der erst würde später zu einer Entscheidung dieser oder jener Art führen. Für Konflikte sei jedenfalls kein Anlass vorhanden. Wenn sich jemand, zum Beispiel Karlheinz, mit solch einer Auffassung sich auf die Suche begeben würde, sollte es nicht lange dauern, bis er eine liebenswerte Partnerin fände. Das Problem wurde besprochen, weil es eines der vielen Frauenprobleme von Karlheinz war, die allerdings alle hypothetischer Natur waren, die also geklärt wurden, ohne dass ihre reale Umsetzung stattfinden musste. Aber solche phantasievollen Vorstellungen, in denen alles konfliktlos verlief, waren ein großer Genuss für Jürgen. Nachdem das Thema abgehandelt worden war, verabschiedeten Karlheinz und ich uns von Jürgen Windgassen, zu dem soeben seine füllige, kleine Frau Milly getreten war, die mit gläubigem Blick zu ihm aufsah. Sie wollte ihn zum Nachmittagskaffee rufen. Jürgen Windgassen war der erste, auf den ich im Februar 1947 bei meiner Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft traf. In den nächsten Tagen die anderen. Er war Ingenieur, aber natürlich ein bunter Vogel, hatte diese dicke, einfältige, unendlich liebe Frau. Auch seine Liebe wankte nicht, wenngleich er ständig fremd ging. Er hatte ein faltiges Gesicht wie aus hellbraunem Leder und schrieb Tiergeschichten. Eine wurde irgendwo veröffentlicht, sonst nichts. Fremdgehen tat er zwischendurch in einem Goggomobil, was große Raumprobleme bereitet haben muss. Er hatte drei Kinder, an denen er ebenso hing wie an seiner Frau. Nachts buk er in


einem Kiosk die berühmte „Kroka-Borke“ (er war gelernter Bäcker), die seine Tochter in ihrem Kiosk tagsüber verkaufte. Morgens eilte er zum Dienst, saß aber zwischendurch am Schreibtisch, rannte wieder hinunter (sah vielleicht nach, ob ein unplanmäßiger Bus zurückkam), fuhr zu einer seiner Freundinnen (eine war Bäckerin, deren Mehlstaub-Spuren beim Heimkommen noch sichtbar waren), bekam manchmal Herzschmerzen. Dann legte er sich ins Bett und trank als Medizin ein halbes Dutzend Schnäpse. Ich saß einige Male bei ihm, er zeigte keinerlei Besorgnis über seine Gesundheit. Er war sogar gut gelaunt, ja, er schien immer glücklich, wenn sich ihm jemand zuwandte.

unsere Freundschaft eine mehrmonatige Unterbrechung. Ich weiß es noch, sehe es deutlich vor mir, wie es passierte: Karlheinz, ich und er spazierten durch einen Wald an einem sehr steil abfallenden Hang. Unten fließt unser bergischer Fluss, die Wupper. Er las uns seine neuesten Tiergeschichten vor. Eine handelte von einer weißhaarigen alten Frau in Ostpreußen, die vor loderndem Sonnwendfeuer zwei verfeindete, junge Burschen miteinander versöhnt, und das mit großer Geste, mit hoch erhobener Hand - „Noch wusste niemand, ob sie zum Segen oder zum Fluch erhoben wurde…“

Reise, darum war der Abschied besonders herzlich. Ich weiß noch, dass er mir sehr lange in die Augen blickte. Auf der Reise erreichte mich die Nachricht, dass er bei Rimini im Urlaub ertrunken war. „Heute bin ich richtig glücklich“, sagte er zu seiner Frau am Strand, sprang ins Wasser Herzschlag! Er fiel erst nach einiger Zeit als im Wasser treibend auf.

Er beherrschte das Betriebs-Areal, seine Leute mochten ihn. Auch eine Direktorsfrau zählte zu seinen Freundinnen, nicht zu erwähnen die vielen Polinnen, deren Männer er vor der Verschickung zur Zwangsarbeit bewahrte und die ihm angeblich die Hände küssten (er war im Kriege als Betriebsleiter in Polen). Viele Male fuhr ich nun, einige Nachkriegsjahre waren inzwischen vergangen, mit Vespa und mit Freundin zu unserem Betriebshof. Wir saßen draußen vor dem alten Schiefergebäude auf einem Holzstapel und dekretierten, wie gedichtet werden müsste.

Nach dieser Geschichte standen wir von unserem Baumstamm auf und spazierten weiter über den weichen Waldboden, um uns auf der nächsten Lichtung die neueste Tiergeschichte von Jürgen anzuhören, diesmal nur einen Anfang, denn er arbeitete noch daran. Ein Hirsch stieß auf einen anderen Hirsch und - da ritt mich der Teufel. Ich unterbrach Jürgen und zitierte: „Nun hob er die Pfote, noch niemand wusste, ob zum Segen oder zum Fluch“ - Diese Kränkung, die ich diesem gutherzigen Menschen zufügte, und die mich heute noch reut, bedeutete für mehrere Monate eine Pause in unserer Freundschaft. Jürgen war gekränkt, wie ich durch Karlheinz erfuhr.

Ach ja, kurz nach seinem Tod rief mich eine Frau an, wollte mich treffen, um mit mir über ihn zu sprechen. Wir trafen uns in einer dämmerigen Nordstadtkneipe. Sie hatte ein schmales, leidenschaftliches Gesicht, das Gesicht eines klugen Vogels, dachte ich; aber behalte deine Vorstellungen für dich. Neues erfuhren wir nicht voneinander, und helfen konnte ich ihr auch nicht. Sie trauerte um ihren Geliebten, um Jürgen. Ihr Ehemann war seit langem krank, die Beziehung war gleichgültig. Später habe ich oft überlegt, was sie sich von unserem Zusammentreffen erwartet hatte. Dabei war es doch ganz einfach: Sie wollte Jürgen noch einmal in die Gegenwart rufen, und sie wollte, dass ihre Liebe halbwegs öffentlich wurde. Was gar keiner weiß, was niemand anders wahrnimmt, scheint eben doch nicht wirklich wahr zu sein. Aber seitdem ist so viel Zeit vergangen. Sein Sohn Wilfried und ich sind übrig geblieben.

Wegen eines Scherzes über eine seiner Geschichten (war sehr witzig, aber schließlich doch grausam und unverzeihlich) hatte

Doch dann verabredeten wir uns wieder in seiner Mittagspause, neunzehnhundertzweiundsechzig war das. Ich stand vor einer

Foto Frank Becker

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Vom Kohlerevier zur Kulturmetropole Europas Dramatischer Strukturwandel: Essen und das Ruhrgebiet präsentieren sich als Kulturhauptstadt 2010

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Essen ist nach Berlin (1988) und Weimar (1999) erst die dritte deutsche Stadt, der die Ehre zuteil wird, sich als „Kulturhauptstadt Europas“ zu präsentieren (zusammen mit Pécs/ Ungarn und Istanbul). Essen — „Kulturhauptstadt Europas“ in diesem Jahr? Da werden sich selbst in Deutschland viele Menschen die Augen reiben. Die Verwunderung mag kaum geringer sein, wenn von der „Kulturmetropole Ruhr“ die Rede ist, mit der die Veranstalter werben. Denn zum ersten Mal, seit eine „Kulturhauptstadt Europas“ ausgelobt wird (1985), hat man eine ganze Region genommen, das Ruhrgebiet. Aus der Luft gesehen, wirkt es wie eine einzige Stadt. Grenzen zwischen den einzelnen Orten – im ganzen 53 – sind nicht zu erkennen. Aber es ist auch keineswegs die Agglomeration einer Großstadt, wie um London oder Paris. Die einzelnen Städte des Reviers sind unabhängig voneinander entstanden und gewachsen. Von einer polyzentrischen Metropole wird gesprochen, um das in Deutschland einmalige Phänomen zu fassen. Ein praktisches Beispiel aus dem Alltag der „Kulturmetropole Ruhr“: Fahre ich an einem Samstag vormittags nach Essen, um mir im gerade erneuerten Folkwang-Museum zeitgenössische Kunst anzuschauen, kann ich nachmittags in Gelsenkirchen oder Dortmund Bundesliga-Fußball sehen und abends in Bochum Theater, auf einer der besten Bühnen des Landes. Das Programm lässt sich auch schütteln: Vormittags Kunst in Dortmund, nachmittags Bundesliga in Bochum und abends Aalto-Oper in Essen. Und das alles mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ohne aus der Puste zu kommen. Die Wege im Pott sind kurz. Gelände der Passagen. Niemals hatte das Ruhrgebiet ein beherrschendes Zentrum, eine einheitliche weltliche oder kirchliche Gewalt über sich. Die Region war stets Grenz- und Durchgangsland, ein Gelände der Passagen: von den Handelsstraßen der Antike über mittelalterliche Pilgerpfade bis zu den Autobahnen und Kanälen neuzeitlicher Euro-Logistik. Seit der rasanten Industrialisierung des 19. Jahrhunderts handelt es sich zudem um Einwanderungsland. Die 5,3 Millionen Menschen, die hier zusammen leben, umfassen 170 Nationalitäten, neunzig Sprachen werden gesprochen.


Jeder Fremdling wird umgehend aufgesogen, ohne Ansehen seines Herkommens. Da lebt es sich leichter. Mit dem Ende der Industrialisierung, das ab 1960 einsetzte, hat eine unglaubliche Wiedergewinnung natürlicher Landschaft begonnen. Der Himmel über der Ruhr heute ist wirklich blau (wenn’s nicht regnet), aus den ehemaligen Dreckschleudern gigantischen Ausmaßes, mit Raumfluchten bis an die hundert Meter, sind längst Räume der kulturellen Nutzung geworden: die Jahrhunderthalle in Bochum, die Zeche Zollverein in Essen, der Gasometer von Berhausen. Kultur ist hier der Rohstoff, an Stelle von Kohle und Stahl. „RUHR.2010“ wird für einen weiteren Schub sorgen. Trotz des bescheidenen Etats (62,5 Millionen Euro)

ist Bleibendes geschaffen worden, wie die drei neuen Museen (Neubau FolkwangMuseum und das Ruhr-Museum auf Zeche Zollverein, beide in Essen, und das Kunstquartier in Hagen). Im Lauf dieses Jahres wird es 2500 Veranstaltungen geben, alle 53 Städte sind daran beteiligt. Zwei der Projekte setzen ganz auf die Zukunft: „Jedem Kind ein Instrument“ heißt die Initiative. Alle Erstklässler in den Grundschulen des Reviers erhalten die Möglichkeit, ein Instrument zu spielen. In fünfzig Konzerten sollen die jungen Musiker ihr frisch erworbenes Können zeigen können, unterstützt von vierzig kommunalen Musikschulen. Das PEN-Zentrum Deutschland hat sechs Autoren in sechs Städte geschickt („PEN an der Penne“),

um dort mit Schülern literarisch zu arbeiten. So kam ich nach Duisburg und habe drei Monate lang mit sechzehnjährigen Realschülern eine Geschichte erzählt, wie junge Menschen aus aller Herren Länder heute in der Region leben. Das Buch wird im Frühjahr in Gelsenkirchen vorgestellt. Ein Tag ist im Kalender schon dick rot angestrichen: der 18. Juli. An diesem Tag wird die Autobahn A40 gesperrt. Auf der sechzig Kilometer langen Hauptschlagader des Reviers, zwischen Duisburg und Dortmund, mit dem höchsten Verkehrsaufkommen im Land, wird es für sieben Stunden keinen Lärm geben und keine Abgase. Stattdessen eine sechzig Kilometer lange Tafel aus 20000 Tischen. Die Gegenfahrbahn ist nur für Radler frei. Diese soziale Plastik wird sich einprägen als Bild. Und so manche Currywurst, die Leibspeise im Pott, wird dabei dran glauben müssen. Und wohl auch das eine oder andere Pils. Michael Zeller

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Der Wahrheit verpflichtet Ein Portrait des Bildhauers Udo Meyer

Als Junge hat er Steine gesammelt, ihre Beschaffenheit und Gestalt betrachtet. Die Faszination des Materials hat ihn gefangen genommen, und der Wunsch, das Geheimnisvolle des Steins zu ergründen, ist ihm seit damals erhalten geblieben. „Es muss einfach fesseln“, sagt Udo Meyer (71), „die Berührung mit den in Äonen gewachsenen Stoffen aufzunehmen, die Abenteuerlichkeit ihrer Äderungen zu verfolgen, schließlich Hand und Werkzeug anzulegen und dem Stein Form und Aussage abzufordern. Die Natur war vor uns da, man muss sie mit Respekt behandeln.“ Das Sammeln, die Faszination und der Respekt vor der Natur und dem, was sie ihm als Ausgangsmaterial für seine bedeutenden Arbeiten zukommen lässt, ist ihm geblieben. Sein Naturstudium führte Meyer zum Grundsätzlichen, er machte eine Steinmetzlehre und schloss 1959-63 ein Studium bei Kurt Schwippert an der Werkkunstschule Wuppertal an, das er 1963-66 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Zoltan Székessy fortsetzte. Seitdem arbeitet er als freischaffender akademischer Bildhauer, zunächst in Berlin, seit 1969 wieder in seiner Geburtsstadt Wuppertal. Die Atelierwohnung im Künstlerdomizil Auf der Königshöhe gibt einen Eindruck der Entwicklung seines Schaffens und der Hinwendung zum Menschen. Er experimentiert, ist neugierig auf die Werkstoffe, die er bedächtig erforscht. Er nimmt den Dialog mit dem Material auf, das er verarbeitet und achtet und er steckt voller Geschichten über seine Werke und deren Entstehung. Dazu bietet sein Atelier einen pittoresken Hintergrund. Beim Erzählen werden die Glut und die Begeisterung spürbar, die Grundlage seines Schaffens sind.

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Atelieransicht Königshöhe Meyer ist kein Angepasster, er verweigert sich jedem Trend und dem kommerzorientierten Kunstbetrieb. Kleinkariertheit und Anbiederung an den Markt sind ihm zuwider. „Wenn man den Mühlstein aufnimmt und wird Künstler, muss man konsequent die eigenen Dinge verfolgen, den Weg auch gegen Strömungen und Richtungen gehen. Geschmäcklerisches muss vermieden werden. Charakter und das richtige Maß zählen.“ Meyer, der als Vorbilder Lehmbruck, Brancusi, Giacometti und Donatello nennt, sieht sich als gegenständlicher Bildhauer, dem Material, seinem Wuchs und seiner Struktur verpflichtet. Er lässt sich für die Ausführung des künstlerischen Plans einen großen Spielraum zwischen Abstraktion und natürlichem Vor-Bild, lässt „Übersetzungen“ stattfinden. Es geht ihm neben der figürlichen Darstellung um das Menschenbild - nicht zu verwechseln mit dem Abbild des Menschen. Skulptur

und Plastik stellen der Ästhetik und der erotischen Ausstrahlung wegen vorzugsweise den weiblichen Körper dar. Meyer nimmt sich da nicht aus. Seine Bronze „Mutter“, in der Rosenau in Oberbarmen aufgestellt und der „Torso“, neben vier anderen Arbeiten im Besitz des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, zeugen von der Faszination und Anziehung des Weiblichen. Das Formen aus Gips, Ton und Wachs ist ihm wegen der großen Möglichkeiten beim Modellieren neben dem Hauen aus dem Block besonders lieb. Stein- und Bronzeguss haben sich bewährt, Holz als Material in seiner gewachsenen Form aber auch Knochen gewinnen an Bedeutung. In Ästen aus dem Hartholz Buchsbaum findet er sich dehnende, schlanke Körper und legt sie frei, aus Suppen- und Rinderknochen arbeitet Meyer Reliefs von beeindruckender Zartheit heraus.

Weib, 1978, 50 cm hoch, Gips

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Die Härte des Materials ermöglicht bei Überwindung des Widerstandes auch im Relief eine enorme Plastizität. Kraftvolle Frauenakte, wuchtige Marmorarbeiten wie das „Ohr“, dem einer seiner Schüler den Namen „Atlantis“ gab, charaktervolle Büsten, kopfstehende Köpfe, fast transparente Arbeiten in Alabaster und liebevolle Kleinplastiken entstehen in Meyers Werkstatt. Zerlegbare Stücke, filigrane Puzzles voller Überraschungen, offenbaren nach dem „Aufbrechen“ unter glatter Oberfläche ihren verborgenen Inhalt, ihr geheimes Inneres. Seine „Kleine Erdgöttin“, ein heiteres Wesen mit bronzenen Löckchen und festen kleinen Brüsten ist von ungeheurem Charme. Mit Humor und Tiefsinn passt er einem aus Gips geformten Gesicht zwei Schneckenhäuser aus dem Garten ein – der Ausdruck ist verblüffend. Ausdrucksvolle mit Buntstiften ausgeführte Farbzeichnungen

Transparenz, 1985, Alabaster, 40 x 40 cm

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ergänzen in jüngerer Zeit Udo Meyers Œuvre. Sein Schaffen entspringt - Zitat: „Dem Trieb zur Vollendung, wobei man das Frieren und den Durst überwinden lernen muss!“. Ohne Frage gehört der Bildhauer Udo Meyer zu den wirklich wichtigen zeitgenössischen Künstlern der Region. Weil er ein Unangepasster ist, als Schwieriger gilt, der sich nicht vereinnahmen lässt, hat er in den letzten Jahren weniger Beachtung und öffentliche Förderung erfahren, als seinem hohen künstlerischen Rang angemessen wäre. Die eindrucksvollen Ergebnisse seines Strebens haben jedoch Anspruch auf eine adäquate Rezeption. Der oben erwähnte „Torso“ ist ein Werk von unerhörter Dynamik, faszinierende Verkörperung des Weiblichen und in seiner Wesentlichkeit eines der schönsten plastischen Kunstwerke im Bestand des

an internationalen Werken reichen Von der Heydt-Museums. Seit Udo Meyer der Eduard von der Heydt-Förderpreis der Stadt Wuppertal im Jahr 1978 zugesprochen wurde, haben größere Ehrungen auf sich warten lassen, was zu bedauern ist. Udo Meyers Œuvre ist bedeutend und Wuppertal wäre gut beraten, die Arbeit dieses in Werk und Persönlichkeit beeindruckenden Künstlers adäquat zu würdigen. In Wuppertal ist noch manch ein Denkmalsockel frei. Text und Fotos: Frank Becker


Den Prinzipien treu Carlos Granger – ein Einzelgänger der britischen Bildhauerei

Ausstellung Artweb24>Kunstraum, Düsseldorf 2003

Gibt es so etwas wie eine „typische“ britische Bildhauerei? Im Skulpturenpark Waldfrieden stellt Tony Cragg derzeit seinen Landsmann Richard Long vor, einen Hauptvertreter der Land Art, der neben konzeptuellen Handlungen – tagelange, fotografisch dokumentierte Märsche – und Tonschlamm-Kreisen an der Ausstellungswand vor allem geometrische Grundformen aus Steinen, Torf, Schwemmhölzern im Innen- und Außenraum erstellt. Im Grunde sind diese vielteiligen Anordnungen noch Tony Craggs frühen Werken mit angeschwemmten Fundstücken verwandt. Hingegen bedeuten Craggs jüngere Arbeiten eine Rückkehr zu den „klassischen“ Parametern von Skulptur als Körper: hin zu geschlossenen oder umfangenen Volumina, zu einer allansichtig organischen

Form, welche häufig mit einem bewegten Emporwachsen verbunden ist. Es macht Sinn, auf eine weitere „britische“ Position aus einer wenig älteren Bildhauer-Generation hinzuweisen, auf das Werk von Carlos Granger. Granger ist mit Tony Cragg in den skulpturalen Fragestellungen und mit Richard Long in der primären Grammatik verbunden. Dabei überraschte der 76jährige Bildhauer zuletzt durch plastische Arbeiten, mit denen er – auf den ersten Blick – seine eigenen Prinzipien zu verlassen schien. Erstmals im Frühjahr 2008 waren in seiner Amsterdamer Galerie plastische Körper aus geschichteten, zueinander versetzten Plättchen ausgestellt, die in ihrer Gesamtheit ein offenes Volumen umreißen. Versehen mit einem deckend monochromen Farbüber-

Foto: © Norbert Faehling, Düsseldorf

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Atelier in den Loods, Surinamkade, Amsterdam 2002 Foto: © Lisette Romme, Amsterdam

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zug, sind sie zugleich Fläche und Raum. Sie zeigen Stabilität und Robustheit und sind doch aus der lotrechten Axialität gerückt. Als Bodenstücke mit einem Minimum an Auflagepunkten lassen sie ebenso an futuristisches Design denken wie sie selbst für die Raumfahrt gemacht scheinen, die Vorstellung von Satelliten aufrufen. Dabei sehen die Plastiken von jeder Seite anders aus, sind also zu umgehen, jedoch nie ganz zu erfassen – und immer wieder kommt man auf die Vorstellung von Architektur zurück, noch mit der Geschichte der konkreten Kunst (und im Wissen um die holländische Künstlergruppe De Stijl) im Hinterkopf. Aber so anders die neueren Plastiken dieses britischen, seit 1989 in Amsterdam lebenden Bildhauers aussehen: Der Geist und das Gefühl für Skulptur sind doch unverändert geblieben. Tatsächlich ist Carlos

Granger ein Traditionalist, im besten Sinne. Was die neueren Plastiken beträfe, sagt Granger im Gespräch, so sei es ihm darum gegangen, auf größere Dimensionen hin als sonst zu arbeiten und zugleich das Gewicht zu minimieren. Carlos Granger gehört zu den stillsten, konzentriertesten und kompromisslosesten Vertretern der gegenwärtigen britischen Bildhauerei. Ungeachtet aller Trends und gegenläufig zu allen Anforderungen einer zügigen Produktion realisiert er seine Arbeiten über lange Zeit und in aufmerksamer Hinwendung, als müsste er sich jedes Mal an die Materialien und Formlösungen herantasten. Im Atelier im Amsterdamer Hafen entstehen etliche Plastiken parallel, die Zustände werden aus verschiedenen Perspektiven und unter verschiedenen Lichtverhältnissen betrachtet – mithin ist


Grangers „Workshop“ in den Loods der Surinamkade ein Arsenal der Möglichkeiten, bei dem plastische Skizzen neben fortgeschrittenen Ideen versammelt sind. Daneben lagern ältere Plastiken, an der Wand hängen Postkarten mit von ihm bewunderten Werken aus der Kunstgeschichte wie auch aus der Stammeskunst. Neben dem vergleichenden Sehen, der Sicherheit und dem Zweifeln am eigenen Tun ist wahrscheinlich auch die Erfahrung der sichtbaren Umgebung eine Quelle des Einflusses. Das Atelier blickt auf das Wasser mit den Hafenanlagen. In der Nachbarschaft ragen Neubauten empor, verknappt in ihrer Erscheinung, andererseits mit Auskragungen, die den blockhaften Eindruck dieser Zweckarchitektur relativieren. Carlos Granger wurde 1933 in Wisbech/ Cambridgeshire geboren. Er hat am St. Martin’s Collage of Art in London studiert, in der legendären Klasse von Anthony Caro, dem berühmten Stahlbildhauer, der von England aus die Skulptur gleichsam neu erfunden hat. Caro hat eine ganze Generation an Bildhauern geprägt, die anschließend weltweit Erfolg hatten, darunter William Tucker, Philip King, Tim Scott. Carlos Granger, der zunächst etliche Stipendien erhalten hat, beschreitet schon frühzeitig einen eigenen Weg. In den 1970er-Jahren zieht er sich ganz aus der Bildhauerei zurück, erstellt nun Fotografien mit Stillleben wie auch mit Landschaften. Und er fotografiert die Skulpturen von Caro und einigen seiner Kollegen: Der genaue Blick, das Arbeiten mit Licht und Schatten, die Hinwendung zu den Details, die für die Komposition relevant sind und in der fotografischen Übertragung auf die Fläche nicht verloren gehen dürfen, damit der Einbezug des Betrachters als Rezipient – all das beschäftigt ihn und erweist sich dann als grundlegend für seine eigene Bildhauerei. 1982 nimmt er diese mit dem Ma-

terial Holz wieder auf, seit 1985 wendet er sich Fundstücken aus Eisen zu. Er arbeitet mit großen Flächen und stereometrischen Körpern, die er zueinander setzt. Schon diese früheren Arbeiten verfügen über einen monochromen Überzug oder eine einheitliche Patina, welche die plastische Klarheit, eine formale Strenge bei spielerischem Ansatz betonen. Mit solchen Arbeiten tritt Granger auch in Deutschland, vor allem im Rheinland, in Erscheinung. Seine damaligen Arbeiten kaschieren die eigentliche Materialität, überspielen das Additive, sind schon mehr Objekt als Skulptur, so dass die weitere Reduktion und Offenlegung der Verhältnisse, die Granger im Laufe der 1990er-Jahre vollzieht, konsequent ist. Dazu gehört die Ausrichtung auf dem Boden, auch wenn es sich zum Teil um Sockelstücke handelt, die Verwendung von Eisenpartien, die übereinander gesetzt und mit Beton umgossen sind, wobei die Konstruktion über ein aufwändiges Gerüst im Inneren aufgebaut wird. Diese eher

moderaten Formate sind an der Horizontalen orientiert, teils wachsen sie in Schichten in die Höhe. Einzelne Eisenröhren, die durch den Beton führen, ermöglichen den Durchblick. Die Eisenteile sind braun patiniert, der weißliche Beton ist noch geklärt, wobei Granger mitunter Aufwerfungen stehen lässt und in die Komposition einbezieht – Aspekte also, die andere Künstler zeitgleich mit großer Geste entwickelt haben und die etwa die Umwidmung von Fundstücken vom Schrottplatz oder die Verwendung von Beton für Bodenplastiken betreffen, hat Carlos Granger hier auf eine stille, beharrliche Weise entwickelt. Aber man täusche sich nicht: Granger rührt hier an den Parametern unserer Wahrnehmung. Er sensibilisiert für die genaue Betrachtung und lehrt uns, dass wir mittels der Schwerkraft auf den Füßen stehen, mit dem Kopf an der höchsten Stelle. Und er ermöglicht die Assoziation zu Phänomenen unserer urbanen Umgebung und hinterfragt diese, indem er sie freilegt. Wie gesagt, er vereint noch die fundamentalen Errungenschaften von so unterschiedlichen Künstlern wie Tony Cragg und Richard Long – und schärft im Umkehrschluss den Blick für deren Qualitäten. Thomas Hirsch Die Ausstellung von Richard Long im Skulpturenpark Waldfrieden ist bis 18. April zu sehen. Dort sind auch permanent die Plastiken von Tony Cragg ausgestellt. Abb. oben auf der Seite: Against, 2005/06, Beton, Stahl, Farbe, H 41 cm, 85 x 10 cm (zwei Ansichten) Galerie Josine Bokhoven, Amsterdam Foto: © Tom Haartsen, Oudkerk links oben: Colony, 2007, Sperrholz, MDF, Farbe, 54 x 56 x 45 cm Galerie Josine Bokhoven, Amsterdam Foto: © Tom Haartsen, Oudkerk links unten: Snag, 2007, Sperrholz, MDF, Farbe, 60 x 59,5 x 105 cm Galerie Josine Bokhoven, Amsterdam Foto: © Tom Haartsen, Oudkerk © für alle Arbeiten: Carlos Granger, courtesy Galerie Josine Bokhoven, Amsterdam

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Kronen machen Leute „König Lear“ als Reise nach Jerusalem In der deutschen Fassung von Werner Buhss

Inszenierung: Marcus Lobbes Dramaturgie: Oliver Held Bühne und Kostüme: Pia Maria Mackert Video: Michael Deeg Fotos: Sonja Rothweiler Besetzung: Sophie Basse Thomas Braus Gregor Henze Maresa Lühle Andreas Möckel Juliane Pempelfort

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Mörderisches Drama Es ist eines von William Shakespeares (1564-1616) blutigsten, mörderischsten Dramen, verstörend ob der hemmungslosesten Gewalt in den Köpfen und Herzen des negativen Teils der dramatis personae: „King Lear“. Unmittelbar vor „Macbeth“ und kurz nach „Othello“ im Jahr 1605 entstanden, greift das Stück ganz tief in die Versatzstück-Kiste der Königsdramen und die Gruselschublade des „Titus Andronicus“ (1593). Die Rolle des Königs, der seinen Machtanspruch zugunsten seiner Töchter aufgeben will, die einzig ehrliche der drei verstößt und seinerseits von den beiden anderen verstoßen wird, gehört zu den größten Charakteren der Theaterliteratur. Bernhard Minetti hat ihn u.a. gespielt, Rolf Boysen und Marianne Hoppe. Man konnte gespannt sein, welches Mitglied des ausgedünnten Wuppertaler Ensembles den Lear geben würde – und wurde überrascht.


Lear kompakt und burlesk Nicht einer, nein alle Darsteller und Darstellerinnen auf der bestechend einfachen Guckkasten-Bühne treten als König Lear und als jede andere der in der radikal gestrichenen Bearbeitung von Marcus Lobbes (Regie) und Oliver Held (Dramaturgie) verbliebenen gerade mal acht Figuren an die Rampe – das sei bitte wörtlich zu nehmen, denn in hergebrachter Theater-Tradition agierten die Schauspieler überwiegend an der Rampe und en face zum Publikum. Die enorm gestraffte Fassung von einer Stunde und 45 Minuten ohne Pause wirkte nicht nur wie ein Schnelldurchlauf, es war einer. Das jedoch nicht zum Schaden des Dramas, wenn auch ein deutlich empörtes älteres Ehepaar im zur Schau gestellten Besitze von Reclams Schauspielführer missbilligend raunend den Kopf schüttelte. Das galt denn wohl auch der ungewohnten Handhabung des mörderischen, todernsten Stückes, denn Marcus Lobbes hatte etwas gewagt, was bei dogmatischen Shakespearianern sicher als Sakrileg betrachtet wird, dem von der Bleischwere mancher Lear-Inszenierung übersättigten Theaterfreund hingegen Luft und Lust verschaffte: Lear kompakt und burlesk. Das geht nicht? Das geht! Kronen machen Leute Fanfaren von den Mündern des Ensembles kündigen den Auftritt Lears an, die zu den nahezu identischen grauen zeitgenössischen Kostümen jeweils gewählten Kronen stehen für die entsprechende Rolle. Lassen Sie mich jetzt und hier nicht den ganzen verworrenen Apparat des Dramas abrollen, in dem neben Lears Schicksal und dem seiner Töchter Goneril, Regan (böse), Cordelia (gut), das des Getreuen Kent und in einer Parallele zu Lear das des Grafen Gloucester (hier schreibt er sich Gloster) und seiner Söhne Ed-gar (gut) und Ed-mund (böse) auf die dramatische Spitze getrieben wird. Der gute Shakespeare hat es ja mit der Verwirrung von Handlungsfäden. Worauf es ankommt, ist die „Entsprechung des inneren Chaos der Protagonisten mit dem äußeren Chaos der Natur“ (Oliver Held). Das gelingt den hervorragend besetzten

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und vortrefflich agierenden sechs Darstellern, die sich die acht Rollen im geradezu amüsanten fliegenden Wechsel ähnlich einer Reise nach Jerusalem teilen, eindrucksvoll und mit bissigem Humor. Der gelegentliche Blick an die Wand, unter welchem Namensschild sie jetzt stehen und welche Krone sie dafür aufsetzen müssen, ist mit Witz inszeniert und wird mit Spielwitz umgesetzt. Tapfer Sophie Basse, die sich nach 40 Minuten blutig und schmerzhaft am Knie verletzte und dennoch ungebremst weiterspielte. Mit Blindheit geschlagen Ein Entkommen aus dem mit Script-Seiten ausgeschlagenen Bühnenkasten ist den Figuren ohnehin nicht möglich, sie müssen sich in ihrer kleinen Welt arrangieren, über der als Wortspiel groß und grob hingepinselt „LEER“ steht. Wenn nach 70 Minuten unter Sausen die Rückwand mit der fürstlichen Nomenklatur ins Dunkel der Hinterbühne und die Blindheit Gloucesters fällt, ist das Ende eingeläutet. Figur um Figur legt zum Zeichen ihres dramatischen und tragischen Hinscheidens ihre Krone vor der Rampe ab und tritt ins Dunkel des Orkus. Und am Schluss bleibt ein Stuhl übrig. Hoffnung jedoch in keiner Form. Selbst der einzige Überlebende Ed-gar kann nicht als deren Träger gelten. Lobbes geht hier noch einen Tic über Shakespeares vernichtende Intention hinaus. Eine wirkliche Perle des aktuellen Bühnengeschehens dieser Saison an einem Haus, das durch die defizitäre kommunale Finanzpolitik in seinem Bestand bedroht ist. Mit der Blindheit eines Gloucester sind anscheinend auch die Wuppertaler Stadtväter geschlagen. Hier wird VollblutTheater gezeigt, wie es auch dem Stratforder William S. gefallen hätte. Eine dringende Empfehlung. Frank Becker Fotos: Sonja Rothweiler Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de

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Neue Kunstbücher Helden der Malerei Neue Kunstbücher, vorgestellt von Thomas Hirsch

Anfängen der Mosaiken zur Ausstattung von Sakralbauten bis zur Blüte und schon bald Ablösung durch die Wandmalerei im 14. Jahrhundert. Vorgestellt werden die wichtigsten Mosaiken aus neunzehn Sakralbauten. Ihre Anonymität aber ist der Frühzeit der Kunst und dem dienenden und kollektiven Arbeiten „geschuldet“, und doch lassen sich Einzelpersönlichkeiten festmachen, von denen die Konzeption oder Teile der Ausführung stammen, etwa Cimabue und Giotto. Also, die Malerei lässt hier schon grüßen, ja, sie erlebt hier einen Höhepunkt – und bereitet noch die Renaissance in Italien vor.

Joachim Poeschke, Mosaiken in Italien 3001300, 430 S. mit 300 farb. Abb., Leinen mit Schutzumschlag im Schuber, 32,5 x 27 cm, Hirmer, 138,- Euro. Die dickleibige, in ihren teils doppelseitigen Darstellungen beeindruckende Neuerscheinung zu den frühchristlichmittelalterlichen Mosaiken in Italien ist in ihrer Pracht gar nicht so überraschend. Sie widmet sich angemessen objektiv und analytisch eben einem der hinreißendsten Kapitel dieser Epoche. Als Kunst, menschliche Figuren in gläserner Materie darzustellen, und als Malerei für die Ewigkeit hat man die Mosaiken im Mittelalter und in der Renaissance bezeichnet. Sie versöhnen zwischen den Gattungen, indem sie die Malerei intendieren und auf die Architektur hin entstehen, deren Wirkung sie noch herausarbeiten. Und vor allem: Licht und Materie steigern die symbolische Signifikanz der christlichen Darstellungen, stehen für Kostbarkeit, sakrale Bedeutung und Transzendenz. Das Buch „Mosaiken in Italien 3001300“ ist freilich auch im Hirmer-Verlag erschienen, der mit zum Vornehmsten seiner Zunft gehört und nun mit Joachim Poeschke einen Spezialisten als Autoren vorweisen kann, der gut lesbar und mit wissenschaftlicher Gründlichkeit die Abbildungen einleitet und begleitet. Der Zeitrahmen des Buches reicht von den

Ein weiteres Beispiel für gelungene Neuerscheinungen ist „Van Goghs Vermächtnis“ im Belser Verlag, das sich konsequent den Bildern der letzten 70 Tage im Leben des großen niederländischen Malers widmet. Vincent van Gogh wurde 1853 in der niederländischen Provinz Nordbrabant geboren, ab 1882 beginnt er zu malen, er folgt 1886 seinem Bruder Theo nach Paris und lernt dort die Malergrößen seiner Zeit kennen. 1888 zieht er nach Arles; hier verstümmelt er sein rechtes Ohr infolge eines psychischen Anfalls. 1889, die geistige Verwirrung hat zugenommen, lässt er sich in die Heilanstalt bei Saint-Rémy in der Provence einliefern, er wechselt im Jahr darauf nach Aivers-sur-Oise, unter die Obhut des Arztes Gachet. Am 27. Juli aber schießt er sich eine Kugel in die Brust, zwei Tage später stirbt er. – Der Biographie van Goghs einerseits, dem Wesen seiner Malerei andererseits ist die nun vorliegende Monographie auf der Spur, indem sie sämtliche Bilder der letzten Zeit in chronologischer Reihenfolge zeigt und kommentiert, begleitet noch von Auszügen aus den Briefen, die in Verbindung mit den Bildern den Eindruck eines temperamentvollen, innovativen Malers, also nicht die Vorstellung innerer Zerrissenheit vermitteln. Die Gemälde selbst zeigen Wiesen, Blumen, Bauerngehöfte, Korngarben aus der unmittelbaren Anschauung in expressiv lebhafter und

W. van der Veen/P. Knapp, Van Goghs Vermächtnis, 304 S. mit 280 üwg. farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 28,5 x 24 cm, Belser, 49,90 Euro. gekonnter Malerei – sie gehören zum Besten aus der Hand Van Goghs. Dass noch im Buch Van Goghs Schwägerin Johanna Bonger ein ausführliches Kapitel gewidmet ist, erweist sich als glückliche „Beigabe“: Sie ist es, die seinen Nachlass für die Nachwelt bewahrt hat. Ein anderes Schicksal ist dem Maler Anselm Reyle für die Gegenwartskunst zugedacht. Mit seinen gegenstandsfreien, farbbezogenen und Raum schichtenden Malereien und Bildobjekten ist er ein Darling des Feuilleton und damit des Kunstvermarktungs-Betriebs. Reyle ist ein Kind dieser Tage, der die vertrauten Oberflächen, die Glanz-Effekte und Farbtöne mit dem Retro-Look des Psychedelischen wie auch dem Neo Geo kombiniert. Reyle knautscht Glanzfolien, mit denen er Wirkungen der Op Art erreicht. Er greift auf Klischees zurück, die bis ins Kitschige reichen, und daneben steht der durchaus edle Umgang mit Farbbahnen und Farbflächen, die sein Werk der essentiellen Malerei zuordnen lassen. Positiv gedeutet: Malerei wird zum Ausdruck unserer Zeit mit ihrer Beschleunigung. Entsprechend ist sie Fastfood für

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Neue Kunstbücher

Jünger als Reyle ist nur Adrian Ghenie: ein Maler, der 1977 in Rumänien

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MERCURY GRACE

unsere Augen, und lässt uns doch immer wieder verblüfft innehalten. Der 1970 geborene Maler ist damit extrem erfolgreich, fährt sozusagen auf der Überholspur des Kunstgeschehens, dazu passt auch die überbordende Bilder-Produktion, welche die serielle Arbeit, Hinwendung zum Ready-made und die Rückkehr zu spezifischen Phänomene und Bildlösungen nach längerer Zeit umfasst. Neben den noch aktuellen Katalogen der Kunsthalle Zürich (2006) und der Kunsthalle Tübingen (2009) liegt nun also das große, monumentale Buch „The Art of Anselm Reyle“ des DuMont Verlags vor. Es lässt nichts aus, geht auf die Nerven, zeigt in seiner Ausführlichkeit, wie schmal tatsächlich doch das Werk ist (was nicht weiter überrascht, denn es umfasst gerade ein Jahrzehnt). Aber so ärgerlich das unhandliche, wichtigtuerische Format, das faktische Gewicht, die kokette Einführung von Uta Grosenick – so nahe kommt man dem Werk von Anselm Reyle sonst nur vor den Bildern. Die Drucker, der Verlag haben keine Mühen gescheut: Reyles Werk, das sich mit seinen reflektierenden Flächen und der radikalen Konzentriertheit auf Farben und Oberflächen so undankbar reproduzieren lässt – das Werk, die Bilder erschließen sich.

CADMO

U. Grosenick (Hg.), The Art of Anselm Reyle, dt./engl., ca. 400 S. mit 270 farb. Werkabb., Hardcover, 37,5 x 30 cm, DuMont, 228,- Euro.

geboren wurde und heute dort und in Berlin wohnt. In den letzten Jahren ist er mit seiner realistischen, oft figurativen und neuerdings collagenartigen Malerei in einigen Einzelausstellungen und auf wenigen wichtigen Themenausstellungen in Erscheinung getreten – für seine kurze Biographie und sein knappes Werk fällt das Buch, das nun bei Hatje Cantz erschienen ist, ausgesprochen großzügig aus. Ob da die Galerie auf einen Aufmerksamkeitseffekt hofft, mit den Bildern gleichsam als Aktie? Manchmal klappt’s. Nun, Adrian Ghenie praktiziert eine Malerei, die aus der Biographie (seinen Erfahrungen im Osten und mit dessen Auflösung) heraus geschichtsgesättigt ist und nun eine Aneignung der (westlichen) Kunstgeschichte vornimmt. Seine Bilder sind dunkel, verhangen, die Farbe ist breit gestrichen – zumeist ereignen sich die Geschehnisse in Innenräumen, die etwas Privates oder Abweisendes besitzen. Mithin steht Ghenie in Traditionen einer neueren kritischen Historienmalerei, welche von Anselm Kiefer über Luc Tuymans und Michael Raedecker hin zu Wilhelm Sasnal reicht. Aber fügt er soviel Neues hinzu, und ist seine Malerei, unterstützt durch das Pathos des malerischen Vortrags, das Clair obscur und die zeitgeschichtliche, im Titel betonte Darlegung, nicht zu theatralisch? Und nicht wesentlich spekulativ? Die Zeit wird zeigen, ob dieser Aufwand, dieses Forum für einen 32jährigen Maler nicht eine Nummer zu groß ist.

Lichtbogen

J. Judin (Hg.), Adrian Ghenie, engl., 120 S. mit 80 farb. Abb., Halbleinen, 28,6 x 27,8 cm, Hatje Cantz, 35,- Euro.

Frank Marschang e.K. Karlstraße 37 42105 Wuppertal Tel. 0202 . 244 34 40 Fax 0202 . 244 34 39 www.lichtbogen-wuppertal.de info@lichtbogen-wuppertal.de


„Ich war immer ein unruhiger Geist!“ Der Verleger, Galerist und Kunsthändler Hans Putty wäre am 27. Februar 100 Jahre alt geworden.

Foto (privat): von links: Hans Putty, Bengt Berg, Sigbert Mohn (Fünfziger Jahre) bei Verhandlungen in Kopenhagen

Als 1945 der Wahn vom „Großdeutschen Reich“ in den Trümmern deutscher Städte verrauchte, gab es buchstäblich nichts mehr. Natürlich fehlte es auch an aktuellem und politisch unbelastetem Lesestoff, nachdem die gleichgeschalteten Verlage und Zeitungsredaktionen von den Besatzungsmächten aufgelöst worden waren. Das erkannte in Velbert geborene und bei Kriegsende in Wuppertal lebende damals 35 Jahre alte Schriftsetzer Hans Putty, der sich mit den braunen Herren nicht gemein gemacht hatte, auf der Suche nach einer Möglichkeit, seine Familie über die Zeiten der Not zu bringen, und genau in diese Lücke stieß er. Sein tägliches hartnäckiges Vorsprechen bei der britischen Militärregierung, die damals im Polizeipräsidium der zerstörten Stadt saß, führte schließlich dazu, dass man ihm, der politisch und moralisch unbelastet war, die VerlagsNummer 1 der britischen Zone zuteilte. Noch 1945 konnte er so die erste in Wuppertal wieder allgemein zugängliche Zeitung herausgeben, die „Mitteilungen der Militärregierung“. Im Straßenverkauf wurde die mit 120.000 Stück erstaunlich hohe Auflage für 15 Pfennige pro Exemplar des vier bis acht Seiten starken Blattes abgesetzt, bis die Verlage der großen Zeitungen wieder ins Tagesgeschäft einstiegen. Hans Putty widmete sich fortan dem Verlegen von Büchern. Der Wunsch, immer etwas Neues ins Leben zu rufen, gab ihm die Kraft und trieb ihn stets an, wenn Wechsel nötig wurden. Zu den ersten Büchern, die er ab 1946 in seinem „Hans Putty Verlag“ herausbrachte, gehörten ein englischer Sprachführer und ein zweisprachiges Bändchen mit Gedichten Paul Verlaines. Es folgten Otto Böttchers „Vom Wesen der deutschen Romantik“ (mit Illustrationen im Kunstdruck!), eine zweibändige Novalis-Ausgabe, Goethes „Reineke

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Hans Putty, 1939 Foto: (privat)

Hans Putty und Ehefrau, Ende der 90er Jahre, Foto: (privat)

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Fuchs“ und Jugendbücher wie „Vier Schwestern“ von Louisa M. Alcott und Bengt Bergs „Arizona Charley´s Junge“. Das rare damals stark holzhaltige Papier dazu beschaffte er sich in Zusammenarbeit mit einem Vertreter der Fa. Seiler-Papier, mit dem er in einem von der Militärregierung zur Verfügung gestellten Auto die Papierfabriken abklapperte. Später stieg Putty ins lukrative Schulbuch-Geschäft ein, verlegte einige Wuppertal-Bildbände und Broschüren im Auftrag der Landesregierung - und er entwickelte die Idee einer „Kleinen Reihe“, die später formatgleich von seinem Geschäftsfreund Sigbert Mohn für den Bertelsmann-Lesering übernommen wurde. Diese „Kleine Reihe“ ist ihm das liebste Produkt seines Verlages geworden. Weil alles so gut klappte und sich in dem Ronsdorfer Brotfabrikanten Michel ein Mäzen fand, gründete Hans Putty in den Fünfziger Jahren noch einmal eine Zeitschrift, „Die Welt des Orients“. Das Blatt erschien in dem dafür gegründeten „Abendland- Verlag“ und wurde seinerzeit von Universitäten im In- und Ausland gehalten. Hans Putty hatte sich zwischenzeitlich an der Elberfelder Traditionsdruckerei Martini & Grüttefin beteiligt und in deren Geschäftsräumen in der Genügsamkeitsstraße eine kleine Galerie gegründet, in der er moderne Graphik anbot: Bagheer, Terry Haas, Hans Hartung, Serge Poliakoff, Marc Chagall, Josef Albers, Marino Marini... Ein signiertes Picasso-Blatt z.B. ging

für 300 DM weg, „zu teuer damals zum Behalten“. Mit der Veränderung der Verlagslandschaft und dem Nachlassen des DruckereiGewerbes wandte sich der Selfmademan und „Alleingänger“ neuen Aufgaben und Geschäften zu: Hans Putty wurde zunächst in der Elberfelder Bergstraße ein erfolgreicher Galerist und Kunsthändler, danach am Turmhof in Elberfeld, danach in der Sophienstraße und erwarb einen bis guten Ruf als Antiquitäten-Experte, Schätzer und Gutachter. Als eines der letzten Bücher des Hans Putty Verlages erschien 1981, schon unter der Regie des Sohnes Rainer Putty, der heute sehr gesuchte Band „Literatur im Wuppertal“, u.a. mit Beiträgen des späteren Buchdruckers und Kleinverlegers Jochen Ehrlich und des jetzt in Berlin lebenden, deutschlandweit erfolgreichen Journalisten und Buchautors Jörg Aufenanger - Kreise schließen sich. Am 27. Februar wäre Hans Putty, der sich stets gerne an Erlebtes und Geschafftes erinnerte und beneidenswerterweise bis zu seinem Tod im Oktober 2001 weder zum Lesen noch zum Blick über „seine“ Stadt eine Brille brauchte, 100 Jahre alt geworden. Seine Tochter Dr. Ulrike Steding-Putty erinnert sich: „Er war immer ein großzügiger, aufgeschlossener Mann, der noch als 90-jähriger bei seinen Spaziergängen mit Hund Titus in der Lilienthalstraße den Respekt und die Zuneigung der Kinder aus der Nachbarschaft genoß“.


Auswahlbibliographie: H. Zörnitz: Trümmer-Gedanken, GartenGeheimnisse, die zu denken geben (o.J.) L. Dahlbüdding: Drei Puppen reisen um die Welt, Kinderbuch (o.J.) Rudi vom Endt: Scurrile Schnörkel, Gedichte (1946) Rudi vom Endt: Der Dichter Herbert Eulenberg ganz menschlich gesehen (1946)

Rudolf Picard und Hans Brangs: Bilder Und Gestalten aus der Bergischen Geschichte. Bergische Heimatgeschichten, Band 1 (1952) Wat Die Wopperwellen Ruuschen. Dichtungen in Bergischer Mundart (1955) Maria van Horn: Weißt du was Bonn wirklich will? – Die Parteien (1956)

Bernhard Sieper: Eine kleine Blütenlese der Weltlyrik (1946)

Heinz Kampmann-Hervest: Spuren, 34 Originalzinkätzungen, 18 Federzeichnungen (1956)

Johann Wolfgang von Goethe: Reineke Fuchs in zwölf Gesängen (1946)

Den Weg entlang, Eine Gedichtsammlung für alle Schulen (1956)

Bernhard Sieper: Der Ruf der Strahlen (Ein biogr. Röntgen-Bildnis) (1946)

Heinz Wolff, Manfred Jakob und Hans Dost: Wuppertal: eine interessante Stadt. (1960)

J.W. von Goethe: Der ewigen Weberin Meisterstück – Gedanken über Mensch und Natur(1946) Lothar Przybylski: Besinnung und Erneuerung, Vorträge (1946)

Julius Burchardt: Das fröhliche Diktat (1960-1984) Josef Guggenmoos: Kinderaugen, Kinderherzen (1961)

Lieselotte Geissel: Das Märchen vom Zwergen Tippeltapp, dem Raben Huckepack und der Kräutermuhme (1946)

Konrad Hartstein: Nordrhein-Westfalen, Porträt und Chronik (1964)

Paul Verlaine: Gedichte, übertragen von Paulheinz Wantzen (1947)

Gerhart Werner: Wuppertal im Spiegel der Dichtung - eine Wuppertaler Anthologie (1965)

Stephan Schön: Wuppertal im Kampf gegen die Not, Bestandsaufnahme nach dem Krieg (1947) Edwin Nacken, E. Leonhard: Abenteuer an der Mosel, Ein Roman für die Jugend (1947) Johannes Kulp: Das Problem Mensch in Goethes „Faust“ (1947) Otto Böttcher: Vom Wesen der deutschen Romantik, illustriert (1947)

Gerhard Werner: Wuppertal in Napoleonischer Zeit (1967) Rainer Putty: Unterwasser-Archäologie (1973) Literatur in Wuppertal, Geschichte und Dokumente (1981) Frank Becker

Claus Silvester: Mann ohne Gestern, Roman (1948) Louisa M. Alcott: Vier Schwestern, Jugendroman (1948) Adolf Löhr: Drei fröhliche Mädel, Jugendroman (1949) Bengt Berg: Arizona Charleys Junge. Roman für die Jugend (1950) H. Zörnitz: Garten - Arbeits - Kalender von unbegrenzter Dauer (1950)

Die Anwendung von Intelligenz ist nicht so qualvoll, wie allgemein vermutetet wird. (Werner Schneyder)

Aus alter und neuer Zeit, Schulbuch Bremen (1952)

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1. Festival der Stimmen 1. Festival der Stimmen in Wuppertal, ein Rückblick „Singen ist die eigentliche Muttersprache des Menschen“

Alles fing damit an, dass unsere Mutter mit uns sang. Seitdem sie im Alter an Demenz erkrankte, können wir nicht mehr miteinander reden. Es bleibt, zusammen zu singen. Musik ist wesentlich. Sie gehört zum Wesen des Menschen dazu und scheint ihm innezuwohnen. Die Aufnahme rhythmischer und melodiöser Strukturen geschieht bereits im Mutterleib. Am Ende wird der Tod festgestellt, wenn der eigene Rhythmus endet.

Schulchöre in der historischen Stadthalle Wuppertal, We are the children Fotos: Bettina Osswald

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Ausgerechnet ein Instrumentalist, Yehudi Menuhin, würdigte das Singen als die ursprünglichste Form, Musik selbst zu machen. Singen verbindet Menschen, Kulturen und Generationen. Die Stimme ist das Instrument, das nicht angeschafft werden muss, und auf das alle zum gemeinsamen Musizieren zurückgreifen können. So wird in allen Kulturen und Religionen das Singen immer dann angeboten, wenn es einem die Sprache verschlägt, oder wenn das gesprochene Wort


zu kurz greift. Melodie und Rhythmik vermitteln mehr, als Worte und Grammatik ausdrücken können. Obwohl die positiven Wirkweisen von Musik in der emotionalen, sozialen und sprachlichen Entwicklung von Menschen in den letzten Jahren wissenschaftlich erforscht wurden, gibt es zunehmend einen Bedarf, das Singen als förderlich zu vermitteln. Nur 3 % aller Deutschen singen regelmäßig im Alltag. Männer

verweigern sich dabei hartnäckiger als Frauen. Während noch vor 30 Jahren 90 % der Grundschüler eine Melodie halten und erinnern konnten, sind es heute nur noch 10 % der Kinder. Die Ursachen sind vielfältig: Der Missbrauch von Liedern im Nationalsozialismus erschwerte zwei Generationen in Deutschland den Zugang zum gemeinsamen Singen. Die heutige technische Individualisierung und Ökonomisierung

des Musikkonsums mag ebenso zum Verstummen beitragen wie die Veränderung der familiären Lebensverhältnisse. Erst langsam greifen die Curricula in den Fachschulen und Hochschulen die Bedeutung des Singens und Musizierens für die Qualifizierung von Pädagoginnen und Pädagogen auf. „In den letzten Jahrzehnten hat sich bei uns eine merkwürdige Diskrepanz ergeben zwischen der alltäglichen Präsenz von Musik und der Selbstverständlichkeit, selbst zu singen“ schreibt der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Wuppertal Manfred Rekowski in seinem Grußwort zum 1. Festival der Stimmen. Auch die Kirchen beklagen mittlerweile einen kläglichen Gemeindegesang. Dabei vermitteln sich gerade auch spirituelle Erfahrungen über das Hören von Musik bzw. über das gemeinsame Singen und einem entsprechenden Liedgut. Nur eine signifikante Ausnahme widersetzt sich dem Traditionsabbruch: Der ritualisierte, generationsübergreifende Gesang der Fußballfans in den Stadien. Eine fast liturgische Choreographie macht den Besuch eines Fußballspiels in den Bundesligakathedralen zu einer kultischen Zeremonie. Nicht ein Klangkörper oder ein Musikgenre standen im letzten November 10 Tage lang im Mittelpunkt des neuen Festivals, sondern das Instrument an sich: die menschliche Stimme. Mit seinem innovativen Konzept lud das 1. FESTIVAL DER STIMMEN in Wuppertal alle Bürgerinnen und Bürger genre-, kultur- und generationenübergreifend ein, miteinander zu hören, zu singen und sich über Musik neu zu begegnen. „Wo Sprache und Politik an ihre Grenzen geraten, erreicht Musik den ganzen Menschen“, schrieb der Oberbürgermeister Wuppertals Peter Jung als Schirmherr des Festivals. Die angebotenen Workshops verdeutlichten u.a. den breiten Ansatz: Vom „Singen mit Ungeborenen“ über eine „Happy Hour für Männer“ bis hin zu dem „Projektchor 60+“. 8000 Menschen besuchten die 26 Konzerte und 7 Workshops, Lesungen und Vorträge an 30 verschiedenen Orten in

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WDR Big Band & Wuppertaler Kurrende, Uni-Halle Wuppertal

der Stadt. Von der Weltliga bis zu den Künstlerinnen und Künstlern aus der Region engagierten sich 1200 Sängerinnen und Sänger, Profis und Laien in Chören und Ensembles. Das 60seitige Programmheft beschreibt Welturaufführungen und CD Vorstellungen, Konzerte von der Klassik bis zur Worldmusic, vom Gospel bis zum Freejazz, vom integrierten Festival jüdischer Lieder bis zum Hip Hop. Das Eröffnungskonzert in der UNIHalle Wuppertal verdeutlichte programmatisch die genreübergreifende Intention des Festivals, als die WDR-Big-Band als mehrfacher Grammy Gewinner zusammen mit den Wuppertaler Kurrenden von Michael Abene verjazzte Händelkompositionen uraufführte.

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Ein für viele Besucherinnen und Besucher unvergessliches Konzert war der Auftritt von 10 Schulchören aller Schultypen von der Hauptschule Gertrudenstraße „aufm“ Ölberg bis zu den bekannten Gymnasien der Stadt unter dem Titel: „We are the children“. Nach einer dreimonatigen Probenzeit standen 500 Schülerinnen und Schüler auf der erweiterten Bühne der fast ausverkauften Historischen Stadthalle. Die Schulchorarbeit bekam mit dieser eindrücklichen Erfahrung an Energie und Kraft einen großen Schub. Ende März erscheint eine CD mit der Live-Aufnahme des Konzertes. Die Vernetzung von 15 Kooperationspartnern und die Beteiligung von 11

Jazzchor Freiburg & Torun Eriksen, Forum Maximum im Rex Fotos: Dr. K-H Krauskopf Schulen an dem gemeinsamen Kulturprojekt gelten dabei als ein Wert an sich. Die Idee überzeugte und setzte sich durch. Der evangelische Kirchenkreis Wuppertal übernahm als Veranstalter das Risiko. In den letzten 2 Wochen vor Projektbeginn tauchte die Stadt in die pink-grünen Farben des Festivals ein. Erhard Ufermann Idee & Leitung www.festivalderstimmen.de


Internationales Camus-Festival 15. - 24. Januar 2010 in Wuppertal

Eröffnung der Camus-Tage am 15. Januar 2010 im Wuppertaler Schauspielhaus

Die Armin T. Wegner-Gesellschaft veranstaltete zusammen mit der Wuppertaler Stiftung W (www.stiftung-w.de ) und in Kooperation mit den Wuppertaler Bühnen, der Bergischen Universität und anderen Partnern im Januar 2010 ein einwöchiges internationales Festival zum 50. Todestag von Albert Camus (1913 – 1960). Auch wenn Armin T. Wegner und Albert Camus sich nicht kannten, gab es frappierende Affinitäten zu entdecken zwischen dem französischen Schriftsteller, Kriegsgegner, Résistance-Kämpfer und Nobelpreisträger und dem deutschen Dichter, Pazifisten und „Menschheitskämpfer“ aus Elberfeld. Auf dem Wuppertaler Camus-Festival gab es eine Aufbruchstimmung, wie sie lange nicht mehr zu erleben war: Alle Veranstaltungen waren ausverkauft bzw. zumeist überfüllt. Für die Camus-Verfilmung „Die Pest“ musste wegen des starken Publikumsinteresses kurzfristig eine zusätzliche Vorstellung organisiert werden. Es gab intensive Gespräche um die Aktualität und Bedeutung von Camus, bundesweites Echo und ein aktives Publikum, das bis aus Bremen, Hannover, Münster, Frankfurt,

Wiesbaden und Stuttgart angereist war. Vor allem im – aktuell von Schließung bedrohten – Wuppertaler Schauspielhaus, Ort der deutschen Erstaufführung von Camus‘ „Caligula“, der Entwicklung von Pina Bausch, Schauplatz von Else LaskerSchülers Dramen und Heinrich Bölls Rede über die „Freiheit der Kunst“ fanden die Camus-Veranstaltungen statt. Aber auch an anderen Orten der Stadt. Eine Woche pralles Leben im Theater, dessen drohende Schließung zuvor bundesweite Schlagzeilen gemacht hatte. Das Camus-Festival war auch Teil des – nicht nur örtlichen – Widerstandes gegen kulturellen und sozialen Kahlschlag , so dass die „Westdeutsche Zeitung“ titelte: „Wuppertal feiert einen Rebellen – und protestiert!“ Es gab Filme – nicht zuletzt Viscontis „Der Fremde“, Vorträge mit Referent/inn/en aus Frankreich, Spanien und Deutschland, Lesungen – u. a. aus Camus‘ nachgelassenenem Roman „Der erste Mensch“ und aus „Der Mensch in der Revolte“ sowie ein Jazz-„Nachtfoyer“ zu „Der Mythos des Sisyphos“ mit der Band von Wolfang Schmidtke und Mitgliedern des Wuppertaler Schauspielensembles. Es gab ein

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»Forum der Initiativen« mit Publikumsgespräch und ein Konzert der MusiksatireBand „Fortschrott“ unter dem Titel „ Trotzdem“. Und es gab Theateraufführungen des Wuppertaler Schauspiels („Eine Billion Dollar“) sowie – als Pendant zu Viscontis Film „Der Fremde“ - die Ausstellung „Die Fremde“ der Wuppertaler Künstlerin Ulle Hees. Was vorab manchen als (zu) gewagtes Motto erschien, wurde durch überwältigendes Publikumsinteresse und überzeugend aktuelle Themenschwerpunkte bestätigt: Camus lebt ! Bis heute unbequem, wirft der Autor der „Revolte“ stets die Frage auf, wie mit ihm zu einem Datum wie diesem umzugehen sei? In Wuppertal wurde er befreit aus seiner Schattenexistenz als angeblich bloße „Lektüre fürs Abitur“, wie die „taz“ schrieb. Das Festival brach in seinen Formen und Themen „Schubladen“ auf, in denen Camus all zu oft reduziert, vereinnahmt oder einfach „wegsortiert„ wurde. Die Wuppertaler Albert-Camus-Tage stellten sich der Beweglichkeit, welche dieser Autor verlangt. Camus‘ Impulse spiegeln sich – wie die Armin T. Wegners - in vielen heutigen Ideen, Lebenshaltungen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen weltweit. Die Integrität und positive humane Kraft solchen Denkens ist gefragt – angesichts von Bildungskrise, Turbokapitalismus, Entsolidarisierung, Rassismus, Terror und Gewalt. Camus‘ Revolte bedeutet die (Wieder-)Her-stellung der menschlichen Würde. Und die Erinnerung an Liebe und Solidarität unter heillos scheinenden, absurden Umständen. Camus ist hochaktuell. Und er ist wieder sichtbar: Denn der Blick auf ihn ist nicht mehr verstellt - zwanzig Jahre nach dem Fall des »Eisernen Vorhangs« - durch dogmatische Denkmuster und Modelle eines autoritären Staatssozialismus. Auf dem Wuppertaler Camus-Festival war der spanische Philosoph Prof. Dr. Fernando Savater (Madrid) zu Gast. Der Bestsellerautor („Tu was du willst – Ethik für die Erwachsenen von morgen“) sprach über „Die Herausforderung von Terrorismus und Gewalt - Ethik nach Camus“.

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Konzertlesung mit Ulrich Klan und Ulrike Schloemer Er bezog sich auf Passagen zu Mord und Selbstmord in „Der Mensch in der Revolte“ und betonte, wie wichtig für eine überzeugende Ethik eine wahrhaftige Sprache ist: Diese macht den KünstlerCamus um so vieles authentischer und nachhaltiger als viele seiner fachphilosophischen, vor allem marxistischen Kritiker. Er verglich Camus mit dem britischen Sozialisten George Orwell. Lou Marin (Marseille) zeigte in seinem Vortrag „Ursprung der Revolte – Camus und der Anarchismus“ die Nähe Camus‘ zum anarchistischen und syndikalistischen Milieu. Auch hier gab es deutliche Berührungspunkte zu Armin T. Wegner. Im

Publikumsgespräch wurde deutliche Kritik laut an der bisherigen Publikationspolitik zu Camus vor allem in Deutschland: Seine bisher hierzulande veröffentlichten Schriften sind oft mangelhaft übersetzt . Seine zahlreichen journalistischen Arbeiten liegen auf Deutsch noch immer nicht vor.

„Marschall-Pause“ - Vom Schweigen und vom Zur-Sprache-kommen Die Journalistin und Philosophin Dr. Anne-Kathrin Reif (Wuppertal) erschloss den unbekannten Camus, der dem Absurden besonders im letzten Teil seines Werkes „eine andere Art von Liebe“ entgegensetzte


- „Liebesmöglichkeiten“, die noch über die Solidarität hinausgehen. Wie sie zeigte auch die Schauspielerin Ulrike Schloemer (Berlin) in der musikalischen Lesung „Vom Geist des Mittelmeeres“ Camus als einen Suchenden in „Licht und Schatten“, als zerbrechlichen, poetischen Zeugen gegen Aufgeblasenheit und Gewalt und als Autor, dessen reiche, freiheitliche Sprache aus der Armut und aus dem „Schweigen der Mutter“ erwuchs. Der Analphabetin widmete er seinen letzten Roman mit den Worten: „Dir, die du dies nie wirst lesen können“. Camus lebt nicht, wenn nicht auch ästhetisch revoltiert wird. Das Festival machte das erfahrbar nicht nur durch Skulptur und Zeichnungen und durch Viscontis Verfilmung „Der Fremde“ in kongenialer Vorführung der einzig erhaltenen deutschsprachigen 35-mm-Rolle durch Mark Tykwers bergisches Wanderkino „Movie in Motion“ im Wuppertaler Schauspielhaus. Es gab auch besondere Musikbeiträge zu Camus-Texten. Neben Jazz als d e r Musik der Freiheit überhaupt war das etwa

die Uraufführung einer für das Festival in Auftrag gegebenen Musik zu Camus‘ Nobelpreisrede: Cool-tanzende Klänge auf dem futuristischen Antenneninstrument Theremin in Begleitung eines walking-Basses (Musik: Andreas J. Leep und Christian Stritzel). Und es gab eine eindrucksvolle Performance des ersten „komponierten Schweigens“ der Musikgeschichte: Das Stück „In futurum“ des Dada-Komponisten Erwin Schulhoff besteht nur aus Pausen! Dieses vielsagende Schweigen wurde im Ersten Weltkrieg geschrieben. Das Stück verlangt über die in der Musik übliche „Generalpause“ hinaus auch noch eine „Marschall-Pause“! Daneben gab es auch viele hörbare Töne - darunter das meistverbotene Antikriegslied , „Le deserteur“ von Boris Vian, Musik von Erik Satie und Jaques Ibert sowie von Louis Llach, dem katalanischen Sänger der Gegenwart, das Lied „Ithaka“, eine zeitlose „Hymne der Utopie“. (Arrangements, musikalische Leitung: Ulrich Klan) Im Sinne Camus‘ gab es auch ein Forum von Basisinitiativen. Camus selbst sah

ausdrücklich nicht Parteien, sondern vor allem Einzelne sowie kleine, freiheitliche und selbstorganisierte Bewegungen, Kommunen und Gewerkschaften als Träger der Revolte an, als gesellschaftliches Korrektiv und als Motor der Gesellschaft. In Wuppertal diskutierten Vertreter/innen von „Bundeswehr wegtreten“, von Nina Hagens und Karl Wilhelm ter Horst‘s Initiative für Deserteure und traumatisierte Soldat/inn/en, von attac und amnesty international, vom Bündnis „Wuppertal wehrt sich“, von der Initiative für Demokratie und Toleranz, von der Anti-Hartz IV-Initiative „Zahltag“ sowie von der Stiftung W . Ein gelungener Gesprächsanfang miteinander und mit dem Publikum. Diese Veranstaltung brachte die Wahrnehmung auch weniger bekannter Initiativen voran und förderte die gegenseitige Vernetzung. Ulrich Klan

Nähere Informationen unter www.camus-lebt.de www.armin-t-wegner.us

Filmvorführung „Der Fremde“

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Kulturnotizen Tanzträume Eine berührende Hommage

NRW zeichnet sechs Spielstätten mit vorbildlichem Programm aus

Pina Bausch, wer ist das? Ich kenn' die Frau nicht. Aber dann habe ich ihr die Hand gegeben und gedacht: Die ist ja voll nett". So unverblümt herzerfrischend reden die Jugendlichen, die in halbjähriger Arbeit Pina Bauschs Stück "Kontakthof" in der Version "für Teenager ab 14" einstudiert haben.

Die Staatskanzlei NRW und der Landesmusikrat NRW zeichnen erstmals sechs Spielstätten mit vorbildlichen Jazz-, Rockoder Popmusik-Programmen aus. Wie die Staatskanzlei am Mittwoch in Düsseldorf mitteilte, erhalten der „Ort“ in Wuppertal und der „Bunker Ulmenwall“ in Bielefeld jeweils 10 000 Euro. Je 5000 Euro gehen an das „Loft“ in Köln, die „Klangbrücke“ in Aachen, die „Jazzschmiede“ in Düsseldorf und den „Jazzkeller“ in Krefeld. Ziel der Prämie ist es nach Angaben des NRW-Kulturstaatssekretärs Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Foren für vielversprechende Nachwuchskünstler und regionale Bands zu unterstützen und ihre Programme bekanntzumachen. „Unser Musikleben in Nordrhein-Westfalen wäre nicht denkbar ohne gute Clubs und Spielstätten in vielen Städten unseres Landes. Sie leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Förderung des Nachwuchses“, sagte Grosse-Brockhoff. Eine vom Landesmusikrat zusammengeführte Fachjury hatte den Spielstätten die Prämien zugebilligt. Die Jury bestand aus Thomas Baerens (Musikreferat der Staatskanzlei NRW), Michael Brüning (LAG Musik NRW), Thomas Kipp (Rechtsanwalt), Martin Laurentius (JazzThing) und Angelika Niscier (Saxophonistin). Ausgezeichnet werden die Preisträger von Grosse-Brockhoff und dem Landesmusikrat NRW. Mitte dieses Jahres sollen weitere Prämien vergeben werden. Finanzieller Träger der Spielstättenprogrammprämie wird dann auch die Initiative Musik des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sein, die im Bereich der Spielstättenförderung initiierend tätig ist. Antragsberechtigt sind Spielstätten, die sich für Jazz, Improvisierte Musik oder avancierte Pop/Rock-Musik engagieren und Nachwuchskünstlern sowie regionalen Bands ein Forum bieten.

Die Wuppertaler Journalistin Anne Linsel hat die Produktion begleitet und bietet in ihrem Film "Tanzträume" berührende, erhellende und auch erheiternde Einblicke, die den Zuschauern sonst verborgen bleiben. Nachdem der Film einen ersten großen Erfolg auf der Berlinale feierte, war er am Sonntag als Vorpremiere in Wuppertal zu sehen - parallel in zwei Kinosälen, die den Andrang trotzdem kaum fassen konnten. Linsel konzentriert sich klug auf ausgewählte Szenen des Stücks, in denen sich der oft mühsame Entstehungsprozess exemplarisch spiegelt, und auf nur wenige der insgesamt 40 jungen Darsteller. Es sind gewissermaßen Längsschnitte, die in die Tiefe gehen und zeigen, das hier jeder mit seiner individuellen Persönlichkeit und seiner eigenen Geschichte gefragt und gewollt war. Linsel ist eine berührende Hommage gelungen: an ein großartiges Projekt, an die unersetzliche Pina Bausch und an wunderbare junge Menschen mit all ihren Zweifeln, Unsicherheiten, Hoffnungen, ihrem Mut und Enthusiasmus. Ab 18. März läuft der Film "Tanzträume" bundesweit in den Kinos. Anne Kathrin Reif

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– Im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 hat das Landhotel Jammertal in Datteln das Kulturangebot deutlich erweitert – auch auf internationaler Ebene. Von Jazz und Swing, von Flamenco und Klassik bis hin zur Lesungen bietet die Wellness-Oase mitten im Grünen

allen Freunden der gehobenen Unterhaltung ganz besondere Leckerbissen an. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass man sich auch um die kulturelle Förderung gerade im Bereich Klassik bemüht. Denn die bekannte Recklinghäuser Serie DEBUT UM 11, die Konzerte junger Künstler, die viermal im Jahr im Rathaus stattfindet, wird am gleichen Tag um 17 Uhr auch im Jammertal zu Gast sein. Gestartet wird die neue Reihe am 4. März um 20 Uhr mit TEA FOR TWO, dem TEA FOR TWO

Trio mit Bernd Kullack, Niclas Floer und Markus Conrads, die Schlager der 30er bis 50er Jahre darbieten. Fortgesetzt wird die Serie, die jeweils am ersten und dritten Donnerstag eines jeden Monats stattfinden wird, mit dem Klassik-Gitarristen Thomas Schettki, der Werke aus der Thomas Schettki

Barockzeit bis hin zur Romantik spielen wird, mit kleinen Ausflügen in die PopWelt (18.3). Weiter geht es am 1. April mit dem Pianisten Jörg Köster, der mit einer musikalischen Zeitreise von Glenn Miller über Frank Sinatra bis hin zu Elton John die Gäste begeistert. „Die Zuhörer können selbstverständlich auch Wünsche äußern“, verspricht Jörg Köster. Ergänzt wird das kulturelle Angebot Jörg Köster


Kulturnotizen

Michael van Ahlen

in den Ferienzeiten oder zu besonderen Anlässen, wie beispielsweise in den Osterferien, wo der Recklinghäuser Rezitator Michael van Ahlen, begleitet

des Sinfonieorchesters gegründet wurde, sein spannungsreiches Zusammenspiel und Können. Am 21. Juni 2010 erklingen Lieder von Franz Schubert, Dichterliebe von Robert Schumann und Johannes Brahms. Das Duo Timothy Sharp (Bariton) und Verena Louis (Klavier) tritt seit 1998 gemeinsam auf und wird für sein feinnerviges Zusammenspiel und Interpretation gerühmt.

Spannend bis zum Abpfiff!

am Piano von Peter Nickel, mit viel Witz umwerfende Geschichten liest. So „Wie man mit einem Lachs verreist und andere merkwürdige Abenteuer des alltäglichen Lebens“ (31. März, 20 Uhr). Für Hotelgäste ist die Veranstaltungsreihe kostenlos. Für weitere Besucher bietet sich die Möglichkeit, diesen Abend mit einem Dinner-Büffet (ab 18 Uhr) zu kombinieren. Weitere Auskünfte unter 02363 3770 oder www.jammertal.de Kanzleikonzerte bei Engel & Paschhoff Seit 2009 veranstaltet die Kanzlei Engel & Paschhoff Konzerte und bietet damit Liebhabern Klassischer Musik die Gelegenheit den Künstlern im privaten Rahmen und Gespräch zu begegnen.

Das Duo Timothy Sharp und Verena Louis Die Kanzleikonzerte 2010 bei Engel & Paschhoff: 08. Mai 2010, 19.00 Uhr: Johannisberg Quartett 21. Juni 2010, 19.30 Uhr: Duo Sharp – Louis. Ort: Engel & Paschhoff, Funckstr. 71, 42115 Wuppertal Um Reservierungen unter: Telefon 0202/61275300 wird gebeten.

Mandela & Nelson – Das Länderspiel 2 CD | ISBN 978-3-939375-77-7 | 14,95 % (D)* Sprecher: Axel Prahl

Kultur-Termine März/April

Das Johannisberg-Quartett: Christine Altmann, Violoncello; Jens Brockmann, Viola; Dagmar Hufeld, Violine; Martin Roth, Violine Beim ersten Konzert am 8. Mai 2010 wird das Johannisberg-Quartett zu Gast sein. Mit zwei großen Werken der Quartett-Literatur, Beethoven op. 18 Nr. 6 und Leos Janacek, Nr. 2 Intime Briefe, und einem Werk der jüngeren russischen Komponistin Elena Firsova, präsentiert das Ensemble, das 2004 von Mitgliedern

Wuppertal. Noch bis zum 18. April sind in Tony Craggs Skulpturenpark „Waldfrieden“ drei großformatige Arbeiten des Land-Art-Künstlers Richard Long aus den Jahren 1998 bis 2008 zu sehen.

Elf Freunde müßt ihr sein 4 CD | ISBN 978-3-935036-94-8 | 16,95 % (D)* Sprecher: Dieter Hildebrandt

Jetzt in Ihrer Buchhandlung! Cragg Foundation, Hirschstr. 12, 42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Hörproben und Infos: www.hoercompany.de

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Kulturnotizen Bonn. Bis zum 31. Juli 2010 zeigt das Stadtmuseum Bonn eine Ausstellung über Robert Schumann und sein Leben anlässlich seines 200. Geburtstages. Die Ausstellung ist donnerstags bis samstags von 13 bis 18 Uhr, sonntags von 11.30 bis 17 Uhr sowie montags von 9.30 bis 14 Uhr geöffnet http://www2.bonn.de/stadtmuseum/ Neuss. Am 18. März stellt das Neusser Shakespeare-Festival im dortigen GlobeTheater das Programm der diesjährigen (20.) Shakespeare-Festspiele vor, die im Juli und August stattfinden. www.shakespeare-festival.de Köln. Die Kölner in-focus-galerie zeigt ab dem 13. März Arbeiten des britischen Fotografen Stuart Franklin. Die bis zum 9. Mai laufende Ausstellung trägt den Titel „human footprints“. www.infocusgalerie.com Köln. „Das Geschenk des Drachen: Die heilige Kunst Bhutans“ ist der Titel einer Ausstellung im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln, die bis zum 24. Mai zu sehen ist. Bhutan ist das einzige Land der Welt, in dem der Tantrische Buddhismus (Vajrayana) die Staatsreligion bildet. www.museenkoeln.de

Witten. 20 Ur- und vier deutsche Erstaufführungen stehen auf dem Programm der diesjährigen Wittener Tage für neue Kammermusik. Wie die Veranstalter mitteilten, findet das Festival vom 23. bis zum 25. April statt. www.wittenertage.de Troisdorf. „Märchenhafte Fantasien“ heißt eine Ausstellung im Bilderbuchmuseum Burg Wissem in Troisdorf bei Bonn, die bis zum 18. April Illustrationen der österreichischen Illustratorin Lisbeth Zwerger zeigt. www.Troisdorf.de Solingen. Unter dem Titel „Ausgegrenzt - Hamburger Künstler unter der NSDiktatur“ zeigt das Kunstmuseum Baden in Solingen seit dem 28. Februar Werke der Kunstsammlung Maike Bruhns. Die bis zum 18. April laufende Ausstellung zeigt Bilder und Plastiken von rund 90 verfolgten Hamburger Künstlern. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. www.museum-baden.de Leverkusen. „Wie ein Totentanz“ ist der Titel einer Ausstellung im Museum Morsbroich, die ab dem 7. März graphische Arbeiten des Ende vergangenen Jahres verstorbenen Künstlers Alfred Hrdlicka präsentiert.

Münster. Unter dem Titel „Die Farbe seiner Träume“ präsentiert das Graphikmuseum Pablo Picasso in Münster ab dem 5. März Arbeiten des Künstlers Joan Miro. Die bis zum 6. Juni gezeigte Ausstellung zeigt über 100 Werke Miros.

wochs von 12 bis 20 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. www.suermondt-ludwig-museum.de Düsseldorf. Die einzige Bunker-Kirche Deutschlands im Düsseldorfer Stadtteil Heerdt zeigt vom 5. März bis zum 5. April eine Ausstellung unter dem Titel „Mauern abtragen - Grenzen überwinden.“ Die Bilder stammen von Barbara Böhringer und zehn weiteren Künstlern aus West- und Ostdeutschland. www.friedensort-bunkerkirche.de Essen. „Das große Spiel“ ist der Titel einer Ausstellung im Essener Ruhrmuseum, die bis zum 13. Juni das Thema Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus aufgreift. Die Schau zeigt die spektakulären Ausgrabungen und Expeditionen u.a. von Lawrence von Arabien, Gertrude Bell und Carl Humann. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet. www.ruhrmuseum.de Köln. „Gedenk-Räume“ ist der Titel einer Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum in Köln, die seit dem 6. März und noch bis zum 9. Mai über die nationalsozialistische Zeit in der Gedenkkunst der Domstadt informiert. Die Ausstellung ist dienstags bis freitags von 10 bis 16 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 16 Uhr geöffnet. An jedem ersten Donnerstag im Monat ist das NS-Dokumentationszentrum bis 22 Uhr offen. www.nsdok.de Hannover. Zum runden Geburtstag des HÖR ZU! Redaktions-Maskottchens

Die Ausstellung ist dienstags von 11 bis 21 Uhr sowie mittwochs bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. www.museum-morsbroich.de

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. www.graphikmuseum-picasso-muenster.de

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Aachen/Köln. Das Aachener SuermondtLudwig-Museum würdigt vom 11. März bis zum 13. Juni erstmals in einer Einzelausstellung den Künstler Hans von Aachen (1552-1615). Die Ausstellung ist dienstags, donnerstags und freitags von 12 bis 18 Uhr, mitt-


Kulturnotizen „Mecki“ zeigt das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover noch bis zum 11. April eine sehenswerte Ausstellung. Wilhelm-Busch-Museum - Georgengarten – 30167 Hannover Telefon 0511-16999911/16 Das Museum ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. www.wilhelm-busch-museum.de Wuppertal/Remscheid/Solingen. „Aufschwünge“heißt das Motto der 17 Konzerte der 8. Bergischen Biennale für Neue Musik 2010 vom 30. April bis 5. Juni 2010. Es bezieht sich auf ein Klavierstück mit dem Titel „Aufschwung“ aus den Fantasiestücken op. 12 von Robert Schumann, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. www.bergische-biennale.de Remscheid. Noch bis zum 28. März zeigt die Galerie Remscheid Arbeiten von Pietro Sanguineti, deren Sujet die Sprache ist. Meist dreidimensionale, teils beleuchtete plakative Schriftzüge, korrespondierende Schlagworte und Video-Installationen konfrontieren den Betrachter.

Literaturhaus Wuppertal e.V. Programm April / Mai: 21.04.2010 - 19:30 Uhr Wuppertals Musiktheater in der Weimarer Republik Aufregende Zeiten! In den „wilden Zwanziger Jahren“ spiegelt das Musiktheater im Wuppertal wie in einem Brennglas die kulturellen Aufregungen und politischen Konflikte einer Zeit, die zwischen Revolution, Republik und Rassenwahn hin- und hergerissen war. Ein Vortrag von Michael Okroy. 29.04.2010 - 19:30 Uhr Norbert Hummelt liest seine Gedichte Er gehört zu den renommiertesten Lyrikern der jüngeren Generation: Norbert Hummelt. Bei seiner Lesung im Literaturhaus Wuppertal wird er neben Texten aus seinen Gedichtbänden auch bislang unveröffentlichte Verse vortragen. 19.05.2010 - 19:30 Uhr Milena Moser lässt aus „Möchtegern“ hören Einen mitreißenden, witzigen Roman über das Schreiben und den Ehrgeiz, über Freundschaft und Verrat und die tückischen Zufälle des Lebens hat Milena Moser verfasst. Die Tochter des in Wuppertal geborenen Dramatikers Paul Pörtner liest aus „Möchtegern“.

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Galerie der Stadt Remscheid Scharffstraße 7-9, 42853 Remscheid www.remscheid.de

Literaturhaus Wuppertal e.V. Friedrich-Engels-Allee 83 42285 Wuppertal Telefon: +49 (0) 202 8 02 32 Telefax: +49 (0) 202 8 992 76 E-Mail: info@literaturhaus-wuppertal.de www.literaturhaus-wuppertal.de

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Das wäre ein wunderbares Leben gewesen, sagte der Neunzigjährige, wenn man vorher gewusst hätte, dass alles gut geht. (Karl Otto Mühl)

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