Andrea Cziesso - Timpetee

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ANDREA CZIESSO ..... Timpetee

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13. November 1989 DLF Mauersplitter Diensthabender und Anrufer Grüß dich – noch hier? Keine Hoffnung, dass du weggehst? Ne, wa! Bin noch da, merkste! Ach was, wir bleiben uns alle erhalten gegenseitig. Alles klar! Und wenn wir uns drüben wiedertreffen? Genauso!

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es kommt einmal der tag da wird selbst dieses bild verstanden Holger Girr

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Wirtschaftskrise Wirtschaftskrise – meine Krise auf dem Konto nichts als Miese! Gegenüber all’ den Börsenhunden wäre jedes Mitleid falsch empfunden. Meine Burg liegt in Ruinen – meine Lebensfreude ist dahin. Niemals lässt sich das verdienen, was mir fehlt ist ein Lotteriegewinn. Rolle nun den Teppich auf, hebe auf den Karren meinen morschen Thron Schleppe alles vier Etagen rauf, weil ich nun in einer Mietskaserne wohn’. Vielleicht habe ich ja Glück und OTTO nimmt den Leuchter noch zurück. Komm’ nun meine treue Dohle trink mit mir auf unser Wohle. Wir sind allein auf weiter Flur, rundherum nur die Natur. Wir fahren in die große Stadt, die lauter Krisenopfer hat. Sabine Juschkat-Kück

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Paradiesische Verhältnisse Einst gab es Adolf und Eva, die lebten im Paradies. Obwohl sie ihr Paradies nach längerem Zusammenleben hinlänglich vollgemüllt hatten, liebten sie es so sehr, dass sie ein Volk gründen wollten. Als sie bei dieser Planung an zottelige Hünen dachten, mischte sich Gott kurzerhand ein. „Hey, was zur Hölle habt ihr aus meinem Vorgarten gemacht?“ „Wir gründen ein Volk“, antwortete Eva. „Seid ihr blöd, mein Garten ist keine 500 m2 groß, und ihr wollt ein Volk gründen. Ihr könnt ja allein kaum Ordnung halten!“ „Das germanische Volk braucht nur wenig Platz!“, polterte Adolf, „pflanze ein paar deutsche Eichen, dann leben sie auf Bäumen.“ Als Adolf Gott genau beschrieben hatte, wie sein Volk aussehen sollte, sprach dieser entsetzt: „Nee, solche Typen hatte ich schon einmal hier, die haben meinen Garten verwüstet, du siehst, ich arbeite immer noch an der Wiederherstellung.“ Adolf war sichtlich enttäuscht und verkroch sich hinter seinem deutschen Eichenschrank um zu schmollen. Um Adolf milde zu stimmen, bot Ihm Gott eine Reise nach Frankreich an. Als Gott die Koffer packte, legte Adolf eine Schlange auf den Eichenstuhl unter dem Apfelbaum, um Eva von den roten Früchten fernzuhalten. Als das erledigt war, drückte Gott Petrus den Gartenschlüssel in die Hand und verschwand mit Adolf in die nächste Kneipe.

., Glosse

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1Herrgottswinkel2 Der Herrgottswinkel ist beim Betreten eines Raumes immer im Blickfeld und gehört in jeder Bauernstube zur Einrichtung. Der Herrgottswinkel der besonderen Art beherbergt Reste religiöser Mythologie wie Kamel, Stall und Murmeltier. Das Heumandl steht und schaut. Herrgottswinkel sind nicht mehr das, was sie einst waren. Sabine Juschkat-Kück

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so duster wie das bild von mir in dieser zeit so gerne würd’ erscheinen so duster ist es nicht es ist unendlich viel das leben und das licht dieses bild und alle möchten fröhlich sein für dich nur so ist ein erkennen möglich es will das licht nur gerne sich verstecken Holger Girr

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s war einmal ein ödes, tristes Dorf; das hieß Vierlanden. In Vierlanden nahm alles Tag um Tag den gleichen Verlauf und ein mancher langweilte sich, denn es gab nichts zu tun oder zu erleben. Man konnte nur den Hühnern beim Fressen zusehen und Äpfel pflücken. Ja, es war sogar immer das gleiche Wetter! Da kann man sich vorstellen, dass jeder versuchte, ein bisschen Spaß in sein Leben zu bringen. Doch eines Tages geschah etwas Seltsames: Es regnete! Aber es fielen keine Regentropfen vom Himmel; Süßigkeiten kamen aus den dunklen Wolken und von überall strömten mit Honig vermischte Regentropfen herab. Die Menschen liefen hinaus, überglücklich auf Grund der vielen Leckereien. Auch die Tiere benahmen sich merkwürdig: Manche waren auf einmal riesengroß geworden und ließen sich mit Fischen füttern. Selbst die Kuh verlangte lauthals einen Hering zum Frühstück. In den Mooren gab es seltsame Geschöpfe, die mit Tieren sprachen und furchterregend aussahen. Eines hatte Ziegenbeine und eine Axt in den Händen. Andere sahen aus wie Schwäne, mit menschlichen Köpfen. Jedoch hatte anscheinend keiner Probleme mit den riesenhaften Tieren, den merkwürdigen Geschöpfen und den komischen Erscheinungen, wie z.B. fliegende Torten oder Menschen. Im Gegenteil, viele Leute freuten sich, heute einmal mit einer Riesenschnecke zur Arbeit gebracht zu werden! Keiner langweilte sich mehr, denn es gab so viel zu entdecken. Die Kinder freuten sich besonders über ein großes Karussell. Stundenlang fuhren sie im Kreis und es wurde ihnen nicht öde, weil es andere Dinge in Vergessenheit geraten ließ. Langsam wurde es dunkel. Der Tag neigte sich dem Ende, aber die aufregenden Geschehnisse nahmen weiterhin ihren Lauf. Mystische Wesen liefen überall umher und es war von einem Tag auf den anderen Sommer geworden. Aber als die Bewohner Vierlandens am nächsten Tag aufstanden, war alles wieder ganz normal. Keine sonderbaren Wesen liefen herum, kein Elefant trank den Gartenteich leer und keine Torte flog mehr umher. Das triste Leben nahm seinen gewohnten Lauf, aber jetzt gab es viel zu erzählen. Die Leute trafen sich häufiger und berichteten sich gegenseitig, was sie erlebt hatten und diese Geschichte wurde so von Generation zu Generation weitergegeben. Jetzt jedoch gibt es fast niemanden mehr, der sie noch kennt Aber ich versichere euch: Es ist eine wahre Erzählung.

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Josefine Hoffers, 13 Jahre alt

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Die guten Weiber Es lebte einst ein Ritter Bernhardus Parisot; Er schmeckte süß und bitter Und wog 4000 Lot: In einem Ungewitter schlug seine Frau ihn tot, Und nun liegt hier der Ritter Bernhardus Parisot.

Q Matthias Claudius (1740–1815)

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Rhadamant und Zamore I.

II.

III.

IV.

O schönes Bild der Liebe! Heil dir, Waldesland! Heil, Königin Zamore Und König Rhadamant!

Es steht die Gruft morbide Dicht an der Elbes Bord, Da ruhn die Mumienleiber, Die Seelen wandern fort.

Es stieg aus ihren Ufern Der Elbe braune Flut, Da faßt die treuen Enten Gewaltger Wandersmut.

Das Glück der treuen Gatten Zerstörte ein Barbar; Ein pommerischer Junker Der fing das Entenpaar.

Sie löschten aus demselben Pokale ihren Durst, Sie aßen miteinander Von einer Leberwurst.

Und auf dem Elbgewässer Da schwimmt ein Enterich In diesem fuhr die Seele, Als Rhadamant verblich.

Die Brust erfüllt ein Sehnen So wonnig und so weh, Sie heben ihre Schwingen Und fliegen über See.

Er fing die treuen Enten Und mästet sie nach Brauch, Und als er sie gemästet, Hing er sie in den Rauch.

Dem König ward so übel, Der Königin noch mehr. Sie mussten beide sterben Und liebten sich so sehr.

Zamore aber folgte Den Spuren Rhadamants Und fuhr zu gleicher Stunde In eine Ente ganz.

Sie flogen hin nach Pommern Und hatten guten Wind, Nach Pommern, wo zu Hause Die besten Enten sind.

Da hängen sie nun beide Getreu bis in den Tod: Die vielgeprüften Seelen Die fahren durch den Schlot.

In einer Gruft solide Da ruhn sie Hand in Hand, Die Königin Zamore Und König Rhadamant.

Sie gickern und gackern Und kosen miteinand; Er gickert: Ach, Zamore! Sie gackert: Rhadamant!!

Da legte ihre Eier Zamore in den Sand, Heut brütet sie Zamore Und morgen Rhadamant.

Die Seele fährt von dannen, Der Leib der wird versandt, Als Pommerns Entenbrüste Bekannt in jedem Land. Wilhelm Busch (1832–1908), leicht verändert

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Rotkäppchen Sekt Das Rotkäppchen ward Von des Wolfes Zunge geneckt Hii – mM , Hii – mM Sie hatte noch nicht genug Und ward klug Sie hatte MUMM Und drehte sich um

Henkel Zwischen ihre Schenkel Der Sektkorken knallt Es schäumt gar nicht trocken In des Weibes Wald Gleich wird sie FEIST Sich über den Stengel hocken Hubertus Ziesmer

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SchweinsKopfSülze Zutaten: 1 kleiner Schweinskopf von 3 bis 4 kg Meersalz Lorbeerblatt Thymian Macisblüte Zimt Bohnenkraut Salbei Majoran Basilikum Muskatnuß Nelken Pfeffer 500 g frische Schweineschwarten 2 große Möhren 2 große Zwiebeln 2 Gewürznelken 1 kleine Knoblauchknolle Petersilie Thymian Lorbeer Pfeffer

Zubereitung: Den Schweinskopf abflämmen und sorgfältig schaben. Hirn und Zunge herausnehmen, dann den Kopf längs spalten. Auch quer noch einmal zerteilen. Die vier Teile wie die Zunge auf allen Seiten kräftig mit gewürztem, fein zerstoßenem Meersalz einreiben. Dieses Einreiben 5 mal wiederholen, dann die Kopfstücke und die Zunge mit den Schwarten in eine Terrine legen, mit einer dünnen Salzschicht bestreuen, mit einem Tuch abdecken und 4 Tage an einem kühlen Ort pökeln lassen. Nach dieser Zeit die Fleischstücke herausnehmen, das Salz abklopfen und die Stücke gut abwischen. Mit der Zunge, den Schwarten, den Möhren, den mit Nelken gespickten Zwiebeln, dem gehäuteten Knoblauch und dem Kräuterstrauß in eine ausreichend große Kasserole schichten. Dabei darauf achten, daß sowenig Hohlräume wie möglich entstehen. Mit Wasser aufgießen, bis alles eben bedeckt ist. Langsam zum Kochen bringen und den aufsteigenden Schaum immer wieder abschöpfen. Jetzt die Kasserole auf kleine Flamme setzen und den Kopf zugedeckt ganz leise siedend 3 Stunden kochen. Dann die Kopfstücke, die Zunge und die Schwarten herausheben, abtropfen lassen und

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auf eine Platte legen. Wenn sie etwas abgekühlt sind, alle Knochen auslösen. Die dünnen Teile der Ohren beiseite legen. Das Fleisch, die Zunge und die dicken Teile der Ohren in Würfel von 2 cm Kantenlänge schneiden. Alles in eine Schüssel geben und überprüfen, ob das Fleisch ausreichend gesalzen ist. Nötigenfalls nachsalzen, auf jeden Fall mit frisch gemahlenem Pfeffer abschmecken und 1/5 der ebenfalls abgeschmeckten Brühe durch ein feines Sieb darübergießen. Alles miteinander vermischen. Mit den Schwarten eine Terrine, eine Salatschüssel oder ein anderes Gefäß auslegen, das sich auf jeden Fall nach oben verjüngen muss, damit man den Schweinskopf stürzen oder besser herausheben kann. Erst 1/3 des Fleisches und des Kochsuds hineinfüllen, dann die Hälfte der flachen Ohren darauflegen, wieder 1/3 des Fleisches und Sud darübergeben, mit den restlichen Ohren abdecken und mit dem übrigen Fleisch und dem Kochsud abschließen. Mit einem zugeschnittenen Stück Alufolie zudecken und ein passendes Holzbrettchen darauflegen. Hierauf ein Gewicht von 500g stellen. 24 Stunden lang abkühlen und erstarren lassen. Guten Appetit!


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Die gefesselte Phantasie Königin Hermione lebt mit ihren Untertanen friedlich auf der Halb­ insel Flora, bis ihre Halbschwestern Vipria und Arrogantia auftauchen. Hermione kann diese nur vertreiben, wenn sie einen würdigen Partner ehelicht; sie liebt aber den Hirten Amphis. Als Hermione den Konflikt lösen will, erzürnt sie die Halbschwestern. Vipria verwandelt den blühenden Garten in eine Sumpflandschaft. An die wundervollen Gedichte Amphios denkend verspricht Hermione denjenigen zu ehe­ lichen, der ihr das schönste Gedicht schreiben würde. Um die Liebesheirat zu vermeiden, entführen die Zauberschwestern den hässlichen Harfinisten Nachtigall und überreden ihn, am Wettbewerb teilzunehmen. Möge Nachtigall dem geliebten Amphio unterliegen!

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unbekannt

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Überdruss im Überfluss Und sind die gebratenen Tauben aus, die Gaukler lang schon aus dem Haus und dem Verdruss folgt zum Schluss, das was geschehen muss. Die moderne Langeweile kennt keine Eile, der Mensch, der Passive die Schöne, die Laszive, erwartet aus heiterem Himmel das göttliche Gewimmel. Sabine Juschkat-Kück

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Das Mädchen, das in den Fluss ging Es war einmal ein Mädchen, es hatte eine gar böse Stiefmutter. Eines Tages schickte die Stiefmutter ihr Mädchen in den Wald, um Wasser aus den Fluss zu holen. Gerade als das Mädchen Wasser in den Kessel schöpfen wollte, hörte es etwas. Sie drehte sich um und erschrak: Sie sah vor ihren Augen ein Lebewesen mit einem Oberkörper in einer Gestalt von einem Menschen, Haare von einer Hexe und Beinen von einer Kuh, mit einer Axt in der Hand. Das Lebewesen stürzte sich auf sie und nahm sie mit zu sich. Und wollte es schlachten. Da kamen zwei Spaziergänger, sie hörten das Gelächter, und folgten diesem in den Wald hinein. Etwas später waren sie schon ganz dicht daran. Sie schoben einen Busch zur Seite, da sahen sie es auch. Das Mädchen war an einem Baum fest gebunden. Sie schlichen hinter dem Baum und banden das Mädchen los. Nun lief das Mädchen weg. An einem Baum blieb es stehen. Schließlich kamen auch die Spaziergänger. Und die nahmen das Mädchen auf. Jetzt war das Mädchen für immer glücklich. Niklas, 8 Jahre alt

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Ende der Zivilisation Nach Tolstoi ist die Zivilisation von Übel. Also zurück zur Natur, zu einfacher bäurischer Lebensweise und Arbeit, weg mit allen Genüssen der Kultur, mit allen Gesetzeszwängen und mit dem Staat – hinein in den Container, wir müssen uns nicht fürchten. Sabine Juschkat-Kück

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Kleines Volk In einem Pißpott kam er geschwommen, Hochzeitlich geputzt, hinab den Rhein. Und als er nach Rotterdam gekommen, Da sprach er: „Juffräuken, willst du mich frein?

Ameiseneier, gebraten in Butter, Essen wir täglich, auch Würmchengemüs’, Und später erb ich von meiner Frau Mutter Drei Nonnenfürzchen, die schmecken so süß.

Ich führe dich, geliebte Schöne, Nach meinem Schloß, ins Bratgemach; Die Wände sind eitel Hobelspäne, Aus Häckerling besteht das Dach.

Ich habe Speck, ich habe Schwarten, Ich habe Fingerhüte voll Wein, Auch wächst eine Rübe in meinem Garten, Du wirst wahrhaftig glücklich sein!“

Da ist es so puppenniedlich und nette, Da lebst du wie eine Königin! Die Schale der Walnuß ist unser Bette, Von Spinnweb sind die Laken drin.

Das war ein Locken und ein Werben! Wohl seufzte die Braut: „Ach Gott! ach Gott!“ Sie war wehmütig, wie zum Sterben – Doch endlich stieg sie hinab in den Pott. Sind Christenleute oder Mäuse Die Helden des Lieds? Ich weiß es nicht mehr. Im Beverland hört ich die schnurrige Weise, Es sind nun dreißig Jahre her. Heinrich Heine (1797– 1856)

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Zentauren So zogen sich die Zentauren in für Menschen unzugängliche Gebiete zurück, um ein ungestörtes Dasein führen zu können. Die Menschen, welche Kontakt zu ihnen hatten, oder sie immer noch anbeteten wurden als Hexen/Hexer/Teufelsbuhlen*/ Sodomiten* verfolgt und verbrannt. (* dazu muss angemerkt werden, dass es nie sexuelle Verhältnisse zwischen Menschen und Zentauren gegeben hat. Kein Mensch hätte das überlebt.) Als das Christentum schließlich an Einfluss verlor, wurden Versuche unternommen das Verhältnis der Menschen und Zentauren zu restaurieren, doch bei den Menschen hatten sich seit der Zeit der grausamen Verfolgungen viele Generationen gewechselt, bei den Zentauren nicht. Ihre enorme Weisheit erlaubte es den Zentauren nicht die Menschen für die Schandtaten ihrer Vorfahren zu hassen, doch die Vergangenheit ließ ein erneutes Näherkommen der Rassen nicht zu. Selbstverständlich kann noch einiges gerettet werden. In Ungarn wurde das viele Hektare große Zentaurenschutzgebiet Chiron eingerichtet. Dort lebt unter der Führung von Mataria eine zwei Dutzend Tiere zählende Herde. Ähnliche Programme sollen nun auch andernorts durchgeführt werden. Die Menschheit hat eine Menge wieder gutzumachen.

Ein Zentaur ist das Ergebnis des Zeugungsaktes von einem Menschen, einem Pferd und einer Turteltaube. Grob umrissen handelt es sich beim Zentauren um eine Frau, die von der Hüfte abwärts in ein Pferd übergeht. Die Widerristhöhe beträgt selten mehr als 165 cm und die gesamte Körpergröße liegt somit bei in etwa 2,5 Metern. Sie kann jede beliebige Färbung haben, das Kopfhaar ist meist blond. Zentauren sind äußerst scheue Wesen und sehr schwer zu Gesicht zu bekommen. Es ist nicht auszuschließen, dass diese prachtvollen Geschöpfe bereits ausgestorben sind, da in den letzten Jahren kaum welche gesichtet worden sind. Sicher ist jedenfalls, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Die ersten lesbaren Beweise für die Existenz solcher Wesen stammt vom frühen griechischen Philosophen Homophilius, der in seinem Bestiarium die Paarung zweier Zentauren am Ufer des Euphrat beschrieb, ein Zitat ist hier nicht vonnöten. Insgesamt wurden Zentauren im antiken Griechenland für ihre enorme Kraft und Anmut verehrt. Ihre melodischen Balzgesänge galten von jeher als das musikalische Ideal. Das war die Blütezeit der Zentauren und ihrer Verehrer. Mit dem Christentum kam auch die Verfolgung der Zentauren. Der Grund dafür war zum einen die Erklärung der gleichgeschlechtlichen Liebe zur Sünde, zum anderen die Ähnlichkeit der Zentauren zu der christlichen Personifikation des abstrakten Bösen (Hexe) – „Halb Mensch, halb Tier“.

XY aus Stupidedia

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Seepferdchen

und Flugfische tressli bessli nebogen leila flusch kata ballubasch zack hitti zopp zack hitti zopp hitti betzli betzli prusch kata ballubasch fasch kitti bimm zitti kitillabi billabi billabi zikko di zakkobam fisch kitti bisch bumbalo bumbalo bumbalo bambo zitti kitillabi zack hitti zopp treßli beßli nebogen grügü blaulala violabimini bisch violabimini bimini bimini fusch kata ballubasch zick hiti zopp Hugo Ball (1886–1927)

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Das tote Kind

Es hat den Garten sich zum Freund gemacht, Dann welkten es und er im Herbste sacht, Die Sonne ging und es und er entschlief, Gehüllt in eine Decke weiß und tief. Jetzt ist der Garten unversehns erwacht, Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht. „Wo steckst du?“, summt es dort und summt es hier. Der ganze Garten frägt nach ihr, nach ihr. Die blaue Winde klettert schlank empor Und blickt ins Haus: „Komm hintern Schrank hervor! Wo birgst du dich? Du tust dir’s selbst zuleid! Was hast du für ein neues Sommerkleid?“

g Conrad Ferdinand Meyer (1825–1898)

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Das Märchen meines Lebens Mein Leben ist ein schönes Märchen, so reich und glückselig! Hätte ich, als ich arm und allein in die Welt hinausging, eine mächtige Fee getroffen, und sie hätte gesagt: „Wähl deine Bahn und dein Ziel, und dann, nach der Entwicklung deines Geistes, und wie es vernünftigerweise in dieser Welt zugehen muss, beschütze und leite ich dich!“ Mein Schicksal hätte dann nicht glücklicher, klüger und besser geführt werden können, als es das ist. Die Geschichte meines Lebens wird der Welt sagen was sie mir sagt: „Es ist ein liebender Gott, der alles zum Besten führt.“ Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

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Weiße Nächte ... Die Bewohner von Pargolowo und jene, die noch entfernter lebten, flößen mir schon beim ersten Anblick durch ihre Vernunft und Solidität Respekt ein; jene jedoch, die die Krestowskij-Insel besuchen, zeichnen sich durch ein unerschütterlich heiteres Aussehen aus. Und wenn ich dann den langen Prozessionen von Lastkutschern begegnete, die faul, mit den Zügeln in der Hand, neben ihren Lastfuhrwerken schritten, auf denen ganze Berge aller nur erdenklichen Möbel, Tische, Stühle, türkischer und nicht türkischer Diwane und sonstiger Hausgeräte ragten, wobei sehr häufig über all diesem auf dem Gipfel des Fuhrwerks die besorgte Köchin, die das herrschaftliche Eigentum wie ihren Augapfel hütete, zu thronen pflegte; oder wenn ich die mit Hausrat schwer beladenen Barken betrachtete, die auf der Newa oder auf der Fontanka bis zum Schwarzen Flüßchen oder bis zu den Inseln schwammen – die Lastfuhrwerke und Barken verzehnfachten sich in meinen Augen; und mir war, es hätte sich alles aufgemacht und sei auf der Fahrt, mir war, als zöge alles in ganzen Karawanen aufs Land; es schien mir, dass ganz Petersburg zur Wüste werden müsste, so dass mich schließlich ein beschämtes, beleidigtes und betrübtes Gefühl überkam; ... Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881)

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Der grüne König Wir, Johann, Amadeus Adelgreif, Fürst von Saprunt und beiderlei Smeraldis, Erzkaiser über allen Unterschleif Und Obersäckelmeister von Schmalkaldis Erheben unsern grimmen Löwenschweif Und dekretieren vor den leeren Saldis: „Ihr Räuberhorden, eure Zeit ist reif. Die Hahnenfeder ab, ihr Garibaldis! Man sammle alle Blätter unserer Wälder Und stanze Gold daraus, soviel man mag. Das ausgedehnte Land braucht neue Gelder. Und eine Hungersnot liegt klar am Tag. Sofort versehe man die Schatzbehälter Mit Blattgold aus dem nächsten Buchenschlag.“ Hugo Ball (1886–1927)

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Die sechs Zwerge Ein Mann namens Rupert fand einmal sechs kleine Wesen. Es waren Zwerge! Vier Männer und zwei Frauen. Jeden Tag spielte Rupert mit den Zwergen. Sie hieĂ&#x;en 1. Rumpelstilzchen, 2. Dickie, 3. Hampele, 4. Blumie, 5. Bleichie, 6. Spring-Laufie. Die Zwerge haben sich auf einem Zwergenfest kennen gelernt und feiern heute ein Fest, dass sie sich nun ein Jahr lang kennen.

J Antje, 6 Jahre alt

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Sphinx in Rosen Aus weißem Stein geformt, im Junigarten, Liegt eine Sphinx, die greulichste der Katzen. Es küssen ihr die zierlichsten Standarten, Zwei Rosen, windgeschaukelt, leicht die Tatzen. Das Untier schweigt, die Lippen offenbarten, Wie schon zu Ramses Zeiten, leere Fratzen. Und schweigt, und schweigt, und lässt auf Antwort warten, Im stillen Garten schwatzen nur die Spatzen. Umschattet von des Gartens Riesenbäumen, Ruht eine Sphinx aus blendend weißem Steine, Leicht überhaucht vom warmen Widerscheine Der tausend Rosen, die sie dicht umzäunen. Verdrossen, finster und in dumpfen Träumen, So brütet starr sie über das geheime, Das ewige Rätsel. Und der Blüten eine, Sich schalkhaft wiegend, spricht: „Was willst du säumen? So find und gib uns endlich doch die Lösung!“ Im Winde schaukelten die andern Rosen. Da gräßlich, klang das eine Wort: Verwesung. „Nein, Liebe ists!“ erwiderten die losen; „Lass dirs gesagt sein, greulichste der Katzen.“ Doch schmeichelnd küssten sie des Untiers Tatzen.

d Detlev von Liliencron (1844–1909)

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Ein Donnerstag der Pfeil landete im Staub noch am Faden hing der Apfel des Tell. Danach ging’s noch schnell Schnecken jagen – Wir haben gejuchzt und geschrien mit den Autoscootern Linien und Kreise beschrieben mit dumpfem Knall gegen die Anderen gelenkt haben aufgepasst, dass der Widerhall uns nicht den Hals verrenkt. Und, im Geisterhaus war es mit der Contenance ganz aus Nina stand an mich gepresst trotz cooler Worte war sie ganz gestresst Carla ganz zittrig stand vor der Geistertür ich ihr vorschlug mit etwas Gespür sie einwilligend hinein trug ihr Dank war fast vornehm und klug so die eine an mich geklammert die andere sitzend auf meiner Hüfte ging es durch die Geistergrüfte

Schon lange keinen Reim geschrieben was habe ich gemacht war ich zufrieden habe ich gelacht ? Nein, ich habe meine Seel’ mit Arbeit getrieben ! Doch der Donnerstag auf dem Schützesfeste war gut der gab mir mit meinen Nichten so richtigen Mut ! Wir besuchten Karussellreigen naschten süße Äpfel von blassen Zweigen und hier, und da, auch dort, ich noch Geld locker ließ auch für das mittelalterliche Paradies habe kräftig an der Sehne gezogen mit gutem Willen gekrümmt den Bogen die Finger wurden so richtig taub und –

Ach, – mich durchwehte ein leiser Wind in solchem Heil meine Seele gut eingestimmt und alle in diesem Spiel kamen ans erhoffte Ziel Dieser Tag war schön – wir konnten gut nach Hause gehn. Hubertus Ziesmer

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Aus dem Poetischen Blumengarten In Sanssouci, unweit der Neptungrotte

Auf der Wiese

Sagt, wer seid Ihr, Fraun und Helden, Aus der edlen Ritterzeit? Will mir keine Inschrift melden Namen, Taten, Lieb’ und Leid?

Guten Morgen hab’, Frau Krähe Hier auf bunter Maienflur! Scheu’ Dich nicht vor meiner Nähe, Nick’ und hüpf’ und picke nur.

Und mir klang’s wie leise Mahnung Von den Steingebilden her: „Bestes bleibt hienieden Ahnung! Ahn’ auch hier das Wie und Wer!

Allgeladen sind zum Feste Wir ins heitre Lenzeslicht. Sollten Gästen groll’n die Gäste? Nein! Der Gastherr will das nicht.

Und im frommen Liedesschallen Geh’ durch Hoffnungsgrün Du fort. Wann Dir Lied und Wort verhallen, Künden wir Dir alles dort!“

Ob ich andr’ auch lieber sähe, – Still, Herr Ritter! Höflich nur! – Guten Morgen hab’ Frau Krähe, Hier auf bunter Maienflur. Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843)

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Eulenspiegel Von allen Vögeln, die ich je sah Ist die Eule besonders wunderbar. Tagsüber sitzt sie in ihrem Versteck Und wenn es Nacht wird, fliegt sie ... ? Doch halt! Nun hockt sie drin im Rahmen und gaukelt vor den Damen. „Eulen sind so weise“, spricht die eine Dame leise. „Eulen zu lauschen, macht selber weis, hören wir doch auf der Eule Geheiß!“ Die Eule ist ganz ohne Gemogel, Von allen der ehrlichste Vogel! Augen, in jedem Format Von Taler bis zum Wagenrad. Es gibt Eulen in alten Rahmen und Eulen im Gestühl, die Damen haben ein gutes Gefühl. Sie weiß, ob eine Dame neu liebt oder ob ein Unglück geschieht. Am Ende sind die Damen arg verzagt, sie hat die Wahrheit nicht gesagt. Sie hörten der Eule Proben, so müssen sie selber sich loben. Sabine Juschkat-Kück

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Ritter Sockenburg Wie du zärtlich deine Wäsche in den Wind Hängst, liebes Kind Vis à vis, Diesen Anblick zu genießen, Geh ich, welken Efeu zu begießen. Aber mich bemerkst du nie. Deine vogelfernen, wundergroßen Kinderaugen, ach erkennen sie Meiner Sehnsucht süße Phantasie, Jetzt ein Wind zu sein in deinen Hosen –? Joachim Ringelnatz (1883–1934)

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ach ich spür’ es schon das viele schlafen unendlich schön wird diese ruhe sein zärtlich auch bin all das licht unendlichkeit nun lieb’ ich dich erst richtig ist das nicht wirklich komisch

^ Holger Girr

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Rotkäppchen Sie ging, guter Laune, da sie leicht an Vergesslichkeit litt und sich nicht mehr daran erinnerte, wie sich die Großmutter benahm, wenn sie keinen Wein bekam, zur Großmutter. Als sie bei ihr an der Tür klopfte, sagte die Großmutter: “Komm nur hinein und gib mir deinen Wein!“ Und als Rotkäppchen hinein kam, die Großmutter erwartungsvoll in den Korb schielte und nur die leere Flasche Wein entdeckte, nahm sie Rotkäppchen und fraß sie auf. Dann legte sie sich in ihr Bett und schlief schnarchend ein. Da kam der Jäger, der sich in der Dorfkneipe schon ein paar Gläser Wein schmecken gelassen hatte am Haus vorbei. Er wunderte sich, dass die Großmutter so laut schnarchte. So betrat er das Haus. Großmutter schreckte hoch. Mit wütendem Blick starrte sie den Jäger an. Wie ich bereits erwähnte, war der Jäger schon etwas angetrunken und sah alles etwas verschwommen. Er fragte: “Hicks, Großmudder, warum, hicks, hast du so eine große Nase? Und warum, hicks, hast du so große Ohren?“ Die Großmutter funkelte den Jäger an. Doch der Jäger beachtete ihre finstere Miene gar nicht und fragte zu allem Überfluss noch: “Großmutter, warum hast du so einen, hicks, großen Mund?“ Die Großmutter sprang auf. Der Jäger bekam jetzt Angst und griff nach seiner Flinte. Doch die Großmutter war ihm zuvor gekommen. In einem Gewirr aus Schüssen rannte der Jäger aus dem Haus.

Es war einmal ein Mädchen, das war neun Jahre alt. Vielleicht auch älter, vielleicht auch jünger. Aber das ist ja eigentlich auch egal. Jedenfalls hieß sie Rotkäppchen, weil sie immer so eine komische rote, vielleicht durch Benutzung schon leicht schmutzige Kappe trug. Na ja, eines Tages schickte ihre Mutter sie als Strafe dafür, dass sie ihren Teller nicht leer gegessen hatte, zur Großmutter, um ihr Kuchen und eine Flasche Wein zu bringen. So ging Rotkäppchen zitternd in den Wald. Die Geschichten vom bösen Wolf und die Warnung vor ihm, hatten ihr Angst eingejagt. Rotkäppchen ging brav auf dem Weg, der zur Großmutter führte (Mutter hatte gesagt, Rotkäppchen dürfe auf keinen Fall vom Weg abkommen). Als Rotkäppchen schon eine Weile gegangen war, tauchte plötzlich eine Gestalt vor ihr auf: Es war der Wolf. „Hallo Rotkäppchen“, sagte er, „was tust du denn so allein in der Wildnis?“ „Ich gehe zu meiner Großmutti, um ihr Kuchen und eine Flasche Wein zu bringen“, sagte Rotkäppchen. „Ah, welcher Jahrgang ist denn der Wein?“ Rotkäppchen guckte ihn mit großen Augen an. Da sagte der Wolf, dass er den Jahrgang prüfen könnte. Sie könne ja unterdessen auf der Wiese Blumen pflücken. Rotkäppchen war einverstanden. Sie ging auf die Wiese. Als sie ihrer Meinung nach genug Blumen gepflückt hatte, ging sie zurück zu der Stelle, wo eben noch der Wolf gesessen hatte, doch dort stand nur noch der Korb. Der Wolf hatte doch tatsächlich die Frechheit besessen, den Wein und Kuchen zu essen und sich anschließend aus dem Staub zu machen. Rotkäppchen raffte sich auf.

Diese Geschichte sollte euch vor alkoholkranken Großmüttern warnen!

ENDE Lupo Hoffers, 13 Jahre alt

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die neue leichtigkeit jetzt wollt’ ich aufhören

lass’t flügel wachsen mir nun lasst mich doch

nach aller leichtigkeit

mir ist doch jetzt mit eurer schwere

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damit ich sanft entschweben kann Holger Girr


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Sans les mots Der König schaut von oben drauf – Das Chaos nimmt nun seinen Lauf. Ein Schwein im Garten der Lust bringt auch ihm nur Verdruss. Der Wicht sich auf den Weg nun macht, und umsetzt mit Bedacht, zu zerstören preußische Pracht, wer hätte das gedacht?! Nur der Pfau ist schlau und übersieht die Sau.

H Sabine Juschkat-Kück

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Stille Zuneigung Hast du die Lippen mir wundgeküsst, So küsse sie wieder heil, Und wenn du bis Abend nicht fertig bist, So hat es auch keine Eil’. Du hast ja noch die ganze Nacht, Du Herzallerliebste mein! Man kann in solch’ einer ganzen Nacht Viel küssen und selig sein.

x Heinrich Heine (1797– 1856)

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Lore Lay Zu Hamburg an der Elbe wohnt' eine Zauberin, die war so schön und feine und riß viel Herzen hin. Und machte viel zuschanden der Männer rings umher, aus ihren Liebesbanden war keine Rettung mehr!

®R Clemens Brentano (1778 – 1842)

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Froschkönig, eiserne Sagte: „Versprochen du und Frosch auf.“ Und hüpfte ihr Fuße, bis Stuhl, sie gesetzt rief; „mich einen dich.“ Wollte der es der war: „nun goldenes ich dir“ sie: Wie satt, sagte: „bin und bring in, Bettlein wollen hineinlegen.“ Erschrak, das fürchtete dem, sie nicht und er in liegen, an zu wollte. Da König befahl seiner tun, versprochen half sie wie wollte, war ihrem packte mit und hinauf Kammer, ins statt sich warf bratsch! Wand; „wirst in du“ Frosch tot wie auf kam, ein Prinz. Nun Geselle, hielt wie hatte, schliefen ein. Aber prächtiger acht mit und war Heinrich, der so die, daß eiserne sein mußte, vor zerspringe. Setzte der den treue stand, so in fahren. Sie Weges, hörte hinter lautes drehte um: „Heinrich, bricht!“ – „Der, es Band Herzen, lag Schmerzen, in saßt, eine“ Noch noch es krachen: Der, aber nur, die des absprangen, Herr glücklich.

War Königstochter, hinaus Wald sich kühlen, hatte Kugel, ihr die in und wieder Luft ihre. Einmal Kugel geflogen, die ausgestreckt Finger sie wieder, da neben die und geradezu Wasser. Blickte nach, war tief, Grund war. Sie zu zu, wenn Kugel da, alles meine Edelgesteine und auf nur sie steckte seinen dem sprach: „jammerst erbärmlich?“ – Sie, Frosch, du meine ist den – Der: „deine deine verlang, aber mich annehmen ich dir von Tellerlein in schlafen willst und so dir wiederbringen.“ Dachte, der wohl, doch Wasser aber mir holen, ich sagen: „ja mir die wieder, dir sein.“ Der seinen das tauchte dauerte lange, er die die Maul sie. Wie ihre erblickte, geschwind hob und froh, in zu sie weiter damit eilte. Rief: und mit, versprochen sie darauf. Tage Königstochter Tafel, sie Marmortreppe, platsch! Bald es der rief: „mach mir“ lief, machte auf, es an nicht hatte; warf Türe und wieder Tafel. Aber ihr klopfte, „warum dich?“ – „Da ein, sagte hat goldene dem, ich dafür, mein Geselle glaubte, dass seinem könnte, er der will klopfte zweitenmal: „Mach, weiß was zu bei Brunnenwasser? Mach“

Ende

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Kleider Oft wenn ich Kleider mit vielfachen Falten, Rüschen und Behängen sehe, die über schönen Körper schön sich legen, dann denke ich, daß sie nicht lange so erhalten bleiben, sondern Falten bekommen, nicht mehr geradezuglätten, Staub bekommen, der, dick in der Verzierung, nicht mehr zu entfernen ist, und daß niemand so traurig und lächerlich sich wird machen wollen, täglich das gleiche kostbare Kleid früh anzulegen und abends auszuziehen. Doch sehe ich Mädchen, die wohl schön sind und vielfach reizende Muskeln und Knöchelchen und gespannte Haut und Massen dünner Haare zeigen, und doch tagtäglich in diesem einen natürlichen Maskenanzug erscheinen, immer das gleiche Gesicht in die gleichen Handflächen legen und von ihrem Spiegel widerscheinen lassen. Nur manchmal am Abend, wenn sie spät von einem Feste kommen, scheint es ihnen im Spiegel abgenützt, gedunsen, verstaubt, von allen schon gesehn und kaum mehr tragbar. Franz Kafka (1883 – 1924)

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Mar-Jandl Maries Fisch glotzt. Marie: schwimm Fisch schwimm! Maries Fisch glotzt. Marie: oh weh. Marie schnappt Luft. Marie treibt. Fisch lauscht. Marie: hopp hopp Marie schwebt Maries Fisch mault. Marie: halt’s Maul! Maries Fisch glotzt. Maries Fisch spuckt Marie: Igitt Igitt! Sabine Juschkat-Kßck

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Die Rieseneidechse Sie greift den Koch an. Der Affe beobachtete alles von oben, doch der Koch wirft seinen Knüppel auf den Affen. Der Affe kann nicht ausweichen und wird getroffen. Und fliegt ins Wasser. Da greift die Eidechse den Koch an, aber sie rutscht ab und schnappt sich noch im letzten Moment den Koch und fliegt mit ihm runter. Unten wartet schon der Affe mit den Knüppel, doch leider fliegt die Eidechse auf den Affen. Und der Knüppel fliegt hoch, der Koch schnappt sich den Knüppel und schlägt die Eidechse k.o.. Da kommt der Affe, doch auch den schlägt er k.o..

Jan, 6 Jahre alt

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an erzählet eine besondere Geschichte von ihm, die viel Aufsehens gemacht hat. Ein gewisser ägyptischer Schiffer, Thamus, gieng zu den Zeiten des K. Tiberius nach Italien. Als sein Schiff bey den echinadischen Inseln des Abends nahe an die Insel Paxis getrieben worden, so wurde auf einmal eine Windstille. Alle Leute im Schiffe wacheten und die meisten saßen noch bey Tische und tranken. Man hörete mit großer Verwunderung eine Stimme von der Insel kommen, die den Thamus rief. Er ließ sich zweymal rufen, ohne zu antworten: das dritte Mal aber antwortete er. Die Stimme befahl ihm, wenn er nach Palodes käme, so sollte er ankündigen, der große Pan sey todt. Auf dem Schiffe zitterte und bebete alles. Man berathschlagete sich, was dabey zu thun wäre; und Thamus beschloß, wenn er an dem bestimmten Orte Wind genug hätte, so wollte er stillschweigend vorbey fahren: sollte ihn aber eine Meerstille daselbst aufhalten, so müßte er wohl den Befehl ausrichten. Kaum war er nach Palodes gekommen, so höreten Wind und Strom auf. Thamus trat also vorn auf das Schiff und rief gegen das Land zu: Der große Pan ist todt. So bald er solches gerufen hatte, so hörete man ein großes Seufzen und Wehklagen, als von einer Menge solcher Personen, die darüber erstaunt und betrübt wären. Es befand sich keiner auf dem Schiffe, der solches nicht vernahm; und das Gerücht davon breitete sich also in Rom bald aus. Der Kaiser ließ den Thamus selbst vor sich kommen, und erkundigte sich wegen der Sache. Als er darauf auch seine Gelehrten wegen des Pans befragete, so erhielt er zur Antwort, es wäre solcher Mercurs und der Penelope Sohn. Weil aber solcher Gestalt dieser Pan über zwölf hundert Jahre alt gewesen seyn müßte, so haben einige lieber dafür gehalten, es sey alles damals nur ersonnen worden, den Tiberius in Furcht zu jagen. Andere wollen im Gegentheile, daß solcher Pan, weil die Zeit so ziemlich zutrifft, Christus selbst gewesen sey, welcher damals gekreuziget worden. Man hat aber nicht den geringsten Grund, diese Geschichte für wahr zu halten. aus Hederichs gründliches mythologisches Lexikon 1770

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wahnsinn und genie du bist wahnsinnig sagte die wahnsinnige zum wahnsinnigen

und wie sie’s sagte wurd’s ihnen so viel wohler und taten sich zusammen und wurden zum genie Holger Girr

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Die kleine Meerjungfrau Weit draußen im Meer ist das Wasser so blau wie die Blätter der herrlichsten Kornblume, und so klar wie das reinste Glas, aber es ist sehr tief, tiefer als irgend ein Ankertau reicht, viele Kirchtürme müßte man auf einanderstellen, um vom Grund bis über das Wasser hinauszukommen. Dort unten wohnen die Meerleute. Nun darf man nur ja nicht glauben, daß da bloß der nackte, weiße Sandboden ist; nein, es wachsen dort die seltsamsten Bäume und Pflanzen, so geschmeidig im Stiel und in den Blättern, daß sie sich bei der leisesten Bewegung des Wassers rühren, als wären sie lebendig. Alle Fische, kleine und große, schlüpfen durch die Zweige wie hier oben die Vögel in der Luft. An der allertiefsten Stelle liegt das Schloß des Meerkönigs, die Mauern sind aus Korallen und die langen, spitzen Fenster aus dem allerklarsten Bernstein, aber das Dach sind lauter Muschelschalen, die sich öffnen und schließen, je nachdem wie das Wasser geht; das sieht wundervoll aus, denn in jeder liegen leuchtende Perlen, eine einzige schon würde in der Krone einer Königin großen Staat machen. Der Meerkönig dort unten war viele Jahre lang Witwer gewesen, aber seine alte Mutter führte ihm den Haushalt; sie war eine kluge Frau, doch stolz auf ihren Adel, darum ging sie stets mit zwölf Austern im Schwanz, die anderen Vornehmen durften nur sechs tragen. – Im übrigen war sie sehr zu loben, besonders weil sie die kleinen Meerprinzessinnen so liebhatte, ihre Sohnestöchter. Das waren sechs reizende Kinder, aber die Jüngste war die Schönste von allen, ihre Haut war so klar und rein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie die tiefste See, aber wie alle übrigen hatte sie keine Füße, der Körper endete in einen Fischschwanz. ... Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

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In den Binsen Langsam und zagend folgt ich dir nach In die rauschenden Binsen ... Nickende Lilien standen am Bach Zwischen den Wasserlinsen. Und so sicher und stark dein Arm, Rings ein seliges Raunen, – Und die Sonne lockte so warm: „Schlaf auf goldenen Daunen.“ Näher und näher zum Teich heran, Immer verstrickter die Loden ... Und du lachtest mich sonnig an: „Lug und Trug ist der Boden. Zitternde Quellchen schon hier und dort Aus verborgenen Gründen! – Halte dich fest - gleich sind wir am Ort, Wo wir die Lilien finden.“ Meine Seele war ganz Vertrau’n, Und mir sprühten die Wangen ... Ach, ich wäre durch Nacht und Grau’n Gläubig mit dir gegangen. Sonder Furcht vor dem schwankenden Rain, Vor den tückischen Bronnen, – Immer dir nach in die Binsen hinein Ganz verträumt und versonnen. Drüben sah ich in silbernem Flor Sich die Binsen erhellen, – Eine Natter züngelt empor, Höher sprühen die Quellen, Weicher der Grund ... Dir nach, dir nach! Hielt mich ein Zauber gebunden? Aber die nickenden Lilien am Bach Haben wir nicht gefunden. Hedwig Dransfeld (1871 – 1925)

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Überall Überall ist Wunderland. Überall ist Leben. Bei meiner Tante im Strumpfenband Wie irgendwo daneben. Überall ist Dunkelheit. Kinder werden Väter. Fünf Minuten später Stirbt sich was für einige Zeit. Überall ist Ewigkeit. Wenn du einen Schneck behauchst, Schrumpft er ins Gehäuse. Wenn du ihn in Kognak tauchst, Sieht er weiße Mäuse. Joachim Ringelnatz (1883–1934)

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Das Leben ist ein Fluss Hautwasserwellen umspülen den muskelglatten Stein augenleuchtendes Fischefunkeln seelengründige Wasserpflanzen kommen gewiegt an die Oberfläche zungenfeuchte Frösche schnappen insektenzirren die Reflexe altgewiefte Aalen gründeln in den Nischen der Lust Das Leben ist ein Fluss und Schleusen die Moral.

} Hubertus Ziesmer

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Der Zwölf-Elf Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand. Da schlägt es Mitternacht im Land. Es lauscht der Teich mit offnem Mund. Ganz leise heult der Schluchtenhund. Die Dommel reckt sich auf im Rohr. Der Moosfrosch lugt aus dem Moor. Der Schneck horcht auf in seinem Haus, Desgleichen die Kartoffelmaus. Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast Auf einem windgebrochnen Ast. Sophie, die Maid, hat ein Gesicht: Das Mondschaf geht zum Hochgericht. Die Galgenbrüder wehn im Wind. Im fernen Dorfe schreit ein Kind. Zwei Maulwurf küssen sich zur Stund Als Neuvermählte auf den Mund. Hingegen tief im finstern Wald Ein Nachtmahr seine Fäuste ballt: Dieweil ein später Wanderstrumpf Sich nicht verlief in Teich und Sumpf. Der Rabe ruft schaurig: „Kra! Das End ist da! Das End ist da!“ Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand: Und wieder schläft das ganze Land. Christian Morgenstern (1871–1914)

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Der kekke Lachengekk koaxet / krekkt / und quakkt /

Des Krippels Krükkenstokk krokkt / grakkelt / humpt und zakkt / Des Gukkuks Gukken trotzt dem Frosch und auch die Krükke. Was knikkt und knakkt noch mehr? Kurtz hier mein Reimgeflikke Johann Klaj (1616 – 1656)

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Sterbender Garten In meines Vaters Garten, Da wars noch gestern grün. Da seh ich noch so mancherlei, So schöne Blumen blühn. Und heut ist alles anders, Und heut ist alles tot. Wo seid ihr hin, ihr Blümelein, Ihr Blümlein gelb und rot? August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874)

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Die Elfen auf der Lüneburger Heide ... Das einförmige Knirschen des Wagens im Sand, die Windstöße in den Zweigen und die Musikstücke des Postillions verschmolzen allmählich zu einem einschläfernden Wiegenlied, ein Passagier nach dem anderen nickte mit dem Kopf, sogar unsere Blumenbuketts, die in die Wagenräder gesteckt waren, ahmten dieselbe Bewegung nach, jedesmal, wenn der Wagen einen Stoß machte. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, während ich halb döste und gewiß träumte. Mein Blick fiel vor allem auf eine der großen Nelken in dem Bukett, das ich mir in den Vierlanden besorgt hatte: Alle Blüten dufteten stark, aber mir schien, dass sie an Duft, wie an Farben, alle die anderen übertraf; und was das kurioseste war, mitten in der Blüte saß ein kleines, luftiges Wesen, nicht größer als eins ihrer Blätter, und so durchsichtig wie ein Glas; das war ihr Genius; denn in jeder Blüte wohnt so ein kleiner Geist, der mit ihr lebt und stirbt. Seine Flügel hatten dieselbe Farbe wie die Nelkenblättchen, aber sie waren so fein, dass sie aussahen, als wäre es nur der rote Schimmer, der im Mondlicht von der Blüte fiel; goldgelbe Löckchen, feiner als Blütenstaub, fielen über die Schultern hinab und wellten sich im Wind. ... Hans Christian Andersen (1805 – 1875)

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In einem kleinen Apfel In einem kleinen Apfel, da sieht es lustig aus. Es sind darin fünf Stübchen grad wie in einem Haus. In jedem Stübchen wohnen, zwei Kernchen schwarz und klein, die liegen drin und träumen vom lieben Sonnenschein. Sie träumen auch noch weiter, gar einen schönen Traum, wie sie einst werden hängen am schönen Weihnachtsbaum.

Q Kinderlied

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DieRose Die Rose blüht, ich bin die fromme Biene Und rühre zwar die keuschen Blätter an, Daher ich Tau und Honig schöpfen kann, Doch lebt ihr Glanz und bleibet immer grüne, Und also bin ich wohlgemüt, Weil meine Rose blüht. Die Rose blüht, Gott lass den Schein verziehen, Damit die Zeit des Sommers langsam geht Und weder Frost noch andre Not entsteht, So wird mein Glück in dieser Rose blühen, So klingt mein süßes Freudenlied: Ach, meine Rose blüht. Die Rose blüht und lacht vor andern Rosen Mit solcher Zier und Herzempfindlichkeit, Dass auch mein Sinn sich zu der Pflicht erbeut, Mit keiner Blum im Garten liebzukosen, Weil alles, was man sonsten sieht, In dieser Rose blüht. Unbekannter Dichter des Barock

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Die Entscheidung Auf des Fisches Schwanz da saß – einfach so zum Spaß – Frau Echse und las. „Bevor ich diesen Fisch zurlege und zur Küche mich bewege entspann’ ich mich bei jeder Zeile und lese noch ne Weile.“ So sprach Frau Echse vor sich hin, „weil ich ja auch gebildet bin.“ Der Fisch nun ohnehin nicht mehr am Leben, wird diese Pause ihr vergeben. So liegt der Fisch ganz frisch – auf dem Gemüsebett. Sabine Juschkat-Kück

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Ich möchte mich bedanken (in alphabetischer Reihenfolge) Hans Christian Andersen, Antje, Hugo Ball, Inga Bendschneider, Lasse Bendschneider, Nele Bendschneider, Hieronymus Bosch, Silke Breig, Clemens Brentano, Tina Buck, Wilhelm Busch, Matthias Claudius, Marga Cziesso, Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Hedwig Dransfeld, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Friedrich de la Motte Fouqué, Holger Girr, Heinrich Heine, Usch Hellermann, Josefine Hoffers, Lupo Hoffers, Eva Ihrig, Jan, Isa Kipp-Trense, Sabine Juschkat-Kück, Steffen Kaden, Franz Kafka, Johann Klaj, Anna Kück, Detlev von Liliencron, Ines Lücke, Birke Mayorga, Toya Mayorga, Celestine Meyer, Noah Meyer, Conrad Ferdinand Meyer, Christian Morgenstern, Niklas, Pelle Petereit, Sandra Potenberg, Joachim Ringelnatz, Stefanie Sost, Emilia Stöber, Thomas Suhm, Monika Vollmer, Hubertus Ziesmer

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