D. Fabre d'Olivet - Theophrastus Paracelsus, oder, Der Arzt. Ein historischer Roman, 1842

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Theophrastus

Paracelsus

oder

der Arzt.

Historischer Noman ans den Zeiten des Mittelalters.

Nach dem Französischen des Fabre d'Olivet. von 0'

Eduard

Liber.

Zweiter Band,

Zweite Ausgabe.

Magdeburg, 1842. Verlag der Nubnch'schen Buchhandlung (G. Fabricius>,


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Theophrastus Paracelsus oder ^er

Mrzt.

Historischer Voman aus den Jeiten des Mittelalters, '

Nach dem Französischen des Fabre d'ONvet.

Zweiter Kand.

Magdeburg, 1842. Veriag der Rubach'schen Buchhandlung (E. Fabricius)

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Die Burg Hohenheim.

«Vis Burg Hohenheim, auf welcher damals der Graf Christoph, Großprior, des Malteser-Ordens, seinen Wohnsitz hatte, war eins jener großartigen, zusammengesetzten Bauwerke, zu welchen jedes Iahr hundert seinen von ihm zeugenden Beitrag liefert. Es erscheinen diese Bauwerke mit zwei- und dreifa ch« Fa?ade als Monumente nicht einer, sondern ver schiedener Zeiten. Von welcher Seite man sie be trachtet, sie zeigen immer eine andere und neue Phy siognomie. Sie bewahren den Character jeder Periode, welche an ihnen vorübergegangen ist, indem sie das Gepräge einer jeden an einem ihrer Theile aufwei sen; und merkwürdig genug geben diese aneinander g fügten Bauarten eines verschiedenen Styls, diese heterogenen Glieder, hie und da aufeinandergehäuft, aneinandergereiht und zusammengesetzt, um ein Gan zes zu bilden, dennoch ein gewaltiges Bild der Kraft und der Einheit; sie revräsentiren gleichsam die ver schiedenen Civilisationen, welche einander gefolgt sind, sie drücken, selbst starr und unbeweglich , die fliehenden

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4 und veränderlichen Sitten der durch das Zeitenrad fortgewälzten Zustände aus, und bewähren sich selbst als feststehende, dauernde Zeugen der geschehenen Thaten und gewonnenen Resultate.' Ein solches Ge bäude ist die redende Zunge der Geschichte: sie spricht durch einen in einem engen Raume aufgehäuften und symmetrisch geordneten Steinhaufen; jeder Stein er zählt dem betrachtenden Auge sein Ereigniß, und das ganze Monument ist ein erbautes Manuscript, ein unvergängliches Buch, in welchem die Annalen und Chroniken ihrer Zeiten aufgezeichnet stehen. Die Burg war von einer stark massiven Einfas sung, auf der Zinne mit spitzen Zacken versehen, umgeben, welche aus den ältesten, Lehenszeiten sich herschrieb und nur hie und da von langen und schmalen Schießscharten, und außerdem von einem halbverfallenen Thore mit Fallgatter und Zugbrücke durchbrochen war. Gegen Osten lehnten diefe Zin nen an zwei hervorragende Thürme, deren in ernstem und edlem Style gearbeitete Sculpturen von der geschmackvollen und einfachen Bauart der Zeit des heiligen Lud ewig zeugten. Hinter diesen Thurmchen erhob sich eine Fa?ade, deren Gestein noch weiß erschien im Gegensatze des von der Zeit dunkel ge schwärzten, angrenzenden Theiles. Dieser Bau datirte aus neuerer Zeit, war reich mit Steinverzierungen aller Art geschmückt, und herbergte in seinem In nern den edlen Burgherrn.

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Christoph Bombastus von Hohenheim be fand sich eben in dem großen Burgsaale. Er saß mit einem anderen Ritter unter dem reich gearbeite ten Mantel des hohen Kamines und pflog mit die sem geheimen Zwiesprach. Der Prior von Rhodus war ein nicht großer aber ziemlich voller Mann, von runden, stämmigen Formen. Sein sonst schwar zes, jetzt mehr graues, Haar, das dünn und glatt anliegend, von beiden Seiten seiner breiten und plat ten Stirn herabhing, erhöhte wenig den Ausdruck seiner beim ersten Anblicke nichtssagend erscheinenden Physiognomie. Doch konnte bei näherer Prüfung der Menschenkenner in diesem Gesichte leicht den tiefver steckten, grausamen, listigschlauen und intriguanten Character erkennen, welcher sich unter der vielleicht etwas einfältig erscheinden Maske der Einfachheit und Gutmüthigkeit zu verbergen suchte. Seine stro tzenden Wangen, und sein wohlgenährter, hervorste hender Bauch bildeten den vollendetsten Gegensatz mit der Figur seines Gesellschafters*, den wir schon kennen, des Grafen Reinach, welcher hagerer, eckiger, empsindungslofer und kälter als je erschien. — Glaub' mir, Du wirst es nicht bereuen, be ster Graf, meiner Einladung zu mir gefolgt zu fein, sprach Christoph zu ihm.— Ietzt, da wir allein sind, sollst Du meine Gründe horen. Bist Du ent schieden, Deinen Wohnsitz in Paris aufzugeben? — Ich bin es. Ich hatte bis jetzt meine Frau am


6 Hofe Frankreichs gelassen, um bei der Ungewissheit, ob Franz oder Karl die Kaiserkrone erhalten würde, mir freien Zutritt für beide Seiten offen zu erhalten. Aber ich sehe ein, daß wir heute vom Könige von Frankreich Nichts zu erwarten haben, nicht einmal Schutz, wenn wir eine Niederlage erleben sollten; er würde der Placida höchstens den Hof machen, weil sie schon unv jung ist, und das wäre Alles. Deßhalb habe ich sie auch mit mir genommen. Ich werde mich wahrscheinlich auf einige Zeit irgendwo an der Grenze niederlassen, etwa in Basel, um nach beiden Seiten hinschauen und zuerst erfahren zu kön nen , woher der Wind bläst. Uebrigens ist mein Auf enthalt in Paris für Dich nicht ohne Nutzen gewesen. Ich habe Dir den Dienst in Betreff Deines Neffen geleistet, welchen ich Dir hinsichtlich Adrians von Rodenberg schulde. Unsere Rechnung hebt sich somit in diesem Augenblicke. — Ich habe Dir schon meinen Dank für diese mir erwiesene Gefälligkeit ausgedrückt. Aber ich lebe der Hoffnung, daß, nach dem, was ich Dir jetzt ver trauen werde, Du mir für Dein Theil ebenfalls Dank wissen werdest. — Wie das? — ES betrifft wichtige Geheimnisse für die Zukunft Deutschlands und für unsere Wohlfahrt, Georg! Wir leben in einer kritischen, verhängnißvollen Zeit, wo man Alles wagen, Alles hoffen darf. >

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— Kritisch für die Kirche, durch das Gezänk der Mönche, anwortete der alte Graf trocken mit verachtungsvoller Miene. — Nicht doch , nicht doch ! erwiederte mit eifri ger Lebhaftigkeit Christoph. Sei versichert, daß es sich heute um Wichtigeres als um religiöse Strei tigkeiten handelt; es stehen Dinge auf dem Spiele, es handelt sich um Fragen, die von bedeutendem, von ungeheurem politischen Gewichte sind. Was geht uns die heilige Kirche und ihre Dogmen, was der liebe heilige Vater mit seiner Unfehlbarkeit, was der Vorrang der Concilien an! Das sind nichtssagende Thorheiten in meinen Augen. Wenn es weiter Nichts gelte, um diese Dinge gürtete ich noch nicht einmal mein Schwert um. Aber unter all' diesem Mönchs- ' krame und Gezanke der Kirche sind mächtige solide In teressen verborgen: es giebt Pfründen zu säcularisiren, das setzt den Adel in Bewegung; es soll der Adel geplündert werden, das setzt das Volk in Bewegung. Unter Luthers Mönchskutte, sage ich Dir, wird eine ganze Revolution gebrütet. Fängt der Zunder Feuer, so bricht ein ungeheurer Brand aus. — Wir werden es nicht hindern, antwortete kurz der alte Graf, ohne sein kaltes, theilnahmloses Wesen zu ändern. " — Und doch vielleicht! Wenigstens können wir die Zeitumstände, die Bewegung zu unserem Besten nützen. Warum wollen wir den Ketzern den Vor


8 theil des Angriffes lassen ? Warum wollen wir nicht losschlagen, die wir zahlreicher, einiger, stärker sind, da wir seit längst einBündniß gebildet haben? Warum wollen wir ruhig zuschauen, wie die lutherische Union sich täglich durch neue Verbindungen verstärkt, und sie nicht im Entstehen vernichten? Sieh! welche Aus dehnung sie schon gewonnen hat! Der Churfürst Friedrich, sein Bruder Iohann der Beständige von Sachsen, der Landgraf Philipp von Hessen, die Herzoge von Mecklenburg, von Pommern, von Celle, und diese Unzahl von Städten! Und, traue meinen Worten, der Großmeister der deutschen Or densritter, der Markgraf Albrecht von Branden burg, wartet nur auf eine Gelegenheit, sein Keusch heitsgelübde zu brechen, sich weltlich zu machen, und Preußen — zu säcularisiren : er ist in Unter handlung, sich die Oberlehensherrlichkeit und den Schutz Polens zu sichern und ein Bündniß mit Hessen und Sachsen zu schließen. Wozu dient uns, zum Hen ker! der Negensburg'sche Bund, wenn wir dieß Al les ganz ruhig unter unseren Augen geschehen lassen? Mag sich der Erzherzog Ferdinand vorsehen ! Wenn das Lutherthum in Böhmen eindringt, — und es ist schon dort — , so wird es die Hussiten und alle ge henden Verbindungen vorfinden, die nach allen En den und Seiten verbreitet sind. Und alsdann, wer kann den Ausgang vorhersehen? Wäre es nicht viel gescheuter, dem Markgrafen Alb recht zuvorzukom


men, ihn unter dem Verwande der Ketzerei anzu fallen und auszuplündern, und, die Beute zu theilen? Aber anstatt einen solchen kraftvollen Entschluß auszuführen, was heute noch leicht ist, werden wir noch obenein erleben, daß Philipp von Hessen den lutherischen Ulrich mit Gewalt in Würtemberg ein setzt, woraus der Herzog Georg diesen seit 1519 vertrieben hat. — „Wenn das Schwert gezogen werden muß, so werden wir es ziehen!" — erwi derte mir im Gespräche über diese Sache der Stall meister und Vertraute des Markgrafen Philipp, der Abentheurer, welcher sich Raymund von Pra ge la nennt. „Seit sechzig Iahren kämpft das meine für die Kirche der Gläubigen!" — Und wir, wir schauen ruhig dieser Frechheit' zu, und lassen das unserige in der Scheide. Wahrlich, wenn das so fortgeht, so werden wir wohl' thun, uns auf ihre Seite zu schlagen. — Was willst Du machen; antwortete der An dere mit derselben Kaltblütigkeit. Wenn Georg j von Sachsen durch den Landgraf geschlagen wird, so wirst Du so wenig als ich es ändern. , — Und warum nicht? vermag denn das Schwert des Grafen Rein ach gar nichts ? i — Wollen sehen, erwiederte der Graf. Aber das Schwert vermag heut zu Tage wenig. Um mit Erfolg Krieg zu führen, bedarf man Geld, und wieder Geld und nochmals Geld.


— Wem nur Geld fehlt, entgegnete Christoph, indem er seine kleine Augen im Kopfe rollte und seine Stimme mit Ausdruck noch mehr senkte; das werde ich haben! Der Graf Reinach schwieg einen Augenblick still, seinen strengen und durchdringenden Blick auf Christoph heftend, und antwortete dann mit einem höhnischen Lächeln, das seine dünnen Lippen auseinander zerrte! — Du hast Geld, das,bezweifle ich nicht; aber eine Armee zu besolden, dazu gehört etwas viel. — Ich werde genug haben, erwiederte der Prior mit Betonung. Der Graf Reinach drückte sein Erstaunen nur durch Schweigen aus und sein fragender Blick forschte nach weiteren Angaben und näherer Benachrichtigung. — Höre, Georg, fuhr Christoph, näher heranrückend und mit noch leiserer, geheimnißvoller Stimme fort; wir kennen uns seit langer Zeit und wissen unseren Werth gegenseitig zu würdigen; wir können große Dinge vollbringen, wenn wir uns beide zu einem gemeinschaftlichen Zwecke vereinigen. Du besitzest das Eifen, ich liefere das Geld. — Wie? — Ich werde so viel herbeischaffen, als Du ver langst. — Treibst Du Alchumie? — Ich kannte diese


1l Kunst an Dir nicht, erwicderte mit leisem Spotte der alte Graf. — Nein, aufrichtig, ich übe diese Kunst nicht, aber ich lasse sie für mich üben. — Das ist fehr schon; aber der Gewinn ist sehr fern, wenn er jemals erlangt wird. . . Ich, für mein Theil, habe darauf verzichtet, und wenn Du darauf Deine Rechnung bauest . . . — Ich bin am Ziele I unterbrach Christoph mit Nachdruck. Trotz feines steifen und sinstern Wefens sprang der Graf Rein ach von seinem Sessel auf, daß seine Rüstung rasselte. Seine grauen Augen funkelten und er streckte wie ein Gefpenst feine große, knochige Hand gegen Christoph aus. — Du besitzest den Stein der Weifen? fragte er mit hohler Stimme. — Ich werde binnen vier und zwanzig Stun den in seinem Besitze sein. — Ah!!! — und die Hand des Ritters sielauf die Schienen seiner Schenkel zurück. Auf solche Weise habe auch ich selbst ihn schon zwanzig Mal besessen, aber — — Hb're, unterbrach Christoph, Du kennst den Abt von Prum? — Ia, gewiß; ein gelehrter Mann, in den ich alles Vertrauen setze. , — Nun gut; der schreibt mir Folgendes. Und


12 er setzte sich , ihm den langen Brief vorzulesen. Aber Georg von Ungeduld getrieben, unterbrach ihn alsbald. — Wozu das Alles? Der gelehrte Abt nennt Dir die, welche den Stein besessen haben: Nico laus Flamel, Arnold von Villeneuve, Raymund Lullius; das weiß ich so gut als er; ferner diejeni gen, welche ihn heute besitzen, Sigismund Fug ger, Berthold, Einer in der Tartarei, und Einer zu Constantinopel . . . deßhalb ist noch nicht gesagt, daß diese ihn Dir überantworten. Er hat vor seinen Augen Gold machen sehen , aus Blei und einem rothen Pulver. — Das ist sehr schon, aber das Pul ver besitzen wir nicht — — Ich besitze es! Georg von Rein ach von einem Zittern des Schreckens ergriffen, ließ das Blatt aus seinen Hän den fallen. — Der, welcher in Gegenwart, des Abtes Gold bereitete, weißt Du, wie er hieß? fuhr Christoph fort. — Sigismund Fugger, hast Du mir ge sagt — Wohlan! Sigismund Fugger ist hier — im Verließ, unter dem großen Thurms. Georg Rein ach, wie vom electrischen Funken getroffen, war mit einer heftigen Bewegung vom Sitze aufgesprungen und that einen Schritt gegen Christoph. — Du hast ihn hier— der das Gold gemacht hat?..


— Ia, antwortete Christoph mit einem triumphirenden Ausdrucke grausamer Freude. Ich habe ihn hieher zu locken gewusst. Er legte sich zuerst aufs Leugnen, aber der Kerker und die Tortur haben ihn seine Sprache andern gelehrt: er hat Alles zugestan den. Nur hat er eine Schwierigkeit nach der anderen erhoben. Zum Glück hatte ich, wie Du ebenfalls, schon Alchymisten für mich arbeiten lassen und wusste o.hngefähr, wessen er dazu bedurfte. Auch sah er bald ein, daß er mich nicht täuschen könne. Er behauptete, er könne den berühmten Liquor ^iclisestl nicht be reiten, und ich beging die Schwäche, ihn an einen seiner Collegen nach Paris schreiben zu lassen, daß dieser ihm den Liquor schicken solle. Aber dieser Col lege ist nicht aufgefunden worden; und nun verlangte ich sofort mit Nachdruck von ihm, daß er sich selbst ans Werk mache. Die Tortur hat ihn das Rccept des I.iczn«i- ^Icliaesti wiederfinden lassen, und hätte ich dieses Mittel sogleich angewendet, so wäre ich schon vor zwei Monaten im Besitze dessen gewesen, was ich morgen besitzen werde. Seitdem ihm seine List mit dem Alchaest mißlungen und der Bote zurückgekehrt ist, ohne den angeblichen Doktor gefunden zu haben, seitdem ist er ganz niedergeschlagen: schon durch Dro hungen erlange ich jetzt Alles von ihm, was ich will. Und das große Werk, das er bis jetzt immer hinaus zuschieben getrachtet hat, ist endlich seiner Vollendung nahe. Ich kenne jetzt alle Geheimnisse der Operation;


14 ich habe wahrhaft wunderbare Verwandlungen und chemische Prozesse sich entwickeln gesehen , und morgen soll ich den Schluß sehen. — Morgen? — Sagt er das? — O nein, das nicht. Er ist nicht der Mann, der sein Geheimniß preisgiebt. Aber ich will es morgen zu Ende führen, und ich werde es; jetzt kenne ich das Mittel, wie ich sein Zogern in entscheidendes Handeln verwandele. Und ich werde gleich auf der Stelle dieses Mittel in Anwendung bringen. Bei diesen letzten Worten nahm er von einer bronzenen, vergoldeten Hand, die an der inneren Seite des Kaminmantels befestigt war, eine kleine silberne Lampe herab, zündete sie an, und verließ den Saal. Georg von Reinach folgte ihm. Schweigend durchschritten sie mehrere Gallerien und gelangten zu dem Thurme. Ich habe so wenige von meinen Leuten als möglich ins Geheimniß gezogen, sagte Christoph, sich gegen seinen Begleiter umwendend, so daß man Nichts ahnen kann. Mein Marterknecht ist taub, wie Du weißt; und außer diesem und mir, ist der junge Fritz der Einzige, der noch einen Blick in diesen Ker ker thut. Sie fanden in der That einen jungen Menschen, der wie eine Schildwacht vor einer stark mit Eisen beschlagenen Thür stand. Diese wurde jetzt auf einen Wink von Christoph durch Fritz geöffnet, und


15 zeigte eine steinerne, finstere und steilherabsteigende Treppe. — Fritz! sagte der Prior, als er schon den Fuß auf die erste Stiege gesetzt hatte; wenn man oben nach mir verlangen sollte, so kommst Du, mich sogleich zu benachrichtigen. — Und wenn ich klingele, so schickst Du mir Strucker. — Der junge Mensch verbeugte sich schweigend, indem er sein Barret hob. — In seinem blassen, be trübten Gesichre drückten sich Klugheit und Gefühl aus. — Es war als wenn ein Zittern seinen Körper ergriff bei dem Namen Strucker; und als er die Treppenthür hinter den beiden Rittern geschlossen hatte, stand er gedankenvoll und betrübt da. — Armer, bemitleidenswerther Greis! flüsterte er vor sich hin; glücklicherweise werde ich ihn hier eben nicht schreien hören. Das Burgverließ, in welchem Sigismund eingekerkert war, lag nämlich in einer bedeutenden Tiefe, noch unter dem Boden des Bmggrabens. Der Luft war nur Zutritt gegeben durch eine schmale Spalte, welche, oberhalb in der Ecke dieses Loches wie eine Schießscharte angebracht, fast in gleicher Höhe mit dem sumpfigen, schimmelnden Wasser stand, das am Graben an den Wällen heruntern'kerte. Das wohlthuende Licht des Tages drang nie in diese Höhle, denn der schwache Schein, der mit Mühe sich durch diese Oeffnung Bahn brach, diente


1« kaum dazu, die Finsterniß zu theilen und einige, wenige Gegenstände zu unterscheiden. Da aber dieser Kerker, der sonst nur menschliche Qualen in sich schloß, jetzt auch zu einem Laboratorium umgeschaffen war, so gab in diesem Augenblicke eine eiserne Lampe, welche an der Wölbung befestigt war, demselben ein lebhaftes Licht, und dieses sandte leuch» tende und glänzende Strahlen durch die Lucke, die, gegen die schwarzen und dunkelen Zinnen der Burg Wiederschein werfend, wie eine helle unbewegliche Flamme, oberhalb des Grabens in die Augen des Hinüberschreitenden sielen.» Der Kerker gewährte daher einen merkwürdigen Anblick. Diese Mauern, welche seit Iahrhunderten eine tiefe Finsternis) bedeckt hatte, bekundeten jetzt dem hellen Lichte ihr scheußliches Aussehen. Die Feuch tigkeit, welche cm diesen Steinmassen heruntersikerte, hatte dieselben mit Flächen von mißfarbigem, ekeler-regenden Moos überzogen, und tröpfelte noch zwi schen dem Gestein in großen, röthlichen Tropfen, die wie Blutflecken erschienen, herab. Spinnen hatten Netze gewoben, welche außer dem hundertjährigen Staube eine Unzahl ekelhafter Insekten tragend, von der Wölbung und aus allen Ecken als eine diesem Orte passende Draperie herabhingen und außerdem in zerrissenen und gezackten Lappen überall anklebten. Tiefer unten zwischen den Ungeheuern Steinen der Mauer steckten von Rost zerfressene Eisen, deren


17 Ketten noch jetzt die Gebeine von Unglücklichen, die hier unter Martern starben, umklammerten. Dann in einer Ecke, unter der langen Spalte, welche nach der äußeren Luke führte, war die Mauer gereinigt und mit Sorgfalt abgeschabt. Daneben war ein Ofen aufgestellt; hier standen aufgehäuft Phiölen, Retorten, Destillirkolben , Schmelztiegel und der ganze Apparat der Chemie: ferner glänzende Crystallgläftr, Gefäße von funkelndem, polirten Metalle, deren rei ches Aussehen meinen schneidenden Gegensatz bildete zu der übrigen Trauer und dem Elende, das der Ort in sich barg. In einiger Entfernung lag ein Haufen Stroh, und aufdiesem Strohe der alte S i g i b m u n d Fugger von Schwartz. Er hatte sich aufgerich tet, die Arme gekreuzt hielt er den Kopf auf die Brust gesenkt. Seine ausgestreckten Schenkel waren mit Leinwand und Wandagen umwickelt, wodurch die von der Tortur hervorgebrachten Wunden bedeckt wurden. Um seinen Leib ging ein stählerner Ring, wie ein Gürtel, an welchem man das eine Ende ei ner langen Kette befestigt fand, deren anderes Ende an die Mauer festgenictct war, und ihm gerade so viel Freiheit ließ, von seinem Lager nach dem Ofen zu schreiten. — Zwei Monate der Angst, der Qua len und der Entbehrung, in dieser unterirdischen Hohle zugebracht, hatten ihn auf's Auffallendste ver ändert und die sprechendste Leidensgestalt aus ihm gemacht. Seine Wangen waren ausgehöhlt, seine II. . 2


18 Augen lagen tief in ihren Hohlen. Seine in Un ordnung um ihn herumhängenden Kleider schienen nur e^in Ekelet zu bedecken, und in seinem starren Blicke, der zwischen seinen langen, wirr um die Stirn herumhängenden Haaren hervorleuchtete, las man den Wahnsinn der Verzweiflung. Als er die Riegel rasseln horte . und die Thür seines Kerkers sich offnen sah, zuckte er convulsivisch zusammen und frchr mit beiden Händen an seine Stirn. Christoph von Hohenheim trat zuerst ein. — Georg von Reinach blieb an der Thür in einem dunkelen Winkel stehen. Hier in seiner funkelnden Rüstung, beide Hände gekreuzt auf den Griff seines vor ihm stehenden langen Schwertes gestützt, und den Rumpf mit seinem finsteren, knochi gen Haupte aus dem dunkelen Winkel hervorstreckend, erschien er im Schatten stehend, gleich einem unbe weglichen, drohenden Gespenste. — Gegrüßt sei der Weiseste der Weisen! redete Christoph, sich nähernd, die Leidensgestalt an. Sigismund blieb in derselben Stellung, ohne eine Bewegung zu machen, ohne ein Wort hervorzu bringen. — Ich komme, berühmtester und erhabener Mei ster, fuhr Christoph fort, Erkundigungen über das Fortschreiten unseres großen Werkes einzuholen. Ich bin sehr ungeduldig in Betreff desselben.


19 — Ia, ungeduldig seid Ihr, antwortete mit hohler Stimme Sigismund. — Ia, bei Gott, ich bin's! — Aber, vereh, rungswiirdigster Freund! erwiederte Christoph mit schlau schmeichelnder Katzenfreundlichkeit; es steht bei Euch, diese Ungeduld zu enden. In Eurer Hand ruht meine Freude, meine Hoffnung; ich komme mit der inständigen Bitte zu Euch, sie nicht länger zu verzögern. — Mein Gott! mein Vater! Könnt Ihr mir denn nicht einen Augenblick Ruhe gönnen? rief mit Pein und Angst die flehende Stimme Sigismunds. — Aber, weiser Mann, bedenkt doch, daß Eure Ruhe mir die meinige raubt, daß Euer Zögern mir fortgesetzte Angst und Ungeduld verursacht. — Und überdieß wohnt Ihr hier sehr schlecht; Ihr erman gelt der nothigen Bequemlichkeiten, und es ereignen sich zuweilen unangenehme Vorgänge, die ich Euch gern ersparen möchte. Es steht ja nur bei Euch, gleich morgen diese, ich gestehe es zu, etwas gequälte Lebensweise zu ändern und gegen eine weit Vorzugkichere, und diesen Kerker gegen mein bestes Zimmer auf der Burg Hohenheim zu vertauschen. Damit würde uns beiden ein großer Dienst geschehen. Und es bedarf hierzu ja weiter Nichts als ein wenig Vernunft und Gefälligkeit von Eurer Seite. Dieß for dere ich aber jetzt mit Bestimmtheit von Euch, und rechene darauf, es diesen Abend noch zu erlangen.


2« — Diesen Abend! wiederholte Sigismund. — Ia wohl, verehrter Freund, diesen Abend, entgegnete Christoph, ohne seinen ruhiggutmüthigen und einfachvertraulichen Ton zu ändern; ich hege dieses Vertrauen zu Eurer Vernunft und Einsicht, und ich denke, Ihr werdet uns eine Erörterung er sparen, die Euch nichts helfen und mir sehr peinlich sein würde. Ihr werdet nicht ferner Eurem unver zeihlichen Eigensinne folgen und gewiß so gut sein und so viel Freundschaft für mich hegen , jetzt gleich vor meinen Augen Alles zu bereiten, was nothig ist, damit das Werk morgen vollendet werde. Ie mehr Sanftmuth und Ruhe in der Ankündi gung dieses festen und unumstößlichen Entschlusses aus gedrückt war; je mehr Theilnahme und fast Freund schaft in die Androhung der scheußlichsten Qualen ge legt wurde, um so furchtbarer und erschreckender mussten sie erscheinen. Die Hitze des Zornes und das Aufbrausen der Wuth verflüchtigen sich und sind zu besänftigen, aber diese starre Kaltblütigkeit und scham lose Gefühllosigkeit , sind unbeugsam und ohne Mitleid, wie sie ohne Aufwallung sind. Obgleich Sigismund dieß fühlte, so versuchte er dennoch mit aller .An strengung das Letzte. — Hört, Graf von Hohenheim, begann er zu ihm. Ich will Euch nicht daran erinnern, auf welche Weise und unter welchem Borwande Ihr mich in Eure Burg gelockt, und welche Behandlung ich


Sl hier von Euch erfahren habe; ich will mich weder auf Menschlichkeit noch auf Gerechtigkeit berufen , auch an Euer Gewissen will ich mich nicht wenden, — das wäre Alles unnütz, ich weiß es. Aber ich habe Euch Etwas zu sagen, was mehr Gewicht für Euch haben wird. Ihr verlangt von mir die Kunst, die Metalle zu verwandeln, nicht wahr? Ihr verlangt, daß ich aus den unedelsten Stoffen das edele Gold bereite? — Ganz recht. — Nun, wohl, fuhr Sigismund fort, in dem er beide Hände gegen die Wölbung seines Ker kers emporhob; Ich rufe Gott zum Zeugen an, der uns jetzt sieht und uns hört; ich schwöre bei Allem, was das Unverletzlichste und Heiligste auf Erden ist, ich schwore auf das Heil meiner Seele, bei dem Kreuze, an dem der Erlöser für uns starb, bei der Seligkeit, die wir im künftigen Leben erwarten, daß ich niemals diese wunderbare Kunst gekannt / und daß ich noch heute sie nicht kenne. Du kannst mich zerfleischen, mein Blut vergießen und mein Leben durch die Qualen der Tortur enden; aber Deine Qualen können nicht in einem Tage die Kunst und das Wissen aus mir pressen, wonach ich vierzig Iahre mit allen Kräften, aber vergeblich, geforscht habe. Du kannst ein Verbrechen mehr, das Leben eines unglücklichen Greises auf Dein Gewissen laden, aber Gold, ich versichere es Dir heilig, wirst Du nie er


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langen ! Was soll ich Dir noch mehr sagen — Großer Gott! Vater im Himmel! erleuchte sein steinern Herz und seinen dunkelen Geist. — Dein Marterknecht kann mir die Wissenschaft nicht geben, die ich nicht habe. — Ich besitze sie nicht. — — Falsche Bescheidenheit! erwiederte Christoph mit ironischem Lächeln. — Hast Du nicht Gold ge macht vor den Augen des Abt von Prum? Kannst Du es leugnen. — O Herr! Herr! rief der Greis, in Ver zweiflung die Hände ringend , wie ist Deine allmäch tige Gerechtigkeit streng und fürchterlich! O, müssen meine letzten Tage Deine strenge und gerechte Strafe für die Sünden meiner Iugend empfinden. — Aber, Prior, habe ich Dir nicht schon gesagt, daß diese Verwandlung eine Täuschung war; daß ich trügeri scher Weife. . . — Nun, beim Himmel, unterbrach lachend Christoph, ich verlange weiter Nichts; betrüge mich ebenso und gieb mir Gold für Blei. Diese Täu schung werde ich Dir von Herzen gern verzeihen. Sigismund sank zurück, wie vernichtet durch diese nicht zu überzeugende Hartnäckigkeit. — Ich vermag es nicht! sprach seine schwache, dumpfe Stimme. — Ei, warum nicht! Rur etwas guten Wil len! entgegnete Christoph kalt, und suchte nach


33 Etwas in seinem Gürtel. — Ich wünschte, daß wir so viel als möglich Freunde blieben. — Aber, da ich es nicht vermag! wiederholte Sigismund in zerreißendem Tone der Verzweif lung, was verlangst Du von mir? Christoph klingelte: — bald darauf horte man schwere Tritte auf der Treppe; die Thür öffnete sich, und ein breiter, kurzer und starker Mensch mit brei tem gefühllosdummen Gesichte und starrglotzenden Au gen erschien auf der Schwelle. — Sigis.mund blieb regungslos, den Blick zur Erde gesenkt, die Hände fest und krampfhaft über die Kniee geschlossen haltend. — Hier ist mein Schmelztiegel und mein Destillirkolben, sagte lächelnd Christoph, indem er auf den Eintretenden wies. — Er wird seine Kunst schon verstehen.— Nun, Meister Fugger, da Ihr so wenig Vernunft zeigt, so müssen wir eine kleine Sitzung halten. — Nein, antwortete Sigismund mit kaltem Wlute; es ist aus; mein Entschluß ist reif. Es ist thöricht, in meinem Alter noch so zu kämpfen, so wenig Entschließung und Festigkeit zu haben. — Morgen, Graf von Hohenheim, werdet Ihr befriedigt sein, und werdet nichts mehr von mir zu fordern haben. — Das lässt sich hören! entgegnete Christoph; daraus spricht doch wieder Vernunft. Was Teufel! wie lasst Ihr Euch nothigen, um zum Entschluß zu


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kommen. Aber zuletzt kommt Ihr doch dazu. DaS ist etwas. Er gab Strucker ein Zeichen hinauszugehen. — Helft mir aufstehen, sprach Sigismund. Ich will das Nothige bereiten. Sogleich beeiferte sich Christoph, ihm die Hand zu reichen, und führte ihn' zum Ofen. Hier nun mischte Sigismund mehrere Flüssigkeiten, goß sie in ein metallenes Gefäß und zündete Feuer an. — Mein himmlischer Bater! flehte er mit halb leiser Stimme; ich baue auf Deine Barmherzigkeit! Du erblickst vom Throne Deiner Milde den Zu stand , in welchen ich versetzt bin. — Die letzte Hilfe, auf die ich rechnete, ist ausgeblieben; ich stehe allein, der Gewalt und der thierischen Rohhcit Preis gege ben. Du, Herr, hast ohne Zweifel es so gewollt, denn meinen Vertheidiger hast Du fern gehalten. — Verzeihe mir es also, wenn ich der Gewalt weiche, wenn meine erschöpften Kräfte zu schwach sind, den Kampf noch ferner zu bestehen, wenn ich das mir gefetzte Ziel beschleunige, wenn ich in die Rechte greife, die Dir als Schopfer allein gebühren! Ein tiefes Gefühl der Zerknirschung und Gott geweihten Andacht bewegte die Seele Sigismunds während dieses kurzen Gebetes: dann erhob er die Hände gen Himmel und senkte sie, als wolle er den Segen des Himmels auf das Gemisch herabflehen, welches über der Kohlenpfanne dampfte. Christoph


25 wandte sich mit dem Zeichen der Freude gegm den Graf Rein ach um, welcher unbeweglich, mit vor gestrecktem Halse den Vorgang mit verschlingender Aufmerksamkeit betrachtet hatte: ihre Blicke begegnetG sich, sie drückten einander die Hand. — Während dieses Augenblickes waren ihre Micke von Sigis mund abgewandt. Als sie sich wieder gegen ihn umwandten, stand , der greise Scheidekünstler über den Ofen hinübergebückt und schien mit Anstrengung das metallene Gefäß vom Feuer zurückzuziehen. — Er setzte es auf die Erde und wankte. — Omn« cliiisummstrun est! sprach er mit feierlicher aber halberstickter Stimme; — und seine zitternde Hand wischte den Schweiß, welcher ihm in großen Tropfen von der Stirne rann. — Alles ist vollbracht! rief Christoph mit freudiger Entzückung. 5- Es ist vollbracht! — Morgen, wie Ihr es versprochen, werde ich frei sein. — In diesem Gefäße werdet Ihr 'mein Erlösungsmittel finden. Und er be deckte das Gefäß mit einer Glasglocke. . In diesem Augenblicke horte man, bei der tiefen Stille der Nacht, von draußen her einen wiedertonenden Schall, der durch die Spalte der Luke in das Verließ drang, wie lautes und starkes Pferdegetrappcl, das im Galopp auf die Bretter der Zugbrücke ansprengte. — Dann erscholl der Ruf eines Hüfthorns.

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26 — Halt! Wer da! rief die Schildwacht. — Ein Reisender, der schützende Herberge für die Nacht fordert. 5 — Zu dieser Stunde wird nicht Einlaß gewährt, antwortete der wachthabende Posten. — Seit wann verweigert der Graf zu Hohen heim den Reisenden die Gastfreundschaft? erwiederte der Ritter mit gebietender und helltonender Stimme. — Lchensmann! siehst Du den Reiher nicht auf meinem Helme ? Geh', sag' Deinem Herrn, daß ein Graf des heiligen romischen Reichs an das Thor seiner Burg klopft und Einlaß begehrt, daß ich aus fremden Lan den in größter Eile komme, ausdrücklich, um ihn zu sprechen, und daß, , wenn er mir den Einlaß ver wehrt, man ihm sein Schild und seine Sporen wie einem unredlichen Ritter zerbrechen wird. Und von Neuem schmetterte, desto heller und heftiger, das Horn, daß es bis in das unterirdische Gewölbe drang. Sigismund seufzte tief und schwer, bedeckte seine Stirn mit beiden Händen, und sank auf das Stroh, das ihm zum Lager diente. ' — Wir müssen den Fremden empfangen, sagte Christoph frohen Muthes. Doch, Gott sei es ge dankt, unser Werk ist vollbracht. Komm, Georg, das können außerdem vielleicht noch wichtige Nachrichten sein. Die beiden Ritter ließen den Alchymisten halb ohnmächtig auf dem Boden und stiegen die Treppe des Thurmes hinauf.


27 — Geh' und sich', wer der Fremde ist , der mich zu sprechen verlangt, Arnold, sagte Christoph, als er in den großen Saal trat. -» Hat er zahlreiches Gefolge? —

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— Durchaus nicht, gnädigster Herr; es ist ein junger Mann, von einem einzigen Reitknecht beglei tet, und ohne Gepäck. Als ich nach seinem Namen fragte, begann er zu lachen und antwortete mir, Ihr kenntet ihn sehr wohl, und würdet ihn wohl auf fein ehrliches Gesicht aufnehmen. — Wer ist der Vagabund? antwortete heftig der Prior; — er foll seinen Namen sagen — oder er bleibt vor dem Thore. Aber in dem Augenblicke, als Arnold hinausging, um den empfangenen Befehl auszuführen, öff nete sich die Saalthüre und ein schwarz gekleideter, noch junger Mann trat stürmisch ein, indem er Arnold zurückdrängte. , Dann blieb er stehen und be grüßte ernst den Prior, welcher, wie vom Blitze ge troffen, mit einem Schrei des Erstaunens zurücktrat. Georg von Reinach aber blieb unbeweglich und gleichgüKig, denn er verstand Christophs Bestür zung nicht. — Bei meiner Treu, Herr Christoph, begann mit einem gewissen Stolze der Iüngling, man bedarf so vieler Förmlichkeiten in Eure Burg einzudringen, als wenn sie belagert wäre.


38 — Wie! stotterte Christoph nach einigem Besinnen, Ihr seid es? ' ,^ — Ia wohl, bin ich's, verehrter Ohm; es ist schon ziemlich lange her, daß ich nicht die Freude ge habt habe, Euch zu sehen. Wahrscheinlich erwartetet Ihr mich nicht. — Georg! wiederholte Christoph, seine Hand fest auf dessen Arm legend, — Ihr seht hier vor Euch — den Doktor Paracelsus! — Georg fuhr auf, daß seine Rüstung erschütterte. — Doktor — Paracelsus! antwortete dieser; und die beiden Ritter blickten sich mit Entsetzen und großer Verwirrung an. — Er selbst! erwiederte mit spottisch blickender Miene Paracelsus, und ich komme, den Burg herrn von Hohenheim um eine Freistatt für diese Nacht zu bitten. Obgleich ich nicht sehr schweres Ge päck mit mir führe, so wollte ich es doch nicht der Gefahr der Nacht aussetzen, zumal auf Eurem Ge biete, welches, wie man sagt, gerade nicht das sicherste für den sorglosen Reisenden sein soll; aber, fügte er hinzu, indem er die Gestalten der beiden Ritter, welche noch ganz verstört schienen, mit den Augen maß, ich scheine Euch eine große Ueberraschung zu bereiten. — Gewiß! antwortete barsch Christoph, wel cher den ersten Eindruck zu überwältigen strebte. — Wer hätte auf den Gedanken Eurer sonderbaren An kunft kommen sollen.


25> — Ich dächte, es wäre noch sonderbarer gewesen , wenn ich vor der Thür des Bruders meines Vaters vorübergegangen wäre, ohne einzutreten und ihn zu begrüßen. — Uebrigens hätte ich auch noch mit anderen Namen mich bei Euch einführen können ; erstens als Edler und Ritter des Reichs, Mitglied Eures Bundes, und dann ferner als Arzt und Chemiker — Leute, die, wie ich glaube, auf der Burg Hohenheim gern gesehen und gut aufgenommen sind. Ein durchdringender Blick auf Christoph ge heftet, begleitete diese letzten Worte. — Was heißt das Alles? erwiederte Christoph in Verwirrung und mit schlecht verstecktem Unwillen. — Ich dächte, das spräche sehr klar, entgegnete Paracelsus mit gefälliger Leichtigkeit. — Welche Gesellschaft Ihr auch bei Euch sehet, so werde ich nicht unpassend dazu gehören, nichts weiter heißt es. Es sind Edle hier, fuhr er fort, sich leicht gegen die starre und schweigsame Figur des Grafen Reinach verbeugend, mit denen man von Politik und Krieg sprechen kann. — Habt Ihr nicht auch in Eurer Gesellschaft einen Gelehrten — , mit dem man über Medizin und Chemie sprechen konnte? — Nein, antwortete der Prior kurz. — Schade! erwiederte rasch mit einiger Ironie Paracelsus. Das würde etwas zur Belebung der Unterhaltug beigetragen haben, die von Seiten der Ritterschaft nicht sehr glänzend zu werden verspricht. —


3g Uebrigens, seid unbesorgt, Herr Christoph , der Sohn Eures ältesten Bruders, er sprach mit Nachdruck diese letzten Worte, wird Euch nicht lange lästig fallen, denn ich stehe im Begriff sofort wieder abzureisen, da ich mich von hier zum Erzherzoge begebe, um mich über die Zeit der Eröffnung des Reichstages, welcher zu Nürnberg gehalten werden soll, in Kenntniß zu setzen. — Und seit wie lange geht Ihr mit dem Gedanken um, Euch zu diesem Reichstage zu begeben. — Nun — ich habe die Absicht, einige Recla mationen dort einzulegen, fuhr Paracelsus mit dem Tone ruhiger Gleichgültigkeit fort; damit ich künftig überall der Aufnahme und der Rücksichten mich versichert halten kann, welche mein Rang ver langen und meiner Abkunft gebühren. Ich gedenke meinen geerbten Titeln künftighin eine vollkommene Anerkennung zu verschaffen. Ich hielt bisher wenig darauf, es ist wahr, — aber nie werde ich es dul den, fuhr er mit stolzer Heftigkeit fort, daß man meine Geburt nicht anerkennt; ich werde der Welt zeigen, daß ich meine ererbten Rechte, weil sie mir wenig am Herzen lagen, nur freiwillig aufgegeben, daß ich aber Mann genug bin, sie da geltend zu machen, wo ich sie gelten lassen will, und mich zur gehörigen Zeit darauf zu berufen weiß. Der drohende Ton und die kräftige Haltung, mit der diefe Worte gesprochen wurden , schienen einigen

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Eindruck auf die Horer zu machen; Christoph von Hohenheim nahm sogleich seinen ihm eigenen Ton falscher Gutmüthigkeit und erkünstelter Gemiithlichkeit wieder an. — Ich hoffe doch, sagte er mit liebreicher Miene und Geberde, daß man Euch mit der Auszeichnung und Rücksicht empfangen hat, auf welche mein Neffe bei mir stets Anspruch machen kann. Sollte einer meiner Leute sich in der Rücksicht gegen Euch ver gessen, und sich schuldig gemacht haben, so . . . Er klingelte heftig. — Arnold! er befahl dem Diener, welcher sich an der Thür zeigte; Du wirft für meinen Herrn Neffen Zimmer bereiten, und daß man Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf den Dienst für ihn verwende ! Arnold schien sehr überrascht durch diese Anempfehlung, welche wenig mit dem früher erhaltenen Befehle übereinstimmte. Er verbeugte sich und ging. Paracelsus Drohung hatte ihren Zweck 'erfüllt; er wollte nur dieß erreichen. — Ich werde Euer gütiges Anerbieten benutzen, sagte er. Ihr waret in Unterhaltung mit diesem ehrenwerthen Ritter begriffen; ich werde mich zurückziehen, und Euch nicht femer stören. . . — In der That — ich hatte über einige wichtige Angelegenheiten mit dem Grafen Reinach zu sprechen.


32 Bei diesem Namen schrak Paracelsus zusam men; er konnte sich nicht erwehren mit einem flüchti gen und prüfenden Blicke das auffallende und hWiche Gesicht des Ritters zu überschauen. — Graf Rei nach! wiederholte er unwillkührlich mit Nachdruck. — Nun? fragte der Prior mir einiger Heftigkeit. Aber Paracelsus hatte sein ruhiges und gleich. gültiges Ansehen wieder gewonnen. Er grüßte leicht hin den Grafen. — Dieser Name war mir schon sehr wohl bekannt, sprach er kaltblütig; ich horte ihn oft zu Pa ris nennen. Auch bin ich öfters einer schonen Edeldame am Hofe Frankreichs begegnet, welche diesen Namen führte. — Das ist meine Frau, antwortete trocken der Graf. — Eure Frau! erwiederte Paracelsus sich von Neuem gegen ihn verneigend; man muß Euch Glück dazu wünschen! Doch, als er seine Augen wieder erhob, trafen sie auf das knochige Gesicht, dem alle niedrigen Leidenschaften ihr Gepräge aufgedrückt hatten, und als er im Geiste, durch den Zauber sei ner lebendigen Phantasie, sich rasch Placida's En gelsbild neben ihn schuf, so konnte er sich eines krampf haften Gefühls seines Herzens nicht erwehren. — Das ist also das Wesen, dachte er bei sich, mit dem sie unwiderruflich auf immer verbunden ist. Das ist er alfo, dem ihre Iugend und Schönheit geopfert sind,


33 der von ihr Liebe und Treue erheischt? Unwillkührlich stieg ihm hierbei das Bild vor die Seele, wie der Tyrann im Alterthume den Lebenden gewaltsam an den Todten band. Sein Geist beugte sich unter diesen niederdrückenden Gedanken; diese plötzliche Auf regung, je unerwarteter sie kam, hatte alle Wunden seines Herzens aufgerissen und ihm alle Festigkeit geraubt; es war ihm unmöglich, noch ein Wort hervorzubringen. — Er grüßte die beiden Grafen, und ging zur Thür. Christoph klingelte und Arnold erschien. — Arnold! befahl der Onkel, führe meinen, Neffen in das Zimmer des Brunnen -Thurmes. — Dann machte er eine Abschiegsverneigung gegen den jungen Arzt, worin er besonderes Wohlwollen aus drückte. Sobald sich die Thür hinter diesem schloß, lief er so sacht, als seine kurzen Beine es erlaubten, an das entgegengesetzte Ende des Saales, öffnete einen geheimen Ausgang und klingelte leise. — So gleich erschien ein Page. — Herrmann! rief er ihm leise Und hastig entgegen; geh' und folge dem Fremden, welchen Ar nold auf das Zimmer des Brunnen-Thurmes führt; pflanze Dich als Schildwacht vor seine Thür, und wenn er herausgeht, so wirst Du ihn nicht aus den Augen lassen und mich sogleich benachrichtigen. Mit einem Sprunge war der Page davon, den Befehl zu vollziehen. Nach dieser getroffenen Vor Ii. 3


34 sichtsmaßregel wankte er langsam zum Grafen Rei nach zurück, welcher noch unbeweglich mitten im Saale stand. — Nun, Georg! redete er ihn, die Arme über die Brust kreuzend und den Kopf hin und her wie gend, mit einiger Ironie an; es scheint, daß die Leute, welche Du umbringen lässt, sich deßhalb gerade nicht schlechter befinden. — Ich bin mehr erstaunt darüber als Du, rief dieser mit heftiger Geberde. — Guildstern und S t e i n h e r z waren meine Vollstrecker. Du kennst sie. — So ziemlich. — Steinherz hat mir zugeschworen, daß er ihn in Stücke gehauen habe. — Er hatte sich zur Wehre' gesetzt, denn er hat einen meiner Leute dabei getödtet. — Um dem Steinherz zu entkommen, hätte ihm der Teufel selbst Hilfe leisten müssen. — Uebrigens hast Du ihn jetzt in Deiner Gewalt, und Du wirst hoffentlich diese Gelegenheit . . . Christoph unterbrach ihn brummend und den Kopf schüttelnd. — Nein, nein; der Schuft hat einen ausgebrei teten Ruf im Lande. In der Schweiz, im Reiche lebt sein Name in Aller Munde. Seit den vier Mo naten nur, die er abwesend ist, scheint es als könne man ohne ihn nicht mehr leben und nicht sterben. Alle Studenten begeben sich in Schaaren auf die Land straße, und ziehen ihm weit entgegen, um ihn zu


35 bewillkommnen, und erwarten ihn wie den Messias. Es ist ein zweiter Luther, sage ich Dir, und trotz seiner Abwesenheit wollte ihn das Volk per scc!»!».',tionem zum Rektor der Universität Basel ernennen. Wenn er plötzlich verschwände, würde man nicht über» all Nachforschungen anstellen, wo er geblieben wäre? Er hat uns selbst angekündigt, daß er gen Nürnberg will, und wird überall gesagt haben, daß er über Hohenheim geht. Wenn man erführe, daß er in meine Burg und nicht wieder hinausgekommen, — so wäre es um mich geschehen. — Ei was! Ein Unglück auf der Reise — , so wie zu Paris. — Ia, zu Paris! da war ich fern. — Wer hätte da an mich gedacht. Aber hier, in meiner Burg! — Klugheit und Vorsicht! Georg! in der Ferne treffen, und in der Nähe die Hand drücken.— Ich weiß noch nicht, wie wir das Ding angreifen.— Jedoch könnte man vielleicht . . . Und der Groß - Prior ging überlegend und in innerer Bewegung den Saal auf und ab. Georg von R e i n a ch klingelte. — Guildstern und Steinherz sollen auf der Stelle zu mir kommen! Die beiden Reitknechte erschienen und erzählten den beiden Rittern auf's Genaueste den ganzen Her gang des Mordanfalls. — Ja, beim Kreuze des lebendigen Gottes! 3»


3« schwur Steinherz, seine lange Erzählung beendend; um aus dem Loche wieder herauszukommen, muß er der Teufel selbst sein. — Und wenn ich Dir nun sage, daß er hier ist! daß ich so eben mit ihm gesprochen habe! rief ihm mit donnernder Stimme der Graf Reinach entgegen. Beide Reitknechte waren nahe daran umzusinken. — Das ist nicht möglich, rief Guildstern, der zuerst die Besinnung wieder gewann, das ist ein Irrthum! Ich kenne den Doktor zu gut, um Euch zu täuschen. Es hat sich Iemand seinen Namen ge geben . . . — Glaubst Du, daß ich meinen Neffen nicht kenne? unterbrach ihn Christoph. — Ich glaube es nicht eher, äls bis ich ihn gesehen habe! erwiederte Guildstern mit Festigkeit. — Geh' und überzeuge Dich! sagte Christoph mit den Achseln zuckend. Er ist im Brunnen-Thurme. Guildstern ging sofort hinaus. Kurze Zeit darauf klopfte es leise an die kleine Thür im Hinter grunde des Saales. Christoph klatschte in die Hände. Ein kleiner Page trat ein und lief auf ihn zu. — Du kannst sprechen , sagte der Prior. — Herrmann schickt mich zu Euch, gnädigster Herr, berichtete er ganz athemlos, Euch zu mel den, daß ein Reitknecht von den Reinach'schen in das Zimmer des . . .


37 — Es ist gut! Geh' und sag' zu Herrmann, ich wäre zufrieden mit ihm. Gleich darauf kam Guildstern, mit verstörter Miene ins Zimmer stürzend, zurück. — Gnädigste Herren ! berichtete er in voller Be stürzung; eine neue Geschichte! Ich komme vom Thurms ... — Nun? — Kein Mensch ist darin ! — Niemand? — Niemand! Das Feuer brennt auf dem Heerde — aber das Zimmer ist leer — das Bette ist unberührt. — Alles ist leer — und ein Geruch ist im Zimmer — lauter Schwefel. — — Abgeschmackte Erzählung! unterbrach ihn Christoph mit drohender Miene. Georg, wir wollen uns selbst Licht über die Sache verschaffen. Komm! Er führte ihn durch lange geheime Gänge und Umwege bis zu der Thür des Zimmers, wohin Arnold den jungen Doktor geführt hatte. Sie fan den Herrmann vor der Thür sitzend. Herrmann schwor ihnen zu, daß der .schwarze, junge Mann ins Zimmer eingetreten, aber nicht wieder herausgekommen sei. — Ich werde mich selbst überzeugen! sprach Christoph heftig. Er öffnete die Thür und durch suchte das Zimmer. Alles war leer.


38 Das Erstaunen der beiden Ritter war unbe schreiblich. Sie blieben stumm und regungslos stehen, sahen einander außer sich vor Verwunderung an und wussten kein Wort hervorzubringen. — Das ist eine Erscheinung der Holle! brach Georg das Schweigen. — Es ist unerhört! sagte Christoph, mit dem Kopfe zur Erde den Fußboden anstarrend. Wo ist er hinausgekommen? Die Ritter begaben sich in den Saal zurück und gingen hier schweigend lange Zeit auf und ab. Was war aus Paracelsus geworden? Als er sich aus dem Rittersaale mit Arnold entfernte, welcher ehrfurchtsvoll ihm voranleuchtete, fragte er diesen, ob er schon lange in Diensten des Grafen Christoph fei ? Ich habe Dich noch nicht auf der Burg gesehen, sprach er zu ihm. — Ich war zuerst bei der Iägerei angestellt, gnädigster Herr! — Du hast also die Stelle des alten Franz ein genommen? wo ist dieser jetzt? — Er ist todt! gnädigster Herr! Paracelsus Augenbraunen zogen sich in Fal ten und er biß sich auf die Lippen. — Und sein Sohn, der kleine Fritz? — Der ist erster Page des gnädigen Grafen. — Ich habe oft als Knabe mit ihm gespielt.


39 Da ich nur einige Stunden verweilen werde, so sollte es mir sehr angenehm sein, wenn ich ihm ein kleines Andenken meines Hierseins geben konnte. Wo ist er? — Der gnädige Graf beschäftigt ihn jetzt in seinen personlichen Angelegenheiten. In diesem Augenblicke hat er geheimen Dienst; er muß Tag und Nacht im Vorsaale des großen Thurmes verweilen. — In dem neben der Zugbrücke! erwiederte Paracelsus, indem ihm plötzlich ein Gedanke in die Seele kam. Nun so will ich ihn nicht in seinem Dienste storen. Wenn ich ihn vor meiner Abreise von der Burg nicht sehen sollte, so werde ich Dich bitten, ihm das kleine Geschenk von mir einzuhändigen. Arnold verbeugte sich und ging. Das gänzliche Stillschweigen, welches der Prior trotz den Hindeutungen des Paracelsus über Si gismunds Aufenthalt auf der Burg beobachtet hatte, bestätigten den Verdacht in der Seele des jun gen Arztes, daß sein Onkel den alten Doktor in verborgener Gefangenschaft hielte. Dann kam hierzu die fortwährende Anwefenheit des jungen Pagen, des gewöhnlichen Vertrauten des Prior auf dem Thurms der Zugbrücke, lind die außerordentliche Helligkeit, welche aus der Luke des Verlicßes unter diesem Thurme dem Paracelsus in die Augen gefallen war, als er in der Finsterniß über die Zugbrücke in die Burg einritt. Diefe Umstände machten es ihm mehr als wahrscheinlich, daß der greise Sigismund


40 in jener unterirdischen Hohle eingekerkert gehalten werde. Er sann also auf Mittel bis dorthin zu ge langen und aus der Burg zu entfliehen. Keinen Augenblick durfte er verlieren, sein Vor haben in Ausführung zu bringen. Er dachte es sich wohl, daß Christoph ihm auflauern lassen würde, und er muffte vor Allem vermeiden, daß er bemerkt würde. Er nahm also seine Maaßregeln danach. Nur wenige Augenblicke hielt er sich in seinem Zim mer auf, so lange um aus seinem Mantclsacke eine selbst gefertigte Blendlaterne herauszunehmen, eine Rolle feiner, sehr starker Schnur und einige Instru mente, geeignet, alle Arten Schlösser zu eröffnen. Dieß Alles steckte er in seinen Gürtel, an welchem schon sein Degen und sein Dolch hing, und dachte nun auf sein Hinauskommen. Auf der Burg, der Stammveste seiner Vorfah ren, hatte er die ersten Iahre seiner Kindheit verlebt; kein Ort und kein Winkel darin war ihm unbekannt, und schon als Knabe hatte er sich im Geiste und mit sehnsüchtigen Augen des Iugendmuthes mit dem gefahrvollen Gange vertraut gemacht, welchen er jetzt zu unternehmen wagte. Ex stieg aus dem Fen ster, legte den Nahmen hinter sich wieder an, um nicht den Verdacht auf die Flucht durch diesen Weg zu erwecken, dann mit der Hand sich an die Bild hauer-Arbeit der Fa?ade anklammernd, ließ er sich, über der steilen Tiefe schwebend, auf das vorsprin


4l gende Gesims herab, welches an den Gebäuden ringsum im Hofe herumging und die Balkons der ersten Etage trug, und trat dann auf diesem schma len und gefahrvollen Stege den Weg zum Thurms, der Zugbrücke an. Er schritt langsam und mit Vorsicht vorwärts, seine Hände gegen die Mauer stützend, als er ge wahr wurde, daß aus einem der Fenster, vor wel chem er vorüber muffte, ein helles Licht drang und daß es offen stand» Mit Aengstlichkeit stand er einen Augenblick still — da aber traf plötzlich der süßharmonische Ton einer ihm wohlbekannten Stimme sein Ohr. — Bertha, sprach eine sanfte weibliche Stimme, ich bedarf Deiner Dienste nicht mehr. Du kannst Dich zur Ruhe begeben. Paracelsus konnte nicht mehr zweifeln, die Gräsin Rein ach hatte ihren Gemahl nach der Burg Hohenheim begleitet. Es war ihm unmöglich, dem Verlangen Einhalt zu thun, sie wiederzusehen; er stützte sich«uf die Ballustrade des Fensterbalkons, vor dem sein W.eg ihn vorüberführte, und bog sei nen Kopf gegen das Zimmer hinein. Placida war allein. Den Kopf gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, ging sie in einem langen, weißen Nachtgewande, das um die Hüften eng anschloß und gegen ihr schwarzes Haar einen reizenden Gegensatz bildete, langsamen Schrittes in


42 ihrem Zimmer auf und ab, wie in tiefe Träumereien versenkt. Gewiegt durch die harmonischen Bewegun gen diefes langsamen, rhythmischen Schrittes, durch diese Musik des Ganges, entwickelte sich die Schonhcit ihrer majestätischen, elastischen Figur in ihrem ganzen Adel und in ihrer vollen Anmuth. Zuweilen hob auf einen Augenblick ein leises Zucken den scho nen Kopf in die Höhe, als wenn ihre Gedanken eine geheime Bewegung ihres Inneren verriethen. Festgebauet und hingerissen durch den ihm plötzlich aufs Neue gewordenen Anblick des bezaubernden Bildes, das seine Seele füllte, hätte Paracelsus fast der heiligen Pflicht vergessen, welche ihn zum Kerker rief, wo Sigismund seufzte, doch eine mächtige Idee bekämpfte rasch diese Gefahr, in wel che sein Inneres gerieth. — Sie soll mein Schutzengel, mein guter Ge nius sein! Einem Freunde dienen, die gequälte lei dende Unschuld retten, das würde sie selbst thun, das würde ihr Rath für mich sein. Lebe wohl! Placida! Ruhe sanft, Du reines Engelsbild, den Schlaf der Unschuld! — Dieses Lebewohl ihr zuflüsternd , bog er sich noch einmal gegen sie. — O, er härte zu ihren Füßen sinken und den Saum ihres Kleides küssen mögen! — In diesem Augenblicke trat Bertha wieder ein und legte einige Gegenstände zurecht.


4? Weiß die gnädige Gräsin, wann wir nach Basel abreisen werden? — Ich weiß Nichts daruber — wahrscheinlich mor gen, oder — wann es dem Herrn Grafen beliebt — — Nach Basel I wiederholte P a r a c e l su s. Lebe wohl, Placida — bis auf Wiedersehen; mit Dir zugleich werde ich dort sein. Dann hauchte er auf das Glas des halbgeöffne ten Fensters, auf dieses Glas, durch welches er das angebetete Bild seiner Liebe sehen durfte, einen leisen Kuß, als wenn seine Lippen, obgleich in die ser Ferne, sich mit den ihrigen vereinen konnten. Und zu gleicher Zeit, wie durch einen magnetischen Zug geleitet, wandte Placida den Kopf zu ihm. Paracelsus verschwand. — Welche Erscheinung ! flüsterte sie. Mir war's, als sahe ich an diesem Fenster Sie schritt zum Balkon. Der Iüngling war schon weit; die Dunkelheit verbarg ihn. Die Grä sin Reinach schloß das Fenster. Auf seinem gefahrvollen Gange war Paracel sus zum großen Thurms gelangt. Hier befand sich eine schmale, lange Oeffnung, ursprünglich eine Schießscharte, durch welche das Tageslicht in den Borsaal siel; sie war durch einen mit Pergament überzogenen Rahmen bedeckt. Paracelsus schnitt ohne Geräusch das Pergament entzwei, um zu dem Riegel zu gelangen, der innen den Rahmen verschloß,


44 und .hob so denselben auf. Alsdann glitt er durch die Oeffnung hindurch, und sprang so leise als mbglich in den Worsaal hinab. An diesem Orte nun, wie wir schon wissen, zwischen der großen Treppe des Thurmes und der kleinen versteckten, welche zu dem Kerker Sigis munds führte, wachte der Page Fritz. Iedoch der Müdigkeit unterliegend hatte er sich, gänzlich angekleidet, auf ein Bett geworfen, das mitten vor der Kerkerthür stand, und lag in diesem Augenblicke fest eingeschlafen. Aber das Geräusch, das Paracelsus beim Herabfpringen verursacht hatte, weckte ihn. Seine Sinne waren noch vom Schlafe gefangen, und er glaubte, noch halb träumend, daß das Geräusch vom Grafen Christoph herrühre, der wie schon oft sei nem Gefangenen einen nächtlichen Besuch mache, und in dieser ihn bis in den Schlaf verfolgenden Idee sprang er rasch auf und stotterte sich die Au gen reibend: — Ich bin hier! gnädigster Herr! Paracelsus übersah mit einem Blicke die ganze Gefahr. Ucber dem Bette, das der Page so eben verließ, hing ein Seil, welches mit der großen Lärm glocke des Thurmes in Verbindung stand. Wenn Fritz es ergriff, so war die ganze Burg sogleich in Alarm gesetzt. Aber ehe der Page aus seinem schlaf trunkenen Zustande sich herauswickeln und seines Irr-

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45 thums gewahren konnte, sprang mit einem schnellen Satze der junge Arzt .auf ihn zu, und ihn ergreifen, zu Boden werfen, das Knie ihm auf die Brust drücken, ihm mit der einen Hand den Mund zuhal ten und mit der anderen den Dolch an die Kehle setzen, dieß Alles war das Werk eines Augenblickes, — Machst Du eine Bewegung, giebst Du einen Laut von Dir, so bist Du des Todes I drohete Pa. racelsus. — Ueberwältigt durch die größere Kraft seines Gegners und noch wirr und entsetzt über das uner wartete Geschick, von dem er noch nicht unterschied, ob es ihm wachend widerfahren oder die Fortsetzung eines angstvollen Traumes sei, blieb Fritz ohne sich zu regen ausgestreckt liegen, und starrte verstörten Blickes das Wesen oder Phantom an, das bis zu ihm gelangen konnte, ohne die große mit Eisen beschlagene Thür zu offnen, deren Schlüssel noch an seinem Gürtel hingen. Paracel sus ließ jetzt das Licht aus seiner Blendlaterne hervorleuchten: Fritz! sagte er, erkennst Du mich? — Hellige Mutter Gottes! rief der junge Page fast mit verdoppeltem Schrecken; das ist ja Herr Paracelsus! oder vielmehr sein Geist! — O! — vscl« retr« — ^PsZ«! — — Ich habe keine Zeit zu verlieren! unterbrach ihn barsch Paracelsus, indem er die Spitze seines


4<i Dolches dicht auf die entblößte Kehle seines Jugendgenossen setzte. Dein Leben ljcgt in meiner Hand! Wähle: den Tod oder das Leben. Ich will in den Kerker hinab, den Greis zu befreien. Diese erschreckenden Worte gaben dem jungen Pagen sogleich seine Geistesgegenwart und seine ganze Fassung wieder. — O, nein! rief er, indem er alle Kraft anstrengte, sich aufzurichten. — So muß ich Dich todten! erwiederte Para celsus mit dumpfer, schrecklicher Stimme. Denn ich muß ihn befreien, es ist mein unabänderlicher Entschluß. — O, habt Erbarmen ! flehte der Iüngling, der das kalte Eisen auf seiner Brust fühlte und sich ganz in die Hände seines Gegners gegeben sah. Denkt, o Herr! an das Wohlwollen, das Ihr ehemals zu mir hegtet — ladet kein Verbrechen auf Euer Ge wissen; vergießt nicht das Blut Eures Iugendgespie len, der ohne Vertheidigungsmittel zu Euren Füßen liegt . . . — Ich muß den Greis befreien ! antwortete mit Härte und Heftigkeit Paracelsus. — Nun wohl, so todtct mich! denn lasse ich den Gefangenen hinaus, so bin ich des Todes. — So will ich lieber von Euren Händen sterben, denn ich habe Euch immer geliebt. — Du fliehst mit uns, erwicderte Paracelsus.


47 — Ich kann nicht! Meine Mutter ist auf der Burg; an dieser Geißel würde Euer Onkel seine Rache nehmen; ich kann meiner Mutter nicht den Tod bereiten. — Todtet mich, denn ich bin des Lebens müde. — Nein! Halt, es bleibt noch ein Mittel, ant wortete der junge Arzt. Er band dem Pagen Hände und Füße, verstopfte ihm den Mund mit seiner eigenen Schärpe und knüpfte diese fest um ihn herum; knebelte ihn dann in diesem Zustande am Fuße seines Bettgestelles fest, welches er außerdem noch umwarf, wie auch den Sessel, und streuete die Betten am Fußboden umher, als wäre dieß nach langem, heftigen Kampfe geschehen; nahm ihm seinen Dolch, zerbrach ihn und warf die Stücke zu seinen Füßen. — Ietzt bist Du gerettet und wir ebenfalls. — Auf Wiedersehen! Er öffnete die Thür der kleinen Treppe und stieg rasch hinab. — Als er den Kerker betrat, ertönte ein tiefes Seufzen. — Much! Vater Sigismund! Muth! rief er, hier bin ich! Ihr seid gerettet! — Und mit einem Sprunge war er bei ihm. Sigismund saß aufgerichtet auf dem Stroh, die gefalteten Hände über seine Kniee haltend, den Blick zur Erde geheftet. — Er reichte Paracelsus die Hand.


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— Dank! tausendmal Dank, mein Sohn! sprach er mit erstickter Stimme. — Ich erwartete Dich von Minute zu Minute. — Ich fürchtete, Du würdest nicht frühe genug kommen. — Gott sei gelobet! Ich sehe Dich noch einmal und darf noch mit Dir sprechen. — Wir werden draußen zusammen sprechen, Doktor, antwortete ihm freundlichheiter Paracelsus; wir haben keine Zeit zu verlieren; ich will Eure Ket ten abfeilen. Und er kniete zu ihm nieder, um sein Befreiungswerk zu beginnen. — Dein Mühen ist vergeblich ; es ist nicht mehr von Nothen, antwortete der Greis, seine eisige Hand auf die zum Liebesdienst sich anschickende Hand des Paracelsus legend. Die Ketten, die mich an das Leben banden, sind gelöst; ich bin frei, so frei ich werden kann. — Sigismund! unterbrach Paracelsus, ihn mit einem fragenden, bekümmerten Blicke an schauend. — Ich bin nicht geistesverwirrt, mein Kind! erwiederte mit einem schmerzvollen Lächeln der Greis ; aber — todt bin ich! Diesen Abend, Freund, habe ich Gift genommen. — Gift! wiederholte Paracelsus, wie vom Blitze getroffen, seine Hand vor die Stirn drückend. Gift! — und sprang rasch auf. Doch wir können gewiß noch . . .


4« Sigismund schüttelte mit dem Kopfe. — Ich habe das Gift bereitet . . ; es giebt kein Mittel mehr. — Noch zwei Stunden — kann ich leben. Meine Füße sind todt. — Mein Gott! mein erbarmender Water im Himmel! rief Paracelsus, seine Stirn mit den Händen bedeckend, während heiße Thronen seinen Augen entstürzten. — Verzeihet es mir, daß ich so spät kam ! — — Oder vielmehr, daß ich so früh das Gift nahm. — WaG sprichst Du, Kind? Nur meine Schuld ist es. — Nein, ich bin der Schuldige! rief mit Hefrigkeit sich selbst anklagend der Iüngling; ich konnte sogleich abreisen, und habe bis zum anderen Morgen gezögert.— Ich wollte ihr Lebewohl sagen! — Einen Tag früher, und ich hätte meinen väterlichen Freund gerettet! — O, ich Unglücklicher, ich Schulddeladener! , — Wie so trügest Du die Schuld, mein Sohn? Ich bin zu schwach gewesen. Erst log ich, um die Tortur abzuwenden und Zeit zu gewinnen, indem ich den Unmenschen glauben machte, daß ich seiner Forderung Genüge leisten könnte; dann habe ich, um den Leiden zu entgehen, ein großes Verbrechen begangen, und habe gewaltsam über mein Leben bestimmt. — Auch ist die Strafe gleich auf dem Fuße II. 4


5« gefolgt! In demselben Augenblicke, als ich das todtende Gift getrunken hatte, horte ich die Tone Dei ner Stimme auf der Zugbrücke ... — O , ich habe gelitten seitdem! jetzt bin ich gefasst. Ich erwartete Dich nur noch, um Dir Lebewohl zu sagen und Dir für Deine Freundschaft zu danken — ja , Du sollst dafür belohnt werden I Du hast Deinen alten Freund nicht vergessen, Du hast Dein Leben in Gefahr gesetzt, um das seine zu retten. Wohl, der Lohn Deiner Aufopferung soll Dir werden. — Em pfange meinen Segen; höre wohl, Paracelsus, den Segen eines Sterbenden. Es sft das letzte und geheiligte Wort des Heimgehenden, der Seele, die sich aufschwingt, die schon in den Schoost ihres Schöpfers eilt ... — Empfange den Segen , mein Sohn! Möge die Dankbarkeit des Greises, dessen Flamme erlischt, für Dich die Morgenröthe eines neuen Glückssternes werden! Ich stürbe zufrieden in meinem Unglücke, wüsste ich Dich künftig glücklich! — Wohlan, Kind, weine nicht! Zwei Stunden noch habe ich mit Dir zu verleben. .— Sigismund! klagte der Iüngling mit thränenden Augen ihm die Hand drückend. Nie werde ich es mir vergeben, daß ich nicht früher kam! — Aber, ehe Deine thittige, forschende Seele von hinnen geht, hast Du noch Pflichten zu erfüllen auf dieser Welt, welche ich übernehmen könnte? Haft Du mir Etwas aufzutragen? Ich verspreche Dir


heilig, so weit Gott mir die Erfüllung erlaubt, es auszuführen. — Ia, antwortete Sigismund; ich lasse Dir Pflichten zu erfüllen; und deßhalb habe ich mit Ungeduld Dich erwartet — Pflichten gegen die Menschheit und die Wissenschaft. — Ich habe es Dir schon gesagr: Du wirst mein Erbe sein. Höre: Du ahntest ohne Zweifel um was ich hier bin. Dein Onkel glaubte, ich wäre im Besitze des großen Arkanum, und die Tortur sollte aus mir die Wissen schaft erpressen, die ich nicht besaß. . . Möge Dir dieß, mein Sohn, eine nützliche Lehre sein. Ich büße ein Vergehen, das ich ehemals beging. Du weißt, mit welcher Leichtigkeit wir das Gold in der Blei« glätte verbergen können, und mit welchen leichten und einfachen Mitteln die Chemie es wieder daraus zu scheiden weiß. Nun sieh; es ist eine lange Reihe von Jahren her, als ich die Leichtgläubigkeit des Abt von Prum täuschte; ich unterwarf vor seinen Augen so verfälschte Bleiglätte diesem Versuche, und mit einem Pulver, völlig unvermögend, ein solches Wunder hervorzubringen, schied ich das Gold aus, womit ich selbst die Glätte vorher versetzt hatte. *) Der gute -) Es gicbt mehrere Beispiele dieser Art. Der interes santeste Betrug mit vcrseytem Litbargyrmn ist der, wercher dem Herzoge von Bouillon im 17kc» Jahrhim, dcrt gespielt wurde. Voltaire erziklt de» Fall aus führlich im Artikel Alchvmic. (0ivli«n. pkilo««pk.) 4*


I 52 Abt sah es mit eigenen Augen , und behielt treu in seinem Gedächtnisse diesen wunderbaren Vorgang. Er machte Christoph damit bekannt — und deßhalb sterbe ich jetzt, nach zweimonatlichen Martern! Gort ist groß auf seinem Richterstuhle! — Sigismund schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort: — Ich muß mich beeilen. Der Tod naht rascher, als ich wähnte. Nach dieser wunderbaren Kunst, nach diesem großen Geheimnisse der Wissenschaft habe ich mein ganzes Leben geforscht, doch vergeblich; nie habe ich gefunden, was man den Stein der Weisen nennt. Und heute noch weiß ich nicht einmal, ob sie wirklich vorhanden ist diese geheime Kunst, ob menschliches Forschen und Wissen sie erreichen kann. Ich zweifle daran: das ist die ganze Frucht meiner vierzigjährigen Studien. Aber existirt sie auch nicht in der Art, wie der Weise es träumte, so giebt es doch schaffende Kräfte in der Natur, deren Wirkungen täglich unse ren Augen sichtbar werden, und deren Ursachen uns verborgen sind. Ich bezweifle es nicht ; der Mensch wird es einst erreichen, daß er diese schaffenden und hervorbringenden Kräfte in ihren Faktoren sich unterthan macht, daß er es erlangen wird, sie in das Reich der Wissenschaft zu versetzen und sie der In dustrie anheim zu geben. Der menschliche Ersindungsgeist wird es dann in seinen Händen haben, die Ord -


53 nung der Natur zu leiten und es dahin zu bringen wissen, daß er die in einem weiten Raume zerstreuten Kräfte in einen Punkt zusammenhäuft und concentrirt, uni> in einem Momente das hervorzubringen im Stande sein, was nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur Jahrhunderte braucht, um zu entstehen. ^) Als einer meiner Vorfahren, Bert hold, Kohle, Schwefel und Salpeter mischte, welche ungeheure Kraft gab er dem Menschen in die Hand. Wer weiß , ob nicht einst ein anderes erfinderisches Genie uns auch den Blitz in die Hand giebt, um nach unserem Gefallen ihn zu leiten und zu gebrauchen. Sieh, Paracelsus, welche Laufbahn sich Dir eröffnet! Aus dem Laboratorium des Naturforschers kann eine Revolution hervorgehen, welche der ganzen Erde ein anderes Ansehen, andere Verhältnisse auf drückt ! . . . Aber nur zu lange ist die Wissenschaft einge schlossen und verborgen gehalten in dem engen Kreise einer geringen Anzahl von Menschen; sie hatten das Licht gefunden und bedeckten es mit dem Scheffel. ") Ohne Zweifel Ahnungen und träumerische Hypothese» über die Kräfte der Elektrizität, (des. GalvaniSmus und Magnetismus) die der große Chemiker schon als dasselbe »Kens träumte. Nicht einmal Gosartcn waren damals, als solche, bekannt, welche erst va» Helmont, dcS ParacelsuS Nachfolger, entdeckte, dem ohne Zwei fel schon die Wirkungen der Elektrizität nicht und« kamit waren.


54 Eifersüchtig auf ihr Wissen verbargen sie eS in abge schlossener Dunkelheit und verhüllten es in Mysterien und Räthsel, um nur allein den Vorzug derselben zu genießen. Sie begruben es in den unterirdischen Räumen der Pyramiden, sie verscharrten es in die Heiligthümer der Tempel, wie der Rabe das glän zende Kleinod in den hohlen Baumstamm, während kaum einige Strahlen dieses erleuchtenden Wissens von Zeit zu Zeit auf Eingeweihete übertragen wurden. Dieser Wahn des Hochmuths, diese engherzige Selbst sucht derer, welche sich für die Auserwählten in der Wissenschaft hielten und wodurch die allgemeinen Menschenrechte bisher geschmälert sind, ist nur zu lange vererbt worden und hat sich bis auf den heuti gen Tag fortgepflanzt. Dir , P a r a c e l su s , ist es aufbewahrt worden, die Wissenschaft zu verbreiten, ihre wohlthuenden und erquickenden Fluthen über die Häupter der Volker zu gießen, mit ihrem Feuer sie zu erwärmen, mit ihrem Strahle sie zu erleuchten! Durch Dich soll die Wissenschaft Allgemeingut wer den! Hat sie bisher in den Katakomben erloschener Völker gelebt, hat sie sich der Hieroglyphen bedient, um sich in mystisch -dunkele Sprache zu hüllen, hat ' sie hebräisch, chaldLisch, arabisch, griechisch, lateinisch bisher gesprochen, so wirst Du sie ans Licht ziehen und sie zur Sonne der Volker machen; Du wirst sie in deutscher, gallischer, italischer, spanischer Zunge . lehren. Ist sie bisher nur bei geheiligten und gehei-


55 men Initiationen und in den Laboratorien der Weisen an Einzelne übertragen worden, so wirst Du sie von jetzt an auf dem Katheder, in den Hörsälen, in den Hospitalern, auf den Straßen, auf den Märkten predigen und unter das Volk verbreiten, daß sie bis unter das Dach des Armen dringe, wie ein neues Evangelium, das kein Ansehen der Person kennt; Du wirst, wie Christus uns vom Heidenthume und Gözzendienste und von der Sünde erlöste, die Menschheit vom Aberglauben und der Finsterniß befreien helfen; Du wirst das große Werk der Emancipation der menschlichen Vernunft mitbereiten und beginnen. Das ist die Sendung, die ich Dir übertrage, das sind die zu erfüllenden Pflichten, welche ich Dir hinterlasse! — Gehe hin und sei gesegnet zum Werke! — Sigismund schwieg. — Aber, theurer Vater, sprach Paracelsus, der in andachtigem Schweigen dem Greise bisher zu gehört — was soll ich das Volk lehren? Was ist mein Wissen! — Du weißt so viel heute als ich , so viel als wir Alle, die wir so stolz auf unser Wissen sind! Aber in Kurzem sollen Deine Kenntnisse um Vieles mehr bereichert sein. Als ich zu dem Punkte gelangt war, mein Sohn, auf dem Du heute stehst, hatte ich das Doppelte Deines Alters erreicht; ich war zu alt, um weiter zu gehen. — Und damals siel ein Schatz in meine Hände von unermefslichem Werths.—


56 Ich konnte ihn nicht nutzen. Ich war zu alt gewor den, wie ich Dir sage, um zu lernen, zu entziffern, und eine neue Bahn zu betreten, und war noch glücklich genug, wenn meine Kräfte hinreichten, nicht zum Vorwärtsschreiten, sondern das Rückwärtsgehen zu verhüten; denn die Gesetze der Natur verlangen, daß der Mensch stets fortschreite; steht er einmal still, so ist der Rückschritt unvermeidlich. Dieser Schatz nun — ist das Erbtheil, das ich Dir hinterlasse. — Nimm ihn aus meinen Händen. Und die kalte, zitternde Hand des Greises über gab dem Paracelsus eine alte Pergament-Rolle mit sonderbaren Charakteren bemalt. — Ich habe sie nie lesen können, fuhr er fort, aber ich kenne ihren Inhalt. Es ist darin die ge heime Wissenschaft der alten Völker niedergelegt, welche unbekannt hinter den Altären, unter dem Schatten der Tabernakel lebte und blühte, welche uberging vom Hierophanten des Isisdienstes zu Moses, zu den Hierophanten von Eleusis und von Delos. — Du wirst diese Mysterien zu enthüllen wissen, ich weiß es, denn wenn ein reines Herz, ein fester und eifri ger Wille dazu gehört, den Schleier der Isis zu lüf ten, so wirst Du ihn heben. — Ich empfange mit Stolz die Mission, welche Du mir ertheilst, antwortete Paracelsus mit fester Stimme. Ich schwöre Dir, sie zu erfüllen, so weit es in meiner Macht steht. Ich weihe mich von diesem


57 Augenblicke an mit allen meinen Kräften und meinem ganzen Sein den Fortschritten des menschlichen Geistes, der Verbreitung der Wissenschaft. . . — Und wenn ich das Ziel, das Du meinen Bestrebungen vorschreibst, nicht erreiche, so wird mein Leben und meine Kraft nicht ausgereicht, nie aber der Wille gefehlt haben. — Wohl, mein Sohn! ich erwartete das von Dir, und ich sterbe jetzt ohne Bedauern und ohne Schmerz, da ich in Dir mir einen Nachfolger bestellt habe. Sei eingedenk Deiner Versprechungen! gedenke, daß Du auf meinem Todtenbette sie mir geleistet . . . Denn ich fühle, daß ich heimgehe zum Vater, Pa ra celsus! — Da, siehe, wie wankend und trüge risch der heutige Standpunkt unserer Wissenschaft ist» Ich habe mich geirrt — ja, ich habe um die Hälfte der Zeit mich verrechnet. Der Tod tritt mir schon an das Herz! Ich fühle seine eisige Hand, wie sie mich erfasst und erstickt. — O, mein Sohn, den letzten Trost gewährt mir Deine Freundschaft, Deine reine und aufopfernde Seele . . . Bleibe stets der, den ich in Dir gekannt! Gedenke, daß, wenn die Menschen auch verkehrt und bose sind , dennoch stets die erste Pflicht ist, sie zu lieben, ihnen zu helfen, sie zu trösten und aufzurichten. — Liebe Deinen Näch sten mehr als Dich selbst. — Liebe ihn, nicht um seinetwillen, sondern um des allgütigen, großen Va ters willen, der Euch Beide geschaffen, damit Ihr


58 einander lieben und helfen sollet. — Das nur schmerzt mich bei meinem Tode , daß ich der Welt nicht mehr nützen und dienen kann. — Doch, ich werde es noch, ich werde es durch Dich; — denn Deine Seele ist meine Seele, und die meine Ach! wo bist Du? — Deine Hand, Paracelsus! Das Haupt des Greises hatte sich immer mehr und mehr hcrabgebeugt. Sein Körper war gänzlich zusammengesunken; er lag auf dem Rücken, das Ge sicht zur Wölbung des Kerkers gewendet. Ein leich tes convulsivisches Zucken bewegte seine Augenlieder; er suchte sie zu öffnen, aber sie sanken immer wieder und bedeckten die erloschenen, sich entfärbenden Augen. Immer schwächer und langsamer hob sich bie Brust und nur ein leiser Athemzug drängte sich mit pfeifen dem Tone durch die geschlossenen Zahnreihen. Mit herzbeklemmender Angst folgte der Jüngling, sich über den Körper des Greises beugend, jeder Bewe gung dieses Todeskampfes. Er sah so mit aufmerk samen und thränenden Augen das Leben des einzigen Wesens erlöschen, das den Werth seines Herzens kannte, des Mannes, der allein bei ihm die Spelle seiner schon längst in kühler Erde schlummernden Fa milie ersetzte, dem er sein Wissen und Können, dem er sein geistiges Leben dankte. Nur einen Augenblick noch, und er verlor seinen väterlichen Freund, seinen vertrauten Rathgeber, seinen treuen Führer . . und stand allem!


59 Jetzt machte der Sterbende noch eine heftige Be wegung. Das Leben, das ihn schon verlassen zu haden schien, beseelte noch einmal sein bleiches Gesicht; seine Augen öffneten sich und leuchteten von uberna türlichem Glanze; rasch und ohne Mühe richtete er sich auf. Sein ganzes Wesen schien nicht mehr dieser Welt anzugehören und zeigte sich als der Wieder schein eines besseren Ienseits. Sein unstäter Blick sah nicht mehr, weil er über die Erde hinaus zu se hen schien. — Paracelsus! sprach er mit lebhafter , zit ternder Stimme; die Bosen sind nur die Werkzeuge der gottlichen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Wir sollen sie nicht hassen, denn sie wissen nicht, was sie thun. — Sag' ihm, daß ich ihm vergebe! Lebewohl! — Er fiel auf sein Lager zurück, drückte Para celsus die Hand, murmelte noch einige unvollkom mene Tone, erhob mit Mühe die eine Hand gen Himmel, als wolle er ihn an seinen Schwur, der Menschheit zu dienen, erinnern, richtete noch einmal einen Blick voll inniger Liebe und Wehmuth auf ihn, einen letzten Blick, gleich einer inneren Regung des seligen Lebens, — und verschied. Paracelsus blieb noch eine Zeitlang über den entseelten Korper gebückt und starrte ihn schmerzer füllt an. Dann drückte er die kalte Hand, und sank mit ei


5 60 nem Thränenstrome auf die Kniee neben das Schlacht opfer, dessen letztes Wort das Wort der Verzeihung für seinen Mörder war. Die Hülle eines edelen Menschen, die durch das Bewohnen einer reinen Seele geheiligt wurde, gleicht einem Tempel, dessen Trüm mer noch von der Größe Gottes erzählen. Er schied endlich aus dem Kerker, wo er seinen Trost, seinen ältesten Freund zurückließ, und stieg hinauf zu Fritz, der erstaunt war, ihn allein kom men zu sehen. Er erlöste ihn von seinen Fesseln, und beseitigte die Unordnung, welche er vorher ab sichtlich im Vorsaale bereitet hatte. — Du kannst jetzt ruhig sein, sprach er mit finsterer Miene zum Pagen; Du siehst, ldaß ich allein gehe. Man wird Dich nicht beschuldigen, daß Du Deinen Gefangenen hast entfliehen lassen. — Warum nehmt Ihr ihn nicht mit ,Euch? fragte bekümmert Fritz. Der unglückliche Greis! Sie werden ihn doch zuletzt noch todten! — Es ist geschehen ! erwiederte mit furchtbarem Ausdrucke P a r a c e l su s. — Er ist todt ! — O, welch' scheußliches Verbrechen! rief Fritz mit schmerzvoller Bestürzung seine Hände faltend. Möge Gott im Himmel es ihnen vergeben! — Ich habe nicht christlichen Sinn und nicht Güte des Herzens genug, um Amen sagen zu kön nen, antwortete Paracelsus mit dumpfer, zit ternder Stimme. Gott weiß, wie Er mit ihnen

!


61 verfahren soll, und mir — wird die Nacht ihren Rath bringen. — Lebewohl ! — Und er stürzte aus dem Saale und hinterließ den jungen Pagen voller Betrübniß, Erstaunen und Entsetzen. Kurze Seit darauf stiegen die beiden Ritter die kleine Treppe des Thurmes hinab. Georg von Reinach, in ein langes Nachtkleid gehüllt und mit einer Schärpe um seine eckigen Hüften, ging hinten und hielt eine kleine Lampe, die seine von unersättli cher Begierde funkelnden Augen beleuchtete. Ihr Ausdruck allein verrieth die Empfindungen seiner Seele, denn sein knochiges Gesicht erschien empfin dungslos, wie gewöhnlich, und seine Bewegun gen behaupteten ihre ganze Würde und Steifigkeit. Christoph, etwas ungestümer, lief voraus und wandte sich von Zeit zu Zeit gegen Georg von Reinach um. — Du hast Recht, Georg! sprach er zu ihm im Gehen; dieses plötzliche Verschwinden erscheint unerklärlich; und mögen nun auch die Gründe mei nes Neffen, und die Mittel, welche er dazu ange wendet hat, gewesen sein, welche sie wollen, so ver langt jedenfalls die Vorsicht, daß wir unseren Schatz nicht ohne Bewachung und Vertheidigung lassen. Es ist zwar unmöglich, daß irgend ein Mensch zu dem Kerker gelange — aber es ist denn doch besser, daß wir uns selbst bis zu Ende der Nacht dort auf


62 halten. Der Doktor hat uns versichert, daß das große Werk am Morgen seine Vollendung erwartet. Ohne Zweifel ist es schon vollendet, und sollte es noch nicht sein, nun, so werden wir es erwarten und mit unseren eigenen Augen es vollbringen sehen. — Wir werden es sehen! antwortete die hohle Stimme Georg Reinach's. — Wir werden wohl thun, hiernach gleich heute mit der Ausführung unserer Pläne zu beginnen. Der schwäbische General, Graf Truchseß, Eberhard von Steinbach, der Graf Matfried, und Adelbert von Ruolz werden heute bei mir zur Jagd erwartet. Es sind Alles Leute von Muth und Thatkraft, deren Verbindung uns von großem Nu tzen sein wird. — Das ist sehr gut. Nur Matfried ist zu dünkelhaftanmaßend und auch zu leichtsinnig. — Das Gold wird ihn schon im Zaume halten und ihn zahm machen, erwiederte Christoph, .der jetzt den Schlüssel in das Schloß der ersten Thür steckte. — Wer da? rief des Pagen Stimme. — Ich bin's, antwortete Christoph, indem er die Thür öffnete. Fritz stand angekleidet, gegen sein Bett gelehnt und sah nach der sich öffnenden Thür. Er grüßte ehrfurchtsvoll, und nahete dem Grafen Christoph. -- Sehr wohl! Ich liebe die Wachsamkeit, re


<Z3 dete ihn Christoph an. Du schläfst heute nicht, wie vorgestern. Aber sei immer getrost, Dein Dienst wird hier bald zu Ende fein, und Du sollst dann ausruhen, so viel Dir beliebt. Eine unwillkührliche Bewegung, welche den Iung, ling durchzuckte, verrieth den peinlichen Eindruck, den diese Worte auf ihn machten. Cr verbeugte sich und öffnete die zweite Thür. Die beiden Ritter stiegen hinab in den Kerker. Ihre Lampe, im Begriff zu erlöschen, warf ei-> nen matten, unsichern Schein, und flackerte nur von Zeit zu Zeit wieder auf, wie von einem unsichtbaren, leisen Hauche angeweht. Sigismund lag auf dem Rücken, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Arme neben sich ausgestreckt und schien in tiefen Schlaf versunken. — Und das Geräusch, das sie machten, weckte ihn nicht auf, wie Christoph zu erwarten schien. — Dieser feste und friedliche Schlaf ist ein gutes Zeichen; er beweist, daß seine Seele beruhigt und seine Aufgabe gelöst ist. — Nun wohlan, so wollen wir den ersehnten, geheiligten Stein sehen l — Wir wollen ihn sehen! wiederholte Georg.— Und sie beugten sich Beide zum Fußboden, nach dem Orte, auf den Sigismund am Abend das metallene Gefäß gestellt und es mit einer Glasglocke bedeckt hatte. Georg hielt die Lampe näher, um


64 das unzureichende von der Decke fallende Licht zu erganzen. Ein schrecklicher Fluch aus dem Munde Chri» stophs, der zuerst das Vorgefallene entdeckte, unterbrach die erwartungsvolle Paust. War es nun Paracelsus selbst gewesen, oder war es unwillkührlich von Sigismund im Todeskampfe geschehen, Einer von ihnen hatte das kostbare Gefäß umgestoßen, und der gierige, feuchte Boden hatte die Flüssigkeit, die es enthielt, sofort völlig aufgesogen. — Hund! schrie der Prior, Sigismunds Korper mit dem Fuße stoßend, was hast Du ge macht? Der greise Gelehrte blieb regungslos und stumm. — Wirst Du aufwachen, Hund! wiederholte Christoph von Wuth ergriffen und ihn von Neuem stoßend, während Georg Reiinach, durch eine auf fahrende, heftige Bewegung von seinem ersten starren Erstaunen wieder zu sich kommend, jetzt dem Lager Sigismunds die noch in seinen Händen befindliche wieder aufflackernde Lampe näherte. Durch den Stoß Christophs rasselten die Ketten, welche noch an Sigismunds eisernen Gürtel befestigt waren, der Kopf fiel von der Seite, und die halbgeöffneten weißen, stieren Augen schienen grässlich verspottend auf die von Entsetzen zurückprallenden, alten Sünder zu blicken. Christoph stieß im unwillkührlichen Zurückfahren


55 vor Verzweiflung, Schrecken und Entsetzen auf den alten Georg. — Er ist todt ! rief er. — Er ist todt! wiederholte Georg; und die beiden Grafen sahen sich mit nicht zu beschreibender Verwirrung an. —' Er ist todt! — und das große Werk ist da hin! rief im Tone rasender Wuth Christoph von Neuem. Hund! Und er stieß mit dem Fuße dcks Gesicht des entseelten Greises. — O! wenn er die Qual der Tortur noch empfinden könnte, ich wollte ihm stückweise mit eigenen Händen, das Fleisch von den Knochen reißen! Es entstand ein tiefes Schweigen. Ein Schwei gen der ohnmächtigen Wuth und der niederdrückenden Verzweiflung. — Christoph! sprach heftig, mit stierem ver storten Blicke der alte Georg, indem er den Prior fest beim Arme ergriff, bist Du Deiner Sache gewiß, daß wir — gestern Abend — Deinen Neffen gesehen? — Welche Frage? — Weißt Du, was mir einst ein Alchymist, der die Goldmacherei trieb, gesagt hat, erwiederte mit leiser Stimme und scheu umherspähendem Blicke der alte Georg. Er sagte mir: „mein Geheimniß ist heilig! und wenn ich es verriethe, so würde der Böse" -Er hielt inne. — Bah! ich glaube an keinen Teufel! II. 5


66 — Erinnerst Du Dich des Gebetes, das Si gismund gestern Abend hielt, als er im Begriff stand, das Geheimniß zu enthüllen? fragte mit noch leiserer Stimme Georg Reinach. Diese Erinnerung schien in der That Christoph mit ängstlicher Unruhe zu erfüllen. Sein Blick ging von Sigismund auf das umgeworfene Gefäß und von dem Gefäße auf Sigismund. — Statt Dir das Geheimniß zu enthüllen, fuhr Georg fort, hätte er Dich nur an dessen Erfolge Theil nehmen lassen sollen; dieß wäre eine unversieg bare Quelle für uns gewesen. Statt dzssen ... — — er hat es ihm nicht verziehen! und er hat das Ge fäß umgestoßen! — — Lass' uns hinauf gehen! antwortete Chri stoph. — Und die beiden Ritter stiegen langsam und schweigend die Treppe hinauf. — Fritz! sagte der Prior, Du wirst Strucker den Befehl geben, daß er die Leiche, die unten ist, vergräbt. Die Gerätschaften und die Gefäße, welche sich unten im Kerker befinden, wirst Du sämmtlich oben hinauf bringen ins Laboratorium. Hierauf begab er sich in den Burgsaal. Kurze Zeit danach erdröhnten die Mauern der Burg von schallendem Hörncrruf. Lärmende Haufen von Männern und Pferden drängten sich auf dem Empfangs - Hofe. Der Graf T r u ch se ß , der Graf Matfried, die reichen Herren von Steinheim


f,7 und von Ruolz kamen Einer nach dem Andern mit ihren Dienern und ihrem Iagdgefolge an. Christoph verwünschte innerlich ihre Ankunft. Er hatte die Gäste, nach einem großen und tiefangeleg ten politischen Plane, und um sie unter seine Fahne zu reihen, zu sich geladen, und sah sich jetzt, tief und ohne alle Hoffnung, vom Throne aller seiner Plane und gebaueten Luftschlösser herabgestürzt, und diese Täuschung war um so grausamer für ihn, je gewisser er sich fei ner Erfolge gedünkt hatte. Dennoch war er genothigt, seine Niedergeschlagenheit und seinen Verdruß zu ver bergen, auf die Anlässe seiner Gäste einzugehen und ihren Wünschen Folge zu leisten; er musste sogar in die lärmende Ausgelassenheit und den tobenden Witz des Grafen Matfried einstimmen und ihm seinen Beifall zollen. Bald sah man sich in dem Burgsaale vereinigt, und nachdem man sich begrüßt und einige Zeit unterhalten, sprach man von einem gemeinschaft lichen Mahle , ehe man in den Wald sich begebe. Christoph war übrigens hierauf sehr zufrieden, sei nen Aerger durch den Tumult eines Gelages und den Lärm der Iagd zu übertäuben. Die Gräsin Reinach erkannte bald den rohen und lärmenden Geist der Ankommenden und ließ sich unwohl melden, um sich von der Tafel dieser Gesellschaft fern zu halten. Während dieser Zeit gab Paracelsus seine Befehle zur Abreise an Bertram. Dieser brachte das kleine Gepäck in Ordnung und sattelte die Pferde.


68 — Ihr reis't ab, gnädigster Herr? fragte Fritz, als er die Vorbereitungen des jungen Arztes sah. Habt Ihr Euren Onkel gesprochen ? — Ich bin im Begriff, ihm das Lebewohl zu sagen! antwortete Paracelsus, mit einem bittern Lächeln, das mit seinem blassen Aussehen und dem düstern Feuer seiner Augen contrastirte. Und . . . ich denke, man soll zu Hohenheim es im Gedächt nisse bewahren! Fritz näherte sich ihm, und indem er die Hand auf seinen Arm legte, sprach er leise im Vertrauen zu ihm : — Er lässt ihn im Kerker unter der Luke ein scharren. — Gut! ich danke Dir! antwortete Paracel sus, während ein bitterer Schmerz um seine Lippen zuckte. Wenigstens weiß ich den Ort seiner Ruhestätte. Ich verschulde Dir einen Dolch, glaube ich, nimm diesen einstweilen zum Andenken an ihn und an mich. Fritz empfing ihn mit Dankbarkeit, und nach dem Lehensgebrauche küsste er die Hand seines jungen Herrn, die ihm dieses Geschenk darreichte. — Alle Menschen sind Brüder! sprach Para celsus; bei mir bedarf es dieser den Menschen er niedrigenden Formel nicht; ich kenne keine Vasallen, wir dienen Alle Einer dem Anderen. Und er drückte die Hand des jungen Pagen. — Wenn ich je Etwas


für Dich .thun kann, und wenn Du meiner bedarfst, so erinnere Dich, daß Du einen Freund in mir hast. Die Ritter saßen bei Tafel und man horte fern her ihre tobenden Stimmen. Der Graf Matfried, Adelbcrt von Ruolz und Christoph von Ho henheim erhielten mit heller, gellender Stimme ein lebhaftes Feuer der Unterhaltung, während die drei übrigen Tischgenossen nur einzelne tiefe Tone dazwi schen brummten, die wie der Baß in einer Sympho nie sich ausgenommen hätten, wäre das Geschrei des Taftlconzertcs nicht allzu disharmonisch gewesen. Ietzt entstand ein Geräusch und Drängen unter den Pagen und Diencrn an der Thüre des Saales; aber Ar nold theilte den Trupp der Bedienenden selbst, und ließ einen Fremden mit Ehrfurcht hindurchschreiten, welcher bis zur Tafel der Ritter hineinzudringen wagte. Eben hatte Christoph von Hohenheim einen plumpen Scherz hervorgebracht und hob den Kopf, um durch sein schallendes Gelächter die Beistimmung seiner Tischgenossm und ihr Beifalls- Gelächter hervorzulocken und einzuerndten, als er verstummte, in dem er unfern von sich die unbewegliche und blasse Gestalt des Paracelsus erblickte, der seinen starren und durchdringenden, finsteren Blick auf ihn heftete. Nichts hatte der Tischgesellschaft seine Ankunft angezeigt; und Georg Neinach und Christoph, welche ihn zugleich gewahrten, konnten sich nicht er wehren, einen unwillkührlichen Blick des Erstaunens


70 und Entsetzens zu wechseln. Der Gedanke, den sie im Kerker ausgetauscht, trat plötzlich Beiden vor die Seele, und, trotz seiner Ungläubigkeit, setzte der Prior, verwirrt und bestürzt, seinen Becher auf den Tisch, welchen er so eben an den Mund zu führen im Be griff war, ohne ihn zu leeren. Paracelsus trat mit festem Schritte heran, stemmte seine Hand, Christophs Platze gerade ge genüber, auf die Tafel, während die ganze Tischge sellschaft in Ueberraschung ihn schweigend anstaunte, und sprach mit langsamer, ernster und fester Stimme: — Es scheint, Herr Christoph, daß Ihr zu Eurem Mahle den ältesten Sohn Eures ältesten Bru ders einzuladen vergessen habt. Iedoch bin ich, für mein Theil, meiner Pflichten mehr eingedenk, und komme vor meiner Abreise Euch den schuldigen Dank abzustatten, und Euch aufzuwarten, wie Ihr es ver dient. — — Ihr konntet Euch dessen mit weniger Förm lichkeit und mit etwas mehr Artigkeit entledigen — erwiederte Christoph mit einem erzwungenen Lä cheln, aus dem aber Unwillen und Verwirrung her vorblickte — ; vorzüglich aus Rücksicht gegen meine Gäste. — Reiset nur ab, sobald es Euch gefällig ist. Als gastfreier Schloßherr werde ich Euch jedoch den Abschiedstrunk reichen lassen. Auf seinen Wink reichte ihm Einer der Diener einen Becher mit Wein gefüllt.


7! — Gastfreier Schloßherr! erwiederte Paracelsu s mit kraftvoller Stimme; auf welche Weise pflegst Du die in Deine Burg geladenen Gäste zu behandein? — Ist's vielleicht vergossenes Blut der Un schuld, das Du mir in diesem Becher reichest? — Was heißt das? Was sprecht Ihr da? Seid Ihr rasend? stotterte Christoph, bald blaß, bald roth werdend, und vor Verwirrung kaum im Stande, seine Gedanken zu sammeln. — Hinweg mit dem Becher, den der Meuchel mörder reicht I donnerte Paracelsus Stimme. Er soll meine Lippen nicht besudeln! Und er ergriff den Becher und stieß ihn mit Heftigkeit und Kraft auf die Tafel, daß die Scher ben und der Wein herumsprühten, und den Prior sowohl als seinen Nachbar, den Grafen Rein ach, bedeckten. — Christoph von Hohenheim! fuhr laut und feierlich der Iüngling fort. — Ich erwarte Dich vor dem Richterstuhle Gottes! Dort wirst Du Re chenschaft ablegen von dem scheußlichen Verbrechen, das Du gestern Abend vollführet! — Was heißt das? Was soll das? stotterte Christoph, indem er sich erhob. Wer klagt mich an?

Wer beleidigt meine Ehre? Alle Tischgenossen erhoben sich. — Das ist ja unerhört! rief der junge Graf Matfried. Wer ist der Mensch ? Werst ihn hinaus—


72 — Geduld! antwortete Paracelsus mit ge bietender Stimme und Geberde. Zugleich setzte er sein schwarzes Waret auf sein Haupt, auf dem die große Rciherfcder, seine hohe Geburt verkündend, wogte: — Grafen und Ritter! fuhr er mit fester, kraft voller Stimme fort, nicht zu Euch spreche ich! Nur als Zeugen meiner Worte rufe ich Euch an, als meines Gleichen. Ich, Philippus Aureolus Theophrastus Paracelsus, Graf Bombastus von Hohenheim, spreche zu Christoph von Hohenheim, dem jetzigen Burgherrn. — Er kennt mich ; so möge er sich verantworten, wenn er es wagt! — Ich bin Herr in meinem Hause! erwiederte blaß vor Zorn Christoph; und Du sollst es mir bereuen . . . — Genug! unterbrach ihn mit Kraft und mit stolzem Unwillen Paracelsus. Bedenke, daß das Haupt der Familie zu Dir redet; mir, dem Sohne Deines ältesten Bruders, bist Du Ehrerbietung schul dig ! Hast Du Klage wider den Grafen von H o h e n heim, so wirf mir Deinen Fehdehandschuh hin, ich werde ihn aufnehmen und ihn dem Kaiser überbrin gen. Er wird zu entscheiden wissen, ob der meuchelmorderische Onkel gegen den ihn anklagenden Neffen zu kämpfen wagen darf ; ^ und er wird erfahren, daß ich Dich eines bübischen, hinterlistigen Mordes beschuldige an einem Ritter des heiligen Nomischen


Reiches, an dem freiherrlichen Edelen Sigismund Fugger von Schwartz, welchen Du unter der Maske der Gastfreundschaft in Deine Burg gelockt und daselbst auf verrätherische, schändliche Weise meuch lerisch gemordet hast. Ich sage es, und bin bereit, die Beweise an das Tageslicht zu ziehen, wenn es Deinem schuldbeladenen Gewissen nicht hiermit genü gen sollte! — Und ich, fuhr er nach einer Pause im feierlichen Tone fort, ich, das Haupt des edelen Hauses von Hohenheim, bishero ohne Makel und obne Flecken, ich^ der ich solche Schandthat in meinem Blute nicht dulde, ich erkläre Dich verlustig des ede len gräflich-hohenheimischen Standes, ich entehre und entsetze Dich, und verleugne Dich fortan hier im An gesichte der versammelten Edelen, auf welche ich mich zum Zcugniß dieser meiner Handlung berufe! Und sein Schwert entblößend fasste er die Tisch decke und trennte sie mit heftigem, raschen Schnitte vor Christophs Sitze, der wie zerschmettert und versteinert bei dieser plötzlichen Enthüllung seines Ver brechens dastand. — Hast Du noch Etwas hervorzubringen, so sprich! fügte Paracelsus nach einer Pause hinzu, welche durch das allgemeine schweigende Staunen noch bemerkbarer wurde. Willst Du, daß ich die hier an wesenden Edelen zu dem Orte führe, wo . . . — Mensch oder Teufel! hebe Dich weg! rief


74 zitternd vor Wuth und Entsetzen der Prior, als er die Sprache wieder gewonnen. — Das ist Alles, was Du zu Deiner Vertheidigung anführest? Edele Herren und Ritter Z Ihr habt es gehört, Ihr waret Zeugen. Ich habe meine Pflicht gethan — und gehe! Er entfernte sich von der Tafel und ging lang samen, würdevollen Schrittes durch den Saal. Die bestürzten Gäste folgten ihm mit den Augen; Chri stoph sank vernichtet auf seinen Sessel, und die Schaar der Diener wich scheu zurück bei der Annä herung des Paracelsus, als erblickten sie einen Rachegeist. Einige Minuten darauf sprengte der junge Arzt im Galopp aus der Burg Hohenheim.


TS

Der

Wald.

Die Nacht war eingetreten. Dunkeles Gewolk, womit der ganze Himmel überzogen war, erhöhete noch die Finsterniß, und ein heftiger, vom heulenden Winde gepeitschter, Regen überfluthete die ode Gegend. Die eintönige und traurige, von Finsterniß und dem dichten Regenschleier bedeckte Erde schien sich mit der unbe stimmten, dunkelen Färbung des Himmelsbogens zu vermischen; nur die hundertjährigen Bäume eines dichten Gehölzes, das am Rande des Horizontes sich hinzog, zeichneten eine, an ihren Endpunkten sich verwischende, schwarze Linie, wodurch die Tren nung der Erde von den Wolken sich andeutete. Au ßer diesem geräuschvollen Getöse der Natur herrschte ringsum Lede und tiefe Stille. Mail hörte Nichts als das einformige Geplätscher des von Windstößen getriebenen Regens, oder das in gleichmäßigen Zwi schenräumen wiederkehrende, seufzende Geheul des Windes, das in den hin und her wogenden Massen des Waldes dem Ohre wie ausgestoßene, artikulirte Töne erklang.


7,1 Ein Mann zu Pferde, in seinen Mantel gewickelt, folgte der vom Regen überschwemmten Straße, welche die Ebene durchschnitt und in das Gehölz leitete. Unbe kümmert um Wind und Regen, welche sein Gesicht trafen, ritt er seines Weges, ohne, wie es schien, «s nur zu bemerken, und ohne seinen Schritt zu be schleunigen oder zu hemmen. Ein schwarzes hohes Barer, geziert mit einer langen, gleichfarbigen Fe der, welche im Sturmwinde flatterte, als wollte sie sich ihrer Fessel entledigen, bedeckte sein zur Erde ge senktes Haupt. An dem braunen, blassen, nachdenk lichen Gesichte, an seinem durchdringenden, finsteren Blicke, welcher unveränderlich vor sich hinstarrte, als wollte er eine stets fliehende Idee festhalten, erkannte man den Doktor Paracelsus. .Einige Schritte hinter ihm folgte Bertram, auf Weg und Regen scheltend, und von Zeit zu Zeit einige kräftige Ver wünschungen, jedoch mit leiser Stimme, bald gegen sein Pserd, bald gegen das Wetter ausstoßend. Sie verfolgten rasch und schweigend ihren Weg. Als Paracelsus aber in den Wald hineinbog, er hob er den Kopf und hemmte fast unwillkührlich sei nen Schritt. Es gicbt gewisse Leiden, welche durch den An blick der Natur eine Aenderung erleiden sich verstär ken oder sich besänftigen. Es giebt Augenblicke, wo die vom Sturme der Leidenschaften ergriffene Seele das Schauspiel des Unwetters, des Aufruhrs in der


77 Natur , den Anblick der Verwüstung und der Trüm mer wünscht, um eine Uebereinstimmung in der äu ßeren Welt mit ihrem Inneren zu finden. Der Friede und die Ruhe in der Natur würde zu heftig an den Aufruhr und die Verstimmung der Seele mahnen. Das mit Leiden erfüllte Herz findet Harmonie und Sympathie darin, wenn die äußeren Gegenstände, unter einem düsteren Himmel, in einen Trauer schleier gehüllt sind. Der Trauernde will nicht Friede und Freude sehen, so lange der Schmerz > sein Inneres so erfüllt, daß er nur ihm nachhängen kann. Er sucht mit schmerzlich süßem Vergnügen die einsamsten Orte, düstere und nackte Felsen, den Sturmwolken jagenden Himmel, den finsteren, Kla gen heulenden Wald, welche sömmtlich, wie er, un glücklich und belastet erscheinen. So schien auch jetzt der in der Finsterniß rau schende Wald mit der Stimmung des jungen Rei senden zu harmoniren. Diese vom Sturme gepeitsch ten Pappeln, welche ihr hin und herwogendes Haupt gegen den dunkelen Himmel erhoben; diese Bäume, die ihre phantastisch geformten schwarzen Kronen un ter der Gewalt des Windes, oft bis zur Erde, beug ten, schienen in dieser Finsterniß Leben anzunehmen und in ihren Bewegungen Widerstand, Flehen oder Ergebung auszudrücken. Dann ertonten aus dieser sausenden und rauschenden Masse absonderliche, un bekannte Laute, Stöhnen, Seufzer, Klagen, die in


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'

Verbindung mit dem monotonen Geräusche des Re gens, mit dem Geheule des Windes eine umfassende, großartige Harmonie bildeten; eine Harmonie, welche .die aufmerkende Seele ergreift und erfüllt, welche ihr in einer nicht zu fassenden Sprache von Schmerz und erhebender Andacht spricht. Es ist hier nicht das Bild des begrenzten, fleischlichen Lebens des Men schen, es ist der nahe Conflict des Unorganischen mit der Organisation, es ist der große Complex bei der Reiche, welche wir empfinden; es ist das Bewusstsein des unermesslichen, göttlichen Lebens, das das gesammte Universum erfüllt, das aus der gan zen Schöpfung ein Wesen bildet, welches sich über einstimmend, gleichmäßig und zweckfolgend unter dem schaffenden und waltenden Blicke des einigen Gottes bewegt. Es that dieß dem Herzen des Paracelsus wohl. In der Vergangenheit war für ihn so viel Reue, Thronen und vergossenes Blut; seine Zukunft war so verfinstert von Schmerzen, die seiner warte ten, von unglücklichen Voraussehungen, die ihn tref fen mufften, daß er in der Trauer der Natur eine Milderung der seinigen und fast einen verborgenen Freundschaftszug für sich fand. Bertram lenkte jetzt sein Pferd an die Seite seines Herren und weckte ihn aus seinen melancholi schen Träumereien.


79 — Gnädiger Herr! Hegt Ihr noch immer die Absicht gen Basel zu gehen? — Gewiß. — Seid Ihr versichert, auf dem richtigen Wege zu sein? — Gewiß. — Ah! — sehr wohl — ich, ich glaubte das Tegentheil. Paracelsus antwortete nicht und die UnterHaltung brach ab. Nach einiger Zeit begann Bertram wieder, mit offenbar höhnender Absicht: — Der Herr geht vielleicht nach Basel , um dort die Gräsin Reinach wieder zu finden, welche ihrechits, wie ich gehört habe, ebenfalls dorthin reist? — Gewiß! antwortete mechanisch Paracelsus. — Element! brummte Bertram, und es entKand eine Pause. — Aber dann werde ich doch den Herrn bitten, mich davon in Kenntniß zu setzen, wenn er sich Nachts zum Reinach'schen Hause begeben sollte, und nicht anders als gut bewaffnet Nachts auszugehen, denn ich glaube , und ich habe meine guten Gründe, daß der alte gelbsüchtige Graf Reinach den Herrn zu Paris durch seine verdammte HLllenseele, den Guildstern, meuchelmörderisch hat anfallen lassen, und das von wegen der Gräsin Placida.


80 — Was meinst Du? fragte Paracelsus, wie erwachend aus seinen Träumen. — Ach! der Herr hörte nicht, was ich sprach! Ich sagte eben, daß ich Guildstern im Verdacht hätte, daß er des Herrn Meuchelmorder sei. Als er Euch den Morgen auf Hohenheim erblickte, ist er fast umgesunken, und rief: Ihr müsstet den Teufel im Leibe haben. Ich bitte um Entschuldigung, gnä diger Herr! — Gleichviel! erwiederte Paracelsus, und die Unterhaltung stockte wieder. — Ich bitte den Herrn um Entschuldigung, daß ich ihn nochmals störe; aber es scheint mir, daß er irre reitet. Wir sind nicht auf der großen Straße nach Basel. — 'Ich weiß, wohin ich gehe; antwortete trocken Paracelsus. — Ah, das ist was Anderes, gnädiger Herr! — Und er begann sich einen Walzer zu pfeifen, was sehr im Widerspruche stand mit der Miene, mit welcher er den Himmel betrachtete, der sie mit Regen uberschwemmte. — Hübsches Wetter zum Spazieren reiten! sprach er für sich, seine Melodie einen Augen blick unterbrechend. Eine prächtige Gegend! sehr be wohnt und lebendig! ... — Dann versuchte er es mit folgenden Worten, welche ihm einen Talisman zu enthalten schienen, um Paracelsus aus seiner Vertiefung zu wecken:


8l — Kommen wir zu weit ab, so werden wir die Spuren der Gräsin Rein ach verlieren. Der junge Arzt blieb gleichgültig und stumm. — Das ist ganz klar! fügte Bertram, sein Selbstgespräch fortsetzend, hinzu. Zuerst haben wir zehn Tage lang gewartet, welche der Herr bei dem alten Pächter zugebracht hat, wo er sich nur mit sei nen mit verteufelten Charakteren bemalten Pergamentrollen beschäftigt hat. Zu Mittag habe ich dann erst erfahren, daß. die Gräsin am Morgen abgereist war, und wir haben sie erst nach Sonnenuntergang auf der Baseler Straße eingeholt. Dann sind wir freilich vorausgereist, und wir reisen rascher zu Pferde; wir haben aber wiederum drei Tage in der Stadt verlo ren mit Einkaufen und Anfertigenlassen — und das hat uns nicht wenig gekostet — der Kleinodien und des sonderbaren Putzes, den der Herr im Mantelsacke mit sich führt. Dadurch sind wir wenigstens um vierundzwanzig Stunden hinter der Gräsin zurück geblieben und wenn wir nun noch vom Wege abkommen In diesem Augenblicke bog Paracelsus kurz um in einen schmalen Fußsteig hinein, der kaum weg sam war und sich links hinschlängelnd in das stärkste Dickicht des Waldes leitete. Als dieß Bertram gewahrte, beendete er seine begonnene Rede durch ein langgezogenes Pfeifen. Nach einer im dicken Geholze zurückgelegten, kurzen Strecke hielt Paracelsus an U. 6


82 vor einem großen Gehöfte der Holzhauer, das sich an diesem lichten Platze des Waldes ausdehnte. — Hier wollen wir die Nacht zubringen, gna diger Herr? fragte Bertram, indem er einen zwei deutigen, forschenden Blick auf das düstere, schwarze Gemäuer warf, das ganz vereinsamt zu sein schien. — Ia, antwortete Paracelsus kalt, und sprang vom Pferde. Bertram folgte dem Beispiele seines Herrn, ohne ein Wort zu erwiedern, nur schnallte er seinen Gürtel fester und überzeugte sich, od auch seine Klinge leicht aus der Scheide gehe. Indessen klopfte Paracelsus kräftig gegen die Thür. Ein Hund bellte im Inneren, aber Niemand erschien. Bertram pfiff die Melodie seines Walzers. Paracelsus klopfte stärker. Ietzt öffnete sich oben an der schwarzen Front ein kleiner Laden, wodurch ein rother Schein hervor drang, der mit Mühe einen vorsichtig herausgesteckten Menschenkopf zu unterscheiden erlaubte. — Wer ist da? fragte eine rauhe, starke Stimme. — Ein Bruder! antwortete Paracelsus, die linke Hand in die Hohe hebend. Der Mensch warf den Laden wieder zu, und Alles war wieder finster und still. Nach Verlauf einiger Minuten der Erwartung machte Bertram, der durch seinen vom Regen ge tränkten Mantel das Wasser an seinen Schultern herablaufen fühlte, in seiner Melodie eine langanhal


tende Passage, die einem Seufzer ähnlich war. Der Hund bellte mit Wuth. Gleich darauf öffnete sich die Thür und drei mit Piken und Säbeln bewaffnete Männer erschienen auf der Schwelle. Ihre wild aussehenden Gesichter, auf denen Neugierde und Kühnheit ausgedrückt waren, wurden vom langen, krausen Haare und buschigen WLrten halb bedeckt. Bei diesem Anblicke stellte Wertram sein Pfeifen ein und wickelte ganz mecha nisch seinen Mantel um seinen linken Arm. Paracelsus schritt ohne Zögern vor, stieß die Thür auf, wechselte mit leiser Stimme einige Worte und darauf verschiedene Zeichen mit dem ersten dieser Männer und trat hierauf mit dem Ansehen eines Gebieters in die Hütte. — Bruder! sagte er in einem dem entsprechenden Tone, sorge für die Pferde. Zwei der Holzhauer nahmen diese hierauf beim Zaume und führten sie in eine Art Stall, ohne ein Wort zu sprechen. Wertram trat ein und setzte sich in die Ecke neben ein großes Feuer, das auf einem roh erbaueten Heerde hochlodernd flackerte; er konnte sich nicht enthalten von Zeit zu Zeit halb leise zu trillern, wenn seine Augen der riesigen Gestalt und der auffallenden, grotesken Physiognomie des Wirthes begegneten. — Ist der Moabom angekommen? fragte Paracelsu s. 6*


84 — Noch nicht. — Ich bin der Erste? — Ia, Moabom. — Gut. Hast Du ein Zimmer für mich, wo ich allein sein kann? — Ia. Und Paracelsus ging in eine Halle mit einem Schirmdache, eine Art Schoppen, wo ein Brett, über zwei in die Erde gerodete Baumstämme gelegt, einen Tisch bildete, und ein Haufen Blätter und getrock netes Moos, das in einer Ecke auf dem festgestampf ten Erdreiche lag, wahrscheinlich ein Bett vorstellte. Ein stark harziges Stück Kiefernholz, das in einer Spalte der Mauer angebracht war, vertrat die Stelle einer Lampe, und flackerte, jetzt angezündet, mit knisternder, sehr heller Flamme. Paracslsus setzte sich auf einen abgesägten Baumstamm, welcher als Sessel diente, stützte sich auf den Tisch, und versank in träumerisches Nachdenken. Dann holte er aus seiner Tasche die Pergamentrollen hervor, welche ihm Sigismund hinterlassen hatte, und rollte sie vor sich auf. — Armer Sigismund! sprach er vor sich. Du glaubtest die Wissenschaft der Physik und Chemie in diesen Hieroglyphen niedergelegt; Du lasest im Geiste die heilbringenden Formeln und Geheimnisse der Medizin in diesen symbolischen Zeichen! Wenn er ge mufft hätte, daß sie Nichts enthielten, als die mystischen


?5 Sinnbilder beim Cultus des Mithras, als die Gesetze des Manes, als die Vorschriften der dunkelen, geheimen Gesellschaften jener Sekten, welche seit den ersten Iahrhunderten in Asien verbreitet, zuletzt nach Europa verpflanzt, jetzt hier ihre Ausdehnung gewin nen! — Er, der Getäuschte, sah darin die Beglückung des künftigen Menschengeschlechts durch Ge winnung und Ausbreitung eines unendlichen Kenntnißschatzes von unberechenbarem Nutzen. — Täu schung! — Es ist das ewige Loos des Menschen: Täuschung — bis an seines Lebens Ziel! Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort, hingerissen durch die Lebhaftigkeit seiner Gedanken: — Nein, er sprach im prophetischen Geiste. Es kann dennoch zum Heile, wenigstens zum Frieden der Menschen dienen, daß er mir diese Blätter ver erbt hat. Von diesem Augenblicke an stehe ich hoher, als alle diese geheimen und gefährlichen Verbindun gen; ich weiß und kenne jetzt mehr von diesem Allem als ihre obersten Meister. Ich kenne die Regeln und Borschriften ihrer Grade, ihre Symbole, ihre Zeichen der Vereinigung — , da ich sie von ihren Gründern selbst niedergeschrieben besitze. — Sie glaubten mich einzuweihen, jetzt werde ich meinerseits sie einweihen! Ich habe sie Alle in Händen, sie stehen unter meiner Botmäßigkeit diese Schreckensbrüder ! — Ist die Zeit da, sie handeln zu lassen, oder müssen sie aufgehal ten werden in ihrem verderblichen Vorschreiten?


86 Er stand auf und ging einige Schritte auf und ab, durch diese Betrachtungen mit der ganzen Kraft seines Geistes aufs Lebhafteste beschäftigt. Ein heftiger Stoß gegen die Thür erschütterte die Hütte und gleich darauf trat Estienne Dolet in das Gemach. Paracelsus drückte ihm die Hand. — Du stellst Dich pünktlich ein, redete er ihn an. Wie ich Dich benachrichtigt habe, ist mir, wie Dir ohne Zweifel ebenfalls, eine Einladung, in mei ner Eigenschaft als Eingeweihter, zugekommen, mich zu der großen Versammlung der auserwählten Brü der einzufinden, welche an der deutschen Grenze ge halten werden soll. Deßhalb nun ist es mir nothwendig erschienen, mich vorher, ehe ich mich zu dieser Versammlung begebe, mit Dir zu besprechen, damit wir Beide uns über unsere Grundsätze verständigten, und in Verfolgung desselben Zweckes vereinigten. — Es kann nur einen und denselben Zweck für alle verständigen und einsichtsvollen Männer geben, antwortete lebhaft Eustachius, das ist die Erhal tung des Friedens. — Wie soll ich das verstehen? — Einige der Häupter wollen den Entschluß geltend machen, gleich nach dieser Vereinigung die Waffen zu ergreifen, um, nach ihren tollsprudelnden Ideen, die Tyrannei des Adels, der Priester und der Könige zu stürzen. Dieser absurde Plan konnte nur dazu dienen, die Welt ohne Erfolg und Nutzen in


87 Aufruhr zu bringen und den Haufen Rasender, welche tollkühn genug wären anzugreifen, mit dem ersten Stoße zermalmt zu sehen. — Ich bin erstaunt! Ist's etwa Thomas Munz er, ihr Oberhaupt, der solche Pläne im Kopfe führt? — Nein; Munz er ist ein gutmüthiger Enthu siast, der, unter uns gesagt, seit einiger Zeit, mit solchem brennenden Eifer sich auf die Bibel legt, ne benher aber auch besonders mit solchem träumerischen Wahne sich religiosmystischem Unsinne hingiebt, daß ich für seinen Verstand fürchte, wenn er ihn nicht schon verloren hat. Die ehrgeizigen, tollkühnen Schwindler, welche den Krieg wollen, sind er stens, Nicolaus Storck, ein Mann von vieler Fähigkeit und Geisteskraft und vielleicht der einfluß reichste ,in der Verbindung; dann derselbe Ru dolph von Rodenberg, den der Graf Reinach ausgeplündert hat und von dem Du selbst mir schon sprachest; er hat sich bei uns in der Hoffnung auf nehmen lassen, hier die Mittel zu finden, sich ge gen seinen Berauber zu rächen; ferner Erasmus Gerber, ein Mensch kühn und fest, aber von höchst beschränkten Einsichten, den Storck zwischen seinen Händen bearbeitet wie weiches Wachs; zuletzt Johann Metzler und einige Andere. Manz, Grebel und die Schweizer sind unentschieden. Ich und einige Andere, wir kämpfen allein für den Frie


88 den. Wenn Fernande;, welchen ich eingeweiht habe, nicht krank zu Paris wäre, und sich hätte ein finden können, so würde ich auch noch auf ihn rech nen. Ich hoffe aber, daß Du Dich mit mir ver binden, und auf unsere Seite schlagen wirst. — Ich werde wohl mehr als das thun, erwiederte Paracelsus mit einem Lächeln um seinen Mund; Du wirst bei dieser Versammlung sehen, was ich bin und was ich vermag. Ich verlange nur, daß Du mich unterstützest. — Auf welche Weise? — Es ist hier nicht der Ort, Dir zu enthüllen, was ich auszuführen Willens und im Stande bin. — Ich will nur das Dir mittheilen, daß ich mächtiger in dem Orden der Brüder bin, als Du es glauben möchtest, — obgleich ich personlich nur Munz er und Dich unter ihnen kenne. Ich habe daher die Bitte an Dich, daß Du mir Storck, Gerber und die Anderen einzeln und dem Namen nach angiebst und weisest, ohne daß Du mich ihnen ent deckest. Ich will sie kennen lernen, und ihnen un bekannt bleiben. — Das ist sehr leicht. Glaubst Du, daß Rudolph von Roden berg, daß Munz er und die Uebrigen, welche mich nur einen Augenblick in den Steinbrüchen sahen, mich wieder erkennen würden ?


89 — Gewiß nicht; Dein Name ist ihnen bekannt, aber Deine Person kennen sie mcht. — Desto besser; es ist mir dieß zu meinem » Vorhaben nb'thig. Du ertheilst mir übrigens, nach unserer Verabredung, die nothigen Nachweisungen und Anzeigen.— Der Ort der Versammlung ist, so viel ich weiß, der Gasthoff zum goldenen Winkelmaaß, dessen Wirth Eingeweihter ist? — Ja, und was noch mehr ist, wenn Du Dich beeilst, so wirst Du dort Placida von Rei nach sehen. Ich habe heute früh mit ihr zu glei cher Zeit das Gasthaus zum schwarzen Adler verlas sen, und ich horte, daß ihre Führer beabsichtigten, die schone Reisende und ihren gräflichen Gemahl nach dem Gasthofe zum goldenen Winkelmaaß zu geleiten. Paracelsus zuckte. — Nun, wir wollen aufbrechen, sie einzuholen. — Ia wohl, denn wir haben uns von der Straße entfernt, und so schnell wir auch reiten, der alte Georg hat eine halbe Tagereise voraus. Das Unwetter wollen wir doch erst vorüberlassen. Wir haben gute Pferde und können morgen gegen Abend im goldenen Winkelmaaß sein. Die schone Pla cida reist nicht nach Sonnenuntergang; wir holen sie also jedenfalls ein. Unterdessen werde ich auf diefen Blättern eine Stunde der Ruhe pflegen. Bei diesen Worten warf sich der Student auf das Lager.


— Noch Eins! begann er wieder, sich aufrich tend und auf den Ellenbogen stützend. — Weißt Du, daß Du hier im Lande einen ausgebreiteten Ruf genießest. Seitdem Du es verlassen hast, fängt man an, Dich zu schätzen und Dir Gerechtigkeit wiVerfahren zu lassen. — Ich habe im schwarzen Adler erfahren, daß Du xer scelsmatianem zum Lehr stuhle an der Universität zu Basel berufen bist. — Wirst Du ihn annehmen? — Ia, antwortete Paracelsus lakonisch. — Ah! Ah! Du begleitest die Gräsin Rein ach dorthin? Ich glaube, es trifft sich für die Studenten zu Basel sehr glücklich, daß die schöne Placida die dortige Gegend so bevorzugt, ihren Wohnsitz daselbst zu nehmen; sonst möchten sie leicht Dich nie zu Gesicht bekommen haben. Paracelsus antwortete nicht, und Dolet kehrte sich wieder um auf seinem Lager und sank sehr bald in tiefen Schlummer.


Das Gasthaus zum goldenen WinkelmaaH.

Des Wirthes Walzen blühte. Sein geräumiger Hof, der, die Wahrheit zu gestehen, halb von ei nem tiefen Sumpfe eingenommen wurde, auf wel chem ein großer Mistberg thronte und ein Heer von Enten schwamm, war gesperrt und gedrängt voll von Pagen, Dienern, Pferden, Wagen und Gepäck? und er selbst, mit seinem tief sich verbeugenden Körper, fv weit es der Schmerbauch erlaubte, einen mäßig stumpfen Winkel bildend, führte so eben, seine Mütze in der Hand haltend , die beiden hohen Gäste, welche sein Haus zu ihrem Nachtlager erkieset hatten, in seinen Saal. Der Graf Reinach reiste in seiner Kriegsrüstung. Als er in den Gasthof trat, war er vollstän dig gewappnet und gerüstet, nur den Helm und die Panzerhandschuh trug sein Waffenträger, der hinter ihm herschritt. Seine colossale Gestalt und sein ab sonderliches Gesicht, das wir schon beschrieben haben, und dessen auffallende Härte etwas Finsteres und Gebieterisches hatte, schienen einen lebhaften Eindruck


92 auf die im Saale Befindlichen hervorzubringen. Der größere Theil derselben stand auf, durch die unwillkührliche Ehrerbietung geleitet, welche der Mensch der Macht und der Stärke zollt. Aber was viel leicht den Anblick des alten Grafen noch bemerkens« werther machte, das war der Contrast dieser mürri schen Physiognomie mit dem anmuthsvollen Gesichte und der graziösen Figur der Gräsin Placida, wel che an seiner Seite mit ihm eintrat. Obgleich eine Wolke der Bekümmerniß und der Ungeduld damals ihre reine, hohe Stirn umwölkte und ihren sanften Blick verfinsterte, so lag dennoch so viel Reiz und Zauber in ihrer Erscheinung, daß sie den an diesem Orte versammelten Reisenden und Bauern Bewunderung und Ehrfurcht einflößte. — Herr Wirth! ließ sich der Graf Rein ach vernehmen, wir werden hier so lange verweilen, bis meine Leute ein für mich passendes Zimmer ausge wählt haben werden. — Ew. Gnaden geruhen nur zu befehlen! ant wortete der Wirth, und machte eine leichte Verbeu gung mit einer vielleicht etwas ironischen Miene, die zu sagen schien: und hernach bezahlt Ihr. Gerade in diesem Augenblicke hielten zwei junge Reisende ihre schnaubenden und schweißbedeckten Rosse vor dem Thore des Gasthauses an. — Hier ist das goldene Winkelmaaß, sagte der Erstere von Beiden. Dolet! -wir sind am Ziele.


93 — Du hast Deinen Ritt sehr gut berechnet! er-> wiederte der Student mit einem neckenden Lächeln; und die Nachricht, welche uns die Brüder im schwar zen Adler ertheilten, war sehr richtig. Der Führer hat die Grasin Reinach mit ihrem würdigen Gemahle hierher geleitet; denn wenn ich nicht irre, so. zieht ihr Gefolge eben dort zum Stalle. Paracelsus sprang vom Pferde ohne zu ant« Worten, nahm sein Pferd am Zügel und führte es in den Hof. . Während deß gewahrte Estienne Dolet, des sen scharfer und rascher Ueberblick leicht Alles entdeckte, Iemanden in einem Winkel nachlässig gegen einen äußeren Pfosten der Umzäunung gelehnt; er lenkte sogleich sein Pferd nach dieser Seite hin und tauschte rasch einige Zeichen mit diesem aus. Ihr seid schon angekommen, Dolet, begann der Fremde; das ist vortrefflich! — Mit wem' kamet Ihr? — Mit einem neu aufgenommenen Bruder, von mir selbst eingeweiht, dem ich den Zusammenberufungsbefehl habe zukommen lassen. — Wie, er hat schon den erforderlichen Grad? — Ia wohl; es ist ein höchst begabter Mensch, der zu ausgezeichneten Diensten befähigt ist. — Vortrefflich ! — Kennt ihn M u n z e r ? — Ia, er hat ihn bei der letzten Versammlung in den Minen gesehen.


94 — Uebrigens bedürfen wir jetzt vorzüglich nur starker Arme; deßhalb ist die Wahl der Aufzunehmen den nicht mehr so wichtig; denn die Sache ist ihrem Ausbruche nahe. — Glaubt Ihr, Storck? Es wird siH Widerstand dagegen zeigen. Der von ihm Storck Genannte erwiederte Nichts, als daß er mit einer ironisch-wegwerfenden Miene und mit einer gewissen Zuversichtlichkeit den Kopf schüttelte. — Auf Wiedersehen! rief ihm Dolet zu und lenkte sein Pferd in den Hof. Es kostete ihm einige Mühe, sein Pferd in den Stall zu bringen. Eine ungewöhnliche Zahl von Reisenden drängte sich in dem Gästhause herum, und jeden Augenblick nahm es noch immer Neuankommende auf. Aber es war leicht zu bemerken, daß sämmtliche Ankommenden, mit Aus nahme des Gefolges des Grafen Reinach, zu ein ander gehorten und durch ein mystisches Band an einander gekettet waren. Es bedurfte für D o l e t nur einiger Zeichen, um den Platz wiederzuerlangen, für welchen Paracelsus sogleich für seines Freundes Pferd neben dem seinigen Sorge getragen hatte, und der von einem Hinzugekommenen in Besitz genommen war. Nachdem er diese erste Sorgfalt beobachtet hatte, entfernte sich der Student, um den jungen Arzt wie der aufzusuchen. Paracelsus war schon in den Gastsaal getreten.


Die allgemeine Störung, welche das Erscheinen des Grafen Reinach erregt hatte, war vorüber, und die Gruppen der Reisenden hatten sich wieder um das Kaminfeuer gereiht. Placida saß auf einer brau nen, eichenen Bank, welche rings an den Wänden herumging, und der Graf Reinach stand neben ihr, die Hände auf sein großes Schwert gestützt. Beim Eintreten des Paracelsus war das edele Paar, das sich im vornehmen Stolze zurückgezogen und ab gesondert hatte, das Erste, worauf seine Augen trafen. Er bemerkte sogleich, daß die Gräfin verstimmt und niedergeschlagen war; sie hatte den Kopf auf ihre Hand gestützt nnd blickte zur Erde. Gewiß hingen ihre Gedanken der betrübenden Zukunft nach, welche ihrer in Gesellschaft ihres Gemahls auf der Burg Reinach wartete. Der Graf maß mit kaltem, gleich gültigem Blicke die Anwesenden, als er plötzlich stutzte und trotz seiner steifen Haltung und seines theilnahmungslosen Stolzes eine Bewegung des Erstaunens und der Ueberraschung erblicken ließ, wobei der Auf merksame bemerkt haben würde, daß sich sogar ein gewisses Entsetzen auf dem starren Gesichte malte. Seine Augen waren auf die des Paracelsus ge troffen. Der junge Arzt stand in diesem Augenblicke un beweglich im Hintergrunde des Saales gegen die Mauer gelehnt. Er trug dieselbe schwarze Kleidung, etwas auffallenden Ansehens, in welcher er zu Ho


96 henheim erschienen war. Auf seinem Barct thronte der Reiher; und die Dunkelheit, in die er sich zurückgezogen hatte, ohne daß sie ihn verbarg, gab seinem blassen und strengen Gesichte den befremdenden Ausdruck, welcher sich nicht beschreiben lässt. Eine durchdringende, geheimm'ßvolle Kraft lag in dem Blicke semer unbeweglichen, blitzenden Augen, die fest und unverwandt auf die beiden hohen Reisenden gerichtet waren; und in Georg Reinach's Augen war es dieselbe gespenstische Gestalt, welche plötzlich an der Tafel Christoph's erschienen war. —7 Nochmals diese Erscheinung! sprach er bei sich selbst; ich glaube, sie verfolgt mich! Und mit einer gewissen angstvollen Beklemmung folgten seine Augen dem Paracelsus, welcher jetzt aus sei ner Zurückgezogenheit hervortrat, und langsamen Schrittes auf ihn zuging. Der junge Arzt war nur noch einige Schritte entfernt, als bei dem Geräusche seiner Annäherung Placida den Kops erhob. Sie erkannte ihn bei dem ersten Blicke, den sie auf ihn warf, und machte unwillkührlich eine Bewegung der Ueberraschung, von einem leisen Ausrufe des Erstaunens begleitet, den sie sofort unterdrückte. Paracelsus grüßte sie, sich tief verneigend ; aber ohne ein Wort hervorzubringen, ging er an dem Grafen vorüber und verließ das Gemach. ,


97 — Wie! sprach der Graf Neinach zu seiner Gemahlin, Du kennst also diesen Menschen? — In der That, hätte er mich nicht gegrüßt, antwortete Placida, es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, daß der junge Mann hier sein könnte. — Du weißt, wer er ist? — Es ist ein junger Arzt, der während einiger Zeit in meinem Hause fungirte. — Bist Du dessen gewiß? — Er ist Neffe des Grafen von Hohenheim? — Ia, so viel ich weiß. Aber ich bin erstaunt, ihn hier zu sehen; ich glaubte ihn zu Paris stritt; ich sah ihn dort zuletzt am Tage vor Deiner Ankunft. Der Graf R e i n a ch schwieg. Sein Geist war in der Verfassung, wo man weder überlegt noch auf Folgerungen eingeht, sondern wo man der Einwir kung hin und hcrwögender Gedanken hingegeben ist, die man kaum auszudrücken versteht. Er beeilte sich, den Saal zu verlassen und begab sich sofort mit sei ner Gemahlin auf das Zimmer, das für ihn in Be reitschaft gesetzt war. Paracelsus hatte kaum den Fuß auf den Hof gesetzt, als ihm Dolet entgegenkam. — ?srb1eu, c'est 5 merveille ! sprach der Student, ihn beim Arme fassend. Ich suchte Dich; ich habe mit Dir zu sprechen. — Er zog ihn in einen entfernten Winkel. — Was giebt's, fragte Paracelsus, der mit II. 7


98 Befremden bemerkte, daß sich in dem gleichgültigen und geistreich-ironischen Gesichte seines Gefährten eine tiefere Besorgniß aussprach. — Eine sehr ernste Sache. Ich kam aus dem Stalle, und suchte Dich auf, als ich Gerber be gegnete. — Und? — Er theilte mir mit, daß der Graf Reina ch einer der Gründer und Stützen der katholischen Ligue von Ratzburg sei. — Das ist wahr. Und dann? — Und dann! Er hat, wie Du weißt, den Sohn Adrian von Rodenberg's beraubt, und — — Aber wozu das heute? — Wozu? Sie haben dem Grafen gestern diese Herberge nachgewiesen, sie haben ihn, wie an der Hand, hieher in diesen Hinterhalt geleitet, um Strafe an ihm zu vollziehen für seinen Raub, und die ka tholische Association zu schwächen, indem sie in ihm ihre festeste Säule umstürzen. In dieser Nacht soll er dem Tode geweiht werden. Vergeblich habe ich ihnen vorgestellt, daß diese zu frühzeitige Gewaltthat den König von Frankreich und den deutschen Kaiser aus ihrem Schlummer erwecken, daß sie Vertheidigungsmaaßregeln gegen uns ergreifen werden, während wir noch zerstreut und ohne gehorige Organisation sind, daß wir, statt durch diese Mordthat und durch die Vernichtung der Ratzburgfchen Ligue, die katholische


90 Parthei zu schwächen, vielmehr alle Fürsten und den Adel zur Verbrüderung aufreizen, und zur Einsicht in die Nothwendigkeit einer gemeinsamen Vertheidigung gegen die gemeinschaftliche Gefahr führen wer den, und daß vielmehr die Klugheit verlange, sie in der vollkommensten Sicherheit zu überfallen. Alles vergeblich; es hieß tauben Ohren predigen. Ger ber ist zu dickköpfig, solche Dinge zu fassen; er sieht nur die reine Thatfache vor sich, die Folgen und die Bedeutung derselben kann er nicht übersehen. Es wird Einer weniger fein, erwiederte er. Nico laus Storck aber betrachtet die Sache aus einem ande ren Gesichtspunkte; er will den Krieg, sobald als möglich > und zu jedem Preise. Haben sie sich ein mal eingelassen, so können sie nicht wieder zurück — antwortete er mir — und auch die Furchtsamen müssen sodann vorwärts. — Ja, wenn Munz er hier wäre! Aber er trifft erst zum Beginn der Versammlung ein, und dann ist es zu spät, der Streich wird geschehen sein. Iedoch müssen wir Alles daran setzen, ihn zu verhüten; ich halte dafür, daß unser Aller Schande und Verderben daran hängt!... — Was ist Deine Meinung? Bei Beendigung dieser mit Feuer gesprochenen Worte erhob Dolet den Kopf und richtete einen fragenden Blick auf seinen Gefährten.— Paracelsus stattd vor ihm blaß, mit gefalteten Augenbeau<nen, mit zusammengepressten Lippen, den leuchten 7*


10« den Blick vor sich zur Erde gerichtet, die Arme gekreuzt gegen die Brust gestemmt. Er antwor tete nicht. — Paracelsus! begann Dolet nach einem Momente des Schweigens wieder, was denkst Du darüber? Ich frage Dich. — Warum hat der Geist Dich getrieben, mir dieß zu sagen! war des Iünglings Antwort, mit be fremdenden Ausdrucke und erregter Stimme hervor gebracht. — Wie? Warum ich? — Aber müssen wir nicht auf der Stelle einen Entschluß fassen? Und, wenn Du derselben Ansicht bist, als ich, ist es nicht unsere Pflicht, zu verhindern Ah ! fuhr er sich selbst unterbrechend fort, indem er sich plötzlich vor die Stirn schlug; jetzt errathe ich! Er schwieg und ließ seinen durchdringenden, for schenden Blick auf Paracelsus ruhen. — In Wahrheit, fuhr er dann fort mit einer Kälte, die nicht ohne Bitterkeit war, es war mir nicht sogleich das größte Verbrechen des Grafen Rein ach eingefallen, dessen er sich schuldig gemacht hat. Man bedenkt immer nicht Alles; — und ich gestehe, daß dieses Verbrechen in Deinen Augen ein größeres ist, als in den meinigen. Paracelsus blieb verstummt in derselben Stel lung. Es war nicht zu verkennen, daß ein gewalt samer Kampf seines Innern ihn bewegte; es schien,


Ittl als wäre sein Herz den verschiedensten, äußerst stür mischen Bewegungen Preis gegeben, aus denen die Reinheit und Ruhe seiner Seele nicht so schnell sich hervorarbeiten konnte. — Ich kann nicht leugnen — sprach ferner dieselbe Ironie aus Dolet — daß es Dir viel an genehmer hätte sein müssen, nicht in die Nothwendigkeit versetzt zu sein, hierbei einen Rath zu ertheilen. Du hättest die Gunst des Schicksals Dir gefallen lassen, wenn die Sache geschehen gewesen wäre. Iedoch ist das zu spät, jetzt kennst Du den scheußli chen Plan, und ich fordere Deine Ansicht hierüber. Dürfen wir es zugeben, daß der Gemahl der Gräsin Placida getödtet werde? Paracelsus hatte die Ruhe wieder gewonnen und blickte finster zürnend. — Nein, keinenfalls! antwortete er rasch, aber mit verächtlichkalter Miene. Du sagst, es wäre ein Fehler; ich sage, es wäre mehr als ein Fehler, es wäre ein Verbrechen. Sie haben ihn hieher gelockt, und wollten ihn im Schlafe erwürgen! Nie werde ich unter meinen Augen einen solchen Mord dul den! Ich rette ihn! — Wiedas? ' — Wie? Dadurch, daß ich ihn aus dieser Grube herausziehe, wenn es möglich ist; und wenn ich ihn nicht hinwegführen kann, daß ich ihn mit meinem Degen vertheidige.


1tt2 — Aber das bringt Dir den Tod ! Wenn Du ihn entschlüpfen lässt, und die Brüder erfahren es, so bist Du verloren: Du wirst als Verräther in die rothe Liste eingetragen werden. Und vertheidigst Du ihn, so stirbst Du, ohne ihn zu retten. — . Diese beiderseitige Gefahr muß vermieden werden. Wo die Pflicht gebietet, entscheidet die Ge fahr nicht. — Ihre rothe Liste — sie ist nicht für mich gemacht, ich hoffe es wenigstens; ihren Degen — ich fürchte ihn nicht, sie sollen auch die Kraft des meinigen kennen lernen. Unterliege ich, wohl mir! Da Du aber es nicht würdest vermeiden können, Deinen Namen morgen auf der rothen Liste zu finden, so ist es nöthig, daß Du in Unkenntniß über meine Maaßregeln bleibest . . Gehab' Dich wohl! — — Aber auf welche Weise willst Du den Gra fen retten ? . . — Das soll nicht Deine Sache sein. Ich habe Dir vielleicht schon zu viel davon gesprochen. Du hast einen Auftrag der Oberen an mich , und hast ihn ausgerichtet; Alles Uebrige ist meine Sorge. — Und wenn Iemand als Verräther angesehen werden sollte, so wirst Du es nicht sein. Leb' wohl! — Er entfernte sich. Dolet blieb sinnend stehen, ohne ihn länger zurück zu halten. P a r a c e l s u s suchte den Wirth auf. Er begeg nete diesem, wie er aus dem Stalle kam, wo er seine Befehle ausgetheilt hatte und sich mit eiligem


103 Schritte und wichtig-geschäftsvoller Miene zur Küche wandte. Er hielt ihn auf inmitten dieser Amtsrunde, welche er so eben in dem wichtigsten Theile seines Gebietes zu beenden im Begriff war, und reichte ihm rasch die linke Hand , indem er den Zeigefinger ein schlug. Der Wirth schmunzelte und neigte zu drei ver schiedenen Malen den Kopf. — Stock, Stein, sprach Paracelsus. — Gras, Grein, antwortete der Wirth. — Meister Berthold, ich muß Euch um Et was befragen. In welchem Zimmer habt Ihr den Grafen Reinach untergebracht? — Den deutschen Ritter mit seiner schonen Ge mahlin? Dort, das sind seine Fenster. — Auf welchem Wege gelangt man dorthin? — Durch die zweite Thür dort geht es zur großen Treppe, welche hinaufführt. — Meister Berthold es giebt noch einen an deren Eingang für die Brüder. — Das ist möglich, aber was geht's Euch an. Paracelsus ergriff hastig und mit gebieterischer Miene seine Hand und flüsterte ihm einige fremd klingende Worte ins Ohr. — Berthold nahm ehr furchtsvoll seine Mütze ab, und gab dem Iüngling ein stummes Zeichen, ihm zu folgen. Er führte ihn, nach mehreren Wendungen und Umwegen, eine schmale


404 Treppe hinauf in eine Art Speisekammer und zeigte ihm eine kleine Thür. — Sie geleitet Euch in die Schlafstube. — Gut ! Kennt Iemand diesen Ort? — Keinem Bruder ist er bis jetzt gewiesen wor den; Bertram ist der Einzige außer mir, der ihn kennt. — Wohlan, ich verbiete Dir, diesen Weg und Eingang irgend Iemandem zu zeigen, wer es auch sei. Theile diesen Befehl sofort dem Bruder Ber tram mit. — Wie, Niemandem? Auch nicht, wenn mir „Zeomet" gesagt wird? — Soll ich es auch dem „Eleham" verweigern? — Du sollst den Eingang verborgen halten für Ieden und Alle, selbst für den Erwählten der Funf zehn. Nur mir allein darfst Du Folge leisten; ich gab Dir das Zeichen, und ich bin ihr Oberer, wie der Deine. Sollte Einer Dir das Zeichen geben, das Du von mir empfingst, und an Dich dieselbe Frage richten, die ich zuerst Dir that, so wirst Du zu mir kommen, es mir zu melden, und ich werde erst dann entscheiden, ob ich das Verbot für diese Ausnahme zurücknehme. Sie trennten sich. Alle Reisenden versammelten sich an der gemeinsamen Tafel. Die Gesellschaft war sehr zahlreich. Der Graf Rein ach speiste allein auf seinem Zimmer; seine Reitknechte und sein übriges


105 Gefolge waren beschäftigt, ihn zu bedienen, und konn ten erst nach ihrem Herrn ihr Abendbrat zu sich neh men, daher die Tafel nur mit Brüdern besetzt war. Sämmtliche Messer waren nach der verkehrten Seite, die Spitze gegen die Gäste, die Scheide gegen den Mittelpunkt der Tafel gerichtet; das Fleisch wurde in Triangeln geschnitten. Als die Mahlzeit beendigt war, ließ Meister Berthold die Lampen anzünden und Wein in großen Krügen herbeibringen, und man be gann von Neuem zu trinken. Nun entfernte sich Paracelsus. Ungesäumt begab er sich zu der versteckten Thür, welche zum Gemache des Grafen Rein ach führte, stieg eine kleine, steile Treppe hinauf und kam an eine Tapetenthür, welche in dem Tafelwerke ange bracht war, und durch ihn jetzt leise geöffnet, ihm Eingang in das hintere Zimmer des Grafen Rei nach gewährte. Nachdem der Graf Reinach sein Mahl beendet hatte, zeigte er seiner Umgebung eine finstere, um wölkte Stirn. Plötzlich, gegen seinen hinter ihm ste henden Reitknecht sich umwendend, unterbrach er das Schweigen und fragte: — Guildstern! Habe ich nicht, als ich in dieser Herberge ankam, auf dem Hofe den jungen Rudolph von RodenBerg gesehen? — Mir schien es eben so, Ew. Gnaden, ant wortete Guildstern, als hätte ich ihn erkannte


IM — Wie kommt der Bandit Hieher? — Sobald er Ew. Gnaden Wappen erkannt, hat er seinem Pferde die Sporen gegeben, und sich davon gemacht, wie es zu erwarten stand, erwiederte Guildstern. — So? Das Zwiegespräch war zu Ende. Der alte Graf ließ sich seine Rüstung abnehmen, entließ seine Leute, und, seinen langen Schlafrock um sich schlagend, streckte er sich mit kalter und zerstreuter Miene auf den Divan hin. Placida war aufgestanden und ging im Zimmer auf und ab; in ihrem ungleichen Gange drückte sich eine kaum zurückzuhaltende Unge duld aus. Dann blieb sie vor ihrem Gemahle ste hen. — Dieser betrachtete sie schweigend mit einem ironischen, verächtlichen Blicke, wodurch wir oft mehr als durch Beleidigungen gereizt werden. — Es scheint, als wenn mein Gemahl mich durchaus keiner Antwort würdigen wolle? — Auf eine thorichte Frage erhält man keine Antwort, erwiederte kalt der Graf Reinach. — O, ich weiß fehr wohl, daß nichts, was ich sage, thue oder wünsche, Euren Beifall gewinnen kann; ich weiß auch ebenfalls sehr gut, daß ich noch Eurer weisen Erfahrung ermangele; jedoch . . . Und sie hielt plötzliche mit einer Geberde der Ueberraschung inne, denn sie erblickte Paracelsus hinter dem Sessel des Grafen Reinach stehend.


107 — Fahret fort! entgegnete der Graf mit dem Ausdrucke bitterer Ironie; Ihr waret sehr gut im Zuge; Ihr entwickelt wirklich Beredtsamkeit ; ich werde mich noch besser zurecht fetzen, um Euch ge nau zuzuhören, und im Nothfalle auch einschlafen zu können; denn Ihr sagt sehr richtig: das Alter macht grämlich und schläfrig und Auch ihm stockte jetzt das Wort im Munde, und er erschrack so, daß er rasch in die Hohe fuhr; denn als er sich umwandte, erblickte er die stumme und regungslose Gestalt des Paracelsus. Dieses plötzliche und geräuschlose Erscheinen an einem Orte, wo es unmöglich schien, auf diese Weise einzudrin gen, hatte in der That etwas Uebernatürliches, und 'die Bestürzung des Grafen Rein ach war so groß, daß er außer Stande war, ein Wort hervorzu bringen. — Graf Reinach! ließ sich jetzt Paracelsus vernehmen; Ihr erwartetet wahrscheinlich nicht, mich hier zu sehen. Ihr kennt mich ohne Zweifel? — Ia, ich ich kenne Euch! ant wortete der Graf in sichtlicher Bewegung und Be stürzung. Aber — was habe ich mit Euch zu schaf fen?— Ich — Ein Wort wird hinreichen, unterbrach Pa racelsus; die Zeit drängt. — Graf Reinach, erinnert Ihr Euch an Ad.rian von Rodenberg und an


108 Der alte Graf sprang, wie vom electrischen Schlage getroffen, in die Höhe, sein steifer und eckiger Körper zuckte in allen Gliedern und mit einem Satze war er am entgegengesetzten Ende des Zimmers. Die Arme gegen Paracelsus ausstreckend stotterte er: — Woher kommt Dir diese Kenntniß? — Was geht Dich es an ? — Wozu kommst Du hieher ? — Wer bist Du ? — — Du sagtest mir, daß Du mich kennst! erwiederte Paracelsus mit stolzer Hoheit. Ich bin der Graf Paracelsus von Hohenheim; und ich komme, Dich aus der Gesahr zu erretten, in welcher Du schwebst. Während dieses befremdenden Gesprächs stand Placida ganz überrascht und ließ ihren erstaunen den Blick bald von ihrem Gemahle auf den Jüng ling, bald von diesem auf Ienen geleiten, und fand für sich weder in dem Schrecken des Einen, noch in den Worten des Anderen Verständniß. — Der Sohn des Adrian von Rodenberg ist hier! fuhr Paracelsus fort; er will Dir den Raub und die Gewaltthat vergelten. — Diese Nacht sollst Du ermordet werden. — Ermordet! rief der alte Graf, und rasch be deckten seine beiden, langen Hände seine Brust, als wolle er fühlen, ob sie noch mit dem Harnisch ge panzert sei; dann plötzlich, mit einer schnellen Bewe


109 gung, griff er nach seinem riesenmäßigen Schwerte, das zu Kopf an seinem Bette hing. — Alle Vertheidigung ist vergeblich, sprach der Jüngling, verächtlich auf das ergriffene Schwert blickend. Dieser Ort ist Dein Grab; kannst Du ihn nicht verlassen, so lebst Du Deine letzte Stunde. Ich gebe Dir die Versicherung, und Du kannst meinen Worten trauen. Ohne mich ist Dein Tod unabwendbar; noch jetzt, wenn ich es will, kann keine menschliche Macht ihn hindern. — O, ich glaube Dir! rief der alte Graf ganz bestürzt und mit flehender Stimme ; ich erkenne Deine Wissenschaft, Deine Macht an; die Beweise sprechen schreiend in mein Ohr! — Rette mich; ich bitte Dich! — Was verlangst Du? Was soll ich thun? — Höre und sieh! Dort — indem er durch das Fenster nach der entgegengesetzten Seite des Ho fes auf den hellerleuchteten Saal wies, in welchem die Brüder versammelt waren — sind hundert Schwerter beisammen, kräftiger geführt als das Deine, die ein gemeinsamer Schwur verbindet, in dieser Nacht mit Deinem Blute sich zu färben! Der alte Graf schauderte zusammen. Er konnte in der That die um die Tafel gereihete zahlreiche Versammlung unterscheiden und selbst die beim Lam penscheine blitzenden Waffen erkennen. Die Flucht allein kann Dich vor diesen Schwer tern retten. Siehst Du dort rechts jenes kleine, allein


tt0 stehende Gebäude? Darin befinden sich Deine Leute; der Plan ist, sie sollen eingeschlossen werden und nach her sämmtlich über die Klinge springen. Geh' zu ihnen und laß sie in aller Stille satteln und aufMen; der geringste Lärm, der Dich verrLth, bringt Dir und ihnen Untergang. In diesem Augenblicke noch hast Du nichts zu fürchten, selbst wenn die Ver schworenen Dir begegneten und Dich zu dem Ge bäude gehen sehen würden, denn sie argwöhnen Nichts zu dieser Stunde, und keinesfalls glauben sie, daß Du an Flucht denkst, noch daß Du allein reisen würdest. Sobald Deine Pferde und Deine Leute be reit sind, so werde ich selbst auf einem Wege, den kein menschliches Auge ersehen wird, diesen Engel führen, der an Deiner Seite lebt, den Du künftig als Deinen Netter verehren sollst, denn seinen Tugen den verdankst Du es, daß Deine Laster nicht die Strafe trifft! Verstehst Du meine Worte? gedenke ihrer — und mach' Dich auf! Der alte Graf umgürtete eiligst sein Schwert, während Placida vor Schrecken und Erstaunen stumm und unbeweglich an derselben Stelle wie ein gewurzelt stand. Dann ging er schleunigst hinaus, und bald horte man das Geräusch seiner sich entfer nenden Schritte. Paracelsus folgte ihm mit den Augen in sichtbarer Angst. Aber sobald er ihn außer halb des Zimmers sah, sprach er mit triumphirender Mien« . ' ,


IN — Endlich, nun ist's gelungen! Er ist fort — jetzt steht Alles in meiner Gewalt! Er schritt zur Thür, nahm den draußen stecken den Schlüssel heraus und verschloß sie innen mit Sorgfalt; er war im Begriff, die Querriegel vorzu legen, als er fühlte, daß eine Hand seinen Arm fest halte. Er sah sich bestürzt um und sein Auge siel auf Placida, welche sich zwischen ihn und die Thüre stellte. ' Die Gräsin war blaß; ihre Micke und der Aus druck ihres Gesichts zeigte einen Aufruhr ihres Innern, welchen sie zu verbergen strebte; fv auch der Ton ih rer Stimme, obgleich voll Würde und Zuversicht, verrieth dennoch eine lebhafte innere Bewegung: — Ich hoffe, mein Herr, wendete sie sich zu ihm, daß Ihr mich nicht wider meinen Willen hier einschließen und zurückhalten werdet. — Euch zurückhalten ! — wider Euren Willen! — Nein, gnädige Frau, antwortete PardcellsUs mit einem schmerzlichbitteren Lächeln. — Nun denn, warum verschließt Ihr die Thür meines Zimmers ohne meinen Befehl? Ihr scheint es wenig zu bedenken, daß ich mich allein mit Euch hier befinde, und daß ich nicht länger fo verweilen darf. Ich bitte Euch daher, die Thüre wieder auf zuschließen. Paracelsus trat zwei Schritte zurück; erhob den Blick zur Decke und senkte ihn dann zur Erde


112 und blieb so schwelgend einige Augenblicke stehen, dann sprach er mit tiefbewegter Stimme: — Darauf war ich nicht gefasst! — Gnädige Frau, Ihr wähn't einen Elenden vor Euch zu haden? Ich hatte geglaubt, ich gestehe es, daß Ihr mich hinreichend kenntet, ja, daß Ihr Eure Achtung mir nicht versagtet, und daß ein solcher Verdacht.... — Ich, ich hege keinen Verdacht! Doch räthselhaft muß mir Euer Begegnen hier im Gasthofe, so wie Euer plötzliches Erscheinen an diesem Orte vor kommen, und außerdem begreife ich weder Euren Zweck noch die Mittel, welche Ihr anwendet, den Grafen Reinach zu entfernen, als noch weniger, weßhalb Ihr mich auf meinem Zimmer zu Eurer Gefangenen macht? — Ihr, meine Gefangene, gnädige Frau! unterbrach mit unterdruckter Heftigkeit Paracelsus; o nein! fürchtet Nichts! Sehr bald werde ich Euch Eurer Freiheit wiedergeben. Habe ich Euren Gemahl vor dem mörderischen Stahle der Verschworenen gesichert, so führe ich Euch, ohne daß ein Haar auf Eurem Kopfe gekrümmt werden darf, in feine Arme zurück. Das ist mein Zweck, für den ich jetzt mein Leben in die Schanze schlage. Und wenn ich diese Thüre verschloß, so war es um die Mörder ab zuhalten, für den Fall, daß sie vielleicht früher an das blutige Werk gingen; denn bei diesem ungleichen Kampfe würde ich nutzlos offenbar mein Leben opfern, um einen Menschen zu verthcidigen, den ich um dcß


Il3 willen allein schon hasse, daß er Euch besitzen durfte.— Jetzt, gnädige Frau, habe ich nichts weiter hinzuzu fügen — nehmt den Schlüssel. In Euren Händen liegt das Leben des Grafen Reinach und das meine. Placida stand schweigend und unentschieden; ihre Ungewissheit schien sie noch nicht ganz verlassen zu haben. — Gnädige Frau! sprach mit tiefer Bitterkeit Paracel sus; bis diesen Tag hatte mich der schmei chelnde Glaube beseelt, daß ich Eure Achtung und Euer Vertrauen besäße; Eure Freundschaft glaubte ich gewonnen und Euch von der meinigen überzeugt zu haben. Ich sehe, daß ich mich irrte. Ihr laset in meinem Herzen, und habt erfahren, daß ich nicht mehr Euer Freund bin; es ist wahr, ich gestehe es; — ja, ich liebe Euch! — ich liebe Euch, wie ich es nicht sollte! —. Ich verberge es Euch nicht mehr; jetzt, nachdem Ihr es wider meinen Willen entdeckt habt. Was bedarf es meines Schweigens noch, jetzt, wo mein Inneres offen vor Euch liegt! Ia, es lastet die Schuld auf mir , daß ich Euch liebe, die Schuld, daß ich Euer Auge es entdecken ließ, die Schuld, daß ich es Euch eröffnete — ; aber, daß in Eurer Seele ein Verdacht aufsteigen konnte, ein Verdacht, der meine Liebe zu einem Verbrechen stempelt, daß es möglich war, daß Ihr glauben konntet, eine strafbare List — — o, dadurch habt Ihr meine reine, keusche Liebe zu Euch entheiligt! Doch ich habe kein Recht, U. 8


114 darüber zu klagen, Ihr urtheilt jetzt über mich , wie ich es verdiene; Ihr entzieht mir jenes reine und feste Vertrauen, das ich gewonnen hatte und meine höchste Freude war. Es ist gerecht — aber — meine Seele wird dadurch mit einem neuen Schmerze belastet. Das Wort versagte ihm; er trat zurück und lehnte gegen die Mauer, das" Gesicht mit beiden Händen bedeckend. — Ia; antwortete Placida nach einem Augenblicke des Schweigens; ich sehe, daß ich im Irrthume war. Aber ich befinde mich in einer so unglücklichen Lage, daß ich hoffen kann, Ihr werdet einsehen, wie leicht ein Irrthum von meiner Seite entstehen, wie natürlich ein Mißtrauen in meiner Seele erweckt wer den konnte. Ich bitte, daß Ihr mir den Schmerz verzeihet, den ich Euch verursacht habe. — Verzeihung muß ich von Euch erbitten, gnädige Frau, erwiederte Paracelsus den Kopf er hebend, doch versuche ich es nicht sie zu erbitten; ich würde Eurer hohen Reinheit wieder zu nahe treten. Alles, was ich von Euch fordere, ist: Vergessen! O, vergesst, ich bitte Euch, vergesst! die unbesonne nen Worte, welche wider Willen meinen Lippen ent strömt sind! Denkt an Nichts, erinnert Euch an Nichts, als an unsere frühexe, stille und lautere Freundschaft! — Ich werde Euch verlassen—, und es würde ein Trost für mich sein, wüsste ich, daß Ihr Euch zuweilen ungetrübt eines treuen und erge


115 denen Freundes erinnertet, den Ihr verloren habt; und daß dieses Andenken rein und ohne Vorwurf sei, wie man es einem Abgeschiedenen widmet! Ich hoffe, diesen Trost meiner Leiden noch mit fort zu nehmen, meiner Schmerzen, die von jetzt an so lange als mein Leben dauern werden: — der größte wäre, mich gehasst von Euch oder verachtet zu wissen. — Warum sollte ich Euch meine Achtung ver sagen? Ich denke, ich habe bis zu diesem Augenblicke Euch durchaus keinen Vorwurf zu machen, antwortete liebreich und mit Würde Placida. Ich sahe stets , und erkenne noch heute in Euch einen Freund, dessen Zuneigung mir Werth ist. — Kummer aber und Schmerzen wünschte ich Euch nicht Zu bereiten; — selbst wenn ich unbewusst die Ursache davon wäre, würde ich mir Vorwürfe machen. Auch die Trennung, die Ihr androhet, begreife ich nicht; nicht ich fordere sie, und verursacht sie Euch Schmerz, so scheint mir, bereitet Ihr Euch diesen selbst. — Ja, ich allein habe sie nothig gemacht diese Trennung; ich fühle es wohl, meine Thorheit und Vermessenheit ist Schuld. Ich glaubte in Eurer Nähe weilen und jene reine, leidenschaftslose Neigung be wahren zu können, deren Ihr allein würdig seid, wie Ihr sie allein gewähren könnt; ich wähnte, nie würde der sanfte, sympathetische Zug meines Herzens, wel cher mich unwiderstehlich zu Euch zieht, gestört, nie würde die reine, stille Anbetung, welche in keuscher 8*


116 Flamme meine Seele Euch weiht, getrübt werden ; nie, glaubte ich, sollten neue, stürmische Gefühle, nie die Leidenschaft in meinem Herzen , toben und mein Blut entzünden, oder Ihr solltet es wenigstens nie entdecken: ja, ich wähnte, ich dürfe mich der Sonne nahen, ohne geblendet zu werden. Der Wahn ist hin! Ich kann das verzehrende Feuer nicht mehr verbergen, das meine ganze Seele durchglüht, das in meinen Adern brennt, das mein ganzes Sein durchzuckt! Ich fühle mich nicht mehr schuldlos! Nur einen Gedanken kennt jetzt meine Seele, nur ein Wunsch füllt jetzt mein Herz; Du bist die Gottheit, die es zum Tempel macht; aus der ganzen Schöpfung strahlt mir nur ein — Dein Bild entgegen. Nur Dich , — D, ich Unglückseliger, unterbrach er sich hier plötzlich selbst, indem er mit seinen zitternden Händen das Gesicht verhüllte — Verzeihet dem Wahnsinnigen! meine Sinne wirbeln, meine Vernunft ist irre, denn ich weiß nicht, was ich sprach. Er schwieg, und es entstand eine Pause. Placida saß in einiger Entfernung von dem Iünglinge, die Arme über die Brust gekreuzt, mit gesenktem Kopfe, das Gesicht und den Blick nach der entgegengesetzten Seite gewandt. — Gnädige Frau, begann Paracelsus und strebte seiner Stimme einige Festigkeit zu geben; ich fühle, daß ich schweigen sollte, und Euer Schweige» sollte es mir um so mehr zur Pflicht machen. Mit


jedem Worte errege ich vielleicht von Neuem Euer Mißfallen. Doch ich kann nicht länger wider stehen; und nur durch diesen einen Lichtfunken mochte ich meine düstere Seele erhellen! Ich unternehme, was meine Kräfte übersteigt. Dieser Tag , P l a c i d a, ist vielleicht der letzte meines Lebens! Heute noch, morgen vielleicht, ist der Korper kalt, der jetzt für Euch erglühend lebt. Denkt, es ist ein Sterbender, der zu Euch spricht, ein Mensch, der keine Hoffnung auf diese Welt mehr gründet, ein Unglücklicher, der um den letzten Trost auf dieser Erde bittet, welche er alsbald verläss't. Läge ich auf dem Todesbette, nahe, den letzten Seufzer auszuhauchen, würdet Ihr mir Verzeihung verweigern, ein gütiges Wort, ein Zeichen der Nachsicht und Freundschaft versagen, wenn diese Verzeihung, dieses Wort, den Kummer meiner letzten Augenblicke milderte, und mir eine letzte Glück seligkeit gewährte? Wohlan — ich habe jetzt vielleicht nur noch wenige Augenblicke, die ich mein nennen darf, — denn schrecklichen Haß und furchtbare Rache lade ich auf mich durch Vereitlung des Mordplanes — also vom Todesbette flehe ich zu Dir, in meinen letz ten Augenblicken erbitte ich dieses Geschenk Deiner Güte und Milde; Placida, gewähre mir ein Zei chen, daß Du mir vergiebst und mich nicht hassest! Placida regte sich nicht und schwieg; sie wandte nicht den Kopf, nicht den Blick, aber — schweigend Nichte sie dem Jüngling die Hand.


N8 Er ergriff sie mit Entzücken und presste sie an seine Lippen. Sie ließ es geschehen. — Dank, Dank! sprach mit Herzensergießung sein Mund. Meinem Gewissen gabt Ihr den Frie den wieder; Euer Vertrauen und Eure Freundschaft habe ich also nicht verloren! Das allein könnte mir das Leben noch werth machen. — Seele meiner Seele! wie gern hätte ich es Dir ganz und auf im mer geweiht ; wie hätte ich gewünscht, groß zu werden, um Deiner würdig zu sein! — Doch alle Wünsche sind vergeblich; mein Leben ist geschlossen, da ich es Euch nicht widmen darf; und unterliege ich der Pflicht, die ich von jetzt an mir auferlegt, so werde ich, wie eine Last, es von mir werfen. Noch einen Augenblick, und ich verliere Euch auf immer. — — O, wäre Gott gnädig, so würde er in diesem Augen blicke mich zu sich rufen! — Sprecht ruhiger und versuchet den Himmel nicht. — Horch! unterbrach der Iüngling, wie in angst voller Verwirrung. Hört Ihr das Geräusch ? Es ist Euer Gemahl er bricht auf ich muß Euch zu ihm geleiten! ich selbst muß Euch in die Arme führen dieses Mannes, der nicht eines Blickes Eurer Augen würdig ist dieses Tyran nen, der das zarte Geschöpf martert und den ich zu meinen Füßen hätte können umkommen sehen!


und ich — o Werhängniß! — ich muß ihn retten! — Placida! es ist vorbei — ; noch einige Augenblicke, und ich sehe Dich vielleicht erst im Schooße der Se ligen wieder! O Placida! meine letzte Bitte; — .ein Unterpfand, — das einzige und letzte Angeden ken! Gewähret dem auf ewig Scheidenden den Friedenskuß! Er war zu ihren Füßen gesunken; die Hände gefaltet, hatte er seine in ernster Glut schwimmenden Augen flehend zu ihr emporgerichtet.— Placida wandte langsam den Kopf und bog sich leicht zu ihm hinüber und — Paracelsus drückte seine Lippen auf die ihrigen und presste die Hinsinkende zu sich ziehend an sein Herz. Es war ihm, als sollte seine in Flammen auflodernde Seele ihre Fesseln zer brechen und mit der Geliebten in Eins verschmelzen. Einen Augenblick lang erzitterte sein ganzes Wesen in schwindelnder, schmerzlichsüßer Seligkeit. — Er wankte und sein Kopf sank auf Placida' s Kniee. — — Gnädige Frau! sprach er dann zu ihr, sich mit Gewalt rasch emporhebend; ich bin bereit, Euch zu geleiten. Er nahm sie bei der Hand, und sie schritten schweigend zu der geheimen Thür. Als sie in tiefer Finsterniß die schmale und steile Treppe hinabsteigen mufften, zögerte Placida und suchte eine leitende Stütze. Da umfasste Paracelsus sie mit seinen


1A1 Armen und unterstützte ihre Schritte, indem er sie gegen sein Herz gepresst, geleitete. — O, wie hätte er gewünscht, diesen glücklichen Augenblicken längere Dauer geben zu können, in denen er, obgleich die Angebetete nicht sehend, doch ihre in der seinigen ruhende Hand fühlte, den Wohlgeruch ihres schonen, duftenden Haares genoß, den süßen Hauch ihres Athems empfand, und dessen sanften, gleichmäßigen Ton, so wie inmitten der tiefen Stille das seinen Ohren Musik dünkende Rauschen ihres seidenen Gewandes hötte, das er umfassend an sich drückte. Bei jeder Bewegung seiner Gefährtin, bei jeder Paust, die sie auf jeder Stufe machte, durchströmte ihn ein Meer süßer Empfindungen, empfand er die Heiligkeit der glückseligsten Augenblicke, die der Scho- pfer den Sterblichen hienieden verliehen. Die Thür, welche sich alsbald vor ihnen öffnete, entriß ihn diesem Paradiese des Entzückens, und gab ihn der drückenden, eisernen Wirklichkeit zurück. Als sie den dunkelen Schuppen durchschritten, um nach dem Hofe zu gelangen, hörten sie Pferde getrappel, und dumpfes Gemurmel von Männer stimmen, die leise miteinander sprachen. Bald un terschieden sie den Grafen Rein ach selbst, der schon zu Pferde sitzend und sein langes Schwert in' der Hand, mit Vorsicht die Reihen seines Gefolges ord nete. — Paracelsus hielt die Hand der Gräsin noch zwischen den seinigen.


12l — Lebt wohl, gnädige Frau! sprach er leise zu ihr mit halberstickter Stimme, übermannt durch die ihn erschütternde Bewegung. — Lebt wohl! Und seine brennenden Lippen drückten einen Kuß auf diese theuere Hand, der ein Erguß der ganzen Liebe war, welche sein wogendes Herz umschloß. — Lebt wohl ! flüsterte P l a c i d a , und er glaubte einen leisen Druck der zarten Hand der Gräfin zu füh len, der wie electrifches Feuer von seiner Hand durch seinen ganzen Körper zuckte. — Seine Kraft war ge brochen, er lehnte gegen die Mauer. — Gleich dar auf war Placida umringt von dem Gefolge des Grafen.— Der junge Arzt glaubte noch ein Ab schiedswinken wahrzunehmen. — Dann, entfernte sich Alles, und entschwand in der Dunkelheit seinen Augen., Still und im Schritte rückte der Trupp des Gra fen Rein ach aus dem Werstecke hervor, wo sie sich versammelt und geordnet hatten; denn jetzt trat die größte Gefahr ein. In gedrängten Reihen , mit gro ßer Borsicht, das gezogene Schwert in der Hand, wie der alte Graf es ihnen befohlen hatte, ritten sie über den großen Hof. Sie .machten einen Umweg, um den Sumpf zu vermeiden, und näherten sich dem Hauptgebäude. , — Rudolph! flüsterte jetzt ein Mann, rasch auf einen an der Thür des Gehöftes Lauernder! zustürzend;


ich habe es Dir schon gesagt, sie brechen auf! es ist ganz richtig, ich habe mich jetzt überzeugt! — Wie! zu dieser Stunde der Nacht! antwor tete der junge Rudolph von Rodenberg. Es ist nicht möglich! Er müsste denn gewarnt sein! sonst Er hat mich nicht einmal gesehen! — Du hast mir nicht glauben wollen! Da siehst Du's, da ist er! — Und die Brüder sind noch im Saale! Pfeif fer, rief er leise und heftig einem neben ihm stehen den Aufpasser zu; rasch, lauf und benachrichtige sie! — Wozu noch? es ist zu spät! — Hölle und Teufel! wir sind angeführt! Er entwischt uns! schrie in rasender Wuth Rudolph von Rodenberg, der in diesem Augenblicke die Reiter anrücken sah. Der Ton seiner Stimme traf ohne Zweifel das Ohr des alten Grafen: Galopp, Kinder! rief er, und stürmte vor ihnen vorbei. — Da, Bandit! nimm das auf den Weg! rief Rodenberg zähneknirschend, und schoß seine Armbrust auf ihn ab. Die Eile und die Finsterniß machten, daß er fehlte. Der Pfeil flog in's Kreuz des Pferdes, das hoch sich bäumte. Aber 'der alte Graf blieb im Sattel; und bald darauf war der ganze Trupp auf der Heerstraße, und aller Gefahr entronnen.


1S3 Am anderen Tage ließ Georg von Reinach folgende Zeilen an Christoph von Hohenheim abgehen : „Werther Freund. Ich habe den schwarzen „Doktor wieder gesehen, den, der sich ,> Dein Neffe nannte, und noch bin ich ganz „außer mir über das Ereigniß. Dinge horte „ich aus seinem Munde, die kein Anderer als „er oder der Teufel wissen konnte; gethan hat „er Dinge und ausgeführt, die kein Wesen „als der Teufel selbst ausführen konnte. Ich „kann Dir für dieß Mal nicht Alles berichten; „es wäre dessen zu viel; bei unserem ersten „Wiedersehen werde ich Dir Alles erzählen. „Aber Eins kann ich Dir schon heute ver„sichern: Wenn Dein sogenannter Neffe nicht „der Böse selbst ist, so ist er wenigstens „der größte Hexenmeister, der je auf der Erde „erschienen ist."


124

Der unbekannte Bruder.

Wir wenden zu einem anderen Schauplatze un sere Blicke und gewahren eine ausgedehnte, über wölbte Höhle mit rothem Tuche behangen, reich mit Hyacinthen durchwirkt; drei Reihen Stufensitze, mit demselben Stoffe bedeckt, ziehen sich rings herum. In der Mitte erhebt sich ein Altar, auf dem ein Crucisir steht, und hinter demselben, ihm gegenüber, ein Throngestell, zu dem Stufen hinangehen und über welchem ein bellleuchtender Triangel glänzt, der in hebräischen Lettern den geheiligten Namen „Iehovah" enthält. Aus diesem Triangel entströmt das alleinige Licht, welches das Gewölbe erhellt, und dieser mysti sche Schein, welcher von den rothen Draperien und Behängen wiederprallt, giebt der zahlreichen, in diesen Raum zusammengedrängten Versammlung, einen befrmidenden, phantastischen Ausdruck. Die drei Sitzreihen waren von Brüdern einge nommen, welche das tiefste Schweigen beobachteten. Zwei Schrcckensbrüder standen mit gezogenen Schwer tern zu beiden Seiten des Einganges; der Vorsitzende


125 saß auf dem Throne, und vor diesem stand, auf sein Schwert gestützt, einer der beiden Brüder Aufseher. Die schweigende Stille, die jetzt an diesem Orte herrschte, gab der Versammlung etwas Furchtbares und Feierliches. Endlich brach der Vorsitzende das Schweigen: — Bruder Aufseher! was Ihr uns meldet, ist ernst und von großer Wichtigkeit. Ihr glaubt also, daß Einer unserer Brüder, Einer, der den heiligen Schwur geleistet, welcher ihm Eingang in den Tem pel gewährt, diesen Schwur verletzt haben sollte ! Ihr behauptet es abermals? — Ich behaupte es. - . Eine neue Bewegung entstand in der Versamm lung; dann trat alsbald das entsetzliche Schweigen wieder ein. — Und — kennt Ihr diesen "Bruder? — Ich glaube. — Könnt Ihr ihn nennen? — Ich glaube. — Worauf wartet Ihr? — Daß die Brüder es beschließen. — Brüder! sprach Munzer mit erhöhter Stim me. Ihr habt gehört. Was beschließt Ihr? — Es ist unnothig, sprach sich erhebend einer der Anwesenden mit fester Stimme; der Angeklagte ist bereit zu antworten. — Und er trat festen Schrit


126 res hervor in die Mitte. — Wessen beschuldigt man mich? fragte er mit würdevoller Hoheit. Diese unerwartete Erscheinung verursachte eine leichte Unruhe in der Versammlung; aber sie beschwich tigte sich bald. — Ist er es, den Du meinst? fragte der Vor sitzende den Bruder Ausseher, welcher höchst über rascht erschien. — Nein, antwortete dieser mit einiger Verwir rung. Dieser Bruder ist mir unbekannt. Cr hat keine Kenntniß vom Befehle des Ordens. — Warum stellt Ihr Euch? fragte der Vor sitzende den Bruder, welcher vor dem Altare stand. Einer der Brüder wird angeklagt, das ihm anvertrauete Geheimniß verrathen und einen der Feinde, den der Dolch treffen sollte, benachrichtigt zu haben und ihm zur Flucht behülflich gewesen zu sein. Da Du aber den Ordensbefehl nicht erhalten hast, wie konntest Du ihn verrathen? — Ieder sieht, so weit seine Augen, und urtheilt, so weit seine Vernunft reicht. Meine Person braucht nicht in Kenntniß gesetzt zu werden, um zu wissen. Laß Dir genügen, daß für mich es kein Ge heimniß war. — Du bist's also, der dem Feinde es mitgetheilt? — Ich bin's. Alle Brüder erhoben sich bei diesem Worte; alle Schwerter entschwirrten der Scheide, mit Ausnahme


127 eines einzigen; und die Spitzen aller dieser funkelnden Klingen richteten sich gegen den Iüngling, welcher fest und gelassen inmitten dieses furchtbaren Kreises stand. — Hast Du noch Etwas vorzubringen, bevor Dich die rächende Strafe trifft? nahm Munz er wieder daS Wort mit sichtlich bewegtem Tone der Stimme. — Wohl noch! erwiederte der Unbekannte mit hoher Würde und verstecktem Spotte. — Wer ist's, der diesen Mord befahl? — Diejenigen, die Dir zu befehlen das Recht haben! war Munze r's heftige Antwort. — Du inst! rief mit Kraft und Hoheit der Unbekannte. Hat Iemand das Recht, hier zu befehlen, so bin ich's. Weithin flog sein Mantel und in demselben Au genblicke stand plötzlich auf den Stufen des Altars eine fremdartig reichgeschmückte, blendende Gestalt. Im dunkeln Haare glänzte eine weiße mit Gold und Pur pur gestickte Binde; den nackten Hals schmückte eine breite goldene Kette; den Körper umgab eine violettsammetne Tunika von sonderbarer Form, auf der Brust mit einer in Gold gestickten Sonne geziert und um die Hüsten mit einer schwarzen langen Schärpe befestigt, von welcher ein breiter, orientalischer Pal lasch herabhing ; die Hand führte als Scepter eine Silberblume: Es war Paracelsus. Ein Ausruf und eine Bewegung der Ueberraschung


IS8 durchflog die ganze Versammlung bei diesem Anblick. Vor Erstaunen senkte sich jedes gegen den Unbekann ten gezückte Schwert, und erstarrend erhob sich un« willkührlich der Vorsitzende von seinem Thronsessel. Doch noch einen Augenblick, und von seiner Ver wirrung zurückkehrend schleudert er ohne Zweifel sein Anathem auf denjenigen, ider sich ihm als Meister ankündigt, und es stürzen unaufhaltsam die entrüste ten Brüder auf den Vermessenen, der ihren Altar entweihet. Paracelsus diesen Augenblick erkennend und mit kaltem Blute den Eindruck benutzend, den jedes außerordentliche und unvorhergesehene Schauspiel auf die Menge macht, welche stets durch das wun derbar Scheinende beherrscht wird, bemeisterte sich so fort dieses ersten Momentes der Ueberraschung , wo durch auch die festeste Seele in Unentschiedenheit ver setzt wird. Mit gebieterischer Haltung erhob er den Arm über die Versammlung, seinen Silberscepter majestätisch im Halbkreise schwingend , und sie mit der ganzen Würde seiner Hoheit beherrschend, stillte er augenblicklich den entstandenen Aufruhr, indem seine wiederlMende Stimme kraftvoll ertönte: — Lilsntium ! ?sx volzis-«um! Der Segen des Herrn sei mit Euch, meine Brüder! Ich bin erschienen, Euch die Worte des untheilbaren, verborgenen und geheiligten Ordens zu uberbringen, dessen Erwählte Ihr seid, und um Euch, getreue Andächtige, in diesem Tempel Versammelte, die unter


129 unserem Gewahrsam im Heiligthume verborgene Wahr heit zu verkünden! Auserwählte! empfanget den Segen! Hierauf wandte er sich gegen Munz er: — Bruder von der Rose! Komm' und nimm von mir das Zeichen und die Erklärung der vier ge heiligten Buchstaben entgegen, damit ich mich als Deines Gleichen zu erkennen gebe, und danach sollst Du alsbald in mir Deinen Oberen erkennen. Der edele und gebietende Ton seiner Stimme, seine majestätisch erhabene Haltung und sein überraschendes, reiches Kostüm, das in dem Helldunkel der Halle erglänzte und das Ausdrucksvolle seiner Physiognomie zu einem phantastischen Zauber erhöhte, verlieh seinen Worten eine unwiderstehliche Gewalt und Autorität. Schon hatten alle Brüder durch das Uebergewicht, das er über sie gewonnen, ihn im In nern für ihren Oberen anerkannt , und waren bereit, in Ehrfurcht sich vor ihm zu neigen. Paracelsus stand noch auf den Stufen des Altars und streckte liebreich die Arme gegen M u n z e r. Dieser , hinge rissen, wie alle Uebrigen, folgte dem allgemeinen Zuge, stieg von seinem erhabenen Sitze und schritt zum jungen Arzte, der ihm entgegenkam und mit den Armen ein Kreuz bildend auf jede seiner Schultern eine Hand auflegte, dann leise, so daß es kein Anderer als er hören konnte, „Emanuel" ihm zuflüsterte. — ?sx v«Ki«! antwortete Munz er, dasselbe Zeichen machend. Und sie gaben sich den Bruderkuß:— II. . ö


430 l. K. I. sprach Paracelsus, und indem er Munzers Stirn mit der Silberblume berührte, flü sterte er ihm mehrere geheimnißvolle Worte in's Ohr. Munz er überrascht, verharrte einige Augenblicke im Schweigen. — Und Du kennst den Sinn dieser Worte, den kein Bruder der Rose erfasst hat! rief er mit Eifer und Entzücken. — Ich kenne ihn! erwiederte Paracelsus. Vernimm! Munz er schien außer sich; er bog sich mit ge spannter Andacht noch näher zu ihm; dann erleuch tete ein Strahl der Freude sein strenges Gesicht. — Gelobt sei Gott! rief er mit enthusiastischem Feuer. Bruder! kannst Du mir die Weihe ertheilen? Hast Du die Macht dazu? Kannst Du mir das Zei chen anvertrauen? Was muß ich dagegen gewähren? — Gedulde Dich; wir werden sehen. Es muß der Tempel so auf der Erde, wie im Herzen errich tet werden. Wache, bete, forsche, und der Himmel wird sich Dir aufthun. — Willst Du den Thron besteigen ? — Nein; fahre fort den Vorsitz zu führen; mein Platz ist am Altare. — Bruder Aufseher! fuhr er fort sich gegen Erasmus Gerber wendend; Dein Eifer für den Orden verdienet Lob. Du hast Deiner Pflicht genügt, indem Du dem Orden den anzeigtest, den Du für einen Venäther hieltst. — Nur — Du


13! hattest einen Anderen im Sinne, den ich Dir nennen könnte, denn ich lese in Eurer Aller Seelen. . Tritt näher: Du hattest Estienne Dolet im Ver dacht? flüsterte er ihm ins Ohr. Erasmus Gerber erschrak, und blickte ihn mit wundersamem Erstaunen an. — Es ist wahr! Ich gestehe es. — Wohlan! Du irrtest. Fortan prüfe genau, ehe Du anklagest. Die allgemeine Verwundrung der Menge war bei diesen verschiedenen Vorgängen und bei Mun zers und Gerbers wachsendem Erstaunen auf's Höchste gestiegen. Die Macht , die sich hier offenbarte, und der selbst die geheimsten Gedanken nicht verbor gen schienen, zeigte sich als eine übernatürliche. Als Paracelsus sich wieder gegen den Altar lehnend seinen ruhigen, majestätischen Blick umhersandte, wa ren Alle nahe daran, auf die Kniee zu sinken. — Erwählte Brüder! wandte er sich an die Versammlung, ich kannte den ertheilten Befehl, und verhinderte sofort feine Ausführung , weil man diesen Befehl, Euer Vertrauen mißbrauchend, im profanen Interesse erschlichen hatte. Ich will den Urheber die ses schändlichen Rathes hier nicht namhaft machen. — Die Begier, seinen Vater zu rächen, kann ihn irre geleitet haben, und wir verzeihen ihm diesen Irrthum im Betracht der Dienste, welche er dem Orden gelei stet hat und noch leisten wird, — — Aber — sein ' 9*


Herz möge sich zur Reue wenden! fuhr er mit kraftvoller Geberde fort, seinen leuchtenden Blick und sei nen erhobenen Arm auf einen der Brüder richtend, der sich eines Zusammenschreckens nicht erwehren konnte, , und unwillkübrlich den Kopf zur Erde senkte; — möge die Zukunft das Andenken an die Vergangen heit verlöschen! — ' Euch, meine Brüder, möge dieß zur ewigen Belehrung dienen, und überzeuge Euch um so fester, daß eine höhere Macht über uns wache, daß keine gute, keine böse That ihrem wachsamen Auge entgehe. Unter dieser leitenden Fürsorge werden wir alle Hindernisse besiegen, und das große Werk der Wiedergeburt der Menschen zum Ziele führen. Im Namen dieser über Euch wachenden Vorsicht komme ich zu Euch und überbringe Euch deren Segen und Erleuchtung. Lasset Festigkeit, Beständigkeit, Einigkeit unter Euch, die Ihr Brüder seid, herrschen, die Ihr Euch vereinigt habt und berufen seid zum großen Werke der Emancipation des Menschenge schlechts, zur Erfüllung der evangelischen Verheißung: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahr heit wird Euch frei machen" (Ioh. 8, 32.). Ich begrüße Euch im Namen der evangelischen Freiheit, der allgemeinen Menschenrechte, deren Be gründer und Vertheidiger Ihr seid und für immer sein werdet. Bei diesen mit hinreißender Wärme gesprochenen Worten erhob sich die ganze Versammlung in gleich


133 zeitiger, übereinstimmender Bewegung und antwortete durch schallende, allgemeine Beifallsbezeugung. Pa ra celsus erkannte jetzt, welche Gewalt er über die Menge übte, und es entging ihm nicht, daß, um die Gemüther und den Willen der Brüder nach seiner Absicht zu lenken, er vor Allem diesen Moment mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft ergreifen und benutzen musste. — Deutschlands und Frankreichs erwählte Brllder! — ertönte seine Stimme, sobald die Ruhe wie derhergestellt war. — Ihr habt vor Augen, wohin unüberlegtes Bestreben, unbedachtsamer Eifer führt, selbst zum Verbrechen kann er werden. Wohlan! ich sage Euch, Ihr seid noch von einer ähnlichen Gefahr bedroht; ich kenne sie und beeile mich, Euch zu warnen, Euch die Augen zu offnen. Denn noch ist Euch der Zweck unbekannt, zu welchem man Euch hier ver sammelt hat; aber dem wachsamen Auge Eurer unsicht baren Oberen ist es nicht entgangen, des Ordens leitende Vorsicht durchschaut die Pläne Eures Herzens. Ietzt erhob sich stürmisch Nicolaus Stor'ck, der zur Rechten Munzers saß, und unterbrach P aracelsus, indem er mit starker Stimme rief: — Ich appellire an die Vorrechte der auser wählten Brüder: Sie haben das Recht Uber die von dem Vorsitzenden ausgesprochenen Vorschläge frei ihre Meinung zu äußern und sie in Berathschlagung zu ziehen ; aber der Vorsitzende darf seine Meinung und


134 seinen Rath erst dann hervorbringen, nach dem jeder der Brüder die Frage vernommen und erwogen hat. Demnach also, wie kommt der unbekannte Bruder dazu, der atif dem Altare seinen Sitz 'einnimmt, die Gemü' ther vorher einzunehmen und ihr Urtheil zu bestechen ? — Und Du, mein Bruder, zu welchem Ende unterbrichst Du mich in meiner Rede? erwiederte Paracelsus, ihn mit einigem Hohne im Blicke kaltblütig messend. Solltest Du vielleicht die Absicht hegen , nicht dem Urtheile und dem Willen der Brü der Gewalt anzuthun, denn dazu hast Du weder die Macht noch die Kraft, wohl aber sie, zu Deinem Wortheile, von der rechten Bahn locken zu wollen? Solltest Du im Finstern schleichende Plane schmieden, die das Licht scheuen, das ich Hieher bringe, und durch die Beleuchtung verscheucht werden mochten? Und wenn Du im Namen derer sprichst, die hören und schweigen, weil sie fühlen, daß ihr künftiges Ge schick in Frage steht, sprichst Du da nicht für Dich allein? Storck brach in Zorn aus, und sich mit Hef tigkeit gegen, den jungen Arzt wendend : — Was sollen diese Beschuldigungen? Wer ist's, der hier Zwietracht säet und — Ein Höherer als Du! unterbrach Para celsus mit kraftvoller Stimme und gebieterischdro hender Geberde; ich weiß, wer Du bist, Deinen Na men, woher Du kömmst, und wohin Dein Gelüste Dich treibt — ich aber bin Dir unbekannt! Willst


135 Du Schlimmeres meiden, so rathe ich Dir zu schwei gen. Du, der Du nicht einmal Bruder der Rose bist, erkühnst Dich das Wort zu nehmen, während der Bruder an Deiner Seite, Dein Oberer, schweigt, weil er weiß, was er darf und soll, weil keine strafbare Leidenschaft ihn zu einem tollkühnen Ziele treibt, weil er der Tugend die Macht einräumt und sie nicht für sich in Anspruch nimmt, weil er weise und Du wahnwitzig bist! Dem Wahnwitze soll Verzeihung werden, aber — verstehe wohl — nur diesem verzeihe ich, Nicolaus Storck! Der Ton, mit dem diese Worte gesprochen wurden, die hochwillig- erhabene Geberde, welche sie begleitete, vorzüglich aber die plötzliche Enthüllung seines Namens, welche in der That die geheime Wissenschaft des Unbekannten bewährte, dem nicht nur die Brüder bekannt, sondern auch ihr Inneres erschlossen zu sein schien, donnerten Nico laus Storck zu Boden. Er stammelte unverständliche Worte und trat zurück. Er schien zu wanken und zu zittern unter der Hand, welche Paracelsus ge gen ihn ausstreckte, und unter dessen durchbohrendem Blicke, welcher Blitze auf ihn schleuderte. Mun zel, der sich, gleichwie sämmtliche Brüder, erhoben hatte, folgte ihm besorglich mit den Augen, in Furcht ihn niedersinken zu sehen, und ein Moment der Auf regung, der Bestürzung und des Schreckens verbrei tete sich in der Versammlung.


136 — Und so erfahret den Grund, meine Brüder, — fuhr mit Würde und Kraft Paracelsus fort — um deßwillen ich unter Euch erschienen bin. Wiss't Ihr, welches Vorhaben sie gebrütet hatten, sie, die auf Euren Muth und Euren willigen Eifer rechnen, und mit Zuversicht hoffen, daß Ihr Alles ergreifet, was den Anschein von Tugend und Größe hat? Ihre Hand wollte heute das Schwert und den Dolch ziehen, die Welt mit Mord und Verwüstung zu er füllen, während ihr Mund versprach, Euch zu der Glückseligkeit und Freiheit des Menschengeschlechts zu leiten ; ein Blutbad hätten sie in Deutschlands und Frankreichs Gefilden angerichtet aber — sie wären die Herrscher gewesen! Der Lärm und der Aufruhr wuchs während dieser Rede. Alle Brüder waren, je nach ihren ver schiedenen Ansichten, von verschiedenen Gefühlen be stürmt, und sie äußerten diese und theilten sie ein ander mit durch tobende Ausrufungen und lärmen des Geschrei, so daß ein wüster Lärm die Stimme des Paracelsus, mit welcher Kraft sie auch ertönte, fast zu übertäuben drohte. Munz er stand mit gekreuzten Armen, die Blicke auf den Redner geheftet, und schien keinem Entschlusse Raum geben zü können; Dolet und einige Andere, welche die friedfertigen Ansichten theilten, hatten sich um ihn versammelt. Sich auf den Sitzen erhebend zollten ' sie den Worten des jungen Arztes lauten und schal


137 lenden Beifall, und suchten durch ihren Einfluß die um sie herumtobende und schwankende Menge mit fortzureißen. Der Augenblick war entscheidend; Paracelsus beeilte sich den Zügel zu ergreifen. — Erwählte und abgeordnete Brüder! rief er, den Lärm übertönend, welcher sich allmälig besänf tigte, Ihr feid hier versammelt als Stellvertreter der gesammten Masse der Brüderschaft, welche durch ihre Wahl Euch als ihre Führer anerkennt; Ihr selbst also sollt die Bahn vorzeichnen, welche zu be treten und zu verfolgen die Pflicht gebeut, ich aber beabsichtige nur das Eine: Euch die Mittel an die Hand zu geben, wie Ihr den Stand der Dinge mit Freiheit und Klarheit überschauen moget. Was bringt man Euch in Vorschlag? den Krieg; und zwar sofort soll er losbrechen dieser Krieg. Aber seid Ihr dazu geschickt und vorbereitet ? Was besitzt Ihr für Mittel und Hilfsquellen? Ihr steht im Begriff, die Mächtigen dieser Erde, die Konige, die Fürsten, die Großen, die Priester, kurz Alles, was Macht und Ansehen hat, mit der Gewalt der Waffen anzugreifen. Ich frage, was könnt Ihr diesem Allem entgegenstellen? Den Aufruhr wollt Ihr anfachen; Ihr wollt gegen ihre Herrschaft die Armen, die Un terdrückten, die Sclaven aufbieten! Ihre Zahl ist Le gion , es ist wahr — aber ihr Erbtheil ist Schwäche, Kleinmütigkeit, Mangel an Ausdauer, Feigheit, Blindheit; — und diese Eigenschaften — sie bergen


13g den Tyrannen im Herzen! Und überdieß nicht ein mal Waffen zum Kampfe besitzen sie ? Werdet Ihr besiegt — wie es vor Euren Augen liegen muß — und sie mit Euch, was ist die Folge? Ein furchtba res, scheußliches Blutbad, ein ungeheuer allgemeines Morden und darauf nothwendig eine erbitterte noch strengere Herrschaft der Mächtigen. Die unfrucht bare Rebellion hat größeren Zwang herbeigeführt, hat die Kräfte der jetzigen Machthaber verdoppelt und das große Werk der Wiedergeburt der Mensch heit ist um Iahrhunderte zurückgedrängt. Krönt Sieg Euren Kampf, was folgt? — Euer Zweck und Ziel ist, wie Ihr sagt, allseitige Befreiung und Gleichstellung, die Herrschaft der Freiheit und des evangelischen Glaubens. Nun wohlan! so neh met an, Ihr wäret Sieger und die Gewaltigen auf der Erde! Könnt Ihr versprechen, diese Herrschaft nun einzuführen und herzustellen ? Euer Bemü hen wäre vergeblich. Einen unfruchtbaren Saamen würde Eure Hand auf einen unbekannten Acker säen ; statt der gchofften Veredlung des Menschen, statt des ersehnten Glückes und der allgemeinen Freiheit der Völker, die Ihr zu erndten wähntet, würde Ver wirrung, Krieg, Mord diesem Boden entsprießen. Die Freiheit, meine Brüder, wurzelt im Geiste. Das Werk der Freiheit entblüht nicht der Materie, sondern dem Geiste, nicht der Gewalt, sondern der Vernunft, nicht der Kraft der Faust, sondern dem


139 begeistenden Worte, der moralischen innern Seelenkraft. Ein Himmelssegen senkt sie sich, allgemach und langsam nur, in die Herzen der Völker, kehrt aber nur da ein, wo sie Licht und Tugend, wo Einsicht und gerechten Willen, wo hohe Wissenschaft und Ma'uterte Kultur, wo sie hellen Geist und rei nes Gemüth antrifft. Sie ist das Werk der sich stets erneuernden, in Jahrtausenden auf verschiedene Weise und in immer neuen Kreisen der Wölker sich entwickelnden Fortbildung, sie ist das Werk der end lichen allgemeinen Erlösung der Menschheit! Und Ihr wollt sie heute, vermittelst roher Gewalt, ein führen? Wollt die Beschränktheit, die Wuth und den Haß bewaffnen, um in der Sache der Freiheit zu siegen? Ein junger, ungebändigter Fanatismus soll die ruhige, besonnene Macht stürzen? Ihr wollt den kurzsichtigen Sclaven gegen die umsichtig regierende Gewalt, die bettelnde Armuth gegen die Kraft des Reichthums führen? Wäre es möglich, daß Ihr siegtet, eine unendliche Zerstörung würde folgen. Ihr gebrächet gänzlich der Mittel und des Materials das einmal umgestürzte Gebäude wieder herzustellen. Es fehlt die Basis, die in der morali schen Welt herrschen, es fehlt die Läuterung, die die Völker befähigen soll. — Ihr fragt, was mufft Ihr thun, um Euren Zweck und Euren Auftrag zu erfüllen? Nicht Euch, erwählte und berufene Männer, Abgeordnete gesamm


140 ter Nationen, darf ich es erst eröffnen und andeuten, Ihr, die Ihr in Eurem Geiste und in Eurem Herzen die Wahrheiten der Wissenschaft und der Tugend verborgen traget, welche sich auf der Erde verbreiten und sie erfüllen sollen. Erschließet Eure Hände und streuet die heilsamen Schätze aus, die Ihr berWt; gehet zu allen Völkern und zündet die geheiligte Flamme an, die alle Herzen erleuchten soll, prediget das Evan gelium, befestiget die Macht der Vernunft und der Tugend, lasset das Recht, das die Natur bedingt, geheiligt sein, und seid bereit, mit Eurem Blute die Wahrheiten zu besiegeln, die Ihr verbreiten sollt, wie der Mönch zu Worms Euch das Beispiel gab. Auf, folget Eurem Berufe, Ihr denkenden Männer! säet und pflanzet, befähigt die Gemüther, indem Ihr ihnen Tugend, und Wahrheit in die Herzen senket, bereitet und ebnet die Bahn, so wird das Werk nach Gottes Rathschlusse einst ohne Umsturz sich entwickeln, ohne Hinderniß sich verbreiten, ohne Kampf auf im mer sich befestigen! Während der tiefsten Stille hatte Paracelsus diese Worte beendet. Als er inne hielt, begrüßte ihn ein allgemeiner, feierlichgeräuschloser Beifall, der von dem Ergriffenfein der Gemüther zeugte; sobald er das Wort wieder nahm, stellte sich von Neuem die Ruhe wieder her. — Ietzt, erwählte Brüder, ertönte laut und stolz seine Stimme, ist mein Auftrag erfüllt. Die


141 Wahrheit wollte ich Euch eroffnen; es ist geschehen. Jetzt erwäget und entscheidet selbst. Unbekannt kam ich hierher und unbekannt werde ich Euch verlassen. Alle Menschen sind meine Brüder; ich spreche nicht zu ihnen, um Befehle zu geben, nur meinen Rath ertheile- ich ihnen. — Bedenket, daß eine göttliche Vorsehung im Himmel über den Menschen wachet, und daß ihr Stellvertreter auf Erden — in jedes Menschen Gewissen ruht! Das Gute und Böse Euch offen darzulegen, habe ich mich bemüht, lasset jetzt Euer Gewissen wählen! Meiner Pflicht habe ich ge nügt, genügt der Euren. Und so erflehe ich nur noch chen SeKn für Euch vom Allerhöchsten, und sage Euch Lebewohl! Ein allgemeiner Ausruf folgte diesen letzten Worten: — Lasst unS aufbrechen insgesammt! — ?»x et irsternitss ! rief Paracelsus sich hoch auf dem Altare erhebend, die eine Hand über die Menge hinausgestreckt, mit der anderen den Silberscepter schwingend. — Seid gegrüßt, die Ihr be rufen seid, für Wissenschaft und Tugend zu wirken! Werbreitet Euch über die Erde und säet die Keime des Segens und der Glückseligkeit für künftige Ge schlechter! Apostel der Wissenschaft, der Denk- und Gewissensfreiheit, Vorläufer und Verkünder eines neu anbrechenden Morgenrothes, Heil Euch und Segen, dreifacher Segen! In diesem Augenblicke streckte Dolet den Arm


142 gegen den geheiligten Triangel aus, vom dem das einzige Licht ausströmte, welches den Ort erhellte, und stürzte ihn um. Tiefe Finsterniß herrschte plötz lich in der Halle und deckte die Menge, der in ihrer Aufregung diese momentane Ausführung Dolets entgangen war. Geschrei des Schreckens, der Ueberraschung, der Bewunderung ertönte aus Aller Munde. Dann folgte eine allgemeine Stille. Ieder fühlte sich von religiösen Schauern ergriffen; Viele hegten die Ueberzeugung, sie hätten den unbekannten Bruder unter Blitzen verschwinden sehen; Mehrere riß es unwillkührlich auf die Kniee; Alle verließen bestürzt und in Verwirrung athemlos die Höhle, aber in lebhafter Erinnerung behielt ihr Geist die Rathschläge des Paracelsus. Und aus den Schatten der Nacht, wel chen sie sich, außerhalb des Gewölbes angekommen, wieder anvertraueten , aus dem gestirnten Himmel, der seinen funkelnden Schleier über ihre Häupter ausbreitete, schienen ihnen höhere Geister entgegen zu blicken und zuzuflüstern, und eine göttliche Macht rich tete ihre offenen Augen auf ihre Handlungen und blickte in die geheimsten Gedanken ihrer brütenden Seele. Kurze Zeit hierauf finden wir P a r a c e l su s und Dolet in einem kleinen Zimmer des Gasthauses zum goldenen Winkelmaaß beisammen. Dolet in freudiger und launiger Aufwallung umhals'te Paracelsus. — «ruluior! Bruder! rief er, Du hast Bor-


1« zügliches gewirkt! Aber ich denke, mir gebührt auch ein Theil des Lobes; mein Unterricht und meine Winke haben Dir vorteffliche Dienste geleistet; und Du musst gestehen, daß ich der Lampe im allerrichtigsten Momente das Lebenslicht ausgeblasen habe. Ich muffte das Lachen unterdrücken, als ich hinter Gerbers breitem Rücken, der mich verbarg, vernahm, daß er fiohnte, wie ein Stier, und vor Verwunderung keine Worte finden konnte. Ich bin überzeugt, daß Du selbst überrascht warest. — Es ist wahr; aber ich kann diese Kunstgriffe und Blendwerke nicht billigen, v' ^- Bah! Kapuzmerstrupel! Die Menschen sind große Kinder, die man durch Wunder und Zauberlaternen unterhalten und sesseln muß. Ich bin über zeugt, daß Munz er noch in diesem Augenblicke von religiöser Erstarrung ergriffen ist, welche ihm auf lange Zeit die Hände zum Handeln bindet. Mit Storck verhält es sich anders. Ich halte ihn von einem kühnen Ehrgeize beseelt, der sich nicht so leicht erschüttern und von seinem Borhaben abbringen lnsst, und ich fürchte, daß die Freunde des geistigen Fort schrittes, in fortwährendem Kampfe gegen ihn, mit der Zeit unterliegen möchten. Doch, Trotz sei ihm geboten ! — Lebewohl! wardieAntwortdesParacelsus. — Du reisest schon ab? — Meinem Geschicke entgegen — wohin die Be stimmung mich ruft.

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144 — Nach Basel, Zweifels ohne, antwortete Dolet mit boshaftem Lächeln. — Du weißt, daß ich dort erwartet werde. — Das Glück erwartet Dich dort, welches — Das Glück! — für mich! unterbrach Paracelsus. Ich glaube nicht mehr daran! — Dann fügte er mit mehr Ruhe hinzu: Die Zukunft birgt Geheimnisse, welche die Zeit allein enthüllt. — Und Du kehrst nach Paris zurück? — Gewiß. — Nun wohl! kehrst Du nach Paris zurück, Bruder, so empfehle ich heiß und dringend Deinem Herzen die einzigen Freunde, welche ich dort zurück lasse, Oporinus, Fernande; und Genovefa! Beschütze sie um Deiner Liebe zu mir willen. — Lebewohl! mit dem Tage breche ich auf, und will jetzt einer kurzen Ruhe pflegen. — Lebewohl! sagte Do let, mit tiefer Empfin dung ihm die Hand drückend. Und beim Anbruche des Tages Kennten sich beide Freunde. Paracelsus war im Begriff, sich nach Deutschland und von dort nach Basel zu begeben. — Sollte die Glücksgöttin ihn dort erwarten? Das liegt — hatte er selbst ausgesprochen — im dunkeln Zeitenschooße verborgen.


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Basel. „Wer hat über Reformatoren mehr geschrieen als der „Hanfe der Vrodlgclehrtcn ? Wer hält den Fort„gang nützlicher Revolutionen mehr anf, als eben „diese? Jedes Licht, das durch ein glückliches „Genie, in welcher Wissenschaft es sei , angczün, „ dct wird , macht ihre Dürftigkeit sichtbar ; sie „fechten mit Erbitterung , mit Heimtücke, mit „Verzweiflung, weil sie bei dein Schulsystem, das „ sie vcrtheidigcn , ziialeich für ihr ganzes Dasein „fechten. Darum kein unversöhnlicherer Feind, „kein neidischerer AmtSgehülfc , kein bereitwilli« „ gercr Kcyermacher, «IS der Brodtgelehrte. " Schiller. Prosaische Schriften. Die ganze Bevölkerung von Basel war auf den Beinen. In den Straßen, die von der Universität nach dem Deutschen Thore führten, drängte sich die Masse in Haufen und in Reihen; die Bürger hielten die Thüren ihrer Häufer, ihre Töchter die Fenster besetzt; die Studenten hatten sich staffelformig in Zwi schenräumen aufgestellt. An dem drängenden Eifer und dem Ausdrucke der Neugierde, die sich auf jedem Gesichte malten, sah der fremde Zuschauer, daß etwas Außerordentliches vor sich gehen muffte: ohne Zweifel erwartete man einen solennen Aufzug; man erblickte schon große Vorbereitungen. Schon fetzte sich die Jugend der Schulen, die Studenten, in Fakultäten U. 10


N6 abgesondert, mit dem Banner der Universität an ih rer Spitze, in Bewegung; ein weißes Maulthier mit prachtvoller Decke aufgezäumt, von zwei Pagen, mit dem Wappen der Stadt Basel bekleidet, am Zaume gehalten und von einer sich drängenden Menge um geben, stand erwartend außen am Eingange der Stadt, während am innern Thore eine Deputation von Pro fessoren, Gelehrten und Magistratspersonen sich an schickten, die erhabene Person, welche Basel in seine Mauern aufzunehmen im Begriff stand , zu empfan gen und wahrscheinlich mit feierlicher Rede zu begrü ßen. War diese Person ein fremder Fürst? war sie der Gesandte irgend einer hohen Macht? — Sie war viel weniger und viel mehr zu gleicher Zeit; es war der junge, doch hochberühmte Doktor Theophrastus Paracelsus, dessen Ankunft man so erwartungsvoll entgegensah. Sein Ruf war in der That plötzlich zu einer unglaublichen Höhe gestiegen, sein Talent hatte die lauteste Bewunderung gefunden, sein Name schallte weithin durch Europa in der gefeiertesten Berühmt heit. Sein Mühen und sein Fleiß, bisher nur dem Unglück und der Armuth gewidmet, war aus seiner Dunkelheit ans Licht getreten. Die höchsten Eelcbritäten in der Wissenschaft, die Ersten und Reichsten des Adels hatten leidend sich der Hilfe des gelehrten Kunstjüngers bedient und zollten seinem Genie An erkennung und Bewunderung. Der große Eras


147 mus von Rotterdam, durch langjährige Leiden gequält, ohne Hilfe zu finden, war zu ihm geeilt, und hatte durch ihn rasche und sichere Heilung er langt. Zu seiner Dankbarkeit gesellte sich die höchste Achtung vor seinem Charakter und seinen Kenntnissen, wovon eine engere Verbindung zwischen beiden die Folge war, welche durch einen ununterbrochenen Brief, Wechsel unterhalten wurde. Welche andere Ursache konnte mehr die Bewundrung dieses Iahrhunderts begründen , als daß man die Hochachtung des E r a sm u s besaß ? Der gelehrte F r o b e n i u s , welchen die Wuchdruckerkunst ihren zweiten Vater nennt, hegte für den jungen Doktor, durch den er gleichfalls vom herannahenden Tode errettet worden war, dieselbe Dankbarkeit und gleiche Bewundrung. Pierre du Chatel hatte seinerseits die hohe Achtung, welche er vor dem jungen Arzte gewonnen, nach Frankreich über tragen; achtzehn deutsche Fürsten verdanke,, seiner Kunst ihre Heilung und Errettung; genug, in der ganzen Christenheit erschallte nur eine Stimme, und mit Erstaunen und Bewundrung wiederholte man als den berühmtesten unter den berühmtgewordenen Na men, den Namen Theohrastus Paracelsus. Aber ein so großer Ruf, auf so außerordentliche Weise erlangt, muffte seine zahlreichen Neider und seine bitteren Verkleinerer finden. Zu dieser Zeit war die Schule constituirt wie die Kirche, und hielt sich für eben so unfehlbar. Sie glaubte die Grenzen der 10 ^ ,


148 Wissenschaft festgestellt zu haben und sie ausschließlich und allein in ihrem Schooße zu tragen und zu hegen. Die von den Alten aufgestellten Grundsätze waren in ihren Augen die unerschütterlichen Säulen, auf denen die Wissenschaft ruhte, und ebenso bestimmte, unan tastbare und unverrückbare Regeln, von denen abzu weichen als ein Verbrechen wagehalsigtcr Tollkühnheit erschien; jede ihrer Entscheidungen und Aussprüche war ein Orakel, das keine Erörterungen mehr er laubte und aller Erläuterungen überhoben war; Auto ritäten entschieden und galten Alles; die Erfahrung und das Studium der Natur bedeuteten Nichts. Es entstand also und muffte nothwendig entstehen eine Gegenverbindung aller Doktoren, die an den welken und erschlafften Brüsten der alten Wissenschaft sogen und dabei, ohne sich umzublicken nach neuer erquikkender und belebender Nahrung, in ihrer starren Träg heit und blöden Kurzsichtigkeit sich ihres Pultes steueren. Wer ist dieser Mensch? wo kommt er her? von wem und wo sind ihm die Würden und Weihen ertheilt? wo hat er studirt? und woher dieser unbegründete, lärmende Ruf? fragen die wohlgefälligen Dickbäuche und rufen schnöde die hämischen Anmaßlinge, die fleißig die Alten studiren und mit blöder Selbstgefäl ligkeit und versteckter Angst sich in die Brust werfen: „Thut nicht ein braver Mann genug, Kunst, die man ihm übertrug, >issenhaft und pünktlich auszuüben?"


149 Kein Ruhm kann außerhalb der Schule entsprießen; nur im alten Gebäude der Schule gedeihen und blü hen Verdienste.' Was sollte aus der Schule werden, wenn diese für die Fakultäts- und Brodtgelehrten so fruchtbringenden Maximen übertreten und nicht geachtet würden? — Ueberall schrie man über den Scandal, die Verrätherei, den Ketzer! Man berief sich auf das Zeugniß der Alten, man citirte die zürnenden Schat ten des Hippokrates, des Galen, des Avicenna gegen den stechen Abtrünnigen, der es wagte seinen eigenen Weg zu gehen, und mit Kühnheit und Standhaftigkeit eine neue Bahn zu brechen und sie zu verfolgen; man beleidigte und verketzerte den jungen Reformator, dessen reißende Fortschritte und wachsender Ruhm sich, trotz aller Verläumdungen und Anschwärzungen, im mer mehr ausdehnte und immer größere Bedeutung und immer ausgebreiteteren Anhang gewann. Man sagt, die Anerkennung und der Dank des Volkes sind stets blind und in der Regel flüchtig vor übergehend, doch stets sind sie wenigstens rasch und lebendig. P a r a c e l su s hatte sich das schwierige Ziel gesteckt, das Volk« zu unterrichten und aufzuklären, indem er ihm Beistand gewährte; Pas Volk suchte ihn zu lohnen, indem es ihn an die Spitze der Schule stellte, welche ihn mit beleidigender Verfolgung bedrohte. Der medizinische Lehrstuhl an der berühmten Universität Bafel stand damals leer, und die Volksstimme berief Paracelsus ihn einzunehmen.


150 Die aus dem Schooße der Universität dagegen hervorgehende Widersetzung war groß und heftig , und Niemand war auch hier eifriger bedacht, ihm zu scha den und sich entgegenzustellen, als der Doktor Tho mas Era stus. Er, der zu Paris nichts als die Freuden der Welt gesucht, und bei Genovefa nur nach der Befriedigung eines vorübergehenden Gelüstes gestrebt hatte , war an dem Tage noch , wo wir ihn zuletzt gesehen, aus Frankreich abgereist, und hatte sich zu Basel, als der Nachbarstadt seines Geburtsortes niedergelassen. Hier hatte er, zuversichtlich, beredt, anstellig, gewandt, wie er war, und durch den Schim mer, welchen seine Verbindungen mit der Universität Bologna, wo er studirt hatte, und mit Paris, von wo er so eben zurückkehrte, um ihn verbreiteten, in der gelehrten Welt ein Ansehen erlangt, das er aufs Geschickteste geltend zu machen wusste, und einen Ein fluß gewonnen, der ihn zur Mitgliedschaft der Univer sität Basel verhalf. Zu gleicher Zeit hatte er bei der Gräfin N e i n a ch , so bald diese in Basel angekommen war, Jutritt erlangt, und von ihr mit derselben Ar tigkeit als zu Paris aufgenommen, hoffte er mit der Zeit und durch Ausdauer und Geschick sicher seinen Berführungsplan durchzusetzen, worin er sich schon ziem lich vorgeschritten und durch seine äußerlich glänzende Stellung unterstützt zu sein wähnte. Die Ankunft sei nes schweigsamen Rivalen musste ihm daher einigen Un mut!) verursachen und seine Galle in Bewegung setzen.


151 In dem Zeitpunkte, zu welchem wir jetzt vorge schritten sind, hatten mehrere Personen den Balkon eines reichen Gebäudes, der Universität gegenüber, eingenommen, und schienen mit Ungeduld der An kunft des feierlichen Zuges entgegenzuharren. In der Mitte unterschied man leicht an dem harten, em pfindungslosen Gesichtsausdrucke den Grafen Rei nach; Christoph von Hohenheim kam und ging mit einer gewissen Aengstlichkeit, und schritt dann wieder unstät mit einer Baseler Magistratsper son im Saale hin und her. Auf dem Balkon unter dem Thronhimmel von rothem Sammet mit Gold srangen, der als Schutz gegen die brennenden Sonnen strahlen ausgespannt war, saß zauberisch hingegossen die edele Gestalt der Gräsin Placida, und nicht fem von ihr stand mit aufmerksamer Ehrerbietung ein junger Mann im Doktor-Ornate, der sich beeiferte, ihr von Zeit zu Zeit in vertraulicher Annäherung ' leise Worte zuzuflüstern. Placida, welche ihm fast den Rücken zuwandte, schien absichtlich zu vermeiden, ihn anzusehen, und ließ ihre zerstreuten Blicke in melan cholischer Schwcrmuth auf dem freien Platze umherirren. — Ihr werdet, wie es scheint, bis zum letzten Augenblicke hier verweilen, Doktor? redete der Groß prior, welcher jetzt wieder auf den Balkon trat, den Mann im Ornate an. Dennoch müsst Ihr ja wohl bei der Feierlichkeit mitsiguriren, da Ihr, so viel ich weiß, das Wort nchmen werdet?


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— Als der Iüngste, und in der Eigenschaft des Secretairs, antwortete Erast. Aber diese ganze Komödie hat so sehr mein Mißfallen, daß ich mich so lange als möglich ihr entziehe. — Und weßhalb? — Weil ich es als eine Herabsetzung der gan zen Universität Basel ansehe, solche Ehren einem Charlatan zu erweisen. . — Ihr erkennt also die Verdienste des Doktor Paracelsus nicht an? — Nein, wahrhaftig nicht! — Man erzählt jedoch wunderbare und spre chende Thaten von ihm! ließ sich der Baseler ver nehmen. — Mein Gott! wenn nur die Hälfte von dem Wahrheit wäre, was er vollbracht haben soll, so miisste er wenigstens ein Zauberer sein! Es entstand eine Pause. — Und warum sollte er nicht? erwiederte der Baseler. -- Ich bin erfreut, dieß von Euch zu hören, Meister Niedermann, sprach Placida's melodi sche Stimme; ich hatte mir immer gewünscht, einen Zauberer zu sehen; — jedoch, ich muß Euch offen gestehen, ich kenne den Doktor Paracelsus zu wohl, um ihn dafür zu halten. — Aber, wodurch hat er sich denn eigentlich ausgezeichnet? fragte Christoph.


153 — Ich weiß es wahrlich nicht, antwortete Erast. Woher soll er auch seine Wissenschaft geschöpft haben, er, der elende Bastard, dem selbst der edele Name nicht gebührt, mit dem er zuweilen sich schmückt, und der seine Iugend zugebracht hat, die Hühner in Carinthien zu hüten. Wahrlich, sollte er wirklich etwas gelernt haben, so könnte es nur am Sabbath geschehen sein. Aber ich möchte doch noch eher den unwissenden Empyriker in ' ihm erblicken, als einen Gottlosen, der den Feuertod verdient, und ich habe ebenso viel Glauben zu seiner Alles umfassenden Wissenschaft, seiner Umwandlung der Metalle, und all den sonstigen mysteriösen Eigenschaften, welche man ihm zuschreibt, als zu seinem von ihm unzertrennli chen Dämon und seiner schwarzen Kunst. — Und warum glaubt Ihr daran nicht? fragte der hartnäckige Niedermann. — Und Ihr, warum glaubt Ihr daran? — Weil mich meine Augen überzeugt haben. — Wovon haben Euch Eure Augen überzeugt? riefen zu gleicher Zeit der Großprior und Georg Reinach. — Ich habe Frobenius wieder gehen sehen, worauf er nach dem Ausspruche sämmtlicher Facultäten der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands Ver zicht geleistet hatte. — Das würde nur beweisen, äußerte Placida, daß der junge Doktor ein vorzüglicher Arzt ist.


156 Klerus der Universität, und wenn Ihr Baseler weise seid, so folgt Ihr seinem Beispiele. Kennt Ihr Munzer, Storck, Gerber, Manz, Grebler, Metzler? — Munzer, Storck, Gerber — neig, wohl aber Manz und Grebler. Sie haben sich hier zu Basel aufgehalten, und sind vielleicht noch hier. — Nun wohl, ich werde Euch mit ihren Um trieben vertraut machen, und wenn Ihr anstehet, sie zu inhaftiren, so verlasse ich, bei meiner Treu, morgen Basel, und lade Ieden ein, der Etwas zu verlieren hat, ein Gleiches zu thun. In diesem Augenblicke zeigte sich bei Era st, der zu mehreren Malen versucht hatte, mit leiser Stimme Placida einige Reden zuzuflüstern, ohne eine Ant wort erhalten zu haben, deutlicher Unwille; er brach auf und machte seinen Abschiedsgruß. — Wir verlieren ohnzweifelhaft viel, sprach P l acida lächelnd zu ihm, daß wir von hieraus Euch nicht reden hören können. Ihr habt Rednertalent! — behauptet man wenigstens! — Es ist wahr, entgegnete leuchtenden Blickes der junge Arzt, aber es scheint, um zu überzeugen, müsste ich das Gegentheil von dem, was ich denke, sagen. So würde ich zum Beispiel wahrscheinlich hinreißend erscheinen, wenn ich jetzt hinginge, dem Doktor Paracelsus eine Lobrede zu halten. Und er verabschiedete sich, um sich der Schaar


157 der Doktoren anzuschließen, welche sich anschickten, den Neuerwählten zu empfangen. Der Moment der Feierlichkeit nahete heran. Schon begann der Einzug in die Stadt. Ein Chor Stu denten mit der Fahne eröffnete den Zug, ein anderer machte den Beschluß. In der Mitte ritt auf einem weißen Maulthiere Theophrastus Paracelsus im Ornate seiner wissenschaftlichen Würde. Mit Iauch zen und Zurufen wurde er auf seinem Wege vom Wolke begrüßt, und jemehr er vorrückte, um so leb hafter und stärker wurden die lauten Begrüßungen. Aber seine Züge blieben unverändert, ruhig und kalt. Dieser Ausdruck des Ernstes und der Empfindungs losigkeit erhöhte den Eindruck, welchen er auf die Menge hervorbrachte. — Wie jung ist er noch, und wie ernst er sieht! sprach man zu einander. Einen einzigen Augenblick verrieth sein Gesicht eine starke innere Bewegung: es war in dem Augen blicke, als der Weg ihn über den Platz führte. Hier drängte sich die Masse, welche ihm folgte, um fo dichter um ihn, und inmitten unter ihm unbekannten, aber mit Bewunderung und Ehrfurcht ihn begrüßen den Menschen, erkannte er die große Gestalt Mun zers, der mit Enthusiasmss die Arme gegen ihn ausbreitete und ihm zurief: — Bruder! mein Herz grüßt Dich! Und das Geschrei und das lärmende Zujauchzen des Volkes wurde so tobend, daß das Maulthier er


153 schreckt still stand und im Begriff schien, sich zu baumen. P a r a c e l su s grüßte mit Kopfnicken und Zei chen der Hand und lenkte es vorwärts, seinen Weg inmitten der Zurufungen fortsetzend. — Mein Gott, welch' tobender Lärm! sprach Placida, sich über den Balkon hinausbiegend. — Das ist er! Ia wohl, das ist er! flüsterte Christoph, einen Blick auf das bleiche Gesicht des Grafen Reinach werfend, dessen Auge starr jeder Bewegung des Paracelsus folgte. — Das ist er — oder Iemand , der ihm gleicht, erwiederte der alte Graf mit verzerrtem Gesicht. In diesem Augenblicke schlug Paracelsus die Augen in die Höhe und erblickte jene drei Personen' auf demselben Balkon vereinigt, deren Blicke auf ihn gerichtet waren. Er war wenig auf dieses Begegnen gefasst. Ein Blitz durchfuhr seine Seele, der ihm zugleich, wie zur Begrüßung seiner Ankunft, inmitten seines Triumpfes, die Gegenstände seines Hasses und seiner Anbetung, das Engelsbild der Placida und die scheußlichen Gesichter der beiden Ritter, vor die Augen führte. Erregt durch die verschiedenen ihn durchkreuzenden Gedanken zuckte er zusammen, durch lief noch einmal mit feinem leuchtenden Blicke den Balkon, und senkte den Kopf. Placida hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen. — Man sollte glauben, er hätte uns erkannt! äußerte Christoph mit erzwungenem Lächeln.


159 — Mir schien es so, erwicderte GeorgReinach. — Er ist Euer Neffe, Herr von Hohenheim? sprach Placida; Ihr müsst stolz auf die Huldigungen sein, die ihm dargebracht werden. — Ganz gewiß! entgegnete C h r i st o p h in eini ger Verlegenheit. Es ist wenigstens Etwas, zu dem er in der ergriffenen Laufbahn gelangt ist. Man zog sich vom Fenster zurück. Paracelsus war vor dem Thore der Univer sität abgestiegen, und wurde in die Aula geführt, wo die versammelten Doktoren feiner warteten. Sein sonst über äußere Eindrücke fest gebietender Geist war durch das Begegnen Munzers und anderer Brüder, welche ihn unglücklicherweise erkannt hatten, noch mehr aber durch den Anblick der Gräfin Reinach und der beiden Ritter, in Unruhe und Aufregung versetzt wor den, welche seinen Gedanken die Festigkeit geraubt und ihm das Gepräge auffahrender Heftigkeit — ge wöhnliche Folge des Ungeregeltscins des Innern Seclenmenfchen — aufgedrückt hatten. Sein Aussehen war blasser als gewöhnlich, seine Augenbraunen gefaltet, seine Lippen zusammengepresst. Er hätte gewünscht, sich jetzt in die Einsamkeit zurückziehen zu können, um sich dem Nachdenken zu überlassen, oder, was ihm so nöthig war, sich zu sammeln. Diese Scene des Prun kes und des Wortgepränges, dem er sich noch unter werfen sollte, war ihm höchst lästig; er stellte sich der Versammlung der Doktoren mit dem ungestümen


160 Unmuthe dar, wodurch mit Gewalt zurückgedrängte Leidenschaften sich allein noch Luft zu machen suchen. Der erste Gegenstand, auf den seine Augen tra fen, trug noch dazu bei, diese ärgerliche Stimmung zu erhöhen. Es war der vor dem Präsident sitzende Thomas Era st, der mit dem ihm gewohnten fei nen Anstande, mit seinem gezierten Wesen, mit dem wegwerfenden, kalten Lächeln, mit dem falschen, iro nischen Blicke sich anschickte, ihn zu empfangen. Die ses Zusammentreffen kam ihm noch unerwarteter als jedes frühere. Ein böser Dämon schien auf dieser kurzen Strecke unter seinen Schritten alle Erscheinun gen heraufbeschworen zu haben, welche in dem Augen blicke, wo er so sehr der Kaltblütigkeit und der Geistes gegenwart bedurfte, alle peinlichen und schreckenden Erinnerungen oder den Aufruhr der Leidenschaft in seiner Seele erwecken konnten. Auch lieh er sich nur mit kaum verstecktem Unwillen und verachtender Un geduld allen den langwierigen ceremoniellen Förmlich keiten, welche die Doktoren absichtlich, um ihn zu reizen, zu verdoppeln schienen, während Thomas Era st im Gegentheil die größte Ruhe und den ge messensten Ernst an den Tag legte, um mit feierlicher Würde diese nichtssagenden Possen zu vollziehen. Man hätte glauben sollen, daß er es sich zur Aufgabe ge stellt habe, durch den Gegensatz seines feinen Anstandes und feiner lächelnden Festigkeit die Steifigkeit und übel verhehlte Unzufriedenheit des Paracelsus um

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Ml so mehr hervorzuheben. Die offenbar feindliche Ge sinnung der Doktoren, ihr beleidigendes Bestreben, auf diejenigen Formalitäten Gewicht und Bedeutung zu legen, von denen sie glaubten, daß sie den jungen Arzt demüthigen könnten, kurz alle diese unbedeuten den Kleinigkeiten , welche er zu jeder andern Zeit mit dem kalten Blute der Verachtung angesehen haben würde, reizten jetzt sein Gemüth, nach den schon vorausgegangeuen Eindrücken, bis zum Zorne und zur Heftigkeit. — Und da, wo er unbedenklich nur Selbstgefühl und den Werth seiner Würde an den Tag gelegt haben würde, ließ er sich jetzt hinreißen, bis zu verwegener Anmaßung und kühnem Stolze zu gehen. Als Thomas Erast ihm die Frage vorlegte, wo er studirt habe? antwortete Paracelsus: — Ueberau! An jedem Orte, wo ich mich be fand, in jedem Lande, in jeder Gegend habe ich nach einem Gegenstande des Forschens und der Wissenschaft gesucht und mich den Studien ergeben. Die Natur ist das größte, das schönste, das erhabenste, das reichste und belehrendste aller Bücher, das dem Men schen aufgeschlagen werden kann. Und wer in ihm zu lesen versteht , soll nicht fortwährend dasselbe Blatt vor den Augen haben. — Aber dennoch — entgegnete Erast, nach ei nem Moment des Schweigens , mit einem höhnischen Lächeln — muß ich, in meiner Eigenschaft als Se il, ll


162 cretair, um Euren Namen unter dle Professoren der Universität Basel einzutragen, zugleich den Ort an geben, wo Ihr Eure Grade und Würden empfangen und wo Ihr Eure Vorlesungen gehört und Eurem Cursus gemacht habt. — Wer sind Eure Lehrer? Ich bin in der That begierig, sie kennen zu lernen. — Ich habe keine Lehrer! Wer zu studiren ver steht, studirt aus sich selbst und durch sich selbst. Aus meinen eigenen Kräften und Mitteln habe ich mich ge bildet; meine ganze Schule beginnt in mir und be schließt auch in mir; und keinen anderen Lehrmeister habe ich gehabt als die Natur und mich selbst. — O, ich bezweifle das nicht! entgegnete Erast, indem er mit einem ironischen Blicke seiner nächsten Umgebung zublinkte. — Dennoch aber, hoffe ich, werdet Ihr zugestehen, daß die Alten unser Aller Meister sind, daß wir ihre Belehrungen horen, und nachdem wir von ihnen gelernt, ihr Wissen und ihre Lehren unseren Nachkommen überliefern sollen? We nigstens werdet Ihr wohl geneigt sein, ohne Eurem tiefen Wissen und hohen Kenntnissen, die ich weit entfernt zu bezweifeln bin, zu viel zu vergeben, als Euren Meister und einen Höhem als Ihr, Galenus anzuerkennen, oder Avicenna, oder auch wohl noch den Araber Rhazis. Ich bitte zugleich bei Euch um Nachsicht, die Ihr, wie der Ruf sagt, so bewandert in den orientalischen Sprachen seid, daß ich die Namen dieser berühmten Männer, dieser Leuchten


163 des Orients, in meiner Unkenntniß so entstelle. Won ihnen ohne Zweifel habt Ihr das Licht entlehnt, das Euch erleuchtet, und ihnen werdet Ihr den Ruhm zugestehen, Euch vorzuleuchten auf dem Felde der Wissenschaft? — Ia, wir müssen die Alten studiren, weil sie unsere Vorgänger sind, weil der Mensch, der sich zu unterrichten strebt, überall sammeln und forschen soll, wo sich ihm Stoff darbietet, seinen Schatz zu ver mehren. Aber diese Alten sollen für uns ein Gegen stand des Studiums, und nicht ausschließlich zu be folgende und nachzuahmende Muster sein. Nicht eitele, beschränkte Nachbeter der Alten sollen wir bleiben, auf ihren Schultern stehend sollen wir weiter blicken, und wie sie gethan, auch unsererseits die Wissenschaft erweitern und fordern. Die Wissenschaft ist wie der Mensch, welcher wächst und sich kräftigt in dem Maaße, als er im Leben vorschrcitct. Ieder Tag, jedes Iahr, jedes Säculum führt ihr feinen Beitrag zu; ihre gegenwärtigen Kräfte nähren sich von den Gaben der Vergangenheit; ehe sie zur Riesin wird, muß sie Zwergin fein. Sollten wir, die wir die Früchte der Arbeit unserer Väter erndten, die wir die Resultate ihrer Mühen ererbt haben, unthätig und unbeweglich an der Stelle stehen, wo sie standen, ohne vorzurücken, auf dem Punkte verharren, wohin sie gelangt waren? Die, welche Ihr heute rühmt, im Rückblick auf verflossene Jahrhunderte, erscheinen


164 Euch nur um deßwillm groß, weil sie ihre Vorgän ger überflügelt haben; sie haben sich also, sie über sehend, über diese gestellt, um weiter zu kommen, als jene waren. Nun wohlan, um groß zu sein, wie sie, müssen wir ihrem Beispiele folgen. Wir müssen hö heres Wissen, größere Kenntnisse besitzen als sie, ohne uns zu verhehlen, daß einst unsere Söhne auch uns überflügeln werden. Dieß ist das unabwendbare Gesetz des Fortschreitens; ein festes, heiliges Gesetz, das den Ruhm und die Kraft des Menschengeschlechts ausmacht! Wollt Ihr allein nicmalen und nimmer diesem Gesetze Folge leisten? Haltet Nachlese in der Vergangenheit, befruchtet die Gegenwart, damit die Zukunft erndte. Bereichert durch die Erfahrungen so vieler Iahrhunderte sollen wir die unserige hinzu fügen, und unser Wissen alsdann höher schätzen als das unserer Vorgänger, denen wir überlegen sind durch die Weisheit aller der Zeiten, welche zwischen ihnen und uns verflossen sind, die ihnen unbekannt aber in unserem Besitze ist. Ihre Zeit war die Zeit der Kind heit und der Schwäche , die unserige ist die der Kraft und des reifen Alters. Fünfzehn Iahrhunderte lang waret Ihr eitle Nachbeter des Galens, die Ihr nur seine Sätze wiederkäuetet, und seine Speise immer aufwärmend Euch daran labtet, ohne Muth und Kraft zu frischer Nahrung zu äußern. Diese Zeiten, die stets nur und allein „Vater Galen" im Munde führten, sollen vorbei sein. Galen ist nur ein Kind neben mir.


Ein Gemurmel des Erstaunens und beinahe des Unwillens ließ sich bei diesen Worten von der Bank der Doktoren aus vernehmen. — In der That! rief Era st, ich hätte nie ge glaubt, aus dem Munde eines von der Universität Basel erwählten Professor's solche Worte vernehmen zu müssen? Aber begreift Ihr wohl, was Alles Ihr so eben aussprachet? Ich darf eine so nachtheilige Lästerung nicht aussprechen hören, ohne — Nun, so wappnet Eure Schwachheit mit Ge duld, unterbrach ihn Paracelsus, denn Ihr wer det noch ganz Anderes horen. — Wer seid Ihr denn? Und weßhalb bin ich hieher gekommen? Etwa um mit einem jungen, obscuren Manne überflüssige Er örterungen einzugehen? Wer seid Ihr? Wo stammt Ihr her ? und welches sind Eure Verdienste? Be dürft Ihr des Unterrichts, so kommt und hört meine Vorlesungen, und lernt von meinen Lektionen; wo nicht, so begebt Euch von bannen. — Denn ich bin hier erschienen, um Lektionen zu ertheilen, nicht zu empfangen. Das Volk, das auf dem Vorsaale uyd in der Aula extrs csrceres versammelt war, und bisher in Ruhe und mit Staunen zugehort hatte, gab bei die sen kühnen Worten seinen lauten Beifall zu erkennen. — Bin ich's, fuhr er mit deinfelben Stolze fort, der verlangt hat, unter Euch zu sitzen? Habt Ihr mich an die Thür Eurer Universität klopfen und um


Einlaß bitten hören? Nein, Ihr seid zu mir gekom men, und habt mich gebeten, Einen Platz unter Euch einzunehmen. Ietzt bin ich gekommen, diese Stelle einzunehmen; und was bedeuten daher diese überflüs sigen Reden und unnützen Fragen? Ihr kennt mich hinreichend und seit lange, kennt meine Lehren und woher ich sie schöpfe; ich habe gezeigt, Euch und Al ler Augen, wer ich und was ich zu leisten im Stande bin; ich habe also, scheint mir's, hier kein Examen zu bestehen, zumal vor Leuten, die weit entfernt, sie für meine Richter anzuerkennen, ich nicht einmal für meines Gleichen erachte. Denn dieses Waret, fügte er mit Kraft und Energie hinzu, indem sein blitzendes Auge die Bank der Doktoren kübn überblickte, dieses Waret — indem er es heftig in der Hand bewegte und es auf sein Haupt setzte — bedeckt mehr Arbeit und Studium, mehr Nachtwachen und Forschung, mehr Erfahrung und Wissenschaft, als in der ganzen Universität Basel existiren möchte — , mit Inbegriff seines unbärtigen Secretarii. — Ein schallendes Gelächter und ein abermaliger lauter Ruf des Beifalls folgte diesem Schlusse der Rede. — Uebrigens nicht in meinem Namen, erwiederte Erast, roth vor Zorn, nicht in meinem Namen habe ich gegen Euren Hochmuth gesprochen; im Na men jener strahlenden Vorbilder in der Wissenschaft, die Ihr mit Füßen tretet, ist es geschehen, jener Heroen in unserer Kunst, die, nach Eurem Ausspruche,


i67 nicht werth sind , Euch die Schuhriemen zu losen, und die für mich fortwährend Gegenstände tiefster Ver ehrung sind, es ist im Namen des Avicenna, des Galen, die Ihr ohne Zweifel nicht versteht, da Ihr Verachtung gegen sie hegt, und die Ihr auf dem Lehrstuhle, welchen Ihr zu besteigen im Begriff steht, den 'Studirenden exponiren und zum verehrenden Ver ständnisse bringen sollt! — Nein, so wahr ich lebe, und Paracelsus bin, so bin ich nicht hieher gekommen, um Avi cenna und Galen zu.l lehren, sondern ich besteige das Katheder, um die Lehre des Paracelsus vor zutragen! Sonst wären diese Bücher, fuhr der junge Doktor fort, indem er die Hand auf die vor ihm aufgethürmten Bände legte, hinreichend gewesen ohne mich. Ich aber führe eine neue Wissenschaft mit mir; eine neue Lehre will ich lehren: verlangt Ihr Eure alten Irrthümer, so ziehe ich mich zurück, be gehrt Ihr meine Erfahrung und mein Wissen zu hö ren, so komme ich mit eifriger Liebe und ergebener Aufopferung zu Euch. Aber meine Wissenschaft ist allein und gänzlich in meinem Kopfe enthalten: ich genüge mir selbst und bedarf keiner schweins ledernen Folianten , um meinen Schülern aus solchem Moder Weisheit hervorzuholen — und somit entäu ßere ich mich dieses unnützen Ballastes voll bekann ter Wahrheiten, voÜ überwiesener Irrthümer, voll bestrittener Theorien, voll unverständlicher Spekula-

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168 tionen ohne Anwendung auf Natur und Leben! Und mit heftigem gewaltsamen Wurfe stieß er die auf dem Gesimms der Tribune aufgestellten Werke herab, daß sie auf dem Fußboden, des Saales umher zerstreut wurden. Sämmtliche Doktoren erhoben sich voller Entrüstung bei dem Anblicke dieser ruchlosen Entwei hung; aber die Studenten und das Volk brachen mit Iauchzen und Iubel in den Saal ein. Die Stimmen Erast's, des Paracelsus und der Doktoren verloren sich in dem allgemeinen Tumulte. Die Mitglieder der UniverWt waren außer Stande, diesem Andringen des Volkes zu steuern, und zogen sich in voller Unordnung zurück. Wenige Minuten darauf sich man die Studenten, welche Meister vom Platze geblieben waren, in der größten Schnelligkeit einen Scheiterhaufen errichten und in feierlicher Pro zession die Werke des Avicenna heranbringen und , daraufthürmen , dann in ceremonieller Form das Feuer anzünden. Mit Freudengeschrei brachten sie der in Rauch aufgehenden alten Wissenschaft das ?ereal ! während das Licht der Flammen die Erschei nung einer neuen Wissenschaft erleuchtend zu begrü ßen und ihr vlvst! zu bringen schien, das die Stu denten dem Reformator Paracelsus zujauchzten. So hatte wenige Iahre vorher der Mönch Mar tin Luther an der Spitze der Wittenberger Stu denten die unantastbarer, Bullen des unfehlbaren Pontifex zu Rom und den Codex des kanonischen


109 Rechts verbrannt; so hatte Kopernikus das irrthumsvolle Weltsystem gestürzt, das der Aberglaube auf die Bücher der Hebräer stützte; zu gleicher Zeit war Ramus aufgestanden, gegen die Unländerlich herschende Philosophie des Aristoteles zu käm pfen: ein Kampf, den er mit seinem Tode besie gelte. Ueberau also, in der Kirche, in der Wissen schaft, in der ganzen moralischen Welt begann der Kampf gegen die Autorität, um ihren Despotismus zu erschüttern und zu stürzen. Die Vernunft be wegte ihre Schwingen und ihre Kraft fühlend suchte sie das Feld des menschlichen Geistes zu überblicken, und ihn von Sclavenketten erlösend erfocht sie Frei heit der Gedanken und Geltung der Wahrheit.


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Der Oheim.

Paracelsus schien das Ziel seines Strebens erreicht zu haben. Er genoß zu dieser Zeit des aus gedehntesten Rufes und erfreute sich einer Populari tät, die ohne Beispiel war. Aber bei diesen äußerst glänzenden Erfolgen blieb er stets derselbe. Seine Wissenschaft, wodurch er Tausende von Dahinwel kenden dem Leben und der Freude wiedergab, die er der Erste in die deutsche Muttersprache zu kleiden gewagt, und sie so Iedem verständlich, und auch sogar dem Volke, seinem Munde lauschend, ange nehm gemacht, schien für ihn allein keinen Reiz zu besitzen, und von Allen ihm allein nicht Freude zu gewähren. Inmitten der ihn mit Enthusiasmus umgebenden, bewundernden und Beifall zollenden Menge, die sein Wort electrisirte, inmitten seiner ihm innigen Dank stammelnden und tiefe Verehrung weihenden Klienten, blieb sein Gesicht blaß und un veränderlich, seine Physiognomie tief-nachdenklich, sein Blick träumerisch -zerstreut und ernst -melancho lisch. Während er vor den entzückten Augen seiner


Zuhörer die bis dahin unbekannten Wunder der Na tur darthat und entwickelte, während er die wunder baren Processe der Physik und Chemie zum ersten Male vor Augen stellte und durch seine kunstvollen und geschickten Experimente zu handgreiflicher Beleh rung brachte, während er rings um sich herum Er staunen, Bewunderung und fast Schrecken durch die Neuheit des Anblickes der sich folgenden, wunderba ren Transformationen erweckte, blieb sein Geist un beweglich und er allein kalt und empfindungslos. Man las in dem vertieften, schwärmerischen Aus drucke seiner Physiognomie, daß sein Geist abwesend und die Triebfeder seiner Gedanken anderswo weilte; man hätte sagen sollen, daß sein Blick hinüber schweifte uber diese Welt, welche seine Hände nach Gefallen bearbeiteten, und daß er eine unsichtbare Macht suche, erhaben uber dicse irdische Materie. Dieses wundersame Wesen, das man stets an ihm bemerkte, flößte der Menge eine von scheuer Furcht begleitete Ehrerbietung vor ihm ein. Man glaubte in ihm ein höheres Wesen zu sehen, das ebensowe nig den Freuden als den Schwächen der Menschen ergeben wäre und das die Menschheit kaum wür digte, sich ihr durch die Lehre seiner wunderbaren Wissenschaft, nur ein schwacher Ausfluß seines unermesslichen Kenntnißschatzes, zu offenbaren. Ueberall folgten ihm die Augen der Menschen mit beklemmen der Neugierde, und die wunderbarsten, selbst die


172 ungereimtesten Erzählungen, welche man auf seine Rechnung erfand, könnten darauf zählen, daß sie die allgemeine Aufmerksamkeit erweckten, und von der Leichtgläubigkeit der Menge aufgefasst wurden. Von einer anderen Äeite begann es den Rath zu Basel in Verwunderung zu setzen, daß er im Volke so außerordentliche Bewegung und Währung bemerkte, und daß eine so große Anzahl Fremder sich in der Stadt anhäuften, welche geheime Gänge zu ver folgen und durch ein geheimes Band verbunden zu sein schienen. Mehrere ihm zugegangene Benachrich tigungen und Warnungen, wie sie auch dem Rath mann Niedermann durch Christoph von Ho henheim erthcilt waren, hatten die Wachsamkeit der Behorde erweckt und sie auf jene Gefahr dro henden Spuren geleitet. Diese Stadt, sowohl an den Grenzen Frankreichs als Deutschlands gelegen und dennoch zugleich unabhängig von diesen beiden Mächten schien in der That sich sehr vorthcilhaft dazu zu eigenen, der Mittelpunkt und zugleich der Ausgangspunkt einer großen Verschwörung zu wer den, die von hier nach rechts und nach links operiren, und das Haupt unter den Gebirgen der Schweiz schützend, ihre Arme über beide Ufer des Rheines zugleich ausdehnen konnte. DaS Erscheinen dieser Fremden, worauf die Aufmerksamkeit des Ba seler Magistrats gerichtet wurde, schien überdieß mit der Ankunft des Paracelsus zusammenzutreffen,


173 der den Anschein gewann, als sei er mit ihren Ge heimnissen vertraut, da man ihn Zeichen des Einver ständnisses und der Verbrüderung mit ihnen hatte wechseln sehen. Obgleich nun zwar die befremdende Lebensweise des Doktors , feine gewohnten Nachtwa chen, seine zahlreichen Besuche und sein häufiges UmHerreisen, ja sogar seine nächtlichen Unterhaltun gen mit unsichtbaren Geistern, wie das Volk sich erzählte, eine auf ihn gewichtete Aufmerksamkeit durchaus rechtfertigten, so war, wenngleich sein Einfluß auf die Iugend um so bedenklicher, dennoch sein Ansehen beim Volke' und bei den Studenten von solcher Bedeutung, und die Verehrung zu ihm so groß und allgemein, daß man nicht storend in sein Wirken einzugreifen wagte, wie sich denn der Baseler Senat in dem Zustande der Ängstlichkeit und Unentschlossenheit befand, welche die erkannte Gegenwart einer unbekannten Gefahr, das Erkennen eines Uebcls und die Unkenntniß des Gegenmittels verursacht. P a r a c e l su s , unbekümmert über diese ängstliche Bewachung, erhaben über alle Vorurthcile und selbst über die öffentliche Meinung, Nichts um des Schei nes willen an den Tag legend und Nichts aus Furcht verbergend, hatte Nichts in seiner Lebensweise geän dert. Immer lenkte er vorzugsweise und zuerst seine hilfebringenden Schritte zu dem leidenden Volke. Hatte er die im Elende Schmachtenden besucht, so richtete


174 er erst dann seine Besuche zu den reichen und hohen Kranken, und die Beweise der Erkenntlichkeit, welche er erndtete, wurden am andern Tage von ihm als Almosen unter die Armen vertheilt. Von Tage zu Tage wuchs die große Zahl der Nothleidenden, welche seine Hilfe begehrten; mit sol chem Eifer drängte sich das Volk ihn erwartend zu den Thoren der Universität, daß es ihm eines Tages unmöglich war hinauszukommen. Man brachte ihm die Kranken bis zu dem Schemel seines Lehrstuhles; wenig fehlte und man ließ sie ihm, wie dem Heilande, durch das Dach herab. — Lerenissiine goetor! rief ein Page, der sich mit Mühe durch die flehende Menge drängte; mein gnädigster Herr, der Kanonikus Cornelius von Lichtenfels! > Und erstreckte ihm einen Brief entgegen. — Schon gut! crwiederte Paracelsus; erst meine Armen der Herr Kanonikus wird mich heute Abend bei sich sehen. Und in der That, nachdem der Tag sich neigte und er die Vorstädte Basels durchlaufen hatte, begab er sich auf den Weg zur prunkvollen Wohnung des Kanonikus, der, wie uns schon Niedermann mit-getheilt hat, sich seiner Behandlung übergeben hatte. Als er eintrat, erhob sich mit einem freudigen Ausrufe der ehrwürdige Prälat, dessen breites Antlitz schon wieder Rundung und die Farbe der Gesundheit erlangt


175 hatte, von seinem weichen Sessel, auf dem er aus gestreckt ruhete, und ging ihm einige Schritte entgegen. — Endlich, mein verehrter Doktor! Ich ver zweifelte schon, Euch heute noch zu sehen. Habt Ihr mein Billet nicht erhalten? — Doch! antwortete Paracelsus. Aber ich glaubte, daß der Reconvalescent mich wohl eher als , die Kranken etwas länger erwarten könne, und — — O, es ist nicht meinetwillen, bester Doktor, weßhalb ich um Eure Gegenwart gebeten habe, unter brach ihn der Kanonikus ; es ist Euretwegen. — Ich stehe im Begriff, Euch eine Zusammenkunft zu ver schaffen! fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu. — Eine — Ia, eine Zusammenkunft! wiederholte Cor nelius von Lichtenfels mit einer schlauen Miene und einem bedeutungsvollen Augenwinken. Nach dem, was zwischen Euch vorgefallen ist, steht Ihr vielleicht an, Euch zum Hause zu verfügen. Geduldet Euch einen Augenblick! Er stand auf und lief schwerfällig zur Thür ei nes anstoßenden Zimmers. Paracelsus stand un beweglich, und unterdrückte einen sonderbaren und lächerlichen Gedanken, der sich seinem Geiste auf drängte, in welchem das Bild und der Gedanke Placida's nie erlosch — als seine Augen, mit ängstlicher Beklemmung auf die verhängnißvolle Thür gerichtet, aus der das geheimnißvoll dahinter verbor


176 gene Wesen hervorgehen sMe, plötzlich — Christo pH vonHohenheim erblickten. — Er warf dem Prior einen Blick zu, in welchem eben so viel Zorn und Verachtung als Erstaunen lag, und trat, die Arme über die Brust kreuzend, einen Schritt zurück. — Ei, schönsten Abend, mein bester Neffe! re dete ihn Christoph mit der angenommenen Miene der Gutmüthigkeit und dem ihm eigenen schwerfällig scherzenden Tone an. Also ich muß zur List meine Zuflucht nehmen, um nur einen Augenblick jetzt Deine Unterhaltung zu genießen? . — Was ist Euer Begehr? war Paracelsus gemessen-kalte und Verachtung zeigende Antwort. — Aber, theuerster Freund, erwiederte Chri stoph ohne die Fassung zu verlieren, ich will mit Dir einige Augenblicke über Familien-Angelegenheiten, vielleicht auch noch über Mehreres sprechen. — Ueber Familien-Angelegenheiten! entgegnete der junge Arzt in derselben Weise. Mich dünkt, ich hätte Euch von der meinigen ausgestrichen! Solltet Ihr Euch nicht erinnern? — Gerade, weil ich mich dessen entsinne, tbue ich heute die erster Schritte, um mich mit Dir aus zusöhnen. Nach alle dem, theurer Freund, bin ich der Bruder Deines Vaters, und es wäre eine Thorheit von uns, wegen einer Armseligkeit uns zu ent zweien.


177 — Eine Armseligkeit! unterbrach ihn mit Heftigkeit P a r a c e l su s. Ah Z Ihr nennt Raub und Mord eine Armseligkeit! — Mein Gott, unterbrach seinerseits mit Sanft mut!) der Prior; laß uns doch nicht um einen Aus druck streiten. Ich habe Unrecht gethan! ich gestehe es zu; und habe es immer zugestanden; der Beweis davon lag schon darin, daß in dem Augenblicke, wo Du mir vor einer Menge von Zeugen auf das Un würdigste begegnetest, ich Dich habe thun und sprechen lassen, als wäre ich ein Knabe gewesen. Ich dächte, wenn jemals Zerknirschung Iemand gezeigt hätte, so wäre es hier geschehen. — Ist das Alles, was Ihr mir zu sagen hattet? fragte Paracelsus mit niederbeugender Kälte, in dem er sich nach der Thür des Ausganges wandte. — Mein Gott, was bist Du sonderbar! Ich habe Dir schon gesagt, daß ich mich mit Dir zu ver söhnen gesonnen bin. — Und seit wann, wenn ich fragen darf, habt Ihr diese friedfertige Gesinnung gefasst? fragte der junge Arzt, feinen durchdringenden Blick auf das ver schmitzte Gesicht des Priors heftend. — Hore, Paracelsus, antwortete Christoph, seine plumpe, erkünstelte Gemüthlichkeit gegen einen Ausdruck offener Vertraulichkeit und wahrhaftiger Auf richtigkeit vertauschend, welche ihm sonst ganz fremd waren; ich weiß, daß Dir gegenüber jede Verstellung II. 12


178 vergeblich ist, und ich will Dir daher aufrichtig die Gründe meines heutigen Benehmens eröffnen. Wäh rend langer Zeit, ich gestehe es, habe ich Dich vernachlässigt und bin Dir sogar übel begegnet, es ist wahr; und jetzt nun suche ich Dich auf. Dieß muß auffallend erscheinen. Soll ich Dir den Grund davon bekennen? Er liegt allein darin, daß ich auf den Ruhm meines Namens, auf die Macht meiner Familie und den Glanz meines Hauses halte; weil ich vor Allen und um jeden Preis die Große und dm Ruhm liebe, und diesem Alles opfere. Als ich daher Dich, wie Dein Bater es schon gethan, die Laufbahn der Waffen aufgeben und die der Wissenschaft ergreifen und dem Glanze kriegerischer Anführung die Dun kelheit des Studiums vorziehen sah, so gab ich Dich, wie Deinen Vater auf, und sahe in Dir eine Schande unseres Geschlechts, einen Makel unseres Namens. Da Du nun aber in dieser neuen Laufbahn eine sol che Größe und einen solchen Ruhm erlangt hast, wie Du sie auf keinem anderen Wege großer, erlangen konntest, so war Dir von diesem Augenblicke an meine Zuneigung gewiß, und der Wunsch Deiner Freund schaft stieg lebhaft in mir auf, weßhalb ich mich Dir hiermit nähere und Dir die meinige entgegentrage. Beim Schlusse dieser befremdenden Worte, durch die mit solcher Naivetät der grenzenloseste Egoismus sich offenbarte, welchen der Prior noch mit der Be nennung „Zuneigung" beschönigte, blieb Paracelsus


179 einen Augenblick stumm. Obgleich er die doppelzün gige List des Großpriors kannte, so war er dennoch fast geneigt zu glauben, daß er in diesem Augenblicke Wahrheit spräche. — Ah, ich begreife! antwortete er dann; nachdem Ihr mich beraubt, verstoßen, verfolgt habt, so lange ich klein und unbekannt war, so sucht Ihr mich wieder auf, da ich Ruhm und Ansehn erlangt habe.. Ich gestehe , das ist ganz Eurer würdig. Aber mir ist es vollkommen gleichgültig. Und wie käme ich dazu, heute Eurer Laune Folge zu leisten, da mein In teresse mich dazu nicht bestimmt? — O, das jedenfalls! erwiederte lebhaft Chri stoph von Hohenheim. Du wirst leicht einsehen, daß ich so thb'richt nicht bin, von Dir einen Schritt zu erbitten, dessen Vortheile nur auf meiner Seite wären, und zu glauben, daß Du auf solche Weife ihn annehmen würdest. Nein. — Bei der gegenseiti gen Annäherung, welche ich erheische, stehen beide Theile gleich ; ja , ich kann sagen , es ist mehr zu Dei nem Vortheile. In diesem Augenblicke, es ist wahr, bist Du vom Glücke begünstigst, Dir wird geschmei chelt, Du bist geehrt. Aber worauf beruht das Ganze? Auf.Zolksgunst, die wetterwendisch Dich morgen ver lassen kann. Deine glänzenden Erfolge selbst schaffen Dir zahllose Feinde , die stets Dein Geschick und Ta lent verwerfend es endlich dahin bringen werden, daß es bezweifelt wird. Ferner, was trägt Dir zuletzt 12«


IM all dieser Ruhm ein? Welche Schätze sammelst Du für die Zeit, wo das Alter Dein Genie lähmen und Deinen Gang schwerfällig machen wird? Bist Du aufrichtig, so wirst Du zugestehen, daß Dein LooS eine mühevolle Gegenwart und eine Ungewisse Zukunft ist. — Was ich Dir für meine Person jetzt biete, ist Folgendes. Ich habe eine nicht unwichtige Stellung erlangt, ich besitze großen Einfluß und ein beträchtli ches Vermögen ; von diesem Augenblicke an, wenn Du es willst, soll Dir dieß Alles zu eigen sein. Von diesem Augenblicke an sollst Du keine Neider und' Feinde mehr zu fürchten haben, denn Du wirst durch Dein Talent und durch Deinen Rang in der Welt sie überragen , durch Deine doppelte Ueberlegenheit sie niederschmettern. Du hast ihre sinstern Wege und verborgenen Feindseligkeiten nicht mehr zu fürchten, die sie anzetteln, Dich zu verderben; denn vermittelst meiner Verbindungen und des Ansehns, das ich bei allen Höfen Europa's genieße, wirst Du ihrer spotten und sie wie Spreu vor Dir hertreiben. Und dann bedenke, welche unermessliche Hilfsquellen sich Dir er öffnen in dem ausgedehnten, schon begründeten und feststehenden äußerlichen Glücke, das ich Dir ganz und vollkommen zu Gebote stelle! Du wirst Deinen Reichthum verdoppeln, verdreifachen können, ohne daß man sich darüber zu verwundern oder der Quelle da von nachzuspüren sich einfallen lassen wird. Denn wenn der Neid auch dem aufkeimenden Glücke scheel


48! sieht, den Armen verfolgt, der sich erhebt und Rechen schaft von den dazu angewandten Mitteln fordert, so lässt er doch unangefochten den anerkannt Reichen sei nen Weg gehen und sieht unbekümmert seinen Reichthum wachsen. Hat man eine gewisse Zahl überschrit ten, so zählt das Volk nicht mehr und Alles ver wirrt sich vor seinen Augen. Und nun, was verlange ich meinerseits als Ersatz für alles Dieses? Nichts, als daß Du, nach diesem Allem, den Bruder Deines Waters als Deinen Oheim bettachten, daß Du ihm einen kleinen Theil des Vertrauens und des freund schaftlichen Umganges widmen mögest, den Du gegen Fremde, Unbekannte verschwendest. Paracelsus stand einige Augenblicke nachdenk lich ohne zu antworten, und erschien in den Augen des triumphirenden Großpriors schon mehr als halb gewonnen und überzeugt, als er diesem im kalten und festen Tone erwiederte: — Herr Christoph von Hohenheim, Ihr scheint noch immer mich wenig zu kennen. Ich lege zu wenig Werth auf alles Das, was Ihr mir bietet, als daß ich davon berührt werden konnte. — Eures Schutzes gegen Neider und Feinde — bedarf ich nicht: in mir selbst trage ich die Kraft, ihnen entgegen zu treten. Ihre hinterlistigen Nachstellungen — ich fürchte sie nicht, ja ich bin sogar darauf gefasst, daß ihr Be streben dahingeht, mein Glück zu untergraben, mich wo möglich zu verderben. Ich bin stets bereit, meine


182 Freiheit und mein Leben , sobald es die Pflicht gebeut, zu opfern. Das Geschenk Eurer Glucksgüter — ver achte ich. Gold werde ich stets so viel besitzen, als ich bedarf. Christoph machte eine unwillruhrliche Bewe gung, und Paracelsus hielt einen Augenblick inne; dann fuhr er mit um so größerer Kraft und Nach drucke fort: — Aber, wenn selbst ich Eurer Verbindung be dürftig wäre, wenn selbst mir allein nur Euer Arm bliebe, mich von Verbannung oder Tod zu retten, wenn selbst, um mein Leben zu fristen, ich auf Nichts als auf das Geschenk Eurer Milde zu rechnen hätte, so erfahret denn, so würde ich dennoch jede Gemein schaft mit Euch verwerfen! — Aber wcßhalb diese Hartnäckigkeit ? erwiederte Christoph; warum willst Du mit solcher Härte Anerbietungen zurückweisen, die — Weßhalb ? Weil mein Gewissen mir verbietet Neigung zu heucheln , wo ich nur Haß und Wider» willen empfinde, mir verbietet, die Hand dessen zu er greifen, den mein Herz zurückstößt und verabscheut! — Christoh von Hohenheim, zwischen uns Beiden besteht ein Abgrund, ein Abgrund, den Du mit eige nen Händen gegraben hast vergossenes Blut! — Paracelsus! entgegnete Christoph, wäh rend die innere Aufregung seine Stimme zittern machte. Du gehst zu weit. Ich habe Dir meine Freundschaft


i«3 angetragen; ich habe Dir gezeigt, welchen Bortheil sie Dir gewähren würde; ich habe Dir nicht gesagt, welchen Nachtheil Dir meine Feindschaft bringen kann! — O, ich kenne das schon! antwortete der junge Arzt. Aber den Haß der Bösewichte wiegt der Segen des Himmels auf, — darauf ist meine Rechnung gebaut! — Gehabt Euch wohl, Herr von Hohen heim! und er war im Begriff sich zu entfernen. — Paracelsus! rief Christoph, indem er in vollster Aufregung einen Schritt ihm entgegen trat. — Hast Du wohl verstanden, was Dein Oheim Dir bietet? Adel, Reichthum, Macht. — — I«. — Und Du verschmähst Deinen Onkel? — Ja. . — Und Du weißt Du weißt, wenn Du von hinnen gehst, daß Du einen unversöhnlichen Feind zurücklässt! Während er diese Worte sprach, veränderte sich das Gesicht des Großpriors auf eine entsetzende Weise und ein furchtbarer Ausdruck malte sich in den kleinen funkelnd rollenden Augen. Paracelsus, der stehen geblieben war, trat schnell an ihn heran und ergriff ihn beim Arme. ' — Wohl! Wohl! Christoph von Hohen heim! sprach er mit starker Stimme. So erkenne ich Dich! Aber Eins will ich Dir noch sagen: Kein Mensch aufErden wird jemals mich in Furcht setzen! Ich fürchte nur Gott Er wird Dich und mich richten!


184 Der Prior, überwältigt durch sein gebieterisch spre chendes Wesen und durch den Blitze schleudernden Blick seines Auges trat einen Schritt zurück, als wollte er sich der Kraft der ihn fest umklammernden Hand entziehen. —' Erst trägst Du mir Deine Freundschaft an, fuhr Paracelsus fort, und jetzt drohst Du mir mit Deinem Hasse! Geh, beide sind mir gleichgültig — beide gleich verächtlich! Und so stieß er ihn mit Verachtung weit von sich zurück, warf ihn noch einen herausfordernden, höh nenden Blick zu, und ging. Als Christoph von Hohenheim allein war, stampfte er mit dem Fuße auf den Boden und stieß einen kräftigen Fluch aus. Dann ging er, mit ge senktem Kopfe, im Zimmer auf und ab. — Ich muß ihn dennoch in meine Gewalt brin gen, auf die eine oder auf die andere Weist! brummte er zwischen den Zähnen. Und er kehrte zu Corne lius von Lichtenfels zurück, der ihn erwartete. — Nun, fragte der Kanonikus lächelnd, seid Ihr ausgesöhnt? — Weniger als je, antwortete Christoph in seinem gewohnten Tone; es ist ein Tollkopf, der trotz aller meiner Warnungen sich nicht abwenden lässt, in sein Verderben zu rennen; er hat kein Einsehen, daß früh oder spät die Schwarzkünstler verbrannt, und die Verschwörer gehängt werden.


1«5, — Wie! Ihr glaubt also — Nun, Gott sei Dank, hat es bis jetzt noch nicht Gefahr; aber es ist hohe Zeit, ihn von dieser gefährlichen Bahn abzulenken: ich liebe ihn zu sehr, um ihn unbeschützt in sein Werderben gehen zu lassen. Ich will ihn vor Allen von jenen Leuten ohne Treu und Glauben abwenden, von der verderblichen Ge sellschaft, in welcher die Quelle der Irreligiosität ist, aus der er die verdammte Ketzerlehre des Mönches Luther schöpft, und des Rebelliongeistes, der ihn in Conspirationen gegen die Souveräne Europa's verwickelt. Aber ich werde selbst dazu greifen, wenn es nvthig werden sollte, mich mit den Behorden in Einverständniß zu setzen, um ihn diesem Abgrunde zu entreißen — — denn lieber will ich ihn auf höhern Befehl in einer guten Zelle eines Eurer Kloster ver wahrt wissen, oder auf meiner Burg Hohenheim, als ihn in Gesellschaft des Estienne Dolet, Mun zels oder anderer Banditen dem Galgen oder Schei terhaufen entgegen rennen sehen. . . — Ia wohl, das leuchtet ein. — In diesem Augenblicke trat ein Page ehrfurchts voll ins Zimmer, und übergab dem Kanonikus einen Brief, den der Doktor Paracelsus ihn hatte zu stellen lassen. Eifrig erbrach ihn Cornelius von Lichtenfels. — Seht doch! sagte er mit einem erzwungenen Lächeln und reichte das Papier dem Prior. Ich bin entzweit mit Eurem Neffen, Euret


186 wegen ohne Zweifel. -Cr verlangt die Zahlung sei nes Honorars. . . — Gut! antwortete Christoph, wir müssen daraus Vortheil ziehen, um Zeit zu gewinnen. Seine Forderung ist übermäßig. Antwortet ihm, daß Ihr sie vom Magistrate würdet reguliren lassen. — O, mein Gott, sehr gern! erwiederte, der Kanonikus mit entgegenkommender Freundschaft. Für Euch bin ich zu Allem bereit! Und er kritzelte sogleich einige Zeilen zur Antwort an Paracelsus. Zu derselben Stunde erhielt Paracelsus die unverschämten Zeilen des Kanonikus und einen Brief folgenden Inhalts: „ Der Doktor P a r a c e l su s wird ohne Zwei„fel nicht Diejenigen vergessen haben, die er „durch so wesentliche Dienste sich verbunden hat. „Der Graf Nein ach hegt den dringenden „Wunsch, ihn wiederzusehen. „Für meine Person füge ich hierüber Nichts „hinzu. — Aber ich hoffe, daß die zahlreichen „Pflichten, welche ihn in Anspruch nehmen, ihn „nicht hindern werden, der Einladung seiner „Freunde Folge zu leisten, und ich rechne für „diesen Abend auf ihn." Placida, Gräsin von Rein ach.


Leicht werden wir uns den Aufruhr erklären, den diese unerwartete Einladung in der Seele des jungen Arztes hervorrief; aber nie würde er geahnt haben, daß beide Briefe, die er so eben empfing, von demselben' Geiste diktirt, durch dieselbe Triebfeder ins Leben gefordert wären. Nachdem näm lich Christoph von Hohenheim Cornelius von Lichtenfels verlassen hatte, begab er sich so fort in größter Eile zum Grafen Rein ach. Unmit telbar nach diesem Besuche hatte der alte Georg Placida beauftragt, den Doktor Paracelsus zur heutigen Abendgesellschaft einzuladen. — Dieser junge Mann, sagte er zu seiner daruber in Verwun derung gesetzten Gemahlin, hat mir einen zu wichti gen Dienst geleistet, als daß ich nicht trachten sollte, ihm, wie ich kann, nützlich zu werden und ihn daher vor Allen den abscheulichen Verbindungen zu entzie hen, denen er sich hingiebt und die ihn unwiderruf lich in's Verderben ziehen werden. Dieser angeführte Grund musste die Gräsin so fort bestimmen, dem Wunsche ihres Eheherrn zu willfahren. Aber war dieß' wirklich die wahre Ab sicht des Grafen Reinach? Gewiß ist, daß wenn diese seinem Charakter so ungewöhnliche Aeußerung des Wohlwollens nur eine List war, ihm diese dop pelt gelang: einmal bei der Gräsin, welche trotz der Weigerung, welche sie zuvor an den Tag gelegt hatte, die Einladung an Paracelsus schrieb, dann


IM bei diesem selbst, denn am Abend wurde beim Gra fen Reinach „der Doktor Paracelsus!" ange meldet. Seine Erscheinung im Saale erregte fast allgemeine Bewegung der Gesellschaft. Der Doktor E rast, der mit Grazie auf dem Sessel der Gräsin Placida lehnend, sich so eben mit derselben eifrig unterhielt, schrack zusammen und es entschlüpfte ihm ein leiser Ausruf der Ueberraschung ; während der Graf Rei nach, trotz seiner stolzen Empfindungslosigkeit, in dem er den Kopf nach der Thür wandte, ei nen Strahl der Freude in seinem Blicke unterschei den ließ. Paracelsus blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und sandte einen raschen Blick im Saale umher, senkte aber sofort die Augen, als sie auf die der Gräsin Placida trafen, und schritt langsam im Saale vor. Er hatte damals wieder die Tracht der Studenten angelegt, wie er sie zu Paris getragen^ und wahrlich in diesem schwarzen anspruchslosen Kleide, bei seinem schüchternen Wesen und einige Verlegenheit ausdrückenden Gange, schien Nichts die allgemeine Aufmerksamkeit zu rechtfertigen, deren Gegenstand er geworden war. — Der schwarze Doktor hat wenig Anstand auf seinen Reisen gewonnen! flüsterte Era st leise der Gräfin zu, während diese sich erhob, um dem jun gen Arzte entgegen zu gehen. — Er scheint mir noch


IM , eben so geistreich und liebenswürdig zu sein, als er zu Paris war. Placida antwortete nicht, und indem sie dem Paracelsus entgegentrat, der sie ehrfurchtsvoll und schweigend begrüßte, empfing sie diesen mit der ihr eigenen Anmuth und den Worten: Ihr seid sehr gütig und wir wissen Euch Dank, daß Ihr Euch Eurer alten Freunde erinnert und sie mit Eurem Besuche beehrt. Diese gewöhnliche Formel der Höflichkeit schien Paracelsus empfindlich zu berühren. Er verbeugte sich und antwortete ohne die Augen zu erheben mit gedämpfter und bewegter Stimme: — Es ist so lange her, gnädige Frau, seitdem ich so glücklich war Euch zu sehen, daß ich es nicht wagte, mich Euch vorzustellen; — ich hätte gefürchtet — — Ihr werdet uns stets viel Ehre und Vergnügen erweisen, Herr Professor, wenn Ihr uns Eures Besuches würdigt. — Wir wissen sehr wohl, daß Eure Zeit höchst kostbar ist, und werden es um so dankbarer erkennen, wenn Ihr uns zuweilen einen kleinen Theil derselben zu widmen gedächtet. — Zur Dankbarkeit bin wohl nur ich verpflich tet, erwiederte Paracelsus, seinen Worten einen beziehenden Nachdruck gebend; ich rechnete wenig, ich gestehe es, auf ein so wohlwollendes Andenken. — Der Graf Rein ach, antwortete rasch Pla, cida, hat vorzüglich den Wunsch geäußert, Euch


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wiederzusehen; ich glaube, er wünscht Euch seinen Dank auszudrücken für die durch Euch ihm wider fahrene Hilfe. Sie neigte mit Anmuth ihr schönes Haupt gegen Paracelsus und kehrte zu ihrem frühern Platze zurück. P a r a c e l su s folgte ihr einige Schritte , wech. selte einen stummm Gruß mit dem Grafen Reinach, der in das Wesen seiner herabsehenden Kälte zurückgesunken war, stand dann still und lehnte auf einen Sessel, der hier unbesetzt stand, indem er die Versammlung weniger mit beobachtenden als mit zerstreuten Blicken überschauete. Nach einigen Augenblicken jedoch verließ den Gra fen Reinach seine Unbeweglichkeit und er trat zu Paracelsus, der, in träumerische Betrachtung ver senkt, durch des Grafen Annäherung daraus geweckt, diesen mit durchdringendem Blicke und leicht gefalteter Stirn anblickte. Der Graf blieb stehen. — Ich bin höchst erfreut, Euch wiederzusehen. — Mein Herz drängte mich, meinem Retter zu danken. — Ich that meine Pflicht, Herr Graf, ant wortete Paracelsus mit einigem Stolze; ich bin dafür belohnt, und Ihr schuldet mir keinen Dank. Georg Reinach schwieg einen Augenblick.— Ich würde mich außerordentlich geschmeichelt fühlen, begann er wieder, wenn ich während meines Auf enthaltes zu Basel so glücklich wäre. Euch häusig bei mir zu sehen.


IM — Es würde mich ebenfalls sehr beglücken, er« wiederte Paracelsus mit besonderem Nachdrucke, aber mir bleibt wenig Freiheit. Ich besuche nie Gesellschaften. — Ich wünschte sehr, daß Ihr mein Haus als das Eurige betrachtetet, fügte mit eindringlicher Bitte Georg Reinach hinzu. . > Paracelsus konnte sich des Erstaunens dar über nicht erwehren; er machte eine leichte Verbeugung. — Ihr könnt Euch überzeugt halten , Herr Graf, entgegnete Paracelsus mit einiger Bitterkeit, die nicht frei von Ironie war, daß es sehr wider meinen Wunsch und Willen geschieht, wenn ich mich von Eurem Hause fern halte — und daß ich ebenso Eure Güte dankbarlichst anerkenne. Es war nicht zu verkennen, daß Placida, wäh rend sie den Reden Erast's und der übrigen um sie herstehenden Herren zuhorte, mit einer gewissen ängst lichen Spannung zugleich die Unterhaltung des Gra fen mit Paracelsus beobachtete. Erast gewahrte ihre befangene Zerstreutheit und warf die Bemer kung hin: — In der That, es scheint als geschehe es hier, wie in der heiligen Schrift: die Blinden sehen, die Stummen sprechen, und was noch mehr ist, sie spre chen sogar miteinander. — Ich glaube gehört zu haben, erwiederte P l a


192 cida lächelnd, daß der Doktor Paracelsus nicht immer stumm sei, vielmehr zuweilen sehr gut zu sprechen wisse. Era st biß sich in die Lippen. — Ia, es ist ein Mann von Geist — wenn er vor Narren redet, entgegnete er leichthin, und darum spricht er ohne Zweifel so wenig in unserer Gegenwart. — Das glaube ich sehr gern! sagte Placida lachend, denn wir sind die Klugen und nicht die Narren! — Der Graf Rein ach selbst hat alle seine Liebenswürdigkeit, aber, wie es scheint, vergeblich auf gewendet. Es ist Schade, daß er diese Erfahrung beim ersten Besuche macht; er hat sich viel Mühe bei dem Unbeholfenen gegeben; aber es wird dieser Ver such ihn wohl für künftig abschrecken. — Seh't, wie sich Beide betrachten! Man müsste sie malen! Der Graf Reinach verließ Paracelsus und setzte sich wieder in seinen Sessel, welcher neben dem Kamine stand. , Placida stand auf und näherte sich ihm: — Nun? fragte sie ihn, Ist Euch Eure gute Absicht mit dem Doktor gelungen? — Vielleicht; antwortete Georg kalt, aber nicht Euch verdanke ich es. — Weßhalb? Der Graf schwieg.


iö3 — Es scheint mir, daß ich meine Schuldigkeit als Wirthin beobachtet habe. . < Ihr Gemahl zuckte die Achseln. — Ihr konntet ihm nicht zwei Worte sagen, um ihn zum Wiederkommen zu bestimmen , statt ihn allein in einer Ecke stehen zu lassen? — Mein Gott! Euer plötzlicher, lebhafter Wunsch ist mir räthselhaft; doch beruhigt Euch, ich werde noch heute Abend mit ihm sprechen. Sie durchwanderte noch ein- zweimal ungezwun gen den Saal, und befand sich alsdann neben P aracelsus, dessen brennendes Auge ihren Spuren folgte und sich in ihrem Anschauen berauschte. Ihr wisst, daß ich Euch noch Etwas zu fragen wünschte, Herr Professor?! Ich hoffe, Ihr werdet so gütig sein, so lange heute Abend zu ver weilen, daß ich Euch ungestort sprechen kann. , — Ich bin stets zu Euren Diensten bereit, gnä dige Frau, erwiederte in Aufregung Paracelsus. Placida, ohne weiter zu hören, ging rasch vorüber und näherte sich ihrem Gemahl. Allmälig verlor sich die im Saale versammelte Gesellschaft. In einer dunkeln Ecke dieses ausgedehnten Saales, auf die Sculpturen des Kaminmantels gelehnt, stand Paracelsus, wie von der ganzen Gesellschaft ver gessen. Von hier aus hatte er sie beobachten können, sie scherzen und lachen horen, und vor ihm vorüber gehen sehen mit der anmuthsvollen Würde und der II. , 13


majestätischen Grazie, die sie mit solchem Zauber umfloß , daß das beobachtende Auge zu hinreißender Be geisterung verführt wurde. Er war glücklich: er sah und hörte sie, und seinem Herzen genugte es, daß ein nach seiner Seite gerichteter Blick ihm sagte , seine Anwesenheit sei nicht vergessen, sie denke auch entfernt seiner. Schon hatte sich der Graf Rein ach auf sein Zimmer zurückgezogen. Bald befand sich Placida mit dem jungen Arzte allein. Sie schien in diesem Augenblicke fast eben so be fangen als er; ihr Auge senkte sich als wollte sie dem Feuer von Paracelsus Augen ausweichen. Er fühlte seine Befangenheit von Moment zu Moment sich steigern und brach daher, den Sturm feines In neren zu beschwichtigen, zuerst das Schweigen. — Gnädige Frau, sprach er, indem seine Stim me erzitterte, Eure Güte hat mich noch zurückgehal ten. Ich erwarte Eure Befehle. Placida, ohne die Augen aufzuschlagen, ant wortete: — Ich xmß in der That Eure Entschuldigung erbitten, daß ich so lange Euch aufhalte. Aber, was ich Euch zu sagen habe, verbietet das Ohr eines Drit ten, und doch — gestehe ich, weiß ich nicht, wie ich beginnen soll. — Ich bin auf Alles gefasst, gnädige Frau; ich werde Alles ertragen, was Ihr mir auferlegt — nur nicht Euren Zorn oder Eure Verachtung, und


195 ich hoffe, weder das Eine noch das Andere verdient zu haben. . — Nein; denn ich hege im Gegentheile das un begrenzteste Vertrauen zu Euch, und den stärksten Beweis davon gebe ich Euch durch .den Schritt, wel chen ich thue, in diesem Augenblicke. — Ihr habt heute Abend den Grafen Reinach gesehen; Ihr habt mit ihm gesprochen; was sagte er Euch? — Er hat mich gebeten, gnädige Frau, wieder zukommen. — Ich erwartete es. Er hat mich beauftragt, in seinem Namen, und — in dem meinigen, diese Bitte zu wiederholen. Paracelsus verrieth innere Ausregung. — Nun aber, fuhr sie fort, indem sie den Kopf wandte, und ihm nicht zu antworten erlaubte, ent ledige ich mich hiermit dieses Auftrages, indem ich Euch bitte — nicht wiederzukehren. Ein Seufzer drängte sich aus Paracelsus Brust. Er stand schweigend, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt. — Seht hierin, ich bitte Euch innig, keine Härte, keine Absicht, Euch zu verletzen. Ich hege zu viel Achtung und Freundschaft für Euch. Findet darin Nichts als eine bittere Nothwendigkeit für uns Beide. — Fahret nicht fort, ich beschwöre Euch; ich er kenne Euer Urtheil als ein gerechtes. Auch hätte ich


196 nicht gewagt, vor Euch zu erscheinen, hättet Ihr nicht selbst — Nicht ich, der Graf Reinach bat um Eure Gegenwart. Und weil ich wusste, welche Sprache er heute Abend gegen Euch führen würde, so habe ich deßhalb den Schritt gethan, Euch allein hier bei mir zurückzuhalten, nur um Euch zu bitten, daß Ihr seinem Verlangen nicht willfahren sollet. Dieß Alles muß Euch befremdend scheinen, ich gestehe es. Doch mein Vertrauen zu Euch lässt mich Alles wa gen. — Ihr spracht mir von Euren Schmerzen, Eurem Kummer und daß Ihr Milderung suchtet in der Entfernung. — Warum wolltet Ihr darin nicht verharren? Bei der Neigung selbst, die Ihr mir of fenbart habt, erbitte ich von Euch, daß Ihr nicht zurückkehrt, mich wiederzusehen. Ich bin überzeugt, daß Euer Herz mir Gerechtigkeit widerfahren lassen wird , und daß Euer Gewissen an meiner Stelle Euch ebenso zu handeln zwingen würde. — Ich, gnädige Frau, rief in wärmster Be geisterung Paracelsus; ich verehre Euch, wie ich Euch liebe! Wenn meine ganze Seele die Liebe zu Euch erfüllt, so ist mein Herz zugleich der Tempel, der nur Verehrung, nur Wünsche für Euch zu ber gen im Stande ist! — Doch Nichts mehr! Ich wünsche in das Exil, wohin Ihr mich schickt, ' wenigstens Eure Achtung mit fortzunehmen, die mein Stolz ist.


197 — Ihr erhaltet heute den vollkommensten Be.weis davon. Gewiß, für keinen Anderen als für Euch würde ich thun, was ich heute that. Glaubet nicht, daß die gewöhnlichen Galanten«n, von denen ich umlagert werde, mich die Wahrheit Eurer Ge fühle und die Aufrichtigkeit Eurer Worte verkennen lassen. Auch ich wünsche Eure Achtung zu behalten Die Freundschaft zu Euch, das einzige Gefühl, das ich Euch widmen darf, ist mir Werth. Und Ihr wer det deßhalb das Opfer erkennen, das ich bringe, in dem ich den einzigen wahren Freund, dessen ich mich erfreue, von meiner Seite entferne. — Ihr int.' rief mit Feuer und<Heftigkeit P aracelsus; denn wäre ich nur Euer Freund, würdet Ihr mich aus Eurer Nähe bannen? Nur Freund schaft sollte ich zu Euch hegen! O, der ganzen Welt bin ich Freund! Ueberzähle ich meine Freunde, sie sind mir alle gleich theuer. Aber Ihr, Ihr seid einzig für mich, das Gefühl, das für Euch in meinem Her zen brennt, entsteht nur einmal und für immer. Placida stand auf. —- Verzeiht, ich will meinem Munde und mei nem Herzen Schweigen gebieten. Placida blieb, wandte aber den Kopf ab und senkte die Augen: — Ich bin nicht erzürnt auf Euch. Aber mein Wunsch war, nur einen Freund in Euch zu wissen, auf den ich stolz gewesen wäre. Ich spreche mit dieser


Offenheit zu Euch, weil Euer Wohl mir sehr am Herzen liegt, weil ich Euch als einen Freund be trachte, auf den ich bis zum Ende meiner Tage baue, von dem ich mich aber auf eine Zeitlang trennen soll. — Diese Zeit wird sehr lang sein, wenn Ihr darauf rechnet, daß die Gefühle meines Herzens sich ändern sollen! Doch, ich unterwerfe mich Eurem harten Urteilsspruche, ich hatte ihn früher mir selbst auferlegt — und so sagt mir denn mein Herz, daß ich nie Euch wiedersehen werde. Es war ihm unmöglich mehr zu sagen; die in nere Bewegung erstickte seine Stimme. Er barg das Gesicht in seine. Hände , um nicht Thränen blicken zu lassen, deren er sich schämte. — Nicht diesen Abschied nehme ich von Euch an; erwiederte Placida nach kurzem Schweigen. Warum wollen wir uns die Zukunft schwärzer malen, als sie gewiß nicht sein wird. So wisset denn, daß ich um Eurer selbst willen, um Eurer Ruhe und Sicherheit willen, diese mir selbst schwer werdende Trennung verlangen muß. Fraget nicht, vertrauet mir und sehet nur ein Verhängniß darin, das nicht ich Euch auferlege. Ich fordere im Grunde nicht viel von Euch. Wir werden Freunde in der Ferne wie in der Nähe bleiben. Seid meiner Gefühle für Euch gewiß, wie ich mich der Eurigen versichert halte; und ich hoffe, daß überall, wohin Ihr Eure Schritte lenken werdet, Ihr mir Beweise Eures Andenkens


199 geben werdet, das mir für immer theuer ist. — — Denn ohne Zweifel werdet Ihr Basel alsbald verlassen? — Basel verlassen! rief Paracelsus rasch den Kopf erhebend. Wie! was bringt Euch zu die sem Gedanken? — Ihr seid hier von Gefahren und Nachstellun gen umgeben, hat man mir gesagt; Ihr habt hier Feinde, und vielleicht noch böswilligere Freunde. — Gefahren ! sie können nie mich von dem Orte trennen, in dessen Nähe Placida weilt. Verbannt mich aus Eurer Gegenwart, Ihr habt das Recht dazu, aber gönnt mir die Freiheit, die jeder Ein wohner Basels genießt, dem Glücke zu verdanken, daß ich Euch begegne , das Geräusch Eurer Feste zu hören, die Mauer nur zu sehen, die meinen Augen Euch entzieht — meinem Geiste und Herzen wird sie Euch nie entziehen! — Wisset, um zu leben, ist es meinem Herzen Bedürfnis), zu wissen, wo Ihr seid, das Haus zu sehen, das Euch birgt, der Rede zu horchen, die von Euch erzählt, Euch nur zuweilen und von fern zu schauen in der Blüthe der Gesund heit und des Frohsinns, um das bange Sehnen zu mildern, das fern von Euch jeden Tag, jede Stunde mich verzehrt. Könntet Ihr hierüber zürnen? könnte es Euch beunruhigen und mißfallen? Fürchtet nicht ferner, daß meine Leidenschaft Euch vor die Augen trete.— Nein, nein; meine Liebe ist Wahnsinn, aber dieser Wahnsinn ist mir heilig. Mein -Herz


200 wird schweigen, so heiß auch die Flammen darin lo dern. Aber es wird nicht Euer Wille sein, mich deS einzigen Glückes zu berauben, das mir noch bleibt, Euch, Eurer unbewusst, zu lieben, und Euch aus der Ferne zu sehen. Ihr werdet nichts davon horen, es nicht sehen, nicht wissen. — Vater im Himmel! wie wenig versteht Ihr mich. Nichts wollte ich als vor den Gefahren Euch warnen, die Euch hier drohen, und Euch zugleich bitten, wenn Ihr Euch diesen entziehet, mich davon zu benachrichtigen — und mir von dem Orte Eu res Aufenthaltes Kunde zu geben. — Ist es Euer Wunsch, zu wissen, wo ich bin, warum sollte ich nicht auch wünschen, zu wissen, wo Ihr Euch be findet? — - Dann plötzlich abbrechend, wandte sie den Kopf, wie zum Fortgehen, reichte ihm die Hand und sagte ihm: Lebt wohl! P a r a c e l su s ergriff die angebetete Hand, presste sie an seine Lippen und netzte sie mit heißen Thränen, die darauf perlten. — Schon ! sprach er mit erstickter Stimme. Noch einen Augenblick nur ! Nein ! Es muß sein ! und sie suchte ihm ihre Hand zu entziehen. Paracelsus war auf die Kniee gesunken. Nur einen Blick, einen Blick noch wie ehe


mals! Damit ich noch einmal Euer Auge schaue, und den Trost für meine Verbannung darin lese. Placida wandte den Kopf und den zu ihren Füßen hingesunkenen Jüngling mit einem unbeschreib lichen Ausdrucke der Güte, der Zärtlichkeit und des Mitleids anblickend, drückte sie ihm fest die Hand und sprach mit innigem Gefühle zu ihm. — Lebt wohl!— Lebt wohl! Denkt an mich! Und — wenn Ihr mich liebt, denkt an Euch! Eiligst verließ sie dann Paracelsus, den sie in Schmerz versunken zurückließ. Als er wieder zu sich kam und den Saal ver ließ, fand er einen Pagen mit einer Fackel, der be auftragt war, ihn nach Hause zu geleiten. — Die Frau Gräsin, sagte der Page zu ihm, als er ihn vor seiner Wohnung verließ, hat mich noch beauftragt, den Herrn Doktor zu erinnern, daß sie zu wissen wünsche, welchen Entschluß der Herr Doktor fassen werde. Es liege ihr sehr daran, Nachricht darüber zu erhalten. — Du wirst ihr in meinem Namen danken und ihr versichern: daß ich ihren Befehlen gehorsa men würde, antwortete Paracelsus und trat in sein Haus. Auf seinem Zimmer, allein und un gestört, konnte er sich ganz der Leidenschaft seiner Liebe und dem Aufruhr seines Geistes hingeben. Dieser Abschied hatte von Neuem alle Wunden sei ner Seele geöffnet, welche die Zeit, wenn nicht ver


202 narbt, doch in jenen verdeckten Schmerz und in jene tiefe und unbestimmte Schwermuth ohne lebhaftes Bewusstsein gehüllt hatte, von dem Leiden ohne Heilung uG> ohne Trost begleitet werden. Das un erwartet ihn betroffene Ereigniß hatte aus dieser betäubenden Erstarrung geweckt und von Neuem über den bodenlosen Abgrund geführt, von welchem er alle seine Hoffnungen, alle seine goldenen Träume für die Zukunft verschlungen sah. Der Schmerz zer riß sein Herz. Das Opfer lag nicht in der Ver gangenheit, es betraf die Gegenwart, und bedrohte seine ganze Zukunft. Noch ein anderer Schmerz wartete feiner, der den ersteren in den Hintergrund drängen, oder viel mehr sich mit diesem verschmelzend ihn noch erhöhen sollte. Es war eine Botschaft von Ovorinus, welche er empfing. „Theurer Freund!" schrieb ihm der junge Baccalaurcus, „vor drei Tagen wurde die tsverne „cles (Zuatre -Nation« von der Scharwache „umringt, bei der der Criminal- Richter selbst „war, und alle dort versammelten Studen ten wurden arretirt. Du wirst schon erra„then haben, daß Fern and ez unter der Zahl „war. Man muffte anfänglich nicht, um was „es sich handelte und die Besorgniß war daher „gering. Aber bald erfuhren wir, daß eine „Untersuchung auf Rebellion und Hochverrat!)


203 „eingeleitet sei. Mehrere junge Leute sind des „anderen Tages wieder frei gelassen worden, „doch Fe.rnandez ist noch in Gefangenschaft, „zu der er abgeführt worden ist. Man hat „mir im Geheimen versichert, daß schwere Ver„dachtsgründe auf ihm lasten, und daß selbst „sein Kopf in Gefahr schwebe. Er soll der „Agent einer ausgebreiteten Verschwörung sein, „die sich durch Frankreich und ganz Deutsch land verzweigt. Ich darf Dir nicht erst die „Angst meines Herzens schildern und die des „zarten Wesens, zu dessen Beschützer Du mich „bestellt hast, unserer Genovefa. Ich ver fasse sie nur, um zum Gerichtshofe zu gehen. „Ich habe jedoch noch nicht zu Fernandez „gelangen können, der, um das Maaß des „Unglücks voll zu machen, nach dem, was ich „erfahren habe, in seinem Kerker schwer er krankt ist.— O, wie sehr wünscht mein Herz „Deine Anwesenheit! Du weißt, daß es mir nicht „an Verbindungen, selbst nicht im Parlamente, „fehlt, und ich zweifele nicht, daß, wenn Du „hier wärest und zu meinem Einflusse Dein „hoher Ruf und Deine Einsichten und Erfah rungen sich gesellten, wir Fernandez retten „könnten, oder wenigstens ihm in seiner Ge fangenschaft Erleichterung gewähren würden. „Ich habe selbst das Versprechen erhalten, in


204

.

„sein Gefängnis) eingelassen zu werden, eine „Begünstigung, die weder einem anderen Ge„fangenen noch einem anderen Bittsteller ge„ währt wird. Aber ich, was vermag ich ihm „zu leisten, wenn er krank ist? — O, Freund, „daß Du doch hier wärest! „Mir ist die Versicherung gegeben, daß Du „diese wenigen Zeilen schnell und sicher zu Basel „empfangen würdest, wo, wie ich erfahren „ habe, Du angekommen und im Triumphe ein bezogen bist."

Diesem Briefe waren noch folgende Worte zu gefügt: „Mein Freund, ich verlange nach Dir und „erwarte Dich." ' „Genovefa." Leicht ist die Aufregung zu ermessen, die bei dieser Nachricht in Paracelsus Gemüthe entstehen muffte. Basel zu verlassen I war die Aufgabe. Und wir haben so eben aus seinem Munde gehört, wie mächtig für ihn das Band ist, das ihn an diese Stadt fesselt. Aber eine heilige Pflicht rief ihn fort von hier, Genovefa's Thränen zu trocknen und in Fernandez's Kerker zu eilen. So schwer auch seinem Herzen ein solcher Ent schluß werden muffte, er entschied sich auf der Stelle zur Abreise. Es würde bei jedem Anderen uns nicht


205 in Verwunderung haben setzen können, wenn er an gestanden hätte, sich unter diesen Umständen nach Paris zu begeben und den Behörden, welche Fer nande; richteten, den Kopf eines Menschen entgegen zu tragen, ver, wenn auch wider seinen Willen und in der edelsten Absicht, dennoch völlig in alle Tiefen und Geheimnisse der Verschwörung eingeweiht war, deren Fäden aufzufinden und abzuschneiden man so eben im Begriff stand. Aber in der Seele deS jungen Arztes hatte eine solche Befürchtung kein Gewicht, wo es die Erfüllung einer Pflicht galt. Sobald er seine Angelegenheiten geordnet und einige Vorberei tungen getroffen hatte, schrieb er einige Abschiedsworte an die Gräfin Reinach, indem er ihr seine Abreise nach Paris meldete. Während dieser Zeit befand sich Christoph von Hohenheim bei dem Grafen Reinach. Er erfuhr so eben den ersten Erfolg des Verfahrens, das Georg auf seinen Rath eingeleitet hatte. — — Nun wie steht's mit dem Doktor? — fragte er in seiner jovialen Vertraulichkeit. — Werden wir uns künftig des Vergnügens seiner Besuche ersreuen? — Vielleicht I antwortete lakonisch der alte Graf. — Wetter! das Wort klingt wenig befriedigend. Wie, selbst die Gegenwart dieser liebenswürdigsten aller Frauen hat ihn nicht vermocht? Ah, Ihr habt gewiß es nicht gewollt, schöne Gräsin, sonst hätte er unmöglich widerstehen können.


206 — In der That, Herr Großprior, antwortete Placida mit ruhiger Würde, mir ist Eure ängstliche Sorge, die Ihr tragt, unerklärlich. Die hohe Stel lung des Doktor Paracelsus, vorzüglich aber fein edeler Charakter scheinen mir unvereinbar mit den Be sorgnissen, welche Ihr uns mittheilt. Christoph schüttelte den Kopf.

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— Seid versichert, schone Gräsin, daß, wenn ich Besorgnisse äußere, diese nicht ohne Grund sind. Ich werde nicht eher beruhigt sein, als bis ich ihn auf meiner Burg Hohenheim geborgen weiß, von mir und meinen Vasallen wohl verwahrt. — Mein Gott, Herr von Hohenheim, Ihr floßt mir wahrhaftig Furcht ein. Wenn sein Leben wirklich bedroht ist, warum benachrichtigt Ihr ihn nicht. Christoph von Hohenheim schnitt ein Ge sicht, das einem ironischen Lächeln glich. — Gewiß habe ich es ihm gesagt, schone Frau, aber er lacht mir ins Gesicht; ich habe ihn bei einem beiderseitigen Freunde aufgesucht, und auf meine War nung hat er mir hohnlachend erwiedert, daß das Leben ihm zur Last wäre und er nichts mehr wünsche als gehängt zu werden, und damit ist er fortgelaufen. Denn Ihr müsst wissen, daß dieß ein Mensch ist, der weder Gott, noch den Teufel, noch den Galgen fürchtet, wenn es eine feiner vertrackten Chimären gilt. — Den Galgen! unterbrach ihn die Gräfin mit


207 wenig . verhehlter Entrüstung; man hängt nicht Leute, die dem Doktor Paracelsus gleichen. — Glaubt Ihr? erwiederte Christoph hämisch. Nun, so , seht her; hier ist die Liste, welche ich so eben von Paris erhalten habe; sie enthält die Namen der Subjekte, welche des Hochverraths angeklagt sind — und das bedeutet den Galgen — und hier könnt Ihr den Namen meines Neffen, mit deutlichen Buchstaben, der Doktor Theophrastus Paracel sus lesen; er steht rnMn zwischen zweien Schurken, benamset Estienne Dolet und Fernandez, wel che in diesem Augenblicke im Gefängnisse des Chatelct zu Paris eingekerkert sitzen, wie diese Anmerkung hier Euch lehrt, und die in wenigen Tagen gehängt wer den, wenn sie es nicht schon sind. Placida durchlief mit den Augen diese verhängnißvolle Liste und blieb einen Augenblick sprachlos und bestürzt. — Aber, sprach sie endlich, der Doktor Para celsus befindet sich nicht zu Paris, und die franzö sischen Landreiter werden nicht nach Basel kommen, ihn festzunehmen. — Nein; aber ob er eben so gesichert vor den Häschern Basels ist? Beliebt es Euch, von diesem Briefe Kenntniß zu nehmen, den ich glücklicher Weise vermöge meiner Wachsamkeit und meines Einflusses unterweges aufgefangen habe? Er ist an den Raths herrn Nied er mann, den Ihr kennt, und enthält


308 einmal den freundschaftlichen Wink, ein wachsames Auge auf den Doktor Paracelsus zu haben, der das Haupt einer weitverzweigten, Umsturz bezwecken den Verbindung sei; und zweitens den guten Rath, sich seiner dadurch zu entledigen, daß man ihn in ein Loch eines unterirdischen Kerkers werfe, wo ihn weder Sonne noch Mond bescheine. — Er ist in Euren Händen dieser Brief? fragte kaltblütig der Graf Reinach. — Ia wohl, antwortete Christoph ihm mit den Augen winkend und ein Zeichen gebend, während er den Brief der Gräsin überreichte, deren Augen auf das Papier geheftet waren. Sie hatte Zeit ge habt ihn mehrere Male zu durchlesen, ehe sie den Kopf erhob und das Schweigen brach. — Nun, gnädige Frau, begreift Ihr jetzt meine ängstliche Sorge? — Ganz gewiß, Herr Großprior, und alle Eure Freunde — sämmtliche Freunde des Doktor Para celsus — sollten sich beeifern, Euch darin beizuste hen. Dann erhob sie sich, ging im Saale umher und blieb vor einem der großen Bogenfenster stehen. Ihr auf den Boden gehefteter Blick deutete auf reif liche und tiefe Ueberlegung. — Was wirst Du mit diesem Briefe beginnen? fragte leise der Graf Reinach. — Ich werde zu seiner Zeit den passenden Ge brauch davon machen, antwortete Christoph mit noch leiserer Stimme. — Dann sprach er laut: —


209 Dm Brief werde ich an mir behalten. Sollte dem Rathmann Niedermann eine wiederholte Auffor derung auf anderem Wege zukommen, und er sie in Ausführung bringen wollen, so hoffe ich, Einfluß genug auf ihn zu besitzen, ihn dazu zu bewegen, daß er die Strafe in eine Verbannung auf eine Burg oder in irgend einen andern Ort verwandele, wo mir hinreichende Macht zustehen wird, seine Gefangenschaft zu mildern und so unfühlbar als möglich zu machen, denn er bleibt mir immer der Sohn meines Bruders; und so sehr er sich auch gegen mich, seinen Ohm, vergangen hat, fügte er mit erhöhter Stimme und kräftiger Betheuerung hinzu, so versichere ich doch auf mein Ritterwort, daß ich ihn retten werde, es koste, was es wolle, und wenn ich gegen die ganze Baseler Miliz mit meinen Leuten und Vasallen in den Kampf treten sollte ! — Es steht zu hoffen, daß Ihr nicht zu diesem Aeußersten gezwungen werdet, Herr Prior, sagte' Placida, indem sie zu ihm hinantrat z Euer Neffe wird ohne Zweifel Euren Rathschlägen' Gehör leihen, und ich wünschte, daß mein Rath zugleich — O, wenn Ihr so gütig wäret, schöne Frau, auch Euren Einfluß dahin, wirken zu lassen. Seht, ich schließe von mir auf ihn — wer könnte Euch wi derstehen! Ihr würdet mir den Neffen retten. Ich verlange nicht, daß Ihr es in Berücksichtigung meiner thun sollt, das wäre zu viel Güte auf einmal für mich. II. 14


210 — Warum nicht? erwiederte Placida, wäh rend ein Lächeln um ihren schönen Mund spielte. — O, alsdann, schone Frau, stehe ich auf dem Gipfel des Glücks! Ietzt erschien ein Page in Reinachscher Livree und überreichte der Gräfin einen Brief, dessen Hand schrift sie zu überraschen schien. — Ist der Bote, der den Brief überbracht hat, noch da? fragte sie rasch, nachdem sie das Papier mit den Augen überflogen hatte. — Nein, gnädige Gräsin, antwortete der Page sich verbeugend; er ist in größter Eile von bannen gegangen, weil, wie er mir sagte, sein Herr sogleich sich zu Pferde setzen wollte. — Nun so , begann in lebhafter Verwir rung Placida; — sie stockte und blickte unentschie den in das Papier. — Gnädige Gräsin befehlen? fragte ehrerbietig der Page nach einigen Augenblicken. — Setzt Euch rasch zu Pferde und reitet eiligst zu dem Herrn' Doktor und sagt ihm, daß er mich erwarten solle; ich wünsche ihn zu sprechen. Der Page verbeugte sich und trat schleunigst ab. Placida war nachdenkend stehen geblieben; sie that einige Schritte im Gemache; dann klingelte sie. Ein Page zeigte sich in der Thüre. — Man soll meinen Zelter aufzäumen, und sich anschicken, mich sogleich zu begleiten.


SN Die beiden Ritter horchten überrascht und waren begierig auf die Erklärung dieser gegebenen Befehle. — Ihr seht, Herr von Hohenheim, sprach sie, sich ihm ungezwungen und mit Anmuth nähernd, wie sehr ich mich beeifere, Euren Wünschen nachzukommen. Ich bin im Begriff Eurem Neffen den Gegenbesuch zu machen, nachdem er uns neulich Abends beehrt hat. — Wahrhaftig! gnädige Frau, Ihr seid die Güte selbst. — Das ist das erste Mal, daß Ihr in dieser Sache angemessen handelt, sagte Georg. — Ich freue mich, daß Ihr mich lobt, vorzüg lich hierüber, antwortete sie mit unverkennbar bitterem Schmerze. — Wie, schöne Frau, unterbrach Christoph, Ihr wäret also unseren Absichten entgegen? — Ia; Deinem Neffen fehlt gewandte LiebensWürdigkeit, antwortete Georg; er ist schweigsam und wenig galant; somit hegt man alsbald Widerwillen gegen ihn. — Er ist zu beklagen der arme Mensch! Man muß ihm das nachsehen, schone Frau; ich werde mich dafür beeifern, doppelt erkenntlich zu sein. — Darauf rechne ich! Und Ihr seht, daß mir das genügt. — O, das ist zu viel, schone Frau! Ich beeile mich, Euch schon ,im Voraus meinen Dank abzustatten. 14*


212 Und er Hand auf, ihre Hand zu küssen; sie zog sie ruhig zurück und kreuzte die Arme auf der Brust; dann verneigte sie sich lächelnd und ging hinaus. Christoph folgte ihr mit gespannten Augen. — ,Vortrefflich! rief er freudig aus, als die Thür sich hinter ihr schloß. — Die Sache ist noch nicht abgemacht! erwiederte Georg. Er ist vielleicht noch Heller als wir. — Er wird die Falle merken. — Wie wäre das möglich, da die Gräsin selbst Nichts ahnet. Der Teufel selbst wird ihm nicht ein geben, daß sie ihn ins Verderben locken will. Paracelsus kann nur gegen mich Argwohn hegen, nun, ich verlasse 'Basel, und werde Sorge tragen, daß er sogleich von meiner Abreise unterrichtet wird. — Bald? fragte Georg. — Sehr bald; und ich rathe Dir, Freund, daß Du nicht zögerst, ein Gleiches zu thun. Die Nach richten aus Deutschland lauten immer beunruhigender; große Ungewitter ziehen am politischen Himmel herauf; in der Volksmasse, vorzüglich unter den Bauern, durch die Verschworenen bearbeitet und aufgeregt, herrscht eine Schrecken erregende GLhrung; hinter dem Panier ihres neuen Schwindelglaubens ver steckt, sprechen diese Fanatiker vom Erringen einer kirchlichen Freiheit, welche sie fordern, aber sie steuern dabei auf politische Freiheit los; denn man hört sie von ursprünglichen, allgemeinen Menschenrechten, von


Gütergemeinschaft und Gedankenfreiheit aller Menschen faseln, und es drohen diese Aufwiegler, welche sich und die Menge durch ihren schwärmerischen Gauklerglauben in künstlichen Enthusiasmus und fanatischen Paroxismus versetzen, Umsturz der Kirche, des Rechts und des Staates zugleich. — Ich für mein Theil halte es für angemessen, Basel, als den Sammel platz dieser Aufstand brütenden Verbrüderungen, hinter mir zu lassen, und ich begebe mich von hier zu Truchseß von Waldungen, dem General des schwä bischen Bundes, der in diesem Augenblicke seine Ar mee organisirt. — Eine sehr gute Maaßregel. — Ia; aber das ist noch nicht ausreichend, wie mir die Sachen scheinen; wenn die Emporer sich zu ' einer Armee vereinigen sollten, so reichen allerdings Truchsesss Mannschaften allein schon hin, sie zu Paaren zu treiben und zu zermalmen. Iedoch sie werden sich in einzelnen Banden und an allen Orten zugleich er heben. Ein Unglück würde der ausbrechende Krieg vorzüglich für diejenigen unserer Nachbaren sein, deren Burgen und Schlösser außer Stande wänn, einem plötzlichen Gewaltstreiche zu widerstehen; um so mehr, da die Verschwörer durchaus nicht geschickter Anführer ermangeln. Auch Rudolph von Rodenberg ist unter deren Zahl, und man hat mir gesagt, daß er geschworen habe, ehe ein Monat verginge, solle Rei nach in Flammen aufgegangen sein.


214 Das Gesicht des alten Grafen verzerrte sich und seine Augen sprühten :> — Rudolph von Rodenberg also! sprach er zornwüthend. — Es ist Nichts als eine höhnende Großprah lerei; doch, wie dem auch sei, so rache ich Dir, ehe er dort hinkömmt, nach Reinach Dich zu begeben. Vortrefflich wäre es, konntest Du dann zu gleicher Zeit den Doktor ins Schlepptau nehmen; dann sollte er uns nicht wieder entwischen. Doch das hängt nur allein von Dir ab; ich habe das Meine gethan, und überlasse Dir jetzt alles Uebrige. — Verlaß Dich auf mich. — O, dann wäre Alles gewonnen! Ruhm, Reichthum, Macht. Denn ich habe es aus seinem eigenen Munde gehört: — „Gold," sagte er stolz, „werde ich stets besitzen so viel ich bedarf!" — Verstehst Du wohl, Georg? — Ach, wenn wir ihn erst fest hätten! — Doch, wenn Deine Frau will, so kömmt er. — Meine Frau! Was ich thue, ist viel; — aber, Gott sei Dank, ich fürchte Nichts; denn Placida ist einmal zu stolz und hat zweitens zu guten Geschmack, um an die Eroberung eines sol chen Menschen zu denken. Beide fuhren noch fort, ihre Reisepläne, ihre Projecte und Hilfsquellen zu besprechen, und kamen > darin Lberein, daß Georg von allen Ereignissen zu


2t 5 Basel Christoph in Kenntniß setzen, daß dagegen der Prior dem Grafen Reinach über Alles, was sich in Deutschland ereignete, Kunde geben sollte, und wenn nicht außerordentliche, unvorhergesehene Vorfälle es durchaus anders nothig machten , so sollte Georg nicht eher nach seiner Burg abreisen, als wenn er den Doktor Paracelsus mit zu diesem mauerfesten Aufenthaltsorte nehme, sei es nun, daß er durch List dazu vermocht oder durch Furcht und Gewalt, mit Hilfe des Baseler Magistrats, dahin gebracht werde. — Darauf verabschiedete sich Chri stoph von seinem würdigen Genossen, undreiste ab.


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Die Abreise.

Das Zimmer des jungen Arztes zeigte damals jene liebenswürdige Unordnung, welche die Vorberei tungen zu- einer plötzlichen Reise stets zur Folge haben. Die Schränke standen offen, die Schiebkasten waren halb entleert, auf Stühle gestellt; Mantelsäcke lagen fertig gepackt und verschlossen mitten auf dem Fuß boden, und hundert Kleinigkeiten, Papiere, Instru mente und andere Gegenstände, theils ohne Werth, theils auf einer langen und beeilten Reife unbrauch bar, lagen hie und da auf dem Fußboden, auf dem Bette und auf den Tischen zerstreut umher. P ara re lsus, schon in Reisekleidern, das Baret mit der langen Feder auf dem Kopfe, Dolch, Reisedegen und Geldkatze an der Seite und im Gürtel tragend, den Mantel über die Schultern gehängt, ging mit ge kreuzten Armen und gesenktem Kopfe nachdenklich im Zimmer umher. Der Tag neigte sich und in dem schweigsamen Zimmer war kein anderes Geräusch zu hören, als das Klirren der Sporen bei seinen gleich mäßigen, langsamen Schritten.


2i7 Er blieb vor dem Fenster stehen und betrachtete einen Augenblick den Azur des Himmelsgewölbes, der eine dunkele und zugleich leuchtende Färbung zeigte, welche blendet ohne zu erhellen, wie sie die^ Abend dämmerung öfters hervorbringt. — Die Zeit verstreicht! sprach er vor sich hin; ich müsste schon fort sein! In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre und sein Diener trat ein. — Nun, Bertram, sagte der junge Arzt in ruhigem und festem Tone; Du bist langsam mit Dei nen Vorbereitungen. — Man hat mich warten lassen, gnädiger Herr, antwortete Bertram, indem er einen schweren Beu tel auf den Tisch setzte, der von dem darin befind lichen Gelde klirrte. Don Inigo bestellte mir, als er mir das Geld einhändigte, daß er Euch gern we gen seiner Schwester zu sprechen wünsche. — Wo befiehlt der Herr, daß ich das Geld hinthue? Kann die Geldkatze noch — Behalte es auf Deinem Pferde; ich bin schon bepackt genug. — Haft Du meinen Brief zum Reinachschen Palaste getragen ? — Ia, gnädiger Herr; ich gab ihn dem Pagen. Da Ihr mir sagtet, daß ich keine Antwort erhielte, habe ich nicht gewartet. — Gut. — Nimm die Mantelsäcke und sattele die Pferde. — Warest Du beim Kanonikus?


218 — Ia, gnädiger Herr; er hat mich gröblich be handelt und mir die Thure gewiesen. — Gut. — Gieb Acht auf den kleinern Mantel sack, befestige ihn genau und sorgfältig, so daß er sich nichr bewegt und aufrecht bleibt. — Hast Du meinen Brief ins Schöppenamt getragen? — Ia, gnädiger Herr; sie schienen ihn übel aufzunehmen. -7- Gut. — Bitte unten den Stallbuben oder einen Anderen, daß er Dir helfe, damit Du schneller fertig werdest. Ich komme sogleich hinunter. Der Diener hatte kaum seine Zurüstungen be endigt und die Mantelsäcke aufgepackt, als die Thlire sich wieder öffnete. P a r a c e l su s glaubte, er komme nochmals wieder. — Was giebt's noch? fragte er etwas ungedul dig, ohne sich umzukehren. — Die Frau Gräfin von Reinach — sprach eine Kinderstimme ganz außer Athem. Paracelsus erschrak und drehte rasch sich um. Es war der kleine Page, der mit dem Bqret in der Hand dastand. — Die Frau Gräsin von Rein ach, fuhr der Page fort, lässt den Herrn Doktor bitten, sie ge fälligst einige Augenblicke hier zu erwarten. Sie wünscht den Herrn vor seiner Abreise noch zu sprechen.


219 — Mein Freund , ist es wirklich die Gräfin selbst, die Euch sendet? — Die Frau Gräsin selbst. — Nun, so habt die Güte, ihr zu sagen, ihr selbst, versteht wohl — daß ich ihren Befehlen ge horsame, daß ich sie aber bitten lasse, mir ibren Willen sobald als möglich kund thun zu wollen. Der Page verneigte sich und ging. Paracelsus ging von innerem Sturme bewegt in seinem Zimmer umher. Er erschöpfte sich in Vermuthungen, oder sah vielmehr ein, daß er keine einzige für diesen Fall aufstellen könne. Bertram kam und meldete ihm, daß Alles zur Abreise bereit sei. — Ich werde noch einige Minuten verweilen, antwortete er dem erstaunten Diener. Doch sattele die Pferde nicht ab; ich kann in jedem Augenblicke abreisen wollen. Hierauf suchte er, um den Aufruhr seiner Gedanken zu beschwichtigen, eine Pargamentrolle hervor und las darin mit Aufmerksamkeit; aber seine Augen durchliefen die Schriftzüge, ohne daß fein Geist mit seinen Ideen ihnen folgte, denn er war mit einer einzigen völlig beschäftigt. Deßhalb stand er auf und lehnte auf den Balkon des Fensters und versenkte seine erwartungsvolle Unruhe in die Betrach tung des Gluthmeeres, welches die scheidende Sonne am Horizonte zurückgelassen hatte. Endlich ertönte Geräusch im Vorzimmer; die


Thür öffnete sich; Bertram meldete: Die Frau Gräfin von Reinach! Und Placida trat ein von zweien Pagen gefolgt. — Ich bin äußerst beschämt, gnädige Frau — redete er sie mit mehr Ruhe an, als er gehofft hatte, — daß ich Euch in einem Orte empfangen muß, der fo wenig Eurer Person würdig ist, doch ich hoffe, Eure Güte wird die Unordnung, welche eine schleunige Reise verursacht , entschuldigen. — Bertram, Sessel.' — Bertram befreite einen Sessel und stellte ihn der Gräfin hin, und ging nach einem empfangenen Zeichen mit den beiden Pagen hinaus. Es entstand eine Pause. Einige Schritte von der Gräfin ent fernt stand Paracelsus und heftete seine Augen in der Erwartung auf sie, daß sie ihn über den Grund ihrer Anwesenheit unterrichte. — Ich begreife, brach sie endlich das Schwei gen, daß Ihr erstaunt seid über mein Erscheinen bei Euch; aber Ihr werdet diesen Schritt -alsbald gehö rig würdigen und richtig deuten, wenn ich Euch die veranlassende Ursache angebe. Ich habe den Brief, der mich von Eurer Abreife nach Paris in Kenntniß setzt, empfangen, und komme — Euch zu bit ten, daß Ihr diese Reise nicht unternehmet. — Warum nicht? gnädige Frau, antwortete Paracelsus, indem er seine anscheinende Festigkeit


221 zu behaupten suchte; riethet Ihr mir nicht selbst, Basel zu verlassen? . . . — Ich that es , weil ich damals nicht wusste, was ich jetzt weiß. Eure Freiheit und Euer Leben ist zu Paris noch mehr bedroht als hier, und — — O, ich danke Euch innigst für diese Besorgniß! erwiederte Paracelsus mit Wärme. Ich fühle mich Euch dadurch unendlich verpflichtet! aber ich versichere Euch, daß man die Gefahren, die mich erwarten, bei Weitem drohender geschildert hat, als sie in der That sind. — Glaubt das nicht! unterbrach ihn Placida. Diese Zuversicht stürzt Euch ins Werderben! Ich selbst habe mit eigenen Augen eine Proscriptions -Liste gesehen, welche Euren Namen enthielt! — Warum wollt Ihr Eure Ruhe durch dieß Alles unterbrechen lassen, gnädige Frau, sprach Pa racelsus in bitterem Schmerze, während sein über wallendes Herz die Kälte zu verscheuchen drohte, die er äußerlich- zu behaupten strebte. Ich verdiene nicht, der Gegenstand Eurer theilnehmenden Sorgfalt zu sein. Lasst mich meinem Schicksale entgegen gehen, das der Himmel mir bereitet. — Ich selbst sorge nicht darum. — Diese Sorglosigkeit gerade mache ich Euch zum Vorwurfe. Hort mein Bitte: verzichtet auf diese Reise nach Paris. Der Kerker, der Eure Freunde einschließt, erwartet Euch dort; und ich


222 zittere bei dem Gedanken allein, vielleicht der Tod 'ist's — Auch der Tod ist willkommen! — Mein Gott, wie sprecht Ihr! Ihr bedenkt nicht — Doch, ich bedenke; — — ein Leben ohne Hoffnung — ist schon beendet, noch ehe der Tod hinzutritt. Was kann der Tod darin ändern ? Meine Zukunft kann nur fortan noch eine Kette von Schmerzen, ohne Ende und ohne Trost sein. Ich gestehe es Euch aufrichtig, weil ich mein Herz offen vor Euch lege: ich war nur noch durch das einzige Glück, Euch sehen zu dürfen, an das Leben geket tet; jetzt, da auch dieses Einzige das Geschick mir entwindet, so bleibet nichts für mich Wünschenswerthes; nur meiner Pflicht, keiner Hoffnung mehr, habe ich zu leben; ist diese Pflicht mit Gefahr ver bunden, nun gut; — sie ruft mich nach Paris, wohlan, ich gehe ! Es entstand eine Pause. ihre Hand gestützt.

Placida blieb auf

— Verzeiht, gnädige Frau — begann Paracelsus nach einigen Augenblicken — dieser Ergie ßung meines Herzens. Ihr werdet mich schwach fin den, — aber nirgends sonst hat je mir Kraft gefehlt und nirgends sonst soll man den Mann in mir ver missen. Nur Ihr, niemals die Welt hat je mich


223 schwach gesehen. Verzeiht der Schwäche meines Herzens, ich bitte Euch! — Ihr habt mir wehe gethan, antwortete Pla ck da mit bewegter Stimme. Ich komme, Euch von der Reise nach Paris zurückzuhalten, indem ich Euch die große Gefahr derselben zeige, und ich erfahre, daß Ihr diese gerade wünscht, und muß hören, daß ich die Ursache sei; was ich wohl nicht verdiene. — Verzeiht dem Unglücklichen! bat flehend Pa racel su s ; Welch' unglückliches Verhängniß schwebt über mir '. — vielmehr welch' unglückselige Stimmung meines Geistes reißt mich fort, so oft ich Euch sehe — als wäre mein Loos, Euch nur zu, betrüben und je des meiner Worte — Ihr bereuet? unterbrach ihn Placida mit liebevollem Tone und augennassem Lächeln. Nun so beweiset, daß Eure Reue aufrichtig ist und unter werft Euch meiner Leitung, sie soll nicht hart, nicht bose sein. Paris bringt Schrecken Eurem Leben, und Basel droht Euch Gefahr. So flüchtet in einen sicheren Hafen, bis der Sturm vorüberzieht. Euer Onkel, der Graf zu Hohenheim. — Christoph! Also er sprach zu Euch? — Ia; er zeigte die größte Bekümmerniß um Euer Loos; ich weiß, Ihr beklagt Euch über ihn; je doch bei diesen Umständen, wo sein Beistand und die Mittel, über die er, gebietet — — Ah, ich begreife! sprach Paracelsus mit


224 ausdrucksvoller Betonung. Der Krieg zwischen uns beginnt! Da ist der Christoph wieder! ich erkenne ihn! Er bietet mir eine Zuflucht auf seiner Burg, ist es nicht so, g..Mge Frau? — Ia, antwortete Placida, ganz betroffen über den Ton, mit welchem diese Worte gesprochen wurden. — Ganz recht. Er bietet mir als Zufluchtsort den Kerker, worin er Sigismund mordete! — Wie sagt Ihr? — Gnädige Frau! zu wohl kenne ich Christoph von Hohenheim, als daß ich seiner tückischen Treue mich anvertrauen sollte; seine Hand ist mit dem Blute meiner Freunde gefärbt, und mir reicht er sie nur, um mich in den Kerker zu zerren, wo er jene mar terte. Bei ihm entsteht weder Reue, noch bei mir Vergessen des Geschehenen. Hinter seiner vorgespie gelten Theilnahme, glaubt mir, lauert Verfolgung und Tod für mich, und ,fürchte ich auch den Tod nicht, so ist doch der Gedanke, als sein Sclave, von ihm gemißhandelt und gemartert zu sterben, ein zu schreckender Gedanke! — Gott im Himmel! was muß ich hören! rief Placida, sich von dem staunenden Schrecken kaum erholend, in welchen sie diese plötzliche Enthüllung versetzt hatte. — Wie konnte mein Herz sv scheußlich schwarze That ahnen! — Horte ich wirklich recht? Euer leiblicher Onkel trachtet Euch nach dem Leben?


SZ5 — O, ich würde ihm verzeihen, antwortete Pa ra celsus, indem er mit Lebhaftigkeit einige Schritte im Zimmer that, — wenn nur mein Leben bedroht wäre; aber nein, der Elende hat meine Freunde denuncirt, um unter ihrem Sturze auch mich zu be graben. Der Arm dieses Nichtswürdigen reicht sehr weit, er legt es in Paris an, um in Basel zu treffen. Ich sehe, ich bin dazu verdammt, meine Freunde zu verderben; meine Freundschaft selbst ist tödtlich. Ich bin's, derDolet und Fernandez den Tod bringt! Er schwieg, und stand mit gekreuzten Armen sinnend da; der Schmerz beugte sein Haupt. — Doch jetzt müsst Ihr vor Allen an Euch denken, weckte ihn Placida aus seinem Nachsinnen. Bedenkt die Conscriptionsliste, und daß auch der Ba seler Magistrat aufgefordert ist, sich Eurer zu be mächtigen. — Ich erwartete es fast, sagte lächelnd Paracelsus. — Und was denkt Ihr zu thun? Welchen Ent schluß wollt Ihr jetzt fassen? , — Für. mich bleibt keine Wahl, gnädige Frau; alles Dieß kann meinen früher gefassten Entschluß nicht ändern. — Furcht kann niemals mich davon zurückbringen. — Wie Ihr sprecht! Klugheit und Vorsicht ist nicht Furcht. Nach dem, was ich erfahre, ist die Ge fahr noch größer als ich wähnte, denn der treue, II. 15


2W schützende Freund hat sich in einen heimtückischen, nach, stellenden Feind verwandelt. Nicht nach Paris dürft Ihr, nicht in Basel dürft Ihr weilen; es muß also anderwärts sich ein Zufluchtsort für Euch eröffnen — und ich biete. Euch diesen auf der festen Burg Rei nach. — Ein namenlos freudiger Schreck mit krampfhaft schmerzlichem Zucken durchbebte P a r a c e l su s. Laut los stand er da, mit der Hand die Seitenlehne des Sessels, gegen den er sich stützte, fest umklammernd: Ich ^- ich wage nicht zu verstehen, gnädige Frau, sprach er stotternd und zitternd. — Seid versichert, Paracelsus, antwortete mit liebevoller Offenheit und ernster Würde Placida, daß ich mit Ueberlcgung zu Euch spreche. Ich habe Euch schott öfters meines ganzen und völligen Ver trauens versichert; und ich kann dagegen von Euch ein gleiches Vertrauen erwarten. Ich habe Euch nie verhehlt — und kann sie Euch ohne Furcht gestehen, denn ich darf dabei nicht errothen — ich habe Euch nie die Zuneigung verhehlt, die mich an Euch fesselt. Wie könnte ich also anders, als einen Freund zu retten suchen, den ich liebe ? Ja, die Pflicht erheischt es von mir. . . — Auch von mir, gnb'dige Frau, — antwortete Paracelsus mit fester, doch von der Gewalt seiner Aufregung und dem Bestreben der Ueberwindung unterbrochenen Stimme — auch von mir erheischt die


227 Pflicht, Euer gütiges, mich bezauberndes Anerbieten — auszuschlagen. Noch gestern zeichnetet Ihr mir selber die Bahn der Pflicht vor, die in der Entfernung von Euch, welche ich suchen musste, ihre harte Bestim mung enthielt. Ich kann also such dann noch nur fern von Euch zu bleiben trachten, selbst wo Ihr gebietet, daß ich bleibe. Je größer und schwerer dieses Opfer mir wird, um so O, Ihr seht, Ihr seht, gnädige Frau, dieses Opfer wird meinem blutenden Herzen zu schwer, als daß ich's trage. Sein Haupt sank zwischen seine Hände, welche das Antlitz deckten, und er drängte im stummen Schmerze die Seufzer zurück, welche sich seiner schwellenden, schwer athmcnden Brust mit Gewalt zu entwinden strebten. . — Dieß Opfer aber werde ich nicht zugeben, durchaus nicht dulden, wo es sich um die Erhaltung Eures Lebens handelt. Ihr werdet nicht wollen, daß ein banges, herzzerreißendes Weh mir dereinst vorwerfen konnte, daß ich — Gnädige Frau, unterbrach Paracelsus sie, indem er den Kopf mit so viel Ruhe , als seine hef tige innere Bewegung es Erlaubte, erhob; ich will Euch nicht in dem Irrthume lassen, in welchen die absichtslose Dunkelheit meiner Worte Euch versetzt hat. Wenn jene erstere Pflicht mich von Euch ent fernt, so ruft eine andere, nicht minder dringende, mich nach Paris — und dieß ist der doppelte Grund, 15«


'

22»

der mich zu der Weigerung nothigt, die Euch höchst befremden muß. — Den ersten Grund erkenne ich nicht an und er füllt also weg. Welchen zweiten habt Ihr noch? — Und jene Freunde, gnädige Frau, diese Freunde, welche durch mich ins Verderben gestürzt sind, die jetzt das unselige Geschenk meiner Unheil bringenden Freundschaft in ihren Kerkern büßen, kann ich sie verlassen, darf ich sie, die meine Hilfe an rufen, dem Tode Preis geben, ohne den Versuch ih rer Rettung zu wagen? — Und das selbst auf Kosten Eurer so theuren Freiheit, sogar Eures Lebens? antwortete Placida. Mein Gott, wer sind denn diese Freunde, die Eurem Herzen so theuer sind, daß Ihr zu Ihnen eilt durch tausend drohende Gefahren, während Ihr das Heil und die Ruhe verschmäht, die ich an meiner Seite ' Euch biete? Paracelsus rang die Hände. — O, schonet meiner, gnädige Frau! bat er, und einen schmerzensvollen, flehenden Blick zum Him mel sendend: — O, erstarke mich, Vater im Him mel — flehte er — in meiner Pflicht , daß ich der lockenden Versuchung, dem schönsten, seligsten Glücke meines Lebens nahe sein zu dürfen, zu widerstehen im Stande sei! — O, bedenkt, gnädige Frau, in dem Augenblicke, wo ich verschmähe an Eurer Seite zu leben, zerreiße ich den süßesten, heiligsten Traum


229 aller meiner Tage, verwerfe ich mein höchstes, hienieden für mich zu hoffendes Glück, trete ich die Seligkeit meines Lebens mit Füßen! Bedenket den Kampf, den es mir kostet I Mein Herz weint blutige Thränen. Ein einziger Tag mit Euch zu leben, ist das Paradies, für welches ich freudig-willig mein Leben aushauchte, und ich muß — darauf verzichten! — Wer und was zwingt Euch dazu? fragte in schmerzerfüllter Theilnahme Placida. — L> , Ihr seht es noch nicht ein, und wisset es noch nicht. Wohlan, Placida, sprach er in feierlich ernster Wallung des Herzens, indem er zu ihren Füßen auf seine Knie sich stürzte; ich unter werfe mich Deinem eigenen Ausspruche; ich mache Dich zum Richter meiner Handlungen, und befrage Dich, wie ich den höchsten Richter in den Wolken thronend befragen würde. Ich habe Freunde, welche der Bruder meines Vaters, um mich zu verderben, dem Gerichtshofe als Verräther angegeben hat; diese Freunde seufzen in einem Kerker, den Urteilsspruch erwartend, und rufen mich zur Hilfe, daß ich sie aus ihren Banden befreie. — Ich habe eine Freundin, einen Engelsgenius, der über mich wacht, die über alle Gefühle und Gedanken meiner Seele gebietet, die ich mit aller Inbrunst meines Lebensfeuers liebe, liebe, wie ich nicht sollte — nun, soll ich jene, ohne ihren Hilferuf zu achten, ihrem Unglücke Preis geben, um feig der beseligenden Ruhe an der Seite derjenigen


230 zu genießen, deren schützende Liebe mich zum Sicherhcitsorte einladet? Soll ich doppelt mich schuldig machen, durch die Hilfe, welche ich verweigere und durch die Hilfe, welche ich annehme? Soll ich o, nichts mehr! — Ihr selbst, wäre ich dessen fähig, Ihr würdet, wie ich es verdiente, mich verachten. Mit Recht würdet Ihr , nicht nur aus Eurer Gegen wart, aus Eurer Erinnerung den verbannen, der sich nicht entblödet hätte, seine Sicherheit für den Preis des Lebens seiner Freunde, die er aufopfert, zu er kaufen? — Ihr wendet das Auge. O, meine Bitte ist: Antwort! Aus Eurem Munde will ich die Vor sehung vernehmen — beklaget mich — aber richtet — sagt, — daß ich reisen soll! Plqcida erhob sich rasch und reichte ihm beide Hände, und mit zitternder Stimme entwand sich ih rer bebenden Brust das, leise «ber fest gesprochene Wort: — Reiset! Der Iüngling bedeckte diese Hände mit Küssen, und als er sie hatte entlassen müssen diese Hände, da stützte er seine Stirn auf die Lehne des Sessels, welchen die Angebetete verlassen hatte. Er erhob sich, düster aber ruhig. Die Nacht rückte heran. Er ging hinab., bestieg sein Pferd und befand sich auf dem Wege nach Paris. Beschäftigt mit dem Gedanken an die Vergangenheit und von den Besorgnissen für die Zukunft erfüllt, lenkte er sein treues Roß zum Rheinftrome hin, um hier sofort


23 l zu Frankreichs Ufer überzugehen. Der Mond war am Horizonte heraufgezogen und seine Strahlen glänz ten in den Gewässern des Stromes. Bertram, der in einiger Entfernung hinter ihm ritt, sprengte plötzlich im Galopp zu seinem Herrn heran: — Gnädiger Herr, man setzt uns nach. — Wie? — Ia. Während die gnädige Frau Gräfin bei dem Herrn war, kam ein verdächtig aussehender Mensch und fragte nach Euch. Ich schickte ihn weg, und wenn ich nicht irre, so kömmt er jetzt hinter uns drein. — Nun gut, so wird er uns einholen. Wir sind nicht auf der Flucht. Wenige Augenblicke darauf erreichte ein Mensch auf ziemlich schlechtem Pferde unsere Reisenden, und indem er mit vieler Roth sein Pferd gerade vor P aracelsus Haltmachen ließ, versperrte er diesem den Weg, und reichte ihm schweigend und ehrerbietig, , seine Kappe vor ihm abnehmend, einen Brief. Bertram drängte sein Pferd sofort zwischen Beide, während Paracelsus das Siegel erbrach und die Schrift züge bei dem hellen Scheine des Mondes überlief. Seine Stirn runzelte sich und er blieb einen Moment unentschlossen. — Die Ruinen des Hospitals St. Iatob! sprach er leise vor sich, — das ist weit von hier, und ich habe wenig Zeit übrig. — Kannst Du mich geleiten?


232 wandte er sich zum Boten. Dieser verneigte sich be jahend. — Nun so Galopp! befahl Paracelsus. Und sie ritten davon, so schnell ihre Pferde sie tragen wollten. — Bertram! — sagte Paracelsus, als sie vor einem Gemäuer von armseligen Aussehen ange kommen waren — Du wirst mich hier erwarten. — Und Ihr seid Willens allein — da hinein zu gehen, und in Gesellschaft dieses Begleiters? — Sei ohne Sorgen, und erwarte mich, erwiederte der junge Arzt vom Pferde steigend. Ziehe Dich hinter jene Bäume zurück, damit Du so wenig als möglich gesehen wirst. Dort werde ich Dich finden. Und er trat in den Zusammenkunftsort, wohin man ihn gerufen hatte, eine Art Schuppen von Erde erbauet, ohne Fenster, dessen Thür mit Sorg falt hinter ihm geschlossen wurde, nachdem er mit zwei an den Seiten der Thür stehenden Männern gewisse Zeichen gewechselt hatte. Die Beleuchtung bestand nur in dem Feuer, das auf dem Heerde brannte , und nach den Launen der, hin und .her irrenden Flamme durch die aufsteigenden Rauch säulen hindurch dann und wann einen blutrothen Schein auf die Gesichter und die Waffen von sechs oder sieben umherstehenden Personen warf. Beim Erscheinen des Paracelsus entschlüpfte ihrem Munde ein gleichzeitiger Ausruf und sie traten ge meinschaftlich ihm entgegen.


JZ3 — Ich sage Euch Dank, Doktor, daß Ihr mei ner Einladung Folge geleistet habt, sprach Munz er zu ihm mit einer gewissen Ehrfurcht. Es hat uns die Nachricht Eurer Abreise, welche wir heute Abend erhielten, höchlich betrubt. — Eine gebieterische Pflicht ruft mich von Basel ab, war seine Antwort. Was begehrt Ihr von mir? — Zuerst Euren Rath, dann Euren Beistand. Unvorhergesehene und entsetzliche Ereignisse setzen uns in die Gefahr — Ich weiß, unterbrach Paracelsus. Es sind hier Brüder denuncirt und Andere zu Paris festgesetzt worden, unter Anderen Estienne Dolet und Fernandez, und ich bin so eben auf dem Wege, sie zu befreien. Ist es das, was Ihr mir mittheilen wolltet? Die Brüder sahen sich erstaunt an und schwie gen einen Augenblick. — Stets bist Du besser unterrichtet, Bruder, als wir insgesammt, erwiederte Munzer. Trotz un serer Verbindungen, durch die wir auf das Eifrigste und Schleunigste benachrichtigt werden, sind wir doch erst gestern davon in Kenntniß gesetzt worden, und schon bist Du auf dem Wege, während wir noch berathschlagen ! Auch wollte ich vor Allen erst Dei nen Rath bei dieser Angelegenheit hören. Mit einem schnellen , forschenden Blicke über schauet« P a r a c e l su s die Versammlung ; fast sämmt-

!


234 lich wendeten sie das Antlitz seitwärts, um seinem durchdringenden, funkelnden Auge sich zu entziehen, das wie vom Wiederscheine der Flamme leuchtend blitzte. — Und Ihr ruft mich herbei, meinen Rath zu vernehmen, nachdem Ihr schön Eure Entscheidung getroffen habt? Neues Erstaunen malte sich auf den sich gegen seitig anblickenden Gesichtern. ' ' — Wie das? fragte Munz er. — Nicht Dir gilt das, Bruder. Aber die Uebrigen werden mich verstanden haben. — Ist der Bruder Doktor wirklich vermögend in unserem Geiste zu lesen, daß unser Entschluß schon gefafst ist, so muß er zugleich wissen, daß nur ei» Entschluß möglich war, erwiederte mit einiger Hef' tigkeit Storck. Ist der Krieg erklärt, fo sind wir es dicßmal nicht, die ihn begonnen haben, wir sind nur auf unsere Vertheidigung bedacht.. — Und glaubt Ihr denn , das beste Mittel er wählt zu haben, wenn Ihr zu den Waffen greift? Nicht auf Eure und die Gerechtigkeit Eurer Sache wollt Ihr Euch verlassen? Die Gewalt wollt Ihr herbei rufen, die nicht in Euren Händen ist; den Kampf, der mit Eurer Niederlage und gänzlichen Verrilgung endigen muß ! — Der Friede gilt nicht besser, denn er hat uichts Anderes zur Folge, als daß unsere Brüder


SN im Kerker umkommen müssen, ließ sich ein Zweiter, Erasmus Gerber, vernehmen. — Glaubt Ihr so ihre Befreiung zu beschleuni gen? Nur um so rascher und schleuniger werdet Ihr das Nächerschwert über ihre Häupter führen. Den Weg, den ich zu ihrer Rettung einschlage, ist ein anderer. — Nach Eurer Ansicht also müssten wir es ab warten, daß wir Alle diese Nacht, morgen, jeden Augenblick festgenommen und zum Tode verdammt ' werden? erwiederte Storck. — Und warum nicht? antwortete Paracelsus kaltblütig. Auch ich gehöre zu den Angeklag ten. Dennoch eile ich nach Paris. Das Blut der Märtyrer gründet die Erfolge der Gerechten. Man schwieg. — Es fehlt uns nicht an Liebe und Eifer zur gerechten Sache, daß wir uns nicht willig ihr opfer ten, begann Storck wieder; aber heutzutage ist mit Aufopferung und Selbstverleugnung Nichts gethan. Wer wird die heilige Sache vertheidigen und sie auf recht erhalten, wenn alle Häupter unter Henkershän den gefallen sein werden? Alles würde zerstieben und ohne Rettung auf immer verloren sein. Schon ein mal auf Deinen Rath sind wir still gestanden und haben erwartet, was da kommen wird. Was haben wir gewonnen dadurch ? Das Gefänguiß des Chatelet zu Paris antwortet für Mch, und spricht, was wir


23« verloren! Wir warten abermals, und was wird die Folge sein? — Wer es unterlasse die Uebelthäter zu strafen, begeht ein Verbrechen, fügte Rudolph von Roden berg hinzu, und diese Unterlassung wird früh oder spät ihre eigene Strafe finden. Eine schuldvolle Nachsicht hat Georg Reinach damals verschont.— Heute ist es Georg Reinach, der uns anklagt und uns den Tod bereitet. — Rudolph! unterbrach ihn Paracelsus mit Entrüstung, willst Du durchaus mit Meuchel mord Deine Hände besudeln? — Ich will nur die Unschuldigen rächen, die Reinach mordete, nur die Brüder rächen, denen seine Anklage Verderben bereitet! Es ist uns wohl bekannt, daß Georg Reinach und Dein Onkel Christoph die Brüder denuncirt haben. Sie grei fen uns also an, und uns sollte die Vertheidigung nicht erlaubt sein? — Haben sie nicht auch mich, wie Euch, de nuncirt? Nun wohlan! wir sind auch Deine Rächer! rief Rudolph von Rodenberg mit hervorbrechen dem Ungestüm; und ungesäumt sollen sie Beide er fahren, daß die Zeit der Straflosigkeit für das Ver, brechen vorüber und der Tag der Gerechtigkeit an gebrochen ist! — Es ist nicht ferner hier die Rede von Hinterhalt und Meuchelmord, sondern von der


237 Strafe der Gerechtigkeit, welche am lichten Tage, mit offenem Bisire daherschreitet, diejenigen zu tref fen , welche im Dunkeln schleichend morden und Ver rat!) üben. Und hierzu rufen wir den Beistand des himmlischen Vaters an , des höchsten Richters , der im Schwachen mächtig ist, er wird uns Schutz verleihen, die Verfolger der Unschuld zu Boden zu strecken! — Dieser religiöse und kriegerische Ausschwung der Rede übte einen mächtigen Einfluß auf die versam melten Anführer. Sie geberdeten sich als wollten sie vorwärts dringen und ihre in der Dunkelheit leuch tenden Waffen erklirrten insgesammt. — Wer das Schwert gebraucht, soll mit dem Schwerte umkommen I rief Paracelsus. — Ich bin nicht in der Absicht des Friedens gekommen, sondern den Krieg zu beginnen! ertonte Storck's Stimme. — Krieg, gegen die Gottlosen und Uebelthäter! wiederholte Rudolph von Rodenberg. — Krieg! Krieg! wiederholten alle Uebrigen. — Meine Hände wasche ich in Unschuld! rief Paracelsus mit starker Stimme. Gehet! Ver gießet Menschenblut in stromenden Bächen — aber zählet nie auf mich, als Euren Beistand! — Wozu sollte auch Dein Beistand nützen? entgegnete mit höhnischem Ungestüm Rudolph von Rodenberg. Eile vielmehr und verschließ Dich mit Deinen Freunden und Verwandten in der Rei


238 nach'schen Burg, denn bald werden sie dort von mir horen. '— Rudolpph von Rodenberg! — erschallte P a r a c e l su s donnernde Stimme , indem er in schrekkender Geberde drohend die Arme erhob — und Dich, Nicolas Storck, treffe der Fluch des Himmels als Urheber des Menschen mordenden Krieges. Wie von unwillkührlichem Entsetzen getroffen , schritten sie zurück mit gesenkten Häuptern, und es entstand ein Moment des Schweigens. — Ia, ich sage es Euch. — Ihr werdet einst Reue empfinden, aber da es zu spät sein wird! Die Furcht setzt Euch heute in Bewegung, die Furcht giebt Euch die Waffen in die Hände! Ihr fürchtet für Euer Leben, daher werdet Ihr umkommen! Aber leider! Tausende zugleich mit Euch Unmenschen! Ihr werdet vor dem höchsten Richter erscheinen mit einer Unzahl unschuldiger Opfer, durch Euch selbst oder durch Eure Schuld gemordet, und auf Iahrhunderte vielleicht werdet Ihr das Befreiungswerk der Men schen hinausgestoßen haben! — Ich überlasse Euch Eurem Gewissen, und allein werde ich meinen Weg des Friedens und der Tröstung verfolgen — ich habe Nichts gemeinsam mit Euch. — Und so vernehmet noch mein letztes Wort: ich empfehle Eurer Seele, so sie nicht in Gottlosigkeit verhärtet ist, die Unschul digen und die Schwachen, die Weiber und die Kin der! — Lebt wohl!


239 Und er verließ die Ruinen. Aus Bertram's Händen den Zaum seines Pferdes nehmend führte er es schweigend auf die Fahrstraße. In seiner Seele wogten jetzt Gedanken auf und ab. Von der einen Seite erblickte er die Gefahren seiner Freunde, von der anderen drohete ein unbarmherziger Bürgerkrieg. Er wussre nicht, sollte er reisen oder bleiben, und in diesem Schwanken zwischen den verschiedenen, drin genden Besorgnissen, welche ihm das Herz zerrissen, blieb er unbeweglich stehen, bald seine Blicke nach Frankreichs Küste wendend, wo Genovefa weinte, bald sie auf die Thürme Basels heftend, wo seine Einbildungskraft bei dem hellen Scheine des Mondes die hohen Fenster des Reinachschen Palastes erglänzen zu sehen glaubte. Aber Placida war zu Basel in Sicherheit, und sie wurde es nicht weniger sein auf einer fo festen Burg als der Reinachschen, wenn sie ihren Gemahl dorthin begleitete. Auch müsste jedenfalls noch längere Zeit verstreichen, ehe die Brüder im Stande wären, eine solche Belagerung als die der Burg Reinach zu unternehmen, während die Gefahr zu Paris drohend und mit jedem Tage größer und drin gender war. Paracelsus überlegte daher und meinte Zeit zu haben, allen seinen bedrängten Freun den der Reihe nach Beistand leisten und sie befreien zu können. Jedoch beschloß er, che er nach Paris ging, den Gegenstand seiner innigsten Neigungen,, der


240 Hm das Theuerste auf Erden war, so viel in seinen Kräften stände, zu beschützen und ihr einen Vertheidiger zu stellen. Hierauf kehrte er im Galopp in die Straßen Basels zuruck und hielt erst vor dem Hause an, das sein Onkel Christoph bewohnte. Hier schickte er Bertram hinein, im Geheimen den Pagen Fritz, den Iugendgefährten seiner Kindheit, welchen er schon auf der Burg Hohenheim wiedergefunden hatte, her auszufordern. i- Ich freue mich, Dich wieder zu sehen, Fritz, redete ihn Paracelsus an, indem er fest die Hand des Iünglings drückte, welcher über die Herab lassung und Güte seines ehemaligen Herrn gerührt war. — Ich komme, einen wichtigen Dienst von Dir zu fordern. — Welchen, gnädiger Herr? fragte mit Erstau nen Fritz, der die Reisekleider des Paracelsus be trachtete. Ihr verlasset Basel? — Meine Abwesenheit, hoffe ich, wird von kur zer Dauer sein, und gerade während dieser Zeit be darf ich Deiner Freundschaft. Du kennst die Grä fin Reinach? Würdest Du in ihren Dienst treten? Fritz stand einen Augenblick bestürzt; er sah Paracelsus an, dann schlug er die Augen nieder. — Ich würde es mir zum großen Glücke schätzen, gnädiger Herr. Aber ich sehe nicht, wie es möglich wird sein. Euer Onkel, der Graf Christoph


24l — Wenn Du einwilligst, ihn zu verlassen, so stehe ich für alles Uebrige. Die Gräsin Rein ach wird Dich auf meine Empfehlung unter ihre Pagen aufnehmen und selbst Christoph wird zufrieden damit sein. — Ietzt nun , gelobst Du mir Treue und vor züglich hingebende Aufopferung bei jeder Veranlas sung und Gefahr Deiner neuen Herrin zu widmen? — O, traget nicht Sorge, gnädiger Herr, rief mit warmem Eifer der junge Page; — ich verspre che es fest, und schwore es bei Gott, dem Allmäch tigen, und meiner Ehre! Die Gräsin Rein ach kann kein Sterblicher erblicken, ohne ihr ewige An hänglichkeit und Verehrung zu widmen. Mein Le ben gehört ihr, wie es Euch gewidmet ist! — Nun, so höre, was ich Dir vertraue. Ich habe gegründete Furcht, daß die Gräsin Placida während meiner Abwesenheit großen Gefahren ausge setzt sein wird, ich lege Dir die unausgesetzte Sorge an's Herz, ihr stets zu folgen und sie gegen Ieder mann zu vertheidigen. — Es bedarf nichts mehr. So lange noch Athem in meiner Brust ist, soll die Gräfin Placida nie zu fürchten haben. — Höre weiter. Die Feinde, welche vielleicht auch die Burg Reinach angreifen werden, haben un ter sich Verbindungs - und Erkennungszeichen; ich werde Dir diese lehren, damit Du im Nothfalle Dich II. 16


242 ihrer bedienen, und frei bei ihnen, als wärest Du Einer der Ihrigen, mit Placida hindurch Yassiren kannst. — Ich verstehe, gnädiger Herr. — Komm. Ich will Dir diese Geheimnisse leh ren und Dich einweihen. Und er führte ibn in einen abgelegenen Winkel, wo er ihm die Zeichen, die Griffe und die Worte des ersten Grades nebst ihrer Bedeutung beibrachte und sorgfältig einprägte. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß sie feinem Gedächtnisse fest anvertraut waren, ermahnte er ihn noch zum vollkommensten Stillschweigen. — Du wirst zu Niemandem jemals, auch nicht zur Gräfin, von dem sprechen, was ich Dir anver traut, noch von den Besorgnissen, die ich Dir aus gesprochen und den Feinden, die drohen, und den Ge fahren, die bevorstehen könnten, noch von den Mit teln, wodurch Du ihnen entrinnen kannst. — Seid unbesorgt. Leider muffte ich in meinem Herzen schon frühe bose Geheimnisse bergen lernen. — Nun , so verlasse ich mich in allem Uebrigen auf Deine Freundschaft, Deine Treue und Deine Klugheit. Sei eingedenk, daß ich Dir was mir das Thcuerste auf Erden ist hiermit anvertraue! — Ietzt will ich Dir sogleich den Brief schreiben, den Du der Gräfin Placida überbringen sollst. Und bei dem Scheine der Laterne, welche Fritz


S43 herbeiholte, schrieb er wenige Zeilen, in denen er Placida dringend bat, diesen jungen Pagen, den Ge fährten seiner Iugend, in ihre Dienste zu nehmen. Hierauf übergab er Fritz dieses Papier zugleich mit einer schweren Geldborse, um sich des Inhalts unter dringenden Umständen zu bedienen, drückte ihm noch einmal die Hand, und nun beruhigt über Placida's Sicherheit während seiner Entfernung, warf er sich wieder auf's Pferd und eilte, so weit die Kräfte von Roß und Mann nur irgend reichten, mit der größten Schnelligkeit der Stadt Paris entgegen. Am andern Morgen übersandte die Gräsin Rei nach dem Großprior ein Billct, worin sie ihm mel dete, daß einer seiner Pagen, dessen Klugheit und Aeußeres sie angesprochen hätte , in ihre Dienste über getreten sei, und sie hege das Vertrauen zu seiner stets bereitwilligen Zuvorkommenheit, daß er sie mit diesem Pagen beschenke. Der Graf Christoph ant wortete sogleich als galanter Ritter, daß er nur allzuglücklich sich schätze, irgend Etwas zu besitzen, das ihr Wohlgefallen erwecken könne und daß er sich be eile, ihr dieses sogleich von Herzen gern zu überlassen; jedoch würde er am Abend bei ihr erscheinen und sich dagegen von ihr eine Gegengefälligkeit erbitten.


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Die Audienz.

Dicht am Ufer des Seineflusses, neben dem ge schmackvollen Pavillon, in welchem die erste Scene unserer Erzählung vor sich ging, hielt ein Diener, in reicher Livree gekleidet, zwei Pferde am Zaume. Er schien etwas beunruhigt und seine Augen durch liefen den Kai bald nach der rechten bald nach der linken Seite, als wenn er in der beginnenden Dunkel heit Etwas unterscheiden oder Iemanden erkennen wollte. — Zum Henker! brummte er, der Teuselskerl steckt noch immer da unten. — Ich wollte Dich, wenn wir allein und im Freien wären! Er steckte die Hand in den Gürtel und spielte mit dem Griffe seines Iagdmessers. Dann begann er mit sorgloser Miene eine seiner Lieblingsmelodien zu pfeifen, während er mit Kopf und Fuß den Takt dazu schlug , wandte sich zu seinen Pferden und strei chelte sie mit den Händen, bei alledem immer ver stohlen zur Seite blickend. — Da geht er hin! sprach er vor sich selbst.— Hm! Hm! —


245 Ietzt öffnete sich die Thür des Pavillons und ein junger Edelmann trat rasch heraus, doch voll Nachdenkens und Sorgen, welche sich in seinem Ge sichte und dem vorgebückten Kopfe ausdrückten. Der Diener Ibeeiferte sich, ihm den mit Gold verbrämten Zügel seines Pferdes zu überreichen. Er bestieg es mit Anstand und Gewandtheit: doch feine elegante und reiche Kleidung hatte etwas auffallend Absonder liches, das die Aufmerksamkeit erweckte, da sie von den gewöhnlichen Trachten und Gebräuchen, welche den jungen Edelherren Frankreichs eigen waren, durchaus abstach und somit einen Fremden andeutete. Aber da seine Geberden und Sitten edel und einfach waren, so diente diese Abweichung nur als eine Auszeichnung mehr für ihn. — Gnädiger Herr! sprach Bertram leise zu ihm, während P a r a c e l su s sich in den Sattel schwang und den Zaum des ungeduldigen Pferdes an sich zog—, ich versichere Euch, man lauert uns auf. Es ist uns ein Mensch fortwährend bis hieher gefolgt, und der Wirth hat mich schon befragt, ob Ihr nicht ein Deut scher seid, ein lutherischer Doktor, und — Lass' es gut sein; Du bist immer besorgt, Bertram. — Mein Dienst erheischt, für Eure Sicherheit zu wachen, gnädiger Herr, und — Von etwas Anderem ! Im Hntel war Nie mand. Wir müssen nun, che die Nacht eintritt,


246 Oporinus finden; seine Leute wissen nicht, wohin er gegangen ist. Du mufft ihn daher suchen , wo Du nur irgend ihn zu finden hoffen kannst. Begieb Dich also rasch zum Palast, dann zum Chatelet, und frage nach ihm, wo er sein konnte. Begegnest Du ihm, so bitte ihn in meinem Namen, sich schleunigst hier einzufinden. Triffst Du ihn nicht, so kommst Du nach der Galande - Straße, zur tsv^rn« Ses lZustr« - Nstions , mir Antwort zu bringen. Und findest Du mich dort nicht mehr, so kehrst Du zum Gasthofe zurück, nimmst unsere Mantelsäcke und bringst sie hieher. Den Wirth bezahlst Du anständig. Hast Du Alles verstanden? — Vollkommen, gnädiger Herr. Nachdem Paracelsus so für Alles feine An ordnungen und Befehle ertheilt hatte, setzte er die Sporen ein, und sprengte am Ufer der Seine entlang. Er begab sich zur tsvervo äes (Zustro- Kations. Es war ungewöhnlich, an diesem Orte einen Ritter zu erblicken, wo sich nur Studenten zu ver sammeln pflegten. Auch erregte sein Eintritt Auf sehen. Er durchlief mit raschen Schritten den Saal, befragte alle Gesichter, musterte die Tische, um die er herumging, ohne den jungen Baccalaureus zu fin den. Mit einem Blicke gewahrte er aber, daß dieser Erholungsort sorgfältig bewacht werde. Es waren hier durchaus nicht alle Zecher Studenten, und die am längsten saßen, tranken keineswegs am meisten.


247 Um Erkundigungen einzuziehen, näherte er sich jetzt Peter Dan es, der an einem vereinzelten Tische allein saß, und dessen geistreiches Gesicht und Feuerauge er sogleich erkannt hatte. , — Ich grüße Euch, Herr Danes, redete er ihn an. Danes betrachtete ihn verwundert, und beant wortete seinen Gruß, indem er sein Barer lüftete, das er als Doktor der Theologie trug. Ihr — kennt mich? erwiederte er. — Gewiß. Und ich erlaube mir, Euch zu fra gen, wo ich den jungen Baccalaureus Oporinus antreffen konnte? — Ei — , aber das scheint mir ja, so ich nicht irre, äußerte mit erneuetem Erstaunen Danes —, der Doktor Paracelsus zu sein! Ich bin höchst erfreut, Euch wiederzusehen. Seit wann seid Ihr zu Paris? Und wie konntet Ihr Deutschland verlas sen, nach den glänzenden Erfolgen, die Ihr dort ge feiert, und nach der so glücklich begonnenen geistigen Umwälzung, die Ihr dort ausführet? Ich war so wenig darauf gefasst, Euch zu sehen, daß ich Euch durchaus nicht erkannte, und zwar um so weniger unter dieser glänzenden Verkleidung. Wie aber war es möglich, daß Ihr Euer ehrwürdiges Kleid und den Doktorhut ablegtet, den Ihr so ehrenvoll tragt, um diesen Trodel des Hofes anzuthun?


248 Es zog eine Wolke des Unmuths über Paracelsus Stirn bei diesen Worten, und er biß sich in die Lippen. Er hemmte rasch diese Fluth von Anre den und Fragen, welche schon die Aufmerksamkeit mehrerer Anwesenden auf sich gezogen hatte. — Wichtige Geschäfte haben mich hieher zurück gerufen, und ich denke unverzüglich wieder abzurei sen. Aber ich wünschte gern vorher meinen Freund Oporinus zu sprechen. — Er ist sehr schwer zu treffen, weil er stets in Bewegung ist, wegen der Mühen, die er sich um Dolet, Fernande; und einiger Anderen willen giebt, welche in diesem Augenblicke eingekerkert sind. Ihr seid auch sehr wohl mit ihnen bekannt, so viel ich weiß. — Das bin ich, antwortete Para celsus kalt. Ein Mann, der in der Nähe von Danes saß, erhob sich und ging hinaus. — Es ist eine sehr böse Geschichte, bei der es sich um Glaubensspaltung und. Rebellion handelt, um die er sich, meiner Meinung nach, sehr unvor sichtiger Weise kümmert. — Also Ihr wisst nicht, wo sich Oporinus in diesem Augenblicke befindet? unterbrach Paracelsus. — Er ist, glaube ich, nach dem Grand-CHatelet, oder nach dem Großkanzler Du Prat ge gangen, dessen Sccretair er kennt. Aber er kommt


249 gewöhnlich jeden Abend hieher, um seine Freunde zu sehen, die sich hier versammeln. Er ist in diesem Augenblicke herein getreten und sogleich wieder hin ausgegangen, daher ist zu erwarten, daß er alsbald wieder zurückkehrt. Das beste Mittel, seiner hab haft zu werden, wäre ohne Zweifel, ihn hier zu er warten. — Glaubt Ahr? erwiederte Paracelsus, der noch unentschlossen war, was er thun sollte. — Uebrigens werdet Ihr nicht viel Gewinn von seiner Unterhaltung haben. Der arme Mensch ist halb verwirrt. — Wie das? — Der Prozeß wider Dolet und Fernandez ist ihm außerordentlich zu Herzen gegangen, ich weiß selbst nicht recht weßhalb, da er doch wenig Umgang mit ihnen pflog, vorzüglich mit dem Ersteren. Aber man behauptet, es wäre eine Liebe darunter verbor gen, er thäte es im Dienste einer schonen Dame — wobei Danes lächelte. — Ihr begreift, äootissime, daß ihm sein armer Kopf sehr schwer werden muß. Nicht zwei zusammenhängende, vernünftige Worte spricht er in dieser Zeit, vorzüglich seitdem das Urtheil gefällt ist. — Der Urteilsspruch ist schon geschehen? fragte bestürzt Paracelsus, während diese Nachricht ihm das Herz durchbohrte. — Und wie lautet dieser? — Leider so streng und hart als möglich: Feuertod!


250 — Feuertod! — Und so rasch, und zum Schei terhaufen verdammt? — Man musste darauf gefasst sein. O p gri ll us hat im Namen derselben appellirt, aber ich glaube, daß dieser Versuch ohne Erfolg sein wird. Der einzige Nutzen, der daraus hervorgehen kann, ist die Verlän gerung der Sache und das Aufschieben der Exemtion. Paracelsus stand sinnend, welches schleunige Rettungsmittel sich seiner Seele noch darbieten würde. Er beschloß die Schritte, welche er hatte thun wol len, auf das Schnellste in Ausführung zu bringen, ohne sich noch lange vorher genaue Rechenschaft von den Folgen zu geben. Obgleich die von Oporinus glücklicher Weife eingelegte Appellation ihm einige Zeit zum Handeln ließ, so war dennoch jede Minute kost bar, und er zögerte daher' keinen Augenblick, sich auf der Stelle zum Kanzler Du Prat zu begeben. — Auf Wiedersehen! sagte er zu Danes und entfernte sich rasch. Er hatte sein Pferd beim Hereintreten einem Diener der Taverne übergeben. Als er hinauskam, fand er das Pferd in den Händen eines anderen Menschen. Doch zu fehr in seinem Geiste be schäftigt, bemerkte er diefe Veränderung nicht und streckte die eine Hand nach dem Zügel des Pferdes aus, während er mit der anderen dem Haltenden ein Stück Geld darreichte, ohne ihn nur anzublicken, indem er im Begriff war, das Pferd zu besteigen.


251 — Verzeihung, mein edler Herr, sagte der Mensch mit ironischer Betonung. — Ihr besindet Euch wahrscheinlich im Irrthume. — Wie? erwiederte Paracelsus mit Ver wunderung. — Im Irrthume? Ist Euch das nicht genug? — Ganz gewiß , entgegnete der Fremde in dem selben Tone. — Für meine Mühe zu viel, aber nicht genug für's Pferd. — Was heißt das! rief Paracelsus unge duldig und griff nach dem Zügel. — Sachte, wenn ich bitten darf! und der Mensch drängte sich zwischen ihn und das Pferd. — Das Thier gehört nicht Euch, mein guter Herr, fügte er hinzu, indem er gelassen das Pferd mit der Hand klopfte. — Wie? Was? — Ihr habt es mir nicht anvertraut, also kann ich es Euch auch nicht zurückgeben. — Was soll dieser übel angebrachte Scherz ! rief Paracelsus aufgebracht, indem er mit den Augen den Diener der Taverne suchte; dieser war aber nicht zu sehen. — Der Tropf, der Dir mein Pferd überliefert hat, wird ohne Zweifel Dir zugleich aufgetragen haben, es mir zurück zu geben? Siehst Du nicht, daß die Schabracke zu meiner Livree gehört?


252 — Das kann wahr sein, das kann falsch sein, antwortete der Mensch spottend. Ich kenne Euch nicht, Ihr predigt tauben Ohren. — Meine Geduld ist zu Ende. Ich habe keine Zeit zu verlieren, erwiederte Paracelsus, und trat hinzu, den Zügel zu ergreifen. Der Mensch führte das Pferd im Halbkreise herum und postirte sich davor. — Ich werde Hilfe rufen müssen, mein guter Herr. — Rufe, zum Teufel, so viel Du willst! ent gegnete Paracelsus und stieß ihn gewaltsam zu rück, indem er den Zügel ergriff. — Holla! Heda! Hilfe! erschallte des Menschen brüllende Stimme, indem er ungestüm mit der ihm frei bleibenden Hand den Arm des jungen Arztes packte. Er hatte jedoch einen viel kräftigeren Gegner gefunden, als er wahrscheinlicher Weise erwartet hatte. — Da! rief Paracelsus, den der Zorn über mannte, und gab seinem Gegner einen Schlag an den Kopf, der ihn so betäubte, daß er seinen Fang fahren ließ. — Ietzt schreiest Du nicht umsonst. — Und er schwang sich auf den Sattel. — Holla! Spitzbuben! Räuber! wiederholte das Geschrei des Menschen, während er sich wieder am Zügel festklammerte, so daß das Pferd sich bäumte. — Daß Dich das Wetter! rief der junge Arzt und hieb ihn mit der Reitgerte.


253 — Räuber! Räuber! schrie der Mensch und klammerte sich mit beiden Händen im Gebisse des Pferdes fest. Auf dieses Geschrei traten die Studenten aus der Taverne, die Fenster öffneten sich, und die Ein wohner versammelten sich in der Straße und umga ben die Streitenden. Die Meinung war jedenfalls nicht für den Ritter. Seine Kleidung verkündigte einen Hofrnann, und dies war hinreichend, die Masse gegen ihn zu stimmen. — Haltet das Pferd an und bringt den Reiter unter die Traufe! ließ sich eine Stimme vernehmen. — Ha, Ihr wollt Schläge! rief Paracelsus, beim Satan, Ihr sollt sie haben! Er zog seinen Degen und ließ ihn im Kreise um sich herum pfeifen. Sogleich war die Menge zersto ben. Nun hieb er fo herzhaft und fest mit der plat ten Klinge auf den Burschen los, der sein Pferd festhielt, daß er alsbald losließ und in die Gosse stürzte. Ietzt setzte er die Sporen ein und jagte da von, begleitet von dem Hohngeschrei und Verwün schungen der Umstehenden, die sein treues Roß stolz paradirend an die Mauern zurückdrängte und mit einer Fluth von Koth überdeckte. Fernher horte er hinter sich das Geschrei: Ergreift ihn! Ergreift ihn! das von dem Menschen ausging, der sich wieder er hoben hatte und hinterher lief, sich aber kluger Weise immer in einiger Entfernung hielt.


Z54 Dieß Alles beunruhigte jedoch Paracelsus, der in den sinstern und engen Straßen seinen Ritt nicht beschleunigen konnte und dem hinterdrein laufen den Menschen Preis gegeben war, dessen kläffendes Geschrei die rohe und ungestüme Einwohnerschaft die ses Viertels hervorlockte. Er hatte die Straße SaintSeverin passirt und lenkte jetzt in die Straße de la vieille-Bouclerie, als ihm die Geduld riß; er kehrte um und ritt auf den Kläffer los, um ihn zum Schweigen zu bringen; dieser aber zog sich behend zurück und, sich immer in einiger Entfernung haltend, schrie er desto besser. Paracelsus sah sich gezwun gen, seinen Weg fortzusetzen und kam so, über den Platz du pont Saint -Michel reitend, nach dem Kai des Augustins; hier war er erfreut, an den Farben der Livree seinen treuen Bertram zu erkennen, welcher auf der Brücke, in einiger Entfernung von einem Trupp reitender Schaarwache, welche, wie es schien, in aller Eile vom Palais de Iustice kamen, langsam seines Weges ritt; er lenkte rasch zu ihm und rief ihm zu: — Bertram! befreie mich von diesem Bu ben hier! — Soll bald geschehen sein! gnädiger Herr, antwortete Bertram. — Da ist er! da ist er! sagte ein Mann, der die Häscher begleitete; — er hat doch sein Pferd wie der erhalten! Er wird uns entwischen!


255 — OK ! ncnni ! antwortete der Lieutenant, der den Trupp cominandirte; und seine Leute setzten sich in Trapp und umgaben Paracelsus von allen Seiten, der jetzt unbesorgt den Kai des Grands-Augustins entlang ritt. — Ha1t«-Is! ruon gentiluovime ! — redete ihn in ironischem Tone ein Sergeant der Bewaff neten an, indem er ihm mit seiner Hellebarde den Weg verrannte. — Ein alberner Scherz! antwortete Paracel sus kaltblütig und wandte sein Pferd zur anderen Seite hin. — IIsIte-1«! rief ein Anderer. — Las les armes! sprach der Anführer; im Namen des Königs seid Ihr mein Gefangener! — rsräieu! erwiederte Paracelsus; der Scherz ist noch alberner. Ich bin auf dem Wege zum Kanzler Du Prat; wollt Ihr mich dahin be gleiten, desto besser; wo nicht, so — — ^Ilons! SSS02 «guse! SU Ollstelet! sprach der Sergeant, indem er das Pferd beim Zügel er greifen wollte, das Paracelsus, um sich zu be freien, rasch zurückschreiten ließ. — liOnä«2-v«us i schrie der Lieutnant; ich habe Befehl, Euch lebend oder todt gefangen zu nehmen. — Weder eins, noch's andere, antwortete kalt Paracelsus, indem er seinen Degen zog und seinem Pferde die Sporen gab. — Bertram! Hieher!


356 Bertram kam im Galopp herbei , sein Schwert in der Faust. .Diese unerwartete Verstärkung ver blüffte die Schützen und brachte sie in Unordnung, was Paracelsus sogleich benutzte, um den Kreis der ihn umgebenden Hellebarden zu durchbrechen und sich, den Rücken durch die Häuser deckend, auf die Flucht zu begeben. — Draufl Drauf! ermunterte der Befehlshaber seine Mannschaft, welche hinterhersetzte; — hauet auf's Pferd ein. — Zurück! Zurück! Kanaillen! antwortete Pa racelsus, und ließ sein edles Roß rechts und links caracoliren und anspringen und während er mit dem Schwerte die Angriffe der Hellebarden parirte, rückte er so, sich stets im Halbkreise herum tummelnd, im mer vorwärts. — Soll ich Einem das Garaus machen, Herr Graf, damit die Uebrigen das Leben schätzen lernen? fragte Bertram. Auf diese Rede zerstreuten sich die Hellebardmr, und zeigten sich unentschieden, was sie thun sollten. — svsnt, morbleu! schrie der Lieutenant; wollt Ihr sie entwischen lassen? — Vivo I« r«i! antworteten die Kerle, und ge waltsam vordringend, schlossen sie Bertram ein, dessen Pferd von ihrem Geschrei scheu gemacht und weniger fest als das des Paracelsus, krachend zu sammenstürzte.


257 Schon sielen die Reiter über ihn her, als der junge Arzt zurückkehrte, sich mitten unter sie stürzte, und mit seiner sausenden Klinge sich Bahn brechend, sie zurückdrängte und seinen treuen Diener befreite. Aber er hatte einen leichten Stich in der Seite' davon ge tragen, und einer der Häscher ergriff mit einer Hand den Zügel und mit der anderen zerrte er heftig an der Degenscheide, um wo möglich auf diese Weise den jungen Arzt aus dem Sattel herab zu ziehen. — Ich halte ihn! schrie er. — Herbei! Herbei! Und das Pferd bäumte sich, schleppte ihn mit fort und drohte, in Kurzem sich von seiner Doppellast zu befreien. Zugleich war Bertrams Pferd, das sich bald darauf, vermöge der Gewalt der Sporen, wieder erhoben hatte, jetzt von Hellebardenstichen be deckt, todt niedergestürzt und wälzte sich mit seinem Reiter im Staube. ,. '. , . — Hol' Dich der Teufel, Lümmel! rief jetzt Paracelsus in Wuth versetzt. — Und der ihn Festhaltende siel blutend auf die Erde. Durch den Lärm eines so gewaltsamen Kampfes herbeigelockt, kam jetzt eine zahlreiche Schaar von Pagen, Soldaten, Bedienten, mit Fackeln in Hän den, aus einem nahe gelegenen, prachtvollen Palaste hervor, während im Hause selbst die hohen Fenster sich öffneten und auf den Ballonen sich eine prunk volle Gesellschaft zusammendrängte. — Was bedeutet denn das? hörte man jetzt eine II. 17


258 gebieterische Stimme rufen. Hat man je eine größere Unordnung gesehen? In diesem Augenblicke stürzte auch das Pferd des Paracelsus; aber der Reiter sprang rasch und gewandt zur Seite, und wahrend die Wachen schnell auf das Thier losstürzten und ihn an der Erde zu ergreifen hofften, flüchtete er sich in die Mitte der Pagen in den offenen Hausflur. — Beim Himmel! rief er mit donnernder Stim me, noch seinen Degen schwingend — , also so ehrt man das Völkerrecht in Frankreich, daß man selbst vor des Größkanzlers Thür die Fremden gewaltsam anfällt und niederzustoßen droht! — Gehet sofort zu Monseigneur Du Prat und meldet ihm, daß Mcssire Theophrastus Paracelsus von Hohenheim, Ritter und Graf des heiligen römischen Reichs ihn auf der Stelle zu sprechen wünsche. — Aber Aber der Diener ganz außer Fassung.

antwortete einer

— Also Du willst nicht? O, ich bedarf Deiner nicht! und ihn gewaltsam zurückdrängend schritt er über den Flur, zertheilte den dort stehenden Haufen, hatte in wenigen Sätzen die breite Treppe erstiegen, und war oben an der Saalthüre, ehe Iemand daran gedacht hatte, ihn aufzuhalten. — Hier klopfte er stark mit seinem Degengriffe an.


vtre iutroäuit! rief er. ' — (Zu'est-ee cels? antwortete verwundert der Kanzler ; ek dien , gu'il entre ! Paracelsus öffnete ungestüm die Thür. Mit blassem Gesicht, blitzenden Augen, sein schwarzes Haar um ihn herumflatternd, seine reichen Kleider in voller Unordnung, seinen entblößten mit Blut be fleckten Degen in der Hand, erschien er auf der Schwelle des Saales. Eine lebhafte Bewegung zeigte sich in der versammelten Gesellschaft und ein Schrei des Erstaunens drang aus Aller Munde. — Uons«ißiieur le cksneelier, sprach Para celsus mit fester Stimme, obgleich von dem be standenen Kampfe noch etwas athemlos, indem er mehrere Schritte in dem Saale vortrat; ich komme zu Euch, mir Rechenschaft zu erbitten, warum die Pariser Wache einen Grafen des heiligen, römischen Reichs bis unter Eure Fenster verfolgt, nachdem sie seine Pferde und seine Leute auf öffentlicher Straße angefallen und getödtet hat? — und ich bitte zugleich dringend, das Leben meines Pagen zu retten, der sich in diesem Augenblicke noch, gegen die Säulen Eures Palastes gelehnt, vertheidigt. Der Kanzler, der so eben vom Balkon getreten war, und mit einigen Personen von Rang noch in der Nähe desselben stand , machte einige Schritte zu dem jungen Arzte mit den Worten: 17«


260 — Es ist schon geschehen, Messire; Euer Page ist in Sicherheit; aber der Lieutnant der Wache wird mir Rechenschaft über sein Verfahren ertheilen. ^uäiswr et alters pars ! Ich werde die Ursachen die ses Mißgriffes zu entdecken suchen. — Gewiß wäre es jedenfalls besser gewesen, ihm zuvor zu kommen. Wie? ein freier Reichsgraf dars also nicht nach Paris kommen, ohne fürchten zu müs sen, meuchclmorderisch angefallen zu werden ? Ein Bürger der freien Stadt Basel, dessen Rechte mir ertheilt worden, kann sich also zu seinem Heile nur auf seine gute Klinge verlassen? Legt man so den ewigen Frieden aus , welchen man mit den erlauchten Kantonen geschlossen hat? Ich lebe der Hoffnung, daß Seine Allerchristliche Majestät damit unbekannt sind! Denn wenn er das durch seine Soldaten ver gossene Blut seines Bundesgenossen sähe, — und mit energischer Geberde zeigte er auf seine Leibbinde, die von dem aus seiner Wunde fließenden Blute be fleckt war, — wenn er es wüsste, und solche Gewaltthaten duldete, so müsste ich mich wundern, wie der Konig Fran?ois der loyale Chevalier genannt würde! Diese Worte schienen Eindruck auf den Kanzler zu machen, der sehr wohl wusste, wie viel Werth Franz der Erste auf die Bundesgenossenschaft der Schweizer legte; er antwortete jedoch mit Festigkeit und Würde: — Herr Graf, es ist unbezweifelt, daß seine


2M Majestät, der König, allen Fremden Schutz angedeihen lassen muß, doch aber keineswegs Straflosigkeit. Ich bin jedoch sehr geneigt zu glauben, daß bei diesem Begegnisse uur ein beklagenswerthes Mißverständniß obwaltet. Uebrigens soll sich dieß alsbald aufklären. Aber Ihr seid verwundet? — — Glücklicher Zufall, daß sich in unserer Gesellschaft auch ein ausgezeichne ter Arzt befindet. Meister Rabelais; — wandte er sich zu einer der hinter ihm stehenden Personen,— Ihr habt wohl die Güte, zu untersuchen — — Es ist nicht von Nothen, Monseigneur; ich bin selbst Arzt, und — Ihr? Arzt? Ein Graf des Römischen Reichs, und Arzt! — Und Professor an der Universität zu Basel, fügte Paracelsus hinzu, indem er sein Waret be grüßend abnahm. — Ei, Welt! sprach einer der Anwesenden, mit Wärme auf ihn zutretend; das ist, wenn ich nicht sehr irre, der Doktor Paracelsus, der leuchtende Stern Deutschlands: Auch seinerseits verwundert betrachtete ihn der junge Arzt; und reichte ihm alsdann freundschaftlich die Hand und erwiederte: — Messire Du Chatel, ich bin höchst erfreut, Euch hier wieder zu sehen, und kann hoffen, daß ich durch Euch dem Herrn Kanzler vorgestellt werde. — Es bedarf dessen nicht, Herr Graf und Dok-


262 torl, erwiederte lächelnd der Kanzler. Iedenfalls ist Euer Name und Ruf bis zu mir gedrungen, und Messire Du Chatel, der Bibliothekar Seiner Majestät, hat mir erst heute während der Tafel von Euch gesprochen, da er mich über den heutigen Stand der Wissenschaften belehrte. Aber ich erwar tete nicht, Europa's größten Arzt im HoflavalierKleide, und Nachts mit der Wache kämpfend, an zutreffen. — Ich bin Doppelgänger, Monseigneur ? zu Basel Doktor, zu Paris Reichsgraf. Ich habe mein Wappen wieder angenommen, und bin darauf bedacht, ihm Ehrerbietung zu verschaffen. — Ihr Aerzte, entgegnete der Kanzler, — sich halb gegen eine zweite Person wendend — scheint einer sonderbaren Art und Weise zu huldigen, Euch bei den Leuten einzuführen. Ihr müsst gestehen, Meister Rabelais, daß der Eintritt des Doktor Paracelsus dem Eurigen ziemlich gleichkommt. ^) — Gewiß! Gewiß! erwiederte der Doktor von Montpellier; er ist treffend, selbst schneidend konnte man ihn nennen. Diese Anspielung des Rabelais lenkte Aller Augen auf den entblößten Degen, den Paracelsus noch in der Hand hielt, und sich jetzt beeiferte, zur *) Die Art und Weise, wie Rabelais sich dem Kanzler vorstellte, ist bekannt, und ist im Uebrigcn die Scenc des Panurge im Pantagrnel,


allgemeinen Heiterkeit der Gesellschaft, in sein Gefcingniß zurück zu bringen. — Seit längerer Zeit, begann der Kanzler, hegte ich den Wunsch, Euch zu sehen; Oästellsnus me»8, den ich Euch hier vorstelle, hatte mir viel von Eurer Wissenschaft erzählt, und welch' großer Chemiker Ihr seid ; er hat mir selbst eine kostbare Probe von jenem Metalle gewiesen, das Ihr durch Eure Kunst hervor gezaubert habt ^) und das weder Blei noch Silber noch Eisen ist und doch allen dreien gleicht. Es ist höchst wunderbar. — Es ist dieß weder hervorgezaubert, noch eigentlich wunderbar, Monseigneur; es ist die einfache Enthüllung eines Processes und bisherigen Geheim nisses der Natur; es ist die Entdeckung eines kleinen Theilchens des göttlichen Werkes, das bis jetzt noch im Schacht und im Wirken der Natur dem mensch lichen Auge verborgen ruht, und sich nach und nach immer mehr den Blicken und Einsichten des Men schen offenbaren wird, wenn er erst immer mehr die Freiheit der Vernunft erkämpft und sich einen festen Willen zu eigen gemacht haben wird. — Freiheit der Vernunft! das klingt wenig ka nonisch, Messire. Seid Ihr vielleicht Lutheraner? — Ich bin P a r a c e l su s , Monseigneur , ant wortete der junge Arzt sich leicht verbeugend. Luther' -) Antimonium vdcr Ii«e; beide Metalle wurdeu von Paracclsus entdeckt.


304 verfolgt seine Bahn, wie ich die meinige; man bringt uns nur in Verbindung, um uns gemeinschaftlich zu bekämpfen. Aber, ich gestehe es frei, würde ich meine Kräfte seiner Reform widmen, so würde ich das Uebel etwas tiefer noch bei der Wurzel angreifen. — das würde Euch etwas übel bekom men, Messire; Ihr müsstet denn, wie man sich er zählt, einen besonderen Schutzgeist haben. — Hier steckt er! antwortete Paracelsus, in dem er an sein Degengefäß klopfte. — Ah, ja; man hat mir auch davon erzählt; das ist also wirklich Wahrheit? Ihr bergt ihn im Knopfe Eures Degengriffes? — Nein, in der Klinge! Votrs Seigneurie haben davon eben einen Beweis gesehen. Alle Welt lachte, und der Kanzler stimmte mit ein. In diesem Augenblicke erschien der Lieutenant der Wache in der Thür des Saales mit dem Secretair des Kanzlers; er blieb verwundert stehen bei dem Anblicke dessen, was er vor sich sah. — Ah! Ah! sprach der Kanzler, vo?«ns «eis. Was bedeutet dieser nächtliche Anfall, Herr Wachtlieutenant? und weßhalb solche Gewaltmaaßregeln? ^- Monseigneur, antwortete der Lieutenant sich verbeugend; ich hatte Befehl, diesen Kavalier zu ver haften. — Wie! Doch das ist ein Irrthum! — Monseigneur; ich habe Befehl erhalten, ihn


265 todt oder lebendig zu greifen — und hier ist meine Anweisung mit dem Signalement des Herm. Einer der Leute des Kriminalrichters hat mich vom Justiz palaste, wo ich mich mit meiner Rotte befand, abge holt, um auf der Stelle den Befehl in Ausführung zu bringen. Diefer Kavalier ist gestern den ganzen Tag bewacht und verfolgt und in der tsvern« ä»s <Zustrs-Nstions in seiner Person völlig erkannt, und zuletzt hier auf dem Kai ergriffen worden. — Das ist auffallend! sprach der Kanzler, der den Befehl durchsah; es ist eine Verwechselung da bei! Ein Student mit Namen Paracelsus des Komplotts wider die Religion und die Person des Königs verdächtig. — Ich schmiede rasch Komplotte! unterbrach Paracelsus lachend: erst seit gestern bin ich hier! — Es waltet ein Irrthum dabei ob. Dieser Befehl ist schon sehr alt. Man muß nach dem an deren Paracelsus forschen. — Bemuht Euch dieserhalb nicht; denn aller dings bin ich derjenige, welcher — Wie? — Ja wohl. Einer meiner lieben Verwandten, der es gern gesehen hätte, mich von der Reise nach Paris abzuhalten, hat mich denuncirt, ohne Zweifel in der Meinung, daß die Furcht, hier eingekerkert zu werden, mich zurückhalten würde. Ich bin gewiß, diese Denunciation ist von dem Grafen Christoph


S66 von Hohenheim, Großprior der Malteser, go macht worden. — Ist dem nicht so? wandte er sich zum Sccretair, der schon bei Paracelsus Worten eine Miene der Bejahung zu zeigen schien. — Dem ist so, antwortete der Secretair. Der Herr Großkanzler wird sich erinnern, daß ich ihm diese wichtige Note vorgelegt habe. — Ia, ganz recht. — Aber ich glaubte, dieser Paracelsus sei hier Student. — Wohl! Ihr seht, daß man Euch zu Paris eine Person aufsuchen ließ, die sich in aller Ruhe- zu Basel befand, von Kranken und von Studenten umgeben. — Man spottete Eurer, Herr Kanzler; aber einem so durchdringenden Geiste, als der Eit rige, konnte dieß nicht lange verborgen bleiben. — Ich habe kaum darauf Acht gehabt! entgeg nete der Kanzler mit wegwerfender Miene. — Ietzt nun hat sich die Sache aufgeklärt und ist völlig ent schieden ! — Und er zerriß den Befehl. — Ihr seid entlassen, Herr Lieutenant! Der Offizier der Wache trat ab. — Hat dieser nichtswürdige Christoph nicht auch die Schändlichkeit begangen, um seiner Anklage einiges Gewicht zu geben, zugleich noch zwei meiner Freunde zu denunciren? Ich war gerade in der Ab sicht, Monseigneur, auf dem Wege zu Euch begrif fen, um zu deren Gunsten bei Euch Fürbitte zu thun, als ich von der Wache aufgehalten wurde.


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267

— Zwei Eurer Freunde? — Zu Befehl. Sie sind im Gefängnisse; und ich kam, Euch, wenn auch nicht um gänzliche, sofortige Freilassung, doch um Entlassung aus ihrer Haft zu bitten, und zwar, unter meiner persönlichen Verantwortlichkeit und Caution, welche ich zu leisten mich bereit erkläre, bis zu dem Augenblicke, wo ich die verläumderische Anklage widerlegt haben werde. — Sie heißen? — Der Eine ist dem Messire Du Chatel sehr wohl bekannt, er hat mir oft mit dem größten Lobe von ihm gesprochen. Sein Name ist Estienne Dolet. — Ia gewiß! unterbrach Du Chatel. Es ist ein junger Mann voll von Geist, Gelehrsamkeit und Geschmack; voll scharfen Spottes und leichter Laune, es ist wahr; aber ein Iüngling, der zu gro ßen Erwartungen berechtigt. Noch gestern that ich dringende Fürbitte für ihn beim Criminalrichter. — Seine Allerchristliche Majestät, die so großmüthig die Wissenschaften ehrt und beschützt, und ohne Zweifel den Beinamen Wiederhersteller der Wis senschaften verdient, würde ihnen jedenfalls durch die Begnadigung dieses unglücklichen Iünglings ei nen Dienst leisten, wenn er wirklich eine Iugendun besonnenheit begangen haben sollte. — Diese That wäre des Königs, und Eines Ministers, wie Ihr seid, Monseigneur, durchaus würdig.


268 — Denn Du Chatel und Ihr, Herr Graf, Fürbitte und Gewähr leistet, so ist kein Bedenken, den jungen Mann vorläufig frei zu lassen. — Fertigt den Befehl aus! wandte er sich zum Secretair, ich werde ihn morgen im Fruhsten unterzeichnen. — Und der Andere? — Monscigneur ! flüsterte sich verneigend der Secretair dem Kanzler zu; — das Urtheil ist schon gefällt. Ihr habt gestern Eure Zustimmung gegeben und das Einkommen um Aufhebung des Urtheilsspruches — äiable! c'est ZILvrent — — — il isut voir cels. — Um Verzeihung, Herr Graf, bei Eurem Eintritt war ick) im Begriff, mich nach dem Schlosse Saint -Germain zu begeben, wo ich erwartet werde. Diese Reise leidet keinen Aufschub; kommt mit mir; unterwegs wollen wir davon weiter sprechen; wir besichtigen die Zimmer) und wenn sich die Gelegenheit macht, was ich nicht bezweifle, so wird Königliche Majestät auf meinen Vorschlag Be gnadigung ertheilen. ^ — Allans, Ä4es8ienrs, Kartons. — MorgM, Messire de Hohenheim, verspreche ich Euch eine bestimmte Antwort.


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Der Maubertusplatz.

In einem der tiefsten Kerker des Chatelet befand sich Estienne Dolet eingeschlossen. Weder Luft noch Licht hatten Zutritt. Es war gewissermaßen ein vor zeitiges Grab, ein Grab aus Bruchsteinen gemauert, worein Seele und Leib' zugleich eingekerkert wurden, und das zu der Angst, der Qual und den Schmer zen des Lebens noch die Bewegungslosigkeit, man konnte sagen, die Vernichtung des Todes hinzufügte. In solche Kerker warf die Iustiz unserer guten Vor fahren auch diejenigen, welche sie in Verdacht einer Schuld hatten, und sie dienten als vorläufige Tortur ohne Unterschied sowohl für Schuldige als für Un schuldige. Die milde Rechtspflege der heutigen Tage, wo erst erwiesene Schuld in den Kerker bannt und im Verbrecher noch der Mensch geehrt wird, und wo Staatsverbrecher vom gemeinen, niedrigen Verbrecher unterschieden und nicht mit dem Auswurfe der Mensch heit gleich behandelt werden, war ihnen unbekannt. Man hätte sagen können, im Verdachte zu sein, wäre ebenfalls Verbrechen in ihren Augen gewesen, da es solche Strafe nach sich zog.


270 Aber Estienne Dolet durfte über diese Härte nicht mehr klagen, denn er war gerichtet und verurtheilt worden. Seine Verurtheilung war gerecht; sein Werbre chen war erwiesen, und er selbst konnte es nicht leug nen. Er hatte der Gesellschaft, wie sie damals be stand, den Krieg erklärt; in diesem ungleichen Kampfe war er unterlegen, und seine Richter befreieten sich von einem Feinde, indem sie ihn zum Richtplatz sandten. Dolet hatte dieses Urtheil als ganz natür lich aufgenommen, wie das Recht des Stärkeren, dem der Schwächere unterliegt. Als er es sich zur Auf gabe gestellt hatte, den blinden, verderblichen und herabwürdigenden Vorurtheilen der Menschen entge genzutreten, hatte er sich die Gefahren nicht verhehlt, welche seine betretene Laufbahn begleiteten. Er war besiegt, statt zu siegen. Alfo hatte er sich ergeben und trat gefasst vom Kampfplatze. Er schlief. Ein schwacher Lichtstrahl, von einer auf dem Corridor befindlichen, qualmenden Lampe herrührend, drang durch das schmale Pfortchen, das in der handdicken Gefängnißthür angebracht und ohne Zweifel aus Versehen offen geblieben war. Dadurch wurde ein Winkel des Kerkers matt erleuchtet, und man unterschied den Kopf des Studenten, der an einen Stein lehnte, auf welchem einige Strohhalme ausgebreitet lagen. Dolets Gesicht wcir blaß und abgemagert; seine Augen lagen tief in ihren Höhlen,


271 seine Wangen waren eingefallen; eine krankhaft schmerz liche Verzerrung zeigte sich um die Augenbraunen. Iedoch auf seiner Stirn thronte Ruhe, und um sei nen geistreichen Mund, dessen Winkel durch eine ge wisse spottende Verachtung gehoben wurden, spielte das ironische Lächeln, das er so oft seinen Richtern zeigte, und das jetzt nur noch seiner Qual und dem Tode Trotz zu bieten schien. Sein Schlaf war fest und friedlich. In dem düsteren Raume wurde die Grabesstille nur durch das gleichmäßige, rhythmische Geräusch seines Athmens unterbrochen. Es wiederhallten jetzt WaffengMrr und Männertritre im Corridor. Man näherte sich dem Kerker. Der Schlüssel knarrte im Schlosse und die Eisenstan gen fielen nieder. Dolet erwachte. — Möge es Euch Gott segnen, sprach sein Hu mor zum Kerkermeister; mich so aus dem Schlafe zu wecken? was begehrt Ihr? — Ihr werdet bald schlafen, antwortete der Kerkermeister mit befremdendem Ausdrucke. Dolet erhob in rascher Bewegung den Oberleib von seinem Lager und richtete einen fragenden Blick auf das breite Gesicht. — Ha! Schon! Schon! Ich glaube Euch zu verstehen, lieber Mann. Schade, daß ich nicht gleich wieder einschlafen kann, und daß zwischen diesem und jenem Schlafe eine kleine Viertelstunde liegt, wel che peinlich erscheinen konnte — vorzüglich für den


372 Ungewohnten. Nun, der Wille meines himmlischen Vaters geschehe! ^

— Amen! sprach der Schließer.

— Sehr wohl! — Ihr wollt mir die Eisen ab nehmen? Der Kerkermeister nahm schweigend ihm die Ket ten ab. — O, vortrefflich! hörte man jetzt Dolet sa gen, der Arme und Beine mit dem größten Wohl behagen ausstreckte. Wie schön, sich frei bewegen zu dürfen! O, die süße Freiheit ist ein köstlich Ding/ das schönste Geschenk des Himmels, das er dem Menschen gab; man kann sie nicht theuer genug er kaufen, wenn sie geraubt ist. — Stehet auf, und kommt, sprach finster der Wärter zu ihm. — Wir wurden einst unser mehrere zugleich verurtheilt, bin ich heute der Einzige? fragte Dolet. — Ihr werdet es oben sehen. Dolet begab sich in den oberen Saal. Hier fand er einen Gerichtsschreiber vor, an seiner Seite Waffenmänner. Dieser las ihm seine Verurtheilung und den Befehl vor, daß die Vollstreckung unver züglich geschehen solle. — Vortrefflich! antwortete Dolet, vollkommen unerschüttert. — Und wo sind meine Gefährten des Scheiterhaufens ?


273 — Das ist nicht Eure Sache, antwortete rauh der Aktuar. — Mein lieber Freund, es. wäre gut, wenn Ihr gegen Iedermann höflich wäret; entgegnete mit Ruhe Dolet. — Führt den Verurtheilten ab ! rief der Aktuar. Als man durch den niedrigen Saal kam, in welchem die Schaarwache sich aufhielt, wurde angehalten, um den Wagen abzuwarten, und Dolet sah hier auf einer Tragbahre einen Soldaten liegen, dessen blut befleckte Kleider auf dem Boden lagen und der schwer verwundet zu sein schien. Einer seiner Kameraden hielt Dolet die Faust in's Gesicht und schalt laut: — Das ist auch einer von den Banditen! We nigstens wird dieser für die Uebrigen büßen. — Was that ich Euch? fragte Dolet mild. — Sieh hier diesen armen Teufel; Einer der Deinigen hat ihn in diesen Zustand versetzt. Ist das unsere Schuld, wenn man Euch festnimmt? — Und warum unternehmt Ihr es, uns festzu nehmen? fragte Dolet lächelnd. — Seht, kann das anders geschehen! man be fiehlt uns auszurücken, um den Doktor Paracelsus zu fangen; — wie? — kenne ich für meine Person den Doktor Paracelsus? Was thut mir das ? ^Jch muß doch ausrücken Aber weßhalb uns denn todtschlagen? Kann ich dafür, daß er sich in der Lage befindet, ergriffen zu werden, he? II. 18


274 — Paracelsus! ist er festgenommen? — Ah, wohl! — antwortete der Hellebardier; das ist ein feiner Kunde, der! — Ellens, msrcknns! befahl jetzt der Chef der Escorte, und Dolet verließ den Saal. Lebhaft beschaftigte ihn der Gedanke, daß Paracelsus sich in diesem Augenblicke zu Paris be fand. Weßhalb hatte er Basel, den Schauplatz sei nes Ruhmes und seines Wirkens, verlassen, um sich so großen Gefahren auszusetzen ? Gewiß war er durch die Gefangenschaft seiner Freunde veranlasst, hiehcr zu kommen, um ihnen zu Hilfe zu eilen. Dieser Gedanke schmerzte den Iüngling tief. Den Verlust seiner selbst schlug er gering an, — aber Paracel- , sus Untergang wäre ein unersetzlicher Verlust für seine Zeit und die Wissenschaft gewesen, die er 'mit seinen Gefährten einer neuen Morgenröthe entgegen führte. — Er konnte sich nicht erwehren, die Hand lungsweise seines Freundes thöricht und unbesonnen zu nennen. Wo der heiligen Sache der Aufklärung, der Bannung der Sclavenketten des menschlichen Gei stes , der in der nächsten Zukunft aufdämmernden Ge dankenfreiheit so viel zu gewinnen war, da sollte und durfte er nicht sein so theures und kostbares Leben in die Schanze schlagen ! Denn noch immer verbrannte die blindstiere Kannibalenwuth hellblickende Männer, die frei zu denken wagten, noch immer trachtere man dem feucreisrigen Luther nach dem Leben, um dieses


für Wahrheit lodernde Feuer, wie Hussens heben — und jetzt das seine! — im Flammentode zu ersticken! *) Auch verließ ihn die Ahnung nicht, als er den unglückseligen Karren bestieg und er einen Blick über die ihn umgebende Menge umhersandte, daß er, inmitten aller dieser auf ihn gehesteten Augen, denen deZ Paracelsus begegnen würde. Seine Erwartung täuschte ihn. Und, wenngleich er sich diesen Zeugen seiner letzten Augenblicke gewünscht hätte, so gewährte es ihm dennoch innerliche Freude, ihn fern von der Gefahr zu wissen, die ihm neben seinem Scheiterhaufen drohte. Das Volk zu Paris, das sich auch dicsen Trauergeprängen in lachender und tobender Neugierde anzuschließen pflegte, umgab dießmal den Zug in düsterem Schweigen. Eine bedeutende Anzahl Studenten besetzte die Straße, und es zeigte sich deutlich genug, daß sie nicht hier waren, um ihre Beistim mung zu dem Urteilsspruche an den Tag zu legen und den Richtern ihren Beifall zu zollen, sondern um den Muth des Berurtheilten zu ehren und ihm durch ihre Begleitung auf seinem letzten, saueren Gange ihre Theilnahme zu beweisen. Und in der That bildete diese geistesrege, kenntnißreiche, gebildete Iugend aller Länder, welche schon an der begonnenen AufDie erste Spur einer hombopatbischen Kur in den my, stische» Düsicrköpfc»! Anm. des Ucbers. 18*,


276 klärung Theil nahm und künftighin in ganz Europa die Wissenschaften und den Geistesaufschwung der an brechenden Morgensonne verbreiten sollte, das glän zendste Gefolge für den Märtyrer der Emancipation des Geistes. Als Dolet auf dem verhängnißvollen Karren erschien, verlautete weder Mißbilligung und Unzufrie denheit, noch Beistimmung und Freude; Alles blieb stumm wie das Schlachtopfer selbst; denn er war noch in tiefe Gedanken versunken, welche die Worte des Soldaten in ihm erweckt hatten, und auf dem Wege zum Richtplatze war sein Geist mehr beschäftigt mit dem Gedanken an die Gefahr seines Freundes, als mit sich selbst, mehr mit dem neuen Verlust, womit die Sache, welche er vertheidigt hatte, be droht war, als mit dem Scheiterhaufen, den er zu besteigen ging. Der Himmel war grau und düster, der Morgen rauh und kalt, und die Luft durch einen scharfen Nebel wie verdichtet, so daß das Tageslicht kaum durchzubrechen vermochte. Der mit Wolken bedeckte Himmel, der Anblick der stillen und verlassenen Häu fte die in sich versenkte Haltung des Verurtheilten sowohl als der Volksmasse, die tiefe Stille und das sprechende Schweigen inmitten einer großen Menge, die Dunkelheit des hervorrückenden Tages: alles Dieß musste die Seele in düstere und melancholische Stim mung versetzen.


277 Dolet stand auf dem Karren mit gekreuzten Armen, den Kopf auf die Brust gesenkt, in seine Betrachtungen vertieft. — Christ! ertonte eine ernste Stimme an seiner Seite; benutzet die wenigen Augenblicke, die Euch in diesem Leben noch bleiben, zur Vorbereitung für jenes! Lasst Euch nicht durch die Furcht niederschlagen. — Dolet wandte sich lebhaft um und erblickte einen Priester. Er schüttelte den Kopf und lächelte. — Ehrwürdiger Vater, ich habe nie gefürchtet, antwortete er ihm; und in diesem Augenblicke weniger als je. — Müsst Ihr nicht Gott fürchten, vor dessen Richterstuhle Ihr jetzt erscheinen sollt? Fleht ihn an um seine Gnade, und seine Vergebung der Ketzerei und der Sünden, die Ihr begangen. Ich fürchte Gott weniger als die Menschen, erwiederte Dolet mit ruhiger Würde; ich bete ihn an, liebe und verehre ihn. Seine Güte und Weis heit hat mich in die Welt gesetzt, er ruft mich auch jetzt daraus ab. Ich wünsche meinen Richtern die Seelenruhe, welche ich in diesem Augenblicke empfinde. — Unglücklicher Jüngling! Auch in der letzten Stunde hienieden findet die Reue keinen Weg zu Eurem Herzen? Ihr wollt im ketzerischen Unglauben und in der Sünde, wie Ihr gelebt habt, auch in jene Welt zur ewigen Verdammuiß fahren? Und


278 diese Volksmasse, die von Entsetzen ergriffen Euch anstarrt, diese Volsmasse wird Dolet unterbrach mit ironischem Lächeln: — Non Dolet ipse Oolvt, «ocl lurba Dolet. Ihr werdet doch einiges Latein verstehen, Herr Priester ? fügte er hinzu. Der Priester schwieg einen Augenblick, und biß in die Lippen. — Ehrwürdiger Vater, wir wollen es hierbei bewenden lassen, wenn es Euch beliebt, fuhr Dolet fort; es ist unnothig zu sprechen, wenn man nicht gehort, und selbst nicht einmal verstanden wird. Mit diesen Worten wandte er sich ab, lehnte sich gegen den Rand des Karrens, und durchlief mit ruhi gem, ernstem Blicke die Masse, welche ihm schweigend folgte und mit jedem Schritte wuchs. Der Karren und seine zahlreiche Escorte hatte Mühe, in diesen engen und besetzten Straßen vorzudringen. Man konnte nicht verkennen, daß der Offizier, welcher das Detachement commandirte, und die ungewohnte Kälte und düstere Stille der Volksmasse bemerkte, nicht ganz ohne Besorgniß war, vorzüglich als in der rue (Zsin der Nähe der tsvsi'no öes <)ustre- Nstions , die Zahl der Studenten noch so bedeutend an wuchs, daß es ihm unmöglich wurde vorzurücken, und er sich genothigt sah, einen Augenblick Halt zu machen. Der Anblick dieses so theuren Ortes erregte ein tiefes Wehmuthsgefühl in der Brust des zum Tode gehenden


279 Iünglings. Hier hatte er so manche Stunden der Muße in heiterer Sorglosigkeit und lebendiger Fröh lichkeit verlebt! Wie viele Erinnerungen knüpften sich an diesen Ort! Hier schien sein ganzes Leben ver borgen zu liegen ; hier hatte er seine gesellige Laufbahn als freier Musensohn und als kräftig froher Bursche begonnen; hicr hatte er den ersten Schauplatz seines öffentlichen Auftretens gefunden, hier die ersten Gei steskämpfe gefochten und die ersten Siege erkämpft. Hier hatte er geherrscht und gelacht, und in heiterer c Ungebundenheit und in der vollen Losgelassenheit sei nes freien Geistes hatte er hier geredet, gesungen und gejubelt. Ietzt zog er düster schweigend vor über, zum Scheiterhaufen, um,— ganz nahe diesem Orte — als Ketzer und Rebell zu sterben! Seine Augen, welche schwärmerisch - wehmüthig nach diesem Hause blickten, begegneten einigen befreundeten Ge sichtern. Schnell gewann er seine feste, ernste Hal tung wieder und mit würdevoller Freundlichkeit winkte er ihnen seinen Abschied zu. — kaites plsoe, vivo Dien! schrie der Offi zier mit erhöhter Aengstlichkeit, als er diese Zeichen des Einverständnisses erblickte. — Die Masse bewegte sich nicht und blieb stumm ; diese verachtungsvolle Gleichgültigkeit, welche der Iustiz des Königs den Weg verrannte, ohne nur in Bewegung oder Aufregung zu gerathen, schien an und für sich eine Drohung zu sein. Und war dieß die erste Aeußerung


280 der Mißbilligung und der Reaction gegen die hin schlachtende, blinde Tyrannenwuth in Glaubenssa chen, welche in der Bartholomäusnacht ihren Gipfel erreicht — da sie hier den geistesstärksten, mildesten und vermittelnden unter den auftretenden Reforma toren zum Richtplatze sandte, so erreichte diese in der scheußlichen Pobelwuth der Revolution ihren blutdür stigen, mordschnaubenden Höhepunkt, wo sie sich in königlichem Blute badet, einen milden und guten, doch schwachen König mordend, und so die Bartholomäus nacht rächend, wo königliche Hände sich mit Unterthanenblut besudelten; und wurden hier die Weiber zu Hyänen, so war dort Katharina von Medicis die Mord anstiftende und gebietende Megäre gewesen. Die Welt geschichte ahndet oft langsam und spät, doch immer sicher und gerecht, oft schwer und furchtbar, als wäre wahre Gerechtigkeit nie milde. Als in diesem Augenblicke der Wagen stillstand, schwang sich ein junger Student diesem gegenüber , auf einen Pfahl, und sein Barer in der Luft gegen den Wagen hinschwenkend, zeigte er, indem er die Masse überragte, Allen seinen hellblonden Kopf mit dem zarten, sanften Gesicht, in welchem ein tiefer, lebhafter Schmerz zuckte: — Adieu! Estienne, Adieu! rief er mit thränenfeuchten Augen! Deine Freunde bezeugen Dir ih ren Schmerz und ihre Bewunderung ! Möchte dieß Bewusstsein Dir Deine Leiden .mildern !

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28t — Adieu ! antwortete D o l e t mit fester Stimme. — Hast Du uns noch eine Mittheilung zu machen, noch eine Anempfehlung oder einen letzten Wunsch zu hinterlassen? — Ia, rief mit Kraft Dol et. Ich hinterlasse Euch meine Liebe für die Menschheit und meinen Haß gegen die Unterdrückung! — k'gites plsoe! SU n«m äu roi! wiederholte der Offizier; Loläsis, Serres Iss lusrcko! Und der Karren rollte langsam vorwärts. — Und Dein nachzuahmendes Beispiel! rief mit "feuriger Kraft der zarte Iüngling. — Heiliger Mär tyrer! wir erbitten Deinen Segen! Eine große Anzahl der Nahestehenden entblößte gleichzeitig und unwillkührlich das Haupt, und Dolet, in innerster Bewegung, die er bisher noch im mer unterdrückt hatte, aber voll einer sanften Rüh rung, wie sie hier kaum stattfinden durfte, breitete die Arme gegen die Menge aus. — Lebt wohl, Brüder und Freunde! Wachset und mehret Euch zur Verbreitung der Herrschaft der Vernunft! Zertretet die Finsterlinge, ihre Feinde, die ihr entgegenarbeiten! Möge mein Tod Euch die Mahnung fein, ohne Zögern und Zagen auf dem Wege der Gerechtigkeit fortzuwandeln! — Denn ich habe ohne Eigennutz und Ruhmbegierde gelebt und sterbe ohne Reue und Furcht! Der Wagen rollte fort, die Räder stießen mit


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dumpfrasselndem Geräusche auf das unebene Stein> Pflaster , die Pferde der Escorre wieherten und stampften, die Waffen der Soldaten klirrten und — Dolet's fernere Worte verhallten in diesem Getöse. Aber wo die Straße sich verengte, indem sie zum Maubertusplatze umbog, zwang die nachfolgende sich drängende Masse den Wagen von Neuem anzuhal ten. Schon konnte man den mitten auf dem Platze sich erhebenden Scheiterhaufen erblicken. Da noch einmal in ihrem Herzensdrange stürzten mehrere Uni versitätsjünger, mit gemeinsamer Anstrengung das von den Soldaten gebildete Spalier durchbrechend, auf den Wagen zu. — Adieu , D o l e t ! rief Oporinus, in Schmerz aufgelöst auf ihn zustürzend, und rasch auf die Speichen des Rades steigend und sich hoch bis zu ihm erhebend und noch einmal in das geist reiche, ruhig-liebe und blasse Antlitz schauend, flehte er: Deine Hand, Dolet! Dolet drückte kräftig und mit Rührung die ausgestreckte Hand. — So weine doch nicht, mein Iunge! sprach er, blick' her, wie ruhig Du mich siehst. Es ist schön, für das Schone in den Tod zu gehen, und dem Menschen ein beneidenswerthes Glück ! Mehr war ihm nicht vergönnt zu sagen. Ein Soldat hatte Qporinus gewaltsam vom Rade ge rissen und zur Erde geworfen unter die Hufe der


283 Pferde, die, rasch jetzt vorwärts getrieben, ihn fast zermalmt hätten. Man lenkte jetzt auf den Platz und die Pferde schleppten im Galopp den schweren Wagen hinter sich her, der dumpf rasselnd am Scheiterhaufen anlangte. -— Endlich ! — sprach der Offizier tief aufathmend — sind wir am Ziele. ^ Die Soldaten reihten sich um das unselige Gerüste herum. Dolet stieg vom Wagen und schritt festen Ganges zum Scheiterhaufen. Bon den Fenstern einiger, den Platz umgebenden, alten Häuser aus bemerkten ei5 «ige guten Leute mit Entsetzen, daß in dem Augenblicke, wo der Priester, noch einmal den letzten Versuch zu sei ner Bekehrung machend, ihm das Kruzifix zum Kusse reichte, er langsam den Kopf schüttelnd sich abwandte und sich begnügte, die Hände und die Augen einige Augenblicke zum Himmel zu richten. — Wie Schade! sprach eine Frau, daß ein so junger und so schöner Mensch, der ein so sanftes, geistreiches Aussehen hat, wirklich auf ewig zur Holle verdammt ist! Das Geschick schien noch einmal in den letzten Augenblicken alle Orte Dolet's Augen vorübcrführen zu wollen, welche Erinnerungen in seiner Seele erwecken konnten. Als er den Scheiterhaufen bestieg, befand er sich dem Hause Alberts des Großen gegen über; seine Blicke hefteten sich auf das Fenster, wo vormals in später Mitternacht die Studirlampe des


284 jungen Doktor flammte.— Kein großer Zeitraum war seitdem verflossen und doch — welche Ereignisse hatten sich vorübergewälzt! — für ihn also endeten sie im Scheiterhaufen! — und für Ienen? Was ward aus ihm? welches Schicksal wartet seiner? So groß auch Dolet's Standhaftigkeit war, alle diese auf ihn eindringenden und seinen Geist be stürmenden Ideen überwältigten ihn: seine Kräfte schwanden; es schwindelte in seinem Gehirne; die Sinne verließen ihn ; er schwankte ; Alles um ihn her wankte und drehte sich im Kreise; seine Augen wa ren von heißen Thränen gefüllt, die sein Erstarrtsein nicht fließen ließ, und wodurch sein Gesicht getrübt und geblendet wurde; er fühlte seinen Körper zusam mensinken; seine Kniee wankten unter ihm, und er . sank gegen den Pfahl, woran die Kette, befestigt war, die den jungen blühenden Leib an die Richt stätte binden sollte. — Ihr habt den Heiland erzürnt, junger Mann, sprach der Henkersknecht, der mit kaltem Blute ihn jetzt festkettete. Diese Rede weckte Dolet aus feinem Ohnmachtsgefühle und brachte ihn wieder zu sich selbst. — Wie das? fragte er matt, doch sich allmälig erholend. — Fühlt Ihr den anhaltenden, kühlen Wind, der Euch in's Gesicht bläst? den sendet der Heiland, junger Mann; der ist Euch sehr verderblich , dieser Wind!


285 — Ha, ich verstehe! erwiederte Dolet, der sich von seiner momentanen Schwäche ermannt hatte; er wird das Feuer anblasen.— Nun wohl, so ist es desto rascher zu Ende! Der Henker schüttelte den Kopf, einen pfeifen den Zischlaut aus seinem Munde sendend, während er seine Arbeit vollendete und entgegnete. — O, bei Leibe nicht! Er wird im Gegentheile den Rauch zurücktreiben — und dann junger Mann — gebt Acht! Unser Eins hat Erfahrung! Er hatte seine Werkzeuge zusammengerafft und verließ den Scheiterhaufen. Bei diesen Unheil prophezeihenden Worten fühlte Dolet ein convulsivisches Erzittern durch alle Glieder seines Korpers; sein Haar sträubte sich, als er die Leiter verschwinden sah, wel che der Henker mitfortnahm. — Einen Augenblick drang ein knisterndes Geräusch in sein Ohr; er em pfand einen brünstigen Harzgeruch. Er glaubte eine Ohnmacht werde ihn aufnehmen, aber zum Unglück fühlte er so heftiges Brennen unter seinen Fußsohlen, daß er dadurch der Empfindung aller ihn drohenden Qualen zurückgegeben wurde. — Ihr Alle, die Ihr mich sehet! — ertonte hell und laut seine Stimme, daß sie den Platz erfüllte, und sich über die Masse erstreckte, welche in stum men Entsetzen 'harrte und horchte; — ich nehme Euch zu Zeugen des scheußlichen Mordes, welchen die Feinde der Wahrheit und Aufklärung an mir verüben, mei-


386 nen Freunden empfehle ich mein Andenken, das Heil ^meiner Seele der gottlichen Barmherzigkeit, und der ewigen, unausbleiblichen Gerechtigkeit die Rache meines Todes, die Strafe meiner Henker! Dann sank das HaUpt auf die Brust, seine Au gen schlössen sich, und er kämpfte gegen die furchtbare Pein an, um ohne Schwäche zu sterben, wie er gelebt. Die Wahrsagung des Henkers erfüllte sich. Der ziemlich starke Wind, welcher sich erhoben hatte, nährte das Feuer und scheuchte die dicken, qualmenden Rauchwolken wirbelnd hinter den Scheiterhaufen zurück, die bei heiterem Wetter den unglücklichen an den Pfahl Gebundenen mit einer Rauchsäule umgeben und un fehlbar erstickt haben würden. Nun aber entwickelte sich drohend und entsetzlich das verzehrende Leben der todtbringenden Flamme, die bald sich in Krümmungen .zischend niederbeugte, bald schlangenformig hochaufflackernd sich in eine weiße und hellrothe Feuerkrone erhob, jetzt die Schenkel des Unglücklichen, deren Be kleidung sie verzehrt hatte, umhüllend, dann, gegen das unerwartete Hinderniß ankämpfend, seinen Korper umgebend, sein Antlitz leckend, und so seinen Körper immer enger und zischender umgebend und in ihre sengenden Schlangenlinien einzwängend. Inmit ten des anhaltenden dumpfen Brausens und Zischens der Flamme, welche vom Winde gepeitscht schnaufte und keichte, wie vom Blasebalge gehetzt, und bei dem knisternden und prasselnden Getöse des harzigen Hol-

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zes horte man das Stöhnen und die Seufzer, welche die Qual ohne Zweifel dem Gefolterten auspresste, nicht. Man sah nur noch das Haupt 'und die Schul tern, welche aus dem Feuermeere hervorragten, wäh rend die Flammen schlängelnd und zischend an den Seiten herumleckten; dieses Haupt, das von einem unsäglichen Schmerze verzerrt und wie mit einer Hollenglorie von einer gramdthlichen, gegen die Atmos phäre durchscheinenden Rauchsäule umgeben war, wel che sich wirbelnd hinter den Pfahl fortwälzte, und bald sich in die Hohe richtend zum Himmel anstrebte, bald zuckend von einer Schulter zur anderen sich be wegte. Und wäre dieser Körper, welchen man kaum noch unterschied und der, von einem Feuermantel um hüllt, einer brennenden Statue ähnlich war, vom Pfahle entfesselt worden, er würde ohne Zweifel sich, gewunden und gekrümmt haben wie eine grüne Rebe inmitten der Kohlenglut. — Ich sagte es Dir wchl, Walther! flüsterte der Henker seinem Gehilfen ins Ohr; das Holz ist trocken, der Wind sehr heftig das Alles ver mehrt die Leiden des armen Teufels bedeutend, und wenn das so anhält, hat er noch eine Weile auszustehen. . Ich hatte doch nasse Scheit mit darunter gelegt, antwortete Walt her, eine Bewegung der Schultern machend, welche sein Mitgefühl ausdrükken sollte.


288 —,^a, aber der Wind! erwiederte der Vorgesetzte den Kc schüttelnd, mit der Miene bewusster Ueberzeugung; der Wind, siehst Du, den sendet der Him mel ! Wenigstens wir haben unser Möglichst? gethan, Walther, fügte er mit dem Ausdrucke eiiÄ, vollkommen zufriedenen Gewissens, hinzu. Und n kreuzte die Arme und sah mit gelassener Ruhe den Schmerzenszuckungen des Iünglings zu. In diesem Augenblicke entstand ein gewaltsamer Lärm und ein heftiges Drängen am Ende des Platzes, in der Gegend der Galande- Straße, und man er blickte mehrere Männer zu Pferde, die, die Masse auseinandersprengend, im Galopp dahereilten. Wie der Blitz war der erste von ihnen in der Mitte des Platzes. Er stieß einen Schrei des Entsetzens aus bei dem graufenvollen Anblicke, der seine Augen jetzt traf, und sein mit Schaum bedecktes und im Schweiße gebadetes Pferd, das der Lenkung entbehrte, stieß so gewaltsam gegen die Schranken haltenden Solda ten, daß es niederstürzte. Es erhob sich jedoch so gleich wieder. — Was ist das nochmals? schrie der Offizier rasch hinzutretend. — Die Begnadigung des Königs! rief Paracelsus mit donnernder Stimme, und schwenkte von seinem Pferde herab eine Pergamentrolle, die im Winde flatternd das herabhängende große königliche Siegel zeigte. — Die Begnadigung des Königs! Zertrümmert den Scheiterhaufen! Reißt ihn ausein ander! Drauf! Löscht ihn aus! Auf den Scheiter haufen! Auf den Scheiterhaufen! Einen Augenblick blieb die Masse starr vor Er staunen; aber es war nur ein Augenblick. Im nächsten


289 war die Gasse der Soldaten durchbrochen; die Stu denten stürzten zuerst auf den Scheiterhar ^,; in einem Moment war er niedergerissen, auseinander gesprengt und mit Wasser überschwemmt, das alle Hände aus den nächsten Häusern herbei schleppten und zureichten. Dolet wurde halb verbrannt vom lodernden Pfahle gerissen, auf eine Matraze gelegt und in den untern Stock des Haufes Alberts des Großen getragen. Hier lag er regungslos. Sein ganzer Körper stellte nur eine Wunde dar, grässlich anzuschauen! ^as Fleisch der Arme und der Beine hatte das <^euer verzehrt, und sie zeigten nur die entblößten, schwarzen Knochen. Nur sein Kopf, noch unversehrt und schön, drückte das erhabene und schreckliche Bild der unterdrückten Qual und der sich ergebenden Hel dengröße aus; sein Mund, um den noch das satiri sche Lächeln schwebte, ließ den Schmelz der knir schenden Zähne sehen, seine Augen zeigten einen un bestimmten, halb umherschweifenden, halb stieren Blick, und ohne ein leises Zittern der Augenlieder und ohne den matten Hauch, welcher sich zischelnd durch die geschlossenen Zahnreihen drängte, hätte man das Le ben aus ihm entflohen geglaubt. Paracelsus jedoch, welcher vor ihm kniete, wusste durch die Sorgfalt seiner Bemühungen, ihn wieder zu sich selbst zu bringen. Nach und nach be lebte sich des Unglückseligen Auge; er öffnete den Mund, um herzzerreißende Schmerzenslaute hören zu lassen. Die Zuckungen hörten auf und sein Kopf sank kraftlos auf die Schulter. Ietzt traf fein um herirrendes Auge auf die Gestalt des Paracelsus und das Todesgesicht erglänzte noH einmal von ei II. 10


29« nem matten Strahle der Freude, seinem Munde ent schlüpfte ein schwacher Freuden-Ausruf und es schien, als bestrebte er sich seinen halbverbrannten Arm dem Freunde entgegenzustrecken, um dessen Hand zu er greifen. — Ah! Du bist's stammelte er. Ich ich erwartete dich nicht mehr. Paracelsus bot seine Kräfte auf, um seine Thränen zurückzuhalten. — Du bist gerettet! antwortete er. Fasse Muth, theurer Freund: Du bist frei, und vom Tode erlöst! Trage standhaft! — Ach! Ach! ich leide entsetzlich! stöhnte Dolet in Todesangst. — Oh!!! Paracelsus wischte den Todesschweiß von sei ner Stirn und besichtigte die Verletzungen. Mit dem Bewusstsein kehrten die qualvollen Schmerzen des Un glücklichen in unendlicher Steigerung zurück. Er wand und krümmte sich, wie mitten in den Flammen. — O, mein Gott, mein himmlischer Vater, rief er, kannst Du es dulden, daß ich so leide; Deinem allwissenden Auge ist es ja nicht verborgen, daß ich nur das Gute wollte. — O , diese grausamen Rich ter! Ich brenne! ich brenne! — Paracelsus! — wendete sich Oporinus zum jungen Arzte, indem er einen fragenden Blick auf ihn heftete; — hast Du Hoffnung, ihn zu retten? Paracelsus ließ das Tuch zurückfallen, wo mit man den verstümmelten Korper bedeckt hatte, ließ seinen Kopf auf die Brust sinken und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. — Hast Du Hoffnung, Paracelsus? wie derholte mit angstvollem Ausdrucke Oporinus.


29l — Nein! antwortete dumpf Paracelsus, sein blasses Gesicht, auf welchem Schmerz und hinsinkende Ermattung zu lesen war, da bisher die Anspannung seines Geistes und Korpers, während er alle Kräfte aufbot, seinen Freund zu retten, ihn aufrecht erhal ten hatte, in die Hohe richtend. Sein thränenfeuchtes Auge blickte starr zum Himmel. Seine Anstren gungen waren vergeblich gewesen, die grausige Gewissheit des Entsetzlichen lag jetzt vor seinen Augen und war als unabwendbar in seine Seele geschrieben. — O, Freund ! Freund ! klagte D o l e t mit schmerzensvollem Seufzen und geschlossenen Augen. Ich be darf Deiner Hilfe. — Nicht wahr Du wirst mich hei len? — O, die Füße! die Füße! — wie sie bren nen! Warum bist Du gekommen? — Sie werden Dich auch verbrennen! — O, ich dachte es wohl! — sie verbrennen auch Dich! — Ach, und wie schmerzt das mich! Ia, er schmerzt mich tief dieser Gedanke! — Sie verbrennen alle braven Män ner! — O! — Ia, der Wind! Es war Gottes Wille! — Er sagte es mir — Du heilst mich ge wiß, nicht wahr? — Wo bist Du? ich möchte Dich gern sehen — Wie, keine Hoffnung! rief Oporinus, seine Frage an den jungen Arzt wiederholend, der in stummer Verzweiflung, die Arme über die Brust gekreuzt, mit gesenktem Kopfe und die Augen auf Dolet's entstelltes Gesicht geheftet, dastand und in kummervoller Zerknirschung seine Ohnmacht empfand, da nicht mehr helfen zu können, wo er so gern Bei stand geleistet hätte. — Hoffnung ! wiederholte der mit dem Tode Ringende, — noch einmal mit Anstrengung die Au 19*


292 gen öffnend o, ich fühl's, es giebt keine mehr für mich! — Paracelsus, o, ich leide unendlich! — Warum hast Du mich nicht dort gelassen! — Ge wiß ich hätte schon ausgelitten! — O, es ist uner hört, was ich leide! — O! O! Wenn Du mich liebst, Paracelsus, — ja — wenn Du mich liebst — so tödtest Du mich! — O, hätte ich die Kraft, meine Qual zu enden! — Paracelsus, ich flehe Dich an, todte mich! — todte mich, und — ich will Dich segnen ! — Der Segen Deines sterben den Freundes! Paracelsus, — wenn Du ihm zum Tode hilfst! — Du weißt, ich rettete Dir einst das Leben, — rette auch mich jetzt von der Qual, da Heilung nicht möglich ist!— O, das Feuer der Holle kann nicht ärger brennen! — Ach! — Ach!! — — Oporinus! sprach Paracelsus mit sicht barer Ueberwindung und lebhaftem Schmerzgefühle, reich' mir ein Glas. Dann drückte er auf feinen Degenknopf, wodurch dieser sich öffnete, und goß in das ihm dargereichte Glas eine dicke, dunkelbraune Flüssigkeit. Die Hand zitterte ihm, als er es den Lippen Dolet's näherte. — Auch das noch.' rief der Unglückliche? um noch einige Augenblicke länger zu leben ? Nein! Nein! Nein ! Ich will nicht länger — will nicht länger — Es ist um Deine Schmerzenspein zu enden! antwortete Paracelsus. Ah! stöhnte Dolet, das irrende Auge auf den ärztlichen Freund richtend. Wohl! ich verstehe! — Dank! Dank! es ist das ewige Leben, das Du mir darreichst — ; ja, denn durch die Hölle wurde ich schon geläutert! — Gesühnt müssen meine Sünden sein — durch diese Folter; ^- und ist der


SV himmlische Vater gerecht, so nimmt er mich in seinen Schooß auf. Wenige Augenblicke nachdem Dolet getrunken hatte, legte sich sein wimmerndes Stöhnen und be ruhigten sich die qualvollen Zuckungen, in denen sein Körper sich wand; der Kopf sank langsam hinten über und seine Augen schlössen sich. — Ia, ich fühle Milderung und Ruhe, flüsterte er. — Ich sage Dir Dank, Freund; Du hast gethan, was Dir möglich war Lebe wohl! — ich wünsche nichts mehr auf dieser Erde, und verlasse sie gern. Du bleibst in Kraft und Muth zu rück — Du wirst das Werk der geistigen Wiederge burt der Menschen vollenden helfen, als deren Mär tyrer ich sterbe. — O, welcher Schmerz! Gott, mein Gott erlöse mich; Herr! Du seist gepriesen, denn Du hast es gewollt! — Nimm mich auf zu Dir, mein himmlischer Vater! Wo bin ich? Paracelsus, ich bitte' nur noch Deine Hand — das Letzte in dieser Welt Du Oü! die FeuerMassen!! — Paracelsus legte die Hand auf die Schläfe des Iünglings und untersuchte das Klopfen der Arterien. Deine Hand! flüsterte Dolet sie ist kalt! das ist der Tod! — es ist Er sprach noch leise, aber seine immer schwächer werdende Stimme wurde gänzlich unverständlich; es war nur noch ein schwacher Hauch, der dem Munde flüsternd entstieg; wie das Säuseln unartikulirter Tone beim Athmen eines Schlummernden. Sein Kopf wurde schwer und sank gänzlich zu


294 rück; sein Athem stockte, wurde kurz, und nach und nach nur in kürzeren Zwischenräumen vernehmbar; man sah das Leben allmälig in ihm erlöschen, wie eine der Nahrung ermangelnde Kerze, die zuletzt nur noch einen Lichtstern ohne Strahlen zeigt. So zeigte sein Gesicht nur noch einen matten Lebensfunken. Auch er erlosch. Und die Knochenhand des Todes drückte das Siegel der bleiernen Schwere und ihre Kälte dem Körper und dem bleichen, stillen Antlitze auf. Paracelsus hatte einen Freund verloren. Nachdem er noch einige Minuten im Schweigen des düstern Schmerzes am Lager der ihm so theueren Leiche verweilt hatte, erwachte in ihm der Gedanke, daß noch Andere seiner Hilfe harrten. Die Pflicht rief ihn von dem Entschlafenen zu denen, die noch athmeten. Er deckte das Tuch über Dolens Kopf und erhob sich. Sein Gesicht zeigte Ruhe, aber die ernste Ruhe, welche die tiefen Schmerzen der Seele deckt. Er legte seine Hand auf Oporinus Schulter: — Freund, für den Einen kamen wir zu spät, lsss' uns eilen, dem Anderen Rettung zu bringen.' Sie bestiegen ihre Pferde und überließen Dolet's Ueberreste der Sorgfalt der im Hause versammelten Studenten und wandten sich zunl Chatelet. Die Ge fahr, welche Fernandez bedrohte, war nicht so drin gend, als die, welche Dolet seinem Freunde entriß. .Oporinus hatte gegen das gefällte Urtheil appellirt, sich auf die Eigenschaft des Fernandez als Frem der gründend. Obgleich nun dieser Grund bei einem Verbrechen der Majestätsverletzung und der Verschwö rung wenig Gewicht hatte, so hatte doch das Wohl wollen, das der junge Baccalaureus bei mehreren einflußreichen Personen genoß, dahin gebracht, daß


295 die Appellation vorläufig angenommen war. Die Sache des Fernandez war daher von der seines Mitschuldigen getrennt und der Executionsbefehl nur in Betreff Dolet's ausgefertigt worden. Doch war leider Fernandez darum nicht we niger in Gefahr. Schon seit längerer Zeit war sein Korper durch die Anstrengungen, Wunden und Ent behrungen des Lberstandenen Bürgerkrieges, dann durch die Beunruhigung und Sorgen der Verban nung und endlich durch seine zu Paris geführte aus schweifende Lebensweise völlig erschöpft. Jetzt kam hinzu, daß er kaum von einer schweren Krankheit genesen, als schwacher Reconvalescent das Ungemach des Kerkers ertragen muffte, wovon die natürliche Folge eine neue gefährliche Krankheit war, welcher er ohne die Hilfsleistung und Unterstützung, welche die unwandelbare Freundschaft des Oporinus und die treue, rührende Sorgfalt der Genovefa ihm darbrachten, jedenfalls unterlegen hätte, noch ehe er vor seinen Richtern erschien. Sein Charakter hatte mehr aufbrausenden Muth als wahre Unerschrockenheit und Festigkeit, und er war weit entfernt, in seiner Lage die verachtungsvolle Ruhe und die unwandel bare Festigkeit seines Mitgefangenen Dolet zu be haupten , daher ihn seine Gefangenschaft völlig da nieder beugte. Es schien jetzt sein Einkommen gegen den Richterspruch, um ihn dem Tode zu entreißen, überflüssig und die Richter nahmen es um so bereit williger an, als es ihnen nur als ein Aufschub dar gestellt war, der einem dem Tode Verfallenen die Schrecken der Hinrichtung ersparen sollte. Sein zerbrechliches Dasein war in diesem Augen blicke durch die Nachricht der Begnadigung, obgleich


2W sie ihm mit aller schonenden Sorgfalt beigebracht worden war, von Neuem auf's Heftigste erschüttert worden. Er verlor das Bewusstsein zu verschiedenen Malen. Auch die Hinschaffung in seine Wohnung wurde ihm verderblich, und als man ihn in seinem Zimmer niederlegte, war er ohne Gefühl und Be wusstsein. So hatte also Paracelsus nur die Leiche sei nes hingeschiedenen Freundes verlassen, um an dem Lager seines sterbenden Freundes zu wachen.

Ende des zweiten Bandes,








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