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(Paed. Th.)
Amos Comenius der Begrßnder der neuen Pädagogik
Dr. Eugen Pappenheim
Verlag von P. Henschel 87
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Amos Comenius, der Begründer der neuen Pädagogik,
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Berlin, Verlag von F. Henschel. 1871.
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In
diesen Tagen schliesst das zweite Jahrhundert nach dem Tode des Johann Amos Comenius. Lebendiger als sonst erinnern sich seiner jetzt seine Berufsgenossen. Wer aber kennt ausser ihnen den Mann?
Selbst von den Gebildeten haben ihn
viele noch nicht nennen hören, dem Volke ist er völlig fremd. Und doch knüpft sich an seinen Namen ein selten reiches Schaffen und Wirken, eine Fülle grosser Gedanken, Gedanken, auf denen zum Theil das heutige Staats- und Culturleben ruht und welche
mächtig arbeiten in der wogenden Seele unseres Zeitalters. Es ist auffallend, dass Comenius so ungekannt geblieben, dass er von denen, die ihn kannten und kennen, nicht genügend gewür
digt worden ist. Diese Thatsachen zu erklären bedarf es weit verzweigter Untersuchungen.
Aber auch schon auf ihn hinzu
weisen, seine Bedeutung in grossen Zügen zu verzeichnen ist eben noch eine berechtigte Aufgabe, und sie ist es, mit der sich diese Blätter beschäftigen. -
Pappenheim.
Comenius.
-
1
1.
Es scheint ein Gesetz in der Entwickelung des Individuums, dass schon vor dem Eintritt in das Mannesalter die Gedanken
kreise sich absetzen, innerhalb deren die spätere Arbeit sich be
wegen und verlaufen soll. Alle weitere Thätigkeit ist vorwiegend eine Ausarbeitung in die Breite und Tiefe.
Wie die künstlerische
Begabung sich im voraus ankündigt, ebenso deutlich, nur vielleicht in der Zeit etwas später, bekundet sich die echte metaphysische, historische, mathematische Richtung des Denkens, und selbst die Grundgedanken befestigen sich, um welche alle ferneren Entwicke
lungen krystallisiren. Comenius würde diesen Satz ebenso theoretisch gebilligt haben als er selbst einen Beleg dazu lieferte. Als er in den zwanziger Jahren stand, hatten Natur, Schicksal und Studien über seine innere Zukunft bereits fest entschieden: wie wechselvoll auch sein
äusseres Leben war, er war zum Schulmann bestimmt, oder um das hier zutreffendere, umfassendere Wort zu gebrauchen, er war Pädagoge, nicht eben blos nach Amt und äusserer Thä–
tigkeit, sondern im innersten Kern seines Wesens; und die spä teren vier, fünf Jahrzehnte seines Lebens galten nur der Erfüllung der göttlichen Mahnung, welche er um jene Zeit vernommen zu haben glaubte: „Diene mir mit dem Geiste, und allen Menschen
mit dem Leibe. Thue, was dir befohlen, dulde, was dir aufgelegt wird – – Nun gehe hin! Stehe in deinem Beruf, bis ich dich abrufen werde, und freue dich der Seligkeit, zu welcher ich dich berufen habe.“ –
Aber es waren an Schicksalen und Erfahrungen, Arbeit und Studien reiche Jahre, welche damals schon hinter ihm lagen. Frühzeitig hatte er seine Eltern verloren und dann nur geringe Erziehung genossen. Zwanzig Jahre alt, begann er 1612 fern von seinem Heimathland Mähren, im Westen Deutschlands und zwar, da er zur böhmischen Brüdergemeinde gehörte, auf den protestan
tischen Universitäten Herborn (in Nassau) und Heidelberg seine
wissenschaftlichen, besonders theologischen Studien. Von dort aus besuchte er 1613 die Niederlande und lernte die ihm später so
3 theure Stadt Amsterdam kennen. Im folgenden Jahre krank und mittellos zu Fuss nach Prag zurückgekehrt, trat er in Prerau
(Mähren) als Rector der Schule der dortigen Brüdergemeinde ins Schulamt, ging von hier aber 1618 als Pastor und Schulcurator nach Fulnek über, wo ihm nicht lange darauf der Tod Frau und Kinder entriss. In diese Zeit fallen seine ersten litterarischen Arbeiten. Eine von der Jenenser und Giessener Akademie belobte Schrift des
Wolfg. Ratichius über die Verbesserung des Unterrichts hatte ihn schon in Herborn angeregt, und so beschäftigte den 22jährigen
jungen Mann in Prerau der Gedanke einer „sanfteren“ Lehr methode. Seine erste Schrift, eine lateinische Grammatik, erschien 1616 in Prag. Die anderen Arbeiten aus dieser Zeit verlor er
bei der Einäscherung Fulnek's durch die Spanier (1621). Doch was bedeutete für ihn dieser Verlust im Vergleich zu der Kette von Schlägen, welche der Religionskrieg über seine Kirche brachte, zu den Schmerzen, welches sein so starkes und doch so kindlich
weiches Gemüth um sein Vaterland und um dessen nun von Er
ziehung und Unterricht verlassene Jugend litt, zu dem Verlust von Vaterland und Heimath, welcher ihm für alle Zeit zu Theil ward!
Kurz nach dem Brande Fulneks begann sein Exil. Durch die politischen Ereignisse aus seinem Amt in Kirche und Schule getrieben, lebte er mit einigen Amtsgenossen mehrere Jahre im Versteck bei einem adeligen Gönner (Herrn von Sadovsky), in den böhmischen Bergen, nahe den Quellen der Elbe. Erst um das Ende dieser Zeit kehrte er wieder zu didaktischen Arbeiten
zurück. Aber inzwischen, in der „lästigen Musse“, in welcher „müssig zu sein ihm doch weder erlaubt noch lieb war“, sam melte er sich zu ernster Betrachtung über die Welt und über sich selbst. Das Ergebniss dieser Arbeit überreichte er im De cember 1623 dem wohlwollenden Patron seines früheren Amtes,
freilich, ohne dass „er für jetzt es wage, die Absicht, in der er
es thue, auszusprechen“; doch werde (hofft er) der Empfänger sie „mit seinem Scharfsinn errathen oder es werde auch ein andermal möglich sein, sie deutlich zu sagen“. Auch der fremde Leser erräth sie, und desto mehr lohnt es, bei dem allegorischen, bald in ernstem bald in scherzhaftem Tone verfassten Schriftchen zu verweilen. Es ist das Bekenntniss seines religiösen Glaubens und seines Denkens, die Summe seiner bisherigen mannichfachen Lebens erfahrungen, die Aufgabe seiner Zukunft, welche Comenius in sei nem „Labyrinth der Welt und Paradies des Herzens“ niedergelegt hat. „Auch mir hat Gott“, heisst es in der Vorrede, „die Gnade erzeigt, wofür ihm mein Herz und Mund ewig danken wird, die
betrügliche Eitelkeit der Welt in ihrer wahren Gestalt zu er kennen; sie soll, das hoffe ich von seiner Güte, mit ihrem viel versprechenden Schein mich nicht mehr täuschen, noch dahin ver mögen, dass ich in ihr meine Glückseligkeit suchen sollte. – – Gehab dich wohl, lieber Christ! Der Geist Gottes lehre dich, 1x
–– besser wie ichs kann, die Eitelkeit der Welt und die Freude, Trost, Wonne und Herrlichkeit der Heiligen kennen!“
Wie er in die Jahre kam, wo man vernünftig wird, (so er zählt Comenius in dem ersten Theile der Schrift) pilgerte er durch die Welt, das Reich „der Königin Weisheit“ – „naseweise Bu ben nennen sie Eitelkeit“ – um jene kennen zu lernen und ab zuwägen, welche Lebensart er wählen solle, um ein „ruhiges ver gnügtes Leben“ zu führen. Seine Begleiter sind zwei Diener der Königin, „Allweis-Ueberall“, der ihm Alles zeigen, und „Blend ner“, der ihm Alles erklären soll.
Sie versehen ihn mit einem
Zaum aus Riemen des Fürwitzes und Eisen der Hartnäckigkeit,
damit er nicht aus freier Entschliessung, sondern von Begierden getrieben, die Reise fortsetze und mit einer Brille, welche allen Dingen ein anderes Ansehen gab. Er geht nun durch die Welt, nicht wie Andere, als Herrscher, Diener, Soldat etc., sondern mit der ihm ausnahmsweise verstatteten Devise: „Beobachte!“ Er be merkt bald beim Eintritt, indem er genau zusieht, dass „fast alle Menschen maskirt“ sind. Comenius schildert nun die Leiden des Ehestandes und des
Familienlebens. Da er „die Eltern ermahnt ihre Affenliebe, die Kinder den Ungehorsam abzulegen“, wird er von Beiden gemiss handelt. Doch versucht er es selbst mit dem Ehestand; der Tod aber raubt ihm bald die Seinigen. Dann sieht er das unredliche und eitle Treiben des Nähr
standes. Besonders aufmerksam aber beobachtet er den gelehrten Stand in seinem wissenschaftlichen Treiben und in seiner Jugend bildung. Den Eingang zu dem Stande bildete ein Thor, Disciplina ge nannt; es ist lang, schmal, dunkel und mit bewaffneten Hütern besetzt. Diese halten mit jedem Eintretenden ein strenges Exa men, ob er einen ehernen Kopf habe, damit er nicht berste (ge sunder Körper); ob das Gehirn quecksilberartig sei, sonst „kann -
kein Spiegel daraus werden“ (Witz); ob er eine Haut von Eisen habe, sonst kann er die Information nicht aushalten (Unterwürfig keit); ob er einen bleiernen Sitz habe, sonst „sitzt er nichts aus“ (Beharrlichkeit), und ob er Geld in der Börse habe, sonst be kömmt er weder todte noch lebendige Lehrmeister. Darauf wird den Zöglingen von den Hütern „in die Ohren geblasen, es wer den ihnen die Augen ausgerieben, die Nasen gereinigt, die Zungen beschnitten und die Hände gelenksam gemacht“; auch versucht man „ihnen den Kopf zu durchbohren und etwas einzutrichtern“. „Denn“, sagte der Begleiter, „gelehrte Leute müssen ganz andere Augen, Ohren, Zungen und Gehirn haben, als andere gemeine Leute . . . . und das kann freilich ohne Mühe und Schmerzen
nicht abgehen“. Daher „mussten die armen Buben nicht nur die Börse, sondern auch öfter die Haut herhalten: Rücken, Kopf und Sitz wurde vom Stock, von der Faust und Ruthe so oft heim gesucht und gebläut, dass viele von den Ankömmlingen, wenn sie nur in's Thor sahen, zurückbebten. Die Wenigsten hielten solange
–– aus, bis sie aufs freiere Feld der Wissenschaften kamen; unter diesen war auch ich“.
Comenius lässt sich nachher unter die Studenten, Magister und , Doctoren aus allen Wissenschaften führen. „Viele unter ihnen haben keine Augen, und viele keine Zungen; viele zwar Zungen, aber keine Augen, viele auch bloss Ohren und weder Augen noch Zungen“. Dann kömmt er in eine „Apotheke“, wo „Arzeneien für Krankheiten des Geistes zu haben sind“. Das war die Biblio thek. Die Gelehrten öffneten die Schachteln und „kauten und
wiederkauten mit vielem Appetit“. „Schmeckt's“? fragt Comenius. „Säuerlich und herbe“ wird ihm geantwortet, „so lange es ge kaut wird, hernach ungemein süss, wenn's genossen ist“. Der Antwortende „war gut bei Leibe, hatte gesundes Ansehen, helle Augen und eine geläufige Zunge“. „Aber nicht Allen bekam es so wohl, und das machte ihre Fressbegierde. Sie nahmen gar
nicht zu, sondern kriegten aufgeschwollene Bäuche, blieben mager, gaben Alles wieder unten und oben unverdaut von sich, wurden oft vom Schwindel und Unsinn befallen und starben vor der Zeit“.
„Manche wollten daher aus Furcht nichts einnehmen, sondern be hingen sich mit den Schachteln hinten und vorn und stopften sich die Taschen voll, besonders mit solchen, welche die Aufschriften führten: Vocabularium, Dictionarium, Lexicon Promptuarium,
Florilegium, Herbarium, Concordantia, Loci Communes etc.“ Aus der Tasche nahmen sie in den Mund und so in die Feder.
Andere trugen die Schachteln nicht bei sich, sondern verwahrten sie in ihren Zimmern und Schränken.
Auch wer eine schöne
Bibliothek hat, sagte der Ausleger, gehört zur Zunft der Ge lehrten. „Als wenn Einen, dachte ich, eine Menge Zangen und Hammer zum Schmied machte . . . .
Hinter einem Vorhange
fand eine grosse Vermehrung der Apothekergefässe in sehr kurzer Zeit statt.
Einer oder zwei sammelten wohlriechende, heilsame
Kräuter und bereiteten den besten Theriak des Verstandes. Tau sende aber leerten bloss fremde Gefässe aus und füllten die ihri
gen. Der Ausleger behauptete, dass auch diese ihr Verdienst hätten; ein Gericht könne auf verschiedene Art bereitet, vermehrt, verbessert – und, fiel ich ihm ein, auch verdorben werden. Denn
sie gingen offenbar mit Betrügereien um, indem sie andern ihre Gefässe stahlen, zerbrachen, der guten Medicin Wasser, Staub und Sand beimischten, um nur andere Masse herauszubringen,
und dieses Zeug dann in ihre Schachteln packten. Dann schrie ben sie schöne Titel dazu und strichen ihre Arbeit heraus, nach aller unverschämter Marktschreier Art“.
Comenius geht in den vorigen Saal zurück; hier streiten jetzt Jünglinge und Greise mit heftigster Wuth und Grausamkeit, „zur Uebung“, wie der Ausleger sagt. „So was hab' ich ja auch unter den Handwerkern nicht gefunden“! „Das glaub' ich“, sagt der Ausleger, „jenes waren auch knechtische, dieses sind freie Künste. Was diesen erlaubt ist, müssen jene wohl bleiben lassen“ . . . . „Auch darüber zankten sie sich, ob das Feuer heiss oder kalt,
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der Schnee weiss oder schwarz sei“. Die Königin Weisheit be ruft die Berühmtesten aus
allen Fächern zu Schiedsrichtern,
. Aristoteles mit Plato, Cicero mit Sallust, Scotus mit Thomas
von Aquino, Huss, Luther mit den Jesuiten und Cardinälen etc., aber unter den Schiedsrichtern entstehen neue Streitigkeiten.
Weiter kommt der Pilger unter die Philosophen. Er fühlt sich von ihnen nicht befriedigt, und Paulus flüstert ihm ins Ohr: „Welcher sich unter euch weise dünket, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise werden; denn dieser Welt Weisheit ist Thorheit bei Gott“. Dann kömmt er zu den Sprach
lehrern, Redekünstlern, Dichtern etc., Naturforschern, welche jedoch nur „die Namen der Dinge“ kannten, „aber weiter auch Nichts“; er lernt Philosophen kennen, welche alle Dinge der Welt in der Weise untersuchten, dass sie ihnen alle zufälligen Eigenschaften wegnahmen, „bis das pure Ens übrig blieb“; dann untersuchten sie weiter, „ob alle Dinge Eins sind, ob sie alle gut, und ob sie das sind, was sie sind.“ Dann kommt er zu den Mathematikern, hört wie sie sich über die Quadratur des Zirkels streiten, zu den Astronomen, zu den Historikern, zu den Ethikern; aber diese
„lobten mit dem Munde, was sie im Herzen hassten und erweck ten Andern dafür Ekel, wonach ihnen selbst der Mund wässerte“. Er besucht ferner die Goldmacher, Rosenkreuzer, Aerzte, Ju
risten, sieht eine Doktorpromotion, geht zu den Juden, Türken, Heiden und zuletzt zu den Christen. „Ach“, rief ich, „wie glück lich sind die Christen! nahm aber zum Staunen wahr, dass eben
die, welche, sowie es hiess, Gott zu sich genommen hatten, kurz darauf die grössten Schandthaten begingen“!
Comenius klagt dann über die Sittenlosigkeit und Uneinig keit der Theologen. Es behagt ihm weder bei den Katholiken noch bei den unter sich zerfallenen Reformirten.
Aber im Ver
borgenen findet er ein unansehnliches und verhöhntes Häufchen
(mährische Brüder), welches ihm gefällt. Er wird bei ihnen Geist licher, jedoch bald von ihnen gehasst und verfolgt. Er lässt sich weiter zu dem obrigkeitlichen Stand führen, findet ihn aber be sonders gegen die Untergebenen herzlos und ungerecht und auch
sonst untüchtig. Die Fürsten findet er „auf hohen Stühlen sitzen, wo sie Niemand so leicht ohne gewisse Werkzeuge erreichen konnte“. Statt natürlicher Ohren bedienten sie sich „gewisser
Röhren“, welche „lang, durchlöchert und verbogen“ waren. Die Minister „hielten ihnen auch noch Augengläser von verschiedenen Farben vor und räucherten ihnen unter die Nase“.
Es folgt eine Schilderung des Kriegerstandes. „Solche Aus söhnungsmittel hat die Natur wilden Thieren, aber nicht Menschen angewiesen“.
Dann des Ritterstandes.
„Laut ihrer erhaltenen
Freiheiten dürfen sie müssige Tagediebe sein . . . . durch Privi legien ist ihnen bestätigt, dass Alles, was sie thun, edel heissen, und Niemand in ihre Gesellschaft kommen müsse, wer nicht gleiches Standes mit ihnen ist“. In dem „Schlosse des Glückes“ findet er nur die Reichen,
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Wollüstigen, Weichlinge, Vornehmen; denn die „Tugendpforte“, welche früher dazu führte, ist verfallen, jetzt führen nur Neben
pförtchen, wie Lüge, Heuchelei und Gewalt dahin. Endlich gelangt er in die Burg der „Weltkönigin Weisheit“. Der Begleiter klagt ihn wegen seiner Unzufriedenheit mit der Welt an. Die Königin aber verzeiht ihm, dass er „statt von der Welt zu lernen, sie habe unterrichten und meistern wollen“.
Aber auch hier findet
er Alles verkehrt und unwahr. Jetzt ist der Pilger dieser Welt satt. „Lieber will ich tausend Mal sterben, als hier leben und länger Zeuge sein der Falschheit, Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Bosheit“.
Da er nun zuletzt auf seiner Rückkehr von der
Burg unter die Menschen noch überall klagend und qualvoll Hin sterbende sieht, bricht er in den Ruf aus: „Unselige, elende Geschöpfe! O, dann wünschte ich nie durch das Thor des Le bens gegangen, nie geboren zu sein, wenn mir nach allen Eitel keiten der Welt diese Finsternisse zu Theil werden sollen.
Ach
Gott! Ach Gott! wenn anders Einer ist, so erbarme dich meiner!“ Im zweiten Theil der Schrift kehrt der Pilger, nachdem er das Labyrinth der Welt verlassen, in das „Paradies seines Her zens“ wieder ein. Er bekommt Christus zum Gast. Dieser sagt
zu ihm: „Sei du mein Eigenthum! nicht die Welt, sondern ich allein kann dir Ruhe geben; das Einzige verlange ich von dir, dass du Alles, was du in der Welt gesehen, auf mich gleichsam übertragest, und bei all' deinem Thun mich und meine Gebote nie aus den Augen setzest“. So wird der Pilger bekehrt und erneuert. Auf Christi Geheiss sucht er einen verborgenen Ort auf, der „thä–
tiges Christenthum“ (Prawis Christianismi) hiess. Zwei Decken hängen davor: „Verachtung der Welt und Liebe Christi“. Hier nun beschliesst er weiter zu leben. Bei diesen Christen gilt als „Summa von Allem, dass der Mensch Gott über Alles und seinen Nächsten wie sich selbst liebe, welches alle Gesetze, Statuten und Verfassungen der Welt tausend Mal übertrifft“. Comenius beschreibt nun ausführlich das innere und äussere
Leben dieser Christen.
Da er von der „Sicherheit gottergebener
Seelen“ spricht, sagt er von ihnen: „Jeder hat seinen besonderen Schutzengel . . . . diese Engel sind nicht nur Wächter, sondern auch Lehrer der Auserwählten Gottes, indem sie ihnen in man chen geheimen Dingen Winke ertheilen, und sie von verborgenen Geheimnissen Gottes unterrichten. Was ihnen zu wissen nützlich
ist, offenbaren sie ihnen mit göttlicher Genehmigung und malen ihnen durch Träume oder geheime Ahnungen dies oder jenes in ihren Gedanken vor.“
Bei Erwähnung des gelehrten Standes unter diesen Christen sagt er: „Sprachkenntnisse waren bei ihnen in keinem grossen
Werth; denn sie glaubten, dass nicht der, so viele Sprachen weiss, sondern der, so nützliche Sachen gelernt hat, ein brauch barer Gelehrter sei.
Nützliche Sachen aber sind nach ihrer Mei
nung alle Werke Gottes, zu deren Kenntniss zwar Wissenschaften
behülflich sein können, deren Quellen aber eigentlich Gottes Wort
–*– und der heilige Geist, so wie das Ziel von Allem, Christus ist. Auf ihn, als auf den Mittelpunkt, bezieht sich alle ihre Weisheit. Was von ihm abführt oder an seiner wahren Erkenntniss hindert, wird von ihnen für Nichts geachtet.“ Gegen den Schluss der Schrift ergeht in einem Gesicht an den Pilger die Ermahnung Christi: „Erhebe dein Gemüth zu mir, so hoch du kannst, gegen deinen Nächsten aber lass dich herab, so tief du kannst. Der zeitlichen Dinge bediene dich nach Noth durft, dein Vergnügen aber suche in den ewigen und unvergäng lichen Gütern . . . . Sei weich bei der Noth deines Nächsten,
hart bei deiner eigenen. . . . Nun gehe hin! Stehe in deinem Beruf, bis ich dich abrufen werde, und freue dich der Seligkeit, zu welcher ich dich berufen habe!“
2. Es ist das schmerzvolle Vorrecht im Denken und Fühlen
gleich ausgezeichneter Naturen, den geringen Gehalt des Lebens an Glück und Tugend zu erkennen und dennoch, um der Mensch heit willen, auf sie beide nicht verzichten zu können.
Auf diesem
pessimistischen Grunde erheben sich die Ideale aller transcendenten
Weltanschauungen; aber aus derselben Quelle steigt, sobald die Leiden und Fehler der bekannten Welt nur für zufällig und zeit weilig gelten, auch der praktische Idealismus auf, welcher die menschlichen Dinge in bessere Bahnen zu bewegen hofft; und Er ziehung oder Staatswesen oder beide vereint erscheinen ihm als die Punkte, wo er die Hebel glaubt einsetzen zu können. Un
zählige Male hat sich seit Platon's Beispiel (in der „Republik“) dieser Vorgang erneuert, und er wird sich erneuern – wie sehr auch die Weltklugen aller Zeiten ihn verlachen –, so lange es Regungen des warmen Herzens geben wird, welche mächtiger sind als ängstlich umsichtige Berechnungen des Verstandes. Wäre Comenius erst als Greis bei der Verzweiflung ange
langt, welche der erste Theil seines „Labyrinths“ ausspricht, oder wäre diese Verzweiflung nur das Werk kühler Verstandes operation gewesen, so hätte er thatlos resignirt und hätte dann das Glück genossen, dem Vorwurfe der Phantastik und wohl auch der Selbstüberhebung für alle Zeit zu entgehen. Aber er stand eben in der Vollkraft des Denkens und Fühlens, das Leben pul sirte noch in allen seinen Adern, die Interessen dieser Welt,
Älich
die edelsten, bewegten ihn. So wahr und innig er im re
ligiösen Glauben war, so wenig war er doch zum Quietismus an gelegt. Sein Christenthum war, wie der zweite Theil der Schrift zeigt, kein blos vertröstendes; es forderte ihn zum Wirken auf,
er fühlte sich zu grosser Arbeit berufen. So erinnert Comenius in dem religiösen Ausgangs- und Zielpunkt seiner ferneren päda gogischen Bestrebungen an Luther und A. H. Francke; aber es kamen noch andere bedeutende Momente hinzu, Interessen, Stu
dien, Einsichten, welche ihn für die Pädagogik weit über Jene
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hinaushoben und den selbständigsten, den bahnbrechenden Den kern auf diesem Gebiete zugesellten. Es war nur ein Vorspiel gewesen, was er bisher erlebt und
gewirkt hatte.
Seine pädagogischen Studien begannen, wie er
später sie ansah, erst jetzt (1627) und zwar zunächst unter einem
anderen grossen Impulse.
Denn derselbe patriotische Schmerz,
welcher unter ähnlichen Verhältnissen den Philosophen Fichte zum
unvergesslichen Vorkämpfer der Erziehung des Volkes weihte, hatte, wie schon die Widmung seines „Labyrinths“ andeutete, Comenius in seinem stillen Versteck ergriffen. Er hielt ihn darin fest, auch als ein neues Kaiserliches Edikt die Auswanderung der evangelischen Prediger befahl, welche ihr Bekenntniss nicht än- .
dern wollten. Dies Gefühl war es, das seine pädagogischen Studien von Neuem anregte und erweiterte. Er hatte kurz vorher, auf Wunsch eines Freundes, der den Sohn ihres Beschützers unterwies, einige methodische Sätze niedergeschrieben; jetzt fasste er, ange regt durch die Didaktik des Elias Bodinus, welche er in einer
benachbarten Bibliothek gefunden hatte, den Vorsatz „ein ähn liches Buch in seiner Muttersprache“ zu schreiben. Es muss einst besser werden, so hoffte er mit seinen Freunden, und dann sollten
durch neue Schulen und neue Lehrmittel die „Trümmer wieder aufgebaut werden“; dem Vaterlande und den Glaubensgenossen sollte die Arbeit dieser Musse zu gute kommen. Aber das Jahr 1628 brachte neue Verfolgungen. Jetzt wan derten die Verbannten aus, Comenius nach Lissa (in der heutigen Provinz Posen), dem damaligen Mittelpunkte der Brüdergemeinden. „Um das Exil ertragen zu können“ trat er hier wieder in ein Schul
amt (er wurde Rector des Gymnasiums); aber es widerstrebte ihm nur „geschäftsmässig“ zu arbeiten, und so nahm er die Studien der Didaktik
bald wieder auf.
Er
machte sich mit den neuesten
didaktischen Schriften Deutschlands bekannt, und arbeitete, da eine neue Aussicht zur Rückkehr zu winken schien, u. A. wiederum
an seiner Lieblingsschrift, einer Didaktik für sein Vaterland in seiner Muttersprache. Er will sie die „Grosse Lehrkunst“ nen nen, oder „die Kunst. Alle Alles zu lehren“. Sie soll durch „um fangreichere Behandlung und festere Begründung alle bisherigen, eigenen und fremden Arbeiten“ übertreffen. Aber die Hoffnung zur Rückkehr schwindet und er lässt den Plan wieder fallen.
Seine Freunde bereden ihn, vorläufig andere fertige Arbeiten zu veröffentlichen. So erscheint jetzt „die geöffnete goldene
Sprachen-Pforte“ (Janua linguarum reserata aurea); die Vorrede ist „geschrieben im Exil den 4. März 1631“. Das Buch ist heute vergessen. Aber bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde es, zum Theil von Anderen und mit Veränderungen, immer von Neuem aufgelegt und nicht bloss für fast alle euro päische Sprachen bearbeitet, sondern, wie schon Comenius selbst erzählt, auch fürs Arabische, Türkische, Persische und „für das
dem ganzen Ostindien geläufige Mongolische“. Schon dieser äussere, in der pädagogischen Litteratur vielleicht nur durch eine
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andere Schrift des Comenius übertroffene Erfolg spricht für die Bedeutung des Buches. Auf den ersten Blick freilich möchte man es nur für etwas Aehnliches wie unsere französischen oder englischen Conversationsbücher halten, weil auch dort der fremdsprachliche Text dem in der Muttersprache wörtlich gegenübersteht; und sicherlich ist es darin einer ihrer frühesten Ahnen. Im Uebrigen thäte man Unrecht, es mit den leichtlebigen Epigonen zu verglei chen. „Beinahe ganze drei Jahre“ verwandte Comenius auf die Ausarbeitung, und bei näherer Betrachtung erkennt man aller dings den mühsamen Fleiss und das Nachdenken des Verfassers. Aber seinen hohen Erfolg verdankt es offenbar den bedeutenden
allgemeinen pädagogischen Gedanken, auf denen es ruht, Grund anschauungen des Comenius, welche schon das „Labyrinth der
Welt“ deutlich ausgesprochen hatte, und welche hier für die Aus wahl des Inhalts und die Behandlung der Sprache massgebend wurden.
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Schon im „Labyrinth“ hatte Comenius in philosophischer Be ziehung sich als Feind scholastischer Abstractionen und Contro versen bekundet. Sein offener, theilnehmender Sinn gehörte dem Empirismus der neuen Zeit an, und er ist, vermuthlich auch unter dem Einfluss seiner persönlichen Beziehungen zu England, ein warmer Verehrer Bacons von Verulam. Die Sinnenwelt gilt ihm nicht nur als ein der Erkenntniss würdiges Gebiet, die Sinne und die Induction nicht nur als ein Mittel der Erkenntniss, son
dern er schätzt sie hoch, höher sogar, als es sich mit anderen seiner Ansichten verträgt. Er erkennt also nicht nur die sogen. Aristotelische „unbeschriebene Tafel“ an, sondern auch der Satz, dass „Nichts im Denken ist, was nicht vorher in den Sinnen war“ hat für ihn volle Wahrheit; nach Comenius „erhält die Ver nunft den Stoff zu allen Gedanken nur von der sinnlichen Wahr
nehmung und bewirkt den Akt des Denkens nicht anders als durch innere Wahrnehmung, nämlich durch Betrachtung der von den Dingen abstrahirten Bilder“. Dieser philosophische Standpunkt wird für ihn auch nach anderen Richtungen der Pädagogik hin fruchtbar; hier, bei der „Sprachenpforte“, hat er die hohe Be
deutung, dass der Stoff des Buches, allem blossen Wort- und Be griffswesen fremd, der empirischen Welt entnommen werden soll; doch kommen freilich auch Engel und Teufel zur Besprechung. Demnach behandelt das Buch in 100 Abschnitten (wovon zwei auf Einleitung und Schluss kommen) die Schöpfung der Welt, die Elemente, das Himmelsgewölbe, die Steine, Pflanzen und Thiere, Körper und Seele des Menschen, die menschlichen Thätigkeiten (darunter fast alle Handwerke) und Lebensverhältnisse (darunter Ehe, Verwandtschaft und Geburt); dann Stadt, Kirche und Ge meinde, die verschiedenen Religionen, die Behörden, den Fürsten und den Staat, Krieg und Frieden; es folgen: Schule und Unter richt, die Wissenschaften, die Tugenden, die gelehrte Unterhal
tung und die Unterhaltungsspiele, Tod und Begräbniss, Gottes Vorsehung und die Engel.
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Man wird in diesem Buche, das dem etwa zwölfjährigen
Zögling in die Hand gegeben werden sollte, nach heutigen päda gogischen Anschauungen manchen Stoff als verfrüht oder unge hörig bezeichnen. Ob immer mit Recht, ist noch die Frage. Soviel erhellt, dass Comenius, anders als unsere modernen Sprach bücher, einen durchweg ernsten und der Aneignung und des Fest
haltens werthen Stoff hat darreichen wollen; und der Schaden, dass der Schüler Manches für den Augenblick unverstanden auf nimmt, ist sicher geringer als der, wenn er im fremden Idiom mit leeren Hülsen abgefunden wird. Auch dass dem Schüler hier durchweg grössere zusammenhängende Stücke dargeboten werden, ist dem Buche zum Lobe nachzusagen. Aber bei weitem wichtiger ist Umfang und Gliederung des Stoffes. Dieser bildet nämlich ein grosses, abgeschlossenes und dabei zusammenhängendes Ganzes, die ganze sinnliche und geistige Welt. Man wird nicht leicht ein Gebiet des Lebens, Handelns und Erkennens vermissen. Die „Allheit der Dinge“ ist hier enthalten, geradeso wie im „Laby rinth der Welt“ alle Seiten des Lebens behandelt werden und wie
die Didaktik, mit der Comenius sich trug, „Alles“ lehren sollte. Hierin liegt ein grosser, in der Folgezeit von der Pädagogik nur
zu wenig gekannter Gedanke. Es soll dadurch die Lückenhaftigkeit und Ungleichseitigkeit der Erkenntniss vermieden, alles Erkenn bare soll auch erkannt, und zwar soll es als unter sich verbunden
und zusammengehörig angeschaut werden.
Eine gründliche Er
kenntniss einzelner Theile verträgt sich damit selbstverständlich nicht; aber wenn es darum auf dieser Altersstufe sich ja über haupt nicht handeln kann, so soll, nach Comenius, wenigstens eine gleichmässige Orientirung über den ganzen Stoff des Wissens, eine Erkenntniss der Umrisse aller Erkenntnissgebiete gegeben werden. Es soll (wie die neuere Didaktik es genannt hat) „aus dem Groben heraus“ gearbeitet werden und die Füllung der einzelnen Rahmen soll später folgen. – Diese Cardinalsätze des Comenius werden uns noch wiederholt beschäftigen. Die Behandlung der Sprache ist die andere wichtige und für den Verfasser durchweg charakteristische Seite des Buches. Die
–„Sprachenpforte“ sollte den Schüler fremde Sprachen lehren; in der ersten Ausgabe, ausgehend vom Böhmischen, nur das Latein. Trotz der Klagen von Erasmus, Sturm etc. über den ungenügenden Unterricht und obwohl Männer wie Scaliger auf neuen Wegen hohe Sprachkenntniss erreicht hätten, liege in der Schule darin noch Alles im Argen. Man gebe zuviel und zu dunkle etc. Re geln, man lehre Vocabeln ohne Verständniss der Dinge und ohne
Wortverbindungen (in Vocabularien und Lexicis). Andererseits habe man römische Schriftsteller in die Schule eingeführt; aber nicht jeder Schüler könne sich sie kaufen, auch lägen sie über der Fassungskraft der Jugend, eine ausreichende Wortkenntniss (z. B. aus der Pflanzenkunde, dem Bergwesen) werde dadurch nicht er
reicht und das Studium des Realwissens (Philosophie, Theologie, Medicin etc.) zu sehr verspätet. Ein spanischer Jesuit habe aus
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denselben Gründen kürzlich ein Sprachbuch geschrieben; doch halte er es nicht für völlig ausreichend. Seine „Sprachenpforte“ verfolge zuerst eines „seiner unerschütterlichen didaktischen Ge setze, dass Denken und Sprachbildung immer parallel gehen müssen“. 8000 Wörter, in 1000, zuerst kürzeren, eingliederigen, dann längeren, mehrgliederigen Sätzen, würden hier gelehrt; kein nothwendiges fehle, jedes stände auch an seinem Orte. Die Wörter
kommen zuerst immer im eigentlichen Sinne vor; die Homonyma an verschiedenen Stellen in verschiedenen Bedeutungen; abgesehen
von Conjunctionen, werde jedes Wort nur einmal gebraucht; sowohl Synonyma als auch Contraria würden meist nebeneinander gelehrt; auf Syntax und Formenlehre würde hingewiesen etc. –
So ungefähr war das epochemachende Buch eingerichtet. In derselben Zeit und später schrieb Comenius noch eine Anzahl anderer Bücher zum lateinischen Sprachunterricht; doch genügt es die „Sprachenpforte“ zu kennen, um seine Ansicht über diesen
Zweig der Jugendbildung würdigen zu können. Nicht die Litte ratur, nicht der Bau der Sprache, nicht deren unübertroffene for malbildende Kraft sind es, derentwegen Comenius der Lateinischen
Sprache ihre alte Stellung im Jugendunterricht wahrt: die Litte ratur beschränkt er im Unterricht, auch darum, weil, wie er es schon im „Labyrinth des Lebens“ fand, sie den christlichen Glau
ben der Jugend beschädige; er ist ferner in die Natur der Sprache zu wenig eingedrungen, um sie an sich für ein würdiges Erkennt
nissobject, geschweige für eines der bedeutendsten zu halten; ünd vollends auffallend ist es, dass der Mann von dem umfassendsten pädagogischen Gesichtskreis und dem feinsten psychologischen Blick für die gymnastische Seite des Sprachunterrichts und insbeson dere des Latein so wenig Auge hatte. Aber auf der anderen
Seite hat er sich auch von der quälenden und doch so inhalt und fruchtlosen Methode früherer Zeiten freigemacht und dem Sprachunterricht, wenn auch nicht das einzig richtige und höchste, doch immerhin ein klares und lohnendes Ziel vorgehalten. Der
Besitz der Sprache zum Gebrauch im Verstehen und Sprechen soll erreicht, die Sprache als Mittel zur Erkennt niss erworben werden.
Darum auch unterscheidet er anderwärts
zwischen „nothwendigen“ und „nichtnothwendigen“ Sprachen und
rechnet zu jenen u. A. die Nachbarsprachen, ferner das Griechi sche, Hebräische und sogar (für die Mediciner) das Arabische;
doch solle man auch die nothwendigen Sprachen nur soweit, als nothwendig ist, lernen, und „man lerne sie wiederum möglichst wenig durch Regeln, sondern durch den Gebrauch“. So wenig die bessere philologische Erkenntniss der heutigen Zeit diese Ansichten billigen wird, so waren sie doch bei seiner praktischen Auffassung
der Sprache consequent und werden darum überall, wo es sich im Sprachunterricht nur um praktische Zwecke handelt, auch die rich tigen bleiben; die praktische Grundanschauung aber floss wiederum aus seiner philosophisch empirischen Richtung, welche die Sachen und ihre Erkenntniss über Alles hielt und, im Gegensatz zu der .
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überwundenen Scholastik, „das Wort so hoch unmöglich schätzen“ konnte. Uebrigens wollte er, wie sehr auch besonders die Ueber
fülle unclassischer technischer Redensarten zu widersprechen scheint, die Jugend keineswegs das erste beste Latein lehren, sondern clas sisches, besonders Ciceronianisches; und wenn man schliesslich
fragt, warum er das Latein zu den für Jeden „nothwendigen“ Sprachen rechnete, so erhält man u. A. die bedeutende Antwort,
weil es dazu bestimmt sei einigende Weltsprache zu werden. /
3.
„Die Sprachenpforte öffnete“, wie ein Freund später sagte,
„Comenius die Pforte zu den Völkern“. Das Jahr 1632 brachte ihm die Würde des Bischofs der Brüdergemeinden und damit ein schweres Amt. Er war jetzt der Hirt der Tausende nach Deutsch
land, Polen, Ungarn, England zerstreuten Glaubensgenossen, von ihm wünschten sie in allen ihren Nöthen Rath, er bat für sie
nach allen Seiten hin um milde Spenden, nahm diese in Empfang, vertheilte sie – er galt wie ein Patriarch, wie ein biblischer Prophet. Wie sein Name als Schulmann bekannter wurde, be gehrte man von ihm auch Lehrer und Erzieher, selbst aus weiter Ferne, oder für die Jugend Aufnahme in seine Schule. Doch Ruf und Ansehen und Amtsthätigkeit scheinen ihn weniger be
schäftigt zu haben als Sehnsucht nach dem Vaterlande und seine innere Arbeit. Noch immer glaubte er für die verlassene Jugend seines Heimathslandes thätig zu sein, wenn er seinem philoso phisch-pädagogischen Gedankenzuge nachginge. – Die Geschichte
der Wissenschaften kennt nicht leicht ein
seltsameres Verhältniss als das zwischen Bacon und Aristoteles. In unserer Zeit ist Aristoteles zu neuem Leben und Ansehen er
wacht und befruchtet wieder mannichfache Richtungen der Erkennt niss, während Bacon's Werth und Bedeutung von verschiedenen Gesichtspunkten aus bestritten wird; damals aber glaubte jeder vorwärtsstrebende Sinn erst mit Aristoteles brechen zu müssen, um Bacon ungehemmt folgen zu können. Es war allerdings des Aristoteles Schuld, doch nicht die seinige allein, wenn er, der grosse Kenner der Natur und der Schöpfer des Empirismus, gleichwohl der Vater der Scholastik wurde; aber es war auch nicht Bacon's Schuld allein, dass er nur auf den Trümmern des
Ansehens seines vermeintlichen Gegners seine eigene Herrschaft glaubte aufrichten zu können: zwischen beiden hatte eine Zeit
gelegen, welcher in consequenter Gedankenentwickelung der Sinn für die Natur und die Empirie abhanden gekommen war. Des halb aber war Bacon's Kampf für sie beide kein Anachronismus, und wenn er ihn auch nicht zuerst und nicht allein focht, so war
er doch sicherlich der muthigste und wehrhafteste Vorkämpfer. Gewiss, auch Comenius hätte nicht gegen Aristoteles zu strei ten brauchen. Wenn er in seiner nächsten Schrift, in der „Physik“
(1633) für das eigene Recht eintrat, „im Garten der Natur“
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„Augen, Ohren und Nase zu brauchen“ und „statt todter Bücher das lebendige Buch der Natur aufzuschlagen“, so war der echte, alte Aristoteles sicherlich der Letzte, der es bestritt. Sogar an die Pädagogik des Aristoteles konnte Comenius unmittelbar an knüpfen; er hätte wenige Sätze darin gefunden, welche er nicht
billigte, am wenigsten in den zartsinnigen Ausführungen über die
ersten Kindesjahre. Aber auch auf diesem Gebiete war es Bacon bestimmt, das Triebrad der neuen Gedankenbewegung zu werden; des Comenius wiederholte Berufung auf ihn beweist dies Urtheil. Wir mussten eben die Natur erst so ganz und so allseitig verlie ren, um sie völlig wiederzufinden, wir mussten sie erst hassen,
um sie desto inniger lieben zu lernen. Und wenn nun die Natur zu suchen und zu hören einer der bestimmendsten Grundzüge der Zeit geworden ist, welche wir die neue nennen, wenn in fast allen theoretischen und praktischen Gebieten seit dem Eintritt dieses Princips eine andere Epoche begonnen hat, wenn es so zu sagen nothwendig war, dass dies Princip bald auch an den Gedanken kreis der Erziehung herantrat: dann ist es gerecht, die neue Pä dagogik d. i. dieselbe, in welcher wir gegenwärtig, freilich noch nicht ohne Wanken und Schwanken, stehen und deren Verständ niss und Verwirklichung noch zum Theil unsere Aufgabe ist, von jener Zeit an zu datiren. Sprechen wir es aus: nicht Rousseau, nicht Pestalozzi, noch weniger irgend ein Anderer hat zuerst den grossen Schritt gethan, in der Erziehung das „Evangelium der Natur“ zu lehren, sondern Comenius.
Aber freilich,
wie jene Männer heute ungleich gekannter sind, als er, so ist es eine der Lösung noch harrende Frage, wie es gekommen ist, dass die Umgestaltung der Theorie und Praxis in Deutschland viel mehr unter anderen Einflüssen stattgefunden hat als unter
dem seinigen. Es mag ihm Manches entgegengewirkt haben, die Zerrüttung der Zustände durch den Krieg, die Unreife der poli tischen und socialen Verhältnisse, auch er sich selbst durch die Vielseitigkeit seiner Bestrebungen, durch den mehr weichen als feurigen, mehr breiten und peinlich systematisirenden, als geist reichen und unterhaltenden Vortrag in seinen Schriften, vielleicht auch durch das unklare Verhältniss zwischen seinen obersten Prin
cipien – genug, soviel Erfolg er auch hatte, so war er doch ge
kommen, als seine Zeit noch nicht erfüllt war, mit seinen besten Gedanken gehörte er der Nachwelt an. Ich sage dies besonders im Hinblick auf die „Grosse Lehr
\ kunst“ (didactica magna), von der zu sprechen erst jetzt ge rechtfertigt ist.
Sie war, wie wir schon wissen, sein Schmerzens
kind. Vor länger als 10 Jahren hatte er sie, im Exil, doch noch auf heimathlichem Boden begonnen; er hatte, wenn auch unter brochen, doch, wie es scheint, immer wieder daran gearbeitet;
aber erst jetzt (1638) sollte er sie zum Abschluss bringen und Anderen mittheilen, und doch nicht im Interesse der Jugend seines Vaterlandes und darum auch nicht, wie er sie zuerst geschrieben
hatte, in seiner Muttersprache, dem Böhmischen.
Von Schweden
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war nämlich der Antrag an ihn gelangt, die dortigen Schulen zu reformiren.
Er wollte als Fremder das Amt nicht übernehmen.
Um jedoch wenigstens mit seinem Rathe zu dienen, übersetzte er die „Lehrkunst“ in's Lateinische. Freunde in England veröffent
lichten die Capitelüberschriften (lemmata capitum), welche er ihnen zugeschickt hatte. Vollständig, doch mit dem Wortlaut von
1638, scheint die Arbeit zum ersten Mal 1657 (in der von ihm - Veranstalteten Amsterdamer Gesammtausgabe) abgedruckt worden ZU SE1Il.
––=–
Die „Grosse Lehrkunst“ ist nicht eine Didaktik in der neueren,
engeren Bedeutung des Wortes, sondern eher eine Encyclopädie des Erziehungs- und Unterrichtswesens. Viele, man möchte sagen, – alle Fragen, sicherlich alle, welche die damalige Zeit kannte, aus der Pädagogik und Didaktik, allgemeine und specielle, kommen darin zur Sprache. Denn Comenius wollte „im Unterschiede von früheren Bearbeitern der Didaktik eine Lehrkunst aufstellen, we
der bloss in Bezug auf diese oder jene Sprache oder Kunst noch auch gegründet auf blosse aus der Praxis gewonnene Sätze, son dern eine allgemeine Kunst. Alle Alles zu lehren“ „a priori d. h. . aus der ewigen Natur der Dinge selbst, der gleichsam lebendigen Quelle nie versiegender Bäche abgeleitet“. Oder, wie es auf dem Titel heisst, er wollte eine „sichere und ausgezeichnete Art“ dar
legen, „für die gesammte Jugend beiderlei Geschlechts in jeder Stadt und jedem Dorf der Christenheit solche Schulen zu er richten,
durch welche sie in Wissenschaften, Sittlichkeit und
Frömmigkeit vor dem Eintritte der Mannbarkeit für alle Bedürf nisse des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens gebildet werden können“. Diese Bildung solle geschehen „kurz, angenehm und
gründlich“. Die Grundsätze hierfür würden „aus der Natur selbst abgeleitet, die Richtigkeit (der Unterrichtsmethode) wird durch Beispiele aus dem Verfahren der mechanischen Künste bewiesen, der Gang der Bildung nach Jahren, Monaten, Tagen, Stunden bestimmt, endlich auch ein leichter und sicherer Weg gezeigt werden, diese Bemühungen zum Erfolg zu führen.“ Die Ankündigung wird uns zu wortreich und zuversichtlich vorkommen; aber wir gewinnen dabei die treffliche Formulirung des Gedankens der Volkserziehung – „für die gesammte Jugend beiderlei Geschlechts in jeder Stadt und jedem Dorf der Christenheit – in Wissenschaften, Sittlichkeit und Frömmigkeit vor dem Eintritt der Mannbarkeit“ –; und dass Comenius mehr
seine Aufgabe als seine Leistung bezeichnen will, besagt die Vor
rede deutlich genug. „Solche Arbeit sei für das ganze Menschen geschlecht von höchster Wichtigkeit; aber sie sei auch schwer und eigentlich ein Werk Vieler, daher bitte er um Nachsicht. – Die Kunst des Lehrens und Lernens habe zwar in der letzten Zeit
durch die Bemühungen deutscher, auch französischer Gelehrten einen unerwarteten Aufschwung genommen. Er, der eine göttliche
Fügung darin erblicke, dass der Untergang der alten Schulen (seines Vaterlandes offenbar) und die Aufstellung neuer Ideen
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über Schuleinrichtung in dieselbe Zeit zusammenfielen, habe von diesen Arbeiten Kenntniss genommen.“ Doch habe er gefunden, dass diese „wichtige Angelegenheit nicht hinlänglich von Grund aus dargestellt werde“. Als er sich in Folge dessen an einige Gelehrte brieflich gewandt hätte, habe nur Einer (Joh. Val. An dreae) ihm geantwortet. Daher habe er sich nun bei der Arbeit
ganz auf sich selbst gestellt. So gebe er, was er „mit seiner schwachen Einsicht und fast ohne Bildung“ gefunden, getrieben von dem Verlangen, die Schäden seiner Zeit zu verbessern. Bringe er Richtiges, so sei es nicht sein Verdienst, sondern ein
Geschenk Gottes; er sei so einfältigen Herzens, dass es ihm gleich sei Lehrer der Lehrer oder Schüler der Schüler zu sein; wer aber Besseres fände, solle nicht säumen mit seinem Pfunde zu wuchern. –
Der letzte Zweck des Menschen, sagt er weiter, liegt jenseits
dieser Welt. Das Leben im Himmel ist Vollendung des Körpers und der Seele. Hierzu nun verhalten sich unsere beiden früheren Lebensstufen vorbereitend: durch das Leben im Mutterschoosse
wird unser Körper für das folgende Leben vorbereitet, durch das
Leben auf der Erde unsere vernünftige Seele für den Himmel. Die letzte Aufgabe aller Erziehung bezeichnet Comenius daher dahin, zur Erneuerung des Paradieses der Kirche mitzu wirken. . Schon nach Christi Wort sei Erziehung das beste Mittel
gegen die menschliche Verderbtheit. Die Jugend ist also der Ort, wo die Besserung der Menschheit begonnen werden muss, aber sie ist auch das Vorbild der Besserung; „denn in den Kindern ist Alles
einfältiger und für die Heilung empfänglicher; zwar sind auch sie durch den Fall Adams verderbt; da aber durch den zweiten Adam Alles zum Leben genesen kann, was sich nicht selbst durch eigenen Unglauben ausschliesst, so werden die Kinder, welche noch nicht von Neuem durch Sünde und Unglauben be fleckt sind, die wahren Erben des Himmelreichs genannt“. „Sorgfältig Erziehen“ also heisst „vor dem Einfluss der Verderbtheit dieser Welt schützen, die eingeborenen Anlagen zur Tugend zum glücklichen Knospen hervorlocken, endlich zur Erkenntniss Gottes, seiner selbst und der Mannichfaltigkeit der Dinge führen, damit in diesem Lichte die Gewohnheit entstehe, das Licht Gottes zu sehen und den Vater der Menschen über Alles zu lieben und zu verehren“.
Wie aber ist Erziehung möglich? wie geschieht sie? Durch Entwickelung der natürlichen Anlagen. „Es ist nicht nöthig irgend etwas von aussen in den Menschen hineinzu tragen, sondern nur, was in ihm selbst eingehüllt ist, zu ent wickeln, zu entfalten und, was jedes Einzelne zu bedeuten hat, nachzuweisen“. Denn die Anlagen zu Wissen, Tugend und Re ligion sind uns von Natur eingepflanzt. – „Unter Natur verstehe ich hier nicht die nach dem Sündenfalle anhaftende Verderbniss
– sondern unsere erste und grundlegende Beschaffenheit, zu welcher wir als dem Ausgangspunkte zurückkehren müssen. . . .
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Auch verstehe ich unter dem Worte Natur die allgemeine Vorse hung Gottes oder den unaufhörlichen Einfluss der göttlichen Güte, um in Allen Alles zu wirken, nämlich in jedem Geschöpfe das, wozu er es bestimmt hat. . . . Was also existirt, existirt zu einem
gewissen Zwecke, und damit es dahin gelangen könne, ist es mit allen nothwendigen Werkzeugen und Stützen versehen, ja sogar mit einem gewissen Triebe, so dass Nichts widerwillig und wi dersträubend seinem Ziele zugetragen wird, sondern, durch den Instinkt der Natur selbst, schnell und angenehm, so dass es Schmerz und Tod ist, wenn man es hindert. Also ist es gewiss, dass der Mensch zur Einsicht der Dinge, zum Einklang der Sitten, zur Liebe Gottes über Alles von Geburt befähigt sei; und die Wurzeln jener drei Dinge sind ihm so gewiss eigen, als jedwe dem Baum die unter ihm ausgebreiteten Wurzeln.“ Unwillig ruft Comenius an einer anderen Stelle: . . . „Setze uns Niemand, während wir über die Heilmittel der Verderbtheit
berathen, die Verderbtheit entgegen: Gott hebt sie durch seinen Geist vermöge geordneter Mittel wieder auf. Es ist schändlich, immer von der Verderbtheit zu schreien, die Wiederherstellung
aber zu leugnen! Warum sollte es nicht möglich sein, wie man einen wilden Baum durch Pfropfreis zum Fruchttragen bringt, so auch die Menschen, die schon von der ersten Schöpfung an Gottes Kinder waren, durch Christus aber von Neuem zu Kindern ange nommen und durch den Geist der Gnade wiedergeboren sind, zu
jeglichem guten Werk anzuregen? Also bleibe der Satz stehen, dass es dem Menschen naturgemässer und durch die Gnade des
heiligen Geistes leichter ist, weise, sittlich und heilig zu werden, als dass die hinzugekommene Schlechtigkeit den Fortschritt ver hindern kann; denn jedes Ding kehrt leicht zu seiner Natur zurück!“ –
-
Nur auf dem Grunde der Natur des Menschen also, das ist die Antwort des Comenius auf die obige Frage, ist Erziehung möglich, und die Erziehung kann nicht von aussen hinein, son dern nur von innen heraus geschehen. Nur das, wozu Anlage und Trieb da ist, kann auch anerzogen werden. Zu welchen Dingen aber ist Anlage und Trieb von Natur vorhanden? Comenius
sagt: Zu diesen Dreien, „Erkenntniss“, „Tugend“ und „Religion“. Zur Religion –, denn als Gottes Ebenbild sehnt sich der Mensch
auch nach dem Sündenfall nach Gott. Zur Tugend –, denn die sittliche Harmonie ist dem Menschen, wie schon die Heiden
sahen, natürlich, er ergetzt sich an jeder Harmonie (der Töne etc.), an den Tugenden Anderer etc. Endlich zur Erkenntniss. Auch das Entfernte, Verborgene, Undurchdringliche trachtet der Mensch zu durchdringen und kennt für seinen Geist keine Grenze, er ist der Mikrokosmos, in dem, wie im Samenkorn der Baum, der Makrokosmos der Anlage nach enthalten ist; „das Licht der Vernunft allein ist die zureichende Form und Norm aller Dinge, nur dass es, da es sich selbst nach dem Sündenfalle verdunkelt
und umhüllt hat, sich selbst nicht frei zu machen weiss, die es Pappenheim.
Comenius.
2
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aber frei machen sollten, umhüllen es oft mehr“. Natürliche Mittel der Erkenntniss sind die Sinne, natürlicher Sporn zur Er kenntniss die Wissbegier und die Ausdauer, ja sogar das Ver langen nach Mühe und Arbeit; der menschliche Geist gleicht, schon nach Aristoteles, einer unbeschriebenen Tafel, wer die Lehr
kunst versteht, vermag in ihm Alles aufzuzeichnen; auch gleicht
unser Gehirn, „die Werkstätte der Gedanken“, dem Wachs. . . . Doch nimmt manches Gehirn
die Eindrücke schärfer auf oder
stellt sie deutlicher wieder her oder hält sie beständiger fest als ein anderes. Ist es nicht ein Wunderwerk der göttlichen Weis heit, dass die keineswegs grosse Gehirnmasse zur Aufnahme so vieler tausender Bilder genügt? Wahrlich, unser Geist ist grösser als die Welt, wie das Aufnehmende nothwendig grösser ist als sein Inhalt. – –
-
Deutlicher und überzeugter kann der Gedanke der –„ent wickelnden Erziehung“ oder der „Menschenerziehung“, wie er in
Deutschland erst anderthalb Jahrhunderte später, besonders durch Rousseau's Einfluss, zum Durchbruch kam, nicht ausgesprochen
werden, als es hier durch Comenius geschieht. Die Schwierigkeit, ihn mit der Strenge des dogmatischen Standpunktes zu versöhnen, kennt er; vielleicht hatte man, wie die eine mitgetheilte Stelle schliessen lässt, von diesem aus seine Definition der Erziehung bekämpft; aber einmal hatte die Anerkennung der Natur sich in ihm zu nachdrücklich vollzogen, andererseits trat, wie wir aus dem „Labyrinth des Lebens“ wissen, in seinem religiösen Ver halten, wie in den Brüdergemeinden noch heute, die dogmatische Seite nicht in dem Grade in den Vordergrund, dass er nicht die mildere Auffassung theilen sollte, „durch den Sündenfall seien unsere inneren Kräfte nicht ausgetilgt, nur geschwächt“ (infir
matae, . . . sed non erstinctae) – „nicht ganz ausgetilgt“ (dei appetentia ne lapsu quidem generis humani prorsus erstincta). So hatte er sich die Brücke zur naturgemässen Erziehung geschla gen, und nun stand er auf diesem Boden mit dem vollen Muthe, die Consequenzen dieser Ueberzeugung zu ziehen. Zwischen den natürlichen Anlagen des Menschen und seinen Lebensaufgaben herrscht nach ihm eine Art prästabilirter Harmonie: die Entwicke lung der Anlagen muss nothwendig zur Erfüllung der Lebensauf gaben des Menschen führen, und es kann keine Lebensaufgaben geben, welche ausserhalb der entwickelten Anlagen lägen. Die Vermittelung zwischen der Anlage und ihrer Erfüllung bildet ein natürlicher Trieb; dann aber folgt nothwendig, dass nicht „durch Geschrei, Gefängniss, Prügel“ erzogen zu werden braucht, son dern, „durch die Vernunft muss das vernünftige Geschöpf geleitet werden; geschieht es anders, so ist es eine Beschimpfung Got tes. . . .“ Diese grundsätzliche Milde in der Erziehung drückte Comenius schön in seinem Motto aus: „Alles fliesse von selbst,
ein Zwang sei ferne den Dingen“. (Omnia sponte fluant, absit violentia rebus). Wer aber soll erzogen werden? Wer soll erziehen? --------
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Wer hat Interesse daran, dass es geschieht? „Gott giebt der Jugend schützende Engel und Eltern“ . . . doch die Eltern genügen heute nicht mehr, wie ehedem, zur Erziehung ihrer Kinder. Sind doch sogar unter den Lehrern von Fach nur wenige tüchtig; „wo aber einer ist, wird er von irgend einem vornehmen Herrn für seine eigenen Kinder an sich gerissen, dem Volke entzieht man ihn“. Daher bleibt nun die übrige Jugend ohne Pflege und verkömmt. . . . . Aber Alle, die als Menschen geboren sind, bedürfen der Erziehung; denn sie sollen Menschen sein, nicht wilde, unvernünftige Thiere, noch unvernünftige Klötze. „Je er– zogener Einer ist, desto mehr ragt er vor Andern hervor.“ – Wer also zu helfen vermöge, der unterlasse es nicht; Gott ge bietet dem verirrten Esel oder Ochsen sogar des Feindes beizu stehen, und wir sollten nicht Hand anlegen, wenn wir die ver nünftige Kreatur, die ganze Welt irren sehen? Darum helfet, Ihr Regierenden und Ihr, Diener der Kirche! Soll Kirche, Staat und Familie in Ordnung und Blüthe sein, so müssen es erst die Schulen, so dass sie wahre und lebendige Werkstätten
der Menschenbildung (hominum officinae), Pflanzschulen der Kir chen, Staaten und Familien sind ! – Da die Eltern, die von der Natur gesetzten Erzieher des Kindes, meist nicht in der Lage sind, das Amt verrichten zu kön nen, so nehmen die Schulen es ihnen ab. Schon giebt es deren, Dank besonders den Bemühungen der Fürsten und Obrigkeiten,
unzählige. Aber jede Stadt, jeder Flecken, jedes Dorf muss seine Schule d. h. eine gemeinschaftliche Erziehungsanstalt der Jugend bekommen. Die Ueberweisung der Jugend an sach verständige Lehrer wird nicht nur durch das Gesetz der Arbeits
theilung empfohlen und ist nicht bloss nöthig wegen der Behin derung der Eltern, sondern der Massenunterricht ist auch besser als der Einzelunterricht, weil das Beispiel der Mitschüler die Arbeit fruchtbarer und angenehmer macht.
In die Schulen müssen alle Kinder geschickt werden, ohne Rücksicht auf Stand, Vermögensverhältnisse und Ge – schlecht. Denn alle Menschen sind zu dem Zwecke geboren, Menschen zu sein, d. h. vernünftige Geschöpfe, Herren der Schöpfung, Ebenbilder der Gottheit.
Bei Gott ist kein Ansehen der Person:
er will von Allen erkannt, geliebt, gelobt werden. „Dies aber wird desto lebendiger geschehen, ein je grösseres Licht der Erkennt miss angezündet ist. Wir lieben ihn nämlich in dem Grade, als wir ihn erkennen.“ Ferner ist uns ja nicht offenbar, zu welcher Verwendung Gottes Vorsehung Diesen oder Jenen bestimmt hat; auch aus den Aermsten, Verachtetsten, Niedrigsten beruft er bis weilen ausgezeichnete Werkzeuge seines Ruhms. Endlich müssen besonders die unfähigeren Köpfe der Schule zugeführt werden. Bisweilen leisten sie noch Unerwartetes, wie, umgekehrt die früh
reifen Köpfe mitunter erschlaffen. Auch ist keine Begabung so unglücklich, dass ihr die Unterweisung gar keine Furcht bringen sollte. Mindestens aber werden die Unfähigeren sittlich soweit 2x
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gebracht werden, dass sie später der Obrigkeit und den Dienern der Kirche zu gehorchen verstehen.
Auch ist kein Grund vorhanden, das weibliche Geschlecht von der Bildung,
weder von der durch lateinische Sprache noch
von der durch die Muttersprache (a sapientiae studiis sive latinis literis sive sermone patrio tradendis) auszuschliessen. Auch die Frauen sind Ebenbilder der Gottheit und besitzen
geistige Beweglichkeit und Bildungsfähigkeit, oft mehr als wir; - auch sind sie schon oft zu Grossem berufen worden.
„Warum
also sie zum Alphabet zulassen, nachher aber von den Büchern fortjagen? Fürchten wir Leichtfertigkeit? Aber je mehr Ge danken wir uns erwerben, desto weniger Raum ist für die Leicht
2 fertigkeit da, welche aus der geistigen Leere zu entstehen pflegt.“ Doch muss man ihnen, wie auch der männlichen Jugend, nur solche Bücher in die Hand geben, aus welchen sie zugleich mit der Erkenntniss Gottes und seiner Werke wahre Tugend und Frömmigkeit schöpfen können. Nicht zu kleinlicher Neugier wollen wir sie erziehen, sondern zur Sittlichkeit und Glückseligkeit. Wir wollen sie besonders in dem unterrichten, was ihnen zu wissen
und zu können ziemt, sowohl um das Hauswesen würdig zu verwalten, als auch das Heil ihrer selbst, des Gatten, der Kinder und der Dienerschaft zu fördern.
Aber man wird einwerfen:
Handwerker, Landleute,
Was soll daraus werden, wenn
Lastträger
und sogar
die
Frauen gebildet (litterati) werden sollen? Ich antworte: Nie mandem wird nachher der Stoff fehlen, Gutes zu denken, zu wünschen, anzustreben, sogar zu thun. Alle werden wissen, wohin sie ihre Handlungen und Wünsche richten, in welchen Grenzen sie sich halten und wie sie ihre Stellung wahren sollen. Auch bei der Arbeit werden sie über Gottes Wort und Werke
nachdenken und den dem Fleische und dem Blute gefährlichen Müssiggang durch häufiges Lesen der Bibel und anderer guten Bücher meiden. ,
-
- -
Mit einem Worte, sie werden überall Gott im
Sinne haben und so dies mühselige Leben angenehmer hinbringen, das ewige aber sehnsüchtiger erwarten. „Wäre ein solcher Zu stand der Kirche hier, nicht ein Paradies, wie es unter dem Himmel nur möglich ist?“ – So weit Comenius. Ich wage es nicht, diesen trefflichen Aeusserungen ein Wort hinzuzusetzen. Sie bekunden nicht nur ein weites und edles Herz, sondern auch einen offenen, freien Blick, welcher ihm noch heute zur Zierde gereichen würde. Die Schule
gilt ihm, mehr als heute mitunter bei den gebildetsten Völkern, für ein Besitzthum Aller im doppelten Sinne, jedes Kindes und der ganzen Nation. Für den Einzelnen und für das grosse Ganze kann aus ihr nur Gewinn erwachsen.
Es ist wahr, ähnliche
Ansichten waren auch vor Comenius schon laut geworden; aber seine Forderungen sind so ideal, seine Beweisführungen so viel
seitig und gedankenvoll und – leider auch seine Befürchtungen
21
von Einwänden und Hemmnissen so gegründet, dass sie alle noch für die Gegenwart gelten. 4.
Es ist leicht, den weiteren Ausführungen der „Lehrkunst“ eine Fülle der vollgültigsten Aussprüche über Erziehung und Unterricht zu entnehmen, aber unmöglich eine charakteristische Skizze davon zu geben. Zwar ist der Vortrag streng, beinahe peinlich geordnet, und, soweit es der Reichthum des Stoffes zulässt, übersichtlich; und eine wohlthuende Ruhe und Klarheit liegt über der ganzen
Schrift. Aber bald hört man den Philosophen, bald den erfah renen und gegen die Missbräuche seiner Zeit eifernden Schulmann, bald den ernsten und doch milden Erzieher, bald den aufmerksamen
Beobachter und sinnigen Deuter der Natur reden. Mitunter bringt er für seine Behauptungen den „wissenschaftlichen Beweis“, öfter beweist er durch Induction, am liebsten durch den Vergleich mit
der Natur oder Kunst. So prägt sich in der Darstellung die ganze reiche Natur des Mannes aus, und man muss bei spärlichen
Mittheilungen aus der Schrift selbstverständlich darauf verzichten, diesen Schmuck der Form beizubehalten.
Wenn es die Aufgabe der Schule ist, sagt Comenius, „Alle“ „Alles“ „ganz“ (ommes omnia omnino) zu lehren, so müssen nicht nur mehr Schulen geschaffen, sondern auch die bisherigen verbessert werden; denn diese sind „Marterkammern der Köpfe,“
„Tretmühlen“, versäumen die religiöse und sittliche Erziehung, leisten aber auch im Unterricht wenig, selbst im Latein. („Ich habe es an mir selbst erfahren und könnte darüber wehklagen;
aber fruchtbarer als klagen ist für die Nachwelt sorgen!“) Eine Verbesserung aber, und zwar in der Weise, dass „die ganze Ju gend, allseitig, durch nur vierstündigen täglichen Unterricht, und, indem Ein Lehrer sogar 100 Kinder zugleich unterrichtet, ohne Härte und Zwang, zu gründlicher und wahrer Geistesbildung, Sittlichkeit und Frömmigkeit geführt wird“, ist möglich, wie sehr man sie auch bezweifeln wird. Denn, „sollte der Mensch nicht in den Dingen, zu welchen ihn die Natur – ich sage nicht, zulässt oder hinführt, – sondern hinzieht und hinreisst, mit leichter Mühe unterwiesen werden?“
Auch ist der Lehrstoff nicht zu
schwierig, wenn er nur richtig gelehrt wird, und die Jugend weder zu unbegabt noch zu lernscheu. Gemeinsame Unterweisung aber ist möglich wegen der gemeinsamen menschlichen Natur und der gemeinsamen Erziehungsziele, und die individuelleren Naturen wirken gerade in der Massenerziehung förderlich auf einander.
Die Schulverbesserung muss sich in Zeit, Unterrichtsstoff und Methode auf die Ordnung, „die Seele aller Dinge,“ gründen,
wie auf einen „unbewegten Felsen“. Der Natur muss man, wie bei jeder Kunst, so auch hier nachahmen, damit Alles, wie dort, „sanft und von selbst“ vorschreite. Nun ist nach Hippokrates
„das Leben kurz, die Kunst lang, die Gelegenheit flüchtig, der
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zweifelhaft, das Urtheil schwer.“
Aber die Natur zeigt
uns die Mittel, 1) „das Leben zu verlängern, um alles Nö– thige zu lernen, 2) „die Kunst abzukürzen, um schneller zu lernen“, 3) „die Gelegenheiten zu erfassen, um sicher
lich (certo) zu lernen“, 4) „den Geist aufzuschliessen, um leicht zu lernen“, 5) „das Urtheil zu schärfen, um fest (solide) zu lernen.“
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1) Das Leben verlängert man durch Schonung und richtige Behandlung des Körpers – also mässige, einfache Nahrung, Wechsel von Bewegung und Ruhe, ernste oder heitere Uebungen des Körpers – und durch weise Vertheilung der geistigen Arbeit. Ein Drittel des Tages auf Lernen verwandt – was kann da in 10, 20, 30 Jahren Alles gelernt werden, wenn wir jeder einzelnen
Stunde auch nur ein kleines Pensum zutheilen? (Statt 2 behan delt Comenius zuerst)
3) Damit mit Sicherheit gelehrt werde, wähle man die geeignete Zeit (Kindheit des Menschen und Morgenstunden des Tages) und den der Altersstufe des Kindes angemessenen Stoff Man „bereite zuerst die Materie, dann die Form“: also Bildung
des Verstandes (Sachunterricht) vor der der Sprache; im Sprach unterricht zuerst Schriftsteller, dann Grammatik; in der Gram matik zuerst Beispiel, dann Regel; ferner zuerst Sachwissenschaften,
dann Hülfswissenschaften. (Auch muss der Lehrer Bücher, Vor schriften, Bilder etc. schon vor dem Unterricht bereit halten.) Man mache auch „die Materie für die Form geeignet“, dadurch, dass man den Schüler nicht früher aus der Schule entlässt, ehe
seine Bildung vollendet ist, und sein Gemüth für den Unterricht empfänglich macht (durch Zucht und Ordnung). Man lehre nicht
zuviel auf einmal, nicht jede Stunde ein anderes Object: „Zu Einer Zeit sollen die Schüler nur mit Einem Studium beschäftigt werden“. Man gehe „vom Innern zum Aeusseren“: also bilde man zuerst
das Verständniss der Dinge, dann das Gedächtniss, dann Sprache und Hand, das Verständniss der Dinge aber auf alle Weise. Man gehe „vom Allgemeinsten zum Besondersten“: also zuerst gebe man das ganze Wissen in einem rohen und umfassenden Abriss
(nicht die Disciplinen von einander gesondert), so dass das Nach folgende nur genauere Entwickelung des Früheren ist, und in jeder einzelnen Disciplin wieder zuerst die einfachsten Elemente, dann die Ausführung (Vorschriften und Beispiele, vollständige Systeme
mit den Anomalien). Man gehe schrittweise, nicht sprüngweise;
also Eintheilung des Unterrichts in Klassen, von denen eine auf die andere vorbereitet, Pensen für Jahr, Monat, Tag und Stunde, strenge Zeit- und Arbeitsvertheilung. Man dulde keine Unter brechung der begonnenen Arbeit, im Ganzen wie im Einzelnen; also halte man den Schüler fest bis nach Vollendung der Erzie hung und gestatte kein Ausbleiben und Herumschweifen; auch muss die Schule an einem stillen, von Störung freien Ort liegen. Man meide alles Schädliche und Widerstreitende; also dulde man
weder schlechte Bücher noch Genossen, auch bei jedem Schüler
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:
nur die Bücher seiner Klasse. Falsch ist es auch, im Anfange des Unterrichts Controversen vorzulegen. 4) Damit leicht (sanft und angenehm) gelehrt und gelernt werde, fange man mit dem frühesten Lebensalter des Kindes an. In jedem Fache unterrichte nur Ein Lehrer. Zuerst bringe man den Schüler in Zucht, damit er für das Uebrige empfänglich werde. Man errege die Lernlust; das kann geschehen durch die Eltern, die Lehrer, die Schule, die Gegenstände, die Methode, die Obrigkeiten (z. B. wenn die Schule ein angenehmer Aufent halt, hell, licht, mit Bildern und Karten, Spielplatz und Garten versehen ist; wenn die Obrigkeiten bei öffentlichen Schulacten Lob und Preise zuerkennen). Man gehe vom „Allgemeinen zum Beson deren“, unterrichte „von den Principien aus“. Man gehe vom Leich teren zum Schwereren; also darf man z. B. das Latein nicht in Latei
nischer Sprache zu lehren anfangen (!), auch die Kinder nicht durch Ausländer unterrichten lassen, welche die Muttersprache jener nicht kennen; man lehre im Sprachunterricht zuerst Verstehen, dann Schreiben, dann Sprechen; zuerst die Muttersprache, dann das Latein; man gehe im Sachunterricht vom Nahen zum Entfernteren, dann zum Entferntesten; man bilde zuerst die Sinne, dann Ge
dächtniss und Verständniss der Dinge, dann Urtheil. Man über lade nicht mit Disciplinen. Man gehe langsam: also nicht 6–8 Schul- und noch einige Privatstunden täglich, sondern 4 Stunden Unterricht und 4 Stunden häusliche Arbeit; wenig Gedächtniss arbeit; Alles nach Verhältniss der Fähigkeit, welche mit dem Alter und den Studien wächst. „Die Kräfte des Kindes wollen unterstützt, nicht unterdrückt werden“; „ der Jugend bildner ist ebenso wie der Arzt Diener, nicht Herr der Natur.“
Kein Zwang der Köpfe gegen Alter und Vermögen; nur was diese nicht bloss zulassen sondern verlangen, werde gelehrt; nur Verstandenes werde auswendig gelernt, nur diejenige Thätigkeit werde vom Kinde verlangt, welche ihm vorher (durch Vorbild) hinlänglich klar geworden ist. – Nichts zu Schweres! Also darf man z. B. nicht Aufgaben stellen, welche die Schüler nicht lösen können, und dann wüthen (saevire), sondern der Schüler muss die Aufgabe so klar „wie seine 5 Finger“ vor sich haben. Darum -
auch keine Prügel! (nam si non discitur, cujus nisi Praeceptoris culpa est, qui discipulum docilem reddere vel nescit vel non curat?!) Dagegen, soviel als möglich Gebrauch der Sinne und zwar verbunden Gehör und Gesicht, Zunge und Hand (Anschreiben und Anzeichnen auf die Wände der Schule; das Gehörte oder Gelesene ins Diarium niederschreiben). – Man zeige dem Schüler auch sofort den Nutzen dessen, was er lernt, „im täglichen Leben.“ Endlich lehre man alle Künste, Sprachen und Wissenschaften nach derselben Methode.
5) Man muss fest lehren, nicht oberflächlich wie in den bis herigen Schulen. Man lehre also nur, was in diesem oder im
künftigen Leben („mehr aber, was im künftigen“) nützlich ist und nur ernste Dinge. Man lasse nichts Nöthiges aus, sondern lehre
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Wissenschaft, Tugend und Frömmigkeit, und übe in der erstge nannten Verstand, Zunge und Hand – zum „Denken, Sprechen,
Thun“ (Sapere, Agere, Loqui = SAL! heisst es an einer an deren Stelle). Man erwecke die Lernlust! Der Unterricht muss auch von einem fest eingeprägten allgemeinen Umriss ausgehen und aus diesem, wie aus einer Wurzel, herauswachsen; also nicht bloss Phrasen und Sentenzen von Andern über die Dinge, sondern die Dinge selbst muss man lehren, nicht nach blosser Autorität, sondern durch sinnenfälligen und vernunftgemässen Beweis, mehr auf synthetische als auf analytische Weise. Ferner lehre man Alles klar und bestimmt, in stätigem Fortschritt (dabei darf das Ge dächtniss der Kindheit „nicht geschont werden“), mit Gründen befestigt und zusammenhängend, wie eine Art „Encyclopädie.“ Was man verstanden hat, soll man auch aussprechen und thun (anwenden) lernen. Fortwährende Uebung und Wiederholung des Verstandenen.
Endlich
2) soll schnell gelernt werden; denn Schnelligkeit ist hierbei ebenso möglich wie bei anderen Künsten und Verrichtungen. Ent gegen den bisherigen Einrichtungen muss nun so verfahren werden. a. Ein Lehrer muss viele Schüler unterrichten; Lehrer und
Schüler werden dann lebendiger, der Wetteifer grösser sein, der Lehrstoff wird besser wiederholt werden.
Dabei soll der Lehrer
die Schüler in mehrere Gruppentheilen und ihnen Aufseher geben, und auf einer hohen Katheder stehend (vgl. das Titelbild der Amsterd. Gesammtausgabe) alle zugleich unterrichten, indem er sie fortwährend in Aufmerksamkeit erhält, dadurch, dass sie alle auf ihn sehen müssen, dass er den Unterricht durch Fragen unter
bricht, schnell den Folgenden frägt, auch alle auf einmal etc. Hierbei wird der einzelne Schüler keineswegs zu kurz kommen; denn es genügt, wenn auch nur einige Schüler gefragt werden.
Wenn schriftliche Arbeiten corrigirt werden sollen, so liest Ein Schüler vor, die übrigen sehen ins Heft; die Aufseher stellen vor her fest, dass alle Schüler ihr Heft zur Fehlerverbesserung bereit haben.
b. Der Lehrer dulde nur die für die Klasse bestimmten
Bücher, halte alle Lehrmittel bereit, verliere durch Dictiren keine
Zeit. In den Sprachbüchern muss der Text in der Muttersprache gleich dabei stehen, so dass alle Zeit bloss auf Erklärung, Wie
derholung und Nachahmung verwandt wird; sie müssen in dialo gischer Form, ansprechend und fasslich geschrieben sein; sie müssen von Einer Ausgabe sein; ihr Hauptinhalt muss durch Bilder veranschaulicht, auf den Wänden der Schule verzeichnet
sein. c. Die ganze Klasse muss dieselbe Beschäftigung haben; also auch nur einmaliger Schulanfang im Jahre, bestimmte Pensen für Jahr, Monat, Woche, Tag und Stunde. d. Dieselbe Lehrweise in allen Fächern. e. Kurzer und gedrängter Unterricht. f. Ver binde das Zusammengehörige: Sachen und Worte, Lesen und Schreiben, Styl- und Verstandesbildung, Lernen und Lehren – denn auch im Lehren sollen die Schüler ihrer eigenen Fortschritte
wegen geübt werden, – Ernstes und Heiteres, – denn auch die
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Erheiterung soll so beschaffen sein, dass des Lebens Ernst daraus gelernt wird, also Thätigkeiten aus den Handwerken, den Staats geschäften, dem Kriegswesen, der Baukunst; botanische Excur sionen zur Vorbereitung auf die Medicin; „des grösseren Anreizes
wegen“ können auch Titel ertheilt werden, in der Medicin: Can didat, Licentiat, Doctor; in der Politik: König, Rath, Kanzler, Marschall etc. „So erst wird die Schule ein Vorbild des Lebens sein.“ g. Gehe in Allem schrittweise! Auch die Schulbücher müssen so eingerichtet sein, zugleich mit Winken für den Lehrer. h. Schliesse das Unnöthige vom Unterrichte aus; d. h. was weder zur Gelehrsamkeit noch Sittlichkeit noch Frömmigkeit dient, also die Geschichte der heidnischen Culte, die schädlichen Dichter;
ebenso was diesem oder jenem Kopfe nicht zusagt, denn der Lehrer ist nur Diener und Mitarbeiter, nicht Herr und Verbes
serer der Natur, und es ist vergebens, mit der Natur kämpfen zu wollen. Auch gehört das Einzelste und Besonderste nicht in die Schule, nur die Arten der Dinge mit den wichtigeren Unter schieden. –
Aus dieser Fülle von didaktischen Regeln, welche Comenius geistreich an den Satz des Hippokrates anknüpft, ergiebt sich ihm dann eine Methode der Wissenschaften und Künste.
Zur Wis–
senschaft gehört Verstand, der Gegenstand und Aufmerksam keit.
Den Verstand des Schülers muss der Erzieher von allen
unnützen Beschäftigungen reinhalten. Den Gegenstand muss er ihm nicht in blossen Worten geben, sondern möglichst mit Be schäftigung der Sinne und der Einbildung; „denn der Anfang aller Erkenntniss liegt in den Sinnen, da doch nichts im Geiste ist, was nicht vorher in den Sinnen war.“ Die Sinne geben die meiste Gewissheit für die Erkenntniss und führen dem Ge–
dächtniss die Dinge am festesten zu. In Ermangelung der wirklichen Dinge kann man sich mit Bildern, Instrumenten, Phantomen behelfen. Sogar die geistigen und räumlich abwesenden Dinge lassen sich sinnlich vergegenwärtigen, die höheren durch die niederen, die fernen und unsichtbaren durch die sichtbaren.
Ueber die Aufmerksamkeit ist schon früher gesprochen worden. Ueber die Art und Weise aber, wie die Dinge dargeboten wer den sollen, ist zu bemerken: Was gewusst werden soll, muss auch gelehrt werden; und zwar zugleich mit seinem Nutzen, mit seinen
Ursachen, zuerst im allgemeinen Umrisse, dann in seinen einzelnen Theilen, zu Einer Zeit nur Eines, langsam, mit scharfer Hervor hebung der Verschiedenheiten. Nach dieser Methode sind alle Schulbücher zu bearbeiten, damit auch der minder geschickte Lehrer nicht irre.
Die Kunst verlangt Vorbild, Stoff und Werkzeuge. Die Unterweisung geschieht a. durch Lehre der richtigen Thätigkeit
(usus legitimus). Nur durch Thun lernt man das Thun, wie das Malen und Tanzen, so auch das Schreiben, Sprechen, Singen etc.
Vorbilder und Vorschriften sind nöthig. Die Werkzeuge lerne der Schüler nicht nach Regeln, sondern durch Nachahmung brauchen.
-
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Man beginne mit dem Einfachsten, auch in der Grammatik, Dia lektik, Rhetorik und an einem bekannten Stoff; also lehre man „den polnischen Knaben nicht am Lateinischen und Griechischen, sondern am Polnischen lesen und schreiben“ und übe die Dialektik
zuerst nicht am Cicero und Virgil, sondern an Beispielen wie Buch, Tisch, Kleid. Die erste Nachahmung muss sich streng an's Vorbild halten; so im Sprachunterricht, in der Logik, im Schrei ben (man lege die Vorschrift unter durchsichtiges Papier und lasse
die Züge nachziehen, oder drucke die Vorschrift mit gelber Farbe und lasse sie vom Schüler mit Tinte nachziehen). b. Durch Hin weisung auf das Vorbild, welches, sei es Bild oder Regel, richtig, bestimmt, einfach, leicht nachahmbar sein muss. Fehler verbessere man durch Vormachen des Richtigen und durch Regeln in kurzen und klaren Worten. c. Durch viele Uebung. Hierbei ist mehr synthetisch durch eigene Thätigkeit des Schülers als durch Analyse fremder Arbeiten zu lehren.
Doch lasse man ihn zuletzt auch
fremde, aber musterhafte Arbeiten anschauen und nach den früher
gegebenen Regeln und Vorbildern prüfen. Hierauf widmet der Verfasser ein Capitel der Sprachen – methode. Seine Grundansicht über das Sprachenlernen ist schon oben besprochen. Die Sprache ist ihm nur ein „Werkzeug um Gelehrsamkeit zu schöpfen und Anderen mitzutheilen.“ Hervor f
zuheben ist hier besonders der Nachdruck, welchen er auf die
– Muttersprache legt. – Keine Sprache lehre man des Spre chens, sondern bloss der Sachen wegen, „denn wir bilden Menschen, nicht Papageien.“ Man lehre jede Sprache besonders, zuerst die Muttersprache, welche, weil sie zugleich die Sachen lehrt, die meiste Zeit, die ersten 8 – 10 Jahre braucht; dann die Nachbar
sprachen in je einem Jahre, das Latein in zwei Jahren, das Grie chische in einem Jahre, das Hebräische in einem halben Jahre (!). Man lehre mehr durch den Gebrauch als durch Regeln und bloss durch grammatische, nicht durch philosophische Regeln. Nur die Abweichungen, z. B. des Griechischen vom Lateinischen braucht man zu lehren, nicht das Gemeinsame. Der Sprachunterricht
hat in 4 Stufen vorzuschreiten („quomodocunque, proprie, ele ganter, nervose“). Hiermit schliesst die Methodik des Unterrichts. Es folgt die
Lehre von der Erziehung zur Sittlichkeit und Frömmigkeit. Comenius behandelt sie kürzer, obwohl diese ihm die „Werke“, das Bisherige nur „Beiwerke“ sind. Der Jugend müssen alle Tu genden eingepflanzt werden, besonders aber die 4 Cardinaltugen den. Man muss mit der Erziehung zur Tugend schon früh an
fangen, muss sie durch Handeln lernen lassen, lebendige und ge schichtliche Vorbilder geben, doch auch Lehren und Lebensregeln, muss vor allem schlechten Einfluss hüten, besonders aber durch
ernste und spielende Thätigkeit den Müssiggang fern halten. Strenge Zucht ist in den Schulen nöthig, auch Schläge, nicht so wohl des Lernens als der guten Sitten wegen. – „So erst würde der häusliche und öffentliche Zustand ein glücklicher sein, wenn
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alle sich zum gemeinsamen Nutzen vereinigen und einander bei
zuspringen verständen und gesonnen wären. Sie werden es aber verstehen und dazu gesonnen sein, wenn sie es gelernt haben.“ Die Erziehung zur Frömmigkeit muss früh beginnen. „Unter Frömmigkeit verstehe ich, dass unser Herz, nachdem es über
Dinge des Glaubens und der Religion einen richtigen Sinn ein gesogen, Gott überall durch die Schöpfung hin suche, wenn es ihn überall gefunden, ihm nachfolge zum Thun und Leiden nach seinem Willen, wenn es ihm überall gefolgt ist, Freude in seiner Liebe und Gnade empfinde. Das Erste geschieht durch den Ver stand, das Zweite durch den Willen, das Dritte durch die Freude
des Gewissens.“ Mittel zur Erziehung sind die Heilige Schrift, die Betrachtung der Welt und die Selbsterkenntniss. Die Heilige Schrift ist das A und O der Schulen. Die christlichen Tugen den Glaube, Liebe, Hoffnung sollen für die Ausübung gelehrt werden. „Denn es ist nöthig, schon von früh an praktische, nicht
theoretische Christen zu bilden, wenn wir wahre Christen haben wollen. Die Religion ist eine lebendige Sache, nicht eine ge malte.“ Sie ist aber das höchste Ziel der Erziehung, und Wis senschaften, Künste und Sprachen müssen so gelehrt werden, dass die Jugend erkennt, sie seien reine Eitelkeit, wenn sie nicht auf Gott und das ewige Leben bezogen werden.)
Hier führt Comenius seine Ansicht über die Beschränkung" der heidnischen Autoren in der Schule aus. Er kämpft sicht lich gegen die Behauptungen der humanistischen und der philoso phischen Richtung zugleich, indem er den pädagogischen Werth der Alten weder in Bezug auf die Sprache noch auf den Gedanken inhalt gelten lassen will. Doch lässt er nicht bloss Seneca, Epictet und Platon etc. zu, sondern auch andere Schriftsteller, aber erst
nachdem die Jugend im Christenthum befestigt ist und jene von den störenden Stellen gereinigt sind. Die Schule, fährt er fort, bedarf der Zucht, sonst ist sie
(nach einem böhmischen Sprüchwort) eine Mühle ohne Wasser. Aber darum soll sie noch nicht voll Prügel und Schwielen sein, sondern in Lehrenden und Lernenden voll Wachsamkeit und Auf
merksamkeit. Die Strafe tritt ein „nicht weil Jemand gefehlt hat, sondern damit er in Zukunft nicht fehle“. Sie muss ohne Affekt
sein und nicht wegen schwacher Leistungen, sondern für Ver stösse in den Sitten gehandhabt werden. Man wirke auch auf den Ehrgeiz (durch wöchentliche oder monatliche Kämpfe um den Platz etc.), man lobe, ermahne, schelte, aber immer väterlich; man strafe auch hart, jedoch selten. Die Bildungszeit des Menschen währt so lange als er wächst, also bis zum 25. Lebensjahre. Diese Zeit nun theile man in 4 Stufen, so erhält man
1) eine Schule der Kindheit oder Mutterschule (schola ma terna) bis zum vollendeten 6. Jahre;
2) eine Schule des Knabenalters (entsprechend unserer Volks
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schule – ludus litterarius oder schola vernacula publica), 6. bis 12. Jahr;
3) eine Schule der Jugend (adolescentiae) oder Lateinschule (schola latina oder Gymnasium), 12. bis 18. Jahr; 4) eine Schule des höheren Jünglingsalters (schola iuventutis).
Diese besteht in der Akademie (und in Reisen), 18. bis 24. Jahr.
Eine Mutterschule soll in jedem Hause sein; eine Schule des Knabenalters in jeder Gemeinde, jedem Dorf, jeder Stadt; ein Jugendschule in jeder grösseren Stadt (civitas); eine Univer sität oder Akademie in jedem Staat oder auch in jeder grössere Provinz. Die
Pensen
dieser
verschiedenen
Schulen
unterscheiden
sich nicht im Stoff, nur in der Form. Die Disciplinen sind nicht nach Willkür zu zerpflücken, sondern alle zugleich zu geben, nur dass man sie zuerst allgemeiner und im rohen Umrisse, in den
späteren Schulen ausgeführter und im Besonderen behandelt. Die Mutterschule hat besonders die äusseren Sinne zu üben; die Schule
der Muttersprache (schola vernacula) die inneren Sinne (Einbil dungskraft und Gedächtniss) wie auch Hand und Zunge; das
Gymnasium Verstand und Urtheil; die Universität endlich wird besonders „den Willen“ bilden, indem sie lehrt die Vermögen
(facultates) in Harmonie zu erhalten, die Theologie die Seele, die Philosophie die Vernunft, die Medicin die Lebensfunctionen des Körpers und die Jurisprudenz die äusseren Güter. Die Mutterschule und die Volksschule beschäftigen sich mit aller Jugend beiderlei Geschlechts; die Lateinschule mit den Kna ben, die über die Handwerke hinausstreben; die Universitäten
bilden die Lehrer und Führer (doctores und ductores) Anderer in Kirche, Schule und Staat.
-
Im Folgenden gibt Comenius die Grundzüge für die Einrich tmng dieser vier Schulkategorien. Die „Mutterschule“, welcher er
ausserdem ein besonderes Schriftchen gewidmet hat, werde ich später eingehender besprechen. Seine Einrichtung der Volks schule wäre uns noch deutlicher geworden, wenn er die sechs Bücher veröffentlicht hätte, welche er – für den Fall, dass „die Schulen des Vaterlandes wiederhergestellt würden“ – schon ge schrieben hatte; doch erkennen wir auch aus den gegebenen Um rissen, welche ideale Aufgabe und welche Stellung im Schulorga nismus er der Volksschule anzuweisen gedachte. Alle Jugend, sagt er, soll in die Volksschule gehen, auch diejenige, welche später in die Lateinschule gehen wird (ähnlich lautete später die Forderung Fichte's). Denn einmal beabsichtigen wir eine allgemeine Unterweisung Aller zu allem Menschlichen, und sie sollen daher zusammen geführt werden, so lange es an
geht, um sich gegenseitig zu beleben und anzuregen. Dann sollen Alle in gleicher Weise zu allen Tugenden, also auch zur Beschei denheit, Eintracht etc. erzogen werden, und man darf durch zu
frühe Trennung nicht die Einen veranlassen, die Andern zu ver
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achten.
Auch kann man es dem 6. Jahr alten Kinde nicht an
sehen, wozu es geeignet sein wird, und später sollen nicht bloss die Kinder der Reichen in die Lateinschule gehen. Seine ganze Methode beziehe sich auch nicht bloss aufs Latein, sondern auf
die Ausbildung der Muttersprachen aller Völker und diese
dürften daher nicht willkürlich übersprungen werden. Ferner dürfe man nicht früher fremde Sprachen lehren als die Muttersprache,
in der Muttersprache aber lasse sich der Sachunterricht, worauf es ihm vorzugsweise ankomme, ebensogut geben als im Latein. Uebrigens würde das Latein sich dann desto leichter lernen. Die Volksschule hat bis zum 12. oder 13. Jahre alles Das
zu lehren, „dessen Gebrauch sich durch das ganze Leben hinzieht“. Nämlich: Lesen alles in der Muttersprache Geschriebenen und Ge druckten bis zur Fertigkeit; Stylgewandtheit, gegründet auf Kennt niss der Gesetze der Muttersprache und auf grammatische Uebun
gen; Zeichnen (pingere); Rechnen mit Ziffern und am Rechen brett, soweit es nothwendig ist (ad necessitatem); Messen der Längen, Breiten, Entfernungen etc.; Singen aller üblichen Melo dien, die tüchtigeren Schüler auch die Anfänge der Figural – Musik; die Psalmen und die in ihrer Kirche üblichen Lieder müssen die
Schüler meistentheils im Kopfe haben; den Katechismus, die bib
lische Geschichte und die wichtigen Sprüche der Heiligen Schrift aufs Genaueste, so dass sie sie hersagen können; Sittenlehre in Regeln und passenden Beispielen; das Haus- und Staatswesen so weit, um zu verstehen, was im Hause und Staate täglich vor
geht; Weltgeschichte im allgemeinsten Umrisse bis auf die Gegen wart; das Wichtigste aus der Erd- und Himmelskunde, darunter die wichtigsten Reiche Europas, besonders aber das Vaterland mit seinen Städten, Bergen, Flüssen. Endlich sollen die Schüler die gewerblichen Thätigkeiten im Umrisse kennen lernen, auch darum, damit sie ihre natürliche Neigung zu dieser oder jener desto leichter kundthun können. – Nach einer derartigen Vor bereitung wird den Schülern nicht nur in der Lateinschule son dern auch im Ackerbau, im Handel etc. nichts vorkommen, das
sie nicht schon „gekostet“ hätten, und jede Unterweisung, welche sie in ihrem Gewerbe, in der Kirche, durch die Bücher empfangen werden, wird nur eine vollere Aufhellung oder eine eingehendere Erörterung der schon vorher kennengelernten Dinge sein. Um diese Aufgabe zu erfüllen soll jede Volksschule aus
sechs Klassen bestehen, soweit als möglich mit besonderen Zim mern; jede Klasse soll ihr Schulbuch (über Wissenschaften, Tugend und Religion) haben, aus welchem auch, soweit es für das Alter angemessen ist, die Bezeichnungen aller Dinge und die vornehm lichsten Redewendungen in der Muttersprache gelernt werden. Die Bücher der späteren Klassen unterscheiden sich von denen der früheren nur dadurch, dass sie den Stoff ins Speciellere, Un bekanntere, Schwierigere hinüberführen oder einen neuen Gesichts
punkt in der Betrachtung der schon früher vorgetragenen Dinge zeigen. Selbstverständlich muss Alles dem kindlichen Geiste an
gepasst sein und daher überall auch „das Nützliche mit dem An genehmen“ verbunden werden. Auch die Büchertitel: Veilchen beet, Rosenbeet etc. mögen daher die Kinder ansprechen; „denn die Schule gleicht einem Garten“. In diesen Büchern, welche in der Muttersprache geschrieben sein sollen, werden auch die Kunstausdrücke der Muttersprache entnommen sein, nicht dem Lateinischen oder Griechischen; ein -
mal, weil sie leichter verstanden werden und sich besser dem Ge
dächtnisse einprägen, dann, weil es nöthig ist, die Mutter – sprache auszubilden. Wenn man sagt, unsre Sprache sei nicht so reich wie das Latein und Griechisch, so liegt es nur an uns, weil wir sie nicht ausgebildet haben; auch jene Sprachen waren ursprünglich rauh und unbeholfen. Wenn man meint, die Gelehrten würden von ihren Kunstausdrücken nicht abgehen, so geht das uns, die wir die Ungebildeten zum Verständniss der Künste und Wissenschaften bringen wollen, Nichts an. Endlich werden die Knaben, welche später andere Sprachen lernen sollen, wenig Nachtheil davon haben, dass sie vorher die Kunst ausdrücke etc. in der Muttersprache gelernt haben. Man unterrichte nur zwei Stunden Vor- und zwei Stunden
Nachmittags. Die übrige Zeit mag, zumal bei den Aermeren, häuslichen Verrichtungen oder gesitteten Erholungen verbleiben. Vormittags übe man Verstand und Gedächtniss, Nachmittags Hand und Stimme. Vormittags also lese der Lehrer das Stundenpensum vor allen Schülern wiederholt vor und erkläre es aufs Fasslichste.
Dann lasse er die Schüler selbst es der Reihe nach wieder lesen, so dass während Einer hell und deutlich liest, die Anderen in
ihrem Buche still mitfolgen. Nach einer halben Stunde oder dar über werden die begabteren es auswendig wissen, die anderen später. Nachmittags behandele man nichts Neues, sondern wie derhole das Pensum, theils durch Abschreiben aus den gedruckten Büchern, theils durch Abfragen, wer es besser im Gedächtniss habe u. s. w. Auch sollen die Schüler ihre gedruckten Bücher aufs Sauberste abschreiben, um sich den Stoff richtiger einzu prägen und um sich im schönen, schnellen und richtigen Schrei ben zu üben; die Eltern werden daran auch die Leistungen der Schule und die Fortschritte der Kinder leichter beurtheilen kön–
nen. – Sollen Kinder Nachbarsprachen lernen, so geschehe es um das zehnte und zwölfte Jahr, zwischen der Volks- und der Lateinschule.
Am besten, man schickt sie dorthin, wo nicht ihre
Muttersprache, sondern diese Sprachen täglich gesprochen werden. Auch mögen sie die ihnen vorher aus der Muttersprache bekannten Bücher in diesen neuen Sprachen lesen, abschreiben, sich ein prägen etc. –
-
Die Lateinschule hat zur Aufgabe, vier Sprachen und den
ganzen Inbegriff der Wissenschaften (tota artium Encyclopaedia) zu lehren. Von den Sprachen – Grammatik – müssen die Schüler das Latein und die Muttersprache völlig, das Griechisch und He bräisch nach Bedürfniss inne haben.
In der Dialektik müssen sie
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erklären, unterscheiden, beweisen und Beweise auflösen können. In der Rhetorik müssen sie über jeden Stoff geschmackvoll zu
sprechen verstehen. Arithmetik und Geometrie müssen sie lernen sowohl wegen der verschiedenen Bedürfnisse des Lebens, als auch weil diese Wissenschaften vorzugsweise den Geist anregen und schärfen. In der Musik müssen sie praktisch und theoretisch be wandert sein. In der Grundlage der Astronomie, nämlich in der
Lehre und Berechnung der Kugel, wenigstens soweit, als es für die Physik, die Geographie und einen grossen Theil der Geschichte nöthig ist. Aber ausser diesen üblichen sieben freien Künsten, deren Kenntniss nach Meinung des Volkes den „Magister der
Philosophie“ bildet, müssen sie noch Anderes, Höheres (ut altius assurgant) lernen. In der Physik sollen sie den Bau der Welt, die Kräfte der Elemente, die Verschiedenheiten der Thiere, die Kräfte der Pflanzen und Metalle, den Bau des menschlichen Kör
pers etc. kennen, sowohl an sich als in ihrer Anwendung auf das menschliche Leben durch die Medicin, den Ackerbau etc.; in der
Geographie sollen sie den ganzen Erdkreis mit Meeren, Inseln,
Reichen etc. im Kopfe haben (mente depictum circumferant); in der Chronologie den Verlauf aller Jahrhunderte; in der Ge schichte sollen sie zum guten Theil die hervorragenden Verän derungen des Menschengeschlechts, der wichtigen Staaten, der Kirche und die mannichfaltigen Gebräuche und Schicksale der Völker und Menschen erzählen können; in der Ethik werden sie
die Arten und Unterschiede der Tugenden und Laster, auch in ihrer Anwendung auf Haus-, Staats- und Kirchenwesen kennen; in der Theologie müssen sie die Grundlagen des Glaubens auch aus der Schrift beweisen können. In allen diesen Fächern sollen die Jünglinge in sechs Jahren zwar keine vollendete Bildung er reichen, jedoch für jedes künftige vollendete Wissen feste Grund lagen haben. *
Demnach wird diese Schule in sechs Klassen zerfallen, welche,
von der niedrigsten angefangen, folgende Namen führen mögen:
Grammatik, Physik, Mathematik, Ethik, Dialektik, Rhetorik. Dass die Sprachkenntniss (Grammatik) den anderen Wissen schaften vorangehen solle, wird Niemandem auffallen; wohl aber, dass, gegen das allgemeine Herkommen, die Realwissenschaften
der Dialektik und Rhetorik vorangehen sollen. Die Gründe für diese Umkehrung sind schon oben besprochen worden.
Auch
„sind die Dinge an sich das, was sie sind, wenn Vernunft (ratio) und Sprache sich auch nicht mit ihnen beschäftigen; Vernunft und Sprache aber beschäftigen sich mit den Dingen allein und hängen von ihnen ab; ohne die Dinge verschwinden sie oder wer
den inhaltloser Schall.“
Ferner werden, wie schon Lipsius ge
lehrt, die Naturwissenschaften der Ethik vorausgehen. Die Ma thematik wiederum soll, nach „meinen jetzigen“ Ansichten und Erfahrungen, vorläufig der Naturwissenschaft nachfolgen. Die Alten (Platon) freilich schickten sie voraus, weil sie durch die
sinnlichere, leichtere und gewissere Kenntniss der Zahlen und
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Grössen auf das Unsinnliche vorbereiten sollte.
Wir dagegen
wollen die Uebung der Sinne und die Anregung des Geistes schon
in der Volkschule durch die Sinnendinge und Zahlenlehre pflegen; auch ist die Lehre von den concreten Körpern eine Vorstufe zu der höheren Betrachtung der Grössen, zu dem Abstracten; end lich soll sich ja an unseren mathematischen Unterricht die Kennt niss der meisten Kunstthätigkeiten anschliessen, was ohne Natur kenntniss nicht leicht und richtig geschehen kann. Den Natur
wissenschaften mag man in drei Monaten auch die Metaphysik („richtiger Prophysik oder Hypophysik“) vorausschicken, als die Lehre von den ersten und innersten Grundlagen der Natur, näm lich von den nothwendigen Eigenschaften aller Dinge, Attributen und Unterschieden etc.; die Naturlehre wird dann nur die Anwen dung des Allgemeinen auf das Besondere geben. Die Lehren der
Metaphysik „werden sehr leicht einleuchten, weil sie gleichsam die blossen Grundgedanken (mera principia) sind, welche jeder menschliche Sinn durch das ihm einwohnende Licht von selbst
anerkennt und zugesteht“. – Auf Physik und Mathematik wird die Ethik folgen; doch soll hier nicht bloss wie in der Volksschule das Was, sondern auch das Warum (Ursachen und Wirkungen der Dinge) zur Beachtung kommen. Alles Controverse bleibt aber auch in dieser 4. Klasse noch ausgeschlossen. Dies gehört viel mehr in die 5. Klasse, Dialektik, wo nach einer ganz kurzen Theorie dieser die Stoffe der Physik, Mathematik etc. und die wichtigeren Streitfragen der Gelehrten theils zur Wiederholung des Vorangegangenen, theils zur Aufhellung des Unverstandenen dialek tisch behandelt werden.
Endlich wird in der 6. Klasse nach Vor
ausschickung einer ganz kurzen und klaren Theorie die Rhetorik an allen Gegenständen der Erkenntniss, der menschlichen Sitt lichkeit und göttlichen Weisheit geübt. – Alle 6 Klassen aber soll, mit Hülfe eines besonderen Buches für jede Klasse, der Geschichtsunterricht begleiten, in dieser Folge: Biblische Geschichte,
Naturgeschichte (historia Naturalium), Geschichte der Erfindun gen, Geschichten ethischen Inhalts (Beispiele von ausgezeichneten Tugenden etc.), Geschichte der (religiösen?) Sitten und Gebräuche
der Völker (de variis gentium ritibus), allgemeine Geschichte der ganzen Welt und der vorzüglicheren Völker, besonders aber des Vaterlandes – alles in Kürze, doch nirgends mit Fortlassung des Nothwendigen. Jede Klasse soll täglich vier Stunden haben: Vormittags (nach einer religiösen Uebung) zwei Stunden in ihrer Hauptwis senschaft oder –Kunst; Nachmittags eine Stunde Geschichte, eine Uebung des Styls, der Sprache oder der Hand. – -
In Betreff der Universität will Comenius keine Methode
geben, wohl aber seine Wünsche aussprechen.
1) Alle Studien müssen hier gepflegt werden; dazu ge hören einmal gelehrte und tüchtige Lehrer aller Wissenschaften,
Künste, Fertigkeiten, Sprachen, dann eine auserlesene, Allen zugängliche Bibliothek.
--
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2) Die Einrichtungen müssen zweckmässiger sein, damit Alle, welche dahin kommen, ein gründliches Wissen empfangen. Lasse man daher nur die begabteren Köpfe, „die Blüthe der Men schen“, zu; deshalb ist gegen das Ende der Schulzeit von den Schulaufsehern eine öffentliche Prüfung in der Lateinschule an
zustellen. Dann aber sollen die jungen Leute nach ihrer Neigung ein bestimmtes Fach wählen. Die starken Geister rege man zu Allem an, „damit es auch an Wiel– oder Allwissern nicht fehle.“ Nur fleissige, gesittete und begabte Zöglinge werden geduldet. – Von allen Schriftstellern sollen durch die Gelehrten vollständige, kurze Auszüge (nicht Excerpte in einzelnen Sentenzen) gemacht werden: die Studirenden werden sich dann wenigstens eine allgemeine Kennt miss aller Schriftsteller verschaffen und die ihnen zusagenden aus wählen können; sie werden dadurch eine Vorbereitung für die spätere vollständige Lectüre empfangen und sie auch zu Repeti tionen brauchen können. Diese Auszüge können (auch der Aer
meren wegen) einzeln herausgegeben, auch den Autoren voraus geschickt werden. – Endlich sollen öffentliche gemeinsame
Besprechungen unter Leitung des Lehrers stattfinden, und zwar Nachmittags über den am Vormittage vorgetragenen Stoff. Zu diesem Zwecke überweise der Lehrer die Schriftsteller, welche
denselben Stoff behandelt haben, den Zöglingen zur häuslichen Lectüre; in der Disputation theilen diese mit, was sie gelesen haben; jeder darf fragen, antworten, die Antworten beurtheilen etc.
3) Die Akademischen Ehrengrade sollen nur Würdi gen zuertheilt werden. Daher darf hier nichts vom Belieben eines
Einzigen abhängen, „sondern vom öffentlichen Bewusstsein und Zeugniss Aller“. Die Regierung möge nämlich alljährlich Gesandte schicken um die Leistungen der Lehrenden und Lernenden kennen zu lernen; wer einen Grad (Doctor oder Magister) erwerben will, der stellt sich dann zu einer öffentlichen Prüfung, bei welcher alle tüchtigen, auch schon in der Praxis bewanderten
Gelehrten das Recht haben, dem Candidaten Fragen aus der Theorie und Praxis seines Faches vorzulegen. So wird die Prü fung „ernst“ und „streng“ sein und keine „Täuschung“ (fucus) vorgehen. Im Laufe dieser sechs Jahre
oder nachher werden
auch
Reisen zur Bildung des jungen Mannes beitragen. – Eine „Schule der Schulen“ aber oder ein „Collegium didacticum“Tmag „irgendwo“ gegründet werden, oder wenigstens mögen die Gelehrten seine Aufgabe übernehmen. Sie mögen nämlich „mit vereinten Mühen dahin streben, die Grundlagen der Wissenschaften mehr und mehr zu ermitteln, um das Licht
der Weisheit zu klären und unter dem Menschengeschlechte mit glücklicherem Erfolge zu verbreiten, und durch neue und nützliche
Entdeckungen die Verhältnisse der Sterblichen zu fördern. Denn, wenn wir nicht immer auf derselben Stufe verbleiben oder gar zurückgehen wollen, so muss man an den Fortschritt der guten
Anfänge denken;“ das aber kann nur die vereinigte und all Pappenheim. Comenius, 3 e
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mähliche Arbeit der Zeitalter vollbringen. Für die übrigen Schulen wäre dies Collegium, was der Magen für die Glieder des Körpers: die Werkstätte des Lebens und der Kraft für Alle. – –
Alle diese „Wünsche“ und „Rathschläge“ stellt Comenius dann noch einmal in einem weitausgeführten Vergleiche der Buch druckerkunst mit der früheren Verbreitung der Bücher durch Ab schreiben vor Augen; seine Schulen würden in demselben Maasse mehr leisten als die früheren. Nur wenige Punkte mögen zur Ergänzung herausgehoben werden. Die Lehrer werden erfolgreicher arbeiten, wenn sie mit der Wahl des Stoffes und der Methode des
Unterrichts weniger auf das eigene Geschick angewiesen sind, als vielmehr Alles – auch methodische Bücher für sie – schon vor
bereitet finden. Die Schulbücher aber, welche die Zöglinge in der Hand haben, werden durch die Erklärung des Lehrers Leben, Klarheit und Vervollständigung erhalten. – Die Zöglinge werden nur Einmal im Jahr, am besten im Herbst, aufgenommen; die Versetzung ist jährlich. Am Sonntag ist die Schule geschlossen;
auch werden die üblicheren Ferien (solenniores feriae) gegeben; im ganzen Schuljahr werden gegen 1000 Unterrichtsstunden er theilt. Schulaufseher halten jährliche Prüfungen ab. Was aber muss geschehen, fährt er fort, damit diese
Vorschläge zur Wirklichkeit werden? Ein Einzelner oder eine einzelne Schule erfährt nur Spott und Uebelwollen, wenn sie mit Neuerungen vorgehen, und sie ermatten darin. Es sind aber viele Umstände hinderlich: es fehlt an methodisch geschulten Leh rern; es fehlt in Stadt und Dorf an Mitteln sie zu unterhalten; die Kinder der Aermeren haben keine freie Zeit für die Schule;
die Leute des gewöhnlichen Bildungsschlags (vulgariter eruditi) werden dagegen sein, weil sie am Alten hängen.
Die Haupt
sache aber ist, wir haben keine Unterrichtsbücher. Diese aber kann nicht Ein Mann schreiben, nicht einmal Ein Zeitalter, wenn
sie des mit zur
vollkommen sein sollen. Berufe daher Fürst oder Regierung Landes ein Collegium von Gelehrten an einen stillen, einer Bibliothek und anderen Hülfsmitteln ausgestatteten Ort, Abfassung dieser Bücher! Ihr aber, Eltern der Kinder! wenn ihr hört, dass es sich
um diese heilsamen Rathschläge handelt, erglühet, und lasset nicht ab zu Gott zu beten, die Vornehmen und die Gelehrten aber mit euren Bitten, Wünschen etc. zur Ausführung zu drängen! Ihr Lehrer, sprecht euer ernstes Verlangen nach diesen Erleich terungsmitteln eurer Arbeit aus! Eure himmlische Berufung und das Vertrauen der Eltern soll „das Feuer in eurem Gebein sein, das euch und durch euch Anderen keine Ruhe lässt, bis durch
das Feuer dieses Lichtes das ganze Vaterland in Flammen steht
und glücklich erleuchtet wird.“ Ihr übrigen Gelehrten, bringt euer Licht heran um „dies heilige Feuer zu erwecken“! Fern bleibe euch Neid, Missgunst, Widerstreben! Wuchert mit eurem Pfunde ! Wollen wir müssig dabei stehen, wo es sich darum han
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delt, Kirche und Staat zu bilden und zu bessern? Keiner schliesse sich von der Mitwirkung aus; jeder, wess Amtes er auch sei, rathe, erinnere, ermahne, verbessere, treibe an, er ist es Gott, der Kirche, dem Vaterlande, der Nachwelt, welche dasselbe thun
soll, schuldig! Ihr Hochgelehrten aber, verachtet nicht, was ein minder gebildeter Mann spricht, den – ich betheuere es vor Gottes Angesicht! – nicht Ueberhebung, noch Ruhmgier, noch Eigennutz, sondern die Liebe zu Gott und die Sehnsucht, die menschlichen Verhältnisse in Staat und Haus zu fördern, allein antreiben! Wer von euch, wo er nützen kann, hemmt und wider
steht, der erklärt nicht mir, sondern Gott, seinem Gewissen, der Menschennatur den Krieg! Ihr Theologen könnt durch euer Ansehen das Vorhaben viel fördern oder hemmen!
Wollt ihr
das Letztere, so wird sich das Wort des heiligen Bernhard er füllen, Christus habe keine schlimmeren Feinde als seine Um
gebung und welche den ersten Platz darin einnehmen. Doch ich hoffe Besseres. Der von euch wäre thöricht, der sich ungebil dete Zuhörer wünschte, vielmehr sollen uns die Schulen mög lichst gebildete geben! Neid aber darüber, dass Andere thun, was euch nicht in den Sinn gekommen ist, muss am meisten euch fern bleiben! Ihr Herren der Völker und Staatsobrigkeiten, euch besonders geht meine Rede an! Bei Christus, bei dem Wohl der Nachwelt beschwöre ich euch.
eine „ernste, allzu ernste Sache“.
Es handelt sich
um
Wenn Jemand da wäre,
„der Rathschläge gäbe, wie mit leichtem Aufwand alle unsere Gemeinwesen befestigt, die ganze Jugend für den Kriegsdienst vor bereitet, alle unsere Flüsse schiffbar und voll von Waaren und Reichthum würden, oder mit welchen Mitteln nur immer die öffent
lichen oder privaten Zustände zu grösserer Blüthe und Sicherheit gelangen könnten,“ so bin ich überzeugt, ihr würdet diesem Rath
geber nicht nur euer Ohr öffnen, sondern auch Dank sagen. Hier aber handelt es sich um mehr. Gezeigt wird ein richtiger, sicherer und zuverlässiger Weg, eine Menge von solchen Männern zu er werben, welche mit derartigen und ähnlichen Erfindungen dem Vaterland
dienen und andere
nach ihnen.
Wenn also Luther
heiligen Angedenkens mit Recht schrieb: Wo zu dem Bau von Städten, Schlössern, Denkmälern, Zeughäusern Ein Goldstück aufgewandt wird, da müssen Hundert auf die Bildung eines ein zigen Jünglings aufgewandt werden etc., wenn es, sage ich, ein weises Wort ist, dass man keinen Aufwand schonen dürfe, um
auch nur Einen Jüngling richtig zu erziehen: was muss man sagen, wenn sich die Thür öffnet zu einer so allgemeinen, allseitigen und
sicheren Bildung aller Geister, wenn Gott seine Gaben nicht mehr tropfenweise, sondern wie in einem Strom uns zuwenden will? „Ihr Fürsten, machet die Thore weit und die Thüren in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe!“ Mit einem Gebete schliesst der Verfasser. 3*
36
5.
Mehr als zwei Jahrhunderte liegen zwischen der im Auszuge mitgetheilten Schrift und unserer Zeit. Deutschland besonders hat inzwischen in der Theorie und Praxis der Erziehung ernst ge arbeitet, und es kann daher nicht fehlen, dass, auch abgesehen vom Sprachunterricht, zwischen Comenius und uns manche Ver
schiedenheit der Anschauung herrscht. Aber im Ganzen ist diese nur klein.
Vielmehr wird, wer von uns Schulmännern auch so
glücklich sein sollte, aus der „Lehrkunst“ keinen neuen brauch baren Gedanken zu lernen, ihr andererseits das viel grössere Lob nicht verweigern können, dass sie über die Principien der Erzie hung, über die Stellung der Schule im Gemeinwesen und im Leben und über ihre Einrichtung und Führung zumeist Ansichten aus spricht, welche, wenn auch nicht aus Comenius selbst, uns Allen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Die Schule ist auch ihm
der Grundpfeiler der Gesittung und Bildung. Das Heil der Fa milie, der Kirche und des Staates ruht auf ihr. Jedes Kind hat ein Recht auf sie, und zwar hat jedes, auch das ärmste und
unfähigste, das Recht, in ihr nicht bloss einen nothdürftigen Un terricht zu finden, sondern einerseits eine vollständige Entwicke lung all seiner Anlagen zum Wissen, zur Tugend und zur Fröm migkeit, andrerseits ein Material der Bildung, welches es über Wissenschaft und Leben mindestens allseitig orientirt, und zwar so, dass damit gleichzeitig das Verlangen und die Möglichkeit zu weiterer Ausbildung gegeben wird. Sache des Staates ist es, die Erfüllung der ganzen grossen Aufgabe zu übernehmen. Weder durch Sociale noch durch andere Vorurtheile darf er sie sich ver
kümmern lassen. Zu erreichen ist sie nur durch eine sorgfältige und reiche Gliederung des Schulwesens, durch einen tüchtigen Lehrerstand, durch Ausstattung mit den nöthigen Lehrmitteln.
Oberste Richtschnur in Allem ist die Natur des Zöglings, die körperliche, sittliche, geistige, und der Erzieher ist der Diener, nicht der Herr der Natur – so dachte, so forderte Comenius:
wer denkt heute anders, wer fordert weniger? Doch auch wo Comenius von unseren Anschauungen abweicht, ist
der
Irrthum
nicht
überall unzweifelhaft
auf
seiner Seite.
Freilich, seine Forderung von Klassen mit 100 Schülern haben
wir, als eine zu bescheidene, in der Theorie wenigstens längst auf gegeben; aber, wenn er z. B. auch in der Volksschule für jedes Lebensjahr eine besondere Klasse verlangt, was können wir
ihm dagegen einwenden, als dass er ein „Idealist“ ist? Oder Wenn wir, entgegen seinen strengen Ansichten über Concentration
des Unterrichts, heute in den höheren Schulen lange vor Abschluss des Elementar unterrichts und neben dem letzteren den fremd –
sprachlichen pflegen und sogar in zwei bis drei Sprachen (La ein, Griechisch, Französisch – Französisch und Englisch); wenn
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wir ferner beinahe in allen Klassen alle Objecte des Lehrplans lehren, so dass „fast jede Stunde ein anderes eintritt“: können
wir diese Einrichtungen wirklich durchweg mit pädagogischen Gründen rechtfertigen, müssen wir uns nicht öfter durch soge nannte Forderungen des Lebens oder des „Publikums“ entschui digen? g Und
noch ein Punkt mag schon hier berührt werden, in -
welchem die Einen sich ebenso irrthümlich mit einem Princip des Comenius in Uebereinstimmung glauben, als die Anderen ihn des
Irrthums anklagen. Ich meine den Anschauungsunterricht, dies Schmerzenskind der heutigen Elementardidaktik, das Kreuz so vieler Lehrer der Volksschule. Weder über das Was noch über das Wie sind wir, wie noch neue Arbeiten auf diesem Felde
lehren, trotz langer Bemühung zur Klarheit gelangt, und über das Was darum nicht, weil wir uns die Frage nach dem Wie noch nicht gehörig vorgelegt haben. Es ist eine Verschwendung von Zeit und Mühe, wenn in der Schule dem Dorfkind im Binnen
lande auf einem wenn auch schön gezeichneten und gemalten Bilde das Leben an einem Meereshafen in allen seinen Einzel
heiten, und wenn dem Stadtkind ebenso die Erndtezeit auf dem Lande zur Anschauung gebracht wird, beide noch dazu in einer reichen Zusammenstellung und einer Gruppirung, wie sie in der Wirklichkeit nicht statthaben. In den Gedanken, dass der An schauungsunterricht durch das Bild ertheilt werden müsse, haben wir uns dermaassen verirrt, dass man heute in Landschulen buchstäblich hören kann, es könne dieser Unterricht dort nicht ertheilt werden, weil sie nichts zum Anschauen hätten – nämlich
keine Bilder! Als wenn Feld und Wald, Berg und Thal, Pflug und Wagen, Blatt und Blume, welche dort das Kind stündlich um sich sieht oder richtiger sehen könnte, wenn es erst zu sehen verstünde, nicht ein ebenso würdiges Material der Anschauung wären als das ihm in der Wirklichkeit, oft für alle Zeit, ganz Ferne und Unbekannte; als wenn jene nicht das nöth wendigste und erste Object dieses Unterrichts wären; als wenn sie nicht sogar formal d. h. für die Bildung des Gesichtssinnes und
seiner Fertigkeit im Sehen weit mehr leisteten als das Bild an der Wand! Und wo bleibt bei dem Bilde die Ausbildung der an deren Sinne, vor Allem das Gehör? – Die Bilderverehrer also berufen sich auf Comenius' Vorgang in seinem heute be kanntesten Buche, dem Orbis pictus; die Wenigen aber, welche schon zu der gesunden Einsicht gelangt sind, dass der leben – dige, wirkliche Gegenstand, wie Natur oder Kunst ihn bieten, das berechtigste Object und zugleich das nächste
und beste Mittel der Belehrung sei, dem Bilde aber nur eine zweite und aushelfende Rolle zukomme, meinen, Comenius habe dies noch nicht erkannt. Das ist der Irrthum, den ich
meine. Wer im Unterricht und in der Erziehung so überall auf Anschauung dringt und vom Gegenstande selbst ausgeht, wer
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theoretisch ein so erklärter Empirist und Sensualist ist, wer selbst so voll lebendiger und sogar in's Kleine gehender Anschauung von Natur und Kunst ist: der kann sich nicht so untreu wer
den, dass er principiell die Anschauungen durch das Bild vermitteln will.
Und er will es auch wirklich nicht.
Deutlicher
konnte er den Unterricht durch den Gegenstand selbst nicht anem pfehlen, als es in der „Methode der Wissenschaften“ (in der „Lehr
kunst“) geschieht. Nachdem hier vorher gesagt ist, „die leibhaf tigen, wahrhaften, nützlichen, Sinne und Einbildungskraft ergrei fenden Sachen,“ nicht deren „Schatten“ soll die Jugend kennen lernen, heisst es wörtlich: „Also soll es für die Lehrer eine gol dene Regel sein, Alles den Sinnen darzubieten, was sich nur immer lässt. Nämlich das Sichtbare dem Gesicht, das Hörbare dem Gehör, die Gerüche dem Geruchssinn, das Schmek kende dem Geschmack, das Tastbare dem Tastsinn; und wenn
etwas durch mehrere Sinne zugleich wahrgenommen werden kann, so soll es mehreren zugleich geboten werden.“ . . . . „Durch
den Augenschein und den sinnlichen Beweis (autopsia et sensualis demonstratio) muss man Alles lehren“ . . . „Leichter und fester prägt jeder von uns der Phantasie ein, was ein Rhinoceros ist, wenn er es auch nur einmal selbst gesehen hat, wenigstens
im Bilde (vel semel ipsum vel saltem in imagine)“, . . . als wenn es ihm tausendmal mit Worten gesagt wird. Erst also nachdem nachdrücklich auf den wirklichen Gegenstand hingewiesen ist, heisst es: „Es können aber, wenn die Dinge einmal fehlen,
Stellvertreter dafür angewandt werden“, und hier erst ist von Bildern, künstlichen Skeletten und anderen Veranschaulichungs mitteln der Wissenschaften die Rede. – So hat Comenius auch
in diesem Punkte in der Theorie das einzig Richtige gesehen. Es wird noch lange dauern, ehe wir auf den richtigen Weg kommen werden, denn die Verirrung ist fast allgemein und eingewurzelt; und wir müssen uns nicht nur entschliessen, die sogen. An schauungstafeln aus der Schule zu bannen oder wenigstens bei Seite zu legen, um sie – eben nur zur Aushülfe und für den Nothfall – zu benutzen, sondern, was allerdings nicht leicht ist, wir müssen erst lernen, dem Zögling den wirklichen Gegen stand vorzuführen.
Aber erst dann, wenn wir so das Wie und
in Folge davon das richtige Was des Unterrichts gefunden haben werden, wird dieser die Zeit und Mühe, welche wir darauf wen
den, lohnen und wirklich fruchtbringend sein. – Nicht Comenius' „Lehrkunst“, sondern Rousseau's „Emil“ hat in Deutschland den grossen Umschwung zu gesunderen pä dagogischen Ansichten herbeigeführt. Aber kaum findet sich im „Emil“ ein bedeutender und wahrer Gedanke, der nicht schon in der „Lehrkunst“ ausgesprochen wäre, und so würde sich die Reform früher, ruhiger und sicherer vollzogen haben, wenn der „Lehrkunst“ die Gunst der Geschichte beschieden gewesen wäre, welche Rousseau's immerhin unvergängliches Buch erfahren hat.
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6.
Mit Recht hat Comenius die „Lehrkunst“ an die Spitze
der Gesammtausgabe seiner pädagogischen Schriften gestellt. Sie war ebenso der Höhepunkt seiner Gedankenentwickelung, als der Grund, auf welchem sich seine Arbeiten über einzelne Theile der Pädagogik erhoben, und daher der Schlüssel zu deren Verständniss. Deshalb mag auch erst jetzt sein originelles und treffliches Schriftchen über die erste Kindeserziehung zur
Besprechung kommen, obwohl seine Abfassung und Veröffent lichung schon in frühere Zeit fallen. Es entstand mit einigen an
deren Schriften gleichzeitig neben der „Lehrkunst“ „nach Anlei tung der in dieser gefundenen Grundregeln“, „damit Alles bereit wäre, wenn Gott eine bessere Zeit für das Vaterland zurückführen
sollte.“ Schon 1633 wurde es, auf Veranlassung seines neuen Gönners, des Grafen Raphael von Lissa, aus dem Böhmischen
in's Deutsche übersetzt, später (1653) für die Ungarn in's La teinische, in welcher Form es in die Gesammtausgabe übergegan gen ist. Es führt den Titel: „Lehren der Mutterschule, zur besseren häuslichen Erziehung der Jugend durch die Eltern und zu ihrer Vorbereitung für die öffentlichen Schulen“, oder auch: „Schule des Mutterschoosses, oder über die sorgsame Erziehung der Jugend in den ersten sechs Jahren,“ oder kurzweg „Kind heitsschule“. In neuerer Zeit ist es in deutscher Bearbeitung er schienen.
Im Eingange weist Comenius in beredter und inniger Weise und mit zahlreichen Belegen aus der Schrift nach, ein wie köst licher Besitz Kinder sind und wieviel mehr werth als „Gold und Silber“. „Von der Erbsünde abgesehen, haben sie sich noch durch kein wirkliches Vergehen befleckt . . . sie werden uns zum Spiegel der Bescheidenheit, Freundlichkeit, Herzensgüte, Eintracht und der übrigen christlichen Tugenden gegeben.“ Aber es genüge nicht sie bloss leiblich zu warten, sondern vor Allem bedürfe ihre
Seele der Pflege, und zwar müssten sie geleitet werden zur Fröm migkeit, zur Sittlichkeit und zur Kenntniss der Sprachen und
Wissenschaften. Von selbst könnten sie dazu nicht gelangen; daher habe Gott den Eltern die „Pflicht“ der Erziehung aufge legt, welche, da sie oft verhindert oder unfähig sind, darin von den Schulen unterstützt werden. Falsch aber wäre es die Er ziehung erst mit der Schule anfangen zu lassen, vielmehr müsse sie bald nach der Geburt beginnen und das Kind mit sechs Jahren
schon bis zu einem gewissen Grade erzogen und unterrichtet sein. Darauf giebt der Verfasser zuerst im Umrisse die Ziele
dieser Erziehungsperiode an und zeigt nachher in weiterer Aus führung, durch welche Mittel sie, unter fortwährender Beachtung
der Kindesnatur und ihrer Entwickelung in den einzelnen Lebens jahren, zu erreichen sind. Darstellungen zusammen.
Ich ziehe der Kürze wegen beide
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In der Frömmigkeit soll das Kind soweit gelangen, zu wissen, dass Gott ist, dass er allgegenwärtig, der Geber alles Guten, der Strafer ist, dass man ihn fürchten, lieben, anrufen und
ihm gehorchen muss, dass er uns, wenn wir es verdienen, in den Himmel aufnehmen wird. Es muss einige Gebete, den Glauben, die Zehn Gebote und einige Liederverse auswendig wissen. In der Sittlichkeit muss das Kind gewöhnt werden an Mässigkeit im Essen und Trinken, Reinlichkeit, Achtung vor Vorgesetzten, Ge horsam, Wahrheitsliebe, Gerechtigkeit, Wohlthätigkeit, Arbeit samkeit, Schweigsamkeit, wo sie nöthig ist, Geduld, Gefälligkeit und Dienstfertigkeit gegen Grössere, gesittetes und anstandsvolles Benehmen. Die Mittel dazu sind: fortwährendes gutes Vorbild, Unterweisung (in kurzen Worten) und Uebung, und mässige Zucht.
In der Bildung (artes liberales) muss es angeleitet werden zum Wissen, Thun und Sprechen.
ITDas Wissen: 1) in der Naturgeschichte: das Kind muss kennen lernen die Elemente, einige Lufterscheinungen, Bäume, Blumen, Früchte, Thiere, seine äusseren Körpertheile und ihre Thätigkeit. 2) Optik: Licht und Finsterniss, einige gewöhn
licheren Farben und deren Namen. 3) Astronomie: Sonne, Mond und Sterne, ihr Auf- und Untergang, Länge und Kürze der Tage. 4) Geographie: Wohnhaus, Hof und Garten etc.; Vaterstadt; Stadt, Dorf, Wiese, Wald, Berg, Fluss etc. 5) Chronologie: Tages
zeiten und Jahreszeiten; Stunde, Tag, Woche, Jahr; Festtage. 6) Geschichte: Erinnerung an die Erlebnisse von gestern, von
1, 2, 3 Jahren. 7) Oekonomik (Hauswesen): die Familienmitglieder und deren verschiedene Stellung im Hause; Begriff des Eigen thums. 8) Staatswesen: hierin wird es schwer sein, den Kindern auch nur Begriffe wie Consul, Bürger etc. beizubringen; statt dessen
können sie die Anfänge der politischen Unterhaltung (rudimenta Politicae conversationis) lernen, z. B. Acht haben, wenn Jemand spricht, Scherz und Ernst der Rede unterscheiden. – Thierfabeln und andere „mit Geist erfundene“ Erzählungen werden ausserdem ein gutes Bildungsmittel sein. II. Das Thun. Kinder sind von Natur immer thätig; das soll man nicht hindern, vielmehr vorsehen, dass sie immer etwas zu thun haben. „Sie sollen Ameisen sein.“ Nur sollen sie dabei
weder sich noch den Dingen Schaden thun; gebe man ihnen daher an Stelle wirklicher Werkzeuge Kinderklappern, bleierne oder hölzerne Messer, Pflüge, Wagen etc. Damit mögen sie spielen und dabei den Körper zur Gesundheit, die Seele zur Kraft, die Glieder zur Gewandtheit üben. „Sie haben nichts An deres sich zu beschäftigen, Müssiggang aber ist das Verderben
für Seele und Leib.“ Der Anfang dieser Leistungen in der Me chanik (Mechanica) und Kunstthätigkeit (artificium, opus) ge schieht schon im ersten Jahr, wenn sie den Mund zur Speise öffnen, den Kopf aufrecht halten, die Augen richten etc. Im zweiten und dritten Jahre lernen sie schon laufen, tanzen, anzünden und aus löschen, tragen, setzen, aufheben, hinwerfen, rollen, zerbrechen,
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zerschneiden, ausschneiden, bauen, binden und losbinden etc., was man ihnen Alles erlauben, sogar vormachen soll. Im vierten, fünften und sechsten Jahre werden sie schon voll Arbeit und
Bauthätigkeit (architectatio) sein und sie sollen es; denn „allzu stilles Sitzen oder Herumspazieren eines Kindes ist kein gutes Zeichen.“ Auch zum Zeichnen und Schreiben muss man den Kin
dern schon im vierten oder fünften Jahr Gelegenheit geben oder auch sie dazu anregen; mögen sie mit Kreide („die ärmeren mit Kohle“) Punkte, Linien, Haken, Kreuze etc. nach Belieben zeich
nen. Sie werden dabei die Hand für das spätere Schreiben vor üben und Punkt, Linie etc. kennen lernen.
Diese Thätigkeiten sind körperliche Arbeiten und Geschäfte; andere beziehen sich auf „Verstand und Sprache.“ Diese sind:
1) Dialektik. Hierin werden sie durch Umgang und Uebung ler nen, was Frage und Antwort ist, und streng auf die Frage ant worten. 2) Arithmetik. Hierin sollen sie den Unterschied von
Viel und Wenig kennen, bis 20 oder bis 30 zählen können, wis sen, dass 15 mehr als 13 ist, dass 3 + 1 = 4 ist etc., und die geraden von den ungeraden Zahlen unterscheiden lernen. „Weiter zugehen ist unnütz, sogar schädlich“. 3) Geometrie. Unterschied
von Gross und Klein, Kurz und Lang, Breit und Schmal; einige Figuren, wie Kreis, Linie, Kreuz; einige Maass- und Gewichts bezeichnungen; auch mögen sie selbst zu messen und zu wägen
versuchen. 4) Musik.
„Diese ist uns vorzugsweise naturgemäss.
Denn sobald wir zur Welt kommen, singen wir fortwährend den Gesang des Paradieses, welcher uns den Sündenfall ins Gedächt niss ruft: A, A, E, E!“ (!) Uebrigens ist es weder möglich die Kinder vom Weinen abzuhalten noch heilsam.
Schon zwei Jahr
alt aber hören sie gern Gesang, auch Instrumentalmusik, wobei man ihnen auch durch die Harmonie und den Zusammenklang Ohr und Seele ergötzen kann. Allmählich halte man sie an auf
merksam dem Gesange im Hause und in der Kirche zuzuhören, auch mitzusingen; auch können sie auf Kinderinstrumenten dabei
mitspielen. Einige Verse aus Psalmen oder Hymnen sollen sie auswendig singen lernen. III. Das Sprechen. 1) Grammatik. Nach sechs Monaten, gewöhnlich aber nach dem ersten Jahre fangen die Kinder Laute "
und Silben zu sprechen an, dann (Kinder-) Wörter. Man halte sie im zweiten und dritten Jahre schon an deutlich und genau zu sprechen. Später muss man sie gewöhnen, Alles, was sie im Hause sehen und thun, zu benennen und dabei deutlich auszu
sprechen. (Auch mag man sie an schweren Worten, wie Tara tantara, Nabuchodonosor, üben). „Was das Kind versteht, muss es auch zu sprechen wissen.“
2) Rhetorik. Schon im ersten und
zweiten Jahre lernen sie unsere Mienen und Gesten verstehen;
später werden sie auch Einiges von den Tropen verstehen und
nachahmen lernen. 3) Poésie. Reim und Rhythmus gefallen ihnen zeitig; spreche und singe man ihnen also zeitig in poétischer Form.
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Den Unterschied von der prosaischen werden sie dann bald be merken. Auch mögen sie einige fromme Verse auswendig lernen. Wie man in dieser Zeit in den einzelnen Gegenständen vor schreiten muss, lässt sich nur im Allgemeinen, nicht – wie in den „übrigen“ Schulen – nach Jahr und Monat bestimmen; ein mal, weil nicht alle Eltern im Hause eine solche Ordnung ungestört beobachten können, dann, weil die Kinder in dieser Zeit in der
geistigen Entwickelung ungleich sind.
Doch muss die Jugend auch zur körperlichen Gesund –
heit und Kraft erzogen werden. Die Sorge dafür obliegt be sonders der Mutter.
Darum soll diese zunächst in der Zeit vor
der Geburt des Kindes beten (hier fügt Comenius den Wortlaut
eines Gebets ein) und sich auch mit Vorsicht verhalten. Nach der Geburt beginnt die Sorge um die Ernährung des Kindes. „Aber, o Schmerz! eine gar verderbliche und tadelswerthe Sitte ist eingerissen, dass manche Mütter, besonders aus dem Stande der Vornehmen, den eigenen Sprössling zu hegen verschmähen und ihn fremden Frauen zur Ernährung überlassen! . . . Je tiefere Wurzeln diese Gewohnheit schlägt und je weiter sie greift, desto weniger darf man sie mit Stillschweigen übergehen.“ Denn sie „widerstreitet Gott und der Natur“, sie ist „den Kindern schäd lich, den Müttern selbst verderblich und keineswegs schicklich, vielmehr des höchsten Tadels werth.“ Nur wenn die Mutter an einer ansteckenden Krankheit leidet oder von schlechten Sitten
ist, darf man eine fremde Ernährerin nehmen, aber mit Vorsicht;
denn nicht bloss auf die körperliche Gesundheit, sondern auch auf Geist und Charakter des Kindes hat die erste Nahrung Einfluss. – Die Nahrungsmittel ausser der Muttermilch müssen dem Kinde zuträglich sein; also keine Gewürze, kein Wein und Branntwein, auch keine Arzeneien etc. Bei der körperlichen Handhabung des Kindes ist grosse Vorsicht nöthig; denn „es ist kostbarer als Gold, aber zerbrechlicher als Glas“.
Hüte man es auch vor Beschädi
gung durch Fallen, vor zu grosser Hitze und Kälte, zuviel Speise und Trank, Hunger und Durst. Gewöhne man es schon zeitig an eine gewisse Ordnung im Schlafen, Wachen, Essen. Biete man ihm Bewegung durch Wiegen, Tragen etc.; später gebe man ihm einen freien sicheren Platz zum Laufen und Tummeln, man zeige ihm die Art, dies ohne Schaden zu üben, unter Aufsicht von
Wärterinnen. Man gewähre den Kindern auch Erheiterung aller Art. „Kurz: was nur immer als dem Kinde angenehm und er wünscht sich zeigt, verweigere man ihm ja nicht; vielmehr wird
es zur Kräftigung seines Körpers und seiner Seele dienen, wenn man seine Augen, Ohren und die anderen Sinne passend mit Be schäftigungsmitteln versorgen wird. Das allein, was der Frömmig keit und den guten Sitten widerspricht, darf nicht geduldet werden.“
Wann aber soll man die jungen Pflanzen „in den Garten überpflanzen“, d. h. aus dem Hause in die Schule bringen? Nicht vor dem sechsten Jahre; denn der Lehrer könnte ihnen nicht die
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noch jedem einzelnen Kinde nöthige Sorgfalt schenken, „sein Ge hirn wäre auch noch nicht fest genug,“ um die Anstrengungen zu ertragen, auch würde es nur schwache und langsame Fortschritte machen. Nur darf zu Hause die oben angedeutete Bildung zur Frömmigkeit, zu guten Sitten und zum Wissen nicht fehlen. Aber halte man das Kind auch nicht über das sechste Jahr zu Haus;
denn einmal kann es in dieser Zeit jene häusliche Bildung sich aneignen, andererseits würde es, wenn es dann müssig geht, leicht in Fehler verfallen. Doch kommt es, je nach der Begabung des Kindes, dabei auf ein halbes oder auch ein ganzes Jahr früher oder später nicht an. „Vorschnelle Blüthen welken schneller, späte reifen besser.“ Besser die Kinder zurückhalten als sie be eilen. Jene Vorschrift gilt also nur für den Mittelschlag, welcher der Zahl nach am grössten ist. Bei begabteren und stumpferen Kindern mag man sich beim Lehrer Rath holen. Zeichen der Schulreife sind: wenn das Kind weiss, was es in der Mutter
schule wissen muss; wenn es für Fragen (Anderer) Aufmerksam
keit und Umsicht und wenn es eine Art von Urtheil hat; wenn es das Verlangen nach höherer Unterweisung verräth. Führe man jedoch die Kinder nicht ohne alle Vorbereitung in die Schule, „wie die Kälber auf den Markt“; noch weniger drohe man ihnen und schrecke sie mit der Schule.
Vielmehr
weise man sie auf diesen Zeitpunkt schon vorher hin, da sie mit anderen Kindern gehen, lernen und spielen werden. Auch kann man ihnen für diese Zeit eine Kleinigkeit versprechen und schon zeigen, „aber noch nicht geben.“ Sage man ihnen auch, wie schön
es ist, in die Schule zu gehen und zu lernen, und ein tüchtiger Mann zu werden.
Auch dass das Lernen keine Arbeit ist, son
dern „ein Spiel süsser als Zucker.“
Zum Vorgeschmack gebe
man ihnen Kreide in die Hand, um damit Bänke, Tische (!) oder eine Tafel nach
Belieben zu bemalen.
Auch suche man zum
Lehrer Liebe, Vertrauen und Achtung zu erwecken und alle Furcht vor ihm zu verscheuchen, wozu es mannichfache Mittel giebt, z. B. wenn man durch
das Kind dem Lehrer ein kleines Geschenk
(munusculi aliquid) schickt (!); der Lehrer aber soll das Kind freundlich anreden, ihm ein schönes Buch, Bild etc. zeigen, auch wohl eine Kleinigkeit schenken, welche die Eltern „vorher oder nachher vergütigen können und müssen.“ – Vor Allem aber mö– gen Vater und Mutter daran denken beim Eintritt des Kindes
in die Schule Gott um seinen Segen zu bitten (hier folgt der Wortlaut eines passenden Gebetes). – – Das ist der Inhalt des Schriftchens. Dieses ist, wie schon
oben bemerkt, eine Erweiterung des in der „Lehrkunst“ gegebenen „Grundrisses der Mutterschule“ (idea scholae maternae), doch seiner populären Bestimmung wegen von nur mässigem Umfang und grosser Einfachheit der Darstellung. Ich möchte es in seiner
Art classisch nennen, und es würde allein genügen, Comenius als einen Pädagogen ersten Ranges zu kennzeichnen. Niemand, soviel ich weiss, hat vor ihm das erste Kindesalter und dessen Erzie
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hung mit diesem Ernste ins Auge gefasst. Was Platon und Aristoteles gegeben haben, ist trefflich und steht auf demselben Boden der Achtung der Kindesnatur; aber es erscheint dürftig gegenüber der „Mutterschule“. Mit welcher Umsicht, welch feinem Blick, welch liebevollem Sinn geht Comenius den Regungen des Leibes und der Seele des Kindes nach, um beide zu verstehen und die Erziehung an sie anzuknüpfen! Denn verkenne man ihn nicht! Es ist keineswegs äusserlicher, scholastischer Formelkram, wenn er schon bei diesem Kindesalter von einer so grossen Zahl von Wissenschaften, Künsten, Tugenden spricht, in denen das Kind erzogen werden müsse; nicht einmal, wenn er dort in dem „Grundriss“ vor der „Physik, Optik“ etc. sogar die „Metaphysik“ mit ihren „allgemeinen Bezeichnungen: Etwas, Nichts, Ist, Ist nicht, So, Anders, Wo, Wann, Aehnlich, Unähnlich“ erwähnt.
(In der Ausführung scheint er die „Metaphysik“ mit Rücksicht auf den populären Zweck dieser Schrift fortgelassen zu haben). Vielmehr liegt hinter diesen Aufzählungen der bedeutende Gedanke, dass „die Wurzeln aller Wissenschaften und Künste in jedwedem Kinde (auch wenn wir es gemeinhin nicht bemerken) gleich im zarten Alter sich erheben: und dass auf diesen Grundlagen Alles aufzubauen weder unmöglich noch schwierig sei, wofern wir mit dem vernünftigen Geschöpf nur vernünftig verfahren.“ Wissen schaft, Kunst, Tugend, Frömmigkeit sollen dadurch erkannt wer den als nicht von aussen in das Kind hinein –, sondern aus ihm
selbst herauskommend; jedes Kind kann und soll sie so zu sagen, von Neuem, aus seiner eigenen Natur heraus erzeugen; der ganze Makrokosmos des Wissens, Handelns, Denkens, Fühlens, Könnens
ist nichts Anderes als die Kindesnatur in ihrer Erfüllung und Vollendung. Freilich gelangt man zu dieser Einsicht nur, wenn man das Kind schon in seinen frühesten, instinctiven Lebens
äusserungen erfasst und diese als eine nothwendige erste Stufe zu aller weiteren, bewussten und absichtlichen Selbstthätigkeit begreift. Die Natur – dies ist hierbei die (schon von Aristoteles überkommene) Voraussetzung – thut Nichts ohne Zweck. Aus dem Unscheinlichen entwickelt sie das Bedeutende und das In
stinctive wird zum Bewussten. Es ist hoch anzuschlagen, dass Comenius, wie gerade dies Schriftchen überall zeigt, diese Grund anschauung in sich trägt; sie beweist, wie schnell er in die neue Gedankenwelt seiner Zeit sich einzuleben verstand; seine Päda
gogik aber hat er damit auf ein Verständniss der Natur gebaut,
wie es noch heute nur selten gefunden wird. Comenius richtete die Schrift an die Eltern, vornehmlich an
die Mütter. Dass er dabei all und jeden Stand, auch „die Aer meren“ im Auge hat, braucht als Zeugniss für die Trefflichkeit
seiner Gesinnung nicht mehr hervorgehoben zu werden, nachdem wir aus der „Lehrkunst“ hinlänglich erfahren haben, wie warm ihm, dem ächten Vorläufer Pestalozzi's und Fichtes, das Herz für das Volk schlug. Aber dass er sich nicht scheute, von der Höhe seines kirchlichen und schulmännischen Amtes, und obwohl er den .
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Umgang durch Rang oder Gelehrsamkeit ausgezeichneter Männer genoss und selbst von hervorragender Bildung war, sich dahin herabzulassen, dass er die Erziehung als eine Sache nicht bloss der Schulmänner von Fach, sondern des ganzen Volkes ansah und mit diesem darüber in Verkehr trat, darauf mag hier nochmals zu seinem Lobe hingewiesen werden. Es war freilich nur eine nothwendige Consequenz seines Denkens und Strebens. Je höher die Ziele der Erziehung gesteckt werden, desto grössere Ansprüche treten selbstverständlich nicht nur an die Schule, sondern auch an
das Haus heran. Der Instinct, das Herkommen und die Einge bungen des Augenblicks, mit welchen Vater und Mutter das Ge schäft der Erziehung besorgen, erscheinen als unzureichend; Ein sicht und bewusste Erfahrung sollen sie verbessern und leiten. Soviel hierbei auch die Natur den Eltern zu Hilfe kommt, weil sie sie durch das Band der Liebe zum Kinde führt, so haben doch auch Wissen und Uebung ein Recht gehört zu werden; wie in vielen anderen, in ihren Anfängen sich nur auf den Instinct stützenden menschlichen Thätigkeiten. Auch hier gilt das Wort des Aristoteles: die Kunst vollendet die Natur.
Es ist merk
würdig genug, dass diese Nothwendigkeit, besonders die Mütter über die Erziehung zu belehren, gerade diejenigen unter den denkenden Pädagogen erkannt haben, welche in der Erziehung
selbst der Natur als höchstem leitenden Princip gefolgt sind: wie Comenius, so Rousseau, Pestalozzi, Jean Paul. -Aber die „Mutterschule“ hat nicht den Gang durch die Welt gemacht, obwohl sie dazu noch mehr berufen war als die „Spra chenpforte“ und der Orbis pictus. Sie scheint nur geringen Er folg gehabt zu haben; zur Erhaltung des Andenkens des Comenius hat sie gar wenig beigetragen. Haben doch selbst in ungleich günstigeren Zeiten „Emil“, „Levana“, „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ etc. nur wenig den Weg gefunden, den sie gerade finden sollten – zu den Frauen.
Mit einem Worte: das Mittel, zu den
Frauen über die Erziehung durch ein Buch zu reden, hat sich bis jetzt als verfehlt erwiesen und wird es wahrscheinlich für alle Zeiten bleiben.
Aber damit fällt nicht zugleich auch der Gedanke der Noth wendigkeit, die häusliche Erziehung, vor Allem die des ersten Kindesalters auf eine höhere Stufe zu heben.
Je idealer die
Ziele der Erziehung gefasst werden, desto lebendiger wird er immer werden, und je mannichfacher und höher die Aufgaben der bewussten Culturarbeit sich gestalten, desto idealer formuliren sich die Ziele der Erziehung. konnte der Grundgedanke der „Mutterschule“ nicht absterben, und gerade die gegenwärtige Zeit hat das Verdienst, ihn nicht nur mehr als früher in das allge meine Bewusstsein aufzunehmen, sondern auch der Lösung der Frage näher getreten zu sein, ja vielleicht sie gefunden zu haben. Nicht durch ein Buch können die Frauen zur Erziehung ihrer
Ä
Kinder erzogen werden, so wenig als irgend eine andere auf Wissen, Erfahrung und Geschicklichkeit beruhende Thätigkeit bloss durch
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Lesen sich gewinnen lässt – gerade Comenius hätte das wissen
müssen! –, sondern nur durch unmittelbare Anschauung, Uebung und Vorbild. Schon das Interesse für die Thätigkeit wird durch diese Art der Unterweisung und Vorbereitung ein hö– heres werden. Diese Weiterführung des Gedankens des Comenius und seine Befriedigung ist das Verdienst des vorläufig letzten selbständigen und schöpferischen deutschen Pädagogen, Friedrich
Eröbels. Seine eigenthümliche Geistesverwandtschaft mit Co durch das Studium der Schriften des Comenius gefördert wor den ist, hat ihn dahin geführt, gerade auf die früheste Kindes erziehung und damit im Zusammenhange auf die Erziehung der Frauen für ihren mütterlichen Beruf besonderen Werth zu legen;
und wer die Theorie seines Kindergartens kennt, wird die Aehnlichkeit des Geistes und vieler einzelnen Züge der „Mutter schule“ (besonders ihre Berücksichtigung des Thätigkeitstriebes des Kindes) mit jener empfunden haben. Der Hauptunterschied ist, dass Fröbel gewagt hat, diese „Kindheitsschule“ für einige Stunden des Tages aus dem Hause herauszulegen und eine stren
gere Methodik einzuführen.
Es ist hier nicht der Ort, ihn für
beide Schritte zu rechtfertigen; Manches thut Comenius schon selbst dazu. Nur dass der Kindergarten als Uebungsstätte der älteren Mädchen im Erziehen an jede Mädchenschule angeschlossen die Lösung des schon Comenius vorschwebenden Problems ist, sollte hier ausgesprochen werden; er selbst hatte noch mit der
blossen Forderung eines allgemeinen Mädchenunterrichts zuviel zu thun, um diesem schon hohe, geschweige das höchste Ziel stellen zu können.
7.
Diese Darstellung wird ungleichmässig erscheinen, wenn sie die zweite, nur um Weniges kürzere Lebenshälfte des Comenius auf viel engerem Raume zusammenfasst. Doch geschieht dies nicht ohne Grund. Freilich, sein äusseres Leben wurde jetzt erst recht unstet, sein Verkehr mit vornehmen und gelehrten Männern steigerte sich, die liebevolle Sorge für seine Glaubens brüder beschäftigte ihn wie zu Hause so auch auf seinen Reisen, seine schriftstellerische Thätigkeit für Schule und für Kirche wurde noch rastloser und wuchs
in's Erstaunliche.
Aber
wir
Ä
sollte, hatte er längst betreten und zum guten, zum besten*Theil schon durchschritten.
kennen ihn bereits: die Bahn, die er
Wer den Werth eines Mannes nach der Neuheit, Wahrheit und
Tragweite seiner Gedanken, nach der Reinheit seines Willens, nach dem Maasse seiner Thätigkeit und Hingebung an seine Ziele bemisst, der fällt sein Urtheil nicht günstiger, wenn er einzelne
äussere Erfolge mehr berichten hört, – sowenig als er es herab stimmt, wenn er auch von vereitelten oder gar eitelen Bestre bungen erfährt.
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Der Sinn für das Kleine, Feine, Einzelne und der Blick auf das Ferne, Grosse, Allgemeine hatten sich in Comenius in seltener Weise zusammengefunden. Eben dieser glücklichen Mischung
verdanken wir zum Theil sein Meisterwerk, die „Lehrkunst“, welche, einem gothischen Bauwerk gleich, in weitem Raum, auf festen Grundlagen, in reicher und doch übersichtlicher, streng gesetz mässiger Zusammenfügung hoch und stolz aufstrebt, dabei allüberall
geschmückt mit zierlichen und feinen Ausführungen des Kleinen und Kleinsten. Auch die „Mutterschule“, die „Sprachenpforte“, die zahlreichen Schriften und Schriftchen zum lateinischen Sprach unterricht, in denen er sich immer von Neuem zu verbessern und zu ergänzen glaubte, ja selbst sein Styl bekunden, wie gern er im Kleinen weilte, wie sehr er sich im engen Raum festzuhalten, mit welchem Fleiss er ihn nach allen Seiten zu durchmessen
verstand. Aber er fand darin nicht seine Befriedigung. Ob er sie gefunden hätte, wenn ihm nicht „die Sendung zu dem Klein
volk (gentes minutulae), der christlichen Jugend“, „zu verschie denen Völkern“ zugefallen wäre, wenn er sich nicht „wie Paulus“ gefühlt hätte, sondern wenn es ihm vergönnt geblieben wäre, sein Leben lang in der kleinen mährischen Stadt seine Gemeinde zu führen? Er selbst scheint es zu glauben; mit Schmerz blickt er so oft dorthin zurück. Wir aber bezweifeln es, und desto mehr freuen wir uns der Thatsache, dass das Schicksal es mit
ihm anders gewollt hat. Er war für das Streben und Wirken in's Weite von der Natur noch bestimmter angelegt als für das Leben im Kleinen.
Hatte er doch selbst kaum die im Knaben
alter versäumte Bildung nachgeholt (erst im 16. Lebensjahr be gann er Latein zu lernen!), als es ihm, noch in der Heimath, keine Ruhe mehr liess, „wie nicht nur die Meisten zur Liebe der Wissenschaften angeregt, sondern auch mit welcher Beschränkung von Kosten und Arbeiten Schulen eröffnet und die Jugend nach einer leichteren Methode zu einem erheblichen Fortschritt in der
Bildung geführt werden könnte!“ So hat das Exil die Lust am Umgestalten und Schaffen in ihm nur genährt, nicht erzeugt. Und wenn es ihn nun mit der Litteratur und mit hervorragenden Zeit genossen in engeren Verkehr brachte, als ihm in der Heimath vermuthlich beschieden gewesen wäre; wenn, besonders als er die Hoffnung dorthin zurückzukehren mehr und mehr aufgab, der Kreis, für den er wirken wollte, ein anderer und weiterer wurde: so wollen wir es, auch wenn er es nicht that, der schmerzlichen
Fügung seines Schicksals Dank wissen, dass sie ihn zu Dem
machte, der er gewörden ist – selbst dann, wenn dieser Riss zwischen ihm und seiner Heimath und Nation allein schuld daran
sein sollte, dass er seine Absichten und Aufgaben allmählich nicht mehr abzumessen und zu begrenzen verstand. Man sagt, dem Comenius habe seine Thätigkeit an dem durch ihn blühenden Gymnasium zu Lissa nicht genügt. Sogar den Ruf
nach Schweden habe er aus ähnlichem Grunde ausgeschlagen. In der That, er verlangte nach einem grösseren Wirkungskreise.
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Lehren und erziehen, das wollte er auch in diesem, aber nicht
bloss die Jugend, er wollte auf die Erwachsenen wirken. Wo er Verirrung sah, da wollte er berichtigen, wo Zwiespalt herrschte, wollte er versöhnen. So trug er sich lange mit dem Gedanken, die Türken durch schriftliche Ansprache für das Christenthum zu gewinnen, und wollte auch die Bibel für sie ins Türkische über setzen. Wenn wir, wollte er ihnen schreiben, Euer Religionsbuch lesen, warum nicht auch Ihr das unsrige? Aber mehr als das. Derselbe Mann, welcher schon in seiner Jugend im „Laby rinth des Lebens“ den Zwiespalt der Menschen, vornehmlich ihre Uneinigkeit in religiösen Dingen so wahr erkannt und so tief be klagt hatte, wollte in späteren Jahren bis an sein Lebensende nicht von der Hoffnung lassen, nicht bloss die Glaubensverschie denheit unter den Evangelischen, sondern unter allen Christen, ja unter allen Menschen auszugleichen, ja selbst ein allgemeines Reich
des
Friedens und
der Eintracht herzustellen!
Weil er daran glaubte, „ein so helles Licht“ finden zu können, dem „sogar ohne Widerwille das Dunkel der Irrthümer weichen würde“: so hoffte er zu erreichen, dass „Zwietracht, Streit und Krieg, in denen die Welt sich jetzt verzehrt, leichter verschwinden würden. Denn die Ursache der Streitigkeiten ist die wechselseitige
Erbitterung der Gemüther, der Erbitterung die Reizung, der Rei zung der Zwiespalt des Willens, des Zwiespalts des Willens die Widersprüche der Geister, dieser Widersprüche Ursachen aber
ist das unstete und ungeordnete Streben nach den Dingen. . . . So würde es, wenn Gott mit uns Mitleid hat, geschehen, dass die Wunden der Schulen, Kirchen, Staaten heilen; und wenn der
Christenheit der Friede wiedergegeben ist, so könnte nicht nur Alles, was es an christlichen Völkern giebt, in den Uebungen
der Weisheit und Frömmigkeit aufblühen, sondern es könnten mit demselben Lichte, nachdem dieser volle Weg der Wahrheit durch göttliche auch Fügung ist, in den Kreis des .Christen – thums die kundgethan Ungläubigen eingeführt werden. . . . (C
So sehen wir Comenius im Streben nach dem Ideal der Ideale.
Die Weissagungen der Schrift erfüllten ihn und stützten in ihm
diese schönste aller Hoffnungen, für welche gerade ein Gemüth wie das seinige empfänglich sein musste. Und schon sah er selbst die „letzten Zeiten“ gekommen, von denen der Prophet spricht.
„Darübergekommen (Daniel 12, 4), sagt Comenius, sind ja Viele und haben untersucht (in diesem Jahrhundert mehr als jemals) Himmel und Erde, Meer und Inseln, und das ganze Reich der Natur, wie auch die Bücher der göttlichen Weissagungen auf diese und jene Weise. Und was bleibt also übrig, als dass auch der andere Theil der Prophezeiung seine Erfüllung finde ?“ – Aus diesen Gesichtspunkten hat man es zu betrachten, dass etwa um die Zeit, da Comenius die „Lehrkunst“ abschloss, sich ein neuer Gedanke in ihm erhob.
Zunächst war es der uner
wartete Erfolg der „Sprachenpforte“, der ihn anregte.
Warum
sollte nicht eine „ Pforte der Dinge“ (Janua rerum), ein
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„Thor der Weisheit“ „ebenso gefallen“? Nachdem die Ju gend „mit Hülfe der Sprachenpforte die Dinge äusserlich unter scheiden gelernt hätte“, sollte sie „sich nicht auch daran gewöh nen, nachher das Jnnere der Dinge zu schauen und darauf zu achten, was jede Sache ihrem Wesen nach ist“? „Alles, was zu wissen und zu thun, zu glauben und zu hoffen nothwendig ist“ sollte gegeben werden; „eine sehr schöne Encyclopädie oder Pan
sophie im Kleinen“ (pulcherrima quaedam Encyclopaediola seu Pansophiola), meinte er, müsse sich „mit gutem Erfolge“ anlegen lassen. Aber die schüchternen Anfänge des neuen Planes wuchsen in seiner Seele gar schnell, bald sprach er zuversichtlicher davon, er erweiterte ihn mehr und mehr, er erwartete von ihm die Ver wirklichung jener höchsten Hoffnung, er stand allmählich ganz unter der Herrschaft dieses Gedankens – alles Andere, was er
that, schien ihm unwesentlich, hemmend, eine Verschwendung von Zeit und Kraft, dort allein sah er von nun an seine Aufgabe. *
Die „Pan sophie“, diese „Vorrathskammer der gesammten Weisheit“ (Pansophia; Polymatheia aut verius Pammatheia; Universalis Eruditionis promptuarium), von welcher Comenius so grosses Heil erwartete, ist immer nur Wunsch und Plan ge blieben. Wieweit er die Arbeit in seinen letzten Lebensjahren gefördert hatte, wissen wir nicht; wohl aber, dass sie ihn auch damals noch beschäftigte und dass er bis zu seinem Tode an
ihre hohe Bedeutung und wohl auch an ihre Möglichkeit glaubte. l Schrieb er doch noch im 77. Jahre: „Aber auch eine andere Uebersicht der Bücher Gottes (librorum Dei epitome) begann ich zu wünschen und anzulegen unter dem Namen Christliche Pansophie, worunter ich nichts Anderes verstanden wissen wollte,
als eine fortlaufende Tafel des Nothwendigen (necessariorum ta bellaturam perpetuam), damit bei jedwedem gegebenen rechten Verlangen (in Dingen, welche dieses oder das künftige Leben be treffen) ersichtlich wäre, durch welche Mittel und welche Anwen dung der Mittel man auf geradem Wege zum Ziele gehen und immer dahin gelangen könnte. Warum man daran zweifeln sollte, dass dies Werk (wenn es ausgeführt werden könnte) nicht nur den Gelehrten und den Schulen, sondern dem ganzen Men – schengeschlechte (gleichsam als ein Faden, der aus unend lichen Labyrinthen glücklich den Ausweg zeigt) zu grossem Nutzen gereichen würde, weiss ich nicht.“ Es ist jedoch möglich, den Inhalt der beabsichtigten Arbeit vollständiger und deutlicher zu bestimmen, als es Comenius in diesen Worten thut. In einigen kleinen, noch erhaltenen Schriften
früherer Zeit hatte er sich darüber ausgesprochen und um Beur theilung und Unterstützung des Planes gebeten. – Die bisherigen
Encyclopädien, sagt er, glichen mehr einer feingefügten Kette aus vielen Ringen als „einem sich selbst bewegenden Kunstwerk“, mehr einem sorgsam geordneten Haufen Holz als „einem Baum, der sich aus eigenen Wurzeln erhebt, kraft des einwohnenden Le bens in Aeste und Laub sich entfaltet und Früchte giebt“. Wir Papp en heim.
Comenius.
4
50
dagegen wünschen die lebendigen Wurzeln von Wissenschaft und
Kunst, den lebendigen Baum, lebendige Früchte. Ich rede von der Pan sophie, welche ein lebendiges, mit sich selbst allseitig zusammenhängendes, sich selbst allseitig belebendes, sich selbst
allseitig mit Früchten bedeckendes Bild des Alls (Universi imago) sein soll.“ Demnach handelt es sich ihm: um eine „vollständige“ Erkenntniss;-d-h. alles dessen, was ist, sein wird und gewesen
ist; sie soll ferner „deutlich und bestimmt“ sein d. h. das Ver hältniss aller Dinge zum Ganzen und unter sich lehren; endlich soll sie „wahrhafte und gründliche“ Belehrung geben d. h. über die
Ursachen und Wirkungen der Dinge: „Alles Wissenswerthe, mag es der Natur, Moral, Kunst oder Theologie angehören, soll mit ähnlicher Gewissheit gelehrt werden, wie wir bei den Mathema tikern die Beweise vorschreiten sehen, so dass für den Zweifel
kein Raum übrig bleibt.
Hieraus aber wird nicht nur das, was
ist, deutlich und ohne Irrthum erkannt, sondern es werden auch
ausserdem die Quellen der unzähligen Gedanken, Folgerungen
(? ratiocinationes) und Erfindungen erschlossen werden.“ – Man erkennt im allgemeinen Umrisse die Aufgabe. Gedanken,
welche schon beim „Labyrinth“, bei der „Sprachenpforte“, bei der „Lehrkunst“ zur Besprechung kamen, erleichtern das Verständ niss.
Es soll das Gebiet alles Seienden in der Weise für die
Erkenntniss zusammengefasst werden, dass es als ein zusammen hängendes Ganzes erscheint, in welchem zugleich die Beziehungen des Ganzen und des Einzelnen unter einander, darunter auch die
causalen Verhältnisse ihre vollständige Darstellung finden. Es ist offenbar, Comenius denkt an ein „System“ der Erkenntniss im Sinne der späteren Philosophie, etwa Hegel's. Auch die nach folgenden, zum Theil ohne Ausführung hingeworfenen Aeusserungen des Comenius, welche den Plan selbst noch mehr aufhellen wer
den, sprechen für den Vergleich. Dem Umfange nach soll der „Tempel der Christlichen Pan
sophie“ sieben Theile haben. Diese sind: (1) Der Vorhof, welcher den „äusseren Bau, mit dem Nachweis der Nothwendigkeit, Mög lichkeit und Leichtigkeit den Tempel zu errichten und zu be treten“, zeigt. 2) Das Thor. „Erster Eingang in die wahre Er
kenntniss alles Wissenswerthen“. Hier werden „unter der Leitung der gemeinsamen Erkenntnisse (communes notitiae), welche, jedem menschlichen Verstande eingepflanzt, keines Beweises bedürfen, sondern, bloss durch Beispiele beleuchtet, zugegeben werden, die höchsten Gattungen aller Dinge, ihre Beschaffenheit und Gesetze
gezeigt werden.“ (3) Erster Saal (atrium). „Die Dinge der sicht baren Welt“ mit Allem, was in ihnen und in Betreff ihrer durch
die „Kraft der Natur“ geschieht. 4) Zweiter Saal. „Das ver nünftige Geschöpf, der Mensch, mit Allem, was durch den mensch lichen Geist geschieht und geschehen kann.“ 5) Der innerste Saal. „Die innere Natur des Menschen, worin er Gott am nächsten kommt, d. i. der freie Wille und die ungefesselte Macht zu han–
deln, mit ihrem grauenvollen Missbrauch, der daraus entsprun
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genen Verderbniss und dem durch Christus, den Gottmenschen, wiedererlangten Heil.“ 6) Das letzte Innere, das Allerheiligste. „Er selbst, der verehrungswürdige Beschützer der Welt, der Engel und Menschen Herr, Jehovah der Gott der Götter, mit seiner
ewigen Herrschaft, Hoheit und seinem Ruhm, insoweit er sich und jene offenbart hat.“ 7) Der Quell der lebenden Wasser d. i. „von dem Nutzen der wahren, aus Gottes Tempel fliessenden Weisheit, damit sie ausströme und sich ergiesse über alle Erde, um sie mit der Erkenntniss Jehovah's zu füllen, wie das Meer mit Wassern bedeckt ist“.
Die Zusammenfassung dieses Materials sollte nach gewissen
Regeln (Normae) geschehen, welche Comenius „in einigen Apho rismen“ giebt. Sie sind für uns auch darum von hohem Interesse, weil sie, entschiedener als es anderwärts, u. A. in der „Lehr kunst“, geschieht, die pantheistische Weltanschauung aussprechen. „Drei Dinge sind es, welche unser menschliches Wissen und
sogar gewissermassen Allwissen (omniscientia) bilden: die Er kenntniss Gottes, der Natur und der Kunst. dieser
drei
Dinge muss vollkommen sein.
Die Erkenntniss
Sie ist vollkommen,
wenn sie vollständig, wahr und geordnet ist. Wahr ist sie, wenn die Dinge erkannt werden, wie sie sind d. i. wie sie geworden sind. Jedes Ding ist seiner Idee gemäss geworden. Alles also, was wird, wird nach Ideen, seien es Werke Gottes, der Natur oder der Kunst.
Die Kunst entlehnt die Ideen ihrer Werke von
der Natur, die Natur von Gott, Gott von sich selbst. Indem Gott also die Welt bildet, stellt er sich selbst dar, so dass das Geschöpf dem Schöpfer durchaus entsprechend eingerichtet ist
(omnino proportionata). Und weil an den Ideen des göttlichen Verstandes alle Dinge Theil haben, so haben diese auch unter sich Theil an einander und sind sich wechselseitig entsprechend. Dem
nach sind die Beschaffenheiten der Dinge (rerum rationes) die selben und unterscheiden sich nur in der Form der Existenz: weil
sie in Gott sind wie im Urbild, in der Natur wie im Abbild,
in der Kunst wie im Gegenbild (in Archetyp0, Ectyp0, Antitypo). Also ist die Grundlage aller Dinge wie in ihrem Bestehen, so in ihrer Erkenntniss die Harmonie. – Erstes Erforderniss der
Harmonie ist, dass kein Missklang vorhanden sei, zweites, dass Alles im Einklang sei; die dritte Eigenthümlichkeit ist, dass trotz der unendlichen Verschiedenheit der Töne und Melodien, die Har
monie dennoch aus wenigen Principien und aus bestimmten Arten der Unterschiede entsteht. Sind also diese Principien der Dinge und Arten der Unterschiede erkannt, so wird Alles erkannt sein.
Und solche gemeinsame Beziehungen der Dinge müssen durch eine Art Induction von den Dingen abstrahirt und als Regeln der Dinge gesetzt werden. Abstrahirt aber müssen solche Regeln
(normae) der Wahrheit von jenen Dingen werden, welche sich so verhalten, dass sie nicht anders können; und sie kommen Je 4*
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dem, um überall geprüft zu werden, entgegen, nämlich von den Dingen der Natur.“ – Am Schluss der Erläuterung des letzten Satzes heisst es noch: „Aus diesen beiden Dingen, Natur und H. Schrift, werden die Regeln jener zu schaffenden Pansophie genommen werden müssen; mit ihrer Hülfe wird alles Grösste und Kleinste, Höchste und
Niedrigste, Erste und Letzte, Sichtbare und Unsichtbare, Ge schaffene und Ungeschaffene, in Eine, wahre, vollendete, sich und den Dingen allseitig genügende, beste Harmonie oder besser Panharmonie gebracht werden.“ Aus der Methode, wie dies Material gewonnen werden soll, will ich nur einen für Comenius in jeder Beziehung charakteristi schen Satz mittheilen. „In dem zu schaffenden Pansophischen Werke sollen Alle, welche über Frömmigkeit, Sittlichkeit, Wissen schaften und Künste geschrieben haben, (ohne Rücksicht, ob Christ oder Mahomedaner, Jude oder Heide, oder welcher Secte unter Jenen Einer nur immer angehört haben mag, Pythagoriker, Akademiker, Peripatetiker, Stoiker, Essäer, Grieche, Römer, Alter oder Neuer, Doctor oder Rabbi, jedwede Kirche, Synode, Kirchenversammlung) Alle, sag ich, sollen zugelassen und gehört werden, was sie Gutes bringen.“ Wer sich aber darüber wun dern sollte, dass auch dieser Weg zur Ermittelung der Wahrheit eingeschlagen werden soll, dem wird gesagt: „Wir wünschen, dass die Menschen endlich einmal von den Meinungsverschiedenheiten befreit werden, dass die Secten und die Gehässigkeiten aufhören. Aber sie werden nicht aufhören, wenn nicht die Verdächtigungen aufhören, unter welchen die Einen bei den Anderen leiden, die Verdächtigungen aber können nicht aufhören, wenn nicht Allen und jedem Einzelnen in Betreff der Ansichten und Bedenken, so wohl eigener als fremder, Genüge gethan wird. Das aber wird nicht genügend geschehen können, wenn nicht die Ansichten Aller
gehört und milde verglichen und nach denselben, von beiden Seiten anerkannten Gesetzen der hellen und unwiderleglichen Wahrheit geprüft werden.“ – „Niemand“, sagte Comenius kurz vor seinem Tode, „fand sich, der Hand an dies Werk legen wollte, obschon die Einsich tigeren anerkannten, dass ein so grosses Werk die Kräfte Eines Menschen überstiege; sehr Wenige billigten und wünschten den Plan, Andere höhnten oder verachteten ihn als unausführbar.“
So streng urtheilten schon die Zeitgenossen. Doch scheinen sie Comenius Einen Trost gelassen zu haben: sie verspotteten ihm nicht den Glauben an das „Reich des Friedens“ ! 8.
Vergebens versuchte Comenius schon in Lissa Geldmittel
zur Ausführung der „Pansophie“ zu gewinnen. Günstigere Aus sichten schienen sich in England zu eröffnen, wohin einflussreiche
Freunde sogar seine Berufung durch das Parlament ausgewirkt
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hatten. Er ging 1641 dahin. Aber die politischen Unruhen zer störten alle Hoffnungen. Da erhielt er eine Einladung aus Schwe den. Sie kam von einem Herrn Ludwig von Geer, welcher ihm für ihn selbst wie für etwaige Mitarbeiter Musse versprach. Comenius willigte ein (1642), in der Hoffnung, vorzüglich seinen Pansophi schen Arbeiten leben zu können; es wurde ihm gewährt, Elbin
zum Wohnsitze zu wählen. Seine Familie (er hatte sich in Lissa wieder verheirathet) liess er bald dahin nachkommen. Schnell jedoch trübte sich das Verhältniss zu dem Gönner. Dieser wünschte, dass Comenius sich mit Arbeiten über den latei
nischen Unterricht beschäftige. Ausgezeichnete Männer in Stock holm, darunter der Kanzler Oxenstierna, welcher Comenius in
viertägigem Gespräche kennen gelernt hatte und, so achtungsvoll er auch von der Pansophie sprach, doch die didaktischen Arbeiten für dringender hielt, unterstützten die Forderung. Comenius arbei tete in ihrem Sinne, aber widerwillig und verstimmt; von seinen Englischen Freunden nachdrücklich ermuntert, dachte er nur an seine Pansophie, und während er an der „Neuesten Sprachen Methode“, an der „Neuen Lateinischen Sprachenpforte“ etc. schrieb, hatte er seine Bedenken darüber, ob er die Pansophie
dem Menschengeschlecht, Europa oder den drei Nordischen Rei chen widmen solle.
Im Jahre 1648 kehrte er zum Senior der Brüdergemeinde in Lissa gewählt dorthin zurück.
Der Tod seiner Gattin und der
für seine Landsleute so ungünstige Friedensschluss trübten die neue Musse; doch that es ihm wohl, endlich einmal die „Neben
arbeiten“ (parerga), die Didaktik, aufgeben und zu „ernsteren Dingen“ zurückkehren zu können. Da störte ihn eine neue Ein ladung. Die gräfliche Familie Rakoci, welcher er schon längere Zeit befreundet war, rief ihn zu einer Schulreform nach Ungarn.
Er willigte ein (1650), einerseits aus Dankbarkeit dafür, dass viele seiner mitverbannten Landsleute in Städten der Rakoci'schen
Herrschaft Aufnahme gefunden hatten, mehr aber vermuthlich, weil der neue Wirkungskreis einen besondern Reiz für ihn hatte: er
sollte eine „ Pan sophische Schule“ gründen. Wie Comenius sich diese dachte, hat er in einigen kleinen
Aufsätzen dargelegt. Die Forderungen für die äussere und innere Einrichtung und ihre Begründung enthalten fast durchweg Ge danken, welche wir schon in der „Lehrkunst“ kennen gelernt haben. Ich beschränke mich daher auf einige Mittheilungen aus dem Plane der Schule.
Die „Pansophische Schule“ sollte „alle“ Schüler zulassen, sie in „allem“ für dieses oder das künftige Leben Nothwendigen bilden und zwar „durchaus“ (ommes, omnia, omnino). Sie sollte den ganzen Menschen erziehef, Tälso „Sinne, Verstand, Gedächt niss, Sprache, Hand, Charakter und Glauben.“ Aufgenommen werden nur Kinder, welche schon lesen können.
Die Schule zer
fällt in 7 gesonderte Klassen: Vestibularis, Janualis, Atrialis,
Philosophica, Logica, Politica, Theologica oder Theosophica.
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Jede Klasse hat ihr besonderes Lehrbuch (liber classicus) im Sach- und lateinischen Sprachunterricht. In Klasse IV– VII wird Griechisch, in VII auch Hebräisch gelehrt. Geschichte (ähnlich dem Stufengange in der „Lehrkunst“), Stylübungen und Mathe
matik gehen dürch alle Klassen. Stundenplan: Vormittags 6–7 Uhr religiöse Uebung;
7–8 Hauptpensum der Klasse, „mehr
theoretisch“; 9–10 dasselbe, „mehr praktisch“.
Nachmittags
1–2 Uhr Musik „oder irgend eine andere angenehme mathema tische Uebung“; 3–4 Geschichte,4–5 Stylübungen. Ausser dem: Leibesübungen (Laufen, Springen, Ringen, Ball-, Kegel-, Blindekuhspiel etc.) und scenische Darstellungen, deren Gegen stand dem Lehrstoff der Klasse entnommen ist.
Die 7 Klassen
zimmer sind mit Ueberschriften und Bildern, welche den Lehrstoff versinnlichen, verziert. Häusliche Arbeiten werden nicht aufge geben. -
Man erkennt in diesem Plan die „Lateinschule“, der „Lehr kunst“ wieder.
„Pansophisch“ jedoch versprach die Anstalt zu
werden, insofern die libri classici der Klassen FV – VII Stoffe der
„Pansophie“ enthalten sollten: Klasse IV, „Uebersicht der Ge schöpfe, der Art dass klar wird, durch welche Kraft. Alles in der Natur geschieht“; Klasse V, „die verschiedenen Thätigkeiten der menschlichen Vernunft und ihre Grenzen“, darunter die Erfindun
gen der Menschen und das, was noch zu erfinden ist (inventa et invenienda), und Logik; Klasse VI, „die Einsicht (prudentia) der menschlichen Gesellschaft, soweit letztere reicht“; Klasse VII,
„das Höchste der menschlichen Weisheit, d. i. der Verkehr mit Gott“. –
Wiederum schlug die Hoffnung fehl. Der Tod seines Gön ners Sigismund von Rakoci unterbrach das Werk; nur eine drei
klassige Lateinschule kam zu Stande. Im Jahre 1654 kehrte Comenius zu seiner Gemeinde nach Lissa zurück. 9.
Aber so erfolglos der Aufenthalt in Ungarn in der Hauptsache war, so bedeutungsvoll wurde er für den Namen des Mannes. Hier nämlich entstand der Orbis pictus, und dies Buch ist es, ja beinahe dies allein, wöran heute. Jeder von uns denkt, wenn er
den Namen Amos Comenius hört. Dem Raume nach hat es wohl nicht ganz so grosse Verbreitung gefunden wie die „Sprachenpforte“, der Zeit nach aber sich in viel längerem Ansehen erhalten. Wie
Goethe in „Dichtung und Wahrheit“ sich seiner noch aus der Knabenzeit her mit Vergnügen und Anerkennung erinnert, so denkt auch heute unter uns noch Mancher mit Innigkeit an die Stunden seiner Kindheit zurück, welche er bei dem Buche oder wenigstens dessen Bildern verbracht hat. Freilich, ein echter Orbis mag schon der Goethe'sche nicht mehr gewesen sein. Die vier (oder fünf?) Ausgaben, welche
Comenius selbst vom Jahre 1656 (57?) ab, und zwar, weil es in
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Ungarn an einem geschickten Kupferstecher fehlte, in Nürnberg erscheinen liess, werden schon in der Mitte des vorigen Jahrhun derts von den vielen erweiterten und selbstverständlich „verbes
serten“ Ausgaben in den Hintergrund gedrängt worden sein; und
heute vollends kommt so leicht kein echter Orbis in die Hände der Jugend, die erste Ausgabe scheint überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein.
Der Titel lautet in der zweiten Ausgabe, Nürnberg 1659: „Joh. Amos Comenii Orbis Sensuali um Pictus. Hoc est. Omnium fundamentalium in mundo rerum et in vita actionum Pictura et Nomenclatura.
Editio auctior et emendatior etc.
Die
sichtbare Welt, Das ist: Aller vornehmsten Welt-Dinge, und Le
bens –Verrichtungen, Vorbildung und Benamung.“ – (Ebenso in der dritten, 1662. In der ersten Ausgabe hiess er vermuthlich wie in der Amsterd. Gesammtausgabe: – – actionum Nomen clatura, ad ocularem demonstrationem deducta. Ut sit Vestibuli
et Januae linguarum Lucidarium).
Der Text des Buches schliesst sich an die „Sprachenpforte“ eng an. Ausser einer „Einleitung“ und einem „Beschluss“, in welchen der Lehrer mit dem Schüler spricht, giebt er eine Be schreibung der auch dort abgehandelten Gegenstände, in noch ein
facheren (meist Haupt-) Sätzen und in kleineren, der Zahl nach aber mehr Abschnitten (150). Auch die Ordnung des Stoffes ist dieselbe geblieben. – Neben dem lateinischen Text steht wört
lich der deutsche; in einer dritten Spalte haben von der zweiten Ausgabe an die Substantiva und Adjectiva, lateinisch und deutsch, im Nominativ Singularis, mit Hinzufügung des Geschlechts, der Zahl der Declination, und bei den Adjectiven der Motion Platz gefunden. Jeder Abschnitt
führt ausser
einer Ziffer eine lateinische
Ueberschrift, und neben dieser steht der Holzschnitt. Einzelne
Theile des Bildes sind mit Ziffern bezeichnet; ihnen entsprechen Ziffern im Texte.
Die Bilder sind mitunter undeutlich, auch in
den Grössenverhältnissen nicht immer richtig; doch mögen sie für jhre Zeit eine gute Arbeit sein. Zwischen der „Einleitung“ (oder richtiger Einladung, „invi tatio“) und dem ersten Abschnitt befindet sich, ähnlich wie in heutigen Lesefibeln, ein „Figürliches Alfabet“. Es enthält neben jedem Buchstaben „das Bildniss des Thieres, dessen Stimme der selbige Buchstab ausdrucket“, in folgender Weise: Bild: Krähe | cornia f. 3. cornicatur die Krähe krechzet
Hase
lepus m. 3.
vag
der Hase quäcket
Zl,
f
A
a.
W W
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Es wird mir schwer, nicht die ganze (lateinisch und deutsch geschriebene) Vorrede abzuschreiben. Indem sie Zweck und Ein richtung des Buches für den Lehrer genau erklärt, zeigt auch sie wieder des Comenius Meisterschaft in Behandlung des Klei nen und seine pädagogische Umsicht. Er denkt so zu sagen an Alles: an das erste Lesenlernen mit Hülfe dieses „Figürlichen Alfabets“, der Ueberschriften und Bilder der Abschnitte, aber
„ohne Zuthuung der beschwerlichen Kopfmarterung, der ins ge meingebräuchlichen Buchstabirung“; an die Erlernung der Mutter sprache und die Erleichterung des Lateinlernens; an die Anre
gung „die Gemähle mit der Hand nachzumahlen“ ; an die Erre gung der Lernlust und Aufmerksamkeit durch die Bilder – alles
dies hat er bei dem Buche im Auge. Uns aber interessirt mehr eine andere Seite des Buches. Bekanntlich gilt der Orbis als der
erste Versuch, das Bild als Unterrichtsmittel zu benutzen; er soll der Vater aller unserer Bilderbücher und Bilder
bogen für die Jugend wie auch der sogen. Anschauungs bilder der Schulen sein. Der Gedanke, das Bild in dieser Weise zu verwenden, liegt so nahe, dass man sich wundern müsste, wenn wirklich Niemand vor Comenius ihn gehabt haben ollte; immerhin, die Bilder des Orbis haben sicherlich nicht ur viel zur Verbreitung des Buches beigetragen, sondern auch er anderweitigen Benutzung des Bildes für Unterrichtszwecke die Bahn gebrochen, und so hat sich schon durch dies Buch Come nius um die gesammte Bildung ein unsterbliches Verdienst er
worben. Wie hoch Comenius die sinnliche Anschauung schätzt, wissen
wir schon. Ohne Sie ist weder ein richtiges Handeln und Schaffen noch ein „vernünftig Ausreden“ möglich, weil es am „rechten Verstehen“ fehlt.
Nun ist aber, wie es auch hier in der Vor
rede heisst, „nichts in dem Verstand, wo es nicht zuvor im Sinn gewesen. Wann nun die Sinnen, der Sachen Unterschiedenheiten wol zu ergreiffen, fleissig geübet werden, das ist so viel, als zur ganzen Weisheit Lehre, und weisen Beredsamkeit, und allen klugen Lebensverrichtungen den Grund legen.“ Es war demnach kein flüchtiger Einfall, auch keine äusserliche Veranlassung, welche Comenius zur Abfassung des Orbis führten: sie floss consequent aus seinen Principien. Sprach- und Sachbildung sollen immer zusammengehen; beide sind unvollkommen, wenn sie sich nicht auf sinnliche Anschauung gründen; so früh jene also beginnen, müssen sie von dieser auch schon unterstützt werden.
Nun aber
beginnen sie naturgemäss schon in der „Mutterschule“ und diese braucht also ein sinnliches Veranschaulichungsmittel; darum hatte Comenius schon in der „Lehrkunst“, da, wo er die Grundzüge
der „Mutterschule“ darstellt, ein „Bilderbuch“ (Libellus Imagi num) als nothwendig bezeichnet, wie es scheint, mit dem Ge danken, es selbst zu verfassen.
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Wie aber konnte Comenius, der doch, wie oben gezeigt wor
den ist, die Anschauung des Gegenstandes selbst für das beste
Bildungsmittel hielt, sich dazu verstehen, für ein Bilderbuch zu sprechen; und wie konnte er es jetzt, da er es schrieb, nicht mehr bloss für das „Haus, ehe man die Knaben zur Schule schicket“, bestimmen, sondern auch für die „Schul- und Lehr
meister“, ja für diese sichtlich in erster Reihe? Man möchte einen Abfall von der vor etwa 16 Jahren ausgesprochenen An sicht vermuthen. Aber noch in dem „Plan der Pansophischen Schule“, also in der Zeit, da der Orbis entstand, denkt er ge rade so wie früher. „Was man nur immer über die Dinge selbst wissen muss, soll durch die Dinge selbst gelehrt werden: d. i. die Dinge selbst, welche gesehen, betastet, gehört, gerochen etc. wer den sollen, mögen hingestellt werden, soviel als möglich: sei es sie selbst oder in stellvertretenden Abbildern.“
Demnach müssen
wir sagen, Comenius gab das Bild, im Bewusstsein, dass es lebendige Sache nicht ersetzt, als Lückenbüsser, „in Ermange lung der wirklichen Sachen“. Dass die „Mutterschule“ sich imme werde mit dem Bilde begnügen müssen, war ihm schon in der „Lehrkunst“ klar; dass aber auch die Schule, besonders die „Schule der Muttersprache“ damit vorlieb nehmen müsse, scheint er in
der Praxis mehr und mehr erfahren haben.
Doch stellte
er an die Schule gerade noch immer die Anforderung, für die Anschauung des wirklichen Gegenstandes zu sorgen. So heisst es am Schlusse der Vorrede des Orbis: „Wann etliche Sachen, deren hierinn Meldung geschihet, nicht können vor Augen gestellt werden, were es den Lehrknaben gar fürträglich, wann man ihnen
dieselben selblich vorzeigete. Zum Beyspiel, die Farben, die Ge schmacke, u. d. g., welche hier mit der Drucker-Farbe nicht haben können ausgebildet werden. Und were dieser wegen wol zu wün schen, dass in einer jeden vornehmen Schul die seltne zu Haus nicht gemeine Sachen beygelegt würden, damit man, so offt man mit den Lehrknaben darvon handelt, dieselben zugleich vorweisen könnte.“ Und wenn es in dem „Plan der Pansophischen Schule“,
wo er bei jeder einzelnen Klasse die passenden „Bildwerke“ (picturae) des Zimmers bespricht, – darunter angemalte Buch staben, Sentenzen, Regeln der Logik, der menschliche Körper mit zu vielen oder zu wenigen oder falsch angesetzten Glied maassen als „Sinnbilder“ der gestörten „Ordnung“ in der mensch lichen Gesellschaft etc. – wenn er, sag ich, dort auch „Abbilder der wichtigeren (der Natur oder Kunst angehörigen) Gegenstände aus der Sprachenpforte“ verlangt, so schränkt er doch die For
derung durch die wichtige Bemerkung ein: „soweit man sie in unserer Gegend nicht zum lebendigen eigenen Anschauen (ad ipsam autopsiam) haben kann.“ – Dass Comenius so einer der ersten Vorkämpfer unserer Schulsammlungen von Natur gegenständen, Modellen, Bildern etc. war, sei hier beiläufig
noch besonders hervorgehoben. Dennoch aber bleibt in den Ansichten des Comenius über
diesen Punkt eine gewisse Schwierigkeit. Denn wenn es in der
Vorrede zum Orbis u. A. heisst: „Es sollen ihnen (den Kindern)
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aber die benennten Sachen nicht allein in der Figur, sondern auch an ihnen selber gezeiget werden, als nemlich die Leibes Glieder, die Kleider, Bücher, Haus und Hausgeräthe“ etc., so drängt sich Jedem die Frage auf, warum doch solche „zum leben digen eigenen Anschauen“ überall vorhandene Dinge überhaupt, sei es nachher oder gar vorher, auch noch „in der Figur“ gezeigt werden sollen? Welchen Gewinn konnte Comenius sich davon ver–
sprechen, warum begnügte er sich auch bei diesen Gegenständen nicht mit diesen selbst? Ich möchte darauf antworten: Comenius ist wider Willen und wider besseres Wissen in der Praxis zu
einem Missbrauch oder mindestens unnützen Gebrauch
des Bildes gelangt durch den eigenthümlichen Ausgangspunkt, von welchem er zum Unterrichte durch sinnliche Anschauung vor schritt. Seine Lehrmittel für Sprach- und Sachunterricht der ersten Stufen, die „Sprachenpforte“ und die (später in Ungarn
geschriebene) Vorstufe dazu, der „Vorhof“ (Vestibulum) waren fertig und wohl auch schon im Gebrauch, als er im Orbis „ein neues Hülff-Mittel vor die Schulen“ darbot.
So kam, als er zur
Ergänzung und Begründung des Sprach- und Sachunterrichts durch die sinnliche Anschauung schritt, für ihn nicht mehr in Frage, was angeschaut werde solle, sondern durch „Sprachen pforte“ und „Vorhof“ stand ihm fest, dass Alles angeschaut werden müsse, was in den beiden Büchern Tenannt und beschrie ben wird; und weil, wie wir bereits wissen, dort nicht weniger als die ganze äussere und innere Welt benannt und beschrie ben wird, so blieb ihm allerdings nichts Anderes übrig als das Bild, naturgetreu oder symbolisch, als Veranschaulichungsmittel zu verwenden. Würde er für den Anschauungsunterricht sich eine eigene Ordnung des Stoffes haben suchen können, so wäre er, ein gedenk seiner Vorschrift „vom Nahen zum Entfernten“, sicher einen anderen Weg gegangen, etwa ähnlich wie Pestalozzi vom menschlichen Körper aus; dann aber hätte er dem Bilde auch die geringere Stellung zuertheilt und es erst in zweiter Reihe ge braucht, wie er es theoretisch so richtig erkannt hatte. So ge langte Comenius allerdings nicht dazu, die sinnliche An schauung für den Unterricht richtig zu organisiren, weil er nicht von den sich darbietenden wirklichen Gegenständen ausging und sich nicht von diesen in Umfang und Ordnung des Stoffes leiten liess, sondern diese anderswoher entnahm und ihnen
die sinnliche Anschauung dienstbar machte. Für eine Betrachtung des Orbis (wie der „Sprachenpforte“) von culturgeschichtlichen Gesichtspunkten aus, ist hier selbstver ständlich nicht der Ort.
Sonst liesse das Gemälde der Zeit,
welches Comenius im „Labyrinth des Lebens“ gegeben hat, aus den Mittheilungen jenes Buches über Natur, Kunst und Lebens
verhältnisse sich in anziehender Weise ergänzen. Wohl aber soll schliesslich noch darauf hingewiesen werden, dass die Bilder, so unscheinlich sie auch im Vergleich zu den heutigen Arbeiten dieser Art sind, meist einheitlicher und mit weiserer Beschrän
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kung des Stoffes angeordnet sind, so dass sie nicht leicht zer streuen, verwirren oder falsche Vorstellungen von den Dingen erwecken können – „sinnlich – methodische Vorzüge“, welche schon Goethe dem Buche nachgerühmt hat.
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10. Im
Jahre 1657 erschien
ein
seltsames lateinisches
Buch.
Sein Titel lautet: „ Licht in der Finsterniss (Lux In Te nebris) d. i. Geschenk der Prophetie, womit Gott die evangelische Kirche (im Königreich Böhmen und den einverleibten Provinzen) um die Zeit ihrer schrecklichen Verfolgung für das Evangelium
und äussersten Zerstreuung zu schmücken und väterlich zu trösten gewürdigt hat etc.“ Weder Druckort noch Verfasser sind genannt. Das Buch enthält die theils in deutscher, theils in böhmi
scher Sprache verkündeten „Enthüllungen“ (revelationes) dreier evangelischer Personen, eines Lausitzer (Sprottauer) Bürgers Christoph Kotter, einer Böhmischen Jungfrau Christine Ponia tovska und eines Mährischen Predigers Nicolaus Drabik. Sie waren in der Zeit von 1616–1655 ausgesprochen und niederge schrieben worden. Die Offenbarung war, wie in dem Buche er– zählt wird, den Propheten durch Engel oder Gott selbst gewor den, und zwar in Träumen, in sinnlichen Erscheinungen oder in ekstatischen Zuständen.
“
Den Inhalt bildeten die kirchlichen und politischen Verhält nisse der Zeit. Die Welt, hiess es, sei jetzt so verderbt wie vor Noah, besonders die christlichen Völker und namentlich Deutsch
land. Gott werde dies länger nicht dulden; er werde alle Völker gegen einander aufreizen und in einer Fluth von Blut die Gott losen vernichten, darunter den Papst und das Haus Oesterreich. Herbeieilen würden zu dem Zweck vorzüglich die nordischen und
östlichen Völker, namentlich die Schweden mit ihrem König, dem Pfalzgrafen vom Rhein. Auch die Türken und Tartaren würden das Werk fördern kommen und zum Lohn das Evangelium davon tragen. Dann aber werde eine allgemeine Verbesserung des Erd kreises eintreten vor dem Ende der Jahrhunderte; die Götzen und
Götzendiener würden zu Grunde gehen und die reinste Verehrung Gottes überall wieder aufblühen.
Diese und viele andere, speciellere Verheissungen waren es, welche mit genauer Angabe ihrer äusseren Umstände und mit
Erklärung dunklerer Stellen in dem umfangreichen Buche vorge legt wurden. Wer war der sorgsame Herausgeber? Wer verstand es aus den Aehnlichkeiten sowohl wie aus den Verschiedenheiten
in den persönlichen Verhältnissen der drei Propheten so scharf sinnig ihre Zusammengehörigkeit zu einem Ganzen zu deuten und zu deuteln, wer konnte den Wiederaufbau der evangelischen Kirche in Böhmen – Mähren – Schlesien so warm ersehnen, wer
mit solcher Zuversicht daran glauben, wie dies alles in der mit gewandter Feder geschriebenen Vorrede geschieht? Wer war der
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Verfasser dieser? Er spricht nur wenig von sich. Er betheuert vor Gott und dessen heiligen Engeln, er habe nichts hinzuge dichtet; er glaube an den göttlichen Ursprung der Weissagungen und halte sie für wahr, obschon auch gegen ihn selbst Angriffe darin enthalten seien; die erste Kunde davon habe er erhalten,
als er „im Jahre 1650 nach Ungarn verschlagen worden war“. – Wir verspotten derartige Erscheinungen menschlichen Seelen lebens.
Wir halten sie im besten Falle für absichtslose Selbst
täuschungen. Aber damit erklären wir sie nicht mehr als wir sie widerlegen. Es liegt eine grosse, ernste Thatsache in diesem Zug der menschlichen Natur zum Mysticismus, und sie ist um so be achtenswerther, als sie nicht bloss bei allem Vorschreiten der
Verstandesbildung unter den Menschen nicht auszusterben scheint, sondern auch gerade in bedeutenden, an Geist und Gemüth zu gleich hervorragenden Naturen sich darzustellen pflegt. Freilich, wer verstandesmässig nur seinen kleinen persönlichen Interessen folgt, oder selbst wer in engbegrenztem Wissenschaftsgebiete an kleinen, einzelnen Resultaten sein Genüge findet, der vermag so wenig jene Sehnsucht und jenes Hinausgreifen in das Dunkel der Zukunft und den Hintergrund der irdischen Dinge zu würdigen, als er selbst etwas davon in sich empfindet. Aber wie die noch stärkeren, völligen Störungen und Zerrüttungen unseres Seelen lebens nur von den mächtigsten, tiefmenschlichsten Trieben aus zugehen pflegen, so treten auch diese einseitigeren Abirrungen und Verirrungen nur auf, wo der unbefriedigte Erkenntnisstrieb oder ein langnachhaltiger tiefer Seelenschmerz in den selbstge schaffenen Gebilden einer reichen Phantasie seine Stillung zu suchen vermag. Wohl einer Geistesruhe, wie der Lessings oder Kant's, welche an der Grenze dessen, was ihr erkennbar schien, Halt zu machen vermochte! Wenn sie aber tausend Anderen aus
der „Blüthe der Menschen“ versagt wurde, von alten Zeiten her bis auf Goethe und Schopenhauer: warum wollten wir über Comenius lächeln?
Allerdings, er war der Verfasser des Buches.
Mehr als
der kindlichfromme Glaube an den Verkehr der Frommen mit
den Engeln, welchen wir schon von seinem „Labyrinth“ her ken nen, mehr selbst als die zutreffende Notiz über die Reise nach Ungarn konnten ihn die heisse Sehnsucht nach dem Vaterlande verrathen, der tiefe Schmerz über die Unterdrückung der dorti gen evangelischen Kirche, die immer wieder auflebende Hoffnung auf ihre Wiederherstellung und seine Rückkehr, endlich sein fester Glaube, dass der ganzen Menschheit die Rettung nahe sei. Aber er verschwieg es auch nicht lange. Konnte er sich doch über die Möglichkeit der Prophezeiung innerhalb der Kirche auf die Autorität eines ausgezeichneten Theologen seiner Zeit stützen (Jac. Fabricius), wie er es in der Vorrede thut. Er hatte auch Gelehrte um ihre Meinung über die Sache angefragt, ja mit einem der drei Propheten war er offen in unmittelbaren Verkehr getreten.
Wenn wir über seine Leichtgläubigkeit spotten wollen, so wollen
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wir es über das Vertrauen thun, das er viele Jahre vorher einem
Fremden schenkte, welcher ein „Weltalphabet“, sogar für die Mondbewohner erfunden hatte und mit welchem schon sechsjährige Knaben drei Sprachen erlernen sollten! Aber wenn er schon hier die Kraft des ruhigen Urtheils verlor, weil er sich mit dem Gedanken der „Pansophie“ trug, um wieviel leichter musste er es, wo es sich um die Stillung aller seiner grossen Schmerzen und Wünsche wie mit Einem Schlage handelte? Und vielleicht hatte über die Herausgabe des Buches erst
das neue schwere Unglück entschieden, das soeben wieder über ihn hereingebrochen war. Lissa war 1656 im Schwedisch-Polni schen Kriege zerstört worden. Comenius hatte dabei seine „ganze Bibliothek
und
fast
alle seine
Handschriften,
das
Resultat
40 (?)jähriger Arbeit“ eingebüsst, darunter seine „Pansophie“; und – mehr als das! – der Mittelpunkt der Brüdergemeinden war vernichtet, wie es schien, für immer!
Wiederum griff Comenius zum Wanderstabe. Er that's zum letzten Male, ein Mann von 65 Jahren. „Nackt kam er nach Schlesien“ und ging durch die Mark, Stettin, Hamburg nach
Amsterdam.
“ Du Augapfel der Städte, Zierde Belgiens, Freude Europas! so schrieb er ein Jahr später; nicht wie die Fremden, welche aus fernen Landen dein Glanz herbeilockt, nicht wie die Kaufleute, welche ihre Waaren einführen, die deinigen ausführen, kam ich zu Dir; nicht mit Absicht, sondern hierher verschlagen durch Schick
salsfügung, wie einst Paulus nach Athen, da er den Aufruhr in Macedonien floh. Da ich nun aber hier im Verborgenen weder leben kann noch will, so bekenne ich mich öffentlich als Deinen
Gastfreund und rühme Deine Güte gegen mich und rede Dich öffentlich an in ähnlicher Veranlassung, wie sie Jenem in Athen gegeben war. Vor 44 Jahren war ich auf meiner Wanderung zum ersten und zweiten Male hier. Mit jugendlich schwelgendem Auge blickte ich damals nur nach deinen Seltenheiten und Merk würdigkeiten. Heute, da ich als Greis ein wenig mehr über die
Oberfläche hinaus in dein Inneres dringe, habe ich zu erwägen begonnen, ob ich deinen Glanz etwas erhöhen könnte. Und da, wie Paulus in Athen vor den Areopag berufen wurde, so ich hier von dem Senat aufgefordert werde, alle Gedanken mitzutheilen, welche ich zu Gunsten der Jugend niedergeschrieben habe: so empfange hier, was ich anderwärts gedacht, gesagt, gethan habe. Seitdem mich Gott vor 30 Jahren von der Verkündigung des
Evangeliums entfernt hatte, hatte ich die Sendung an das Klein volk, an die christliche Jugend. Was ich in diesem Apostelamt bei verschiedenen Völkern geleistet habe, siehe ! hier empfängst du es.
Mit solchen Worten überreichte Comenius (Ende 1657) der Stadt Amsterdam die Gegengabe für die ihm gebotene Gast freundschaft: sie bestand ausser einigen kleineren, erst hier ge schriebenen Arbeiten in der Gesammtausgabe seiner päda
62 .
gogischen Schriften seit dem Jahre 1627, welcher er Notizen über sein Leben eingestreut hatte. Lorenz von Geer, ein Sohn seines früheren Gönners, hatte das Werk in edler Liberalität
gefördert. Aber noch ruhte er nicht. Von Neuem arbeitete er an seiner
„Pansophie“. Auch theologische Arbeiten beschäftigten ihn. End
Ä
trieb es ihn wieder, wie damals beim Eintritt in's Mannesalter, so jetzt am Rande des Grabes einen Blick auf das Leben zurückzuwerfen. Es geschah in dem Schriftchen „ Eins
ist Noth“ (Unum Necessarium, Ev. Luc. 10, 42), das er, „ein
–Äger Greis“, (1668), „der Welt zur Erwägung vorlegte“. ieder, wie damals, sieht er im menschlichen Leben ein „La byrinth“; auch die „Felsen des Sisyphus“ und die „Mahlzeit des Tantalus“ werden uns Allen zu Theil. „So alt wie die Welt und stete Begleiter des Menschengeschlechts sind jene drei Uebel, geistige Verirrungen ohne Ende, Ermüdungen der Kräfte ohne Ende, und gleichsam unaufhörliche Täuschungen unserer Wünsche“. Aber „nicht umsonst ist dem Geiste das Verlangen nach Besserem eingepflanzt. Wenn Gott und die Natur nichts umsonst thun, warum hätte es Gott gefallen dem menschlichen Herzen so einge wurzelte Wünsche zu geben, wenn er wollte, dass sie niemals er füllt würden?“ So vermag Comenius auch jetzt noch nicht der
Hoffnung zu entsagen. Und es giebt eine Heilung: wenn nämlich Alle das „Nothwendige vom Nicht-Nothwendigen zu unterscheiden“ wüssten! Das also ist der Grundgedanke des glaubensinnigen, gedankenvollen Buches, seines Testaments, in welchem Comenius der Welt die Wege weist. Den Gelehrten und Lehrern, den Staatsmännern, den Theologen ruft er zu, das „Nicht-Nothwen dige“ zu lassen und das „Nothwendige“ zu thun, um in Kirche und Staat und im übrigen Leben zur „Einigkeit“ zu gelangen.
Er ermahnt zu sorgfältiger Erziehung, zu einfacher Lebensweise, zu einem einheitlichen, freien Staatswesen, in welchem nicht die „Staatsraison“ mit der „Gewalt oder List“, sondern Recht und
Gesetze regieren, und zur Rückkehr und Vereinigung der christ lichen Bekenntnisse in Christus allein.
ein Bekenntniss über sich selbst.
Und daran schliesst er
Ein „Mann der Wünsche“ (vir
desideriorum) sei er gewesen, der Martha gleich an Geschäf tigkeit, „für den Herrn und dessen Schüler, aus Liebe. Und anders weiss ich es nicht. Oder verflucht sei jede Stunde, jeder Augenblick jedweden Geschäfts, den ich anders angewandt hätte; nach meiner Rechnung sogar in den Dingen, welche von Andern
der Anmassung und Verwegenheit geziehen wurden.“ Dreierlei Geschäften aber habe seine Mühe gegolten. Zuerst der Erziehung der Jugend. Dann der Versöhnung der im Glauben uneinigen Christen; hiervon ist „nichts zur Wirklichkeit geworden: wegen der unbezähmbaren Unversöhnlichkeit. Einiger . . . . Doch wird es zur Wirklichkeit werden: weil man endlich Gott mehr wird
gehorchen müssen, als den Menschen.“
Als er aber der Christen
Hartnäckigkeit gegen einander sah, da sei ihm die Hoffnung ge
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kommen, „leichter könne das Ganze als ein Theil geheilt wer den . . . d. h. ich begann meine Wünsche auf eine Versöhnung des ganzen menschlichen Geschlechts auszudehnen und auf die Auffindung der Mittel und Weisen, wie diese geschehen könnte.“ Schwere Vorwürfe habe er darüber erfahren; aber „es ist keine
Verwegenheit, wenn jemand im Vertrauen auf die gute Sache und auf Gott, sogar die ganze Welt anzufahren und sie an die Bes serung zu erinnern trachtet und wagt“. Denn wir Alle sitzen im grossen Welttheater; wir sind Ein Geschlecht, Ein Blut, Eine Familie, Ein Haus; Gott hat schon von der Schöpfung an Jedem die Sorge um seinen Nächsten aufgetragen; die Vernunft selbst schreibt dies Jedem vor; das auch wollte Gottes Sohn, das
die Apostel. „Nicht also darf man es Vermessenheit nennen, dass Jemand so grosse Dinge zu betreiben wagt, sondern beglück wünschen muss man die Zeiten, in denen Menschen, welche im
Namen Gottes diese Dinge beginnen, nicht mehr fehlen.“ – Und in ein anderes „ungewöhnliches Labyrinth“ sei er durch den Willen Gottes gesandt worden: die Veröffentlichung der seinem Zeitalter gewordenen göttlichen Offenbarungen. Viel Hass und Gefahr sei ihm daraus erwachsen. „Einen Ausgang aus diesem
Labyrinth zu finden ist, nach dem äusseren Schein zu urtheilen, nicht leicht gewesen, und ist es auch jetzt noch nicht. Was soll ich thun? Nichts Anderes weiss ich, als dass ich die ganze Sache Gott überlasse.“
Jetzt aber hat er nur Eine Beschäfti
gung, „zu lernen, wie er für dies Leben stirbt, für das künftige aber geboren wird.“ – Dann nimmt Comenius mit Ermahnungen Abschied von seiner Familie, seinen zerstreuten Glaubensbrü– dern, allen Christen, allen Menschen, insbesondere noch von sei nem Volk, den Mähren mit den Nachbarländern Böhmen, Schle
sien, Polen, Ungarn, wo er gastliche Aufnahme gefunden habe, und zuletzt von Amsterdam.
Das Jahr 1672 war es, wie man sagt, in welchem Comenius das tausendjährige Reich erwartete. Der Schmerz der Enttäu schung wurde ihm erspart: er starb den 15. November 1671 in Amsterdam.
Ein reines, tiefes, an Liebe volles, übervolles Herz, ein rast loser Wille, ein unermüdlicher, im Grossen wie im Kleinen gleich treuer Fleiss, eine reiche Phantasie, ein hochbegabter, selbstden kender, weitausschauender Geist hatten in Comenius zusammen
gewirkt, unterstützt von vielseitigem Wissen und reicher, unter den schwersten Schicksalsschlägen gewonnener Lebenserfahrung.
Mit dieser Fülle von Gaben stand er, eine selten lange Reihe von Jahren, auf dem Gebiete der Erziehung, segensreich in der Praxis schaffend, unvergesslich und vielleicht unübertroffen wir
kend in der Theorie.
Er erkannte die Möglichkeit einer Erzie
hung auf dem Grunde der menschlichen Natur, er trat ein für das Recht des Kindes auf diese Erziehung, er erklärte die Er ziehung für eine Angelegenheit des ganzen Gemeinwesens, für eine Pflicht des Staates, er vertraute ihrer hohen, das Böse
bewältigenden Macht und darum glaubte er, der Zeuge eines der beklagenswerthesten Kriege, gleichwohl an die Möglichkeit der
vº-
der Menschheit.
Zur Ergänzung. Quellen: Die Amsterdamer Gesammtausg. (Opera Didactica Omnia) und die Einzelausgaben in der K. K. Bibliothek zu Prag und in der K. Bibliothek zu Berlin. – Gindely, Ueber Comenius' Leben und Wirksam keit in der Fremde der Wiener Akademie, 1855. XV.) – Raumer, Geschichte der Pädagogik. – Zu S. 3. Die lateinische Grammatik (1616) kenne ich nur aus der Er wähnung Op. did. I, 3. Obwohl sie in Prag erschienen ist, habe ich sie auf der dortigen, an Schriften des Comenius reichen K. K. Bibliothek nicht vorgefunden.
Ä
-
Ebend. „Labyrinth der Welt etc.“
Das Original ist in böhmischer
Sprache geschrieben und gilt noch heute in der böhmischen Litte ratur als classisch. Die erste Ausgabe erschien 1631 (wo?), die zweite 1663 in Amsterdam, beide mit einer lateinischen Widmung an Karl Baron v. Zerotin; später noch mehrere Ausgaben (noch 1848). Ich folge der 1787 in Berlin und Potsdam anonym erschie nenen deutschen Bearbeitung unter dem Titel „Comenii philosophisch satyrische Reisen durch alle Stände der menschlichen Handlungen“ (auch in der K. Bibl. zu Berlin). Zu S. 9. Die Janua habe ich in mehreren Ausgaben verglichen: Op. did. l, 250 – Frankfurt, 1644 und 1673. –
fjden,
1644. – 1657. –
1667. In manchen fehlt die Vorrede, auch finden sich andere kleine Abweichungen. Dass die erste Ausgabe böhmisch – lateinisch war, lehrt die Vorrede (Vgl. Op. did. 1,253). Die deutsch-lateinische Be arbeitung scheint nicht von Comenius selbst herzurühren. – Ich be merke noch, dass ich alle noch bei Lebzeiten des Comenius erschie nenen Ausgaben der Janua wie auch des Orbis pictus, welche mehr als Eine neue Sprache zu dem Latein geben, für unecht halte. Diese Bearbeitungen in drei, vier, fünf, sechs Sprachen neben ein ander musste Comenius nach seinen Grundsätzen über das Lernen
fremder Sprachen für Verschlechterungen seiner Bücher ansehen. Zu S. 10 u. 58. Der Ordnung des Stoffes in der Janua (und im Orbis pictus) liegt, wie ich vermuthe, nichts Geringeres zu Grunde als die Aristo telische Stufenreihe der Seelenvermögen. Doch hat Comenius sie zunächst wohl der Theologia Naturalis des Raymundus de Sabunde entnommen, welche er im Unum Necessarium p. 145 rühmt und welche er selbst wieder herausgegeben hat. Raymund kennt nämlich in der Natur 4 Stufen: esse, vivere, sentire, intelligere. (Ritter, Gesch. der Phil. VIII, 665). Dieser Eintheilung entsprechen z. B. in dem Orbis von 1662: Abschn. 3–11 (esse), 12–17.(vivere), 18–34 (sentire), 35–148 (intelligere, der Mensch). Pappenheim.
Comenius.
5
Zu S. 14.
Dass das Original der „Lehrkunst“ böhmisch (und nicht deutsch) war, wird noch ausdrücklich bestätigt Op. did. I, 4: scriptum hoc vernaculum, nostrae tantum Genti destinatum. Vgl. I, 253 Vernaculum (mihi Bohemiucm) . . . .
Zu S.
Zu
15. Diese englische Ausgabe der lemmata Capitum (Op. did. I, 4.), worunter wohl dieselben gemeint sind, welche Op. did. I, 16 stehen, scheint nach einer Auskunft des Herrn Prof. Aufrecht (im Jahre 1862) in England nicht mehr zu existiren. S. 46. Fröbel wurde durch den Philosophen Krause auf Comenius hin gewiesen. Vgl. von Leonhardi, Sätze aus der theoretischen und prak tischen Philosophie . . . . für den Philosophencongress, Prag, 1868, S. 31. Uebrigens erinnern, die in diesem Schriftchen ausgespro chenen Sätze, welche der Krauseschen Philosophie angehören, selbst vielfach an Comenius, besonders an die seiner
Grunde liegenden Gedanken.
Druck von J. F. Starcke in Berlin
Ä
ZUl
Häusler.