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die Würde und den Fortgang
der Wiſſenſchaften Fünftes Buch
An den König. 1ſtes Capitel. Eintheilung der Wißenſchaft von dem Ge j den Gegenſtänden der Fähig keiten der menſchlichen Seele, in die Logik
und Ethik. \
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Eintheilung der Logik in die
Künſte zu erfinden, zu beurtheilen, zu be halten, und vorzutragen.
D jeneWißenſchaft in Abſicht des Verſtandes und andere in Abſicht des Willens des Men ſchen ſind gleichſam von Ä
Geburt an Zwillinge.
Dj die Reinigkeit der Erleuchtung, unº. " Frey
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433
Freyheit der Willkühr haben zugleich angefangen und zugleich aufgehöret.
Auch giebt es in dem gan
zen Umfang der Dinge keine ſo innige Sympathie als jene des Wahren und Guten. Deſto mehr müßen alſo gelehrte Männer erröthen, wenn ſie den Wißen nach mit dem Flug der Engel ſich erheben in Abſicht der Begierden aber wie Schlangen auf der Erde
kriechen; ſie tragen Seelen mit ſich herum, die aller dings wie ein Spiegel ſind, der aber beflekt iſt.
Wir kommen nun auf die Wißenſchaft in
Abſicht des Gebrauchs und der Gegenſtände der Fähigkeiten der menſchlichen Seele. Sie hat zwey Theile, die ſehr bekannt und übereinſtimmend angenommen ſind; nemlich die Logik und Ethik:
Die Lehre der bürgerlichen Klugheit, welche ins gemein als ein Theil der Ethik aufgeſtellet wird, haben wir ſchon oben abgeſondert, und ſie als eine eigene Lehre von der verſammleten oder in Ge
ſellſchaft befindlichen Menſchen dargeſtellet , hier reden wir nur von den abgeſonderten Menſchen.
Die Logik handelt vom Verſtand und der Ver nunft; die Ethik von dem Willen, der Begierde und den Affekten: die eine zeugt die Entſchlüße, die
andere die Thaten.
Es iſt zwar wahr, daß die
Phantaſie in beyderlei Amt,
ſowohl dem richterli
chen, als dem ausübenden dieſer Entſchlüßungen, die
Stelle eines abgeſendeten oder gegenſeitigen Anwaldes
vertrit. Denn die Sinnlichkeit übergiebt der Phantaſie allerlei Bilder von welchen hernach die Vernunft ur theilt. h
Aber hingegen ließt ſich die hingeg Ee ch die Vernunft Bilder
434,
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Bilder aus und giebt die bewährten der Phantaſie wieder, ehe die Vollſtreckung des Entſchlußes geſchie het. Denn die Phantaſie geht der freywilligen Be wegung beſtändig vor und reizt ſie an,
alſo daß die
Phantaſie für beyde, ſowohl die Vernunft, als den Willen, ein gemeinſchatliches Werkzeug iſt: außer daß dieſer Janus mit doppeltem Geſichte bald in dem
einem die Vernunft mit dem Bildniß der Wahrheit, in dem andern den Willen mit dem Bildniß der
Güte darſtellet: welche jedoch Angeſichte ſind.
– Wie ſie ſich für Schweſtern ziemen. Auch iſt die Phantaſie kein bloßer Abgeſendeter; ſondern ſie erhält oder gebraucht außer dem, einfachen Auftrag des Befehls kein geringes Anſehen. Denn
mit Recht ſagt Ariſtoteles, die Seele hat über den Körper eben die Herrſchaft,
welche ein Herr über
ſeinen Sklaven hat: die Vernunft aber hat über die Phantaſie diejenige, welche in einer freyen Stadt der Magiſtrat über den Bürger hat ; als auf wel
chen die Herrſchaft auch kommen kann. Denn wir ſehen, daß in denjenigen, was Glauben und Religion anbetrift,
die Phantaſie über dieſe Vernunft ſteiget
und ſich erheber: nicht daß die göttliche Erleuchtung
in der Phantaſie ſtatt habe (ja vielmehr ſelbſt in dem Siz des Geiſtes und Verſtandes) ſondern wie die göttliche Gnade zu den Tugenden die Bewegun gen des Willens gebraucht, eben ſo gebraucht die göttliche Gnade in den Erleuchtungen die Bewegun gen der Phantaſie; daher kommt es, daß die Reli
gien ſich immer einen Weg und Zugang zu den Ge mürgern
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425
müthern der Menſchen durch Gleichniße,
Parabeln, Viſionen,
der
Vorbil
Träume, verſchaffer
hat, ferner iſt das Reich der Phantaſie *) in den Ueberredungen die von der Kraft der Beredtſameit beygebracht werden, gar nicht gering. Denn wo durch die Kunſtgriffe der Rede die Gemüther die Menſchen erweicht entzündet oder auf dieſe oder
jene Seite gebracht werden; ſo geſchiehet all dieſes durch die Belebung der Einbildungskraft, als weiche
nun ohnmächtig gemacht, nicht allein der Vernunft entgegen ſtrebt ,
ſondern ihr auch einige Gewalt an
thut, theils durch Verblendung, theils durch Anrei zung. Doch ſcheint dies keine Urſache zu ſeyn,
warum wir von der erſtern Eintheilung abgehen ſollen:
Denn die Phantaſie zeugt in der That die Ee 2
Wißen
*) Anmerk. des Ueberſ. Der beredte Herr Schloßer ſagt in Abſicht auf den Staat von dem Reiche der
Phantaſie oder Einbildungskraft ſehr ſchön alſo: wenn unter dem Reiche der Einbildungskraft der dauerhafte
Bürger ein Weichling worden iſt; wenn unter ihm die fruchtbare Ebene zum Palaſt, der Weinhügel zum Park, die Wieſe zum Garten, das Dorf zur Stadt worden
iſt, wenn unter ihnen die Stadt das halbe Land entvöl kert
und an ſich gerißen hat; wenn der Geiſt der
Phantaſie in Geſeze, Gewohnheiten, Anſtalten, Religion, die ganze Lebensart und Denkungsart der Nation ge fochten worden iſt; wer will da die große Umſchaffung des neuen Jeruſalems vornehmen ? doch laßt der Natur
ihren Gang.
Geſchenck des Himmels, Phantaſie!
Wie übergüldeſt du den Sandhügel !
Wer auf dem
Sandhügel wohnt, opfere der Göttin. Beßeres Geſchenck
des Himmels, Menſchragefühl! Wer dich hat, braucht die Gauklerin nicht.
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435
Wißenſchaften nicht : indem die Poeſie (welche von Anfang an der Phantaſie zugeeignet worden iſt) vielmehr für ein Spiel des Wizes als für eine
Wßenſchaft zu halten iſt. Die Macht der Phan taſie in natürlichen Dingen aber haben wir kurz zuvor der Wißenſchaft von der Seele angewieſen.
Die
Verwandſchaft aber, welche ſie mit der Rhetorik hat, muß man in dieſer Kunſt ſelbſt, von der wir unten reden werden, mit Recht vorbringen.
Dieſer Theil der menſchlichen Philoſophie, welcher zur Logik gehört, iſt dem Geſchmack der meiſten Köpfe minder angenehm, und ſcheint ihnen nichts anders als ein Garn einer dornigten Spizfin
digkeit zu ſeyn.
Denn wie mit Recht geſagt wird,
daß die Wißenſchaft die Nahrung der Seele ſey: alſo haben in den Begierden und Auswahl dieſer Arten Nahrung die Meiſten den Gaumen der Jßrae
liten in der Wüſten, die nach ihren Fleiſchtöpfen lüſtern worden, und denen das Manna geeckelt hat, als welches, ob es gleich eine himmliſche Speiſe ge weſen, doch minder angenehm und ſchmackhaft erfuns
den wurde. Eben ſo gefallen meiſtens diejenigen Wißenſchaften, welche ſo zu reden mehr Fleiſch haben. Wie die bürgerliche Geſchichte, die Sittenlehre, die
Staatsklugheit ſind, als welche ſich mit den Begier den der Menſchen, ihrem Glücke und Ehre beſchäf tigen. Aber dieſes drockne Licht verlezet und drocknet die weichen und matten Köpfe der meiſten.
Wenn
man übrigens eine jede Sache nach ihrer Würde meßen darf - ſo ſind die logiſchen Kenntniße aller dings der Schlüßel zu den übrigen. Und gleichwie. W
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-
437
die Hand als das Werkzeug aller Werkzeuge, die Seele als die Form aller Formen zu achten, ſo
ſind auch jene als die Künſte aller Künſte anzu ſehen.
Denn ſie leiten nicht nur, ſondern ſie ſtarken
auch; ſo wie die Uebung im Pfeilſchießen nicht nur verurſacht, daß einer beßer zielt, ſondern auch den
Bogen beßer anſpannt.
Die logiſchen Künſte ſind an der Zahl vier; ſie ſind nach ihren Abſichten eingerheilt, nach welchen ſie ſtreben. Dann in Sachen der Vernunft handelt der Menſch alſo:
er geſucht hat :
daß er entweder erfindet was
oder beurtheilet was er gefunden
hat, oder behält, was er beurtheilt hat : oder vorträgt, was er behalten hat. Es iſt alſo noch wendig, daß eben ſo viele Künſte der Vernunftlehre
ſind.
Die Kunſt der Nachforſchung oder der Erfin
dung: die Kunſt der Unterſuchung oder der Beurtheilung: die Kunſt der Aufbewahrung oder des Gedächtnißes : und die Kunſt der Rede oder des Vortrages. Von dieſen wollen wir nun insbeſondere reden,
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2tes
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2tes Capitel, Eintheilung der Erfindungskunſt in die der Künſte, und die der Beweißthümer : und daß die erſtere dieſer (welche den Vorzug hat) vermißt werde. Eintheilung der
Erfindungslehre der Künſte in die gelehrte Erfahrung,
und
das
neue
Organon.
Bezeichnung der gelehrten Erfahrung,
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giebt zwey Arten der Erfindungen, die ſehr von
einander unterſchieden ſind, eine der Künſte und Wißenſchaften; die andere der Beweisthümer und Reden. Ich thue den Ausſpruch, daß die erſtere unter dieſen gänzlich vermißt werde. Dieſer Mangel ſcheint mir
jedoch eben derjenige zu ſenn
als wenn jemand bei
Verfertigung des Güter, Verzeichnißes eines Verſtor
benen hinſezt :
nichts an baarem Gelde.
Denn
wie alles übrige durch Geld erlangt wird; eben ſo werden die übrigen Künſte durch dieſe Kunſt erlangt,
Und gleichwie Weſtindien niemals für uns erfunden worden wäre, wo nicht die Erfindung des Compaßes vorhergegangen; obwohl jene Gegenden unendlich groß, die Bewegung der Nadel aber ſehr klein iſt: alſo wundert ſich niemand, daß in Aufklärung der
Künſte und deren Beförderung, noch keine weitere Fortſchritte gemacht worden ſeyn, da die Kunſt zu
erfinden und die Wißenſchaften aufzuklären, bis jezt unbekannt iſt,
*
Daß
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439
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Daß dieſer Theil des Wißens vermißt werde, liegt ganz am Tage. Denn er ſich leytt die Dialektik nichts, ja ſie erwähnt nicht einmal etwas von der Erfindung der Künſte, weder der mechaniſchen, noch der ſogenannten frenen Künſte, auch ſagt ſie nichts von den Werken jener, und der Entwickelung der Grundſäze dieſer; ſondern ſie redet gleichſam in
Vorübergehen die Menſchen an und entläßt ſie, indem ſie den Ausſpruch thut, daß ſie jedem in ſeiner Celſus, ein einſichtsvoller Kunſt glauben ſollen. Mann, nicht allein in der Arzneykunſt, ob es wohl jedem gewöhnlich iſt ſeine eigene Kunſt zu loben, geſtehet ernſthaft und aufrichtig, indem er von den
Sekten der empyriſchen und dogmatiſchen Aerzte ſpricht; daß die Medikamente und Heilmittel zuerſt erfunden
worden ſeyn, um die Urſachen und Gründe aber habe . man ſich zulezt geſtritten; es ſeyn alſo nicht in umge kehrter Ordnung die Urſachen aus der Natur der
Dinge zu erſt entwickelt worden, "damit ſie zur Und Pato Erfindung der Heilmittel vorgeleuchtet. ſagt mehr als einmal, daß das Beſondere ganz ins endlich ſey: Ferner daß das Allgemeine minder
gewiße Beweißgründe darlege :
daß alſo das Mark
der WißeMchaften, wodurch der Künſtler ſich von dem Ungeſchickten unterſchidet, in den einzelen Säzen beſtehe, welche die Erfahrung durch die einzelnen
Wßenſchaften überliefert und gelehrer hat. diejenigen,
Ja auch
welche von den erſtern Erfindern der
Dinge, oder den Urſprüngen der Wßenſchaften geredet haben, haben vielmehr den Zufall als die Kunſt angerühmer; und die unvernünftigen Thiere, Vierfü ßige, Vögel, Fiſche, Schlangen, mehr denn die Mens Ee 4
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44S
Menſchen, als Lehrer der Wißenſchaften aufgeführt. Der Dichter ſpricht:
-
Der wilden Ziege in Creta iſt es nicht unbekannt, daß der Diptam mit ſeinen vollen Blättern
und der Purpurblüthe geziert, den ſie auf dem
Berge Ida pflückt, ihrem verwundeten Rücken dient,
So daß es nicht zu verwundern iſt, (da es bei den Alten der Gebrauch geweſen, die Erfinder nüzlicher
Dinge heilig zu halten) daß bei den Egyptern, dieſem alten Volk, dem die meiſten Künſte ihre Anfänge ſchuldig ſind, die Tempel voll Bilder unvernünftiger Thiere, von Menſchenbildern aber leer geweſen. Statt des Neptuns, der Venus und der Minerva
ſtellten Ungeheuer und der bellende Hundskopf die Götter vor,
-
Wenn man lieber nachdenUeberlieferungen derGrie chen die Künſte den Menſchen als den Erfindern zueignen
will: ſo wird man doch nicht ſagen dürfen, daß Prometheus zur Erfindung des Feuers die Betrachtung gebraucht: oder als er den Kieſel zuerſt ſchlug, Funken erwartet
habe : ſondern daß er von ohngefehr darauf gefallenſey, und wie ſie ſagen den Jupiter darum beſtohlen habe. So, daß wir, was die Erfindung der Künſte anbe trift, der wilden Ziege in Abſicht der Pflaſter, der
Nachtigall in Abſicht der Muſik, dem Storch in Abſicht der Kliſtire, einem zerſprungenen Topf in Abſicht
der Geſchüzkunſt
kurz dem Zufall, in
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44 I
einer jeden andern Sache mehr ſchuldig ſind, als der Dialektik oder Vernunftlehre.
Auch verhält ſich jene
Erfindungsart nicht viel anders von welcher Virgil mit Recht ſagt, daß der Gebrauch nach und nach durch Nachdenken
mancherley Künſte ausdränge. Denn es wird hier keine andere Erfindungs
methode vorgetragen, als deren die unvernünftigen Thiere ſelbſt fähig ſind, und die ſie öfters gebrauchen: nemlich die aufmerkſamſte Sorgfalt um eine einige Sache, und ihre beſtändige Ausübung welche die
Nothwendigkeit der Selbſterhaltung dergleichen Thieren auflegt. Denn Cicero ſagt ſehr wahrhaft: die Fer, tigkeit die man auf eine Sache allein wendet, über windet öfters ſowohl die Natur als die Kunſt. Wenn diesfals von den Menſchen gerühmt wird
Eine unverdroßene Arbeit und eine dringende Dürftigkeit überwindet alles So fragt man auch ebenfals von den Thieren, Wer hat dem Papagey ſein Freu dich (x«pº, ) fertig ſprechen gelehrt?
Wer iſt des Raben Rathgeber geweſen, daß er bei
großer Dürre Steinchen in einen hohlen Baum warf,
wo er von ohngefehr Waßer erblickt hat, damit er die aufſteigende Feuchtigkeit mit dem Schnabel berüh ren könnte ? Wer hat den Bienen den Weg gewie ſen, welche durch die Luft als ein ungeheueres Meer,
blühende Felder, ob ſie gleich von Bienenſtöcken ſehr Ee 5 -
entle,
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442
entlegen ſind, zu ſuchen, und wieder zurück zu fliegen pflegen? Wer hat die Ameiſe gelehret, daß ſie die
in ihr Behaltniß tragende Kösner zuvor rundherum abbeißen ſolle, damit ſie nicht hingelegt auskeimten und ihre Hofnung zernichteten?
Wenn man in jenem
Vers des Virgils das Wort ausdrängen ,
welches
die Schwierigkeit der Sache, und das Wort nach und nach, welches die Langſamkeit andeutet, be merket;
ſo fonmen wir wieder
dahin,
wo wir
hergefommen ſind, neinlich zu jenen Söttern der Egyocier; da bisher die Menſchen die Fähigkeit der Vernunft ſehr ſparſan,
die Eigenſchaft der Kunſt
aber gar nicht zur Entdeckung der Erfindung angewand
haben. Zweytens beweiſt eben dieſes,
was wir be
haupten, (wenn man etwas ſorgfältig aufmerkt) die Form der Induktion, welche die Dialektik vorträgt; durch welche nemlich die Gründe der Wißenſchaften aufgefunden und bewieſen werden ſollen; welche gänz lich fehlerhaft und unzulänglich iſt, und weit entfernt die Natur vollkommen zu machen, ſie vielmehr ver
ſchlimmert und verkehrt. ſinnig eingeſehen hat,
Wer auch die Art ſcharf nach welcher jener ätheriſche
Thau der Wißenſchaften gleich jenem , Dichter ſagt,
wovon der
Es ſind himmliſche Güter voll wohlriechenden Honigs, im kühlen Thau geſogen, geſammlet wird; (da auch die Wißenſchaften aus ein
zelnen Beyſpielen, theils natürlichen
theils künſtli chen/
&EFD
chen,
443
wie der Honig von den Blumen der Wieſen
und Gärten ausgezogen werden;) der wird allerdings.
finden, daß der Geiſt von ſelbſt nach ſeiner ange bohrnen Art die Induktion feiner zu ſtande bringe, als diejenige iſt, welche in der Dialektik beſchrieben wird: indem aus der bloßen Erzählung des Beſondern,
Gwie in der Dialektik zu geſchehen pflegt) wenn man keine widerſprechende Sinwendung erfindet, fehlerhaft geſchloßen wird; auch bringt dergleichen Induktion
nichts anders als eine wahrſcheinliche Muchmaßung hervor. Denn wer wird es auf ſich nehmen, wenn das Beſondere,
welches jemand kennt,
oder deßen
er ſich erinnert nur zum Theil erſcheint, alsdann zu behaupten, daß nichts verborgen liege, welches hier allerdings widerſpreche? Gleich als wenn Samuel an jenen Söhnen des Iſai ſich begnügt, die er in dem
Hauſe vorgeführt ſahe, und gar nicht nach David gefragt hätte, welcher abweſend und auf dem Felde
war.
Und dieſe Induktions Form iſt, (wenn man
allerdings die Wahrheit ſagen muß) ſo roh und ſtark, daß es unglaublich ſcheint,
daß ſo ſcharfſinnige und
feine Köpfe (dergleichen in dieſen Dingen ihre Be
trachtungen geübt haben) ſie der Welt haben auf dringen können;
wo dies nicht die Urſach geweſen,
daß ſie allzueilig nach Theorien und Lehrſäzen ver
anget: das Beſondere aber, (inſonderheit das längere Verweilen bey denſelben) aus einem gewißen Stolz
und Hochmuth verachtet haben. Denn ſie haben die beſondern Einwendungen wie Gerichtsdiener oder Häſcher um das Volk auseinander zu treiben, ge braucht, damit ſie ihren Lehrſäzen Eingang verſchaf
ten; keinesweges aber haben ſie ſolche von Anfang (ſ.
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444
an in den Rath genommen, damit eine rechtmäßige
und reife Ueberlegung über die Wahrheit der Sache entſtünde. Allerdings hat die Gemüther eine gewiße fromme und heilige Bewunderung beſtürzt gemacht, da wir die gleichen zum Irrthum führenden Fuß ſtäpfen in göttlichen und menſchlichen Dingen betret
ten ſehen.
Denn gleichwe bei Anhörung der göttli
chen Wahrheit
ſich niemand gern angelegen ſeyn
läßt, wie ein Kind zu werden; alſo ſcheinet den in menſchlichen Wißenſchaften
weit gekommenen,
gleichſam niedrig und verächtlich
es
noch die erſten
Anleitungen zu Folgerungen, zu leſen und wieder zu
behandeln. Drittens, wenn zugegeben wird, daß die Gründe der Wißenſchaften nach der Induktion,
ſich bedient,
deren man
entweder durch das Gefühl oder die
Erfahrung richtig dargeſtellt werden können, ſo iſt es jedoch gewiß, daß die untern Grundſäze nicht durch eite Schlußformel (in natürlichen Dingen, welche an
der Materie Theil haben) mit Recht und ſicher her geleitet werden können. Denn in einer Schlußfor mel geſchieht die Verwandlung der Säze auf Grund ſize durch Mittelſäze. Dieſe Erfindungs oder Be weißformel aber findet nur in Volks Wißenſchaften,
(der Sittenlehre, der Staatslehre
und dergleichen)
ſtatt : Ja auch im Theologiſchen, indem es Gott nach ſeiner Güte gefallen hat, den menſchlichen Begriffen gemäß, ſich herabzulaßen : aber in den phyſikaliſchen Wißenſchaften, wo die Natur durch das Werk, nicht der Widerſacher durch einen Be
weis, zu binden iſt,
entſchlüpft die Wahrheit aus den
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X
445
den Händen, und zwar wegen der weit größern Feinheit der natürlichen Operationen, als der Worte: alſo daß bei der Kraftloſigkeit einer Schlußformel, das Geſchäfte der Induktion (nemlich einer wahren und verbeſſerten) überall, ſowohl zu den allgemeinen Gründen, als zu den untern Säzen nöthig iſt.
Dann die Schlußformeln beſtehen aus Säzen; die Säze aus Wörtern; die Worte ſind Zeichen der Begriffe. Wenn alſo die Begriffe ſelbſt, (welche die Seelen der Worte ſind,) übel und verſchieden von den Sachen abgezogen werden; ſo fällt das ganze Gebäude zuſammen. Auch wird keine mühſame Un terſuchung entweder der Folgerungen der Beweis thümer, oder der Säze der Wahrheit, die Sache
jemals wieder ganz herſtellen; da, wie die Aerzte ſagen,
der Fehler in der erſten Verdauung liegt,
welche von den folgenden Verrichtungen nicht ver
beßert wird. Es iſt alſo nicht ohne große und offen bare Urſache geſchehen, daß mehrere Philoſophen (und darunter ſehr große) Akademiker und Skeptiker gewe, ſen ſind,
welche die Gewißheit
des menſchlichen
Wißens und der zweydeutigen Entſcheidungen aufge hoben, und geleugnet haben, daß ſolches über die
Wahrſcheinlichkeit und Probabilität gehe. Ich muß geſtehen, daß es einigen gedünkt , Sokrates habe, als er die Gewißheit der Wißenſchaften von ſich ab lehnte dies nur verſtellt gethan, damit man glauben ſollte, er wiße dasjenige, was er nicht wußte, weil
er das nicht wißen wollte,
was er offenbar wußte.
Auch von der neuern akademiſchen Sekte (welcher Cicero beigeſtimmt hat,) iſt jene Meinung über die
Ungewißheit des Wißens nicht ſehr aufrichtig beſtrit ten
& Fººd
446
ten worden. Denn diejenigen welche in der Bered ſankeit berühmt geweſen, haben faſt alle dieſe Sekte erwählt, damit ſie den Ruhm erlangten, auf beiden
Seiten weitläufrig darüber zu reden: daher man von jenem geraden Wege, der zur Wahrheit hätte führen ſollen, gleichſam auf gewiße angenehme des Vergnü gens wegen angeſtellte Spaziergänge, umgebogen iſt. Jedoch iſt es bekannt, daß einige Akademiker unter den Alten und Neuen, weit mehr unter den Skepti kern aber jene Ungewiſſheit aufrichtig und geradezu
behauptet haben. Jedoch haben ſie hauptſächlich darinn gefehlt, daß ſie die Empfindungen der Sinne verworfen, wodurch ſie die Wißenſchaften von Grund aus vertilgten. Die Sinnen aber, ob ſie gleich die Menſchen öfters betriegen, ader verlaßen, können doch durch vielen Fleiß unterſtüzt , zu den Wißen ſchaften hinreichen; und zwar nicht ſowohl durch
Hülfe der Werkzeuge, obgleich auch dieſe zum Theil nüzlich ſind, als der Verſuche derjenigen Gattung,
welche feinere Gegenſtände, als nach der Fähigkeit des Gefühles ſonſt vorkommen, hervorzubringen ver mögen. Sie hätten aber vielmehr ſowohl den Vor urtheilen des Geiſtes als dem Eigenſinn welcher ſich nicht nach den Sachen ſelbſt bequemen will,
ſo wie
denen aus der Empfindung der Sinne verkehrt ange ſtellten Beweiſen, Schlüßen, und Folgerungen dieſen Mangel zuſchreiben ſollen. Wir ſagen aber dieſes
nicht diesfals, damit hierdurch dem Verſtande etwas benommen,
oder das ganze Geſchäfte aufgegeben
werde, ſondern damit dem Verſtande bequeme Hülfs mittel verſchaft und dargelegt werden,
durch welche
er das Schwere der Dinge und die Dunkelheit der -
Natur
&SFD
447
Natur überwinden könne. Denn niemand beſizt eine ſolche Feſtigkeit oder auch Fertigkeit der Hand, daß er
von freyer Hand eine lange gerade Linie ziehen, oder einen vollkommenen Cirkel darſtellen kann; welches jedoch mit telſt eines Linials oder Cirkels leicht zu bewerckſtelligen iſt. Dies iſt alſo die Sache ſelbſt, um die wir uns be
werben, und wornach - wir mit großer Bemühung ſtreben; daß nemlich der Geiſt durch die Kunſt den Dingen gewachſen werde; daß man eine gewiße Kunſt der Beurtheilung und Richtung erfinde, welche
die übrigen Künſte, ihre Grundſäze, und Wercke entdecke und an Tag gebe. Denn dieſe haben wir mit Recht unter das Vermißte geſezt.
Dieſe Kunſt
der Entdeckung (dann ſo wollen wir ſie nennen) hat zwey Theile : dann entweder wird die Entdeckung von Erperimenten auf Erperimente gebracht : oder von Erperimenten auf Grundſäze, welche auch ſelbſt neue Erperimente bezeichnen. Die erſtere dieſer wollen
wir die gelehrte Erfahrung nennen, die leztere aber die Erklärung der Natur, oder das neue Organon. Die erſtere zwar iſt, wie wir ſchon berührt haben, kaum vor eine Kunſt oder einen Theil der Philoſophie, ſondern für eine gewiße Scharfſinnigkeit zu halten, daher wir ſie auch im mythologiſchen Sinn bisweilen die Jagd Pans heißen : gleichwie aber jemand ſeinen Weg auf dreyfache Art machen kann : da er entweder ſelbſt in der Finſterniß tappt : oder an des andern
Hand geführt wird, und ſelbſt wenig dabei ſiehet: oder endlich ſeine Tritte mit angewandem Licht leitet:
eben ſo iſt das ein lauteres Toppen, wenn jemand
allerlei Erperimente ohne einige Ordnung oder Methode verſucht:
wenn er ſicy aber einiger Ordnung und Lei
448
STÄD
Leitung in Verſuchen bedient, ſo iſt es als wenn er an der Hand geführt wird: Und dies iſt dasjenige was wir durch die gelehrte Erfahrung verſtehen. Denn das Licht ſelbſt, welches das dritte geweſen iſt,
iſt von der Erklärung der Natur oder dem neuen Organo: herzuholen. Die gelehrte Erfahrung, oder die Jagd Pans, behandelt die Art Verſuche anzuſtellen: wir wollen ſie,
da wir ſie unter das Vermißte geſezt haben, ab ſchildern. Sie gehet hauptſächlich entweder durch die Veränderung des Erperiments; oder durch die Ver längerung des Erperiments : oder durch die Verſe zung des Experiments : oder durch die Anſtrengung des Erperiments : oder durch die Anwendung des Erperiments : oder durch die Verbindung des Erpe riments : oder endlich durch das Ungefehr des Erperiments. All dieſes aber beſchränckt ſich außer
den Grenzen der Erfindung eines Grundſazes. Denn jener andere Theil, welcher von den neuen Organen handelt, eignet ſich alle Verſezungen der Experimente in Grundſäze, oder der Grundſäze in Experimente zu. V.
Die Veränderung des Experiments geſchieht zu erſt in der Materie; wann nemlich ein ſchon bekanntes Erperiment einer gewißen Materie gleichſam ganz allein
eigen geweſen; nun aber an ſolchen verſucht wird, welche gleicher Art ſind; wie das Papiermachen nur mit leinenen Lappen nicht aber mit ſeidenen,
(wo nicht vielleicht bei den Chineſern) erprüft iſt; auch hat man noch keine Verſuche mit ſtarken Thier haaren, woraus der ſogenannte Camelot verfertigt wird, noch auch mit Wolle, Baumwolle, und Fellen gemacht,
:
&SF ºd
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gemacht, obwohl dieſe drey lezte mehr fremdartig zu ſeyn, ſcheinen. Alſo können ſie vielmehr zugemiſchc werden, als an ſich ſelbſt nüzlich ſeyn. Eben ſo iſt das Einpfropfen bei fruchttragenden Bäumen im Ge
brauch: bei Waldbäumen wird es ſelten verſucht; ob man wohl vorgiebt, daß der Ulmbaum in dem Ulmbaum gepflanzt einen wunderbaren Umfang von Blättern erzeuge. Auch iſt das Einpfropfen an Blumen
ſehr ſelten, obwohl dieſes ſchon an den Bieſamroſen geſchiehet, welche den gemeinen Roſen glücklich ein gepfropft werden. Auch ſezen wir die Veränderung an einem Theil eines Dinges, unter die Veränderungen an der Materie. Denn wir ſehen, daß ein Reis in dem Stamm eines Baumes gepfropft beßer ausſchlägt, als wenn er in die Erde gelegt wird.
Warum ſollte
nicht auch der Saamen einer Zwiebel, der in den Kopf einer andern grünen Zwiebel gelegt wird, beßer aufkeimen, als wenn er der bloßen Erde anvertrauec
worden ? und hier wird die Wurzel von dem Stamm verändert, daß dieſe Sache als eine Einpfropfung in
die Wurzel angeſehen werden kann. Die Veränderung des Erperiments geſchieht zweytens in den Wirkungs mitteln: die Strahlen der Sonne werden durch die Brennſpiegel an Hize ſo verſtärkt, daß ſie die Materie, welche leicht Feuer fängt anzünden können: können auch wohl die Strahlen des Mondes, biß zu einem
ſehr gelindem Grad Lauigkeit durch dieſelbe verſtärkt werden; damit wir ſehen, ob alle himmliſche Körper
die Eigenſchaft der Wärme haben? die ſtrahlichten Hizen werden nun durch die Spiegel verſtärkt: leiden
nun wohl auch die dunklen Hizen (wie der Steine
und Metalle ehe ſie glühen) eben dieſes oder komme -
Ff
es
4JS
KFN
es hierinnen vielmehr auf das Licht an; eben ſo ziehen der Bernſtein und der Gagath, wenn ſie gerie
ben worden, Flitterchen an ſich: thun ſie es auch wohl, wenn ſie am Feuer lau worden ? die Ver änderung des Erperiments geſchiehet drittens in der
Menge : hierbei muß man ſehr fleißige Sorgfalt anwenden, da in Abſicht dieſer viele Irrthümer im Wege ſtehen, denn die Menſchen glauben, daß bei vermehrter oder vielfacher Menge auch verhältniß weiſe die Kraft vermehret oder vervielfachet werde. Und dieſes fordern ſie und nehmen es als eine Sache von mathematiſcher Gewißheit an: welches allerdings ſehr falſch iſt. Eine bleyerne Kugel ein Pfund ſchwer fällt in Zeit von zehen Pulsſchlägen von
einem Thurm auf die Erde : wird wohl eine Kugel von zwey Pfund (in welcher dieſer Antrieb, den man die natürliche Bewegung nennt, verdoppelt werden
muß) in Zeit von fünf Pulsſchlägen auf die Erde fallen ? nun wird ſie aber faſt zu gleicher Zeit auf die Erde fallen, und nicht nach dem Verhältniß der Menge beſchleuniget werden.
Eben ſo wird ein
Quentgen Schwefel mit einem halben Pfund Stahl vermiſcht, ſelbiges zum fließen und ſchmelzen bringen: wird nun wohl eine Unze Schwefel vier Pfund Stahl zu ſchmelzen hinreichen ? aber ſolches folgt nicht. Denn es iſt gewiß, daß die Hartnäckigkeit der Ma terie an dem leidenden Theil durch die Menge weit mehr verſtärkt werde, als die Wirkſamkeit der Kraft in dem wirkendem Theile. Ferner das Allzuviele
trügt eben ſowohl als das Zuwenige. Denn bei dem Ausſchmelzen und Reinigen der Metalle iſt der Fehler gewöhnlich, daß ſie zur Beförderung der Ausſchmel zUng
&-Fººd
45 f
zung entweder die Wärme des Ofens, oder die Menge des Zuſchlages vermehren.
Aber dieſe allzu
ſtarke Vermehrungen behindern die Behandlung, weil ſie durch ihre Stärke und Schärfe vieles von dem reinen Metall in Dünſte verwandlen und weg agen;
daß ſowohl ein Verluſt entſtehet; als auch die zu rückbleibende Maße ſpröder und härter iſt. Die Menſchen müßen alſo an jene ſpöttiſche Fabel Aeſops von dem Weibe denken, welche gehofft hatte, daß ihre Henne, wenn ſie ein zweyfaches Maas Gerſte bekäme, auch täglich zwey Eyer legen würde: da ſie
vielmehr dardurch gemäſtet worden und keins mehr gelegt hat. Allerdings mag es nicht ſicher ſeyn, einem natürlichen Erperiment zu trauen, wenn nicht ſowohl in der kleinern als größern Menge eine Prüfung vor
gegangen.
Und ſo weit von der Veränderung des
Experiments.
-
Die Verlängerung des Erperiments iſt zweyfach: die Wiederhohlung und die Ausdehnung: da nemlich das Erperiment wiederhohlt wird, oder biß zu einer mehreren Feinheit getrieben wird. Ein Beyſpiel der Wiederhohlung ſey folgendes. Der Weingeiſt ent ſtehet aus dem Wein durch die einzige Deſtillation: und iſt viel ſchärfer und ſtärker als der Wein ſelbſt: wird wohl auch der ſelbſt deſtillirte und ſublimirte
Weingeiſt ſich ſelbſt eben ſo an Stärke übertreffen? *) --
Ff 2
aber
*) Anmerk. des Ueberſ. Mit welchem Scharfſinn ha hier der große Canzler den Erfolg dieſer Arbeit ohne ſie wie es ſcheint, verſucht zu haben, eingeſehen. Denn weicher Unterſchied iſt zwiſchen dem einmal
"Ä (in
452
LÄN
aber die Wiederhohlung iſt auch nicht ohne Trug: denn theils kommt die zweyte Erhöhung dem Ueber fluß der erſtern nicht bei :
theils iſt es auch öfters
weit gefehlt, daß durch die Wiederhohlung des Erpe riments die Natur nach einem gewißen höchſten Grad der Behandlung weiter gehe, ſondern ſie fällt viel,
mehr wieder zurück.
Man muß alſo hierinnen rich
tiges Urtheil brauchen.
-
Wenn das Queckſilber in Leinwand oder ſonſt in
die Mitte geſchmolzenen Bleyes gethan wird, erſtarrt es,
ſo
wenn dieſes zu erkalten anfängt und
fließt nicht weiter. Sollte wohl eben dieſes Queckſilber, wenn es öfters hineingethan würde, alſo ſigirt werden,
daß es ſich hämmern ließe? *) Ein Beyſpiel der Ausdehnung ſey folgendes: das in die Höhe geſezte und ſchwebend gemachte, hierauf durch einen länglich ten Glasſchnabel in gewäßerten Wein eingelaßene
Waßer wird das Waßer vom Waßer abſondern:
da der Wein ſich nach und nach in die Höhe be giebt, und das Waßer zu unterſt ſizen bleibt: können wohl Weingeiſt und dem ſogenannten Alcohol, der aber doch
immer noch Waßer bei ſich führt.
Der erſte Brandte
wein, ſoll von den Arabern aus Wein gemacht und des, wegen vinum uftum genannt worden ſeyn.
Gegen das
Ende des fünfzehenden Jahrhunderts ſchien er erſt allge gemein im Gebrauch geweſen zu ſeyn.
*) Anmerk. des Ueberſ. Nach den Abhandlungen der Petersburger Akademie hat man das Queckſilber dahin gebracht, daß es durch künſtliche Kälte zum dehnbaren Körper verdickt worden iſt. Man kann auch hierüber des
R. Hamb. Magaz. 4ten B. nachſehen,
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453
wohl auch ſo wie der Wein und das Waßer (als verſchiedene Körper) durch dieſen Kunſtgriff abgeſon dert werden, auf gleiche Art die feinere Theile des Weins (als eines ganzen Körpers) von den gröberen abgeſondert werden, daß gleichſam eine Deſtillation durch die Schwere geſchiehet, und oberwärts etwas dem Weingeiſt ſehr ähnliches, aber vielleicht noch feineres angetroffen werde? ferner der Magnet zieht
das ganze Eiſen an: wird wohl auch ein Stück des Magnets,
das in die Auflöſung des Eiſens getaucht
worden, das Eiſen an ſich ziehen, und mit Eiſen ſich überziehen ? Ferner die Schifsnadel richtet ſich
nach den Polen der Welt: obwohl auch auf demſelben Wege und Vollendung, als die himmliſchen Körper? daß wann nemlich jemand die Nadel in die gegens ſeitige Lage, das iſt, in den gegen Mittag liegenden Punkt verſezt, und eine Zeitlang darinn hält und
hierauf die Gewalt unterläßt : ob wohl die Nadel nach Mitternacht ſich wendet, indem ſie vielmehr durch die Abendſeite als durch die Morgenſeite in die verlangte Lage ſich zu drehen wählt ? ferner, das Gold ſchluckt das beigelegte Queckſilber an ſich. Nimmt wohl aber das Gold jenes Queckſilber ohne Ausdehnung ſeines Klumpens in ſich daß es eine Maße wird die ſchwerer als das Gold ſelbſt iſt? ferner, die Menſchen kommen dem Gedächtniß zu Hülfe, indem ſie die Bilder der Perſonen an gewißen
Pläzen aufſtellen. Werden ſie wohl eben dieſes auch erlangen, wenn ſie mit Beyſeitſezung der Pläze, die
Thaten oder Gewohnheiten den Perſonen anheften: und ſo viel von der Verlängerung des Experiments. Die Verſezung des Experiments iſt drehfach: entweder Ff 3
V011
& EFTd
454
von der Natur oder dem Zufall auf die Kunſt: oder von einer Kunſt
oder einem Handgriff auf einen
andern Handgriff oder Kunſt :
oder von dem Theil
einer gewißen Kunſt auf einen andern ganz verſchie
denen Theil eben derſelben Kunſt.
Der Verſezung
von der Natur oder dem Zufall auf die Kunſt, giebt es unendliche Beyſpiele: ſo daß faſt alle mechaniſche Künſte, von geringen Anfängen, die durch die Natur
oder den Zufall dargeboten worden, ihren Urſprung genommen haben. Es war im Sprichwort ange, nommen,
daß Draube gegen Traube geſchwinder
reiſe: als welches auf gegenſeitige Freundſchafts Dienſte und Pflichten angewand worden. Aber un ere Cydermacher (nemlich die Verfertiger des Weins
aus Obſt) ahmen eben dieſes auch aufs beſte nach. Denn ſie nehmen ſich wohl in acht das Obſt eher ZU Ä und zu preßen, ehe es nicht einige Zeitlang auf Haufen geworfen durch die gegenſeitige Berüh rug reif geworfen; wordurch dann die ſonſtige allzu, coße Säure des Getränks verbeſſert wird. Ferner, die Nachahmung der künſtlichen Regenbogen aus der
dichten Beſprengung kleiner Tropfen iſt durch eine
leichte Verſzung von den natürlichen Regenbogen aus der tyauigten Wolcke hergenommen worden. Eben ſo hat die Art zu deſtilliren, entweder aus der Höhe, nemlich dem Regen oder dem Thau; oder
jenem niedrigen Erperiment hergenommen werden kön, nen, nach welchem die Tropfen an den Deckeln han gen bleiben, die man auf die mit kochendem Waßer
angefüllte Töpfe legt. Den Donner und Bliz aber nachzuahmen, hätte man ſich gefürchtet, wo nicht der Deckel jenes Chemieverſtändigen Mönchen daran erinnert
GSFEN
455
erinnert hätte, welcher mit großem Knall und Plazen plözlich in die Höhe geworfen worden. Es müßten
aber die Menſchen, wenn ſie auf ihren Nuzen ſehen wollten,
die Wercke und einzelne Handlungen der
Natur aufmerkſam, ſtückweiſe, und mit einem ge ordnetem Fleiß betrachten; hierauf beſtändig und
ſcharf überdenken, was von ihnen auf die Künſte verſezt und übertragen werden mag. Denn der Spiegel der Kunſt iſt die Natur. Auch giebt es nicht wenigere Erperimente, welche von der Kunſt auf die Kunſt, oder von dem Handgriff auf den
Handgriff übertragen werden können: obwohl dies ſeltener gebräuchlich iſt. Denn die Natur ſteht aller Orten allen offen; aber die einzelen Künſte ſind nur den eigentlichen Künſtlern bekannt. Die Brillen ſind dem ſchwachen Geſicht zur Hülfe erfunden wor
den. Kann man wohl auch ein Werkzeug erfinden, das an die Ohren gehängt den ſchwerhörenden zum Hören hilft? (dies iſt auch ſchon, wie mehreres hier aufgegebene erfunden und beſtätiget zugleich die Größe des Baconiſchen Geiſtes. Ueberſ.) Ferner,
die Einbalſamirungen und der Honig erhalten die todten Körper, kann man wohl etwas von dieſen in die Arzneykunſt verſezen,
das auch den lebendigen
Körpern nuzt? Ferner, der Gebrauch der Siegel in Wachs,
Kitten, und Bley iſt alt geweſen:
aber
eben dieſe hat auch dem Drucken auf Papier, oder der Buchdruckerkunſt den Weg eröfnet. *) Ff 4
Ferner, das
*) Von dem Alterthum dieſer Druckerei und was darauf Bezug hat, kann man nichts angenehmers als die Schrift des in unſern Tagen um die Geſchichte ſeiner Kunſt und deren Aufnahme ſo ſehr verdieuten Herrn Breitkopfs in Leipzig leſen. Ueberſezer.
/
456
FERN
das Salz würzt in der Kochkunſt *)
das Fleiſch
und zwar im Winter beßer als im Sommer.
Kan
dieſes nicht auf die Bäder und ihr Verhältniß nüz lich übergetragen werden, wenn es nöthig wird, ſol ches entweder zu ſtärken oder zu ſchwächen? Ferner
findet man,
daß das Salz nach dem jüngſt ange
führten Experiment von den künſtlichen Vereiſungen oder Gefrierungen, große Kräfte zur Verdickung enthalte : kann wohl dieſes auf die Verdickungen der
Metalle übergetragen werden: da längſt ſchon bekannt iſt, daß die ſtarken aus einigen Salzen zuſammen geſezten Waßer, aus einigen Metallen, die minder dicht als das Gold ſelbſt ſind, Goldkörner nieder
ſchlagen und fällen ?
ferner, die Mahlerey erneuert
durch das Bildniß das Angedenken der Sache: iſt
nicht dieſes auf diejenige Kunſt übergetragen worden, die man die Gedächtnißkunſt nennt ? hievon ſey überhaupt erinnert; daß nichts zur Entdeckung nüzli cher und neuer Erfindungen ſo viel beizutragen ver möge / *) Da von der Kunſt welche die Beſorgung der Küche betrift, zwar entfernt die Rede iſt, ſo kan ich doch nicht umhin,
dem Frauenzimmer hier eine Schrift aufs angelegentlichſte zu empfehlen, welche nicht nur allein dieſen Theil des
Hausweſens gründlich kennen lehrt, ſondern dem ſchönen Geſchlecht ſeine Beſtimmung ſo zeigt, daß es ſeine Zeit
nicht auf Tändeleyen, ſondern auf nüzliche Kenntniße zu verwenden weiß , nach deren Anwendung die kluge
und fromme Gattin am Ende ihrer Laufbahn mit jener Matrone verglichen werden kann, die Abbt ſo ſchön ge
ſchildert hat.
Dieſe vortreffliche Schrift aber iſt betitelt;
die Hausmutter in allen ihren Geſchäften, beſteht
aus 5 Bänden und iſt zu Leipzig bei I. F. Junius in de Gert Jahren herausgekommen. Ueberſeer,
&SFR)
457
möge, alswenn die Experimente mehrerer mechaniſchen Künſte einem Menſchen allein oder wenigen, die ſich durch Geſpräche unterrichten können, bekannt worden ſind;
oder wenn durch dieſe ſogenannte Verſezung
oder Uebertragung der Experimente die Künſte ſich gegenſeitig zum Zunder dienen, und durch die Ver miſchung der Strahlen ſich gleichſam entzünden kön nen. Denn obwohl der Weg der Vernunftlehre durch das Organon weit größere Dinge verſpricht: ſo ſtreut doch dieſe Scharfſinnigkeit durch die gelehrte Erfahrung inzwiſchen das meiſte von dem was in der Nähe iſt unter das menſchliche Geſchlecht gleich ſam als öffentliche Geſchenke aus. Es iſt noch jene Verſezung von dem Theil der Kunſt auf einen an dern verſchiedenen Theil übrig; welche wenig von der Verſezung der Kunſt auf die Kunſt verſchieden iſt: weil aber einige Künſte großen Umfang einnehmen, daß ſie auch die Verſezung der Experimente zwiſchen ſich leiden können, ſo hat es dienlich geſchienen,
auch dieſe Art der Verſezung beyzufügen. Beſon ders weil ſie in einiger Kunſt von ſehr großer Wich tigkeit iſt. Denn allerdings wird es zur Erweiterung der Arzneykunſt von großem Nuzen ſeyn, wann die
Erperimente jenes Theiles der Arzneykunſt von Hei lungen der Krankheiten auf jene Theile von Schüzung der Geſundheit und Verlängerung des Lebens verſezt werden. Denn wann ein ſtarkes Opiat zur Unter
drückung der wütenden Entzündung der Geiſter in einer bösartigen Krankheit dienlich ſeyn mag; ſo ſollte man nicht zweifeln,
daß nicht etwas gleiches,
das
in gehöriger Gabe gewöhnlich gemacht worden, auch
jene glimmende und ſchleichende Entzündung, welche Ff 5
durch
&-Fººd
453
durch das Alter entſteht, einigermaßen dämpfen und zurückhalten könnte.
Und ſo viel von der Verſezung
des Experiments.
/
Die Umkehrung des Erperiments geſchiehet, wenn das Gegentheil deßen, was durch das Erperi ment bekannt iſt,
bewieſen wird.
Zum Beyſpiel:
das Warme wird durch die Spiegel verſtärkt: obwohl auch das Kalte ? ferner, indem ſich das Warme ausdehnt, ſteigt es jedoch mehr in die Höhe: wird wohl auch das Kalte, indem es ſich ausdehnt in die Tiefe ſich ziehen ? man nehme zum Beyſpiel einen eiſernen -
ab
und mache denſelben an dem einen
Ende heiß, und richte hierauf das Eiſen auf, indem man den geheizten Theil unterhalb ſtellt; wenn man auf den obern Theil die Hand legt, ſo wird er alsbald ſolche verbrennen,
wenn man aber den ge
heizten Theil oberhalb ſtellt,
und die Hand unter
wärts legt, ſo wird das Brennen weit ſpäter erfol
gen.
Wird wohl nun auch, wenn der ganze Stab
gehizt wird, und das eine Ende durch Schnee oder einen in kalt Waßer getauchten Schwamm feucht
wird, wird wohl, ſage ich, wenn der Schnee oder
der Schwamm oberhalb angebracht wird, die Kälte geſchwinder unterwärts gehen, als wenn ſie unten angebracht worden, oberwärts? ferner, die Sonnen ſtrahlen zerſpringen auf dem Weißen , auf dem
Schwarzen ſammlen ſie ſich: werden nun wohl auch die Schatten auf dem Schwarzen zergehen, auf dem Weißen ſich ſammlen? wie wir ſehen, daß es an einem finſtern Ort, wo das Licht nur durch eine
geringe Oefnung einbricht, geſchiehet als wo die -
Bilder
&SFRd
,
Bilder der Dinge, welche außen ſind, weißen Papier aufgenommen werden
459
auf einem auf einem
ſchwarzen keineswegs. Ferner, die Ader der Stirne wird wider das hinter Hauptweh geöfnet: wird nun wohl auch das Hinterhaupt geſchröpft wider das vordere Hauptweh? Und ſo viel von der Umkehr des Erperiments.
Die Anſtrengung des Erperimentes geſchieht, wo das Erperiment biß zur Vernichtung oder Be raubung der Kraft getrieben und verlängert wird: denn auf den übrigen Jagden wird das Wild nur gefangen: auf dieſer aber wird es getödtet. Ein
Beyſpiel der Anſtrengung iſt folgendes. Der Magnet zieht das Eiſen an:
ſtrenge alſo das Eiſen,
oder
der Magnet an, daß die Anziehung nicht weiter ge ſchieht: nemlich, ob vielleicht der Magnet, wenn er
gebrandt, oder in ſtarken Waßern mazerirt worden, ſeine Kraft ablegt, oder wenigſtens datinn nachläßt?
ob im Gegentheil, wenn der Stahl oder das Eiſen zu einem Eiſen - Safran oder zum ſo genannten präparirten Stahl gemacht werden, oder auch in ſtarker Flüßigkeit aufgelößt werden, der Magnet ſie
noch anzieht ? ferner, der Magnet zieht das Eiſen durch alle Zwiſchenmittel, welche wir kennen, an ſich, wenn nemlich Gold, Silber, Glas darzwiſchen gelegt wird. Strenge alſo ein Zwiſchenmittel, wenn es
geſchehen kann, ſo an, daß es die Kraft unterbricht; man verſuche das Quekſilber,
man verſuche Oel,
Gummi, glühende Kohlen und andere Dinge welche bisher noch nicht verſucht worden ſind.
Ferner, es
ſind jüngſt Gläſer eingeführt worden,
welche das
A
kleine
&SFR
46e»
kleine ſichtbare auch ſehr vervielfachen. Strenge deren Gebrauch auf ſo kleine Arten an,
daß ſie weiter
nicht vermögen, oder auf etwas größere, damit ſie unterſchieden werden,
ob man z. B. dasjenige im
Urin deutlich entdecken kan, was ſonſten nicht geſehen würde ? ob man in den Edelſteinen die ganz rein und glänzend ſind, Körner oder Wölckchen erblicken
kan ?
ob ſie auch die Sonnenſtäubchen (welche ſehr
falſch dem Demokritus für ſeine Atomen und Grund
theile der Dinge vorgeworfen wurden) größere Körper zeigen ?
als etwas
ob ſie ein etwas gröbliches
Pulver aus Einnober und Bleyweiß ſo zertheilt zei gen, daß hier rothe Körnerchen dort weiße erſchei nen ? denn wieder, ob ſie größere Bilder (als das
Angeſicht, das Auge u. ſ. w.) ſo vielmahl vergrößert zeigen, als vielmahl ein Floh oder ein Würmgen? ob ſie die feinſte Leinwand oder dergleichen zartes etwas lokeres leinenes Gewebe ſo durchlöchert zeigten, als wenn es ein Nez wäre ? Allein wir wollen uns mit den Anſtrengungen der Erperimente nicht ſo lange
aufhalten, weil ſie faſt außer den Grenzen der ge
lehrten Erfahrung fallen, und vielmehr zu den Ur ſachen und Grundſäzen und dem neuen Organon gehören, denn aller Orten geſchieht eine Verneigung oder Beraubung oder Ausſchließung;
es fängt ſchon
an einigermaßen zur Erfindung der Formen helle zu werden.
Und ſo viel von der Anſtrengung des Ex
periments,
Die Anwendung des Erperiments iſt nichts an
ders, als deßen ſinnreiche Verwendung zu einem andern nüzlichen Erperiment. Das Beyſpiel ſey fol gendes:
&SFRd
461
gendes: jeder Körper hat ſeine Ausmeßung, ſeine Schweere : das Gold hat mehr Schweere, weniger Ausmeßung, als das Silber: eben ſo iſt es mit dem Waßer gegen den Wein, davon wird das nüzliche
Experiment hergeleitet, daß man nach einem angefüllten Maas und aufgenommenen Gewicht unterſcheiden kann, wie viel Silber dem Gold oder Waßer dem Wein
beigemiſcht iſt:
daher auch das kupnaa des Archi
medes") entſtanden.
Ferner, das Fleiſch fault in
einigen Kellern eher als in andern: es würde nüzlich
ſeyn, dieſes Erperiment zur Erkennung der mehr oder mindern geſunden Luft und Wohnung anzuwen den , wo nemlich das Fleiſch am längſten vor der Fäulniß verwahrt wird: eben dieſes kann zur Ent
deckung geſinder oder ungeſunder Jahreszeiten ange wandt werden.
unzählich.
Dergleichen Beyſpiele aber ſind
Die Menſchen ſollen nur wachſam ſeyn,
und ihre Aufmerckſamkeit immerhin bald auf die Natur
der Dinge, bald auf den Nuzen für die Menſchheit richten. Und ſo viel von der Anwendung des Erpe riments.
Die Verbindung des Experiments iſt eine
Verknüpfung und Kette der Anwendungen; da das jenige was einzeln zu einigen Gebrauch nicht dienlich geweſen wäre, in der Verbindung mächtig iſt. Zum Bey
*) Einigen zu lieb muß man kurz ſagen, daß dies Grie, chiſche Wort ſo viel heißt als: ich hab' es gefunden;
Archimedes nemlich hatte eine Betrügerey von einem Goldſchmidt vermuthet, und als er im Baad war, der Entdeckung dieſer wichtigen Betrügerey nachgedacht, und die Art derſelben auch während dem Baaden durch das Waßerwägen gefunden, deswegen ſogleich aus dem Baade
geſprungen, und ausgeruffen ºpnºs.
Ueberſeer.
& GFN
462
Beyſpiel; man will noch ſpäte Roſen oder Früchte haben:
dies wird geſchehen, wenn man die frühzei,
tigen Augen ausreißt; eben dies wird geſchehen wenn man die Wurzeln biß mitten in Frühling entblößt und der Luft ausſezt; noch mehr aber wenn beides zuſammen verbunden wird. Ferner, etwas zu er kälten, dienen hauptſächlich das Eiß und der Salpeter; beydes vermiſcht und verbunden weit mehr.
auch dieſe Sache iſt an ſich klar.
Allein
Jedoch kann hier
öfters ein Trug ſtatt finden, - (wie bei allem wo
Grundſäze manglen) wenn die Verbindung mit Din gen geſchieht,
welche auf verſchiedene und gleichſam
ſtreitende Arten wircken.
Und ſo viel von der Ver
bindung des Experiments. Es iſt noch das Ohngefehr des Erperiments übrig. Aber dieſe Art Verſuche anzuſtellen iſt ganz unvernünftig und gleichſam toll:
da man etwas
verſuchen zu wollen Luſt hat, nicht diesfals, weil entweder die Vernunft, oder ein anderes Erperiment darzu anleitet, ſondern bloß darum, weil die gleiche Sache noch niemals verſucht worden iſt. Jedoch
weiß ich nicht, ob in dieſer Sache ſelbſt (wovon wir jezt reden) nicht was anderes großes verborgen liegt: wenn man ſo zu ſagen jeden Stein in der Natur bewegt. Denn die Wunder der Natur liegen faſt
außer den betrettenen Wegen und der gemeinen Bahn, daß auch die Abgeſchmacktheit der Sache bisweilen förderlich iſt. Wenn aber die Vernunft zugleich die
Begleiterin iſt, das iſt, daß es ſowohl offenbar iſt, daß gleiche Experiment ſeye niemahls verſucht worden, als auch eine ſtarcke Urſache vorliegt,
warum es verſucht
HÄFT
463
verſucht wird, alsdenn iſt dieſe Sache eine der beſten, und ſchüttet allerdings den Schoos der Natur aus.
Zum Beyſpiel in der Wirkung des Feuers auf einen natürlichen Körper iſt bisher immer eins von dieſen beyden geſchehen, daß entweder etwas davon fliegt, (wie die Flamme und der Rauch beim gemeinen Brennen) oder wenigſtens eine örtliche Abſonderung
der Theile geſchieht:
und auf einige Weite, wie in
der Deſtillation, wo die Hefen zu Boden ſizen, die
Dünſte in Behältniße nach ihrem Umſchweben ge ſammelt werden. Aber die verſchloßene Deſtillation (denn ſo können wir ſie nennen) hat noch kein Menſch
verſucht (zu Bacons Zeiten): es ſcheint aber wahr, ſcheinlich, daß die Stärke der Wärme, wenn ſie immer den Behältnißen des Körpers ihre Kräfte im Verändern äußert
und weder ein Verluſt des Kör
pers noch auch deßen Befreyung vor ſich gehet, als dann erſt dieſen Proteus der Materie, der gleichſam gefeßelt iſt, zu mehreren Umſtaltungen bringen werde, wenn nur die Wärme alſo gemäßiget und abgewechſelt
wird, daß kein Zerſpringen der Gefäße geſchiehet. Denn gleich, weder daß in
es iſt dieſe Sache der natürlichen Bärmutter wo die Hize wirkt und nichts von dem Körper ausgeworfen noch abgeſondert wird: außer der Bärmutter die Nahrung verbunden wird:
aber in Abſicht der Verwandlung ſcheint es die nem
liche Sache zu ſeyn.
Dies iſt alſo das Ohngefehr
des Erperiments.
-
Indeßen wollen wir in Abſicht dergleichen Erpe, rimente erinnert haben, daß niemand den Muth ſinken laße, oder ſich gleichſam ſchäme, wenn die Erperi -
mente,
464
FÄFT
mente, denen er obliegt, ſeiner Erwartung nicht ent,
ſprechen.
Denn was glücklich von ſtatten geht,
gefällt zwar wohl; aber was nicht zutrift, unterrichtet öfters nicht weniger gut.
Und dies iſt auch immer
wohl zu merken (das wir beſtändig einſchärfen) daß man noch mehr auf Kenntniß bringende als auf Geld bringende Erperimente ſehen müße.
Und ſo viel
mag von der gelehrten Erfahrung genug geſagt ſeyn;
welche, wie wir ſchon oben erwähnt haben, vielmehr ein Forſchen und ein iagdähnliches Spüren als eine
Wißenſchaft iſt. Von dem neuen Organon aber ſchweigen wir jezt und ſagen nichts vorläufiges da von; weil wir darüber ein ganzes Werk zu ſchreiben vorhaben. VS-TsS>ADS/A Sº
SZASNWZ<TNSLSTA
3tes Capitel. Eintheilungen der Beweiserfindung in die vorräthige und in die ſelbſt gefundene. Eintheilung der ſelbſtgefundenen in die all gemeine und in die beſondern. Ein Beyſpiel der beſonderen in der Unterſuchung des Schweren und Leichten. ºß
ie Erfindung der Beweiſe iſt eigentlich keine Er findung. Denn erfinden heißt das Unbekannte
entdecken, nicht das Vorbekännte aufnehmen, oder ſich Der Gebrauch und die Vers deßen zurück erinnern. g richtung dieſer Erfindun aber ſcheint nichts anders,
als daß man aus der Maße der Wißenſchaft
"; ſ
Rekºrd
/
455
ſich die Seele geſammelt und eigengemacht, dasjenige aufrichtig heraus nehme, was zur vorliegenden Sache oder Frage dienlich iſt. Dann welchem wenig oder nichts von dem vorgetragenem Gegentheil bekanne
worden iſt, dem nuzen die Stellen der Erfindung nicht; wer aber im Gegentheil bei ſich die Kenntniß der Sache und was dazu dient, wohl vorbereitet
findet; der wird auch ohne Kunſt und Erfindungs ſtellen endlich die Beweisthümer, obwohl nicht ſo fertig und bequem, auffinden und darſtellen.
So daß,
dieſe Gattung Erfindung wie wir geſagt haben, ei gentlich nicht Erfindung iſt; ſondern blos eine Zurück führung ins Gedächtniß oder eine Darſtellung mit Anwendung. Weil jedoch aber das Wort im Gange und angenommen iſt, ſo mag ſie allerdings Erfindung heißen; indem auch das Jagen eines Wildes eine Auffindung genennet wird, es mag immer in den Be
hältnißen des Thiergartens oder in dem offenem Walde aufgeſpüret werden. Jedoch mit Vorbeygehung aller Wortglaubereyen iſt ſo viel wahr, daß der Zweck
und die Abſicht dieſer Sache vielmehr eine gewiße Geſchwindigkeit und Fertigkeit in dem Gebrauch unſe rer Kenntniß als eine Erweiterung oder ein Wachsthum derſelben ſey.
Daß nun aber immer eine fertige Unters
haltung zugegen ſey, ſo kan eine doppelte Weiſe beob achtet werden. Entweder man bezeichnet und deutet gleichſam mit dem Finger an, nach welchen Theilen die
Sache erforſcht werden ſolle; und dies iſt diejenige, welche wir, nach den Umſtänden, die ſelbſtgefundene nennen. Oder es iſt ſchon vorher alles vor
handen und die Beweiſe liegen nach dieſer Vorherbeſor
gung in Abſicht derjenigen Dinge vorräthig, welche Gg
öfters
466
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öfters vorkommen und zu beſtreiten ſind :
und dieſe
wollen wir die vorräthige nennen. Dieſe leztere aber verdienet kaum als ein Theil der Wißenſchaft genannt zu werden, da ſie vielmehr in dem Fleiß als in einer
künſtlichen Gelehrſamkeit beſtehet.
Jedoch aber ver
lachet hierinn Ariſtoteles die Sophiſten ſeiner Zeit zwar wizig, aber mit Nachtheil, wenn er ſagt:
ſie
machen es eben ſo, als wenn ein Schuhmacher die
Art einen Schuh zu machen nicht lehrte, ſondern blos Schuhe von verſchiedener Geſtalt und Größe denen Wißbegierigen darlegte. Doch darf man dagegen einwenden, wann ein Schuſter feine Schuhe in ſeiner Werckſtädte hätte und ſie nur beſtellt machen wollte,
er ganz dürftig bleiben und ſehr wenige Käufer finden würde. Aber zu einem erhabenen Beyſpiel zu gehen, ſo ſagt unſer Heyland, wenn er von der göttlichen
Wißenſchaft redet, weit beſſer alſo : jeder Schrift kundiger in dem Himmelreich, iſt einem Hausvater
gleich, der aus ſeinem Schaz altes und neues her vorbringt. Wir ſehen auch, daß die alten Redner ihren Nachfolgern die Lehren gegeben, daß ſie man cherlei Gemeinſtellen bei der Hand haben ſollten, und zwar ſolche, die ſchon längſt bearbeitet und auf beide
Seiten angewandt worden: zum Beyſpiel : für die Meinung des Geſezes wider den Buchſtaben des Ge
ſezes, und umgekehrt: für die Treue der Beweiſe wider die Zeugniße, und umgekehrt. Cicero ſelbſt aber behauptet durch lange Erfahrung belehret allers dings, daß ein fleißiger und emſiger Redner ſchon viel vorgedachtes und vorbearbeitetes habe, das er
hernach bei der wirklichen Beſtreitung anwende: ſo daß er in der Behandlung der Sache ſelbſt nichts neues oder
FFEN
467
oder unvermuthetes einſchalten müße, außer neuen Nahmen, und einigen beſonderen Umſtänden. Aber
der Fleiß des Demoſthenes und ſeine Sorgfalt ſind ſo weit gegangen, daß er in dem Bewuſtſeyn, wie
viel der erſte Angrief und der anfängliche Zugang auf die Vorbereitung der menſchlichen Gemüther vermöge/
es der Mühe werth hielt die meiſten Anfänge ſeiner Auftritte und Anreden an das Volck im voraus zu
verfaßen, und als vorräthig in Bereitſchaft zu haben. Und dieſe Beyſpiele, die ſich auf ein ſolches Anſehen gründen, mögen billig die Meinung des Ariſtoteles überwiegen, der uns anrathen wollte, daß wir unſere ganze Garderobbe mit einem Ueberrock vertauſchen ſollten. Alſo iſt dieſer Theil der Gelehrſamkeit in Abſicht der vorräthigen Wißenſchaft nicht zu vernach läßigen geweſen. Wovon nun hier Orts genug.
Denn da er beyden, ſowohl der Logik als Rethorik gemein iſt; ſo hat es uns gedeucht, ihn hier unter den logiſchen Vorträgen nur beiläufig mit zu nehmen;
da wir deßen ausführlichere Behandlung für die Res thorik behalten.
Den andern Theil der Erfindung, nemlich die ſelbſtgefundene,
wollen wir in die allgemeine und
beſondere eintheilen.
Die allgemeine iſt diejenige
welche in der Dialektik fleißig und weitläuftig behans delt worden iſt; daß es nicht nöthig iſt, mit deren Erklärung ſich aufzuhalten. Jedoch ſcheint dieſes beis
läufig erinnerungswürdig, daß jene ſelbſtgefundene nicht nur in Beweiſen gelte, wo wir mit andern zu
ſtreiten haben; ſondern auch in Betrachtungen, worins nen wir ſelbſt was bedenken und überlegen. Ja ſie Gg 2
beſtes
4S
&TFS
beſtehet nicht blos darinnen, daß man behaupte, was zu bejahen oder zu verneinen ſey; ſondern wie müßen auch dardurch einſehen, was zu erforſchen oder zu fragen ſey. Aber eine kluge Frage macht gleich ſam die Helfte des Wißens aus. Denn Plato hat recht, wenn er ſagt: wer etwas fragt, der hat ſelbſt einen allgemeinen Begrif von dem was er fragt: wie kann es anders ſeyn, daß er das was erfunden wor
den ſonſt kennen ſollte. Je weitläuftiger und gewißer alſo unſere vorgefaßte Srkenntniß iſt; deſto geradec und kürzer wird die Unterſuchung ſeyn. Alſo werden eben diejenigen Stellen, welche zur Aufklärung unſers
Verſtandes und zur Benuzung der in demſelben ent haltenen Kenntniß dienen, auch darzu förderlich ſeyn, um die auswärts befindliche Wißenſchaft an ſich zu ziehen: ſo mögen alſo geſchickte und verſtändige Leute
auf eine nüzliche und kluge Art befragt werden,
eben ſo mag man Schriften und Bücher und Theile der Bücher, die uns über das was wir ſuchen, beleh ren und unterrichten,
mit Ruzen auswählen und
aufſuchen. Aber der beſondere Theil der ſelbſtgefundenen Erfindung trägt zu dem geſagtem weit mehr bei und iſt für die fruchtbareſte Sache zu halten. Es iſt allerdings eine leichte Erwehnung derſelben von eini, gen Schriftſtellern geſchehen, ſie iſt aber nicht voll kommen und nach der gehörigen Würde behandelt worden. Wir wollen alſo jenen Fehler und Stolz, die allzulang in den Schulen die Oberhand gehabt, ablegen : ſolche nemlich haben das was ſchon längſt
gleichſam bei der Hand lag,
mit einer unendlichen Spiz
&SFD
469 --
Spizfindigkeit verfolgt und das was etwas entfernt
geweſen, nicht einmahl berührt: wir hingegen wollen dieſen beſondern Theil der ſelbſtgefundenen Erfindung als ſehr nüzlich anſehen, und ihn für Unterſuchungs und Entdeckungs - Stellen die auf beſondere Gegen
ſtände und Wißenſchaften angewendet worden, hal ten. Es ſind aber vermiſchte Dinge, die aus der Logik und der eigenen Materie der Wißenſchaften
ſelbſt hergenommen ſind,
denn derjenige muß ſehr
ſchlecht und enge denken, welcher davor hält, daß die Kunſt von Erfindung der Wißenſchaften gleich von Anfang, als vollkommen, ausgedacht und vor
gelegt werden könne, werden müße.
und eben ſo hierauf getrieben
Aber die Menſchen ſollen allerdings
wißen, daß die gründlichen und ächten Erfindungs Künſte mit den Erfindungen ſelbſt wachſen und zu nehmen: ſo daß derjenige, welcher anfänglich die Un terſuchung einer Wißenſchaft unternimmt, einige
nüzliche Erfindungs- Regeln haben kan: nach weiterm Fortgang in der Wißenſchaft ſelbſt aber ebenfals auch neue Erfindungs- Regeln, die ihn mit mehr Glück weiter führen, ausdencken könne und müße. Dieſe Sache iſt allerdings einem auf der Ebene angetretenen Wege gleich:
denn nachdem wir einen
Theil des Weges gemacht haben, ſo haben wir nicht nur das gewonnen, daß wir dem Ziel unſerer Reiſe näher ſind, ſondern wir können auch den noch übrigen Weg deutlicher ſehen : eben ſo giebt uns in den
Wißenſchaften jede zurückgelegte Stufe auf dem Wege der Erkenntniſ, das noch zuerſteigende näher zu er
kennen. Ein Beyſpiel dieſer beſondern Erfindung oder Gg 3
-
Topick
FF d
47o
Topick wollen wir jedoch hierbeiſezen, weil wir ſie unter das Vermißte zählen. Ein Beyſpiel dieſer beſondern
ſelbſtgefundenen
Erfindung oder Unterſuchungs, Artikel über das Schwere und Leichte.
1. Man unterſuche, wie die Cörper beſchaffen ſeyn, welche der Bewegung, der Schwere fähig ſind, wie diejenigen, die der Bewegung, der Leichtigkeit fähig ſind; und ob es Mittel, Dinge zwiſchen dieſen beiden in der Natur giebt? -
2. Nach der einfachen Unterſuchung über die Schwere und Leichtigkeit, ſchreite man zur verglei chenden Unterſuchung;
welche
unter den ſchweren
Cörpern nemlich mehr, welche weniger, in gleicher Ausmeßung wägen ? auch welche unter den leichten
Cörpern geſchwinder in die Höhe getrieben werden, welche ſpäter?
3. Man untersuche, was die Quantität des Cör pers zur Bewegung der Schwere vermöge und könne? es möchte dieſes dem erſten Anſcheine nach gleichſam
überflüßig ſcheinen, weil die Verhältniße der Bewe gung den Verhältnißen der Quantität folgen müßen.
Aber die Sache verhält ſich anders; dann obwohl in den Wagen die Quantität der Schwere des Cörpers
ſelbſt gleich kommt, (da die Kräfte des Cörpers aller Orten durch die Zurücktreibung oder den Widerſtand der Wagſchalen oder des Balkens zuſammen kom
men) ſo vermag dech bei einem kleinem Widerſtand pple
SFD
47
(wie in dem Herunterfallen der Cörper durch die
Luft) die Quantität des Cörpers wenig zum Betrieb des Niederſteigens;
da zwanzig Pfund Bley,
und
ein Pfund, faſt in gleichem Raum niederfallen, 4. Man unterſuche, ob die Quantität des Cör pers alſo vermehrt werden könne, daß die Bewegung der Schwere gänzlich abgelegt werde ? wie an dem Erdball geſchieht, welcher ſchwebend iſt, und nicht fällt. Ob alſo andere Mafien ſo groß ſeyn können, daß ſie ſich ſelbſt tragen - denn das Hinſchweben
nach dem Mittelpunet der Erde, iſt ein Mährchen; und jede große Maße ſcheuet ſich gleichſam davor,
wo ſie nicht von einem andern ſtärkerm Antrieb ge fördert wird,
5. Man unterſuche, was der Widerſtand eines Zwiſchenkörpers oder eines Cörpers vermöge, welcher
der Leitung von der Bewegung der Schwere be gegnet. Ein niederſteigender Cörper aber durchſchnei det und durchdränget entweder den begegnenden Cör
per, oder er wird von ihm aufgehalten, Wenn er ihn durchdringt, ſo geſchieht das Durchdrängen ent weder mit leichtem Widerſtand, oder mit ſtärkerm wie im Waßer,
wie in der Luft: Wenn er aufge
halten wird, ſo geſchieht es entweder durch ungleichen Widerſtand, wo die Beſchwerung vorgeht, als wann
Holz auf Wachs gelegt wird; oder durch Waßer, wenn gleichſam das Waßer auf dem Waßer ſteht; oder das Holz auf gleicher Gattung Holz. Wovon die Schule in einem Bedeutungsloſen Ausdruk ge ſagt, daß ein Eörper nur außer ſeinen Plaz wäge.
Gg 4
Alles
&ººd
472
Alles dieſes aber verändert
die Bewegung
der
Schwere: denn anders bewegt ſich das Schwere auf
der Wage, anders im Fallen: auch anders, welches wunderbar ſcheinen kan, auf Wagen die in der Luft hangen, anders auf Wagen die im Waßer einge taucht ſtehen: anders in dem Abfallen durchs Waßer, anders in dem Schwimmen, oder dem Schweben über dem Waßer,
6“ Man unterſuche, was die Figur des nieder, ſteigenden Cörpers vermöge und würke, um die Be wegung der Schwere zu leiten? als die breite Figur mit der Dünnigkeit, die würflichte, die länglichte, « die runde, die pyramidenförmige: und wann ſich die Cörper wenden, wenn ſie in der Lage in der ſie nie dergelaßen werden, bleiben?
7. Man unterſuche, was die Fortdauer und die Fortſchreitung des Falles
oder Niederſteigens ſelbſt
darzu vermöge und würke, daß das Schwere mit größerm Antrieb und Anfall getrieben werde? und in welcher Verhältniß und wie weit jener Antrieb an wachſe? indem die Alten nach einer leichten Betrach tung gewähnt haben, daß dieſe natürliche Bewegung beſtändig vermehret und verſtärket werde, 8. Man unterſuche, was die Entfernung oder die Niederſteigung des Körpers von der Erde darzu beitrage, daß er geſchwinder oder ſpäter oder auch gar nicht fällt (wenn er nur außer dem Wirkungs kreiß des Erdballs geweſen iſt, welches Gilberts Mei
nung war) und zugleich unterſuche man was die Ein
&ººd
473
Einſenkung des niederſteigenden Cörpers in die weitere
Tiefe der Erde, oder deßen nähere Stellung zür Oberfläche der Erde bewirke und vermöge? denn dieſe
Sache verändert auch die Bewegung, wie die Arbei ter in den Erzgruben wißen. 9. Man unterſuche, was der Unterſchied der
Eörper, durch welche die Bewegung der Schwere aus fließt und mitgetheilt wird,
vermöge und bewirke:
und ob ſie gleichlich durch weiche und lokere Cörper
wie durch harte und feſte mitgetheilt werde: ob nem lich,
wann der Wagbalke auf der einen Seite der
Zunge hölzern, auf der andern Seite ſilbern, jedoch aber von gleichem Gewicht, ſolches keine Veränderung in der Wage erzeuge? ferner, ob das Metall wel
ches - in Wolle oder eine aufgeblaßene Blaſe gelegt worden, eben das wäge, was es auf dem Boden der Wage wiegt? -
ro. Man unterſuche, was in der Mittheilung von der Bewegung der Schwere die Entfernung des Cörpers von dem wägen, das iſt die geſchwinde und ſpäte Empfindung des Auflegens oder Niederdrückens
vermöge und bewirke: als wie an Wagen, wo der eine Wagbalke länger, obwol auf das gleich Gewicht gebracht iſt, ob nemlich da eben dieſes die Wage
anders richte? oder wie an ſpizigen Röhren, wo der
längere Theil gewiß Waßer ziehen wird ? obwohl der kürzer gemachte Theil als der geräumlichere ein größeres Gewicht Waßer enthält.
Gg
5
II - Man
EFRd
474
11. Man unterſuche, was die Zwiſchenmiſchung, oder die Verbindung des leichten Eörpers mit dem
ſchweren Cörper, zur Erhöhung der Schwere des Cörpers in dem Gewicht der todten und der lebendi
gen Thiere vermögen. 12. Man unterſuche, die geheimen Aufſteigungen
und Abſteigungen der leichtern und ſchwerern Theile in einem ganzen Cörper:
woher öfters die genauen
Abſonderungen entſtehen mögen ? wie in der Aben derung des Weins und des Waßers in dem Auf
ſteigen der Blume der Milch und dergleichen. 13. Man unterſuche, welches die Linie und Rich tung der Bewegung der Schwere ſei, und in wiefern ſie entweder dem Mittelpunct der Erde das iſt, der Maße der Erde, oder dem Mittelpunct des Eörpers ſelbſt, das iſt, der Verbindung ſeiner Theile folge. Denn jene angenommene Mittelpuncte ſind nur zu Beweiſen geſchickt, in der Natur gelten ſie nichts, 14. Man unterſuche, die Vergleichung der Be
wegung der Schwere mit andern Bewegungen;
welche
ſie nemlich überwinde, welchen ſie weiche ? ſo wie durch die ſogenannte gewaltſame Bewegung, die Be wegung der Schwere eine Zeitlang gehemmt wird; ſo wie ein weit größeres Stück Eiſen von einem klei nen Magnet in die Höhe gehoben wird - und
die Bewegung der Schwere Sympathie weicht,
alſo
der Bewegung der
15. Man
&SFR)
475
15. Man unterſuche, die Bewegung der Luft, ob ſie in die Höhe getrieben wird,
oder gleichſam
gleichgültig iſt ? welches ſchwer auszufinden iſt, wo man nicht einige ausgeſuchte Erperimente anſtellt. Dann das hervorſcheinen der Luft auf dem Grund des Waßers geſchieht vielmehr durch den Strich des Waßers, als durch die Bewegung der Luft, da eben dieſes auch an dem Holz geſchiehet. Die mit der Luft vermiſchte Luft aber zeigt nichts, da die Luft
in der Luft nicht minder die Leichtigkeit darſtellt, als das Waßer in dem Waßer die Schwere: in der
mit einem dünnen Häutgen überzogenen Blaſe aber ſteht ſie eine Zeitlang. 16. Man unterſuche, was das Ende der Leich tigkeit ſei ? denn gleichwie der Mittelpunct der Erde zum Mittelpunct der Schwere angenommen worden iſt; ſo will man glaube ich keinesweges, daß die lezte Wölbung des Himmels das Ende der Leichtig
keit ſey.
Mag es wohl eher ſo ſeyn, daß wie das
Schwere ſo weit getrieben wird, daß es fällt und gleichſam zu dem Unbeweglichen gelangt, alſo auch das Leichte ſo weit getrieben werde, daß es ſich
umzudrehen anfängt ohne Ende fortgeht?
und gleichſam zur Bewegung
17. Man unterſuche,
was die Urſach ſey,
warum die Dünſte und Dämpfe ſo weit in die Höhe getrieben werden, als die ſogenannte mittlere Gegend
der Luft reicht? da es auch gröblichte Materien ſind Uli )
z-Fººd
476
und die Sonnenſtrahlen Abwechslungsweiſe des Nachts, wegbleiben.
nemlich
18. Man unterſuche, die Leitung von der Be
wegung der Flamme in die Höhe,
Welches deſto
ſchwerer zu erforſchen iſt , weil die Flamme in jedem einzelnen Zeitpuncten abſtirbt, wo ſie nicht etwa in der Mitte größerer Flammen iſt: denn die von ihrem Zuſammenhange abgerißene Flammen dauren nicht lange.
19. Man unterſuche, die in die Höhe gehende Bewegung ſelbſt von der Wirkſamkeit des Warmen: da nemlich die Wärme in einem glüendem Siſen
weit eher in die Höhe als abwärts glimmt. Dies ſei alſo ein Beiſpiel von der beſondern ſelbſtgefundenen Erfindung oder Topik: inzwiſchen wollen wir vorher dasjenige." wir zu erinnern angefangen haben wieder erinnern. Daß nemlich
die Menſchen ihre beſondere" Erfindungen ſo wechſeln müßen, daß ſie nach einigen in der Unterſuchung gemachten größern Schritten wieder nach einer andern Erfindung und ſº immer nach weitern und abgeän
dertem ihre Unterſuchung" anſtellen, wenn ſie anders den Gipfel der Wißenſchaften beſteigen wollen. Wir
halten aber unſers Qº
ſo viel auf dieſe beſondere
Äus dem eigenen Nachdenken
und nicht nach dem
Vorrath an Wißenſchaften gefundene Selbſterfindun gen, daß wir uns vornehmen ein eigenes Werck zu verfaßen, worinnen wir ſolche, welche würdige und
dunkele Gegenſtände der Nº“ Wißenſchaft betref fen,
&SFQ
fen, vortragen wollen.
-
477
Denn von den Fragen ſind
wir Meiſter, aber nicht von den Dingen.
Und ſo
viel mag von der Erfindungs-Kunſt genug ſeyn. *) Wpº-DRG-FSSSsº-Na-Fºa
4tes Capitel. Eintheilung der Kunſt zu urtheilen, in das Urtheil durch die Induction und das Ur theil durch die Schluß - Formel. Unter welchen das erſtere dem neuen Organon
zugefügt wird.
Erſte Eintheilung des Ur
theils durch die Schluß- Formel in die ge
rade und umgekehrte Zurükbringung. Zweyte Eintheilung deßelben in die Analytik und
in
die Lehren von den Widerlegungen.
Eintheilung der Lehre von den Widerle gungen in die Widerlegungen der Sophis
men,
die Widerlegungen der Erklärung,
und die Widerlegungen der Bilder. Ein theilung der Bilder in dreyerlei Arten. Anhang der Kunſt zu urtheilen, nemlich von der Analogie der Beweiſe nach der Natur des Gegenſtandes.
W“
gehen nun zu dem Urtheil, oder der Kunſt
zu urtheilen über, worinn von der Natur der
Beweiſe, oder der Demonſtrationen gehandelt wird. In *) Anmerk. des Ueberſ.
Wer dieſen Theil der Logik
näher zu kennen verlangt, der mache ſich beſonders unter den -
&SFR)
47F
In dieſer Kunſt zu urtheilen aber, wie ſie auch insgemein angenommen iſt, wird entweder durch die Induction oder durch die Schluß, Formel geſchloßen. Denn die unausgedrukte Gedanken - Schlüße und die Beyſpiele ſind nur zwey kurze Wege derſelben. Was
aber das Urtheil anbetrift,
welches durch die In
duction entſteht, ſo muß uns diesfals nichts aufhal ten: indem dasjenige was man ſucht durch die gleiche
Arbeit des Geiſtes ſowohl gefunden als beurtheilt wird. Denn die Sache geſchieht nicht durch ein gewißes Mittel, ſondern unmittelbar, faſt auf eben die Weiſe
wie es mit den Sinnen geſchieht.
Denn die Sinne
ergreiffen ſowohl an ihren erſten Gegenſtänden die Art des Gegenſtandes als erkennen ſie auch zugleich
die Wahrheit deßelben: anders aber geſchieht es in der Schluß, Formel, deren Beweiß nicht unmittelbar iſt, ſondern mittelbar zu ſtande gebracht wird. So iſt es eine andere Sache um die Erfindung des Mit tels, eine andere um das Urtheil von der Folgerung des Beweiſes.
Dann zuerſt läuft der Geiſt gleichſam
herum, hernach ruht er.
Wir thun aber den Aus
ſpruch daß die Form der Induction gewöhnlich ganz fehlerhaft ſei und behalten die richtige in unſerm neuen Organon zu beſtimmen vor. Es mag alſo hier Orts von dem Urtheil durch die Induction genug geſagt ſeyn. Was den Alten die Schriften des Ariſtoteles und unter den Neuern die eines Leibniz und Malebranche bekannt;
und was die angeführte Unterſuchung über das Schwere und Leichte anbetrift, ſo wird ihm die WNewtoniſche
Philoſophie Aufklärung verſchaffen.
479
Was ſoll man von jenem andern durch die Schluß , Formel ſagen ? da dieſe Sache mit den feinſten Feilen ſchon abgeſchliffen und auf viele Spiz findigkeiten gebracht worden iſt. - Auch iſt es kein Wunder,
da es eine Sache iſt, welche mit dem
menſchlichen Verſtande eine große Zuſammenſtimmung hat. Denn der menſchliche Geiſt trachtet und ſtrebet auf wunderbare Weiſe dahin, daß er nicht in Unge wißheit ſchwebe, ſondern etwas feſtes und unbeweg liches erlange, worauf er ſich in Unterſuchungen und Beſtreitungen als auf einen feſten Grundſtüzen könne.
Denn gleichwie Ariſtoteles zu beweiſen ſich bemühet, daß in jedem bewegenden Körper etwas gefunden werde was ruhet, und er die alte Fabel von dem
Atlas, der ſelbſt aufgerichtet, den Himmel auf ſeinen Schultern gehalten, ſehr ſchön auf die Pole der Welt anwendet, an welchen die Umkehrungen geſchehen: eben ſo begehren die Menſchen mit großer Emſigkeit, daß ſie in ſich gleichſam einen Atlas der Gedanken oder Pole haben, welche die Wendungen und die Drehungen des Verſtandes ſicher regieren mögen, indem ſie befürchten es möchte ſonſt ihr Himmel einfallen. Alſo haben diejenigen allzu voreilig zur Aufſtellung der Crundſäze der Wißenſchaften geeilet,
welche alle Mannichfaltigkeit der Beſtreitungen in Abſicht derſelben ohne Gefahr des Zernichtens und Fallens umzuwenden glaubten, da ſie fürwahr nicht wußten, daß derjenige, welcher allzueilig nach dem Gewißen haſcht, mit Zweifeln endigen werde: daß
aber derjenige welcher ſein Urtheil zeitig zurückgehalte, zur Gewißheit kommen werde. Es
z-Fººd
480
Es iſt alſo offenbar, daß dieſe Kunſt durch die Schluß, Formel zu urtheilen nichts anders ſey als die Zurückbringung der Säze auf Grundſäze durch Mittelſäze.
Grundſäze aber ſind diejenigen, welche
durch die allgemeine Uebereinſtimmung angenommen worden und von der Streitfrage ausgenommen ſind. Aber die Erfindung der Mittelſäze wird dem frenem
Scharfſinn und der eigenen Unterſuchung überlaßen. Es iſt aber jene Zurückbringung zweyfach nemlich die gerade und umgekehrte. Die gerade iſt diejenige, da der Saz ſelbſt auf den Grundſaz zurückgebracht wird: welches der darſtellende Beweiß genennt wird. Die umgekehrte iſt, da das Widerſprechende des Sazes auf das Widerſprechende des Grundſazes zu rückgebracht wird; welches man den Beweis durch die
unſchicklichkeit nennt.
Die Anzahl der Mittelſäze
oder deren Leiter wird aber vermehrt oder vermindert. je nachdem die Entfernung des Sazes von dem Grundſaze iſt.
Dieſes vorausgeſezt, wollen wir nun die Kunſt des Urtheils, wie insgemein zu geſchehen pflegt, in
die Analytik und in die Lehre von den Widerlegungen eintheilen:
die eine zeigt an, die andere warnet:
denn die Analytik lehret die ächten Formeln von den Schlußfolgen der Beweiſe; wann hievon abgegangen oder damit geändert wird, ſo findet man den Schluß fehlerhaft.
Und dieſes ſelbſt enthält eine gewiße Widerlegung oder Beſchuldigung in ſich. Denn das Richtige iſt, wie man ſagt, ſowohl ein Richter ſeiner ſelbſt als auch
-
&SFD
48E
Nichtsdeſtoweniger dient es auch des Verkehrten. hier zur Sicherheit, die Widerlegungen gleichſam als Warner anzunehmen,
damit die Trugſchlüße deſto
leichter entdeckt werden, die ſonſt das Urtheil beſtricken. In der Analytik aber vermißen wir nichts; ja es iſt ihr vielmehr viel überflüßiges zur Laſt, als daß ſie Zuſäze bedarf.
Die Lehre von den Widerlegungen theilen wir gerne in drey Theile: in die Widerlegungen der Sophiſmen, die Widerlegungen der Erklärung und in die Widerlegungen der Bilder. Die Lehre von den Widerlegungen der
Sophismen iſt ſehr nüzich: denn obwohl dieſe allzu fruchtbare Gattung der Trugſchlüße von dem Seneka
nicht unſchicklich mit den Künſten der Taſchenſpieler verglichen wird: von welchen wir nemlich nicht wißen wie es damit zugeht; jedoch aber ſo viel wißen, daß ſich die Sache anders verhält als ſie dem Anſchein
nach iſt: eben ſo verurſachen die Sophismen, daß jemand nicht allein was zu antworten habe, ſondern ſie verwirren auch in der That mit ihrer Spizfindigkeit die Beurtheilung. -
*
-
Dieſer Theil von der Widerlegung der Sophismen iſt in Abſicht der Regeln von dem Ariſtoteles vortref lich behandelt worden : und in Abſicht der Beyſpiele noch beßer von Plato : und zwar nicht nur in der
Perſon der alten Sophiſten, des Gorgias, Hippias, Protagoras, Euthydemus, und der übrigen, ſon dern auch in der Perſon des Socrates ſelbſt, als
der immer das that, daß er nichts bejaht, ſondern das
432
HFF.
das von den übrigen Vorgebrachte geſchwächt, und ſo auf das wizigſte die Arten der Trugſchlüße und Widerlegungen ausgedruckt hat.
Alſo vermißen
wir in dieſem Theil nichts. Das iſt jedoch zu merken, däß, obwohl der rechtſchaffene und vorzügliche Ge brauch dieſer Lehre unſerm Vortrag gemäß darinnen liege, daß die Sophiſmen widerleget werden; ſo erhellet nichts deſtoweniger offenbar, daß deren aus gearteter und verdorbener Gebrauch auf Verfänglich keiten und Widerſprechungen abziele, die durch jene Sophismen ſelbſt aufgeſtellet und errichtet werden. Dieſe Gattung Fähigkeit wird zwar für vortrefflich gehalten, und bringt nicht geringen Nuzen; jedoch hat ein gewißer ganz artig jenen Unterſchied zwiſchen den Redner und Sophiſten angeführt, daß nemlich der eine einen Haſenfänger gleich im Laufen vorzügli cher ſey, der andere aber dem Haſe ſelbſt ähnlich im
Wenden und Drehen einen Vorzug habe. Nun folgen die Widerlegungen der Erklärung: zuvor aber müßen wir wieder auf dasjenige aufmerkſam
machen, was wir oben, da wir von der Urphiloſophie
Ä
von den zufälligen und hinzugekommenen
edingnißen der Weſen geſagt haben.
Selbige ſind,
das Größere, das Kleinere; Viel, Wenig; das Erſtere, das Leztere; das Nemliche, das Verſchiedene;
die Wirkſamkeit, die Wirkung; die Gewohnheit, die Ablegung; das Ganze, die Theile; das Thätige, die Bewegung; das Daſeyn, das Nichtdaſeyn; und dergleichen.
Man mercke ſich aber beſonders und
erinnere ſich, daß jene Betrachtungen der angeführten
Dinge, wie wir geſagt haben, verſchieden ſeyn: daß ſie
d
&-Fººd
-
483
fe nemlich entweder phyſicaliſch oder logicaliſch unterſucht werden können: die phyſicaliſche Unterſuchung ders ſelben aber, haben wir der Urphiloſophie angewieſen. Es bleibt nun die logicaliſche übrig:
dieſe aber iſt
ſelbſt das, was wir gegenwärtig die Lehre von den
Widerlegungen der Erklärung nennen.
Dieſe iſt
allerdings ein geſunder und guter Theil der Gelehre ſamkeit. Denn dieſes haben jene allgemeinen und gemeinſchaftlichen Begriffe an ſich, daß ſie in alles Beſtreitungen überall vorkommen; ſo daß wenn ſie nicht genau und mit einem gemeßenen Urtheil gleich
von Anfang wohl unterſchieden werden, ſie der ganzen Aufklärung der Beſtreitungen ſehr viel Verwirrung verurſachen, und es beinahe dahin bringen werden daß die Beſtreitungen in Wortſtreite ſich endigen.
Denn die Zweideutigkeiten und üble Aufnahmen der Wörter, beſonders dieſer Gattung, ſind Sophiſmen Daher es uns auch beßer gedeuche der Sophiſmen. hat, ihre Abhandlung beſonders aufzuſtellen; als ſie entweder in die Urphiloſophie oder Methaphyſik aufzu nehmen; oder zum Theil der Analytik zu unterwerfen/
wie Ariſtoteles ziemlich unordentlich gethan hat.
Wir
haben ihr aber den Nahmen nach dem Gebrauch ge geben, weil ihr wahrer Gebrauch ganz die Widerle gung, und die Vorſicht in Anwendung der Wörter iſt. Ja wir glauben, daß jener Theil von den allgemeinen
Eigenſchaften einen vorzüglichen Nuzen erlange, wenn man ihn vorſichtig dazu anwendet,
daß man die
Ausdrücke der Benennungen und Abtheilungen wohl beſtimmt und nicht verſezt oder mit einander verwirrt, welches wir auch dadurch anmerken wollen. Und ſo viel Hh 2 -
-
&S Fººd
484
viel mag von den Widerlegungen der Erklärung genug ſeyn. Was aber die Widerlegungen der Bilder anbetrift, ſo ſind ſolche Bilder die größeſten Täuſchungen für den menſchlichen Geiſt. Denn ſie täuſchen nicht nur in dem Beſonderm, wie die übrigen Trügereyen, daß ſie das Urtheil verfinſtern und Schlingen legen, ſon dern allerdings nach einer ſchwachen und verkehrt an geſtellten vorher angenommenen Lage des Geiſtes welche gleichſam alle Beſiznehmungen des Verſtandes
ablencket und verderbet. Denn weit gefehlt, daß der menſchliche Geiſt, der durch den Körper umzogen und verdunckelt iſt, einem ebenen,
gleichen, und
hellen Spiegel ähnlich ſei der die Strahlen der Dinge unverſehrt aufnehme und zurückwerfe, ſo iſt er vielmehr einem Zauberſpiegel gleich, der voller Aberglauben und Geſpenſter iſt.
Dem Verſtande werden aber die
Bilder aufgedrungen, entweder durch die allgemeine Natur des menſchlichen Geſchlechtes ſelbſten : oder durch die beſondere Natur eines jeden : oder durch die
Worte, als die mittheilende Natur. Die erſte Gattung pflegen wir Bilder des Pöbels; die zweyte, Bilder der Verborgenheit; die dritte, Bilder des Verkehrs zu nennen. Es giebt auch eine vierte Gattung, welche wir Bilder der Vorſtellung nennen, und welche von ſchlimmen Theorien oder Philoſophien, und ver
kehrten Geſezen der Beweiſe eingeführt worden iſt: allein dieſe Gattung kann verworfen und abgelegt wer
den :
alſo wollen wir ſie gegenwärtig übergehen. -
Die
F
&SF Id
43S
Die übrigen aber benebeln den Geiſt gänzlich, und kön nen gar nicht völlig ausgerottet werden.
Diesfals darf
niemand einige Analytik in Abſicht derſelben erwarten: ſondern die Lehre von den Widerlegungen, iſt in Anſehung der Bilder ſelbſt die uranfängliche Lehre. Auch kann, die Wahrheit zu geſtehen, die Lehre von den Bildern in keine Kunſt gebracht werden: ſondern es iſt blos, um in Abſicht derſelbigen vorſichtig zu ſeyn, eine
gewiße überlegende Klugheit nöthig. Die gänzliche und tiefe Behandlung dieſer aber ſammlen wir zum neuen
Organon : da wir nur weniges hier Orts überhaupt davon ſagen wollen.
-
Ein Beyſpiel der Bilder des Pöbels ſei folgendes.
Die Natur des menſchlichen Verſtandes, wird mehr durch beiahende und wirkliche als durch verneinende und benehmende Säze bewegt; da er ſich doch richtig und ordentlich
bey beyden / gleich bezeigen muß.
Im Gegentheil aber empfängt derſelbe von einer Sache
einen ſtärkern Eindruck, wenn ſie nur einmal bekannt
iſt und feſt ſizt, als wann eben dieſelbe weit mehrere mahl trügt oder gegenſeitig ausfällt. Und dies iſt gleichſam die Wurzel alles Aberglaubens und einer
eitlen Leichtglaubigkeit.
Denn mit Recht hat jener,
dem die im Tempel aufgehängten Bilder derjenigen gezeigt wurden, die nachgethanen Gelübten die ſie auch geleiſtet hatten, dem Schiffbruch entgangen waren, auf die Frage, ob er dann nun wohl die Gottheit des Neptuns erkenne ? gegenſeitig gefragt, aber wo
ſind denn auch nun die Bilder derjenigen, die nach Hh 3
gethas
435
z-Fººd
gethanen Gelübden ertrunken ſind ? und gleiche Beſchaffenheit hat es mit dem übrigen Aberglauben, den Calender Mährchen, den Träumen, Ahndungen, Ein anderes Beyſpiel ſey dieſes: und dergleichen.
der menſchliche Geiſt
(da er ſelbſt eine gleiche und
einförmige Subſtanz iſt) ſezt eine größere Aehnlichkeit und Einförmigkeit in der Natur der Dinge voraus,
als in der That iſt. Daher kommt das erdichtete Vorgeben der Mathematiker, daß an den himmliſchen Körpern alles durch vollkommene Cirkel beweget werde,
indem ſie die Spirallinie verwerfen: daher geſchieht es auch, daß ebgleich vieles in der Natur alleinſtän dig, und voll Unähnlichkeit iſt; - jedennoch das
menſchliche Dencken immer das Beziehende Parallele, und Verbundene , darzu dichtet: denn von dieſer Quelle iſt das Element des Feuers mit ſeinem Kreiß
hergeleitet worden, um die vierzähliche Zahl mit den übrigen dreyen, (der Erde, dem Waßer, der Luft) aufzuſtellen, Die Chemiker aber haben ein fanatiſches Heer allgemeiner Dinge aufgerichtet, indem ſie durch
die eitelſte Erdichtung vorgegeben, daß in ihrer vier
zähligen Anzahl jener Elemente (Himmel, Luft, Waßer, und Erde) die einzelnen einander Parallelen und gleichförmigen Arten gefunden werden.
Das
dritte Beyſpiel gränzt an das obige; daß der Menſch
gleichſam die Richtſchnur und der Spiegel der Natur werde : denn es iſt kaum glaublich, (wenn man das
Einzelne durchgeht und bemerkt) welch einen großen Haufen Bilder, die Zurückbringung der natürlichen Operationen auf die Gleichheit der menſchlichen Hand lungen in die Philoſophie gebracht habe : und dies eben darum, weil man glaubt, daß die Natur eben -
das
&-Fººd
437
das thue was der Menſch thut. Auch iſt dieſes nicht viel beßer, als jene Kezerey die Gott einen menſchli chen Leib andichtet, welche ſtupide Mönche in ihren Cellen ausgeheckt haben: oder jene Meinung des
Epikurs, die eben der leztern obwohl im Heidenthum entſpricht, nach welcher er den Göttern die menſchliche
Geſtalt zueignete. Aber es iſt nicht nöthig geweſen, daß ein epikuriſcher Vellejus gefragt, warum Gott den Himmel mit Sternen und Lichtern wie ein Aedil
(die Aedilen waren die Aufſeher der öffentlichen Gebäude bei den Römern) gezieret habe? denn wenn ſich jener oberſte Werckmeiſter nach der Art eines Aedils betragen hätte, ſo hätte er die Sterne in einige ſchöne und zierliche Ordnung anordnen ſollen, ſo wie ohngefehr die mühſam bearbeiteten Decken in den Pal läſten der Großen ausſehen; da im Gegentheil ſchwerlich jemand in der ſo unendlichen Anzahl der Sterne einige viereckigte, oder dreyeckigte oder gerad linigte Figur aufzeigen möchte. So groß iſt die
Verſchiedenheit der Harmonie zwiſchen dem Geiſt des Menſchen und zwiſchen dem Geiſt der Welt, Was die Bilder der Verborgenheit anbetrift, ſo haben ſie ihren Urſprung von eines jeden eigenen
Natur, ſowohl nach der Seele als nach dem Leibe, als auch von der Erziehung und der Gewohnheit,
und den zufälligen Dingen welche einzelnen Menſchen begegnen. Dann jenes Sinnbild von der Höhle Platos iſt ſehr ſchön. Denn wenn jemand (wenn' wir auch jene ausgeſuchte Spizfindigkeit der Parabel
übergehen) von der erſten Kindheit an in einem verborgenen Ort, oder in einer dunkelen und unter Hh 4
-
-
-
irrdi
488
&FRd
irrdiſchen Höhle, biſ zu reifem Alter lebte, und alsdann plözlich in das freye und offene hervorgienge, und den Himmel und was da iſt anſchauete; ſo iſt kein Zweifel, daß die wunderbareſten und abgeſchmack,
teſten Phantaſien in ſeiner Seele entſtehen und vor, gehen würden. Wir aber leben nun unter dem Anſchaun des Himmels, indeßen ſtecken unſere See len dennoch in den Höhlen unſerer Körper verborgen;
daß ſie unendliche Bilder von Irrthümern und Täu ſchungen erhalten müßen, da ſie nur ſelten und auf eine kurze Zeit hervorgehen und nicht beſtändig in der Betrachtung der Natur, als gleichſam unter freyen Himmel, verweilen. Indem mit jenem Sinnbild von der Höhle des Plato jene Parabel des Heraklits
am beſten übereinkommt; daß nemlich die Menſchen
in ihren eigenen Welten und nicht in der größern Welt die Wißenſchaften ſuchen. Die Bilder des Verkehrs nun, ſind die be ſchwerlichſten, welche aus einem ſtillſchweigendem Vortrag zwiſchen den Menſchen über die aufgelegte
Nahmen und Wörter ſich in den Verſtand eingeſchli chen haben. Die Wörter aber werden gemeiniglich nach dem Begrif des Pöbels angenommen;
und
ſcheiden die Sachen durch die Unterſchiede deren der
Pöbel fähig iſt; wann aber ein feinerer Verſtand, oder eine fleißigere Beobachtung die Sache beßer unterſcheiden will, ſo ſind ihm die Worte entgegen.
Und das Hülfsmittel darwider, nemlich die Deſini tionen, kann in den meiſten Fällen dieſen Uebeln
nicht abhelfen, weil auch ſelbſt die Definitionen aus Worten beſtehen, und die Worte wieder Worte zeugen. Denn
&SFRd
489
Denn wir glauben zwar, daß wir über unſere Worte gebiethen; allein es heißt doch : man muß reden wie der gemeine Haufen, und dencken wie ein Weiſer.
Ob gleich die Kunſtwörter (welche bei den Sachver ſtändigen allein gelten) dieſer Sache genug thuend ſcheinen können; und die den Künſten vorangeſezten
Benennungen und Erklärungen (der Klugheit der Mathematik Verſtändigen gemäß) die ſchlimme An nahme der Wörter zu verbeſſern vermögen,
ſo iſt
dennoch all dieſes nicht hinreichend, daß nicht die Spielereyen und Täuſchungen der Wörter ſehr ver führeriſch ſeyn, dem Verſtand eine gewiße Gewalt anthun, und ihren Angrif nach Art einer tartari ſchen Pfeilſchießung wieder in den Verſtand zurück treiben ſollten, daher ſie gekommen ſind. Diesfalls iſt für dieſes Uebel ein weiterdringendes und neues
Heilmittel nöthig.
Wir berühren es aber nur hier
beiläufig, ſtellen jedoch dieſe Lehre unter das Ver mißte, welche wir die großen Widerlegungen, oder -
die Widerlegungen der angebohrnen und bedingten Bilder des menſchlichen Geiſtes nennen wollen.
Wir
zählen aber die gehörige Ausführung davon zum neuen Organon.
-
Es iſt noch ein großer Anhang der Kunſt zu ertheilen übrig, den wir auch unter das Vermißte ſezen. Indem zwar Ariſtoteles die Sache bemerckt,
die Art der Sache aber nirgends gezeigt hat. Sie deutet an, welche Beweiſe für dieſe oder jene Ge genſtände oder Materien angewandt werden müßen: daß dieſe Lehre alſo die Beurtheilungen der Beur
theilungen enthält.
Sehr gut hat Ariſtoteles erin Hh 5
nert/
& GF d
496
nert, daß man weder die Beweiſe von den Rednern, noch die Ueberredungen von den Mathematikern for
dern müße. Wenn alſo in der Gattung des Beweiſes geir, ret wird, ſo iſt auch die Beurtheilung noch nicht ſelbſt vollendet. Da es aber vier Gattungen der Beweiſe oder Demonſtrationen giebt, entweder durch die
unmittelbare Uebereinſtimmung
und Begriffe,
oder durch die Induction, oder durch die Schluß, formel, oder durch das was Ariſtoteles mit Recht den Beweis im Cirkel (der nemlich nicht von dem wißenſchaftlichern ſondern von dem deutlich ſeyn ſol
lenden entſteht) genennet hat; ſo haben dieſe einzelne Beweiſe gewiße Gegenſtände und Materien der Wiſ
ſenſchaften,
in welchen ſie vorzüglich zu gebrauchen
ſind, andere von welchen ſie ausgeſchloßen werden. Denn die Strenge und Neugierde welche in einigen
allzuſcharfe Beweiſe fordern,
und noch mehr die
Leichtigkeit und Nachgiebigkeit, welche ſich mit allzu leichten Beweiſen in andern beruhigen, ſind unter dasjenige zu zählen, was den Wißenſchaften den meiſten Nachtheil und die gröſte Hinderniß gebracht
hat. Und ſo viel mag von der Kunſt zu urtheilen geſagt ſeyn, 5tes *) Anmerk. des Ueberſ. In Abſicht dieſes Kapitels wird man in der vortrefflichen Schrift des Herrn Bants, welche die Aufſchrift: Critik der reinen Vernunft hat, und in des verſtorbenen großen Philoſophen Lam. berts Organon viele Aufklärung finden. Ueberhaupt ſind dieſe zwey Schriften den Liebhabern der Philoſophie v nicht genugſam zu empfehlen,
& Fººd
491
gº-gº-RG/FSSS LAN®-TNE-D.
5tes Capitel. Eintheilung der Behaltungskunſt,
in die
Lehre von den Beyhülfen des Gedächtnißes, und in die Lehre von dem Gedächtniß ſelbſt. Eintheilung der Lehre von dem
Gedächtniß ſelbſt in die Vorkenntniß und das Sinnbild.
D“ Behaltungskunſt,
oder die Kunſt etwas im Gedächtniß zu verwahren, theilen wir in zwey
Kehren: nemlich in die Lehre von den Beyhülfen des Gedächtnißes; und in die Lehre von dem Gedächtniß ſelbſt. Die Beyhülfe des Gedächtnißes iſt allerdings das Schreiben und fürwahr zu erinnern, daß das Gedächtniß ohne dieſe Beyhülfe weitläufteren und weitgehenden Dingen nicht gewachſen ſey; und auf keine Weiſe, außer durch das Schreiben unterſtüzt, für gültig angenommen werden müße. Welches auch vornemlich in der Philoſophie durch Beyſpiele, und in der Erklärung der Natur ſtatt findet: denn man kan weder die Berechnungen eines Tagebuchs durch
das bloße Gedächtniß ohne das Schreiben zu ſtande bringen, noch können die angebohrnen und bloßen Kräfte des Gedächtnißes zur Erklärung der Natur hinreichen; wo nicht eben dieſes Gedächtniß durch ordentliche Tabellen unterſtüzt wird. Allein auch mit Uebergehung der Natur Erklärung, welche ein neuer
Zweig der Gelehrſamkeit iſt, kan für die alten und allge
492
&FFRd
allgemeinen bekannten Wißenſchaften beinahe nichts nüzlicher ſeyn, als eine gute und gründliche Beihülfe des Gedächtnißes; das iſt eine richtige und gelehrte Sammlung von Gemeinpläzen. Doch iſt mir nicht unbekannt; daß die Uebertragung deßen was wir leſen
oder lernen, auf Gemeinpläze von einigen der Ge lehrſamkeit zum Schaden angerechnet wird, daß ſie nemlich den Fortgang des Leſens aufhalte und das Gedächtniß zur Trägheit reize. Weil es jedoch eine fälſchliche Sache iſt, in den Wißenſchaften ein Herold und beredt zu ſeyn , wo man nicht auch gründlich
und vielfach unterrichtet iſt; ſo urtheilen wir, daß der Fleiß und die Emſigkeit in Zuſammentragung von Gemeinpläzen eine Sache von ſehr großem Nuzen und Gründlichkeit im Studiren ſey; als welche gleichſam der Erfindung Vorrath ſchaft und die Schärfe des Urtheils auf eines zuſammenzieht. Je doch iſt es wahr, daß unter denen Methoden und Einrichtungen der Sammlungen von Gemeinpläzen, die wir noch zu Geſicht bekommen haben, keine gefun
den wird, welche einigen Werth habe : indem ſie mehr nach der Schule als nach der Welt eingerich tet ſind, pöbelhafte und pedantiſche Eintheilungen nicht aber ſolche haben, welche das Mark der Dinge und das Weſen derſelben auf jede Weiſe durch drängen.
In Abſicht des Gedächtnißes ſelbſt aber, ſcheint man noch in der Unterſuchung ſehr träge und ſehr nachläßig geweſen zu ſeyn. Es iſt freylich einiges von einer ſolchen Kunſt vorhanden; allein es iſt uns bekannt, daß man ſowohl beßere Regeln von Unter ſtüzung
&SFD
493
ſtüzung des Gedächtnißes werde haben können, als jene Kunſt in ſich begreift; als daß auch die Aus übung jener Kunſt ſelbſt beßer werde angeſtellt wer
den können, als bisher geſchehen iſt.
Doch zweiflen
wir nicht (wenn jemand dieſe Kunſt zur Pralerey
mißbrauchen will) daß nicht durch dieſelbige einige ſeltſame Wunder geleiſtet werden können: aber nichts deſto weniger iſt die Sache ſo wie ſie jezt getrieben
wird, für den Nuzen der Menſchheit gleichſam ganz öde.
Indeßen aber geben wir ihr nicht ſchuld, daß
ſie das natürliche Gedächtniß verderbe und beläſtige, wie ihr insgemein vorgeworfen wird, ſondern daß ſie nicht auf die rechte Art eingerichtet ſey,
um die
Beyhülfen des Gedächtnißes in ernſthaften Dingen und Geſchäften bequem zu machen.
eigen,
Uns aber iſt das
(vielleicht wegen unſer Lebensart in einem
öffentlichen Amte des Staates) daß wir dasjenige
gering ſchäzen, was zwar mit der Kunſt prahlt, aber keinen Nuzen ſchaft. Denn das Wiederholen einer großen Anzahl Nahmen oder Wörter in eben
der Ordnung als man ſie vorgeſagt, oder das Ver faßen mehrerer Reime, aus dem Stegreif über jeden Inhalt oder das Satyriſiren über alles was einem
vorkommt, oder das Spaßen über alle ernſthafte Dinge, oder das Widerſprechen und Wortſpielen und
dergleichen (wovon in den Kräften der Seele kein
geringer Vorrath iſt
und welche bis zum Wunder
durch Wiz und Uebung erhöht werden können) hal, ten wir alles und was ihm ähnlich iſt, nicht höher als die Geſchwindigkeiten und Poßen der Seiltänzer und Taſchenſpieler. Denn ſie ſind faſt einerley: - da dieſe die Kräfte des Eörpers und jene die Kräfte der Seele
&#FR.
494
Seele mißbrauchen und vielleicht etwas von Bewun,
derung an ſich haben, an Würde wenig. Die Kunſt des Gedächtnißes aber ruhet auf einer doppelten Aufmerkung; der Vorkenntniß und dem Sinnbild. Die Vorkenntniß nennen wir eine
gewiße Abſchneidung der unendlichen Aufſuchung. Denn wenn ſich jemand etwas ins Gedächtniß zu rufen bemühet, und er hat keine Vorkenntniß oder keine Empfindung deſen was er ſucht,
ſo läuft er
gleichſam bald hier bald da herum und ſucht und beſtrebet ſich wie im Unendlichen wo er ſich an nichts
halten kan.
Hat aber jemand einige gewiße Vor
kenntniß; ſo wird das Unendliche alsbald abgeſchnit
ten, und das Hin und Herlaufen des Gedächtnißes geſchiehet mehr in der Nähe ; wie das Jagen des Damhirſches inner den Umzäumungen. Eben ſo unterſtüzt auch die Ordnung offenbar das Gedächtniß. Denn es iſt die Vorkenntniß vorhanden, daß das was geſucht wird, ſo beſchaffen ſeyn müße, daß es mit der Ordnung übereinkomme. Gleichfals werden Verſe leichter auswendig gelernt als Proſe. Denn wenn man bei einem Wort ſtecken bleibt, ſo iſt die
Vorkenntniß vorhanden, daß es ein ſolches Wort ſeyn müße, welches mit dem Vers übereinkommt. Und alſo iſt die Vorkenntniß der erſte Theil des künſtlichen Gedächtnißes.
Dann in dem künſtlichen
Gedächtniß haben wir ſchon vorher geſammelte und vorhandene Stellen, die Bilder ſchaffen wir jederzeit ſo wie es die Sache erfordert.
Aber die Vorkennt
niß iſt vorhanden, daß es ein ſolches Bild ſeyn müße, welches einigermaßen mit der Stelle über einkomme. Welches dann das Gedächtniß reizt, und
z-Fººd
495
und ihm einigermaßen den Weg zu der geſuchten Sache bahnt.
Das Sinnbild aber bringt das durch
den Verſtand Begreifliche oder das Intellectuelle, auf das Sinnliche : das Sinnliche aber erſchüttert das Gedächtniß ſtärker, und druckt ſich leichter in demſelbigen ein, als das Intellectuelle. So daß
auch das Gedächtniß der Thiere durch das Sinnliche gereizt wird,
durch das Intellectuelle keinesweges.
Alſo behält man leichter das Bild eines Jägers der einen Haſen verfolgt, oder eines Apothekers der ſeine Büchſen in Ordnung ſtellt, oder eines Geiſtlichen der eine Rede hält, oder eines Knaben der ſeine Verſe auswendig herſagt, oder eines Schauſpielers der Handlungen vorſtellt; als die Begriffe der Er findung, der Anordnung des Vortrags, des Ge dächtnißes, der Handlung, ſelbſten. Es giebt noch andere Dinge welche zur Unterſtüzung des Gedächt
nißes gehören, wie wir geſagt haben; die Kunſt aber welche man jezt hat, beſteht aus den zwey gemeldeten Dingen. Die beſondere Mängel der Künſte aber durchzugehen, würde uns von unſerm Plan abführen. Alſo mag das von der Behaltungskunſt Geſagte genug ſeyn.
Nun kommen wir aber zu dem vierten
Abſchnitt der Logik, welcher den ſchriftlichen und mündlichen Vortrag abhandelt. *)
Sechs *) Anmerk. des Ueberſ. In Abſicht des Gedächtnißes, wovon dieſes Capitel handelt, findet man viel gutes in des geiſtvollen Garve Anmerkungen zu Ferguſons Moral Philoſophie und in Hartmanns Sophron
oder Beſtimmung des Jünglings; auch einiges Lehrreiches in Flögels Geſchichte des menſchlichen Verſtandes und in Huarts Prüfung der Köpfe zu den Wißenſchaften.
&SFSd
496
WEW-Seº-ºSF-“F*NSºLºd-seva
Sechtes Buch. -
-
-
An den König. Iſtes Capitel. Eintheilung des Vortrages in die Lehre von dem Bau der Rede ;
die Lehre von der
Methode der Rede; und in die Lehre von
der Erläuterung der Rede.
Eintheilung
der Lehre von dem Bau der Rede in die
Lehre von den Merkzeichen der Dinge: dem Sprechen und dem Schreiben. Unter welchen die zwey lezteren die Grammatik ausmachen und ihre Eintheilungen ſind. Die Eintheilung der Lehre von den Merk zeichen der Dinge, in die Hieroglyphen und in die wirklichen Charaktere. Zwote Eintheilung der Grammatik in die buch
ſtäbliche und philoſophiſche.
Anhang der
Poeſie, in Abſicht des Sylbenmaßes, zur Lehre von dem Sprechen; Anhang der
Lehre von den Ziffern, zur Lehre vom Schreiben.
-
-
s mag wohl einem jeden, beſter König, erlaubt ſeyn, über ſich ſelbſt und über das Seinige zu
lachen und zu ſpotten.
Wer weiß wohl, ob etwan nicht
-
d-Fººd
49?
nicht dieſes unſer Werk aus einem alten Buch ab, geſchrieben worden, das unter den Büchern jener ſo berüchtigten Bibliothek des heiligen Victors, deren Catalogus der Magiſter Franciſcus Rabeleſius gelie fert hat, gefunden worden iſt ? denn man trifft
darunter ein Buch an, das den Titel hat: Ameiſen haufe der Künſte. Wir haben allerdings einen ſehr kleinen Haufen Staub zuſammen getragen und unter
demſelben ſehr viele Körner der Wißenſchaften und Künſte verſtekt, damit die Ameiſen herum kriechen, nach und nach ausruhen, und bisweilen zu neuen Arbeiten ſich fertig machen können. Der weiſeſte der Könige aber verweiſet alle Faulen zu den Ameiſen -
wir aber nennen diejenigen Menſchen faul, welchen nur am Herzen liegt, das Erworbene zu genießen, und nicht bisweilen neue Saaten und Ernden der
Wißenſchaften zu thun. Laßt uns nun zu der Kunſt des Vortrages ſchreiten, welche das Erfundene Beurtheilte, und im Gedächtniß Behaltene vorbringt, und ausſpricht; welche wir mit dem allgemeinen Nahmen Vortrag benennen wollen. Er begreift alle Künſte in Abſicht der Reden und Wörter unter ſich. Denn obwohl die Vernunft gleichſam die Seele der Rede iſt, ſo
müßen doch in der Behandlung Vernunft und Rede nicht anders als Leib und Seele von einander getren
net werden.
Wir wollen den Vortrag oder die
Lehre des Vortrags in drey Theile theilen, in die Lehre von dem Bau der Rede; in die Lehre von der
Methode der Rede; und in die Lehre von der Erläu terung oder der Zierde der Rede. Ji
.
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498
MSFA
Die insgemein angenommene Lehre von dem Bau der Rede, welche auch die Grammatik genennet wird, iſt zwofach: die eine behandelt das Sprechen, Denn mit Recht ſagt die andere das Schreiben. Ariſtoteles; die Worte ſind Zeichen der Gedanken, die Buchſtaben der Worte.
Wir werden beydes der
Grammatik anweiſen. Damit wir jedoch tiefer in die Sache eindringen, ſo iſt überhaupt von der Einrich tung des Vortrags vorher zu reden, ehe wir zur Grammatik und deren ſchon benannte Theile kommen. Denn es ſcheint noch außer den Worten und Buch
ſtaben einige andere Merkzeichen des Vortrags zu geben. Denn dieſes iſt allerdings feſt zu ſezen: was in ſehr zahlreichen Unterſchiede zur Erklärung der Mannigfaltigkeit der Begriffe abgeſchnitten werden kann (wenn nur jene Unterſchiede den Sinnen be
greiflich ſind) kann ein Mittel zur Mittheilung der Gedanken der Menſchen an Menſchen abgeben. Dann
wir ſehen, daß die durch Sprachen unterſchiedenen Nationen ihre Geſchäfte nicht übel durch Gebehrden ausrichten. Wir wißen aber aus dem Leben einiger taub und ſtummgebohrner Menſchen die ſonſt wizig waren, daß unter ihnen und ihren Freunden welche
ihre Gebehrden gelernet hatten, wunderbare Dialogen gehalten worden ſind. Ja es iſt auch bereits be kannt, daß man in China und in den Ländern des äußerſten Orients anjezt gewiße Sach - nicht Nah mens Charaktere hat, welche nemlich weder die Buch ſtaben noch die Wörter,
ſondern die Sachen und
die Begriffe ausdrücken.
So daß mehrere Völker,
die in Sprachen ganz von einander verſchieden ſind,
in dergleichen Charakteren aber, die bei ihnen in einer
&SFSd
499
einer etwas weiten Bedeutung angenommen ſind, übereinſtimmen, ſich durch Schriften einander ſo ſehr verſtändlich machen, daß jedes Volk ein mit deralei
chen Charakteren verfaßtes Buch in der vaterländiſchen Sprache leſen und geben kan.
-
"
Die Merkzeichen der Dinge, welche ohne Hülfe oder ohne das Mittel der Wörter die Dinge bezeich
nen, ſind von zwofacher Art: unter welchen die er: ſtere die Art nach dem Gleichförmigen die andere aber die Art nach dem Verglichenen andeutet.
Die
von der erſtern Art ſind die Hieroglyphen und die Geberden: von der lezteren aber ſind die eben ge nannte Sachcharactere.
Der Gebrauch der Hiero,
glyphen iſt ſehr alt und in einer gewißen Verehrung gehalten worden: beſonders bei den Egyptiern einem ſehr alten Volke: ſo daß es ſcheint, die Hieroglyphen ſeyen ein gewißes längſt bekanntes Schreiben und älter gls die Anfänge der Buchſtaben ſelbſt, bei den Hebräern etwa ausgenommen, geweſen. Die Geber
den aber ſind in Rückſicht auf die Hieroglyphen hin fällig. Denn gleichwie die ausgeſprochene Worte gleichſam verfliegen, ſo bleiben die geſchriebenen; eben
ſo vergehen auch die durch Geberden ausgedrückte Hieroglyphen, die abgemahlte dauren. Denn Peri ander, der um die Erhaltung der Tyrannen befragt
worden, den Abgeſanden aber ſtehen hieße, und er ſelbſt inzwiſchen im Garten herum wandelte und die Spizen der Blumen abſchlug,
womit er auf den
Tod der Oberſten deutete, hat eben ſo wohl eine Hieroglyphe gebraucht, als wenn er dies auf dem
Papier abgezeichnet hätte. Dies iſt inzwiſchen offen Ji 2
bar
-
des Fººd
5oo
bar, daß die Hieroglyphen und Geberden immer einige Gleichheit mit der bezeichneten Sache haben und ge
wiße Sinnbilder ſeyn; daher wir ſie Merkzeichen der Dinge nach dem gleichförmigen genennet haben. Die Sachcharactere hingegen haben nichts ſinnbildli ches an ſich, ſondern ſind ganz ſtumm, nicht anders
als die Zeichen der Buchſtaben ſelbſt, und ſind bloß nach dem Vergleich errichtet, durch die Gewohnheit aber als einen ſtillſchweigenden Vortrag angenommen. Inzwiſchen erhellet zugleich, daß man eine ungeheure
Menge derſelben zum Schreiben nöthig habe: denn es müßen ſo viele ſeyn, als Wurzelwörter ſind. Dieſen Theil der Lehre von dem Bau der R.de/ welcher von den Merkzeichen der Dinge handelt, ſezen wir alſo unter das Vermißte. Denn obwohl ſein Gebrauch gering ſcheinen könnte, da das Sprechen und Schreiben durch Buchſtaben allerdings für die bequemſten Werkzeuge des Vortrages gehalten wer den; ſo hat es uns jedoch geſchienen hier Orts einige Meldung davon zu thun, weil es eine Sache von Würde iſt. Denn wir behandlen ſie hier wie die Münzen der intellectuellen Dinge ; denn wie es nicht undienlich iſt zu wißen, daß die Münzen aus
einer andern Materie als Gold und Silber geſchlagen werden können, eben ſo können auch außer den Wor
ten und Buchſtaben andere Merkzeichen der Dinge geſchmiedet werden.
Wir gehen nun zur Grammatik über.
Sie
nimmt aber gegen die übrigen Wißenſchaften gleich ſam nur die Stelle eines Dienſtboten ein,
die zwar
nicht edel, aber doch vorzüglich nothwendig iſt, da .
beſonders
&S Fººd
50 I
beſonders die Wißenſchaften in unſerm Zeitalter aus
den ſogenannten gelehrten Sprachen, nicht den Mut terſprachen, hauptſächlich geſchöpft werden. Und ihr Werth iſt gar nicht gering zu ſchäzen, indem ſie die Stelle eines gewißen Gegengiftes wider jenen Fluch durch die Verwirrung der Sprachen vertritt. Aller
dings thut der menſchliche Fleiß dieſes, daß er ſich wieder herſtellt und jenen Seegen wieder erlangt, den er durch ſeine Schuld verlohren hat. Wider den erſten allgemeinen Fluch von der Unfruchtbarkeit der Erde,
wo es heißt, - im Schweiß deines Angeſichts ſollt du dein Brodt eßen, ſchüzet und verwahret er ſich durch alle übrige Künſte. Aber wider jenen zweyten, durch die Verwirrung der Sprachen, nimmt er die Gram
matik zu Hülfe: ihr Gebrauch iſt zwar allerdings in jeder Mutterſprache ſehr gering: ausgedehnter in Er lernung der ausländiſchen :
und am ausgedehnteſten
in den ſogenannten todten Sprachen, die nur in Büchern fortgeſezt werden, *
Wir theilen aber die Grammatik zweyfach, das die eine die buchſtäbliche, die andere die philoſophiſche ſey. Die eine wird blos zu den Sprachen angewendet,
daß man nemlich ſelbige entweder ſchneller erlerne, oder reiner und beßer ſpreche :
die andere aber iſt
einigermaßen der Philoſophie behülflich: wegen welcher uns beifällt, daß Cäſar eine Schrift von der Analogie geſchrieben, wobei wir aber zweiflen, ob ſie das, was
wir philoſophiſche Grammatik heißen, behandelt habe? Denn wir vermuthen, daß er nicht feiner und tiefer eingedrungen, ſondern nur Lehren einer reinen und vollſtändigen von der Gewohnheit des Sprechens nicht Ji 3 Verdors -
JO2
FÄRd
verdorbenen noch durch das Gezier einiger andern verunſtalteten Art des Vortrags gegeben habe, wovon er ſelbſt vortrefliche Beyſpiele gegeben hat. Wir aber verſtehen unter dieſer Sache eine Grammatik, welche nicht die Analogie der Wörter gegen einander, ſondern die Analogie zwiſchen den Worten und Sachen, oder
den Grund emſig unterſucht: jedoch außer jener Erklä rung welche in die Logik gehört. Die Worte ſind allerdings Merkmale der Vernunft : eben ſo deuten auch die Merkmale etwas von dem Körper an. Wir wollen alſo einige ſchwache Abſchilderung dieſer Sache geben. Erſt ich aber billigen wir mit nichten jene neugierige Unterſuchung, welche doch Plato ein ſonſt
vortreflicher Mann nicht verachtet hat, nemlich von der Auflegung und urſprünglichen Herſtammung der Nahmen, in dem Vermuthen, daß jene von Anfang an mit nichten nach Gefallen gegeben worden, ſondern aus einem gewißen Grunde, der aus der Materie her
geleitet und hergenommen worden, die wie ein Wachs zierlich gedreht und gewendet werden können; dieſe
Sache nun ſcheint zwar wegen des Alterthums eini germaßen ehrwürdig, nichtsdeſtoweniger aber hat ſie wenig Wahrheit und gar keinen Nuzen. Endlich würde unſeres Davorhaltens diejenige die
edelſte Art der Grammatik ſeyn, wenn jemand, der in den meiſten, ſowohl gelehrten als gemeinen Sprachen, vortreflich unterrichtet wäre, von den mancherlei Ei genſchaften der Sprachen handelte, und zeigte, worinn
jede einen Vorzug oder einen Mangel hätte.
Denn
auf die Art können ſowohl die Sprachen durch Ge
genſeitige Mittheilung bereichert werden, als auch aus deins
&SFR)
5C3
demjenigen, was in jeder Sprache vorzüglich ſchön iſt, das ſchönſte Bild der Rede (einer Venus des Apelles
gleich) und ein vorzüglich Muſter gebildet werden, welches die Gefühle der Seele wohl ausdrucken lehrt. Und zugleich wird man auch durch dieſe Einrichtung, keine unbedeutende ſondern merkwürdige Zeichen (welches man vielleicht nicht meinen dürfte) von dem Geiſt und den Sitten der Völker und Nationen ſelbſt aus ihren Spra
chen erhalten. Denn ich höre den Eicero gerne, wenn er bemerkt, daß den Griechen das Wort fehle, welches
jenes lateiniſche Wort ineptum, tändelnd, ausdrücke; weil, ſagt er, den Griechen dieſer Fehler ſo gemein
geweſen iſt, daß ſie ihn nicht einmal an ſich einſahen: ein Tadel, der allerdings des römiſchen Ernſts wür dig war.
Woher kam es, daß die Griechen in den Zuſam menſezungen der Wörter ſich einer ſo großen Freyheit bedienet haben, da die Römer im Gegentheil in dieſer Sache eine große Strenge beobachtet haben ? dürfte man wohl daraus ſchließen, daß die Griechen tüchtiger zu den Künſten, die Römer geſchickter zur Führung der Geſchäfte des Staats geweſen. Denn die Unter ſcheidungen der Künſte erfordern beynahe die Zuſam menſezung der Wörter:
Die Geſchäfte und Staats
Ja die Sachen wollen einfachere Worte haben. Zuſammenſezungen der Hebräer vermeiden ſo ſehr jene gebrauchen, Metapher Worte, daß ſie lieber eine als die Zuſammenſezung einführen: ja ſie haben auch ſo wenige und gar nicht vermiſchte Worte, daß man
ſogar aus der Sprache einſehen mag, daß ſie jenes Nazareniſche, und von den übrigen Volckern abge ſonder Ji 4
/
§e4
&ººd
ſondertes Volck geweſen. Iſt nicht wohl auch dies einer Beobachtung würdig (ob es gleich uns Neuern
die Geiſter ziemlich niederſchlägt) daß die alten Spra chen voller Declinationen, Conjugationen, Caſus,
und mehr dergleichen Grammatikaliſchen Kunſt, Wörter und Veränderungen geweſen:
Die neuern aber hieran
faſt gänzlichen Mangel haben und das Meiſte durch
Hüfs - und Bey - Wörter träge genug ausrichten. Man möchte draus leicht ſchließen, ob wir uns gleich
ſelbſt wohlgefallen, daß die Köpfe der erſtern Jahr hunderte weit feiner und ſchärfer als die unſrigen gedacht hätten. Dergleichen Beyſpiele ſind unzählich, welche einen ganzen Band füllen könnten. Daher möchte es nicht undienlich geweſen ſeyn, die philoſo
phiſche Grammatik von der einfachen und buchſtäblichen zu unterſcheiden, und ſie als Vermißt aufzuſtellen. Unſern Urtheil gemäß gehört auch alles dasjenige zur Grammatik, was den Worten auf jede Weiſe begeg ner, dergleichen der Ton, das Maaß, der Accent ſind, Aber jene erſte Anfänge der einfachen Buchſtaben (neme
lich durch welchen Druck der Zunge, durch welche Oef nung des Mundes, durch welche Ziehung der Lippen,
durch welche Bewegung der Kehle, der Ton der einzel nen Buchſtaben gezeugt werde) gehören nicht zur Grams matik, ſondern ſind als ein Theil der Lehre von den Tö nen, unter dem Sinn und dem Sinnlichen zu behandeln, der grammatiſche Ton, von welchen wir reden, erſtreckt ſich nur auf den Wohllaut und Mißlaut. Sie haben einiges gemein: denn es iſt keine Sprache, die nicht die
Oeffnungen der zuſammenkommenden Vocalen, oder die
Rauigkeiten der zuſammenſtoßenden ConſonantenÄ Qße?
\
&-Fººd Maßen vermeide.
595
Es giebt auch wieder Sprachen, die
in dieſer Ruckſicht ein verſchiedenes Verhältniß haben, die nemlich den Ohren verſchiedener Völker angenehm oder unangenehm vorkommen. Die griechiſche Sprache hat viele Diphthongen: die lateiniſche weit weniger, Und ſo giebt es noch mehrere Beyſpiele.
Allein dieſe
ſelbſt ſind vielleicht mehr als genug. -
Das Maaß der Wörter aber hat uns einen großen Umfang der Kunſt gezeigt, nemlich die Poeſie, nicht in ſofern es die Materie betrifft, von welcher oben gehan delt worden, ſondern in ſofern es die Schreib-Art, und
die Figur der Wörter, nemlich die Verſe oder Gedichte,
In Abſicht deren die Kunſt gleichſam für klein gehalten wird aber große und unendliche Beyſpiele vorhanden ſind. Auch muß jene Kunſt, welche die Grammatiker die Proſodie nennen, nicht bloß auf die Arten der Ge
dichte und auf das Lehren des Maaßes eingeſchrenckt wer den: denn man muß Regeln beyfügen, welche Art Gedichte, ſich für jede Materie oder jeden Gegenſtand
am beſten ſchicke.
Die Alten haben die heroiſchen
Gedichte auf die Geſchichten und Lob - Reden angewand: die Elegien auf die Klagen, die Jamben auf Invectiven,
die Lyriſchen Gedichte auf Oden und Hymnen, Auch hat dieſe Klugheit denen neuern Poeten in ihren eigenen Sprachen nicht gefehlt: nur iſt dies zu tadeln, daß ſie das Alterthum allzuſehr nachahmend die neuern
Sprachen auf die alte Arten des Maaßes, die heroiſchen, elegienförmigen, ſapphiſchen, u. ſ. w. zu bringen ſich
bemüht haben, da doch ſelbſt der Bau dieſer Sprachen
dawider iſt und auch die Ohren ſich davor entſezen, Ji 5
In
&SFRd
506
In dergleichen Dingen iſt das Urtheil des Geſchmackes den Regeln der Kunſt vorzuſezen, wie jener ſagt: ich will lieber daß mein Eßen den Gäſten ſchmeckt, als daß es den Köchen gefällt.
Es iſt aber keine Kunſt, ſon
dern ein Misbrauch der Kunſt, da jene die Natur nicht vollkommen macht, ſondern verkehrt. Was aber die Poeſie anbetrift, wir mögen nun von den Fabeln oder Sylbenmaaß reden, ſo iſt ſie,
wie wir weiter oben geſagt haben, als ein üppiges ohne Saamen gewachſenes Kraut anzuſehen, das aus der Kraft der Erde ſelbſt hervor keimt. Daher es überall umkriecht
und ſehr weit verbreitet iſt, daß es über,
füßig ſeyn würde, wegen dem Mangel deſſelben befüm mert zu ſeyn. Dieſe Sorge iſt alſo wegzuwerfen. Was aber die Accente der Wörter anbetrift, ſo iſt es nicht nöthig von einer ſo geringen Sache zu reden: wo
man nicht etwa dies für bemerckungswürdig hält, daß der Accent der Wörter ſorgfältig, der Accent der Sentenzen keinesweges beobachtet wird. Und doch iſt es faſt dem ganzen menſchlichen Geſchlecht gemein, daß ſie die Stimme zu Ende des Perioden nachlaßen,
iu Fragen erhöhen, und was ſonſt dergleichen nicht weniges iſt. Und ſo viel mag von dem Theil der Grammatik, der das Sprechen betrift genug ſeyn. Was das Schreiben anbetrift, ſo wird ſolches
entweder durch das gemeine Alphabeth, das überall angenommen iſt, oder durch ein verborgenes und beſon deres, worüber einzelne Perſonen einſtimmig worden ſind, und das man Ziffern nennt, zu Stande gebracht.
Aber die gemeine Orthographie hat uns auch Streit Und
&SFD
597
und Fragen erregt: ob man nemlich die Worte ebenſo ſchreiben müße, wie ſie ausgeſprochen werden, oder
vielmehr nach gewohnter Weiſe? aber jenes Schreiben welches ausgebildet ſcheinen kann, daß nemlich das
Schreiben dem Ausſprechen gleichſtimmig iſt, gehört unter die unnützen Spizfindigkeiten. Denn auch ſelbſt die Ausſprache nimmt täglich zu und iſt nicht beſtändig: und die Herleitungen der Wörter, beſonders aus frem den Sprachen, werden gänzlich verdunckelt : und endlich hindert ja das Schreiben nach angenommener Weiſe die Art der Ausſprache keinesweges, ſondern läßt ſie frey/ worzu ſoll alſo dieſe Neurung.*)
Um nun auf die Ziffern zu kommen, ſo giebt es deren nicht wenige Gattungen. Einfache Ziffern, und Ziffern welche mit unbedeutenden Charaktern unter miſcht ſind; Ziffern die in einem Charackter doppelte Buchſtaben begreifen; Ziffern der Räder, Ziffern der Schlüßel, Ziffern der Worte, und andere. An den Ziffern aber ſind drey Tugenden erforderlich: daß ſie
bequem und geſchwind, alſo nicht mühſam zu ſchreiben ſeyn;
-
*) Anmerk. des Ueberſ. Aus dieſer Stelle ſieht man, daß ſchon zu Bacons Zeiten, alſo vor zwey hundert
Jahren, die nemlichen Streitigkeiten geführt worden ſind, welche jezt unter den Nachahmern eines Blopſtor und Göthe und ihren Gegnern ſtatt finden. Welcher Mei nung der große Verfaßer zugethan geweſen, ſieht man
aus dem Terte. Die Schreibart der Klopſtokiſchen Republik haben erſt neuerlich im Ernſte Herr Tralles in ſeiner Abhandlung über die deutſche Litteratur, und im
Ä gPUgl.
Herr Lichtenberg im Göttingiſchen Magazin
5O8
&-Fººd
ſeyn : , daß ſie getreu ſeyn und auf keine Weiſe dem
Entziffern offen ſtehen : und daß ſie endlich womöglich gar keinen Argwohn erregen. Denn wenn die Briefe in die Hände derjenigen kommen, welche über die, welche ſie ſchreiben, oder an welche ſie geſchrieben wer, den Gewalt haben, ſo wird dennoch dieſe Sache der ernſtlichſten Unterſuchung unterworfen, ob gleich die
Ziffer ſelbſt getreu und zu entziffern unmöglich iſt, wo nicht die Ziffer an ſich ſelbſt ſo beſchaffen, daß ſie ent weder keinen Argwohn erregt, oder der Unterſuchung entgeht. Was aber die Entgehung oder Entſchlüpfung aus der Unterſuchung anbetrift, ſo iſt hierzu eine neue und nüzliche Erfindung dienlich, und da wir ſolche in Bereitſchaft haben, warum ſollen wir ſie unter das Vermißte ſtellen, und nicht vielmehr ſelbſt vortragen?
ſie iſt aber dieſe : es muß jemand zwey Alphabete haben: eines von wahren Buchſtaben, und eines von uneigent lichen : und muß zugleich zwey Briefe einhüllen; einen welcher das Geheimniß anzeige: und einen, welcher ſo beſchaffen ſeyn muß, wie ihn wahrſcheinlich der
Schreibende, jedoch ohne Gefahr, abgeſchickt haben würde.
Wenn man denn ernſtlich über die Ziffer nach
fragt, ſo muß man das Alphabet der uneigentlichen für die wahren Buchſtaben, das Alphabet der wahren . Buchſtaben aber für die uneigentlichen darlegen; auf dieſe Weiſe wird der Unterſucher auf jenen äußern Brief fallen, und da er ihn wahrſcheinlich findet, ſo wird
er von dem innern Brief nichts argwohnen. Damit aber aller Verdacht wegfalle, ſo wollen wir eine andere Erfindung hier vorlegen, die wir noch in unſerer Jugend zu Paris ausgedacht haben, und die uns auch noch
würdig ſcheint aufbehalten zu werden. Denn ſie hat den höchſten
Fººd
509
höchſten Grad einer Ziffer : daß nemlich alles durch alles angedeutet werden kann: doch ſo daß die Schrift
welche eingehüllet wird um das fünffache kleiner ſey, als diejenige, in die ſie eingehüllet wird: keine andere Bedingniß oder Beſchränkung wird gar nicht
erfordert. Dies wird auf folgende Weiſe geſchehen. Erſtlich werden die ſämtlichen Buchſtaben des Alpha betes nur in zwey Buchſtaben durch die Verſezung derſelben aufgelöſet. Denn die Verſezung zweyer Buchſtaben, durch fünf Stellen, wird zu zwey und dreyßig Unterſchieden, alſo noch weit mehr die Ver ſezung von vier und zwanzig, welches die Anzahl des
Alphabetesbeyuns iſt hinreichend ſeyn. Ich will hier das Muſter dieſes Alphabets von zwey Buchſtaben herſezen. Beyſpiel eines Alphabetes von zwey Buchſtaben. A.
B.
C.
D.
E.
Aaaaa.
aaaab.
aaaba.
aaabb.
aabaa.
F.
G.
H.
I.
K.
aabab.
aabba.
aabbb.
abaaa.
abaab.
L.
M.
N.
O.
P.
ababa.
ababb.
abbaa.
abbab.
abbbb.
abbba.
R.
S.
T.
V.
baaaa-
baaab.
baaba.
baabb.
W.
X.
Y.
Z.
babaa-
babab.
babba-
babbb.
Die Lehre von den Ziffern hat aber eine andere Leh re nach ſich gezogen die ſich auf ſie beziehet. Dieſe han delt
5 Io
&SFRd *
delt nemlich von der Entzifferung oder der Aufſchließung der Ziffern, ob man gleich das Alphabet der Ziffer oder den darüber getroffenen Vergleich ganz und gar nicht weiß. Sie iſt allerdings eine mühſame und zugleich wizige Sache, und den Geheimnißen der Fürſten ſo wie die erſtere gewidmet. Jedoch kan ſie durch eine ſorgfäl tige Vorſicht vergeblich gemacht werden, ob ſie gleich bey jezigen Umſtänden allerdings von großen Nuzen iſt.
Denn wann gute und getreue Ziffern eingeführt ſeyn möchten, ſo dürften ſie wohl meiſtens der Mühe des Entzifferes entgehen und entſchlüpfen, ohnerachtet ſie zum Leſen oder Schreiben bequem und ſchicklich ſind.
Allein die Unwißenheit und Unerfahrenheit der Schreiber und Canzliſten an den Höfen der Fürſten, iſt ſo groß,
daß gemeiniglich die wichtigſten Geſchäfte ſchwachen und untauglichen Ziffern anvertraut werden.
Indeßen könnte jemand muthmaßen, daß wir in der Hererzehlung und gleichſam in der Muſterung der Künſte nur darauf ſehen daß ſo zu ſagen die Truppen der Wißenſchaften,
Schlachtordnung anführen,
die wir gleichſam in
als vermehrt und ver
ſtärkt zur Bewunderung dienen;
mit ihrer Anzahl geprahlt, ſo kurzen Schrift kaum Allein wir bleiben unſerm bey unſerer Verfertigung
da doch etwa nur
die Kräfte aber erkläret werden Plan getreu und der Charte der
in einer können. nehmen Wißen
ſchaften auch die kleineren und entfernteren Inſeln mit, da wir ſolche nicht vorbeygehen wollen. Auch habe
ich meines Erachtens jene Künſte zwar kurz aber nicht obenhin berührt; ſondern vielmehr die Kernen und das
Mark derſelben aus der häufigen Maße der Materien mit
&SFQ.
5 II
mit einem ſcharfen Griffel ausgezogen.
Die Beur
theilung dieſer Sache überlaßen wir denjenigen ſelbſt, welche in dergleichen Künſte ſehr erfahren ſind. Denn da die meiſten,
welche vielwißend ſcheinen wollen,
das an ſich haben, daß ſie mit Kunſtwörtern um ſich werfen, und dadurch den Unwißenden zur Bewunde rung, den Sachverſtändigen aber zum Spott dienen;
ſo hoffen wir, daß unſere Arbeit einen ganz gegen ſeitigen Erfolg haben werde, daß ſie nemlich das
Urtheil des Sachverſtändigen an ſich zieht, den übri gen aber gering ſcheint.
Möchte aber jemand in
Anſehung jener Künſte, welche ganz klein ſcheinen, davor halten, daß wir ihnen zu viel zugeeignet; ſo ſehe er nur um ſich, und er wird finden, daß Leute,
die ſonſt in ihren Provinzen groß und berühmt ſind, wenn ſie etwa zur Hauptſtadt oder zum Siz des Reiches reiſen, beinahe unter dem gemeinen Haufen vermiſcht und eben für wenig bedeutend angeſehen werden: gleichfalls iſt es kein Wunder, daß jene ge
ringfügige Künſte, wenn ſie neben die vornehmſten und Hauptkünſte geſtellet werden, nicht mehr ſo groß an Würde ſcheinen; da ſie doch denjenigen,
welche
vorzügliche Mühe darauf verwendet haben, allerdings groß und fürtreflich ſcheinen.
Und ſo viel mag von
dem Bau der Rede durch die Werkzeuge genug geſagt ſeyn.
z-Äd
5 Ig
Wºw-E-MRG-GSSTS MAGNº-Dº-D
2tes HCapitel. Die Lehre von der Methode der Rede wird als ein weſentlicher und Haupttheil des
Vortrags aufgeſtellt; ſie erhält den Nah meu Klugheit des Vortrags.
Es werden
verſchiedene Gattungen der Methode erzählt, und ihre Vortheile und Nachtheile beigefügt. ir kommen nun auf die Lehre von der Methode der Rede, ſie iſt als ein Theil der Dialektik behandelt worden. Auch hat ſie eine Stelle in der Rethorik, unter dem Nahmen Diſpoſition gefunden. Aber ihre Verſezung in den Dienſt anderer Künſte iſt Urſach geweſen,
daß das meiſte was ſie betrift,
und zu wißen nüzlich iſt, übergangen worden iſt. Es hat uns alſo gut geſchienen, eine weſentliche und Hauptlehre von der Methode aufzuſtellen, die wir
mit dem allgemeinen Rahmen Klugheit des Vortrags benennen.
Alſo werden wir die Gattungen der Methoden, da es mancherlei giebt, vielmehr erzählen als ein theilen. Aber von der einzigen Methode, und den ewigen Dichotomien will ich nichts ſagen: denn es iſt ein gewißer Nebel der Gelehrſamkeit geweſen, welcher geſchwinde vergangen iſt: und es iſt allerdings, ſowohl eine kindiſche als den Wißenſchaften ſehr ſchädliche
Sache.
Denn da dergleichen Menſchen, die Dinge nach
d-Fººd
513
nach den Geſezen ihrer Methode drechſeln, und was nicht ſo gerade in ihre Dichotomien ſich einfügen will, entweder weglaßen, oder unnatürlich einſchalten; ſo bewirket ſie dadurch, daß gleichſam die Kerne und Körner der Wißenſchaften ausſpringen, ſie ſelbſt aber
nur die dürre und leere Hülſen abſtreifen. So hat dieſe Gattung Methode magere Lehrbücher erzeugt und die Gründlichkeit der Wißenſchaften zernichtet. Demnach ſey die erſte Unterſcheidung der Methode
dieſe, daß ſie entweder für Meiſter, oder für Anfäns ger ſey. Aber ich will das Wort Anfänger nicht ſo verſtanden haben, als wenn dieſe nur die Anfänge der Wißenſchaften, jene die ganze Gelehrſamkeit vor trüge; ſondern wir wollen im Gegentheil den heiligen Gebräuchen gemäß, diejenige die Methode für Anfän ger nennen, welche ſelbſt die Geheimniße der Wißen ſchaften aufſchließet und entdecket.
Denn die Me
thode für Meiſter lehret dasjenige ſchon gebrauchen, was geſagt wird; die für Anfänger aber nur die Prüfung deßelben:
die eine trägt insgemein die
Wißenſchaften der Lernenden vor; die andere lehret ſchon die Söhne der Wißenſchaften: die eine endlich hat den Gebrauch der Wißenſchaften wie ſie jezt ſind zur Abſicht; die andere deren Fortſchreitung und
Wachsthum. Unter dieſen ſcheint die leztere ein ver laßener und verſchloßener Weg.
Denn man iſt bis
jezt gewohnt die Wißenſchaften ſo vorzutragen, daß ſowohl der Lehrende als der Lernende, gleichſam nach
einem Vertrag, Irrthümer anzunehmen beliebe. Denn wer lehret, lehret auf diejenige Weiſe, nach welcher er ſeinen Ausſprüchen den meiſten Glauben verſchaft,
nicht wie ſie am füglichſten der Unterſuchung unters -
K k
worfen
S 14
z-Fººd
worfen werden mögen: und wer lernt, der wünſcht ſich nur Beyſpiele und keine gründliche Unterſuchung,
daß es ihm alſo mehr am Herzen liegt,
zweiflen, als nicht zu irren.
nicht zu
Demnach hütet ſich
ſowohl der Lehrer aus Liebe zum Ruhm die Schwäche ſeiner Wißenſchaft zu verrathen, als hat auch der Schüler aus Efel vor der Arbeit keine Luſt ſeine ei gene Kräfte zu verſuchen. Die Wißenſchaft aber, welche andern gleichſam als eine auszumachende Ar beit übergeben wird, iſt wo möglich, nach eben der
Methode dem Geiſte eines andern beizubringen, nach welcher ſie zuerſt erfunden worden iſt. Und dieſes kan allerdings in der durch die Induction erlangten
Wißenſchaft geſchehen: Aber in dieſer allzufrühzeitig abgenommenen und unreifen Wißenſchaft, wie wir ſie
haben, mag nicht leicht jemand ſagen, auf welchem Wege er zu derjenigen Wißenſchaft gekommen, die er erlangt hat. Und doch kan man allerdings nach dem Größern und Kleinern, die eigene Wißenſchaft wieder nächſehen, und die Spuren ſeiner Kenntniße und ſei nes Beyfalles zurückmeßen, und auf dieſe Weiſe die
Wißenſchaft ſo in ein fremdes Gemüth verpflanzen, wie ſie in dem eigenen angewachſen iſt. Dann den Künſten begegnet eben das was den Pflanzen auf
ſtößt: wenn man eine Pflanze zu brauchen Luſt hat, ſo bekümmert man ſich nicht viel um die Wurzel; wenn man ſie aber in einen andern Boden verſezen will, ſo iſt es ſicherer die Wurzeln zu brauchen, als die Sprößlinge. Eben ſo ſtellt die Ueberlieferung,
welche jezt im Gebrauch iſt, gleichſam nur Stämme der Wißenſchaften, zwar ſchöne,
aber jedoch ohne
Wurzeln dar, die alſo dem Zimmerman ganz tauglich, dem
&FIFRd
5 f5
dem Pflanzer aber unnüz ſind.
Wem das Wachs
thum der Wißenſchaften am Herzen liegt, der be kümmere ſich weniger um die Stämme, und ſorge nur dafür, daß die Wurzeln unverlezt, und ſogar mit ein wenig anklebender Erde ausgezogen werden.
Mit dieſer Gattung Ueberlieferung hat die Methode der Mathematiker hierin einige Gleichheit; überhaupt aber ſehe ich nicht, daß was im Gebrauch ſey, oder ſich jemand mit deren Unterſuchung Mühe gegeben habe; dießfalls wollen wir ſie unter das Vermißte zehlen, und ſie die Ueberlieferung der Lampe, oder die Methode für die Söhne nennen. Es folgt nun ein anderer Unterſchied der Me
thode,
welcher mit der erſteren Abſicht verwand in
der That aber ſelbſt entgegen iſt. Denn dies haben beyde Methoden gemein, daß ſie den Pöbel der Zu hörer von den außerleſenen abſondern. Das entge gengeſezte iſt, daß die erſtere eine mehr offene Vor
trags- Weiſe als gewöhnlich iſt einführet, die andere aber, von welcher wir nun reden werden, eine mehr verborgene.
Der Unterſchied ſey alſo der,
daß die
eine Methode erklärend, die andere gedrängt ſey. Dann der Unterſchied, welchen die Alten vornehmlich in Verfaßung der Bücher gebraucht haben, wollen wir auf die Vortrags- Weiſe ſelbſt anwenden. , Ja
die gedrängte iſt ſelbſt bey den Alten im Gebrauch geweſen, und mit Klugheit und Scharfſinn ange wendet worden. Aber dieſe gedrängte und zurück haltende Art zu reden, iſt in den lezteren Zeiten von
ſehr vielen entehret worden, welche ſie gleichſam als ein trügeriſches und verführeriſches Licht mißbraucht haben, Kk 2
sis
geTºd
haben, um ihre falſche Waaren an Mann zu brin» gen. Die Abſicht derſelben aber ſcheint die zu ſeyn, daß durch die Einhüllungen der Ueberlieferung der
ungeweihte Pöbel von den Geheimnißen der Wißen ſchaften entfernet werde; und nur diejenigen zugelaßen
werden, welche entweder durch die Leitung der Lehr
meiſter die Erklärung der Gleichniße erlangt haben, oder durch eigenen Wiz und Scharfſinn den Schleyer enthüllen können. Ein anderer Unterſchied der Methode, welcher allerdings für die Wißenſchaften von großen Nuzen, iſt folgender: Wenn nemlich die Wißenſchaften ent
weder durch Aphorismen, oder methodiſch, vorgetra
gen werden.
Denn es iſt beſonders bemerkungswür
dig, daß es meiſtens zur Gewohnheit geworden, daß
die Menſchen aus ſehr wenigen Grund - Säzen und Beobachtungen, faſt an jedem Gegenſtand gleichſam eine vollſtändige und fryerliche Kunſt darſtellen, indem
ſie ſolche mit einigen Erdichtungen ihres Wizes aus ſtopfen, mit Beyſpielen erläutern, und durch die
Methode wieder zuſammen binden. Aber jene andere Ueberlieferung durch die Aphorismen für die meiſten Vortheile mit ſich, zu welchen die methodiſche Ueber lieferung nicht hinreicht. Denn ſie giebt erſtlich eine Probe von den Schriftſteller, ob er die Wißenſchaft
leicht und obenhin abgeſchöpft
eingeſogen habe.
oder von Grundaus
Denn die Aphorismen müßen,
wenn ſie nicht ganz lächerlich werden ſollen, aus den
Marck und den Weſen der Wißenſchaften genommen werden. Denn die Erklärung und die Ausſchweifung wird abgeſchnitten; die Mannigfaltigkeit der Beyſpiele -
-
-
- wird
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5 7
wird abgeſchnitten; die Herleitung und Zuſannenver bindung wird abgeſchnitten; die Beſchreibung der Aus
übung wird abgeſchnitten;
daß zur Materie der
Aphorismen nichts übrig bleibt, als ein ſehr reicher Vorrach von Beobachtungen. Alſo wird zu den Aphorismen keiner tauglich ſeyn , ja nicht einmal daran denken dürfen, wer keinen Vorrach und keine Gründlichkeit zum Schreiben beſizt. Aber in den Methoden -
-
Gefällt bald die Ordnung und die Verbindung Bald bringt auch was außerweſentlichs Ehre, daß es öfters den Schein einer weiß nicht welcher vortrefflichen Kunſt vor ſich hat; wenn man es aber auſlößt, abſondert, und entblößt, ſo dürfte es faſt
in ein Nichts zurückfallen.
Zweytens, die methodiſche
Ueberlieferung vermag etwas auf den Glauben und
Beyfall;
aber ſie deutet minder auf die Anzeigen
von der Ausübung: indem ſie in dem Zuſammenhang einen gewißen Beweiß vor ſich trägt, da die Theile einander erläutern, und ſie alſo den Verſtand mehr
befriediget; weil aber die Handlungen in den gemei nen Leben zerſtreuet ſind, und nicht in der Ordnung vorkommen, ſo dienen auch die zerſtreuten Beyſpiele
beßer für ſelbige. Da endlich die Aphorismen nur einige Theile und gleichſam abgebrochene Stücke der Wißenſchaften darlegen,
ſo reizen ſie an,
auch andere etwas beyfügen und herlegen;
daß
die me
thodiſche Ueberlieferung aber, indem ſie mit der ganzen
Wißenſchaft prahlt, macht die Menſchen alsbald ſicher als wenn ſie nun gleichſam das Ziel erreicht hätten. Kk 3
Ein
FRS
518
Ein anderer Unterſchied der Methode, der auch von großer Wichtigkeit iſt, iſt dieſer: wann nemlich
die Wißenſchaften entweder durch Behauptungen mit beygeſezten Beweiſen, oder durch Fragen mit ihren Beſtimmungen gelehret werden.
Wenn man aber
dieſe leztere Methode allzu unmäßig verfolgt, ſo hin dert ſie das Fortſchreiten der Wißenſchaften eben ſo, als es dem Glück und dem Fortkommen einer Armee
hinderlich und ſchädlich ſeyn würde, wenn ſie ſich manchmal mit der Belagerung jener kleinen Burg oder Fleckens allzulang aufhielte. Dann wann jemand im Treffen die Oberhand hat, und der Hauptſache des Kriegs fleißig obliegt, ſo werden ſich jene kleinere
Pläze von ſelbſt unterwerfen. nicht leugnen,
Doch will ich das
daß es nicht immer ſicher ſey,
eine
große und befeſtigte Stadt im Rücken zu laßen: auf gleiche Weiſe muß man auch die Widerlegungen in der Ueberlieferung der Wißenſchaften mäßig und ſparſam gebrauchen: und nur darzu, daß größere
Vorurtheile und Einnehmungen der Gemüther ge ſchwächt werden, nicht aber diesfalls, damit leichtere
Zweifel erregt und hervor gebracht werden. Ein anderer Unterſchied der Methode iſt der, daß yemlich die Methode, der abzuhandlenden Materie anzumeßen
ſey.
Denn
auf eine andere Weiſe
werden mathematiſche Dinge,
welche unter den
Wißenſchaften die abgezogenſten und einfachſten ſind, auf eine andere Art die politiſchen, die am meiſten
vermiſcht und zuſammengeſezt ſind, vorgetragen. Es kan auch wie wir ſchon geſagt haben, in einer viel
förmigen Materie keine einförmige Methode füglich ſtatt
-Fººd
K 19
ſtatt finden, denn gleichwie wir die beſondern Erfin dungskünſte zur Erfindung gebilliget haben,
alſo
wellen wir gleichfalls, daß zum Vortrag beſondere Methoden angewendet werden, Es folgt nun ein anderer Unterſchied der Methode der in den Vortrag der Wißenſchaften mit Scharfſinn anzuwenden iſt.
Er wird aber durch den Unterricht
und die Vorkenntniß von der vorzutragenden Wißen ſchaft geleitet, als welche ſchon vorher in den Ge
müchern der Lernenden zuvor befindlich geweſen ſind, und einen Eindruck gemacht haben. Denn anders muß die Wißenſchaft vorgetragen werden,
welche
und gänzlich den Gemüthern der Menſchen neu fremd iſt; anders diejenige, welche mit denen ſchon längſt eingeſogenen und angenommenen Meinungen eine Verwandſchaft und Gemeinſchaft hat. Diesfalls lobt Ariſtoteles den Democritus in der That, indem
er ihn aufziehen will, da er ſagt: wenn wir ernſtlich diſputiren wollen, ſo haſche nicht nach Gleichnißen, u. ſ. w. Und es alſo dem Democrit zum Fehler an, rechnet, daß er ſich allzuvieler Gleichniße beiene.
Diejenigen nun, deren Lehrſäze in den Meinungen des Volks ſchon feſt gewurzelt haben, haben nichts anders zu thun, als daß ſie beſtreiten und beweiſen.
Diejenigen hingegen, deren Lehrſäze die Meinungen des Volks überſteigen, haben einer doppelten Arbeit nöthig: erſtlich, daß man dasjenige verſtehe, was ſie vorbringen; hernach, daß es bewieſen werde: demnach iſt nöthig, daß ſie zu den Hülfsmitteln der
Gleichniße und Vorſtellungen ihre Zuflucht nehmen, damit ſie ſich den Menſchen faßlicher machen. Kk 4
Wir ſehen
&SFRd
52e
ſehen alſo, daß in der Kindheit der Wißenſchaften, zur Zeit der roheren Jahrhunderte, da jene Kenntniße, welche nun gemein und bekannt ſind,
noch neu und
unerhört waren, alles voll Parabeln und Gleichniße geweſen ſeye. Sonſt würde es geſchehen ſeyn, daß das Vorgetragene entweder ohne Merkmal oder ge
hörige Achtſamkeit übergangen, oder für widerſinniges Geſchwäze gehalten worden wäre.
Denn es iſt eine
Regel des Vortrags, daß jede Wißenſchaft, welche nicht mit den Vorbegriffen oder Vorausſezungen ein ſinnig iſt, von Gleichnißen und Parabeln Hülfe ſuchen müße.
Und dies mag von den verſchiedenen Gattungen der Methoden genug geſagt ſeyn; nemlich von denen, welche eisyer von andern nicht bemerckt worden ſind:
denn was jene übrigen Methoden,
nemlich die ana
lyriſche, ſyſtatiſche und dergleichen anbetrift , ſo ſind ſie nºt reir erfunden und eingetheilt und es iſt keine
U ſuche vorhanden, warum wir uns damit aufhalten -
ſollen.
Dies ſind nun zwar die Gattungen der Methode. Der Theile aber ſind zwey; der eine handelt von der
Anordnung des ganzen Werkes oder des Inhalts eines Buches; der andere von der Unterſcheidung der Sätze. Denn zur Baukunſt gehört nicht allein der Bau des
ganzen Gebäudes, ſondern auch die Ausbildung und Figur der Seilen, Balcken, und dergleichen. Die
Methode aber iſt gleichſam die Baukunſt der Wißen, ſchaften. Und hierinn hat ſich Ramus durch ſeine zu erneurende ganz vortreffliche Regeln beßer verdient gemacht,
- FRd
521
gemacht, als durch ſeine einzige Methode und ſeine Dichotomien. Jedoch weiß ich nicht wie es geſchicht, daß wie Poeten öfters dichten, zu den koſtbarſten
menſchlichen Dingen immer die ſchlimmſten Wächter gebraucht werden. Allerdings hat die Bemühung des Ramus in Abſicht jener Feilung der Sätze ihn in die Sucht alles enger zuſammen zu ziehen und gleichſam auf die Sandbänke der Wißenſchaften geworfen, da er doch mit gutem Glück und durch die Leitung eines vortreflichen Führers hätte fortſchreiten müßen, wenn er die Grundſäze der Wißenſchaften nicht allein wendbar ſondern auch auf ſich ſelbſt zurückfallend hätte machen wollen. Nichtsdeſtoweniger geſtehen wir, daß die
Bemühung des Ramus in dieſem Theil nüzlich ge weſen ſey.
Es ſind noch zwei Unterſcheidungen der Säße übrig, außer derjenigen, die eine von der
daß ſie wendbar werden:
Äunj
die andere von der
Verlängerung derſelben. Allerdings haben die Wißen ſchaften, wenn man genau acht giebt, außer der
Tiefe, zwey andere Ausmeßungen; nemlich ihre Breite
und Länge. Die Tiefe aber wird zwar zu ihrer Wahr heit und Wirklichkeit gezählet: denn dieſe ſind es, welche die Gründlichkeit geben. Was die übrigen zwey anbelangt, ſo kann die Breite von Wißenſchaft
zu Wißenſchaft gerechnet und angenommen werden;
die Länge aber wird von dem oberſten Saz bis zu den unterſten in der nemlichen Wißenſchaft
genoms
men. Die eine begreift die wahren Abſcheidungen und Grenzen der Wißenſchaften, daß die Säze ei gentlich, nicht vermiſcht behandelt werden; und daß
Kk 5 /
alle
522
&S FRN
"
alle Wiederholung, Ausſchweifung
und Verwirrung
vermieden werde; die andere ſchreibt die Richtſchnur vor, wie weit und zu welchem Grad der Beſondern,
heit die Sätze der Wißenſchaften zu bringen ſeyn, Es iſt allerdings kein Zweifel, daß der Ausübung und dem Betrieb etwas zu überlaßen ſey; damit wir nicht
in den Fehler des Antoninus Pius verfallen, und Kümmelſpalter in den Wißenſchaften werden; noch auch die Eintheiſungen bis ins unendliche vervielfälti
gen.
Es wird der Unterſuchung nicht ganz unwürdig
ſeyn, in wiefern wir uns ſelbſt hierin mäßigen. Denn wir ſehen, daß das gar zu allgemeine, wo es nicht
hergeleitet wird, wenig unterrichte, ja daß es vielmehr die Wßenſchaften dem Spott der ausübenden Men
ſchen ausſeze, da es nicht mehr zur Ausübung bey trägt, als des Ortelius allgemeine Länder - Beſchrei, bung, um einen den Weg zu weiſen, der von London
nach einem gewißen Dorfe führt. In der That würden die beſten Regeln hicht unſchicklich den me, tallenen Spiegeln verglichen,
in welchen man aller
dings die Bilder ſieht, aber nicht eher, als bis ſie polirt worden ſind. Eben ſo helfen die Regeln und Vorſchriften alsdann erſt,
wenn ſie unter der Feile
der Ausübung geweſen ſind. Wenn jedoch jene Re geln gleich von Anfang an glänzend und gleichſam cryſtauniſch gemacht werden könnten, ſo würde dies am beſten gethan ſeyn, weil ſie alsdann der beſtän digen Uebung minder bedürften. Und ſo viel mag
von der Wißenſchaft der Methode, die wir auch die Klugheit des Vortrags genennet haben, genug ge ſagt ſeyn. -
Doch
&SÄTd
523
Doch iſt das nicht vorbey zu gehen, daß einige mehr aufgeblaſene als gelehrte Männer eine gewiße Methode ausgebrütet haben, die des Nahmens einer richtigen Methode gar nicht würdig iſt, da ſie vielmehr eine Methode des Betrugs iſt; die aber unruhigen Vieldünkern ohne Zweifel die angenehmſte ſeyn mag. Dieſe Methode verſpreitet einige Tropfen der Wißen, ſchaften ſo, daß jeder naſenweiſer Kleinmeiſter einigen
Schein der Gelehrſamkeit zur Prahlerey mißbrauchen kann.
So iſt die Kunſt des Lullius geweſen; ſo auch
die von einigen entworfene Bearbeitung eines Orbis piktus; welche nichts anders geweſen ſind, als eine Maße und ein Haufen von Wörtern aus jeder Kunſt, bloß in der Abſicht, daß man glauben ſoll, wer die
Kunſt, Wörter in Bereitſchaft habe, habe die Künſte ſelbſt auch erlernt. Sammlungen dieſer Art kommen mir wie eine Trödelbude vor, wo man zwar viel altes Zeug
findet, das aber von keinem Werth iſt.*) 3tes
*) Anmerk. des Ueberſ.
Aus dieſem Capitel kann man
einſehen, daß der aroße Canzler bey dem Vortrag der
Wißenſchaften und Künſte beſonders die Darſtellung ihrer Geſchichte, woraus ihr Entſtehen und ihr Fortſchreiten ſichtbar wird, ganz vorzüglich empfiehlet; die aber leider noch heut zu Tag ſo ſehr vernachläßiget wird, daß academi ſche Lehrer nicht einmahl einige Anzahl Zuhörer darüber
erlangen, weil man ſie für kein Brodtſtudium anſieht. Es ließe ſich hievon eine ganze Abhandlung ſchreiben.
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$24 RS-AFRS-ZSS-FS
*EASNBZ<TNS2A
3tes Capitel. . Von den Gründen und der Verrichtung der
Rhetorik.
Drey. Anhänge der Rhetorik,
welche nur zu der im Vorrath befindlichen
Wißenſchaft gehören. Schilderungen des Guten und Böſen, ſowohl des einfachen,
als des verhältniſmäßigen: Gegenſäze der Dinge : kleinere Red- Formeln: ir kommen nun auf die Lehre von der Erläute
O rung der Rede.
Sie iſt diejenige, welche man
Rethorik, oder Redekunſt heißt.
Eine Wißenſchaft
die allerdings ſowohl an ſich ſelbſt vortreflich als auch
von den Schriftſtellern vortreflich bearbeitet iſt.
Die
Beredſankeit aber ſteht, wenn man die Sache nach der Wahrheit betrachtet, allerdings weit unter der
Weisheit. Dann wie weit dieſe jene hinter ſich läßt, ſehen wir an den Worten mit welchen Gott den Moſes angeredet hat, als dieſer wegen den Mangel der Aus ſprache das aufgetragene Amt von ſich ablehnte und
er ſagt: du haſt Aaron, der ſoll dein Mund ſeyn, und du ſollſt ſein Gott ſeyn.
Dem Nuzen und der
- gemeinen Schäzung nach, weicht aber die Weisheit der Beredtſamkeit, Denn alſo ſagt Salomon: ein Weiſer wird im Herzen klug genannt, aber eine ſüße Rede wird größeres erfinden.
Wordurch er nicht undeutlich
zu verſtehen giebt, daß die Weisheit einen gewißen Ruhm und eine Bewunderung verſchaffe, daß aber in
Führung der Geſchäfte und gemeinen Leben der Thäs tigkeit
&SFRd
525
tigkeit noch die Beredſamkeit vorzüglich wirckſam ſey. (Eben ſo ſagt Abbt in unſern Tagen: große Geiſter ſcheinen tauglicher zum Rathſchlagen, ſtarcke Seelen zum Vollführen.) Was aber die Bearbeitung dieſer Kunſt anbelanget, ſo haben die Nacheiferung des Aris ſtoteles mit den Rednern ſeiner Zeit, und das ſcharfe
und heftige Studium des Cicero, der alle ſeine Kräfte auf die Veredlung derſelben wandte, vereint mit der
langen Erfahrung, verurſchet, daß ſie in ihren über dieſe Kunſt verfaßten Schriften ſich ſelbſt übertroffen
haben.
Hernach haben jene ſo einleuchtende Beyſpiele
dieſer Kunſt, welche in den Reden des Demoſthenes
und Cicero vorkommen, in Verbindung mit der Schärfe und Feinheit der Regeln, ihre Fortſchritte verdoppelt. Diesfals, wird das, was wir in dieſer Kunſt vermi
ßen, ſich vielmehr auf gewiße Sammlungen beziehen, welche dieſer Kunſt gleichſam zu Dienſten ſtehen, als auf die Lehre und den Gebrauch der Kunſt ſelbſt. Denn auch damals, als wir unter den logiſchen Betrachtun
gen einer gewißen im Vorrath befindlichen Wißenſchaft
erwehnten, ſo haben wir weitere Beyſpiele dieſer Sache in der Abhandelung von der Rethorik verſprochen.
Damit wir jedoch unſer Gewohnheit nach an den Wurzeln dieſer Kunſt gleichſam die Schalen ein wenig von einander thun, und beebnen; ſo iſt zu wißen, daß die Rhetorik allerdings der Phantaſie, ſo wie die Dialektik dem Verſtande dient.
Wenn man alſo tiefer
in die Sache ſieht, ſo iſt das Amt und die Verrichtung der Rethorik nichts anders, als daß ſie die Ausſprüche
der Vernunft für die Phantaſie anwendbar und bequem macht
526
&SFRd
macht, um dadurch die Begierde und den Willen zu erregen. Denn wir ſehen, daß die Leitung der Ver nunft auf dreyerlei weiſen angefallen und verwirrt wird: entweder durch die Beſtrickung der Spizfindigkeiten, welches zur Dialektik gehöret; oder durch die Vorſpie
lungen der Worte, welches in der Rethorik vorkommt, oder durch die Gewalt der Affekten, welches ſich auf die
Ethik bezieht.
Denn gleichwie wir in den Geſchäften,
welche wir mit andern zu verrichten haben, pflegen wir
entweder durch das Ungeſtüme oder die Heſtigkeit über wunden, oder zum Ziel gebracht werden; eben ſo
werden wir auch in jener innerlichen Beſchäftigung, welche wir mit uns ſelbſt haben, entweder durch die Täuſchungen der Gründe dahin gerißen; oder durch das Ungeſtüme des Eindrucks und das Anhaltende der Wirckung beunruhiget, oder durch den Anfall der Af, fekten erſchüttert und überwunden. Doch aber iſt die menſchliche Natur nicht ſo unſelig, daß jene Künſte
und Fähigkeiten nur die Vernunft zu verwirren mögen, keinesweges aber ſie zu ſtärcken und zu gründen: allein von dieſer Sache noch mehreres. Denn der Endzweck der Dialektik geht dahin, die Form der Schlüße zum Schuz des Verſtandes nicht zur Hinderliſt zu lehren. Der Endzweck der Ethik beſtehet ebenfals darinn, die Affek, ten ſo zu ordnen, daß ſie der Vernunft dienen, nicht aber ſelbige angreifen. Der Endzweck der Rethorik iſt endlich der, daß ſie die Phantaſie mit Beobachtungen und Bildern anfüllt, welche der Vernunft Hülfe leiſten, aber ſie nicht unterdrücken. Denn der Mißbrauch der
Kunſt entſteht nur aus der Verkehrtheit, wovor man ſich hüten, ſie aber nicht nachahmen muß. Dies
&SFD
527
Diesfals hat Plato die größte Unbilligkeit began gen, ob ſie wohl aus keinem unverdienten Haß gegen
die Redner ſeiner Zeit entſtanden, als er die Rethorik unter die Künſte der Wolluſt geſezet hat: indem er ſagte, daß ſie der Kochkunſt ähnlich ſey, welche eben ſowohl geſunde Speiſen verderbe als ungeſunde durch die Mannichfaltigkeit der Gewürze und das Uebertriebene der Leckerheit angenehm mache. Es ſey aber ferne, daß die Beredſamkeit nicht öfterer zur Zierde ehrbarer Dinge,
als zur Schminke ſchändlicher angewendet
werde:
Denn dieſes trift überall ein, daß niemand
ehrbarer redet als er denckt oder thur.
Allerdings hat
Thucydides wohl bemerckt, daß dergleichen dem Eleon öfters vorgeworfen worden,
als welcher bei immer
währender Vertheidigung der ſchlimmeren Sache ſich ſehr viel damit abgegeben, daß er die Beredſamkeit und die Annehmlichkeit der Rede getadelt. Da er nemlich wohl wuſte , daß von ſchändlichen und unwürdigen Dingen niemand ſchön reden könne, ſehr leicht aber von ehrbaren Dingen. Sehr ſchön ſagt Plato, ob es wohl zum Sprichwort geworden, wenn ſich die Tugend ſehen ließe, ſo würde ſie große Liebe erregen: aber die Rethorik mahlt die Tugend und das Gute und macht ſie gleichſam ſichtbar. Denn da dieſe Dinge durch ein körperliches Bildniß den Sinnen nicht eigentlich darge
ſtellt werden können, ſo bleibt nichts übrig, als daß ſie durch die Zierde der Worte mit einer möglichſt lebhaften Vorſtellung der Phantaſie gegenwärtig gemacht werden. Die Weiſe der Stoiker aber hat Cicero mit Recht be lacht; als welche zufrieden waren mit abgerißenen und
ſpizfindigen Sprüchen und Schlüßen den Gemüthern der Menſchen die Tugend einzuprägen, welche Sache mit.
&SFRd
523
/
mit der Phantaſie und dem Willen eine geringe Zuſam menſtimmung hat. Ferner, wann die Affekten ſelbſt geordnet, und der Vernunft ganz gehorſam wä ren; ſo iſt es wahr, daß der Gebrauch der Ueber redungen und Einnehmungen, welche den Zugang zu dem Gemüth verſchaffen können, keinen großen Nuzen leiſten,
ſondern es genug ſeyn würde, wenn
die Sachen ſelbſt nackend und einfach vorgetragen und bewieſen werden
allein die Affekten machen im
Gegentheil ſo große Abweichungen, ja ſie erregen auch ſo große Verwirrungen und Widerſezlichkeiten
(nach jenem Ausſpruch des Dichters; ich ſehe das was beßer iſt, billige es, und folge dem ſchlimmern)
daß die Vernunft gänzlich in Sklaverey und Gefangen nehmung gerathen würde, wo nicht die Annehmlichkeit der Beredſamkeit verurſache, daß die Phantaſie ſich weniger von den Affekten hinreißen ließe, ſondern daß vielmehr durch ihre Bemühung ein Bund zwiſchen der Vernunft und der Phantaſie gegen die Affekten errichtet werde.
Denn es iſt zu bemerken, daß ſelbſt die
Affekten immer nach dem Scheingut zielen, und hierinn etwas mit der Vernunft gemein haben:
nur iſt der
Unterſchied; daß die Affekten vorzüglich auf das Gute ſehen das gegenwärtig iſt; die Vernunft aber weiter, auch in die Zukunft und auf das Ganze ſieht. Wenn daher das Gegenwärtige die Phantaſie ſtärker einnimmt, ſo unterliegt gemeiniglich die Vernunft und wird unterjocht. Wenn aber durch die Kraft der Bered ſamkeit und der Ueberredung ſo viel bewirkt worden
iſt, daß das Zukünftige und Entferntere gleichſam ſichtbar und gegenwärtig dargeſtellt worden, alsdenn nimmt
KSFRd
529
nimmt die Phantaſie die Parthey der Vernunft, und die Vernunft gewinnt die Oberhand. Laßt uns alſo ſchließen, daß es der Rethorik nicht mehr zum Fehler ausgerechnet werden müße, daß ſie den ſchlimmern Theil zu beſchönigen weiß; -
als der Dialektik, daß ſie Spizfindigkeiten ſpinnen lehrer. Denn wer weiß nicht, daß es mit gegenſeitigen Dingen
gleiche Verhältniſſe habe, ob ſie wohl dem Gej nach einander entgegen ſind? - Ferner iſt die Dialek
tik von der Rethorik nicht nur darinn unterſchieden, daß nach dem gemeinen Ausdruck die eine der Fauſt, die andere der flachen Hand gleich iſt; daß nemlich
die eine gedrängt, die andere weitläuftig handelt; ſondern ſie iſt es noch weit mehr darinn, daß die
Dialektik den Grund eines Dinges ſeiner Natur nach, die Rethorik aber ihn ſo betrachtet, wie er im ge
meinen Haufen dafür angeſehen wird.
Sehr fein
hat alſo Ariſtoteles die Rethorik zwiſchen die Dias lektik und die Ethik mit der Politik geſezt, da ſie an beyden Theil nimmt. Indem die Beweiſe und die Demonſtrationen der Dialektik ſich für alle Menſchen
ſchicken, die Beweiſe und Ueberredungen der Retho rik aber nach den Umſtänden der Zuhörer verändert
werden müſſen, daß man wie ein Tonkünſtler nach verſchiedenen Ohren ſich richtend endlich Ein Orpheus unter den Sylphen, unter den Delphinen ein Arion ſey.
-
Welche Veränderung und Anwendung der Rede zwar, wenn man anders ihre Vollkommenheit und ihren Endzweck erreichen will, ſoweit ausgedehnt werden muß, daß wann -
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Pſ!
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-
---
man ſo gar verſchiedenen Menſchen das nemliche zu ſagen hat man doch bey einzelnen bald dieſe bald wieder andere Worte gebrauchen muß. Ob wohl gewiß iſt, daß es gemeiniglich die größten Redner in den Privatreden an dieſem Theil der Beredſamkeit (nemlich die poli
tiſchen und geſchäftigen) fehlen laßen, indem ſie die Zierde und die ſchönen Muſter der Rede allzu ſehr haſchen, und dadurch jeiter Anwendung und jener Veränderung der Reden, welche man gegen einzelne gebrauchen ſollte, verfehlen; ſo dürfte es doch nicht ündienlich ſeyn, in Abſicht dieſer Sache, wovon wir jezt reden, eine neue Unterſuchung anzuſtellen, ſolche äch mit dem Nahmen der Klugheit einer Privatrede
zu bezeichnen / und unter das Vermißte zu ſezen. Denn es iſt eine Sache, die man um deſto höher ſchäzen wird, je aufmerckſamer man ſolche durchdenckt. Es liegt aber nicht viel daran, ob man ſie in die
Rethorik oder Politik bringt. Wir wollen nun auf das in dieſer Kunſt Vermißte kommen, welches, wie wir ſchon vorher geſagt haben,
von der Art iſt, daß es vielmehr für Anhänge als für Theile der Kunſt ſelbſt gehalten werden muß, und
alles zu der in Vorrach befindlichen Wißenſchaft gehört. Wir finden alſo erſtlich niemand, der jene Klugheit und Emſigkeit des Ariſtoteles wohl verfolgt oder erſezt
habe.
Denn dieſer hat angefangen ganz gemeine
Zeichen oder Schilderungen des guten und böſen ſowohl des einfachen als verhältnismäßigen zu ſammlen, welche
in der That rhetoriſche Sophismen ſind. Sie leiſten aber vortrefflichen Nuzen, beſonders bey Geſchäften, und der Klugheit der Privatreden. Die Arbeiten des -
Aris
EFS
531
Ariſtoteles aber in Abſicht dieſer Schilderungen haben dreyerley Mängel. Erſtlich, daß er nur ſehr wenige Zweytens, anführt, da es doch viele giebt. daß er ſeine Widerlegungen nicht beygefügt hat. Drittens,
daß
er den Gebrauch
Theil nicht gekannt zu haben ſcheint.
derſelben
zum
Denn der Ge
brauch derſelben dient nicht mehr zum Erweis als zur Anlockung und Bewegung. Indem mehrere Redfor meln, welche das nemliche hezeichnen, doch mannig faltig anlocken. Denn das ſpizige dringt weit ſchärfer
ein als das ſtumpfe, obwohl in den Schlagen ſelbſt glei
che Kräffte angewandt werden. Jeder wird gewiß mehr bewegt werden, wenn man ihm ſagt, deine Feinde wer den diesfals ſehr frolocken, als wenn er blos hört, dies wird deinen Umſtänden nachtheilig ſeyn. Alſo ſind dieſe Stacheln und Spizen der Rede mit nichten zu vernach läßigen. Da wir aber dieſe Sache als Vermißt vor
tragen, ſo wollen wir ſie unſerer Gewohnheit nach mit Beyſpielen erläutern: denn die Regeln möchten die Sas
che weniger erklären.
Beyſpiele von Schilderungen des guten und böſen ſowohl des einfachen als des verhältnismäßigen. -
Trugſaz. 1. Was die Menſchen loben und anrühmen, iſt
gut.
was ſie ſchelten und tadeln iſt ſchlimm..
Widerlegung. Der Trugſaz trügt auf viererley Arten, nemlich, entweder in Rückſicht auf die Unwißenheit : oder wegen -
Kl 2
einen
z-Fººd
532
einen böſen Vorſaz: oder aus Partheylichkeit : oder in Abſicht der Köpfe der Lobenden und Scheltenden. In Rückſicht auf die Unwißenheit kann man ſagen, was
vermag, das Urtheil des Pöbels zur Unterſuchung des guten und böſen? beßer hat Phoeion geurtheilt als er bey einen ungewöhnlichen Beyfall das Volck fragte, ob er etwa was verbrochen hätte: aus böſen Vorſaz geſchieht es wenn die lobenden oder ſcheltenden öfters
nur auf ſich ſehen und nicht reden wie ſie dencken. Wohin auch das Sprichwort zielt : ein jeder Kauf mann lobt ſeine Waare; Eben ſo ſagt der Käufer: es iſt ſchlecht, ſchlecht, aber wenn ers erſt hat, denn rühmt ers. In Abſicht der Partheylichkeit iſt einem
jeden bekannt, daß die Menſchen gewohnt ſind, die von ihrer Parthey unmäßig zu loben; die von der Gegen parthey aber unverdient zu unterdrücken. In Abſicht der Köpfe iſt dies zu bemercken: daß einige von Natur ſo geartet ſind, daß ſie ſelaviſch ſchmeicheln: andere
hingegen wieder alles tadeln und anſchnauzen: daß alſo dieſe Leute mehr ihrer Art zu dencken folgen, als ſich
um die Wahrheit bekümmern. »
Trugſaz. 2. Was auch von den Feinden gelobt wird iſt ein
großes Guth : was aber auch von Freunden getadelt •
wird, ein großes Uebel.
Der Trugſaz ſcheint auf dieſen Grund zu ruhen, daß das, was wir zu Gunſt und wider den Affekt und die Neigung unſeres Gemüthes reden, die Kraft der
Wahrheit von uns erpreßen müße. Wider
-2-
533
Widerlegung. Der Trugſaz trügt, in Rückſicht auf Liſtigkeit, ſo wohl der Feinde als der Freunde. Denn die Feinde
ertheilen bisweilen Lob-Sprüche
nicht mit Widerwit:
len, noch von der Kraft der Wahrheit bewegt, aber ſie leſen ſolche aus, welche ihren Feinden Neid und Gefahr erregen können. So iſt bey den Griechen ein
gewißer Aberglaube im Gange geweſen, daß ſie glaubten, wenn jemand von einem andern aus böſen Genüthe und mit dem Vorſaz zu ſchaden gelobt würde, ſo pflege er eine Beule an der Naſe zu bekommen. Er trügt wie der
weil die Lobſprüche bisweilen von den Feinden
gleichſam als Vorreden ertheilt werden, damit ſie her nach deſto freyer und boshafter läſtern mögen. An
derntheils trügt auch dieſer Trugſaz in Abſicht der Liſtig keit der Freunde. Denn auch dieſe pflegen bisweilen die Fehler der Freunde zu erkennen und anzurühmen, nicht aus Trieb der Wahrheit; - ſondern weil ſie das wählen, was ihre Freunde am mindeſten beleidigen kann, als wenn ſie zwar übrigens die beſten Männer wären. Er trügt wiederum, weil auch die Freunde ihren Tadel,
wie wir vom Lob der Feinde geſagt haben, als gewiße Vorreden gebrauchen, damit ſie hernach deſto mehr
Lobeserhebungen machen mögen. Trugſaz.
-
3. Deßen Beraubung gut iſt, das iſt ſelbſt ein Uebel: deßen Beraubung ſchlimm iſt, das iſt ſelbſt ein Guth. Ll 3 Wider -
&SF ºd
534
Widerlegung. Der Trugſaz trügt auf zwey Arten: entweder in Abſicht der Vergleichung des guten und böſen : oder in
Abſicht der Aufeinanderfolge des Guten auf das Gute, oder des Uebels auf das Uebel.
In Abſicht der Vergleichung:
wenn es für das menſchliche Geſchlecht gut geweſen iſt, daß es des Genußes der Eicheln beraubt worden iſt, ſo folgt nicht daß daßelbe ſchlimm war; ſondern daß die Dodona aut, und die Ceres beßer iſt.
Weil es ein Uebel
für das Syracuſaniſche Volck geweſen, daß es den äl tern Dionyſius verlohren hat, ſo folgt diesfals nicht,
daß dieſer Dionyſius gut geweſen; ſondern daß er nicht ſo ſchlimm als der jüngere war. In Abſicht der Aufeinanderfolge: denn die Be
raubung eines Guths giebt nicht immer einem Uebel, ſondern bisweilen einem größern Guth ſtatt, ſo folgt “
die Frucht nach, wenn die Blüthe abgefallen iſt. Auch giebt die Beraubung eines Uebels nicht immer einem Guth, ſondern bisweilen einem größern Uebel
ſtatt. Denn nachdem der feindſelige Clodius auf die Seite gebracht war, ſo hat auch zugleich Milo die Saat des Ruhmes verlohren.
Trugſaz. 4. Was dem Guten oder Böſen nahe iſt, das iſt ſelbſt gleichfalls gut oder böſe: was aber von dem Guten entfernt iſt, iſt böſe, was von dem Böſen ent fernt iſt, iſt gut. Ss
z-Hººd
-
535
Ss iſt dieſes beynahe ſo in der Natur der Dinge, - daß dasjenige, was ſeiner Natur nach mit einander übereinkommt, auch in Pläzen übereinkommt, was aber von Gegenſeitiger Natur iſt, auch durch Zwiſchen räume von einander abſteht:
da jedes einzele das das uns
mit ihm übereinſtimmende ſich zu verbinden einſtimmige abzutreiben pflegt.
.
."
-
Widerlegung. Aber der Trugſaz trügt auf drey Arten: erſtlich wegen der Verlaßung
zweytens wegen der Ver
Wegen dunklung, drittens wegen der Beſchüzung. der Verlaßung: es geſchieher, daß das was in ſeiner Art das herrlichſte und vortrefflichſte iſt, ſo viel mög lich alles an ſich zieht und jedes in der Nähe liegende verlaßt, und gleichſam dürftig macht.
So wird man
in der Nahe großer Bäume ſelten lebhaftes Geſträuche finden. Auch hat jener mit recht geſagt: die Kechte des Reichen ſind am meiſten Knechte. Und ſo war auch die Spötterey eines gewißen nicht übel, der die
niedrigen Dienſtboten an den Höfen der Fürſten mit den heiligen Abenden der Feſttäge verglichen hat; als welche ihre Feſttäge zwar ná ſt berühren, ſelbſt aber dem Faſten gewidmet ſind. Wegen der Verdunklung;
denn auch dieſes haben die vortrefflichſten Dinge in ihrer Art an ſich, daß ob ſie gleich das in der Nähe befindliche nicht ausſaugen oder ve laßen, ſie es dei noch verdunkeln und verdüſtern. Welches auch die Aſtronomen von der Sonne bemerken, daß ſie nemlich
dem Anblick nach gut, in der Vereinigung und An
näherung ſchädlich ſey.
Wegen der Beſchzung: Ll 4
delin
536
-
SFRd
denn die Dinge kommen nicht allein zuſammen und verſammlen ſich wegen
der Uebereinſtimmung und
Gleichheit der Natur, ſondern auch das Böſe (beſon ders in bürgerlichen Dingen) flieht zu dem Guten, daß es verborgen bleibe und beſchüzt werde.
So
ſuchen laſterhafte Menſchen die heiligen Zufluchts Oerter, und das Laſter ſelbſt begiebt ſich in den Schatten der Tugend. -
-
Oft liegt in der Nähe des Guten das Böſe verborgen. Im Gegentheil geſellet ſich oft das Gute zum Böſen, nicht um der Uebereinſtimmung willen, ſon dern um es umzukehren, und zum Guten zu verwan
deln. So gehen auch die Aerzte mehr zu den Kran ken als Geſunden;
und unſerm Heyland iſt es vor,
geworfen worden, daß er mit Zöllnern und Sündern umgienge.
-
Trugſaz.
-
-
-
5. Welcher die übrigen Partheien oder Sekten
den zweyten Rang gleichſtimmig zueignen, da ſich jede den erſten ſelbſt zueignet, ſcheint beßer als die übrigen zu ſeyn: dann den erſten ſcheint jede aus Selbſtdünkel zu nehmen, den zweyten aber nach der Wahrheit und Verdienſt zu geben. Alſo ſchließt Cicero, daß die Academiſche Secte, welche das feine Zweifeln behauptet hat, die vor, treflichſte Philoſophie geweſen ſey. Denn er ſagt: wenn ich einen Stoicker frage, welche die vorzüglichſte -
Sekte
&SFIN
537
Sekte ſey; ſo würde dies einige den übrigen vorzie hen: hernach aber der Academiſchen den zweyten Rang zugeſtehen. Eben ſo iſt es mit dem Epieurer; wel cher mit aller Verachtung des Stoickers ſeine Sekte
für die vornehmſte hält, und gleich darauf die Aca demiſche folgen läßt. Eben ſo iſt es wahrſcheinlich, daß wann bey einer entledigten Würde der Fürſt die ſämmtlichen Mitwerber einzeln befragte, welchen ſie
nach ſich für den würdigſten hielten, ihre Wahl den jenigen treffen würde, der vorzüglich würdig und verdient wäre.
-
-
-
Widerlegung. Der Trugſaz trügt wegen dem Neid. Denn die
Menſchen pflegen nach ſich und ihre Parthie diejeni gen vorzüglich zu begünſtigen und ihnen gewogen zu ſeyn , welche unter den übrigen die ſchwächſten und die kraftloſeſten ſind, und welche ihnen die wenigſte Mühe gemacht haben, und zwar demjenigen zum Verdruß, welche ihnen am meiſten im Wege geſtan den oder ſie beläſtiget haben. / -
Trugſaz.
-
6. Deßen Vortrefflichkeit oder Vorzug beßer iſt, das iſt der ganzen Gattung nach beßer.
Hieher gehören jene gewöhnliche Reichthümer oder Glücksgüter, wir wollen uns aber nicht mit den all gemeinen aufhalten: ſondern ein beſonderes mit einem beſonderem vergleichen. -
4l 5
-
Wider
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538
Widerlegung. Dieſer Trugſaz ſcheint ſehr nervigt zu ſeyn;
und iſt mehr dialeetiſch, als rhetoriſch. er bisweilen.
giebt,
Doch trügt
Erſtlich, weil es nicht wenige Dinge
die meiſtens der Gefahr unterworfen ſind,
welche jedoch, wenn ſie davon kommen, die andern
übertreffen. So daß ſie der Gattung nach ſchlimmer ſind, weil ſie öfterer Gefahr leiden und zu Grunde gehen; als Einzelding aber ſind ſie edler. Unter dieſer Zahl iſt des Märzen, Auge, von welchem das franzöſche Sprichwort ſagt; wenn ein Pariſer Sohn und ein Märzen, Auge gerathen, ſo wird eins ſo gut als zehn andere. Der Gattung nach alſo übertrift
ein May - Auge ein Märzen Auge, aber als Einzelding .
betrachtet, wird das beſte Märzen Auge dm beſten May Auge vorgezogen.
Er trügt zweytens wegen
der Natur der Dinge, die in einigen Gattungen oder
Arten mehr ähnlich, in einigen mehr unähnlich iſt. So wie man beobachtet hat, daß die wärmeren Hin
melſtriche überhaupt ſcharfſinnigere Köpfe hervorbrin gen; daß aber die vorzüglichen Köpfe in den kälteren, auch die ſcharfſinnigſten der warmen Gegenden über
treffen.
Gleichfalls würde vielleicht, wenn bey meh
reren Armeen die Sache durch einen Zwenkampf aus,
gemºcht würde, der Sieg auf die eine Seite fallen, mit ſämtlichen Truppen,
vielleicht auf die andere.
Dean die Vorzüge und Fürtrefflichkeiten ſezen einen
Fall voraus, aber die Gattungen werden von der Natur oder der Zucht regiert. Ja der Gattung nach, iſt das Metall koſtbarer als der Stein, und
dannoch übertrift der Demant das Gold,
--
Trug
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Trugſaz.
7. Was die Sache ganz erhält iſt gut, was ohne Haltungsmittel iſt, iſt übel: denn ſich nicht hal ten können, iſt eine Gattung Ohnmacht, die Macht aber ein Guth. Daher hat Aeſop die Fabel von zwey Fröſchen erdichtet; welche bey einer großen Dürre, da aller Orten Mangel am Waßer war, ſich berath ſchlaget, was ſie endlich vornehmen ſollten. Der eine
aber ſagte: wir wollen in den tiefen Brunnen hin unter, denn es iſt nicht wahrſcheinlich, daß es daſelbſt an Waßer mangeln werde.
Deme der andere alſo
geantwortet; wenn es aber auch da am Waßer fehlen ſollte, wie würden wir herauf ſteigen können ? der Grund dieſes Trugſazes aber iſt der; daß die menſch
lichen Handlungen ſo ungewiß und den Gefahren ſo ſehr ausgeſezt ſind, daß das beſte ſcheint, was die meiſten Auswege hat. Hierher gehören jene For meln, welche im Gebrauch ſind, als: du wirſt dich
ganz verbindlich und verpflichter machen:
du wirſt
von dem Glück nicht ſo viel nehmen, als du willſt,
Widerlegung Der Trugſaz trügt erſtlich, weil in den menſch lichen Handlungen der Zufall treibt, daß endlich
etwas beſchloßen wird.
Denn wie jener ſehr artig
geſagt hat; auch nicht beſchließen, iſt etwas beſchließen: eben ſo verwickelt uns öfters die Aufhebung unſers Entſchlußes in mehrere Bedürfniße, als wann wir uns zu etwas entſchloßen hätten. Es ſcheinet aber
dies eine gewiße Krankheit der Seele zu ſeyn, welche -
der;
549
SFR)
-
derjenigen gleich iſt, welche man an den Geizigen wahrnimmt: nur mit dem Unterſchied, daß dieſe die
Begierde das Geld zurückzuhalten anbetrift, jene aber auf die Begierde die Willkühr und die Macht zurück, zuhalten geht. Denn wie ein Geiziger nichts genießen will, damit er nichts von der Summe wegnehme; eben alſo will ein dergleichen Zweifler nichts ins Werk
richten,
damit ihm alles ganz bleibe.
Er trüge
zweytens, weil die Bedürfniß, und das, was man im Sprichwort heißt: der Würfel iſt geworfen, den
Gemüchern einen Reiz giebt: wie jener ſagt: ihr, die ihr im übrigen gleich ſeyd
übertreffet durch das
Bedürfniß gewiß die andere.
Trugſaz.
8. Was ſich jemand durch ſeine Schuld zuge, zogen iſt ein größeres Uebel; Was von außen kommt,
ein kleineres Uebel.
-
-
Die Urſache hievon iſt, weil das Unglück die Gewißers - Biße verdoppelt: da es im Gegentheil im Unglück einen großen Troſt giebt , wenn man ſich bewuſt iſt, daß man keine Schuld hat. So ſchildern
die Dichter diejenigen Leiden ſehr groß, und beinahe der Verzweiflung nahe, wo ſich jemand ſelbſt ankla get und peiniget.
»
-
Er giebt ſich ſelbſt und allein für die Urſache und die Quelle ſeines Elends aus.
Hingegen erheben ſich große Männer durch das Bewuſtſeyn ihrer Unſchuld und ihres Verdienſtes im erlits
& FR)
54 I
-
erlittenen Unglück, und ſchwächen es dadurch. Ferner
hat bey dem Unglück, das ſonſt durch andere zu kommt, ein jeder etwas, worüber erfrey klagen kan, damit ſeine Schmerzen verdünſten und das Herz nicht
erſticken. Denn über das, was von dem Unrecht der Menſchen herrührt, pflegen wir zu zürnen, oder auf Frage bedacht zu ſeyn, oder endlich, die göttliche Straf- Gerechtigkeit entweder zu erwarten, oder an zurufen; ja wenn man von dem Unglück des Zufalls ſelbſt auch geſchlagen worden iſt, ſo zankt man ſich
gleichſam mit dem Schickſal; und die Mutter nennt, wie der Dichter ſagt, die Götter und Geſtirne grau
ſan.
Wo ſich aber jemand ſein Uebel ſelbſt zugezo
gen hat, ſo kehren die Stacheln der Plage nach innen und verwunden und durchgraben das Gemüth noch mehr. *
Widerlegung
Dieſer Trugſaz trügt, erſtlich wegen der Hoff, nung; welche ein großes Gegengift für das Unglück iſt. Denn die Verbeſſerung der Schuld, liegt öfters in unſerer Macht; des unglücklichen Zufalls aber nicht. So hat Demoſthenes öfters ſeine Bürger mit dieſen Worten angerednet: was in Abſicht des Vergangenen
das ſchlimmſte iſt, iſt in Abſicht des Zukünftigen das beſte. Was mag dieſes wohl ſeyn? das iſt es, daß durch eine Schuld und Sorgloſigkeit die Sachen übel
ſtehen: denn wenn ihr in allem eure Pflicht gethan hättet, und nichts deſtoweniger euer Zuſtand wie jezt mangelhaft wäre, ſo würde nicht einmal Hofnung übrig ſeyn, daß er dereinſt beßer würde. Da aber -
die
542
&-Fººd
die Fehler hauptſächlich an euch gelegen haben; ſo iſt allerdings zu hoffen, daß ihr nach Verbeßerung derſelben euren vorigen Zuſtand erlangen werdet. Gleichfalls eignet Epictet,
wenn er von den Graden
der Gemüths, Ruhe redet, den lezten Plaz denjenigen an, welche andere anklagen: den oberen denjenigen,
die ſich ſelbſt anklagen: den oberſten aber denjenigen, die weder andere noch ſich ſelbſt anklagen.
Er trügt
zweytens, wegen dem angebohrnen Stolz der Men ſchen, nach welchen ſie ſchwerlich dahin gebracht wer den, daß ſie die eigenen Fehler erkennen, damit ſie aber dies vermeiden, ſo wenden ſie eine weit größere Gedult an, wie in denjenigen Uebeln, welche ſie ſich
durch ihre Schuld zugezogen haben.
Denn die
Menſchen ſind bey einer begangenen Schuld,
deren
Urheber aber nicht bekannt iſt, über die Maaßen ungeſtümm und aufgebracht: ſobald ſie aber erfahren, daß jene Schuld ein Sohn, Weib, oder ſonſt ein Freund begangen, ſo verliert ſich der Lermen alsbald,
und ſie werden ſtill: eben dies geſchieht auch, wenn eine Sache vorfällt, wegen welchen uns die Noth wendigkeit obliegt, die Schuld auf uns ſelbſt zu neh men. Wie man dies ſehr, öfters an den Weibern ſieht, die, wenn ſie etwas wider den Willen ihrer Eltern oder Freunde gethan haben, welches unglück
lich ausſchlägt, dennoch dieſes Unglück ſehr verheelen, und ſich verſtellen.
-
Trugſaz. 9. Der Grad der Beraubung ſcheint größer, als der Grad der Verminderung: und wieder; - der * *
*
Grad
FIFRS
543
Grad des Anfanges ſcheint größer als der Grad des Zuwachſes. -
-
-
Es iſt ein Grundſaz in der Mathematik: daß es keine Verhältniße des Nichts zum Etwas gebe. Alſo ſcheinen die Grade des Nichts und des Etwas
größer als die Grade des Zunehmens, und des Ab nehmens. So wie es für einen Einäugigen härter
iſt, ein Auge zu verſtehren, als für einen, der beyde Augen hat.
Gleichfalls iſt es ſchwerer, wen: einer,
der viele Kinder hat, das lezte noch übrig gebliebne Kind verliehrt als es ſchwer war, die erſteren übrigen verlohren zu haben. Eben ſo hat die Sybilla, als ſie die zwey erſtern Bücher verbrannt hatte, dem
Preiß des dritten verdoppelt: indem der Verluſt deßelben ein Grad der Beraubung, nicht der Ver minderung geweſen wäre.
-
,
Widerlegung. Der Trugſaz trügt erſtlich, wegen denjenigen Din gen, deren Gebrauch in einer gewißen Genügſamkeit, oder Füglichkeit, das iſt, in einer beſtimmten Menge be
ſtehet.
Dann wenn jemand bey Strafe angehalten
wird, eine gewiße Summa Geldes auf einen gewißen
Tag zu bezahlen, ſo würde es ihm ſchwerer fallen, ein
einziges Stück Geld nicht zu haben, als wann ihm die ganze Summa fehlte, geſezt, daß dieſes einzige Stück nicht von ihm aufgetrieben werden könne. Ebenſo ſcheint in den Verſchwendungen der Glücks , Güter derjenige Grad, der Verſchuldung ſchädlicher zu ſeyn, welcher zuerſt das Capital vermindert; als der lezte, welcher
->
s44
welcher zur Dürftigkeit bringt.
Hieher gehören jene
gebräuchliche Redensarten: die Sparſamkeit mit dem Capital iſt zu ſpät: es iſt gleich viel, ob du nichts haſt, oder ob es dir nichts mehr hilft, u. ſ. w. Er trügt zweytens, wegen jenem Grundſaz in der Natur; daß
die Verderbung des einen, die Zeugung des andern ſey. So daß ſelbſt der Grad der lezten Beraubung bisweilen weniger ſchadet, weil er Gelegenheit und Trieb zu einer neuen Einrichtung giebt. Daher auch Demoſthenes
öfters bey ſeinen Mitbürgern klagt: daß die minder nüz lichen und ruhmvollen Bedingniße, welche ſie von dem
König Philipp in Mazedonien annahmen, nichts anders ſeyen, als einige Unterhaltungsmittel, für ihre Faulheit und Trägheit; daß es ihnen beßer geweſen wäre derſel bigen gänzlich zu mangeln, weil dadurch ihr Fleiß zur Hervorbringung anderer Mittel beßer geſchärft werden könne. Ich kenne einen gewißen Arzt, welcher ver zärtelten Weibern die ſich beklagten und doch alle Arz
neyen verabſcheuten, nicht minder ſcherzhaft als ſinnreich zu ſagen pflegte : ſie müßten ſich erſt ſchlimmer befin
den, damit ſie keine Arzneyen mehr verabſcheuten.
Ja
auch ſelbſt der Grad der Beraubung, oder der äußerſten
Dürftigkeit kann heilſam ſeyn, und zwar nicht nur zur Aufmuntrung des Fleißes, ſondern auch zur Uebung der Gedult.
-
Was das zweyte Stück dieſes Trugſazes anbetrift, ſo ruht es auf den Grund als das erſtere. Daher wer den ſo viele Lobeserhebungen von dem Anfang der Ge ſchäfte mißbraucht. Daher der Aberglaube der Stern deuter, welche über das Schickſal oder die Begegniße
eines Menſchen nach dem Anfang oder Zeitpunkt der
Geburth oder der Empfängniß urtheilen. -
-
Wider--
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K4ß
Widerlegung. Der Trugſaz trügt erſtlich, weil in einigen Din gen die Anfänge derſelben nichts anders ſind, als was
Epicur in ſeiner Philoſophie Verſuche nennt, das iſt, einige Anfangs Gründe welche nichts ſind, wo ſie nicht wiederholt oder fortgeführt werden. Alſo ſcheinet in dieſem Falle der zweyte Grad würdiger und mächtiger als der erſte : wie an einem Wagen das uneinslezte
Pferdt mehr zur Bewegung des Wagens beyträgt als das erſte.
Auch pflegt man nicht unſchicklich zu
ſagen; eine beantwortete Schmähung, ſey dasjenige,
was am Streit Schuld ſey.
Dann die erſtere würde
vielleicht verflogen ſeyn. Alſo hat die erſtere zu dem Uebel den Anfang gegeben, aber die leztere hat das Maaß aufgehoben. Der Trugſaz trügt zweytens, wegen der Würde der Dauer; welche in dem Fortgang nicht in dem Anfang liegt. Denn der Zufall oder die Natur können den erſten Antrieb erzeugen; aber nur
der reife Affekt und die Beurtheilung, die Beſtändigkeit. Er trügt drittens in denjenigen Dingen, deren Natur und gemeinen Lauf auf das Gegentheil der angefangenen Sache geht. So daß der erſte Anfang beſtändig ſchwächer wird, wo die Kräfte nicht fortgeſezt werden.
Wie es auch in jenen gebräuchlichen Redensarten heißt; nicht vorwärts ſchreiten iſt zurück ſchreiten: und wer nicht zunimmt nimmt ab: wie in dem Rennen gegen einen Berg, ober in dem Rudern gegen einem Strudel:
wenn aber die Bewegung an dem Abhang des Berges anfängt, oder das Rudern den Strom hinab geſchieht;
alsdann behält der angefangene Grad die Oberhand. Ferner wird jene Schilderung nicht bloß auf den Grad Mm .
des
546
&SFN
des Anfanges, welche von der Macht zur Wirklichkeit geſchiehet, verglichen mit dem Grad, welcher von der Wirklichkeit zum Wachsthum geſchiehet, ausgedehnet: ſondern auch auf denjenigen Grad, welcher von der Ohn macht zur Macht ſeyn mag, verglichen mit dem Grade,
welcher von der Macht zur Wirklichkeit iſt.
Denn der
Grad von der Ohnmacht bis zur Macht, ſcheint größer, als von der Macht zur Wirklichkeit.
Trugſaz. 10. Was zur Wahrheit gezählt wird, iſt größer als das, was man zur Meinung rechnet.
Die Art
aber, und der Beweiß deßen, was zur Meinung gehört, iſt dieſer, daß es einer nicht tyun würde, wenn er glaubte es heimlich zu thun. Auf die Art ſprechen die Epicurer von der Glückſeligkeit der Stoiker, welche dieſe in die Tugendſezen, daß ſie nemlich der Glückſeligkeit eines Schauſpielers auf dem Theater gleichſen, welcher ſogleich niedergeſchlagen werde, wenn er den Beyfall der Zuſchauer verliere. Alſo nennen ſie die Tugend durch die Schmach ein theatraliſches Guth.
Anders iſt es mit den Reichthümern, von welchen jener ſagt: das Volk beziſcht mich; ich aber klatſche mir.
Eben ſo in Abſicht der Wolluſt, wo es heißt; das Ge fühl ihrer Freuden durchgreift ſein innerſtes, und er verſtellet ſein Geſicht zur Schamhaftigkeit.
Widerlegung. Die Trügerey dieſes Trugſazes iſt weit feiner: ob
wohl die Antwort auf das angeführte Beyſpiel leicht iſt. Denn die Tugend wird nicht wegen dem Beyfall des ,
-
Volks
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Volks erwählt. Da auch jene Lehre vorhanden iſt, daß man vor ſich ſelbſten die größte Ehrfurcht tragen müße. So daß ein rechtſchaffener Mann, der Nemliche in der Einſamkeit, und der Nemliche in öffentlicher Verſamm lung iſt. Obgleich die Tugend bisweilen durch das Lob
verſtärkt wird, wie die Wärme durch die Zurückwerfung
vermehrt wird. Aber dieſes verneinet die Vorausſezung, widerlegt aber nicht die Trügerey. ſey alſo, dieſe.
Die Widerlegung
Zugegeben, daß die Tugend, beſonders
diejenige, welche Mühſeligkeiten und Kämpfe eingeht, nicht gewählt würde, wo ſie nicht Lob und Ehre zu beglei ten pflegten; ſo folgt daraus nicht, daß die Begierde
und die Bewegung zur Tugend nicht hauptſächlich ihrer ſelbſt wegen entſtehe. Indem der Ruhm nur eine an treibende Urſache, keinesweges aber keine ausmachende ſeyn kan. Zum Beyſpiel: Wenn es zwey Pferde giebt, unter welchen das eine ohne beygebrachten Sporn ſeinen Dienſt nicht träge verrichtete; das andere aber nach
gefühltem Sporn das erſtere weit überträfe: ſo glaube ich, daß dieſes leztere den Preiß davon tragen, und für ein befres Pferdt gehalten werden wird. Auch wird niemand von geſundem Urtheil das Sprüchelchen bewegen: Hinweg mit dem Pferdte, deßen Muth in den Sporen liegt. Denn da der Sporn ein gewöhnliches Werckzeug für einen reitenden iſt, und ihm auf keine Weiſe zur Laſt oder Hinderniß fällt; ſo iſt diesfals ein Pferdt, welches durch den Sporn angetrieben wird, nicht minder zu
achten: noch auch jenes andere, welches ohne Sporn Wunder leiſtet, eben diesfals deſto beſſer; ſondern es iſt nur für zärtlicher zu achten. Auf gleiche Weiſe dienen der Ruhm und die Ehre der Tugend gleichſam zum
Sporn und zum Reiz: und obwohl die Tugend ohne Mm 2.
ſolche
W
-
543
&SF d
ſolche ein wenig matter ſeyn würde; ſo ſind ſie ihr doch
unaufgedrungen zur Hand; es hindert alſo nichts, daß die Tugend nicht ihrer ſelbſt wegen begehrt werde. Alſo wird jener Saz mit Recht widerlegt; das Merckmaſ defen, was wegen der Meinung und nicht wegen der
Wahrheit erwählt wird, iſt dieſes, daß es einer nicht gethan hätte, wenn er glaubte es heimlich zu thun.
Trugſaz. 1 . Was durch unſere Mühe und Tugend erwor ben worden iſt, iſt ein größres Guth; als was von einer fremden Wohlthat oder durch die Gunſt des Glücks auf
uns gekommen iſt, welches ein mindres Guth iſt. Die Urſachen dieſer Sache ſind dieſe Erſtlich, wegen der Hofnung auf die Zukunft. Denn in der
Gunſt anderer, oder dem Glück des Zufalls ſelbſt, liegt nicht viel Gewißheit; der eigene Fleiß und die Tugend aber ſind immer zu Hauße. So, daß wenn etwas gu tes auf dieſe Weiſe uns zubereitet worden, auch eben dieſelbigen Werkzeuge bleiben, die zu neuen Gebrauch fertig ſind, ja die auch die Uebung und der Erfolg tüch tiger gemacht haben. Zweytens, weil wir das, was
wir durch eine fremde Wohlthat erlangen, auch andern ſchuldig ſind: da hingegen das, was wir uns ſelbſt ver
ſchaft haben, keine ſolche Bürde mit ſich führt.
Ja
wenn auch die göttliche Gnade uns geſegnet hat, ſo heis
ſcher ſie eine gewiße Wiedervergeltung gegen die Güte Gottes, welche ſchlimme und gottloſe Menſchen ſchmerzt,
daher auch der Prophet ſagt; ſie freuen ſich und jauch zen, ſie ſpannen ihr Garn aus, und verlaßen ſich auf
ihre Neze. Drittens, weil auf dasjenige, was gar -
-
nicht
EFRIN
549
nicht von unſrer Tugend herkommt, kein Lob und keine Werthſchäzung folgt.
Denn was das Glück hervor,
gebracht hat, gebiert eine gewiße Bewundrung, kein Lob. So ſagt Cicero zu dem Cäſar : was wir bewundern
mögen, das haben wir ; was wir loben mögen, das erwarten wir. Viertens, weil dasjenige, was durch eignen Fleiß erlangt wird, beynahe immer mit Arbeit und Bemühung verknüpft iſt; welches etwas angenehmes an ſich hat; wie Salomon ſagt: nach der Jagd ſchmeckt
die Speiſe angenehm.
Widerlegung. Aber man findet vier entgegengeſezte Schilderun gen, welche die Sache zum Gegentheil lenken; und die als Widerlegungen der erſtern angeſehen werden können.
Erſtlich, weil die Glückſeligkeit ein Zeichen und Merkmal der göttlichen Gnade zu ſeyn ſcheint : und diesfals ſo wohl in uns ſelbſt eine Zuverſicht und Munterkeit, als auch bey andern ein Anſehen und eine Ehrfurcht erzeiget.
Dieſe Glückſeligkeit begreift aber auch das ohngefähr in ſich, wornach die Tugend ſchwerlich trachtet; ſo wie
Cäſar, der dem Steuermann Muth zu machen ſuchte, geſagt hat: du führſt den Cäſar und ſein Glück. Wann er geſagt hätte, du führſt den Cäſar und ſeine Tugend,
ſo würde dies dem mit Schiffbruch bedrohten ein kalter Troſt geweſen ſeyn. Zweytens, weil dasjenige, was durch die Tugend oder den Fleiß zu Stande kommt, nachzuahmen iſt, und andern offen ſteht; da das Glück
eine unnachahmliche Sache iſt, und ein gewißer Vorzug eines einzelen Menſchen iſt. Alſo ſehen wir überhaupt, daß die natürlichen Dinge den künſtlichen vorgeſezt wer, den, weil ſie die Nachahmung nicht annehmen. Was -
Mm 3
aber
55es
&SFRd
aber nachzuahmen iſt, iſt durch die Fähigkeit gemein worden. Drittens, die Güter welche vom Glüef fom men, ſcheinen freywillige Geſchenke und nicht durch Ar
beit erkauft zu ſeyn: die durch eigene Tugend eriangte aber, ſcheinen um einen gewißen Preiß erworben zu ſeyn.
So hat Plutarch, als er die Umſtände des Tinoleons, des beglückteſten Mannes, mit den Umſtänden des Age, ſilaus und Epaminondas, welche in einem Zeitalter ge lebet haben, verglichen, ganz artig geſagt: jene ſeyen
den Gedichten des Homers gleich, welche bey ihrer ſon ſigen Vortrefflichkeit auch von ſelbſt zu fließen ſcheinen
und einen wie natürlich vorkommen. Viertens, weil das, was unvermuthet und unerwartet ſich ereignet, ange nehmer iſt, und die Gemüther der Menſchen mit größe, rem Vergnügen erfüllt. Dies aber trift bey denjenigen Gütern nicht zu, welche durch eigene Sorge und Bewer bung erlangt werden.
Trugſaz. 12. Was aus Mehrerem und Theilbarem beſteht, iſt größer als dasjenige, was aus Wenigerem beſteht und mehr Einheit iſt: denn alles was nach Theilen etrachtet wird, ſcheint größer: daher auch die Mehrheit
er Theile die Größe für ſich trägt: die Mehrheit der Lºeile wird aber ſtärker, wann die Ordnung fehlt: Lann ſie verführt durch die Gleichheit des unendlichen, und hindert den Begrif. Dieſer Trugſaz ſcheint auch den erſten Anblick nach
trügeriſch, und iſt gleichſam handgreiflich: denn nicht die Mehrheit der Theile allein, ſondern ihre größere
Größe wird ihr ganzes vermehrter darſtellen können. Dennoch
551
EFRd
Dennoch reißt dieſer Trugſaz öfters die Phantaſie dahin; ja er hinterlſtet ſogar die Sinnen. Denn der Ausſicht ſcheint ein Weg kürzer auf der Ebene, wo nichts dar zwiſchen kommt welches ſolche unterbricht, als in einem ſolchen Strich Landes, wo man zugleich Bäume, oder
Gebäude, oder einiges andres Zeichen ſieht, welches den Raum abſchneiden und abcheilen kann. Eben ſo wird auch die Phantaſie den Reichthum ſich größer vorſtellen,
wenn ſie ihr Geld wohl gezählt in Käſten und Fächer eingeheilt und eingetragen hat.
Eben ſo wirkt es in
Erweiterungen, wenn die Sache in mehrere Theile ge theilt wird, und ſie einzeln beſonders behandelt werden. Dieſes aber füllt die Phantaſie noch mehr an, wenn es verm ſelt und ohne Ordnung geſchieht.
Dann die
Ve wirrung der Vielheit zeugt die Meinung.
Denn
was in der Ordnung gezeigt oder vorgetragen wird, erſcheint ſowohl ſelbſt mehr endlich, als giebt auch einen gewißen Beweiß, daß nichts übergangen worden ſey.
Was aber im Gegentheil verwirrt und ohne Ordnung vorgeſtellet wird, hält man nicht allein an ſich für zahl reich, ſondern es läßt auch vermuthen, daß noch meh
reres zurück ſtehe, welches übergangen worden. Widerlegung. Der Trugſaz trügt
Erſtlich, wo jemand eine
größere Meinung von einer Sache gefaßt, als nach der
wahren Größe der Sache ſelbſt. Denn wann dieſes geſchieht, ſo wird die Eimtheilung jene falſche Meinung zerſtören, und die Sache in ihrer Wahrheit, nicht aber mit Erweitrung zeigen.
Eben ſo werden demjenigen,
der von Krankheit oder Schmerz ergriffen worden, die
Stunden ohne Uhr länger ſcheinen, als wann ſie mit -
Mm 4
der
552
SFRd
derſelben gemeßen werden. Denn der Verdruß und das Uebel der Krankheit, ſcheinen die Zeit länger zu machen, als in der That iſt; aber die Berechnung der Zeit verbeßert jenen Fehler, und macht ſie kürzer, als jene falſche Meinung ſich vorgebildet hatte.
Auch auf der
Ebene geſchieht oft das Gegentheil von den obengeſagten. Denn obwohl das Geſicht im Anfange den Weg kürzer darſtellt, weil er ungetheilt iſt: ſo verurſacht doch die
Vereitlung der Meinung, von dem weit kleinern Zwiſchen raum als wirklich vorhanden iſt, daß er erſt alsdann länger ſcheint als er in der That iſt. Wenn alſo jemand einer falſchen Meinung durch die Größe eines Dinges aufhelfen will, ſo hüte er ſich vor Eintheilungen, ſon dern erhebe nur die Sache im ganzen. Der Trugſaz trügt zweytens, wenn jene Einheilung zerrißen wird, nicht aber zugleich vorſchwebt, oder mit einem Anblick ins Geſicht fällt. Wenn alſo Blumen in einem Garten in mehrere Beete eingetheilt werden, ſo werden ſie das
Anſehen einer größern Menge darbieten, als wann ſie alle zugleich in einem Beet ſtünden; wo nur jene Beete zugleich in die Augen fallen; denn ſonſten wird die
Vereinigung der zerrißenen Eintheilung vorgehen. So ſheinen die Einkünfte derjenigen größer, welche ihre Feldgüter oder Grindſtücke an einander oder vereinigt haben. Dann wenn ſie zerſtreut liegen, ſo fallen ſie
nicht ſo leicht ins Geſichte.
Der Trugſaz trügt drittens,
wegen der Würde der Einheit vor der Vielheit.
Denn
jede Zuſammenſezung iſt in einzelen das gewißeſte Zeichen
der Dürftigkeit, daher das Sprüchwort kommt : was einzeln nicht nüzt, hilft in der Vielheit. Daher hat Maria das befre Theil ergriffen, hingegen heißt es:
Murtha, Martha / du machſt dir viel zu
Ä. ines
&S FSd
553
-
Eines iſt noch. Daher jene Fabel des Aeſops von dem Fuchs und der Kaze: denn der Fuchs rühmte wie viele Künſte und Ausflüchte er hätte, wodurch er ſich den Hunden entriße; die Kaze aber ſaate nur von einem ei
nigen Mittel wodurch ſie ſich hülfe; daß ſie neinlich die geringe Fähigkeit zu klettern hätte. Welcher Schuz aber weit vorzüglicher als jene übrigen des Fuchſes ge weſen: daher das Sprichwort : der Fuchs kennt viele, aber die Kaze ein einziges großes. Ja man ſieht auch in der moraliſchen Bedeutung dieſer Fabel eben dieſes: denn auf einen mächtigen und getreuen Freund ſich ver
laßen, bringt mehr Hülfe als die meiſten argliſtigen Künſte.
-
Und dieſe vorgebrachte mögen als Beyſpiele ge nug ſeyn. Wir haben aber noch eine große Anzahl
ſolcher Schilderungen, die wir ehemals in unſrer Ju gend zuſammengetragen haben; jedoch ohne ihre Er läuterungen
oder Widerlegungen;
welche wir jezt
zu verfaßen nicht Muſe haben, ſolche Schilderungen aber bloß, ohne ihre Erläuterungen, da doch die obigen gekleidet hervorgiengen, hier vorzutragen, ſcheint uns gar nicht angemeßen zu ſeyn.
Inzwiſchen
erinnern wir, daß dieſe Sache, wie ſie auch angeſe hen werden kann, unſerm Erachten nach, von keinem
geringen Werth zu ſeyn: als welche an der Urphilo ſophie und der Rhetorik Antheil nimmt. Und dies mag von den gemeinen Zeichen,
oder den Schilde
rungen des Guten und Böſen, ſowohl des Einfachen als des Verhältnismäßigen genug geſagt ſeyn.
Mm 5
Die
554
z-Fººd
Die zweyte Sammlung, welche zu der in Vor rath befindlichen Wißenſchaft gehört und vermißt
wird, iſt diejenige, auf welche Cicero, wie wir oben in der Logic geſagt haben,
deutet; da er die Lehre
giebt, daß man Gemeinplize in Bereitſchaft haben ſolle, weiche auf beyden Seiten beſtritten und abge handelt werden. Dergleichen ſind: für den Buchſta ben des Geſezes und für die Meinung des Geſezes
u. ſ. w. Wir aber haben dieſe Lehre auch auf an, deres ausgedehnt; daß es nicht allein zur gerichtli chen Gattung, ſondern auch zur Gattung der Bes ratyſchlagungen und Beweiſe angewendet werde. Wir
dringen allerdings darauf, daß man alle Stellen, die häufig gebraucht werden, ſie mögen nun Beweiſe und Widerlegungen, oder Zuredungen und Abredungen, oder Lob und Tadel betreffen, ſchon überdacht im
Vorrath habe, und ſie mit den äußerſten Kräften des Geiſtes und gleichſam unbillig und Wahrheitslos er hebe und erniedrige. Wir halten aber davor, daß dies die beſte Weiſe dieſer Sammlung, ſowohl in Rückſicht des Gebrauches, als der Kürze werden würde, wenn dergleichen Stellen in gewiße ſcharfſin
nige und abgekürzte Sprüche,
als wie in gewiße
Knäule zuſammen gezogen werden, deren Fäden nach Erforderniß der Sache zu einer weitläuftigeren Unter redung geſponnen werden können. Und einen gewißen
gleichen Fleiß finden wir beym Seneca ,
aber in
Hypotheſen oder Fällen. Da wir ſehr viele von jener Gattung in Bereitſchaft haben, ſo wollen wir einige zum Beyſpiel vortragen. Wir nennen ſie aber Ge
genſäze der Dinge. Bey
&SFD
555
Beyſpiele der Gegenſäze. 1. Der Adel. Fü r. Welchen die Tugend von dem Geſchlecht ganz eingepflanzt iſt, die wollen nicht nur nicht laſterhaft ſeyn, ſondern können es auch nicht. -
Der Adel iſt eine Lorbeer, Krone, Zeit die Menſchen erönet.
womit die -
Wir verehren das Alterthum auch an todten
Denkmalen, wie viel mehr an Lebendigen? Wenn man den Adel der Familien verachtet, was für ein Unterſchied wird endlich zwiſchen dem
Geſchlechte der Menſchen und der Thiere ſeyn?
Der Adel entziehet die Tugend dem Neid, über giebt ſie der Gunſt. Wid er.
Selten kommt aus der Tugend der Adel, ſelte, ner aus dem Adel die Tugend. Die Geſchlechter
des Adels gebrauchen weit
öfters die Fürbitte ihrer Voreltern zur Vergebung,
als die Beyſtimmung zu Ehrenſtellen. Der
&EFD
556
Der Fleiß, der nicht geadelten Perſonen, pflegt ſo groß zu ſeyn, daß die Geadelten in Vergleichung mit erſteren gleichſam nur Bildſäulen ſcheinen. Die Adelichen gleichen in dem Studiren nur
allzuoft einem üblen Käufer.
2. Die Geſtalt. *
Für.
Die Ungeſtalten pflegen ſich an der Natur zu rächen. Und die Tugend iſt nichts anders, als die inner
liche Geſtalt; und die Geſtalt nichts anders, als die - äußerliche Dugend.
-
Die Ungeſtalten ſichen ſich von der Verachtung wirklich durch ihre Bosheit zu rächen.
Die Geſtalt macht die Tugenden glänzend, die Laſter ſchamroth. Wid er.
Die Tugend,
wird wie ein Edelſtein
beßer
ohne vieles Gold und Zierrath eingeſezt. Was ein köſtliches Kleid einem ungeſtalten iſt,
das iſt die Geſtalt einem Gottloſen. Gleichfalls ſind diejenigen meiſtens leichtſinnig, welche die Geſtalt ziert und rührt. 3. Die
FEFD
557
3. Die Jugend.
A
Für.
Die erſten Gedanken, und die Rathſchläge jun ger Männer haben mehr Feuer.
-
Die Alten ſind mehr für ſich klug: weniger für andere, und den Staat.
Wenn es ſichtbar wäre, ſo würde man ſehen, daß das Alter die Seelen mehr verunſtaltet, als die Cörper.
Die Alten fürchten alles außer
der Gottheit.
W i de r.
Die Jugend iſt das Feld der Reue.
. Der Jugend iſt eine Verachtung des Anſehens der Alten eingepflanzt, damit ein jeder mit ſeinem eigenen Schaden klug werde.
Es iſt eine Zeit, worinn man weder Rathſchläge
ſucht, noch ſie genehmiget. Bey den Alten verwandeln ſich die Schönheiten in Annehmlichkeiten.
4. Die Geſundheit. Fü r.
Die Pflege der Geſundheit macht den Geiſt niedrig und dem Cörper unterthan. -
Ein
Fºd
558
Ein geſunder Cörper, iſt ein Beherberger der Seele; ein kranker ein Zuchtmeiſter. Nichts befördert die Summe unſerer Handlun
gen mehr, als eine vollkommene Geſundheit: Hinge
gen eine geſchwächte iſt allzumüßig. W i de r. ---
Oft geſund werden, iſt oft jung werden. Die Entſchuldigung der Geſundheit iſt allgemein, und auch geſunde nehmen ihre Zuflucht darzu.
Die Geſundheit verbindet den Cörper allzu feſt mit der Seele.
Auch das Bett hat große Reiche, und die Sänfte große Armeen regiert.
5. Weib und Kinder. F ür. Die Liebe des Staats fängt von der Familie an. Weib und Kinder lehren die Freundlichkeit, aber
Eheloſe ſind mürriſch und ſtrenge. Die Eheloſigkeit und Leedigkeit dienen zu nichts als zur Flucht. -
Wer keine Kinder zeugt, der opfert dem Mars. Sie ſind übrigens glücklich, aber mit Kindern ſind ſie nicht beglückt worden: damit die Menſchen den göttlichen Zuſtand nicht allzu nahe kommen. Wider.
&SFN
559
-
Wid er.
Wer ein Weib genommen und Kinder gezeugt hat, hat den Glück Geißel gegeben. Das Zeugen und die Kinder,
ſind was menſch
liches; das Erſchaffen und die Taten
ſind was
göttliches.
Die Ewigkeit der Thiere iſt ihre junge Zucht: der Ruhm der Männer ſind Verdienſte und Anſtalten. Die Verhältniße des Haußweſens untergraben gemeiniglich die des Staates. Einigen hat das Glück
des Priamus gefallen, der alle die ſeinigen
überle
bet hat.
6. Reichthümer. F ür. Diejenigen verachten die Reichthümer nur, welche verzweifeln wollen.
Die Beneidung der Reichthümer hat die Tugend zur Göttin gemacht.
Indem die Philoſophen zweifeln, ob alles auf die Tugend oder die Wolluſt zu ſezen ſey, ſo ſammle die Werkzeuge beyder.
Die Tugend wird durch die Reichthümer in ein gemeinſchaftliches Guth verwandelt. Die übrigen Güther haben eine beſondere Ver
waltung, die Reichthümer allein eine allgemeine. Wider.
&SF d
56o
W i de r.
Von großen Reichthümern hat man entweder
die Verwahrung, oder einige Ausheilung oder Ruhm, aber keinen Nuzen.
Sieht man nicht daß kleinen Steinichen und dergleichen Tändeleyen ein großer Preiß angedichtet
wird, nur, damit einiger Gebrauch großer Reichthümer ſtatt finden könne?
-
Viele, die geglaubt haben, daß um ihre Reich thümer alles feil werden würde, ſind zuerſt ſelbſt feil
geworden. Man kann die Reichthümer nicht anderſt als
Hinderniße der Tugend heißen. Denn ſie ſind ſowohl der Tugend unentbehrlich, als beſchwerlich. Die Reichthümer ſind ein guter Dienſtbote, aber eine ſehr ſchlimme Herrſchaft.
7. Ehrenſtellen. Für. -
Die Ehrenſtellen ſind nicht, wie man ſpricht, ein Spielzeug der Tyrannen,
der göttlichen Vorſicht.
ſondern ein Geſchenke -
Die Ehrenſtellen machen, ſowohl die Tugenden als die Laſter ſichtbar: ſie rufen jene hervor, bezähmen ſie.
dieſe
Maty
&SFR)
56t
Man weiß nicht, wie weit einer in den Lauf der Tugend gekommen, wo ihm nicht die Ehrenſtellen ein offenes Feld darbieten. Die Bewegung der Tugend iſt, wie die anderen Dinge, hinreißend zum Ort, ruhig im Ort: der Ort
der Tugend aber iſt die Ehrenſtelle. Wid er.
Indem wir nach Ehrenſtellen ringen, verlieren
wir die Freyheit.
-
Die Ehrenſtellen geben uns faſt immer über ſolche Sachen eine Gewalt, welche nicht zu wollen, die beſte Beſchaffenheit iſt, und die nächſt darauf folgende, ſie nicht haben zu können.
Das Steigen nach Ehrenſtellen iſt beſchwerlich, die Stelle ſelbſt ſchlüpfrig, der Rückfall gefährlich.
Welche in Ehrenſtellen ſind, müßen die Meinung
des Pöbels borgen, damit ſie ſich ſelbſt glücklich glauben. -
-
8. Regierungen.
Für.
-
"
-
-
Die Glückſeligkeit zu genießen iſt ein großes Gut, aber ſolche auch andern mittheilen zu können, iſt ein noch größeres.
Die Könige ſind nicht den Menſchen, ſondern
den Geſtirnen gleich.
Dann ſie haben ſowohl auf
Einzele, als auf die Zeiten ſelbſt einen großen Einfluß. Nn
Denen
&-Fººd
562 -
Denen zu widerſtehen, welche Gottes, Bild tra, gen und ſeine Stelle verſehen, ſich zu widerſezen, iſt nicht nur ein Verbrechen der beleidigten Majeſtät, ſondern auch eine gewiße Gottesläſterung. Wider. Wie elend iſt es,
faſt
nichts zu wünſchen zu
haben, und unendlich viel zu fürchten. Welche regieren, ſind den
-
himmliſchen
Cörpern
gleich, welche eine große Verehrung haben, keine Ruhe. s
Keiner aus dem Stande der Menſchen,
wird
zu den Gaſtmählern der Götter zugelaßen, außer zum Sport.
9. Das Lob. Die Achtung. Für.
-
Die Lob, Sprüche ſind zurückgeworfene Strahlen der Tugend.
-
Das Lob iſt eine Ehrenſtelle, die man durch freye Wahl erhält, Die Ehrenſtellen werden aus verſchiedenen Staats -
Urſachen errheilt, aber die Lobſprüche kommen aller Orten von der Freyheit. .
Die Stimme des Volks hat etwas göttliches. Dann wie können ſonſt ſo viele Köpfe in einem über einſtimmen? Man
* - FS
563
Man verwundre ſich nicht, wann der Pöbel wahv hafter redet, als die Gelehrteren; weil er auch ſiche rer redet.
.
.
.
Wider.
Das Gerüchte iſt ein ſchlimmerer Richter, als die Zeitung.
Was ſoll einem rechtſchaffenen Mann der Spei chel des Pöbels?
Das Gerüchte iſt wie ein Fluß, es erhebt das leichte und verſenkt das wichtige.
Der Pöbel lobt die niedrigſten Tugenden, die
mehr erhabene bewundert er für die ganz erhabenſten hat er gar kein Gefühl. Das Lob entſteht mehr aus der Prahlerey, als aus dem Verdienſt; und wird gemeiniglich mehr den windigen als den gründlichen Vorfällen beygelegt.
Für. Das Fortſchreiten der
Gewohnheit iſt arithme,
tiſch, der Natur geometriſch.
-
Wie ſich in den Staaten die gemeinen Geſeze gegen die Gewohnheiten verhalten, eben ſo verhält
ſich in einzelen die Natur zur Gewohnheit, Nn 2
Die
.
-
-
-
HEF d
564
Die Gewohnheit tyranniſirt gleichſam die Natur: und wird geſchwind und bey einer geringen Gelegen, heit zernichtet.
-
-
Wider.
Wir denken nach der Natur, reden nach den Vorſchriften, aber handen nach der Gewohnheit.
Die Natur iſt gleichſam der Gerichtsdiener, die Gewohnheit die Obrigkeit.
11. Das Glück.
.
Für.
Bekanndte Tugenden gebieren Lob, verborgene Glück.
Die Tugenden der Pflichten, gebieren Lob, der
Fähigkeiten Glück. Das Glück iſt gleichſam eine Milchſtraße, oder ein Haufen gewißer verborgener Tugenden ohne Nahmen. Das Glück iſt wenigſtens ſeiner Kinder wegen zu ehren, nemlich des Zutrauens und des Anſehens wegen. Wid er.
Die Thorheit des einen iſt des andern Glück. Das Glück ſchüzt nicht allemahlden, den es erwählt.
Indem große Männer den Neid ihren Tugenden abgelehnt haben, ſo ſind ſie unter den Verehrern des Glücks gefunden worden. -
-
12. Das
&- Fººd
565
12, Das Leben. Es iſt abgeſchmackt, die Zufälligkeiten des Lebens mehr zu lieben, als das Leben ſelbſt. Es iſt zu allem, auch zur Tugend
-
eine lange
Lebensbahn beßer als eine kurze. Ohne die etwas größern Lebensräume, giebt es kein
Vollkommenwerden, kein Auslernen, kein Bereuen.
Wider.
-
Indem die Philoſophen eine ſo große Zurüſtung
wider den Tod ſammlen, ſo haben ſie ihn dadurch ſelbſt fürchterlicher gemacht,
-
Die Menſchen fürchten den Tod, weil ſie ihn nicht kennen, wie die Knaben die Finſterniß.
Man findet unter den menſchlichen Leidenſchaften keine ſo klein, die nicht, wenn ſie nur etwas heftig angeſtrengt wird, die Furcht des Todes überwinde. Sterben wollen, kann nicht nur der ſtarke, oder
der elende oder der kluge, ſondern auch derjenige, der des Lebens überdrüßig iſt,
13. Der Aberglaube, \
e,
/
Für.
Welche ſich durch Eifer verſündigen, ſind nicht zu entſchuldigen, aber jedoch zu lieben. Das Mittelmäßige iſt man dem moraliſchen ſchul dig: das Aeußerſte dem göttlichen.
Nn 3
-
Ein
566
KEF-D -
Ein abergläubiſcher Menſch iſt doch als ein religiö, ſer bezeichnet.
-
Eher wären die fabelhafteſten Wunder einer jeden Religion zu glauben, als daß dieſes alles ohne Begeiſt rung geſchehe. Wid er. --
--
Wie die Gleichheit mit dem Menſchen die Häßlich kek des Affen vermehrt : eben ſo verhält es ſich, in Abſicht der Gleichheit des Aberglaubens, mit der Religion. Wie man die Anmaßungen in weltlichen Dingen
haßt, ſo haßt man auch den Aberglauben in göttlichen. Es iſt beſſer gar keine Meinung von den Göttern zu haben, als eine ſchmähliche. Nicht die Schule des Epicurs, ſondern die Stoi
ſche, hat die alten Staaden verwirrt. „ Der Beſchaffenheit des menſchlichen Geiſtes nach, giebt es keinen wirklichen Gottesläugner von Grundſä zen: ſondern große Heuchler ſind wahre Gottesläugner:
welche das Heilige beſtändig betaſten, aber niemals verehren. -
-
Für. Der Stolz iſt auch mit den Laſtern unverträglich:
und wie das Gift durch Gift, alſo werden nicht wenige Laſter durch den Stolz vertrieben. Man nimmt
gerne an fremden Laſtern theil: der
Stolze nur an den ſeinigen. -
Wenn
&E ÄRd
567
-
Wenn der Stolz von der Verachtung anderer zu der Verachtung ſeiner ſelbſt aufſteigen wird, ſo wird er endlich Philoſophie werden.
-
Wid er.
Das Epheu aller Güter und Tugenden iſt der Stolz. . -
Die übrigen Laſter ſind nur den Tugenden entgegen: der Stolz allein iſt anſteckend.
Der Stolz manglet der beſten Beſchaffenheit der Laſter, nemlich der Verborgenheit. -
Wenn der ſtolze die übrigen verachtet, ſo verab ſäumt er ſich innerlich.
15. Die undankbarkeit, Für. Das Verbrechen eines undankbaren Gemüthes iſt nichts anders, als eine gewiße Einſicht in die Urſache der ertheilten Wohlthat. Indem wir gegen einige dankbar ſeyn wollen; leiſten wir weder den übrigen Gerechtigkeit, noch laßen wir uns ſelbſt Freyheit wiederfahren. -
Die Dankbarkeit der Wohlthat iſt deſtoweniger zu
leiſten, wann der Werth nicht bekanndt iſt.
\
,
Wider. Das Laſter der Undankbarkeit wird nicht durch
Strafen gebändiget, ſondern den Furien überlaßen. Rn 4
Enger
-
"Fss
FSFSd
-
Enger ſind die Bande der Wohlthaten, als der
Pflichten: wer alſo undankbar iſt, iſt auch ungerecht und alles.
Dies iſt der Zuſtand des Menſchen: Niemand iſt von dem Schickſal ſo öffentlich beglücket, daß er nicht
der beſondern Gunſt und Rache vieles zu danken habe. I6. Der Neid.
Für. Es iſt natürlich das Vorrücken ſeines Glücks zu haßen.
Der Neid iſt in den freien Staaten gleichſam eine heilſame Verbannung. WZid er.
Der Neid macht keine fröhlichen Tage. Niemand als der Tod hat je den Neid mit der
Tugend ausgeſöhnt. Der Neid ermüdet die Tugend durch Arbeit, wie die Zuno den Hercules.
17. Die Unkeuſchheit. Für. Die Eyferſucht iſt ſchuld, daß man die Keuſchheit zur Tugend gemacht. Man muß ſehr traurig ſeyn, wenn man das Kies beswerk als eine ernſtliche Sache betrachtet. Warum
/
SFR
569
--
Warum ſezt man dann unter die Tugenden, was
doch entweder ein Theil den Diaet, oder eine Art Rein lichkeit, oder eine Tochter des Stolzes iſt?
Die Liebesbezeugungen ſind kein Eigenthum wie die Wald, Vögel, ſondern das Recht wird durch den Beſiz übertragen. Wid er.
Die ſchlimmſte Verwandlung der Eree iſt die Unkeuſchheit.
Sin unkeuſcher hat die Ehrfurcht gegen ſich ſelbſt verlohren: welche ein Zaum für alle Laſter iſt.
Alle, die wie Paris nur die ſchöne Geſtalt wählen, verlieren die Klugheit und die Macht.
-
-
Alexander hat keine gemeine Wahrheit geſagt: indem er den Schlaf und das Liebeswerk für die Pfän
der des Todes hielt.
18. Die Grauſamkeit. Für.
Keine Tugend vergeht ſich ſo oft als die Gütigkeit. Wenn die Grauſamkeit von der Rache entſteht, ſo iſt ſie Gerechtigkeit : wenn ſie von der Gefahr her, rührt, iſt ſie Klugheit.
Wer dem Feind Barmherzigkeit erweißt, verſagt ſich ſelbſt was.
Aderläßen ſind bey Heilung nicht öfterer nöthig, als Todtſchläge im gemeinen Leben, Nn 5
.
Wider,
-
-
sº Fººd
57o
Wider.
-
-
Gerne zu morden, iſt entweder einen wilden
Thiere, oder einer
Furie eigen.
Die Grauſamkeit ſcheint einen rechtſchaffenen
Mann immer fabelhaft und eine tragiſche Erdichtung
zu ſeyn.
-
19. Der eitle Ruhm. Für.
Wer ſein eigen ob begehrt, begehrt zugleich anderer Nuzen.
Wer ſo mäßig iſt, daß er ſich um nichts fremdes
bekümmert, von dem befürchte ich, daß er auch das öffentliche wohl für fremd hält. Etwas eitle Köpfe nehmen lieber die Sorge des Staats auf ſich.
Wider. Die Ruhmrächigen ſind immer aufrühriſch, lügen
haft, unruhig, allzu weitgeheº -.
Thraſo iſt der Raub des Gnathon. Es iſt dem Freyer ſchändlich die Magd zu beſtechen: die Magd der Tugend aber iſt das Lob.
2o. Die Gerechtigkeit. Für.
Die Reiche und Staaten ſind nur Zugaben der
Gerechtigkeit: dann wenn die Gerechtigkeit
anderſt
ausgeübt werden kann, ſo wird man ſie gar nicht nöthig haben.
-
Der
&S FS
571
Der Gerechtigkeit hat man es zu danken, daß der Menſch dem Menſchen ein Gott, und kein Wolf iſt.
Obgleich die Gerechtigkeit die Laſter nicht aufheben kann, ſo bewirkt ſie doch dies, daß ſie nicht verlezen. W id e r.
-
-
Wenn dies gerecht ſeyn iſt: was du nicht willſt, daß dir geſchehe das thue einem andern auch nicht; ſo iſt die Gütigkeit Gerechtigkeit.
*
Wann einem jeden das Seinige zu geben iſt, ſo verdient gewiß auch die Menſchlichkeit Nachſicht.
Was erzehlſt du mir von der Billigkeit, da dem Weiſen alles ungleich iſt?
Betrachte, wie die Beſchaffenheit der Beklagten bey den Römern geweſen, und thue den Ausſpruch, daß die Gerechtigkeit dem Staat nicht eigen ſey. Jene gemeine Gerechtigkeit der Staaten, iſt der
Philoſoph am Hoſe : das iſt, ſie dient nur zur Vereh rung der Beherrſcher.
-
2I. Die Tapferkeit. -
Für. --
Es iſt nichts fürchterlich als die Furcht ſelbſt. P
Es iſt nichts gründliches in der Wolluſt, oder
nichts feſtes in der Tugend, wo die Furcht ſtatt findet. Wer
-
FSFRd
572
Wer die Gefahren mit offenen Augen anſehet, - daß er ſie aufnehme, giebt auch Acht, daß er ſie vermeide. Die
-
übrigen
Tugenden befreyen uns von der
Herrſchaft der Laſter, Herrſchaft des
-
die Tapferkeit allein von der
Glücks. Wider.
umkommen zu wollen,
Ei eine ſchöne Tugend
um zu verderben. Eine ſchöne Tugend
die auch die Trunkenheit
giebt.
Wer ſein eigen Leben nicht achtet, iſt dem Leben eines andern gefährlich. -
Die Tapferkeit iſt eine Tugend des Eißernen Zeitalters.
-
22. Enthaltſamkeit, Für.
Es iſt beynahe einerley Kraft, ſich von etwas zu enthalten, und etwas zu ertragen, Die Einförmigkeiten, die Einſtimmungen, und
die Maaßen der Bewegungen, ſind himmliſch und Kennzeichen der Ewigkeit, Die Enthaltſamkeit erfriſcht und ſtärket, gleich einer heilſamen Kälte, die Kräfte der Seele. Gereizte
SFR
573
Gereizte und umſchweiffende Sinnen bedürfen niederſchlagende Mittel: eben ſo auch die Affecten. Wid er.
Dieſe verneinende Tugenden gefallen nicht: dann ſie zeigen wohl Unſchuld, aber keine Verdienſte. Der Geiſt iſt matt, dem es an Ausſchweifungen fehlt.
-
Ich liebe die Tugenden, welche den Vorzug der Thätigkeit an ſich haben, nicht die Stumpfheit der Leidenſchaft.
Wenn man die Zuſammenſtimmenden Bewegun gen der Seele mäßiget
ſo mäßiget man wenige:
dann nur der arme zehlt ſein Vieh. Jene Sprüche: nicht zu gebrauchen, um nicht
zu begehren: nicht zu begehren, um nicht zu fürch ten: zeigt ein kleinmüthiges und mißtrauiſches Ge müth an.
23. Beſtändigkeit. Für. Die
Grundlage
der
Tugenden
iſt die Beſtän,
digkeit.
Derjenige iſt elend,
der nicht weiß, wie er
ſelbſt in Zukunft ſeyn wird. Die
z-Fººd
54
Die Schwäche des menſchlichen Urtheiles kann
mit den Sachen ſelbſt nicht beſtehen: daher es wenig ſtens mit ſich ſelbſt beſteht.
Auch die Laſter wollen ſich durch die Beſtändig keit eine Würde geben.
Wenn zu der Unbeſtändigkeit des
Glücks annoch
die unbeſtändigkeit der Seele kommt, in welcher Finº ſterniß lebt man dann?
-
Das Glück, als ein Proteus, nimmt die Geſtal wieder an, wenn man anhält. Wid er.
Die Beſtändigkeit weiſet, einer mürriſchen Thür
hüterin gleich viele nützliche Urtheile ab.
Es iſt billig, daß die Beſtändige
*
die Wider
wärtigkeiten gut ertrage; dann ſie verurſacht ſolche auch beynahe.
Die kürzeſte Thorheit, iſt die beſte.
24. Die Großmuth. Für. Wenn ſich die Seele einmal großmüthige Ab ſichten vorgeſezt hat, ſo umgeben ſolche alsbald nicht nur die Tugenden, ſondern auch die Gottheiten.
-
Die Tugenden aus Gewohnheit oder nach Leh ren, ſind gemein: die aus Abſicht, ſind herriſch Wider.
EFRd
575
Wider.
Großmuth,
Die
iſt
-
eine poetiſche Tugend.
25. Die Wißenſchaft. Die Betrachtung. -
Für.
2
Das iſt erſt eine Wolluſt nach der Natur, da, von es keine Sättigung giebt.
Die ſüßeſte Ausſicht iſt auf die unten liegende Zrrthümer anderer.
-
Wie gut iſt es alles mit einem zu überſchauen? Alle ſchlimme
Neigungen
ſind falſche Beur
heilungen und Güte und Wahrheit ſind eins. * Wid er.
Die Betrachtung iſt eine anſehnliche Trägheit.
Wohl zu denken, iſt nicht viel beßer, als wohl zu träumen.
-
>
--
Gott ſorgt für die Welt, und du fürs Vaterland.
Sin mit Welthändeln beſchäftigter Mann ſtreuet auch Betrachtungen aus.
-
26. Die Gelehrſamkeit. Für.
Wenn man über die
geringſten Dinge Bücher
ſchriebe, ſo würde die Erfahrung beynahe unnütz ſeyn. Das
FSFRd
576
Das Leſen iſt der Umgang mit den Weiſen, der
Umgang mit der Welt, beynahe der Umgang mit den Narren.
Diejenigen Wißenſchaften, die an ſich keinen Nuzen haben, ſind nicht für unnüz zu halten, wenn ſie nur den Geiſt ſchärfen und ordnen. Wid er.
Auf Academien lernt man glauben.
Welche
Kunſt hat jemals den zeitigen Gebrauch der Kunſt gelehret? Nach der Regel, und nach der Erfahrung klug ſeyn, ſind ganz entgegengeſezte Verhältniße: daß wer an das eine gewohnt iſt, zu dem andern nicht ge ſchikt iſt.
-
Ss findet ſehr oft ein unſchiklicher, ja gar kein Gebrauch von der Kunſt ſtatt.
Dies haben faſt alle der Gelehrſamkeit ergebene gemein, daß ſie aus jeder Sache zu erkennen pflegen,
was zu thun ſey, aber nicht zu erlernen was fehle.
27. Die Geſchwindigkeit. -
-
-
F ür.
-
-
Die Klugheit kommt nicht gelegen, welche nicht
-
geſchwind iſt. - -
-
-
Wer
/
-
- s.
-
577
Wer geſchwind irrt, verbeſſert ſeinen Irrtum geſchwind.
-
-
Wer nur mit Vorbedacht, und nicht gleich auf der Stelle klug iſt, thut nichts großes. -
...
Wid er.
Die Klugheit wird nicht tief geholt, welche bey der Hand iſt.
-
\
-
Die Klugheit, welche fertig iſt, iſt leichte wie
ein Kleid.
-
Solche Rathſchläge reifet die Betrachtung nicht, noch die Klugheit das Alter. -
- -
Was auf kurze Zeit ausgedacht wird, gefälle nur auf kurze Zeit.
?
-
28. Die Verſchwiegenheit der Geheimniße. F ür.
-
Dein Verſchwiegenen verſchweigt man nichts, weil alles ſicher anvertraut wird. Wer leicht redet was er weiß, redet auch was er nicht weiß.
Dem Verſchwiegenen iſt man auch die Geheim niße ſchuldig. Wid er.
Die Verſtellung lernt man am beſten durch Ge heimniße. Oo
Die
ESS
573
Die Verſchwiegenheit iſt die Tugend eines Beicht, vaters.
-
Dem Verſchwiegenen wird alles verſchwiegen; weil das Stillſchweigen vergolten wird.
Der Verſchwiegene iſt der nächſte nach dem Unbekannten.
-
29. Die Gutwilligkeit. Für. Ich liebe den Mann, der ſich einer fremden Nei
gung unterwirft,
aber jedoch das Urtheil von der
Willfährigkeit abzieht. -
Biegſam ſeyn,
-
kommt der Natur des Goldes
am nächſten.
-
Wider.
*
Die Gutwilligkeit iſt eine gewiße ungeſchickte Beraubung des Urtheils.
-
Die Wohlthaten der Gutwilligen
ſcheinen Schul
digkeit, die Verſagungen Unrecht zu ſeyn. Wer von dem Gutwilligen etwas erlangt, hat es ſich zu danken.
Den Gutwilligen drücken alle Schwierigkeiten, denn er verwickelt ſich in alle.
Der Gutwillige verſpricht
-
und muß ſich
dabey
ſchämen.
30. Volks
-
-
s79
EFD
30. Volksgunſt. Für.
Den Klugen gefällt faſt das
nemliche; aber der
Mannigfaltigkeit der Thoren zu begegnen, iſt Klugheit.
Das Volck verehren, heißt verehrt werden. Welche ſelbſt große Männer ſind, werden nicht
wohl nur einen verehren, ſondern das Volk.
-
Wider. Wer
ſehr mit Thoren übereinſtimmt, kan ſelbſt
verdächtig ſeyn.
.
Wer der Menge gefällt, wird ſich wohl auch unter dieſen gemeinen Haufen vermengen.
Dem Pöbel iſt nichts gemäßigtes angenehm. Der niedrigſte Beyfall iſt der Beyfall des Pöbels.
31. Die Geſprächigkeit. Für. Wer ſchweigt,
hält entweder andere für vers -
dächtig, oder iſt ſich ſelbſt verdächtig.
Gefängniße ſind unſeelig, und das iſt das elendeſte, iſt.wo man durch das Stillſchweigen gleichſam gefangen Alle
"a,
Oo 2
Das
FEF d
58o
Das Stillſchweigen iſt die Tugend der Thoren:
-
denn alſo hat jener mit Recht zu einem Schweigenden geſagt: wenn du klug biſt, ſo biſt du ein Thor, wenn du ein Thor biſt ſo biſt du klug.
-
Das Stillſchweigen iſt wie die Nacht, zu Nach ſtellungen bequem.
In einer wohlfließenden Rede ſind die Gedanken am geſundſten,
-
-
Das Stillſchweigen iſt eine Art Einſamkeit. Wer ſchweigt, verkauft ſich der Meinung.
Das Stillſchweigen wirft weder die böſen Ge danken von ſich, noch heilet es gute aus. Wider.
Das Stillſchweigen in Worten verſchaft ſowohl Gunſt als Anſehen.
-
-
. Das Stillſchweigen nährt gleichſam wie der Schlaf die Klugheit.
-
Das Stillſchweigen iſt eine Gährung der Ge
»
- danken,
-
Der Schein der Klugheit iſt das Stillſchweigen. Das Stillſchweigen äffer die Wahrheit.
32. Die Verſtellung. Für.
-
Die Verſtellung iſt eine kurz gefaßte Weisheit. Wir müßen nicht eben das ſagen, ſondern auf eben das zielen. - - -
-
Auch -
Auch an der Seele iſt die Nacktheit häßlich.
Die Verſtellung gereicht ſowohl zur Zierde als zum Schuz.
Die Zäume der Rathſchläge ſind die Vorſtellung.
Einige werden zu ihrem Beſten hintergangen. Wer alles unverſtellt thut, iſt nicht immer klug: dann die meiſten faßen ihn entweder nicht, oder glauben ihm nicht.
Die Nichtverſtellung iſt nichts anders als eine Unmacht der Seele.
Wider. Wenn wir nicht nach der Wahrheit der Dinge denken können, ſo laßt uns doch nach den Gedanken - -
reden.
/
Welchen die Wiſſenſchaften des bürgerlichen Lebens, oder des Staats und des Umgangs, über den Begrif ihres Verſtandes ſind, bey denen wird die Verſtellung als Klugheit gelten. Wer ſich verſtellt, der beraubt ſich eines Werk, zeugs, das zur Thätigkeit vorzüglich dient, nemlich der -
-
-
Treue.
-
Die Verſtellung reizt wieder zur Verſtellung. Wer ſich verſtellt, iſt nicht frey.
33. Die Kühnheit. Für. Wer blöde iſt, lehret den andern unverſchämt ſeyn. Was die Handlung dem Redner iſt, das iſt die
Kühnheit dem Manne in Staatsämtern, das erſte, zweyte, dritte.
Oo 3
Die
FRd
582
Die bekennende Blödigkeit liebe ich, die anklagende haße ich. -
Die Freymüthigkeit in Sitten vereiniget die Ge müther geſchwinder. Ein dunkles Geſicht und eine deutliche Rede -
gefallen.
-
-
-
Wid er.
Die Kühnheit iſt eine Dienerin der Thorheit.
-
Die Unverſchämtheit iſt unnüz, außer zum Betrug. Die Vermeßenheit iſt bey den Thoren eine Gebie terin, bey den Klugen ein Scherz. -
-
Die Frechheit iſt eine gewiße Fühlloßigkeit mit der
Bosheit des Willens vereint.
-
34. Ceremonien und äußerlicher Anſtand. Für.
-
"
-
Eine anſtändige Mäßigung der Geſichtszüge und Geberden iſt eine wahre Würze der Tugend. Wann wir uns insgemein mit Worten zierlich be tragen, warum nicht auch im Anſtand und in Hands lungen? -
Wer im geringen, und in der täglichen Gewohn heit den Anſtand nicht beybehält, der iſt demnach, wann er auch ein großer Mann iſt, nur zu gewißen
Stunden klug. Die Tugend und die Kligheit ſind ohne äußerlichen Aiſtan gleichſam fremde Sprachen; dann ſonſt werden -
-
ſie von dem gemeiſten Haufen nicht verſtanden. Wer die Gemeinſinnigkeit durch die Uebereinſtim -
mung nicht kennt, und ſie auch durch die Beobachtung
nicht kennen will, der iſt unter allen der größte Tyor. -
-
-
Der
-
&EFD
533
Der äußerliche Anſtand iſt eine Ueberſezung der Tugend in die Mutterſprache. WZid er.
Was iſt abgeſchmackter, als den Stuzer zu machen? Aus dem Natürlichen entſteht Anſtand, aus dem Geziere Gehäßigkeit. Den Gaucklern gefallen gemahlte Backen und ge kräuſelte Zierungen.
Wer das Gemüth auf ſo geringe Bemerkungen wendet, iſt keines großen Gedankens fähig. Eine erzwungene Ehrbarkeit iſt eine leuchtende Fäulniß.
35. Das Scherzen. Für. Die Scherze ſind der Redner Hülfe.
Wer in alles einen mäßigen Scherz miſcht, behält die Freyheit des Geiſtes. Es iſt eine klügere Sache als man glaubt, leicht von dem Scherz zum Ernſthaften, von dem Ernſthaf ten zum Scherz überzugehen. -
Die Wahrheit die ſonſt nicht eindringen würde, dringt oft durch den Scherz ein. Wid er.
Wer verachtet nicht jene Aufſchnapper der Häßlich keiten und der Zierlichkeiten?
-
-
Die Größe der Dinge mit einem Scherz abzuwen den, iſt ein ungeziemender Kunſtgrif. Betrachte die Scherze alsdann, wann ſie kein Las chen erregen. -
V
Oo 4
-
Jene
SSFRd
584
Jene artigen dringen bey nahe nicht über die Ober fläche der Dinge; wo iſt der Sitz des Scherzes? Wo der Scherz bey ernſthaften Dingen etwas ver mag, da iſt eine kindiſche Leichtſinnigkeit.
36. Die Liebe. Für. Siehſt du nicht, daß alle ſich ſuchen? aber allein -
- -
-
der liebende findet ſich.
-
Es giebt keine befire Ordnung des Gemüths als die durch die Herrſchaft eines großen Affekts entſteht. Wer weiſe iſt ſucht ein Verlangen: dann wer nicht
etwas ſtark begehret, dem iſt alles unangenehm, und voll Verdruß.
-
Warum beruhiget ſich nicht einer an der Einheit? WZid er.
-
-
-
-
-
Das Schauſpiel iſt der Liebe viel ſchuldig, nichts das Leben,
.
.
Nichts hat ſo mancherley Nahmen, als die Liebe: dann die Sache iſt entweder ſo thöricht, daß ſie ſich
ſeieſt mißrennt, oder ſo ſchändlich, daß ſie ſich unter einer Schminke verbirgt.
37. Die Freundſchaft. Für. Die Freundſchaft thut eben das, was die Tapfer keit; aber angenehmer. -
Die Freundſchaft iſt eine angenehme Würze aller Güter.
*.
Keine wahre Freundſchaften zu haben, iſt die ſchlimmſte Einſamkeit. -
-
-
-
Der
EFSd
585
Der Freundſchaften beraubt zu werden, iſt eine würdige Strafe für treuloſe. -
Wider.
-
Wer enge Freundſchaften eingehet, legt ſich neue Bedürfniße auf.
-
Einem ſchwachen Gemüth kommt es zu, das Glück zu theilen. -
-
-
38. Die Schmeicheley. Für. Die Schmeicheley entſteht mehr aus Gewohnheit, als aus Bosheit. Sich lobend zu verhalten, iſt immer ein Gebrauch geweſen, den man den mächtigeren erwieß.
-
Wider.
-
Die Schmeicheley iſt den Knechten eigen. - Die Schmeicheley iſt der Ferſen der Laſter. Die Schmeicheley iſt jener Gattung Vogelfang gleich, wo man mit der Aehnlichkeit der Stimme die Vögel betrügt. Die Häßlichkeit der Schmeicheley iſt komiſch, der Schade tragiſch.
-
-
-
-
-
-
-.
-
Die Ohren zu heilen iſt ſehr ſchwer.
-
39. Die Rache. Für.
-
--
-
Die Privatrache iſt eine unfreundliche Gerechtigkeit. Wer die Gewalt vergilt, verlezet nur das Geſez,
-
-*
nicht den Menſchen. Oo 5
Die
-RS
536
Die Furcht der Privatrache iſt nüzlich, dann die Geſeze ſchlafen öfters allzu ſehr. .“ -
-
Wider. Wer unrecht gehan hat, hat dem Uebel den An
fang gegeben, wer es wieder vergolten hat, hat das Maaß aufgehoben.
Je natürlicher die Rache iſt, deſtomehr iſt ſie zu bezähmen.
-
-
Wer leicht Unrecht wieder heim giebt, der war vielleicht in der Zeit, nicht dem Willen nach der leztere.
40. Die Neurung.
Für. eine Arzney. Mittel flieht, erwartet
Alle Neurung iſt Wer
neue
neue Uebel.
Der größte Neurungsmacher iſt die Zeit; warum ſollen wir alſo nicht die Zeit nachahmen?
Entfernte Beyſpiele ſind ungeſchickt; und die neuen verdorben.
.
-
Man überlaße den ungeſchickten und ſtreitſüchti gen, daß ſie die Sachen nach Beyſpielen abhandlen. Wie diejenigen, welche den Adel in die Familie -
bringen, beynahe würdiger ſind, als die Nachkommen: alſo ſind die Neurungen der Dinge gemeiniglich beßer als dasjenige, was man nach Beyſpielen thut. -
*
Die
Die
mürriſche Beybehaltung
der Gewohnheiten,
iſt eine eben ſo ſchlimme Sache als die Neurung. Da die
Dinge für ſich in einen ſchlimmern
Zuſtand fallen, wenn ſie nicht durch die Klugheit in einen befi-rn verwandelt werden, welches Ende wird wohl das Böſe haben? -
Die Sclaven der
der Zeit.
Gewºhnheit
ſind ein Spott
-
WZid er.
-
ſind. ungeſtaltet. Kein Urheber gefällt, außer die Zeit.
Neue Geburten
Keine Neurung
iſt. ohne Unrecht;
dann ſie
greift
das Gegenwärtige an. Gebrauch ſtatt gefunden, iſt wo nicht gut, doch wenigſtens bequem. Was durch den
Welcher Neurungsmacher ahmet die Zeit nach,
daß er die Neurungen ſo eybringt, daß ſie die Sinne betrügen? Was außer Hofnung ſich zuträgt,
es nuzt,
iſt. dem,
dem
weniger angenehm ; und dem, dem es
ſchadet, mehr beſchwerlich.
-
41. Der Verzug. Für.
-
Das Glück hat dem Eilenden
vieles verkauft,
womit es den Verzögernden beſchenkt. Inden
Indem wir eilen die Anfänge der Dinge zu um,
faßen, ſo ergriffen wir Schatten. Bey wankenden Dingen muß man aufmerkſam ſeyn, bey ſenkenden muß man handlen.
Den Anfängen der Handlungen muß man dem Argus, das Ende dem Briareus anvertrauen. -
Wid er.
-
V
Die Gelegenheit reicht zuerſt die Handhabe des Gefäßes dar, hernach den Bauch.
Die Gelegenheit vermindert, einer Sybilla gleich, das dargelegte und erhöhet den Preiß.
-
Geſchwindigkeit iſt der Helm des.Todes. Was zeitig geſchieht geſchieht mit Verſtand; Die
/
was ſpäte, durch Umſchweif. -
-
42. Die Vorbereitung. -
Für.
Wer mit kleinem Vorrath eine große Sache angreift, erſinnet eine Gelegenheit, die ſeiner Hofnung entſpricht. Mit
-
kleinem Vorrach
wird nicht das Glück,
ſondern die Klugheit erkauft. Wider.
FHÄFTD
589
Wid er.
-
Der beſte Zeitpunct ſich zuzurüſten, iſt die erſte
Gelegenheit zu handien. -
-
Niemand hoffe, daß er durch Zurüſtung das
Glück binden könne.
-
Veränderung
der Zurüſtung und der Hand lung gehören für die Staatsflugheit: die Unterſchei dung zeugt von Aufgeblaſenheit und Glück. Durch große Zurüſtung verſchwendet man ſo Die
-
wohl Zeit als Sachen.
-
\
43. Widerſtehe dem Anfang. Für. Mehrere Gefahren betrügen als überwinden. Es iſt weniger Arbeit, für die Gefahr ein Mittel anzuwenden, als deren Fortſchritte zu beobachten und ſich davor zu hüten.
Die Gefahr iſt nicht immer leicht, ſcheint.
-
die leicht
-
Wid er.
Wer zugerüſtet wird, und die Gefahr durch ein Mittel feſt ſezt, lehret die Gefahr fortſchreiten. -
Auch bey den Hülfsmitteln der Gefahren bleiben
leichte Gefahren ſtehen. -
-
W
Es
99
FFR
Es iſt befer mit wenigen Hülfsmitteln, welche eingewurzelt ſind, die Sache anzugreifen: als mit den heimlichen Anſchlägen einzeler.
44. Gewaltſame Anſchläge. Für. Welche jene gelinde Klugheit ergreiffen, denen -
ſind die Vermehrungen des Uebels heilſam.
Die Nothwendigkeit, welche gewaltſame
An
ſchläge giebt, führt ſie auch aus.
Wider.
-
Jedes gewaltſame Hülfsmittel gebiert ein neues Uebel.
Ohne Furcht und Zorn giebt Niemand gewalt ſame Anſchläge. -
45. Der Argwohn. Für.
Die Nerven der Klugheit ſind das Mißtrauen; aber der Argwohn iſt ein Gicht vertreibendes Heilmittel. Diejenige Treue
Argwohn ſchwächt.
iſt
billig verdächtig, welche der
Der Argwohn lößt die lockere
Treue auf, die ſtarke verſtärkt er. -
-
Wid er.
Der Argwohn ſpricht die Treue loß. -
-
Die
Die Unmäßigkeit im Argwohnen iſt eine gewiße ſittliche Raſerey.
-
-
-
46. Der Buchſtabe des Geſezes. Für.
-
-
Es iſt keine Erklärung, ſondern eine Weißagung, welche vom Buchſtaben abgeht. -
Wann vom Buchſtaben abgegangen wird, ſo macht ſich der Richter zum Geſezgeber. Wid er.
Aus allen Worten iſt der der das einzele erkläre. Der
-
Folter.
Sinn zu entwicklen,
ſchlimmſte Tyrann/ iſt das Geſez auf der -
47. Die Zeugen wider die Beweiſe. -
Für.
Wer ſich auf Beweiſe gründet, ſpricht nach dem Redner nicht nach der Sache.
Wer den Beweiſen mehr glaubt als den Zeugen. muß auch dem Wiz mehr trauen als dem Sinn. Es würde allerdings ſicher ſeyn,
den Beweiſen
zu glauben, wann die Menſchen nichts abgeſchmacktes thäten. *
-
-
-
>
-
Wann
592
KIFD
-
Wann die Beweiſe wider die Zeugniße ſind, ſo leiſten ſie dies, daß die Sache wunderbar, nicht aber wahr ſcheint.
Wider. Wann den Zeugen wider die Beweiſe zu glau, ben iſt, ſo iſt es genug,
daß der Richter nur nicht
taub ſey.
-
Die Beweiſe ſind ein Gegengift wider das Gift der Zeugniße. -
Denjenigen Beweiſen wird am ſicherſten ge glaubt, welche am ſeltenſten falſch ſind.
Und dieſe Gegenſäze, welche wir hier vorge tragen haben, mögen vielleicht nicht ſo vorzüglich ſeyn. Da ſie aber ſchon ehmals von uns geſammelt und zugerüſtet worden, ſo haben wir die Frucht un ſers jugendlichen Fleißes nicht verlieren wollen: da ſie beſonders, wenn man die Sache ſchärfer durch
ſieht, Saamen und nicht Blüten ſind. Hierinn aber geben ſie die Jugend gänzlich zu erkennen, daß ſie meiſtens aus der moraliſchen oder Beweiß Gattung,
ſehr wenig aus der berathſchlagenden oder gerichtlichen genommen ſind.
Die dritte Sammlung, welche zu der im Vorrath befindlichen Wiſſenſchaft gehört, und auch vermißt
wird, iſt diejenige, welche wir die Sammlung der klei MLUZ
&SFIN
-,
593
nern Formeln bennet haben. Dieſe aber ſind gleichſam, was die Eingänge, die Hinterthüren die Vorgemäche, die Durchgänge, u. ſ. w. ſind. Dann ſie können allen Reden ohne Unterſchied zukommen. Dergleichen ſind die Vorreden, die Beſchlüße, die Ausſchweifungen, die Uebergänge, die Ausdehnungen, die Ableitungen, und
was dergleichen mehr iſt. Dann wie an den Gebäuden das meiſte ſowohl zum Vergnügen als zum Nuzen dient,
wie die Giebel, die Stufen, die Thüren, die Fenſter, die Zugänge, die Durchgänge, und dergleichen, wann ſolche nemlich bequem eingerheilt werden; eben ſo ver
hält es ſich auch mit einer Rede, daß ihr nemlich jene Zuſäze und Einſchaltungen, wenn ſie geſchickt und an ſtändig gebildet und eingeſchaltet werden, ſehr viel An nehmlichkeit und Bequemlichkeit verſchaffen. Wir wollen von dieſen Formeln ein und andres Beyſpiel bey bringen, und uns nicht länger mit denſelben aufhalten.
Denn obwohl die Sache von keinem geringen Nuzen ſind, ſo wollen wir doch von dem unſrigen nichts darzu
thun, ſondern nur bloße Formeln, aus dem Demo ſthenes, oder Cicero, oder einem andern guten Schrift ſteller abſchreiben; denn es verdient nicht, daß wir viele Zeit mit zubringen.
-
Beyſpiele der kleineren Formeln. Schluß einer Berathſchlagungs, Rede. Alſo wird es billig ſeyn, ſowohl die vergangene Schuld wieder gut zu machen, als auch künftigen
Nachtheilen mit gleicher Mühe vorzubeugen. Folgerung einer genauen Eintheilung. Pp
Hier
& FR
594
Hieraus mögen alle einſehen, daß ſich nichts, weder durch Verſchweigen vermeiden, noch durch Reden ver dunkeln wollen.
Ein Uebergang mit Warnung. Wir wollen dieſes alſo vorüber gehen, daß wir es jedoch im Anblick und in der Aufmerkſamkeit behalten. Die Einnehmung wider ein altes Vorurtheil. Ich will mich bemühen, es dahin zu bringen, daß ihr in den ganzen Umſtand einſehet , was die Sache
ſelbſt vermag, was der Irrthum hinzu gedichtet, was der Neid dabey gechan.
Es wird genug ſeyn, dieſe wenige als Beyſpiele angeführt zu haben: und mit dieſen beſchließen wir nun
diejenigen Anhänge der Rhetorik, welche zu der in Vorrath befindlichen Wißenſchaft gehören. WDRS»MSG/FS
SCMDNW-DNd2M
4tes Capitel. Zwey allgemeine Anhänge des Vortrags: die Eritik, und die Pädagogik.
E“ ſind zweyAnhänge des Vortrags überhauptübrig; der -
eine iſt die Eritik, der andere die Pädagogik. Dann wie ein vorzüglicher Theil des Vortrags im Bücher ſchreiben beſteht ; alſo beſchäftiget ſich der damit im
Verhältniß ſtehende Theil mit dem Bücherleſen : das
Reſen aber wird entweder durch die Lehrmeiſter regiert, Oder
&S Fººd
595
oder durch den eignen Fleiß eines jeden verrichtet; und hierzu dienen jene beyde genannte Wißenſchaften. Zur Critik gehören, erſtlich eine gefeilte Verbeſſe rung, und eine verbeſſerte Ausgabe bewährter Schrift ſteller; durch welche die Ehre der Schriftſteller ſelbſt gerettet, und den ſtudierenden ein Licht aufgeſteckt wird. In welcher Sache jedoch der vermeßene Fleiß einiger Männer den Wißenſchaften nicht wenig Schaden ge
bracht hat. Dann nicht wenige Critiker haben die Art an ſich, daß, wann ſie auf eine Stelle gerathen, die ſie
nicht verſtehen, ſie als gleich einen Fehler in dem Buche vermuthen; wie zum Beyſpiel in jener Stelle des Taei tus: als eine gewiße Colonie das Recht der Freyſtätten
bey dem Senat ſuchte, wurde nach der Erzählung des Tacitus dasjenige, was ſie vorbrachten, von dem Kayſer und Senat nicht gütig aufgenommen: die Ge
ſandten alſo die ihre Sache für mißlich anſahen, gaben dem Titus Vinius eine ziemliche Summe Geldes, das mit er die Sache ausführte. Worauf die Sache auch wirklich zu Stande kam, und Taeitus ſagt: alsdann (tum) hat das Anſehen und das Alterthum der Colonie
gegolten: als wenn gleichſam die Beweisgründe, welche vorher leicht ſchienen, durch den beygelegten Preiß ein neues Gewicht erſt erhalten hätten. Ein gewißer Cris
tiker aber, und keiner von den geringſten hat das Wort alsdann (tum) ausgeſtrichen, und nur ſo viel(tantum) davor hingeſezt. Und durch dieſe ſchlimme Gewohnheit der Critiker iſt es geſchehen, daß, nach der klugen Bemerkung eines Sachverſtändigen, öfters diejenigen Ausgaben am wenigſten lauter ſind, an welchen man
am meiſten gebeßert haben will. Ja, die Wahrheit zu Pp 2
ſagen, -
«-Fººd
596
ſagen, wann die Eritiker in denjenigen Wißenſchaften, von welchen die von ihnen herausgegebene Bücher handlen, nicht erfahren ſind, ſo iſt ihr Fleiß gefährlich. :
-
Zweytens gehören zur Critik, die Auslegung und Erklärung der Schriftſteller, die Umſchreibungen, die Anmerkungen, die Nachleſen, und was dergleichen iſt.
Bey dergleichen Arbeiten aber hat viele Critiker jene ſehr ſchlimme Krankheit ergriffen, daß ſie vieles dunkle über ſpringen, bey dem ziemlich deutlichen aber ſich bis zum
- Ecfel aufhalten und ausdehnen.
Es geſchieht nemlich
nicht ſowohl dies, daß der Schriftſteller ſelbſt erklärt werde, als daß jener Critiker ſeine vielfache Gelehrſam
keit, und mannichfaltige Beleſenheit, bey jeder ergriffe nen Gelegenheit, zur Schau darſtellt. Es würde ſehr zu wünſchen ſeyn, obwohl dieſe Sache zum Hauptvor strag, nicht zu den Anhängen gehört, daß derjenige
Schriftſteller, welcher einen etwas dunklen und edlen Gegenſtand behandelt, ſeine Erklärungen ſelbſt beyfüge; damit ſowohl der Tert ſelbſt durch Ausſchweifungen oder Erklärungen nicht abgerißen werde, und die Anmerkuns
gen nicht von dem Sinn des Schriftſtellers abgehen. sSo was treffen wir in dem Theon des Euclides.
Drittens gehört zur Critik, (das ihr auch den : Nahmen gegeben hat) daß ſie von den Schriften, welche herausgegeben werden, ein kurzes Urtheil fällt, und ſelbige mit den übrigen Schriften, welche das nemliche behandlen, vergleicht; damit die ſtudierenden durch eine
ſolche Cenſur ſowohl in Abſicht der Wahl der Bücher gewarnt werden, als auch ſelbſt zum Leſen derſelben
mit beßrer Belehrung ſchreiten. *
--
-
Und dieſes lezte iſt gleichſam
-
-
-
5 97
gleichſam der Lehrſtuhl der Critiker, welchen zu unſerm Zeitalter einige große Männer allerdings in Vergeßen,
heit gebracht haben, die unſerem Urtheil nach für das kleine Maaß der Eritiker fürwahr zu groß waren,
Was die Pädagogik anbetrift, ſo dürfte man nur kurz ſagen : betrachte die Schulen der Jeſuiten: (ein großer Lobſpruch aus dem Munde eines Bacons für dieſen erloſchenen Orden, der ſchon oben von ihm
gerühmt worden, und nicht allein für das Erziehungsweſen ſo große Verdienſte hatte, ſondern auch manchen zu weit gehenden Großen zum Zügel diente, denn was liegt dem gemeinen Haufen daran, ob die ſchwarze oder die rothe Farbe die Urſache ſeines Unglücks iſt, und wie der heißt, an den er die Frucht ſeines Schweißes bey einer defenſiven Fütterung abgeben muß) dann wir
haben nichts beſſeres als dieſe Schulen. Doch wollen wir unſerer Gewohnheit nach, etwas weniges, gleichſam in einer Nachleſe, hier erinnern. Allerdings billigen wir den zuſammengefaßten Unterricht der Knaben und
Jünglinge; nicht in Privathäußern, nicht unter Schul meiſtern allein. Die Jünglinge haben in den Collegien eine größere Nacheiterung gegen gleiche; ſie haben auch
daſelbſt die Aufſicht und den Anblick ernſthafter Män ner; welches zur Beſcheidenheit beyträgt, und die zarten
Gemüther gleich von Anfang nach Muſtern bildet: endlich hat die Erziehung in Collegien und dergleichen Häußern die meiſten Vortheile. In der Ordnung und der Art der Unterweiſung aber wollte ich beſonders das
gerathen haben, daß man ſich vor Compendien, und einer gewißen Uebereilung mit allzu frühzeitiger Gelehr
ſamkeit hüte, als welche die Köpfe frech ohne Kräfte -
Pp 3
macht/
.
KSFRd
598
macht, und vielmehr eine Prahlerey großer Fortſchritte, als deren Wircklichkeit darlegt. Ja man muß auch die Freyheit der Köpfe in etwas begünſtigen, daß wann einer das gewöhnliche der Unterweiſung verrichtet, und
der zugleich auf andere Dinge, worzu er vorzügliche Neigung hat heimlich Zeit verwendet, man ihn aller
dings nicht abhalte.
Ferner wird es der Mühe werth
ſeyn, fleißig zu bemerken, wie vielleicht bisher nicht ge ſchehen iſt, daß es zweyerley, und zwar ganz entgegen geſezte Arten die Köpfe vorzubereiten, zu üben und zu gewöhnen giebt. Die eine fängt von dem leichteren an, und gehet nach und nach zu den ſchwereren; die andere
befiehlt und betreibt gleich von Anfang das ſchwerere, dunit man nach Erlangung deſjelben das leichtere deſto
a genehmer faßen könne.
Denn eine andere Methode
iſt es, mit Blaſen zu ſchwimmen anfangen, welche
erleichtern; eine andere iſt es, mit ſchweren Schuhen zu tanzen anfangen, welche erſchweren. Auch iſt es nicht leicht zu ſagen, wie viel eine kluge Miſchung der
Methoden zur Beförderung ſowohl der Leibes als See leakräfte beytrage, Ferner iſt die
Anwendung
Und die
Auswahl der
Studien nach der Natur der Köpfe, welche unterrich »
tet werden, eine Sache von beſonderem Nuzen und
Beurtheilung, welche auch Lehrmeiſter wohl und wahr haftig bemerken und einſehen, und den Eltern der Jünglinge bekannt machen müßen,
damit man ſich
wegen der Lebensart, welcher ſie ihre Söhne beſtim men, berathſchlagen könne. Ferner iſt auch ein wenig aufmerkſamer zu bemerken, daß man nicht nur
in denjenigen, zu welchen jeder von Natur
sº iſt
&S ER)
599
iſt, die größeſten Schritte thue; ſondern daß es auch für dasjenige, zu welchen einer aus Naturfehler am meiſten untüchtig ſeyn möchte,
in eigenen darzu er,
wahlten Studien, Hülfsmittel und Heilungen gebe. Zum Beyſpiel; wenn jemand einen ſolchen Kopf hat, der nach Art der Vögel, leicht hin und her ſchweift, ſich nicht gerne lang, wie doch ſeyn muß, bey einer
Sache aufhält;
dem wird die Mathematik hievon
ein Hülfsmittel ſeyn, denn wann der Geiſt in ſolcher nur ein wenig ausſchweift, ſo muß der Beweiß ganz von neuen angefangen werden. Eben ſo iſt auch
- bekannt, daß die Uebungen den größten Theil des Unterrichts ausmachen. Aber dies iſt von wenigen bemerkt worden, daß nicht allein eine kluge Anſtellung der Uebungen, ſºndern auch eine kluge Unterlaßung
derſelben ſtatt finden müße. Indem Cicero ſehr wohl bemerkt hat, daß es ſich gemeiniglich zutrage, daß in
den Uebungen eben ſowohl die Fehler als die Fähig keiten geübet werden;
ſo daß zuweilen eine böſe Ge
wohnheit zugleich erworben werde, und mit den guten ſich einſchleiche. Alſo iſt es ſicherer / die Uebungen wechſelsweiſe zu wiederholen, als beſtändig zu treiben
und fortzuſezen. Allein von dieſem genug. Dieſe Dinge ſind freylich dem erſten Anſehen nach eben nicht groß und feyerlich, jedoch aber fruchtbringend und wirkſun. Denn wie zum Fortkommen oder Nichtfortkommen der Pflanzen, die ſchädlichen Zufälle
oder die Hülfsmittel beytragen, welche ſie, als ſie noch zart waren, gehabt haben; und wie jenes uner meßliches Wachsthum des römiſchen Reiches mit Recht von einigen der Tugend und Klugheit jener Sechs Könige zugeſchrieben wird, welche in deßen Jugend Pp 4 gleichs
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6oo
gleichſam die Vormünder und Pfleger geweſen: eben ſo hat allerdings
die Pflege und Unterweiſung der
Knaben, oder zärterer Jahre ſolche Kräfte, welche, ob ſie gleich verborgen ſind, und nicht jedem zur Be obachtung aufſtoßen, ſo ſtark ſind, daß ſie weder die
Länge der Zeit, noch die Emſigkeit und Stetigkeit der Arbeiten, bey reiferem Alter, überwiegen können.
auf einige Weiſe
Es wird auch nicht undienlich ſeyn, hier zu bemerken, daß auch mittelmäßige Fähigkeiten, wann ſie unter große Männer oder auf große Sachen ge rathen, bisweilen wichtige und große Wirkungen her, vorbringen.
Wir wollen hievon ein merkwürdiges
Beyſpiel aufſtellen; welches wir uin deſto mehr anfüh ren, weil die Jeſuiten eben dieſe Lehrart,
und zwar
unſeres Erachtens mit geſundem Urtheil,
nicht zu
verachten ſcheinen.
(Abermals eine ſchöne Lobrede des
großen Canzlers auf die Jeſuiten, wie lehrreich dürfte uns eine Privatgeſchichte von der Erziehung der beſten Köpfe ihres Ordens werden!) Es iſt aber eine Sache,
die, wenn man ſie öffentlich treibt, ſchändlich iſt: (Dieſe Denkungsart harmonirt nicht mit der jezigen, weil ſonſt die Schauſpielkunſt keinen Garrik in London, und dieſer kein Begräbniß wie ein Fürſt, und ein beßeres als dieſer unſer Canzler in dem gleichen Bande
gehabt hätte) aber als Erziehungswißenſchaft betrach tet, unter die beſten gehört. Wir reden aber von der Schauſpielkunſt. Als welche das Gedächtnis ſtärkt; den Ton und die Wirkſamkeit der Stimme
und Ausſprache bildet; den Geſichtszügen und Geber
den einen Anſtand giebt, kein geringes Zutrauen ver ſchaft,
SFR
6d I
ſchaft, und endlich Jünglinge an die Augen der Menſchen gewöhnt.
Das Beyſpiel aber wollen wir
aus dem Tacitus von einem gewißen Vibulenus neh men, der ehmals Comödiant war, damals aber als
Soldat unter den Pannoniſchen Legionen diente.
Er
hatte bey dem Abſterben Auguſts einen Aufruhr er regt;
ſo daß der General Bläſius einige von den
Aufrührern ins Gefängniß werfen ließ. Die Soldaten aber, bey denen dieß Eindruck gemacht, erbrachen die Gefängniße, und befreyten ſie. Vibulenus aber redete
die Soldaten alſo an: ihr meine Brüder, habt dieſen unſchuldigen und elenden Licht und Leben wieder gege ben: wer aber giebt meinem Bruder das Leben, wer
giebt mir einen Bruder wieder; welcher zum Beſten der Armee abgeſchickt, und in der lezt verfloßenen Nacht durch ſeine Banditen, die er zum Untergang der Soldaten hält und bewafnet, umgebracht worden iſt. Antworte Bläſus, wo haſt du den todten Eör per hinwerfen laßen ?
Begräbniß nicht.
auch die Feinde verſagen das
Mit Küßen, mit Thränen, will ich
meinen Schmerz ausdrücken,
und auch mich laße
tödten, da indeßen dieſe hier meine Brüder begraben, die keines Verbrechens wegen, ſondern aus Eifer für das Beſte der Legionen, auf dein Geheiß umge racht worden ſind. Durch welche Worte er ſehr große Beſtürzung und Neid verurſachet hat. So , daß wann es nicht hierauf in kurzem bekannt worden wäre, daß nichts an all dieſem geweſen,
ja daß er auch
niemals einen Bruder gehabt, ſo hätten die Soldaten beynahe den General ergriffen: jener aber hat die
ganze Sache als eine Fabel im Schauſpiel verhandelt.
Pp 5
Nun
- FR
6O2
Nun kommen wir aber zum Ende unſerer Ab
handlung von den ſogenannten Vernunftlehren. Wenn wir in denſelben von den angenommenen Einheilun gen bisweilen abgegangen ſind; ſo glaube man doch nicht, daß wir jene Eintheilungen ſämmtlich mißbilli
gen, die wir nicht gebraucht haben. Denn es iſt uns eine doppelte Rothwendigkeit aufgelegt,
die Einthei
lungen zu ändern: die eine, weil dieſe zwey Dinge, nemlich die Sachen die ihrer Natur nach einander die nächſten ſind, in eine Claße zu bringen, und dann die Sachen die man zum Gebrauch nehmen will, in einen Haufen zu werfen, dem Endzweck und der Abſicht ſelbſt nach, gänzlich verſchieden ſind. Um ein
Beyſpiel anzuführen,
ſo theilet ein Secretär eines
Königes oder Staates ſeine Schriften in ſeinem Cabi net ohne Zweifel alſo ein, daß er das, was gleicher Natur iſt, auch zuſammen legt, wie die Bündniße
beſonders, die Befehle beſonders, die Briefe von Aus wärtigen beſonders, die Schreiben der Innländer be ſonders, und all dergleichen beſonders. Hingegen legt
er ſie wieder alle, wenn ſie gleich verſchiedener Gat tung ſind, in einem beſondern Schrank beyſammen, da er ſie alle zuſammen braucht; eben ſo mußten wir
in dieſem allgemeinen Behältniß der Kenntniß die Eintheilungen nach der Natur der Sachen einrichten: da wir doch,
wann einige beſondere Wißenſchaft ab
zuhandlen geweſen wäre, die Eintheilungen befolget hätten, die der Uebung und dem Gebrauch vielmehr
angemeßen
ſind.
Die andere Nothwendigkeit, die Eintheilungen zu ändern iſt die, weil der Zuſaz des Vermißten zU
KEFSd
-
603
zu den Wißenſchaften, und deßen Einrichtung mit den übrigen in ein Ganzes, der Folge gemäß die Einthei lungen der Wißenſchaften ſelbſt verändert hat. Dann des Beweißes wegen wollen wir annehmen, daß die
Künſte, welche man hat, das Verhältniß der Zahl 15. haben, mit Zuſaz des Vermißten aber das der Zahl 2o. alſo ſage ich, daß die Theile der Zahl 15. nicht eben die Theile ſind, welche die Zahl 2o. hat. Dann die Theile der Zahl 15. ſind 3. und 5. die Theile der Zahl 2o. aber ſind 2. 4. 5. und 10.
Alſo erhellet, daß dieſe Eintheilungen nicht anders haben geſchehen können.
Und ſo viel mag von den
logiſchen Wißenſchaften genug geſagt ſeyn.
Sieben
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604
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Sie bent es Buch. An den König. I ſtes Capitel. Eintheilung der Ethik oder Sittenlehre, in die Lehre durch Muſter und in die Lehre
durch Vorſchriften.
Eintheilung des als
Muſter aufgeſtellten Guten in das einfache
Gute, und in das Verhältnismäßige Gute. Entheilung des einfachen Guten in das
Gute eines Einzeldinges, und in das Gute einer Gemeinſchaft.
W welche ſind, beſter König, zur Ethik gekommen, den menſchlichen Willen betrachtet und behandelt. Den Willen regiert die richtige Vernunft, den Willen verführt das Scheingut; die Antriebe des Willens ſind die Affekten, die Diener ſind die ſinnliche Werkzeuge und die freywillige Bewegungen. Von die,
ſem ſagt Salomon: vor allem bewahre mein Sohn dein Herz, denn daraus entſpringen die Handlungen
des Lebens.
In der Behandlung dieſer Wißenſchaft
ſcheinen mir diejenigen, welche davon geſchrieben haben,
eben das gethan zu haben, was derjenige thut, der die
Kunſt zu ſchreiben zu lehren verſpricht, und nur ſchöne Muſter
FSF ºd
6c5
Muſter ſowohl von einfachen als zuſammengehängten Buchſtaben darlegt; wie man aber die Feder führen oder Züge ausbilden ſoll, nicht vorbringt : eben ſo haben ſie uns auch ſeöne und einleuchtende Muſter
und ge
naue Beſchreibungen oder Bilder des Guten, der Tu
gend, der Pflichten, der Glückſeligkeit, als wahre Gegenſtände und Eitzwecke des Willens und menſchli chen Verlangens dargelegt; wie man aber nach dieſen,
allerdings vortrefflichen und von ihnen wohlgeſezten Zwe cken am beſten zielen, das iſt, durch welche Anſtalten das Gemüth zur Erlangung derſelben behandelt und geleitet werden könne, davon lehren ſie entweder nichts,
oder nur obenhin, und minder nüzlich. Laßt uns immerhin vorbringen, die moraliſchen Tugenden ſeyen in
dem Gemüthe der Menſchen nur ver Gewohnheit, nicht der Natur nach:
laßt uns feyerlich unterſcheiden,
welch ein Unterſchied zwiſchen dem großmüthigen Geiſt, und dem unedlen Pöbel ſey, daß jener durch die Gründe der Vernunft, dieſer durch Belohnung oder Strafe geleitet werde: laßt uns wizig gebieten, der menſchliche
Geiſt müße, um ihn gerade zu machen, gleich einem
Stabe, auf den gegenſeitigen Theil ſeiner Neigung gebogen werden: laßt uns noch mehr dergleichen hier und da ausſtreuen: ſo iſt bey alle dem doch bey gefehlt,
daß es die Abweſenheit einer Sache entſchuldige, die wir nur allein ſuchen. Ich glaube daß die Urſache dieſer Nachläßigkeit
keine andere iſt, als jene verborgene Klippe, an welchen ſo viele anſtoßende Schifchen der Wißenſchaft geſchei tert ſind: daß es nemlich den Schriftſtellern eckelt,
mit gemeinen und pöbelhaften Dingen, welche weder ſpizfin
KSF Id
6o6
ſpizfindig genug zum Diſputiren, noch erhaben genug zum Ausſchmücken ſind, ſich zu befaßen.
Es läßt ſich
ſchwer mit Worten ausdrücken, welch großen Schaden dieſes eben genannte gebracht hat: daß die Menſchen aus angebohrnen Stolz und eitler Ruhmſucht ſolche Materien zu Abhandlungen, und ſolche Arten ſie abzu
handlen gewählt haben, welche vielmehr ihren Witz zeigen ſollen, als daß ſie den Leſern nüzlich ſind. Sehr gut ſagt Seneca , die Brºdtſamkeit ſchadet, welche
nicht nach Dingen; ſondern nach ſich ſelbſt begierig macht : dann die Schriften müßen ſo beſchaffen ſeyn,
daß ſie die Liebe der Denkmahle ſelbſt, nicht der Gelehr ten, erregen. Diejenigen alſo gehen auf dem rechten
Wege, welche von ihren Rathſchlägen das rühmen können, was Demoſthenes, und auch mit dieſem Schluß
beſchließen : wann ihr dieſes gethan haben werdet, ſo werdet ihr nicht nur den Redner in Gegenwart loben, ſondern euch ſelbſt auch, da euer Zuſtand nicht lange
darauf beßer ſeyn wird.
Wenn ich hier von mir ſelbſt
reden darf, beſter König, ſo ſuche ich in dem was ich jezt herausgebe, und in demjenigen was ich auf die Zukunft verfaße, den Glanz meines Wizes und meines
Nahmens, wenn es je einer iſt, öfters mit Wißen und Willen zu verdecken, um nur der Menſchheit zu nuzen: welcher Baumeiſter in der Philoſophie und den Wißen ſchaften ich vielleicht auch ſeyn muß, ſo werde ich doch
auch Taglöhner und Laſtträger, da ich nicht weniges, welches allerdings geſchehen muß, andere aber aus an
gebohrnem Stolz ſich deßen entziehen, ſelbſt auf mich nehme, und vollführe. Um aber auf dieſe Sache zu kommen, von welcher wir zu reden angefangen haben,
ſo haben ſich die Philoſophen in der Ethik eine gewiße -
glän
V
W
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glänzende und ſchimmernde Maße der Materie gewäh let, woran ſie hauptſächlich entweder die Schärfe des
Wizes, oder die Stärke der Beredſamkeit feil bieten können. Was aber vorzüglich in der Ausübung ſelbſt unterrichtend iſt, haben ſie größtentheils übergangen, indem es nicht ſo ſchön ausgeſchmückt werden kann.
Doch hätten ſo vortrefliche Männer an dem Glück nicht verzweifen ſollen, das demjenigen gleich iſt, wel
ches der Dichter Virgil ſich ſelbſt zu verſprechen unter ſtanden, und in der That auch erlangt hat; der ſich nemlich keinen geringeren Ruhm der Beredſamkeit des Geiſtes, und der Gelehrſamkeit erworben hat, indem er die Beobachtungen des Ackerbaues erklärte, als da er die
Heldenthaten des Aeneas erzählte. Es iſt mir nicht unbewuſt, wie ſchwer es ſey, ſie in Worte zu faßen, und dieſe beſchränkte Dinge ehrwürdig zu machen.
Allerdings müßten ſolche gemeine Schilderungen in keinem geringeren Werth, als jene heroiſchen Bilder der Tugend des Guten, und der Glückſeligkeit, auf die man ſo viel Mühe verwendet hat, bey den Menſchen ſtehen, wenn es ihnen ernſtlich am Herzen läge, nicht im Müßiggang zu ſchreiben, was aus Müßiggang gele ſen wird, ſondern vielmehr das thätige Leben zu unter richten, und auszubilden.
«
Wir wollen alſo die Schik in zwey Hauptlehren theilen; in die Lehre durch Muſter des Guten, und in die
Lehre durch Vorſchriften zum Guten: jene beſchreibt die Natur
608
FFÄRd
Natur des Guten, dieſe ſchreibt die Vorſchriften vor wie man das Gemüth zum Guten bilden ſoll. Die Lehre durch Muſter, welche die Natur des Guten betrachtet und beſchreibt, betrachtet das Gute, entweder als einfach, oder als verhältniſmäßig; oder, ſage ich, die Gattungen des Guten, oder die Grade. In dieſem lezteren Theil hat endlich der chriſtliche Glaube jene unendliche Streitigkeiten, und Betrachtungen über den höchſten Grad des Guten, den ſie Glückſeligkeit, Seligkeit, höchſtes Gut genannt haben, und in welchen der Heyden ihre Theologie beſtand, aufgehoben, und abgefertiget. Dann wie Ariſtoteles ſagt: die Jüng linge können auch glücklich ſeyn, aber nicht anders, als durch Hofnung; eben ſo müßen wir von dem chriſtli
chen Glauben gelehrt, unſere Glückſeligkeiten auf Hof, nung bauen. Nachdem wir alſo durch ein gutes Schickſal von
dieſer ausſchweifenden Lehre, als von dem heidniſchen
- Himmel, befreyt worden ſind; (in welchem Theil ſie ohne Zweifel der menſchlichen Natur eine größere Erha benheit zugeeignet haben, als deren dieſelbige fähig wäre : dann wir ſehen wie hochtrabend Seneca ſagt: es iſt wahrhaftig was großes die Gebrechlichkeit eines Menſchen, die Sicherheit eines Gottes zu ſo
Ä5
können wir allerdings das übrige in Abſicht der Lehre von Muſtern oder den Schilderungen des Guten von ihnen vorgetragene, mit minderem Verluſt der Wahrheit oder Mäßigung größtentheils annehmen. Denn was die Natur des feſtgeſezten und einfachen Guten anbetrift,
ſo haben ſie ſelbige gewiß ſehr ſchön und lebhaft in den --
vortref
&SÄN
609
vortrefflichſten Gemälden dargeſtellt; indem ſie die Ge ſtalten, die Lagen, die Gattungen, die Verwandſchaf ten, die Theile, die Gegenſtände, die Verrichtungen, die Handlungen, die Austheilungen der Tugenden und Pflichten, auf das ſorgfältigſte abzeichneten. Und
auch dies war nicht genug: denn ſie haben alles dieſes ebenfals mit einer großen Schärfe und Lebhaftigkeit der Beweiße und Annehmlichkeit der Ueberredungen dem menſchlichen Gemüth empfohlen und beygebracht: ja. - ſie haben es auch, ſo viel durch Worte geleiſtet werden
kann, wider die ſchlimmen und pöbelhaften Irrthümer und Angriffe aufs treulichſte verwahrer. Was aber die Natur des verhältnismäßigen Guten anbetrift, ſo haben ſie es auch hieran auf keine Weiſe fehlen laßen; nem lich, in Aufſtellung jener dreyfachen Ordnung des Gu ten; in Vergleichung des betrachtenden Lebens mit den thätigen; in der Unterſcheidung der Tugend die noch wankt, und der Tugend die ſchon veſte iſt, "und Sicher
heit erlangt hat; in dem Streit und Kampf des Ehr baren und Nüzlichen; in dem Abwägen der Tugenden untereinander, welche nemlich vorzüglicher ſey, und
dergleichen mehr. Alſo finde ich daß dieſer Theil von der Schilderung des Guten oder der Lehre durch Muſter, ſchon vortrefflich bebauet ſey, und daß ſich die Alten
hierinn als ganz vortreffliche Männer bewieſen: jedoch alſo, daß ſie die Philoſophen ſehr weit übergangen hat, weil auch der anhaltende Fleiß der Theologen in Ueber denkung und Beſtimmung der Pflichten, der ſittlichen
Tugenden, der Gewißensfälle, und der Umſchreibungen
der Sünde ſehr geübt worden iſt. Qq
Nichts
6-
& SFRd Nichtsdeſtoweniger aber würden die Philoſophen,
wenn ſie noch vor der Behandlung der gemeinen und . angenommenen Begriffe von Tugend, Laſter, Schmerz,
Wolluſt und Uebrigem, ſich ein wenig zurückgehalten, und die Wurzeln des Guten und Uebels ſelbſten, und
die Faſern jener Wurzeln genau unterſucht hätten, all demjenigen meines Erachtens, ein großes Licht gegeben haben, was hierauf zur Unterſuchung gekom men wäre: ſie auch vornehmlich vor allem, nicht minder die Natur der Dinge, als die moraliſchen Grundſäze, zu rathe gezogen, und ihre Lehren wes niger weitläuftig, aber mehr gründlich gemacht hätten. Da dieß von ihnen entweder ganz unterlaßen, oder
ſehr unordentlich behandelt worden iſt, ſo wollen wir es kurz durchgehen, uad uns bemühen, ſelbſt die Quel len der moraliſchen Dinge zu eröfnen und zu reinigen, ehe wir zur Lehre von der Ausbildung der Seele die wir unter das Vermißte ſezen, fortſchreiten. Denn
dieſes wird unſeres Erachtens der Lehre durch Muſter einigermaßen neue Kräfte geben. Es iſt jeder Sache, nach der zweyfachen Natur des Guten, ein Reiz eingeprägt und aufgedrückt; nach der einen, nach welcher die Sache ein gewißes Ganzes an ſich ſelbſt iſt: nach der andern, nach welcher die
Sache ein Theil eines größeren Ganzen iſt.
Aber
dieſe leztere geht jener andern an Würde und Ver mögen vor, da ſie zur Erhaltung einer weiteren Form abzielt. Man nenne die erſte, das Gute eines Ein zeldinges: die leztere, das Gute einer Gemeinſchaft. Das Eiſen zieht ſich durch eine beſondere Sympathie nach dem Magnet : wenn es aber etwas allzuſchwer iſt,
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61 E -
-
iſt, ſo verläßt es jene Liebe, und begiebt ſich, gleich
ſam als ein guter Bürger und Liebhaber des Vaters landes, auf die Erde, als dem natürlichen Aufenthalt ſeiner Mitcörper.
Laßt uns etwas weiter fortfahren;
dichte und ſchwere Cörper begeben ſich nach der Erde, der großen Verſammlung dichter Cörper: doch, ehe die Natur eine Trennung der Dinge zuläßt, ſo giebt es, wie man ſpricht,
eine Leere,
damic dergleichen
Cörper in die Höhe getrieben, und von ihrer Pflicht gegen die Erde abweichen werden, damit ſie gegen die
Welt ſelbſt ihre ſchuldige Pflicht leiſten. Alſo verhält es ſich gleichſam beſtändig ſo, daß die Erhaltung der mehr gemeinſchaftlichen Form die mindere Reize in
„Ordnung bringe. Dieſer Vorzug des Guten der Gemeinſchaft aber zeichnet ſie vornehmlich am Mens ſchen aus, wenn er nicht entartet iſt, nach jenem merkwürdigen Ausſpruch des größen Pompejus; wels
cher zur Zeit einer großen Theurung in Rom, als Vorſteher über die Einführung der Lebensmittel, von ſeinen Freunden heftig gebeten worden, daß er ſich
bey einfallender ſehr ſtürmiſcher Witterung der See nicht änvertrauen möchte; ihnen aber bloß das ge antwortet hat: es iſt nothwendig daß ich gehe, aber nicht, daß ich lebe: ſo, daß das Verlangen nach dem
Leben, welches ſonſt das größeſte iſt, die Liebe und die Treue gegen den Staat bey ihm nicht überwoge.
Aber was halten wir uns auf? es iſt in allen Jahr, hunderten keine Philoſophie, keine Seete, keine Reli, gion kein Geſez, überhaupt keine Lehre gefunden worden, welche das Gute einer Gemeinſchaft ſo ſehr
erhöhet , das Gute eines Einzeldinges aber ſo ſehr niedergedrückt hat, als der heilige chriſtliche Glaube: -
Q, 2
daher
-
«-
z-Fººd
daher erhellet deutlich, daß es ein und eben derſelbige Gott geweſen, Creaturen,
welcher jene Geſeze der Natur den
den Menſchen aber das chriſtliche Geſez
gegeben hatte. Dieſfalls leſen wir, daß einige der auserwählten und heiligen Männer ſich lie er aus dem Buch des Lebens gewünſcht haben, als daß das Heil auf ihre Brüder nicht käme; und hierzu ſind ſie durch eine gewiße Entzückung der Liebe, und ein heißes Verlangen für das Gute der Gemeinſchaft angetrie ben worden.
-
-
Dieſes alſo angenommen,
daß es unbeweglich
und unerſchüttert ble bt, bringt einige der ſchwerſten Streitfragen in der Moral , Philoſophie zu Ende.
Denn erſtlich beſtimmt es jene Frage :
ob das be
trachtende Leben dem thätigen vorzuziehen ſey; und das wider die Meinung des Ariſtoteles.
Denn alle
Gründe, welche von jenem für das betrachtende Leben beygebracht worden, gehen auf das beſondere Gute, und nur auf das Vergnügen oder die Würde des einzelen Menſchen, in welchen Dingen das betrach
tende Leben allerdings den Vorzug hat. Denn das betrachtende Leben iſt der Vergleichung nicht unähn lich, welche Pythagoras gebraucht hat, damit er die Ehre und die Würde der Philoſophie und Betrachtung behauptete. Welcher nemlich auf die Frage des Hiero, wer er wäre, geantwortet hat: es werde dem Hiero nicht unbekannt ſeyn, daß zu den Olympiſchen Spielen, wenn er vielleicht da geweſen wäre, viele Menſchen in verſchiedner Abſicht kämen,
und zwar
einige, damit ſie ihr Glück in den Spielen machten:
andere als Kaufleute, -
um Waaren zu verhandlen: wieder
/
& Fººd
613
wieder andere, um ihre von allen Orten herkommende Freunde anzutreffen, mit denſelben fröhlich zu ſeyn und zu ſchnauſen: und endlich andere, um der üogi gen Zuſchauer zu ſeyn. Er nun ſeye einer von den jenigen, welcher des Zuſchauens wegen gekommen ſey. Allein die Menſchen müßen wißen, daß es auf dieſen Schauplaz des menſchlichen Lebens, Gott und den Engela allein zukomme, daß ſie Zuſchauer ſeyen. Auch
hat es allerdings nicht wohl geſchehen können, daß jenals über dieſe Sache ein Zweifel in der Kirche
entſtehen würde: (oowohl ſehr vielen jener Ausſpruch im Munde geweſen, der Tod ſeiner Heiligen iſt in den Augen des Herrn koſtbar: aus welcher Stelle
ſie jenen bürgerlichen Tod und die Einrichtungen des Mönchs- und Ordens Lebens zu erheben pflegten:) wo nicht jenes auch einer war, daß jenes Mönchs Reben nicht ganz betrachtend iſt, ſondern allerdings mit kirche lichen Geſchäften ſich beſchäftiget; dergleichen das
immerwährende Gebet,
und die Gott dargebrachte
AOpfer der Gelübde ſind: ferner auch, dienen die bey
vieler Muße verfaßte theologiſche Schriften zur Aus breitung des göttlichen Geſezes:
wie auch Moſes ge
than hat, als er ſo viele Tage lang auf den Berge in der Abſonderung verweilte. Ja auch Henoch, der nach Adan der ſiebende war, und der Anfänger des betrachtenden Lebens geweſen zu ſeyn ſcheint ; denn er
ſoll mit Gott gewandelt haben, hat dennoch die Kirche mit einem Buch der Weißagung, das auch von dem
heiligen Judas angeführt wird, beſchenket. Was aber das lautere, und in ſich ſelbſt beſchränkte betrachtende
Leben anbetrift, das keine Strahlen, weder der Wärme, noch des Lichts, auf die menſchliche Geſel QQ 3 ſchaft
s“ ſchaft wirft;
&SFRd ſo kennt ſelbiges die Theologie kei,
neswegs.
Es beſtimmt auch die mit ſo großem Streit aufgeworfene Frage zwiſchen den Schulen des Zeno
und des Socrates an einem Theil, Glückſeeligkeit in die Tugend,
als welche die
entweder die einſame,
oder die angewandte, deren vorzüglichſte Theile immer in den Pflichten des Lebens liegen, geſezet haben: und zwiſchen den übrigen mehreſten Secten und Schu len auf der andern Seite: als den Schulen der Cys rener und Epicurer, welche ſelbige in die Wolluſt ge legt, die Tugend aber ganz und gar, wie in einigen
Comödien geſchiehet, wo die Haußfrau mit der Magd das Kleid wechſelt, als eine Dienerin aufgeſtellet: als ohne welche die Wolluſt nicht bequem bedient werden könnte: wie auch zwiſchen jener zweyten, gleichſam reformirten Schule des Epieurs; welcher vorgab, daß die Glückſeeligkeit nichts anders, als eine
Ruhe und Heiterkeit eines ſorgenfreyen Gemüthesſey; als wann ſie gleichſam den Jupiter vom Thron ſtürzen wollten, und den Saturn mit dem goldenen Zeit alter, wo weder Sommer noch Winter, weder Sturm
noch Herbſt; ſondern eine und eben dieſelbige gleiche und angenehme Frühlingsluft wäre, wiederherſtellen möchten: endlich auch zwiſchen jener verworfenen Schule des Pyrrho und Herillus, welche geglaubt
haben, daß die Glückſeeligkeit in gänzlicher Ausrot tung jeder Gemüthsſerupel liege, indem ſie keine veſte und beſtändige Natur des Guten oder Böſen annah men, ſondern die Handlungen für gut oder bös hiel ten, wie ſie aus dem Gemüth, durch eine reine und -
ununters
FR
615
ununterbrochene Bewegung, oder im Gegentheil mit Abſcheu und Kampf hervorkamen; welche Meinung jedoch in der Kezerey oder dem Irrthum der Wie dertäufer wieder aufgelebt iſt, als welche alles
Ä
den Bewegungen und den Antrieben des Geiſtes, un nach der Beſtändigkeit oder dem Wanken des Glau
bens abmaßen. Es erhellet aber, daß all das ange führte zur beſonderen Ruhe und Zufriedenheit der Ge
müther keinesweges aber zum Guten einer Gemein
ſchaft gehöre.
-
Ferner widerlegt es auch die Philoſophie des Spictets, welcher dieſes Vorurtheil hat: daß die Glückſeeligkeit in dasjenige geſezt werden müße, was in unſerer Gewalt ſey, damit wir nicht dem Zufall und dem Glück unterworfen ſeyen; gleichſam nicht viel glückſeliger wäre
als wann es in rechtſchaffe,
nen und großmüthigen Abſichten und Endzwecken, welche das gemeine Beſte umfaßen, durch den Erfolg nicht belohnt zu werden, und vergeblich gearbeitet zu
haben, als in allem was nur zu unſern Privatglück gezählt wird, beſtändig des Wunſches theilhaftig zu werden !
wie Conſalvus, der mit dem Finger den
Soldaten Neapel zeigte, mit großmüthigem Ausruf bezeugt hat, daß es ihm weit erwünſchter ſeyn würde, durch Vorwärtsſezung eines Fußes in gewißen Unter gang zu fallen, als durch Zurückziehung eines Fußes das Leben auf viele Jahre zu verlängern. Womit auch der himmliſche Held übereinſtimmt, als er aus gerufen hat, ein gutes Gewißen iſt ein beſtändiges Wohlleben; mit welchen Worten er deutlich anzeigt,
daß ein guter Abſichten ſich bewußtes Gemüth, wann -
Q A 4
es
FRd
616
es gleich des Erfolges mangelt,
ein ächteres und
reineres, auch der Natur mehr angemeßenes Vergnü
gen gebe, als jene ſämtliche Zurüſtung, womit der Menſch verſehen werden kann, damit er entweder
ſeine Wünſche genieße, oder das Gemüth beruhige. Eben dieſes widerlegt auch jenen Mißbrauch der
Philoſophie , welcher zu den Zeiten des Epictets zu
herrſchen angefangen hat: daß nemlich die Philoſophie zu einer Art von Profeſſion und Handwerk geworden;
als wenn gleichſam die Einrichtung der Philoſophie
nicht dahin gienge, die Beunruhigungen zu dämpfen - und zu vertilgen; ſondern die Urſachen und Gelegen heien derſelben zu vermeiden und aufzuheben: dieß
faiis wäre zur Erhaltung deßelben eine gewiße beſon dere Lebensart anzutretten:
welche allerdings eine
ſolche Gattung Geſundheit in das Gemüth brächte, wie des Herodicus ſeine in Abſicht des Cörpers ge weſen: von welchen Ariſtoteles erzählt; daß er ſein
ganzes Leben hindurch nichts anderes gethan habe, als daß er ſine Geſundheit beſorgte,
und demnach
von unzählichen Dingen ſich enthielte, da er indeßen durch die Sorgfalt für ſeinen Cörper gleichſam ge
ſtraft war.
Wenn aber den Menſchen daran liegt,
die Pflichten der Geſellſchaft zu beobachten, ſo iſt alsdann diejenige Geſindheit am meiſten zu ſuchen,
welche jegliche Veränderungen und jede Anfälle ertra gen und überwinden könne. Auf eben die Weiſe iſt
auch dasjenige Gemüth alsdann erſt für wahrhaft und eigentlich geſund und ſtark zu halten,
welches
durch die meiſten und größten Verſuchungen und Be
unruhigungen durchbrechen kann.
Demnach ſcheint Dioges
FFRd
-
617
Diogenes den beſten Ausſpruch gethan zu haben, als welcher diejenigen Gemüthskräfte gelobt hat, welche nicht nur vermögend wären ſich vorſichtig zu enthal ten, ſondern auch ſtark zu ertragen; und welche den
Antrieb des Gemüthes auch in den größten Gefahr, lichkeiten zurück halten können; und welche das leiſten, was man an guten Pferden lobt, daß ſie nemlich in dem kürzeſten Raum ſich ſtellen und wenden können. -
Zulezt, widerlegt eben dieſes eine gewiße Zärt
lichkeit und Empfindlichkeit als eine Unſchicklichkeit
zum Gehorchen, welche an einigen der älteſten, und berühmteſten Philoſophen bekannt iſt: die ſich nemlich allzu leicht den bürgerlichen Dingen entzogen haben, damit ſie ſich von unwürdigen Begegnungen und Be
unruhigungen loß machten, und ihrer Meinung nach mehr unangetaſtet, und gleichſam in heiliger Würde lebten: wo es hingegen gemäßer wäre, daß die Stand haftigkeit eines ächt moraliſchen Menſchen eine ſolche
würde, dergleichen der eben genannten Conſalvus an einem militäriſchen Menſchen erforderte: daß nemlich deßen Ehre gleichſam aus einem dichteren Geſpinnſte gewogen würde; mit nichten aber aus einem ſo dün
nen, daß es jedes Ding rüpfen und zerreißen könne,
&SFR
6I8
-
S*I*S FRSG/F
2tes Capitel. Eintheilung des Guten eines Einzeldinges, oder der Eigenheit, in das thätige Gute, und in das leidende Gute. Eintheilung des leidenden Guten in das Erhaltungs- Gute, und in das Vervollkommungs - Gute. Eintheilung des Guten einer Gemeinſchaft
in allgemeine
und in verhältnißmäßige
Pflichten.
L.
uns alſo nun das Gute eines Einzeldinges, und der Ergebenheit, wiederholen und zuerſt auseinan derſezen. Wir wollen es aber in das thätige Gute und Denn auch dieſer in das leidende Gute eintheilen. Unterſchied des Guten findet ſich in dem ganzen Umfang
der Natur den Dingen eingeprägt: beſonders aber ver räth er ſich in dem zweyfachen Beſtreben der erſchaffenen Dinge: dem einen, ſich zu erhalten und zu beſchüzen: dem andern, ſich zu vervielfachen, und fortzupflanzen:
und dieſes leztere, welches thätig iſt, ſcheint mächtiger und würdiger: jenes erſtere aber, welches leidend iſt, kann für niedriger gehalten werden.
Denn in dem
ganzen Umfang der Dinge iſt die himmliſche Natur vorzüglich wirkend; die irrdiſche Natur aber leidend.
Auch unter den Vergnügungen der Thiere iſt die Wolluſt zu zeugen größer, als die Wolluſt zu weiden.
Auch
in der heiligen Schrift heißt es, geben iſt ſeliger denn nehmen.
Ja auch im gemeinen Leben wird Niemand
ſo weich und weibiſch gefunden, der ſich nicht mehr das „
LAUs
&SFR)
61 9
raus mache etwas gewünſchtes zu ſtande zu bringen und zu vollenden, als eine Geſinnlichkeit des Vergnügens zu genießen. Und dieſer Vorzug des thätigen Guten wird ferner unendlich erhöhet, wenn man die menſchliche
Natur anſiehet, daß ſie ſowohl ſterblich, als den Schiä gen des Schickſals ausgeſezt iſt. Dann wenn in den Wollüſten der Menſchen eine Beſtändigkeit und Gewis heit ſtatt finden könnte, ſo würde ihnen wegen der
Sicherheit und dem Verweilen ein großer Werth zu wachſen. Da es aber heißt: ein ſpäter Tod iſt beßer als ein früher : und rühme dich nicht des unorgenden Tages, denn du weiſt nicht, ob du ihn erleben wirſt: ſo iſt es gar kein Wunder, wenn wir nach demjenigen ſtreben, was die Widerwärtigkeiten der Zeit nicht fürch
tet.
Dies aber kann nichts, als unſere Werke ſeyn:
wie es heißt, ihre Werke folgen ihnen nach.
Es giebt
noch einen und zwar nicht geringen Vorzug des thätigen
Guten, der durch denjenigen Affeckt hervorgebracht und unterhalten wird, welcher der menſchlichen Natur als ein unzertrennlicher freudiger Gefährte anhängt : nem
lich die Liebe der Neuheit, oder der Abwechſelung. Denn dieſe iſt in den Wollüſten der Sinne, welche auch
der größte Theil des leidenden Guten ſind, ſehr be ſchränkt, und hat keine große Ausdehnung: bedenke wie lang du das nemliche thun wirſt; Speiſe, Schlaf, Kurzweil; dies alles läuft in einem beſtändigen Cirkel.
Sterben wollen, kann nicht nur der ſtarke, oder der
elende, oder der kluge, ſondern auch der, welcher einen Ueberdruß und Eckel hat.
Aber in den Thaten, den
Anſtalten, und den Beſtrebungen unſeres Lebens, iſt eine große Mannichfaltigkeit; und ſie wird mit vielen Vergnügen empfunden, und zwar indem wir anfangen, -
forts
&SFsd
62o
fortſchreiten, darzwiſchen ausruhen, wieder angreifen,
unſere Kräfte verſtärkt fühlen, weiter gehen, endlich /
zum Zweck kommen, und was dergleichen mehr iſt; daß nun ſehr wahrhaft geſagt hat: Das Leben ohne Vorſaz iſt ſehr matt und unſtat. Welches zugleich bey Klugen und Narren eintrift, wie Salomon ſagt: der Narr iſt vermeßen und miſcht ſich in alles.
Ja wir
ſehen auch, daß die machtigſten Könige, auf deren Wink alles was den Sinnen angenehm iſt, hergeſchaft werden konnte, nichtsdeſtoweniger niedrige und ſchlechte
W tſche bisweilen gehegt haben (wie dem Nero die Cytyer, dem Commodus das Fechten, dem Antoninus das Fahren geweſen) und die ihnen doch weit lieber als alter Ueberf ß ſinnlicher Wollüſte geweſen. Alſo
bigt es eine weit größere Wolluſt daß wir etwas thun, als daß wir genießen.
-
-
Dies iſt inzwiſchen etwas genauer zu bemerken,
daß das thätige Gute, als das Gute eines Einzeldinges betrachtet, von dem Guten einer Gemeinſchaft ganz ver ſchieden ſey; obwohl bisweilen beyde zuſammen treffen.
Denn obwohl dieſes thätige Gute eines Einzeldinges öf ters Wºrte der Wohlthätigkeit, welche unter die Tugen den der Gemeinſchaft gehöret, erzeugt und hervorbringt; ſo iſt doch das der Unterſchied, daß jene Werke meiſtens in der Abſicht von den Menſchen geſchehen, damit ſie
ihre eigene Macht und Würde und ſich ſelbſt befördern und beglücken, nicht aber andere zu unterſtüzen oder ſie
glücklich zu machen.
Welches man am beſten wahr
nimmt, wenn ein thätiges Gutes auf etwas ſtoßt, das
dem Guten der Gemeinſchaft entgegen iſt. Indem jene rieſenmäßige Beſchaffenheit der Seele, durch welche die großen
SFN
621
großen Zerſtörer des Erdbodens dahin gerißen werden; dergleichen Sylla und ſehr viele andere, obwohl in ei
nem weit kleinern Maaß geweſen; die überhaupt nur dahin trachten, daß alle glücklich oder unglücklich ſehen, je nachdem ſie ihnen günſtig oder ungünſtig geweſen; und daß die Welt gleichſam ihr Ebenbild darſtelle: (welches eine wahre Gottesläſterung iſt) indem dieſe, ſage ich, ſelbſt auf das chätige wenigſtens anſcheinende Gute geht, ſo iſt doch der Abſtand von dem Guten einer Gemeinſchaft unter allen der größte.
Das leidende Gute aber wollen wir in das Erhal tungs - Gute, und das Vervoilkommnungs, Gute ein
theilen. Dann jede Sache hat in Abſicht des Guten eines Einzeldinges, oder der Eigenheit, eine dreyfache Begierde. Die erſte iſt, daß ſie ſich erhalte: die zweyte, daß ſie ſich vervollkommne: die dritte, daß
ſie ſich vervielfache oder ausbreite. Dieſe lezte Begierde aber wird zum thätigen Guten gezählt, wovon wir eben geredet haben. Unter den beyden übrigen aber iſt das Vervollkommnungs-Gute das vorzügliche.
Denn es iſt .
etwas geringeres die Sache in ihrem Zuſtand zu erhal ten: etwas größeres aber, ſie zu einer höheren Natur
zu erheben.
Denn es werden unter allen Dingen einige
edlere Naturen gefunden, nach deren Würde und Vor trefflichkeit die niedrigeren Naturen, gleichſam als nach
ihren Quellen und Urſprüngen trachten. Wie jener von den Menſchen geſagt hat: ſie haben eine feurige Kraft und einen himmliſchen Urſprung.
Denn dem
Menſchen iſt die Annäherung zur göttlichen, oder auch zur Natur der Engel, die Vervollkommnung ſeiner
Form. Die ſchlimme und unzeitige Nachahmung dieſes Vers A
/
FGFRd
622
Vervollkommnungs Gutes aber, iſt ſelbſt eine Peſt des men chlichen Lebens, und ein gewißer reißender Wirbel, der alles umreißt und umkehrec.
Indem nem ich die
Menſchen ſtatt einer förmlichen und weſentlichen Erhe bung, mit einem blinden Ehrgeiz nur zu einer örtlichen Erhebung auffliegen. Dann wie die kranken, die kein Mittel für ihr Uebel finden, ſich von einer Stelle zur andern legen und wenden; als wann ſie gleichſam durch
Veränderung des Orts von ihnen ſelbſt ſich alſondern, und dem innerlichen Uebel entfliehen könnten: auf eben
die Weiſe geſchieht es mit dem Ehrgeiz, daß die Men, ſchen durch ein gewißes falſches Gözenbild, das gleich ſam ihre Natur erhöhen ſoll dahin gerifen, nichts
anders erfangen, als eine gewiße Höhe und einen Gipfel des Ortes.
Das Erhaltungs - Gute aber iſt nichts anders, als eine Annahme und ein Genuß der Dinge die unſerer Naturgemäß ſind. Obgleich dieſes Gute das einfachſte und natürlichſte iſt; ſo ſcheinet es doch unter dem Guten das weichſte und niedrigſte zu ſeyn. Ja auch ſelbſt dieſes Gute nimmt einigen Unterſchied an, in Abſicht
deßen theils das Urtheil der Menſchen gewanfet hat, theils die Unterſuchung unterlißen worden iſt. Denn die Würde und Empfehlung des Genießungs Guten, oder wie es insgemein genannt wird, des angenehmen, liegt entweder in der Lauterkeit des Genußrs, oder in deßen
Stärke: wovon das eine die Gleichheit einführt und leiſtet, das andere aber die Mannigfaltigkeit und Ab wechslung; das eine hat eine mindere Miſchung des Böſen, das andere einen ſtärkeren und lebhafteren Eindruck des Guten. Uebrigens wird gezweifelt, ob eines
\
FSD
623
eines von dieſen das befere ſey: hernach wird nicht unterſucht, ob die menſchliche Natur beydes zugleich bey ſich behalten könne. Und was dies anbetrift, woran gezweifelt wird, ſo hat jene Streitigkeit zwiſchen dem Socrates und einem gewißen Sophiſten unterſucht zu werden angefangen. Socrates nemlich behauptete daß die Glückſeligkeit in dem beſtändigen Frieden und der Ruhe der Seele liege; der Sophiſt aber, ſie beſtehe darinn, daß jemand viel begehre, und viel genieße. Ja ſie ſind von Beweiſen bis zu Schmähungen geſunken; indem der Sophiſt ſagte, die Glückſeligkeit des Socrates ſeye die Glückſeligkeit eines Steines oder Klozes; da
hingegen Socrates erwiederte, die Glückſeligkeit des Sophiſten ſey die Glückſeligkeit eines räudigen, den es beſtändig juckte, und der immer krazte. Und doch feh len keiner von beyden unter dieſen Meinungen ihre Gründe. Dann mit dem Socrates ſtimmt auch ſelbſt
die Schule des Epicurs überein, welche nicht verneinte, daß die Tugend das meiſte zur Glückſeligkeit beytrage. Wenn es an dem iſt, ſo iſt nichts gewißeres, als daß der Nuzen der Tugend größer zur Stillung der Unru
hen, als zur Erlangung der begehrten Dinge ſey.
Dem Sophiſten aber ſcheint jene Behauptung Beyfall zu geben, deren eben von uns Meldung geſchehen iſt, daß nemlich das Vervollkommnungs, Gute vorzüglicher als das Erhaltungs- Gute ſey; weil nemlich die Erlan gungen der begehrten Dinge die Natur nach und nach zu vervollkommnen ſcheint : ob ſie es gleich wirklich nicht thun, ſo hat doch auch ſelbſt die Bewegung im
Eirkel einigen Schein der fortſchreitenden Bewegung vor ſich. /
Die
624
&EFD Die zweyte Frage aber, ob nemlich die menſch
liche Natur ſowohl die Ruhe des Gemüths als die Stärke des Genußes zugleich beybehalten könne ? macht, wann ſie wohl beſtimmt iſt, jene erſtere unnüz und überflüßig. Dann ſehen wir nicht, daß die Ge
mücher einiger Menſchen nicht ſelten ſo geartet und beſchaffen ſind, daß ſie den Wollüſten, wenn ſolche vorhanden ſind, ſehr nachhängen, und dennoch ihren
Verluſt nicht ſchwer ertragen ? ſo daß jene philoſo phiſche Folge, nicht gebrauchen, damit man nicht be
gehre; nicht begehren, damit man nicht fürchte, ein kleines und mißtrauiſches Gemüth anzeigt. Allerdings ſcheinen die meiſten Lehren der Philoſophen ein wenig zu furchtſam und allzu vorſichtig zu ſeyn, mehr als
es die Natur der Dinge fordert. So wie ſie die Furcht des Todes durch ihre Vorſchrift vermehren. Denn da ſie beynahe nichts anderes aus dem menſch lichen Leben als eine gewiße Vorbereitung und Unter
weiſung zum Tode machen, wie kann es geſchehen, daß nicht jener Feind ſehr fürchterlich ſcheine, wider den ſich zu verwahren kein Ende iſt ? beßer ſagt der
heydniſche Dichter: das Lebens. Ende ſteht unter den Wohlthaten der Natur. Ebenſo haben ſich auch die Philoſophen in allem beſtrebet, das menſchliche Ge müth allzueinförmig und gleichſtimmig zu machen: da ſie es gar nicht zu den gegenſeitigen und äußerſten
Bewegungen gewöhnten.
Die Urſach davon halt ich
vor dieſe, weil ſie ſich ſelbſt dem abgezogenen, von
Geſchäften und Dienſtleiſtungen befreyten Leben ge
widmet haben.
Die Menſchen aber ſollten vielmehr
die Klugheit der Juweliers nachahmen; die, wann ſie etwa in einem Edelſtein ein Wölkchen oder der -
-
gleichen, -
-
&S Fººd gleichen
625
finden, welches ſo herausgenommen werden
könnte, daß die Größe des Steins nicht zu viel das durch abnimmt, ſo nehmen ſie es hinweg; ſonſt aber
laßen ſie es unberührt: auf gleiche Weiſe muß man alſo für die Heiterkeit der Gemüther beſorgt ſeyn, daß nicht die Großmuth zernichtet werde. Und ſo viel mag von dem Guten eines Einzeldinges genug geſagt ſeyn.
Nachdem wir alſo von dem Guten der Eigens heit, welches wir auch das beſondere Gute, das Privatgute, das Gute eines Einzeldinges zu nennen pflegen, ſchon geredet haben; ſo laßt uns das Gute der Gemeinſchaft, welches die Geſellſchaft angehet, wiederholen. Es wird mehr unter dem Nahmen Pflicht eigentlich einem Gemüth zugeeignet, das gegen andere in guter Verfaßung ſtehet: ein Wort der Tugend das einem in ſich wohlgebildeten und geordne ten Gemüth zukommt. Allein dieſer Theil ſcheine dem erſten Anblick nach, zur Staats - Wißenſchaft zus
gehören: jedoch, wenn man es genauer betrachtet, iſt es nicht alſo: indem er die Regierung und Herr ſchaft eines jeden über ſich ſelbſt keineswegs aber über andere behandelt. So wie es in der Baukunſt eine andere Sache iſt,
die Pfoſten,
die Balcken,
und die übrigen Theile des Gebäudes auszubilden, und zum Gebrauch des Baues vorzubereiten; eine andere aber, ſie in einander zu fügen, und feſt zu ordnen: wie es auch bey mechaniſchen Inſtrumenten
nicht einerley iſt, entweder die Maſchine zu machen und zu verfertigen, oder das verfertigte aufzurichten,
zu bewegen und ins Werk zu ſezen: Eben ſo iſtLehre die R r
sas
FSF d
Lehre von der Vereinigung der Menſchen ſelbſt in einen Staat oder Geſellſchaft von derjenigen unterſchieden, die ſie zu den Verheilen einer ſolchen Geſellſchaft ge ſchickt und geneigt mucht. Dieſer Theil von den Pflichten wird auch in
-
zwey Theile
getheilt; unter welchen der eine von der Pflicht des Menſchen inegemein, der andere von den
letondern und verhältnißmäßigen Pflichten, nach eines
-
jeden Beruf, Stand, Perſon und Würde handelt. *) Unter dieſen haben wir den erſten als genugſam aus gebildet und ſorgfältig erklärt, ſchon vorher ange
führt: den andern finden wir auch hin und wieder -
zerſtreut behandelt, aber noch nicht in ein wißenſchaft
liches ganzes gebracht.
Doch tadeln wir auch ſelbſt
dieſes, daß es zerſtreut behandelt wird, nicht; ja wir halten es noch für weit rachſamer, daß man von ſolchem Innhalt nach Theilen ſchreibe. Denn wer
mag von ſo großer Scharfſichtigkeit oder Zuverſicht ſeyn, daß er von den beſonderen und verhältniſmäßi gen Pflichten einzelner Stände und Verhältniße ge -
-
-
ſchickt W.
*) Anmerk. des Ueberſ. Wir können hier nicht umhin, eine Schrift unſeres Zeitalters anzuführen, und ſie ganz angelegentlich zu empfehlen, weil ſie die Lehre von den beſondern Pflichten ſo aemeinnü„ig abhandelt. Sie iſt von dem Marrrer der Gemeinnützigkeit, dem redlichen
* *
Herrn Pro o Baſedow verfaßt, und hat die Aufſchrift: Praktiſche Philoſophie für alle Städe. Von gleichem Werth iſt auch eben dieſes Mannes Ratürliche Weisheit im
Privatſtande der geſitteten Bärer. 2 -
Ein in ſeiner Art
einzies Buch, das jeder Vater ſeinen Sohº der in die
Welt geht, zum Abſchieds - Geſcheucke mitgeben ſollte.
FSFRd
-
627
ſchickt, und nach dem Leben handeln und entſcheiden könne, oder es auch nur unternehme? die Abhand lungen aber, welche die Weisheit nicht aus der Er fahrung ſchöpft, ſondern die nur aus der allgemeinen und ſchulmäßigen Kenntniß der Dinge von dergleichen Sachen genommen ſind,
werden gemeiniglich unnüz
unt vergeblich. Denn ob es wohl bisweilen eintrift, daß der Zuſchauer dasjenige bemerket ,
was dem
Spielenden entgeht, und ein gewißes mehr naſeweißes als geſundes Sprichwort über den Tadel des Pöbels wegen der Handlungen der Fürſten eingerißen iſt, daß
nemlich der im Thal ſtehende, betrachte;
den Berg am beſten
ſo wäre dennoch beſonders zu wünſchen,
daß nur der verſuchteſte und geübteſte ſich in dergleichen
Abhandlungen einließe. Denn die Betrachtungen ſpekulativer Menſchen in thätigen Materien, ſcheinen denjenigen, welche in Geſchäften geübt ſind, um
nichts beßer zu ſeyn, als die Abhandlungen des Phormio über den Krieg von dem Hannibal gehalten worden ſind, der ſie für Aberwiz und Träume geachtet hat. Nur einen Fehler haben diejenigen, welche von Din gen die zu ihrem Amt oder zu ihrer Kunſt gehören, Bücher ſchreiben; daß ſie nemlich in demjenigen, was zur Ausſchmückung oder Erhebung derſelben dient, keine Maaße zu halten wißen.
Es würde unrecht ſeyn, bey dieſer Gattung Bücher, nicht jenes ſo vortrefflichen Werkes zu ge denken, das Ewr Majeſtät über die Pflicht eines Königes herausgegeben haben. Dann dieſe Schrift hat die meiſten ſowohl ſichtbare als verborgene Schäze
der Gottesgelahrheit, -
-
der Tugendlehre Rr 2
und der Staats
A
sºs
gSF.d
Staatsklugheit in ſich gehäuft und verborgen; über, dirß ſind auch noch andere Künſte mit eingeſtreut, und ſie iſt, um mein Urtheil zu ſagen, unter denen Schriften die mir zu leſen vorgekommen, eine der ge
fundeſten und gründlichſten.
Dann nirgends zeigt ſie
die brauſende Hize der Erfindung, oder die ſchläfrige und träge Kälte der Nachſicht: nirgends einen Wirbel
wodurch ihre Ordnung geſtört oder zernichtet werde: nirgends Ausſchweiffungen, um dasjenige, was ſich nicht ſog'eich zuſammen reimt,
durch ein Ausbiegen
zu umfaßen: nirgends Räucherwerk und Schminke, wie diejenigen gebrauchen, welche mehr auf das Vergnü gen des Leſers, als die Natur des Innhalts ſehen: vor allem aber hat dieſes Werk eben ſowohl Geiſt als Cöper, daß es nemlich mit der Wahrheit ganz über eiſiimmt, als auch zum Gebrauch das angemeßenſte iſt. Ja es hat auch jenen Fehler nicht, wovon wir ſo eben geredet haben,
und der gewiß an einem Kö
nig, und an einer Schrift von der königlichen Würde am eheſten zu dulden ſeyn würde: daß es nemlich die Höhe und Erhabenheit der Könige nicht unmäßig oder neidiſch erhebt: indem Ewr Majeſtät nicht einen König von Afyrien oder Perſien, der von Pomp und äußeren Pracht glänzt und ſchimmert, ſondern wirks
lich einen Moſes, oder David, als Hirten ihres Volks geſchildert. Ferner wird mir auch niemals jener wahrhaft königliche Ausſpruch aus dem Ge dächtniß fallen, welchen Ewr Majeſtät in Endigung eines ſehr ſchweren Streites nach dem zur Regierung der Völcker fähigen Geiſt ausgeſprochen haben; daß nemlich die Könige ihre Königreiche ſo regieren müßen,
wie Gott die Welt nach den Geſezen der Natur regiere: Und
KºFRd
629
und daß jener Vorzug, welcher die Geſeze überſteigt, eben ſo ſelten von ihnen gebraucht werden müße, als wir an Gott ſehen, daß er die Macht Wunder zu verrichten gebraucht. Doch nichts deſtoweniger wird aus jenem zweyten Buch, welches Ewr Majeſtät über
die freye Monarchie verfaßt, allen zur Genüge be kannt, daß Ewr Majeſtät eben ſowohl die Fülle der königlichen Macht, und das äußerſte der königlichen Rechte, als wie die Schranken und Grenzen des königlichen Amtes und deßen Pflicht anſchaulich ſehn.
Ich habe alſo kein Bedenken genommen, jenes von der Feder Evr Majeſtät ausgearbeitetes Buch, als ein vorzügliches und erlauchtes Beyſpiet der Aohand lungen von den beſonderen und verhälraißmäßigen
Pflichten hier anzuführen. Von welchen Buch ich das eben geſagte fürwahr auch geſagt hätte, wenn es vor tauſend Jahren von einen König verfaßt wor
den wäre. Es rührt mich aber auch jener ſogenannte Wohlſtand nicht, der insgemein anbefohlen wird, daß man keinen in Gegenwart loben ſolle: wo nur ſolche
Lobeserhebungen dus Maß nicht überſchreiten, noch zur Unzeit, oder bey keiner gegebenen Gelegenheit er
theilet werden.
Cicero thut allerdings in jener ganz
vortreflichen Rede für den M. Murcellus, nichts anders, als daß er eine mit ſonderbaren Kunſtgrif
gemahlte Tafel mit dem Lobe des Caſars darſtellt, obgleich die Rede in ſeiner Gegenwart ſelbſt gehalten wurde. gethan.
Welches auch Pinius gegen den Trajan Und ſo wollen wir nun wieder auf unſer
Vorhaben kommen. Rr 3
Ferner
-
*
-
6ºo
Ferner gehört zu
KSFEd
-
dieſem Theil von
den verhält,
niſmäßigen Pflichten einzelner Stände und Verhält niße eine andere Lehre, die ſich auf die erſtere beziehet, ihr aber entgegen geſezt iſt; nemlich von den Betrü
gereyen, den Schlichen, den Hintergehungen, und Laſtern derſelben: indem die Verſchlimmerungen und die Laſter den Pflichten und Tugenden entgegen geſezt werden.
Auch ſchweigt man von dieſen in den meiſten
Schriften und Abhandlungen allerdings nicht: öfters aber bermerkt man ſie nur obenhin.
Allein wie ers
- wehnt man ſie denn ? nach Lucians Weiſe, nemlich
durch die Satire, und vielmehr cyniſch, als ernſthaft und mit Würde. Denn man wendet mehr Mühe an, daß das meiſte in den Künſten, auch das nüzliche
und geſunde, boshaft angegriffen und dem Spott der Menſchen ausgeſezt werde, als daß man das, was
in denſelben verdorben und mangelhaft iſt, von dem heilſamen und unverdorbenen abſondere. Aber Salo non ſagt ſehr wohl: den Spötter, der Weisheit ſucht, ----“
verbirgt ſie ſich, aber dem fleißigen kommt ſie entge
gen. Denn wer eine Wißenſchaft ergreift, um ihr zu ſootten und ſie zu verachten, der wird ohne Zweifel ſehr vieles finden, worüber er ſpottet; aber ſehr we niges, wodurch er gelehrter wird.
Allein eine ernſt
hafte und kluge Behandlung dieſes Innhaltes, wovon wir jezt reden, verbunden mit einer gewißen Aufrich tickeit und Rechtſchaffenheit, ſcheint unter die feſteſten
Schuzwehren der Tugend und Ehrlichkeit gezählt werden zu müßen. Denn wie man as ein Mährchen von dem Baſilisk erzehlt, daß wann er einen zuerſt anſchaue,
er ſolchen Menſchen alsbald tödte; wenn
aber der Menſch den Baſilisken zuerſt anſchaue, ſo -
-
.
werde
-Fs
631
werde lezterer getödtet: Auf gleiche Weiſe werden die Betrügereyen, die Hintergehungen, und die ſchlimmen
Kunſtgriffe ihrer Kraft zu ſchaden beraubt, wenn man ſie zuerſt entdeckt hat;
wenn ſie hingegen zuvor ae
kommen ſind, alsdann nur und ſonſt nicht erregen ſie Gefahr. Wir müßen es alſo dem Machiavel uld
dergleichen Schriftſtellern danken, daß ſie offenherzig und unverſtellt vorbringen, was die Menſchen zu tun gewohnt ſind, nicht was ſie ſollen. Denn es kann
auf keine Weiſe geſchehen, daß man jene Schlangen Klugheit mit der Tauben. Einfalt verbinde, wo man nicht die Natur des Böſen ſelbſt aus dem Grunde
kennet.
Denn ohne dieß, wird es der Tugend an
Schuz und Verwahrung fehlen.
Ja ein rechtſchaffe
ner und ehrlicher Mann kann auch auf keine Weiſe die ſchlimmen und gottloſen beßern und zurecht wei ſen, wo er nicht ſelbſt zuvor alle Schlupfwinkel und
Tiefen der Bosheit ausgekundſchaftet hat. Dann die, welche einen ganz verdorbenen und verſchlimmer ten Verſtand haben, haben dieſes an ſich, daß ſie vorausſezen, die Ehrbarkeit der Menſchen entſtehe nur
von der Unwißenheit und einer gewißen Einfalt de Sitten,
und davon, daß man den Predigern un
Lehrern, ingleichen den Büchern,
den ſittlichen Ge
boten und den gemeinen abgedroſchenen und anges rühmten Reden glaube: ſo, daß wenn ſie nicht gänz
lich einſehen, ihre ſchlimmen Meinungen, und ver dorbene verdrehte Grundſäze ſeyn denen, die ſie er ma nen und lehren, eben ſowohl als ihnen ſelbſt be
kennt und anſchaulich, ſie alle Rechtſchaffenheit der Sitten und Rathſchläge verachten: nach jenem wun derbaren Ausſpruch des Salomo: der Narr nimmt Rr 4 die -
z-Fd die Worte der Klugheit nicht an, wo du ihm nicht
632
zuvor geſagt haſt, was in ſeinem Herzen vorgeht. Dieſen Theil aber von den Hinterliſtungen und ver
hältnißmäfigen Laſtern zählen wir unter das Ver mißte; (Im achtzehenden Jahrhundert hat man Be trugs, Verica und nicht viel weiter) und wollen ihn mit dem Rahmen der ernſthaften Satire,
oder der
Abhandlung von den Geheimnißen der Dinge benennen. Auch gehören zur Lehre von den verhältnißmäßigen Pflichten die gegenſeitigen Pflichten, zwiſchen dem
Mann und dem Weibe, den Eltern und den Kindern, dem Herrn und dem Knecht : ferner die Geſeze der Freundſchaft und der Dankbarkeit : ferner die bürgerli chen Verbindungen der Brüderſchaften, der Collegien,
auch der Nachbarſchaft, und dergleichen: allein man verſtehe dieſes immer ſo, daß ſie hier nicht, in ſofern
ſie Theile der bürgerlichen Geſellſchaft ſind, denn dies gehört zur Staats Klugheit, ſondern in ſofern behan delt werden, als die Gemüther der einzelen zur Be ſchüzung jener Bande der Geſellſchaft unterrichtet und vorbereitet werden müßen. -
-
Aber die Lehre von dem Guten der Gemeinſchaft,
wie auch jene von dem Guten des Einzeldinges, behan delt das Gute nicht bloß einfach, ſondern auch verglei
chungsweis;
dahin gehörer, die Pflichten zwiſchen
Menſch und Menſch; zwiſchen Zufall und Zufall; zwi ſchen Beſonderem und Allgemeinem; zwiſchen gegenwär tiger und künftiger Zeit zu erwägen. Wie man an jener ſtrengen und grauſamen Beſtrafung des L. Brutus,
gegen ſeine Söhne ſehen kann, da dieſelbe von den meiſten
&SFR) meiſten bis in
Himmel erhoben wird;
633 aber ein anderer
hat geſagt: er iſt unglücklich, ob gleich die Söhne ihr Schickſal tragen.
Eben dies mag man an jener Abend
mahlzeit ſehen, zu welcher M. Brutus, E. Caſſius, und andere eingeladen worden ſind. Denn als daſelbſt zur Erforſchung der Gemüther in Abſicht auf die Zu ſammenverſchwörung wider das Leben des Cäſars die Frage mit Liſt aufgeworfen worden, ob es erlaubt wäre einen Tyrannen zu tödten? ſo verfielen die Gäſte
auf verſchiedene Meinungen; indem einige ſagten, daß es allerdinges erlaubt wäre, weil die Knechtſchaft das
äußerſte Uebel ſey: andere verneinten es, weil die Tyranney weniger ſchädlich wäre, als ein Bürger Krieg. Die dritte Gattung aber, gleichſam aus der Schule des Epicurs, behauptete, daß es unſchicklich ſey, daß ſich die Klugen für Thoren in Gefahr begeben. Allein es giebt ſehr viele Fälle von verhältnißmäßigen zweydeutigen Pflichten, unter welchen jener häufig vorkommt: ob man von der Gerechtigkeit wegen der Wohlfarth des Vaterlandes, oder einem dergleichen großen zukünftigen
Gut abweichen müße? worauf der Theſſaliſche Jaſon zu ſagen pflegte : man muß einiges unrecht thun, das
mit man vieles gerecht thun könne: allein die Gegen antwort iſt alsbald da: den Urheber der gegenwärtigen
Gerechtigkeit haſt du, den Bürgen der künftigen nicht. Die Menſchen müßen dasjenige befolgen, was gegen wärtig gut und gerecht iſt, und das zukünftige der gött lichen Vorſicht überlaßen. Und dies mag von der Lehre durch Muſter oder von der Lehre der Schilderungen
des Guten genug geſagt ſeyn. -
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3tes
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G34
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KKRd
-assº-assº-2 ====
Ztes Capitel. Cintheilung der Lehre von der Ausbildung der S ct.e in die Lehre von den Characteren der
Seeien, von den Affekten und von den
Hultsmitteln oder Heilungen. Anhang zu even der Leyre, von der Uebereinſtimmung zwiſchen dem Guten der Seele und dem
Guten des Kopers.
NÄ
-
wir nun von dem Genuß des Lebens, nem geredet haben; ſo
L lich im philoſophiſchen Sinne
iſt uns noch übrig, daß wir von der Ausbildung der -
Seele, die man ihr ſchuldig iſt, jezt reden: als ohne welche der erſtere Theil nichts anders zu ſeyn ſcheint, als eine gewiſe Bildſäule, die zwar ſchön von Anſehen iſt, der es aber an Bewegung und Leben fehlt. Wel
-
cr Meinung ſelbſt Ariſtoteles mit beredten Worten beyſtinmet: es iſt nothwendig von der Tugend zu reden,
was ſie ſey, und woraus ſie gezeugt werde.
Denn es
dürfte bey nahe unnüz ſenn, die Tugend zwar zu kennen, die Weiſe und Wege aber wie ſie zu erlangen, nicht zu wißen. Denn man muß ſich nicht nur um die Tugend
bemühen, von welcher Art ſie ſey, ſondern auch wie man ihrer mächtig werde: denn wir wollen beydes, ſowohl die Sache ſelbſt kennen, als auch ihrer mächtig
werden: dieſes aber wird nicht von ſtatten gehen, wenn wir nicht wißen, ſowohl woraus ſie beſtehet, als wie ſie erlangt wird. Mit ſo deutlichen Worten, und
auch wiederholt, ſchärft er dieſen Theil ein, den er doch -
-
ſelbſt
.
&SFT)
635
ſelbſt nicht ausführt. Eben dies iſt es, was Cicero dem jüngeren Cato als ein nicht gemeines Robbeylegt; daß er nemlich die Philoſophie ergriffen hätte; nicht um zu ſtreiten, wie ein großer Theil, ſondern darnach zu
leben.
Obwohl aber nach der Trägheit der gegenwär
tigen Zeiten wenigen am Herzen liegt, daß ſie ihre Seele fleißig ausbilden und ordnen, und den Lebens wandel nach einer Richtſchnur einrichten, (nach jenem
Ausſpruch des Seneka : über die Theile des Lebens
denket ein jeder nach, über das ganze Niemand) ſo
daß dieſer Theil als überflüßig angeſehen werden kann: ſo bewegt es uns dann noch gar nicht, daß wir ihn
unberührt laßen, ja wir ſchließen vielmehr mit jenem Spruch des Hippokrates: welche an einer ſchweren -
Krankheit darnieder liegen, und die Schmerzen nicht
fühlen, ſind unſinnig.
Dieſe Menſchen haben nicht
allein Arzney zur Heilung der Krankheit, ſondern auch zur Erweckung des Gefühls nöthig. Wenn mir jemand entgegen ſezt, daß die Seelſorge ein Amt der heiligen Theologie ſey, ſo behauptet er etwas ſehr wahres; aber was hindert es, daß nicht die ſittliche Philoſophie in den Dienſt der Theologie genommen werde, und gleich ei ner klugen und getreuen Magd auf ihren Wink bereit ſey und Dienſt leiſte ? denn gleich wie es im Pſalm heiſt, daß die Augen der Magd beſtändig auf die Hände
ihrer Frau ſehen: da doch gar kein Zweifel iſt, daß nicht weniges der Beurtheilung und Sorgfalt der
Magd überlaßen wird: eben ſo muß auch die Ethik der Theologie allerdings Gehorſam leiſten, und ihren Gebo ten gehorchen, jedoch alſo, daß ſie auch ſelbſt innerhalb
ihrer Schranken, nicht wenige geſunde und nüzliche Warnungen enthalten kann, Daß
& Fººd
636
Daß alſo dieſer Theil noch in kein ganzes einer
Lehre oder Wißenſchaft gebracht worden, muß ich mich heftig wundern, wann ich ſeine Vortrefflichkeit überdenke.
ind da wir ihn demnach unter das Vermißte ſezen, ſo wollen wir unſerer Gewohnheit nach einige Schilde rung davon machen. Vor allem aber müßen wir in dieſer Sache, «"
ſo wie in allen welche die Ausübung anbetreffen, bedenken, was in unſerer Gewalt ſey , was nicht. Dann in dem einen giebt es eine Veränderuna, in dem andern aber nur eine Anwendung. Der Ackersmann hat keine Gewalt weder auf die Natur des Bodens, noch auf die Beſchaffenheit der Luft; ebenſo der Arzt weder in die natürliche Beſchaffenheit des Kranken, noch
auf die Mannigfaltigkeit der Zufälle.
Aber in der
Ausbildung der Seele und der Heilung ihrer Krank heiten kommen dreyerley zu betrachten vor; die verſchie denen Charactere der Gemüths , Beſchaffenheiten, die Affekten, und die Hülfsmittel: gleich wie auch in
Heilung der Körper ene drey zu betrachten vorkommen; nemlich die Leibes“ Beſchaffenheit des Kranken, die Krankheit, und die Heilun .
Von jenen dreyen aber
liet nur das lezte in unſerer Gewalt / die beyden er
ſteren nicht ſo.
Allein auch ſelbſt jene, welche nicht
in unſerer Gewalt ſind, muß eben ſo ſorgfältig unters ſuchen, als dasjenie, was unſerer Gewalt unterworfen
iſt. Dann ihre ſcharfſinnige und genaue Kenntniß iſt bey der Lehre von den Hülfsmitteln zum Grunde zu legen, damit ſie deſto bequemer und glücklicher anges
jd werden möge. Dann auch das Kleid kann nicht nach dem Körper gemacht werden, wo man nicht vorher
ein Maaß des Körpers aufnimmt. -
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GSFRd
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Der erſte Artikel der Lehre von der Ausbildung der Seele, wird ſich alſo mit den verſchiedenen Charakteren der Gemüths-Beſchaffenheiten beſchäftigen. Doch reden wir nicht von jenen geneinen Neigungen zu Tugenden und Laſtern, oder auch zu Beunruhi ungen und Affekten: ſondern von mehr eigenen und tief ein „ewurzelten. Ich habe mich manchmal, auch in dieſem Theil gewun
dert, daß ich ſowohl von Schriftſtellern der Ethik, als der Politik, meiſtens verabſäumt oder übergangen wor den iſt; da ſie doch bey den Wißenſchaften ein ſehr deutliches Licht geben kann.
In den Ueberlieferungen
der Aſtrologie ſind die Arten und Gemüths Beſchaffenhei
ten der Menſchen nicht ganz ungeſchickt nach den Herr ſchaften der Planeten unterſchieden worden: daß nemlich
einige zu Betrachtungen; andere zu bürgerlichen Ge ſchäften; andere zum Krieg; andere zum Bewerben um
Aemter ; andere zu Liebesbegebenheiten; andere zu Künſten; andere wieder zu mancherley Lebensart vor züglich von der Natur gemacht ſeyn. Eben ſo werden bey den Dichtern, den heroiſchen, ſatiriſchen, tragiſchen, komiſchen, aller Orten Bilder der Gemüthsarten aufge ſtellt; ob wohl beynahe immer mit Uebertriebenheit und außer dem Maaß der Wahrheit. Ja auch ſelbſt dieſe Materie von den verſchiedenen Charakteren der Gemüths arten iſt eine von denjenigen, in welchen die gemeinen Reden der Menſchen, (welche ſehr ſelten, doch bis
weilen ſich zutrift) klüger als die Bücher ſelbſt ſind. Aber der allerbeſte Vorrath und die brauchbarſte Sammlung zu einer ſolchen Abhandlung muß von den klügern Geſchichtſchreibern genommen werden : jedoch nicht bloß von den Lobreden, welche auf das Abſterben
einer berühmten Perſon gehalten zu werden pflegen, ſondern
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ſondern vielmehr aus dem ganzen Umfang einer Ge ſchichte, ſo oft dergleichen Perſon gleichſam den Schau,
plaz betritt. Denn ein ſolches eingewebtes Bild ſcheint vielmehr eine Beſchreibung, als die Beurtheilung einer Grabſchrift zu ſeyn: dergleichen bey dem Livius, von dem
Afrikanus und den Cato: bey dem Tacitus, von dem
Tiberius, Claudius und Nero: bey dem Herodian, von den Septimius Severus: bey dem Philipp Co
miner, von Ludwig dem Elften, König in Frankreich: bey Franz Guicciardini, von Ferdinand in Spanien, dem Kayſer Maximilian, den Päbſten, Leo, und Cle,
mens vorkommt.
Denn dieſe Schriftſteller, welche
dieſe Perſonen zu zeichnen vorgenommen haben, haben
gleichſam beſtändig ihr Bild vor Augen, und thun ihrer Thaten beynahe niemals Meldung, da ſie nicht zugleich über dies etwas von ihrer Gemüthsart ein, ſtreuen.
Auch einige Berichte von den Conclaven der
Pábſte, die uns zu handen gekommen ſind, haben gut getroffene Charactere von den Sitten der Cardi näle enthalten: wie auch Briefe der Geſandten von den Rächen der Fürſten. Man mache alſo aus der
genannten Materie, die allerdings fruchtbar und häufig iſt, einen fleißigen und vollſtändigen Aufſaz.
Wir
wollen aber nicht, daß dieſe Charactere in die Ethik, wie bey Geſchichtſchreibern, Dichtern, und in gemei nen Reden geſchiehet, als ganze bürgerliche Bilder aufgenommen werden: ſondern vielmehr als Linien der Bilder ſelbſt, und als mehr einfache Züge, welche unter ſich zuſammen geſezt und vermiſcht jede Bilder darſtellen, wie viel und welche es auch ſeyn, und
wie ſie unter ſich verbunden und geordnet ſind; daß
gleichſam eine künſtliche und genaue Auseinanderlegung " .
.
.
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der
der Köpfe und Gemüther vor ſich gehe, und daß die Geheimniße der Anlagen in einzelnen Menſchen ver
rathen,
und aus ihrer Kenntniß die Lehren zu den
Heilungen des Gemüths deſto beßer eingerichtet wer den können.
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-
Aber die von der Natur eingedrückten Charaetere, der Köpfe und Gemüthsarten, müßen nicht allein in dieſem Aufſaz aufgenommen werden; ſondern auch jene, welche die Seele ſonſther empfängt, als aus dem Geſchlecht,
dem Alter,
dem Vaterland, dem
Geſundheits-, Umſtänden, der Geſtalt, und dergleichen: und über dies die von dem Glück, als der Fürſten, der Edlen, der Reichen, der Armen, der Oorigkei ten, der Idioten, der Glücklichen, der Bedrängten, und dergleichen. Denn wir ſehen, daß Plautus es
für ein Wunder hält, daß ein Alter wohlthätig iſt: ſeine Wohlthätigkeit iſt wie die eines Jünglings. Der
heilige Paulus aber, der die Strenge der Zucht gegen die Cretenſer gebietet, klagt die angebohrne Art dieſes Volkes aus dem Dichter an: die Crentenſer ſind immer Lügner, böſe Thiere, faule Bäuche. Salluſtius
bemerkt an den Gemüthsarten der Könige, daß es bey ihnen gewöhnlich ſey, widerſprechende Dinge zu begehren; wie die königlichen Begierden gemeiniglich heftig ſind, ſo ſind ſie auch wankelbar und öfters ſich ſelbſt widerſprechend. Tacitus beobachtet, daß die Würden und Ehrenſtellen die Gemüther der Men
ſchen weit öfters ſchlimmer als beßer machen; allein Veſpaſianus iſt dadurch beſſer geworden.
Pindar be
merkt, daß das plözliche und günſtige Glück die Ge
müther gemeiniglich entkräfte und auflöſe; es giebe Men
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Menſchen, die eine große Glückſeligkeit nicht verdauen können. Der Pſalm deutet an, daß es leichter ſey, in dem Stillſtand des Glücks, als in deßen Wachs thum ſich zu mäßigen; wenn die Reichthümer ſich aufhäuffen, ſo wollt ihr euer Herz nicht herzu nahen. Jchläugne nicht, daß einige dergleichen Beob
achtungen von dem Ariſtoteles in der Rhetoriker wehnt worden,
ſo wie auch in einigen Schriften,
welche zerſtreut vorkommen: allein der Moralphiloſo phie ſind ſie noch niemals einverleibt worden: zu wel cher ſie doch vornehmlich gehören. Und zwar nicht
weniger, als zum Ackerbau eine Abhandlung von der Verſchiedenheit des Bodens und des Erdreichs: oder zur Ar neykunſt eine Abhandlung von den verſchiede, nen Leibes - Beſchaffenheiten. Und dieß muß nun ein mal zu Stande kommen, wo wir nicht etwa die
Frechheit der Empiriker nachahmen wollen, welche für alle Kranken, ihre Leibes, Beſchaffenheit mag auch ſo verſchieden ſeyn wie ſie will, einerley Arzney ge brauchen.
Auf die Lehre von den Characteren, folgt die Lehre von den Affecten und Beunruhigungen, welche, wie wir ſchon geſagt haben, als die Krankheiten der Seele anzuſehen ſind. Dann gleich wie die alten Politiker von den Democratien zu ſagen pflegten: daß das Volk dem Meer, die Redner aber den Win den gleich ſeyn: weil das Meer an und für ſich ſtill und ruhig ſeyn würde, wo es die Winde nicht hin und her trieben und bewegten; und alſo auch das Volk ſeiner Natur nach friedlich und biegſam wäre, *
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PVKURI
& Fººd
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wenn es nicht von aufrühriſchen Rednern aufgebracht und angereizt würde: eben ſo kann man mit Wahrheit behaupten, daß die Natur des menſchlichen Geiſtes ſtill und geſezt ſeyn würde, wenn nicht die Affecten, gleichſam wie die Winde ſtürmten, und alles unter einander vermengten. Und hier wundert es uns wies der, daß Ariſtoteles, der ſo viele Bücher von der
Ethik geſchrieben hat, die Affecten nicht als ein Haupt ſtück der Ethik, in derſelbigen abgehandelt hat; da ſie doch in der Rhetorik, wo ſie nur inſofern hin gehö ren, als ſie durch die Rede erregt oder bewegt werden können, einen Plaz gefunden haben: wovon er jedoch, ſo viel als es das wenige zugelaßen hat, ſcharfſinnig und wohl geſprochen: denn deßen Streitigkeiten über Wolluſt und Schmerz thun einem ſolchen Aufſaz, als hier gemeint iſt, auf keine Weiſe Genüge: nicht mehr, als wenn man von einem, der nur über Licht und Schein geſchrieben, ſagen, wollte, er habe von der Natur der beſonderen Farben geſchrieben: indem die Wolluſt und der Schmerz ſich gegen die beſondes
ren Affecten eben ſo verhalten, wie das Licht gegen die Farben.
Hierinnen haben allerdings
inſofern
man aus dem vorliegenden ſchließen darf, die Stoiker
einen beßeren Fleiß angewandt; jedoch einen ſolchen, der vielmehr in der Spizfindigkeit der Definitionen, als in einem vollſtändigen und ausführlichen Aufſaz beſtunde.
Zwar finde ich auch einige artige Tractätgen
von einigen Affecten; als dem Zorn, der unnüzen Blödigkeit, und andern wenigen.
Wenn man aber
allerdings die Wahrheit ſagen ſoll, ſo ſind die vorzüg lichen Lehrer dieſer Wißenſchaft die Dichter und Ge
ſchichtſchreiber, in welchen nach dem Leben gezeichnet Ss
Und
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sº Fºd
und vorſtellig gemacht wird, wie die Affecten zu er regen und aufzubringen ſind? wie ſie zu lindern? wie ſie ferner anzuhalten und zu bezähmen, damit ſie nicht
in Ausbrüche gerathen ? wie ſie ſich dannoch verrathen, wenn ſie gleich niedergedrückt und verborgen ſind? welche Wirkungen ſie äußern ? welche Abwechslungen ſie leiden ? wie ſie in einander verwickelt werden? wie ſie unter ſich kämpfen und einander entgegen ſind ? und unzähliges dergleichen mehr. Unter wel chen dieſes lezte von dem meiſten Nuzen in morali
ſchen und bürgerlichen Dingen iſt;
wie nemlich der
Affeet den Affect in Ordnung halte; und wie man des einen Hilfe zur Unterjochung des andern gebrau
chen dürfe ? Nach Art der Jäger und Vogelſteller, welche wilde Thiere und Vögel, um andere wilde Tiere und Vögel zu fangen, gebrauchen: welches vielleicht ſonſten ohne Hülfe der Thiere nicht ſo leicht von dem Menſchen geleiſtet werden kann. Ja auf dieſem Grund ruht auch jener vortreffliche und weic gehende Nuzen in bürgerlichen Dingen, von der Be lohnung und Strafe; welche die Säulen der Staaten ſind; da jene herrſchende Affecten der Furcht und Hoffnung alle andere ſchädlichen Affecten bezwingen
und unterdrücken.
Und gleich wie es in der Regie
rung eines Staats nicht ſelten ſich zuträgt, daß eine
Parthey durch die andere Parthey im Zaum gehalten wird, eben ſo geſchiehet es auch in der inneren Re gierung des Geiſtes. -
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*
Wir kommen nun auf diejenigen Dinge, welche in unſerer Gewalt ſind, welche auf die Seele wirken, welche den Willen und die Begierde rühren, und umtreis -
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umtreiben, alſo auch zur Veränderung der Sitten ſehr viel beytragen. Hierinnen hätten die Philoſophen fleißige und emſige Unterſuchungen über die Kräfte und die Stärcke der Gewohnheit, der Uebung, der Fertigkeit, der Erziehung, der Nachahmung der Nacheyferung der Gemeinſchaft der Freundſchaft,
des Lobes, des Tadels, der Ermahnung, des Ruh mes, der Geſeze, der Bücher, der Studien, und was
mehr dergleichen iſt, anſtellen ſollen. Denn dieſe Dinge herrſchen unter den moraliſchen; von dieſen Wirkungsmitteln leidet das Gemüth und wird gelen ket;
von ihnen,
als gleichſam den Ingredienzien,
werden die Arzneyen verfertiget, welche zur Erhaltung und Erlangung der Gemüths Geſundheit dienen, inſo fern dies durch menſchliche Hülfe geleiſtet werden kann. Aus dieſer Anzahl nun wollen wir eines oder das andere ausheben, und uns etwas damit aufhal ten,
damit es in Abſicht der übrigen zum Beyſpiel
diene.
Wir wollen alſo von der Gewohnheit und
Fertigkeit etwas weniges erörtern. Jene Meinung des Ariſtoteles ſcheint mir aller
dings eine beſchränkte und nachläßige Betrachtung zu verrathen:
wenn er behauptet, daß auf diejenigen
Handlungen, welche natürlich ſind, die Gewohnheit nichts vermöge: da er das Beyſpiel braucht, daß wann
ein Stein tauſendmal in die Höhe geworfen werde, er nicht einmal eine Richtung von ſelbſt aufzuſteigen
erlange: ferner, daß wir durch das öftere ſehen oder hören, um nichts beßer entweder ſehen, oder hören.
Denn obwohl dieſes in einigen Dingen ſtatt findet, wo die Natur keine Friſt leidet ; (wovon wir jezt die -
Ss 2
Urſachen
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z-Fººd
Urſachen anzugeben nicht Muße haben) ſo geſchieht es doch anders in denjenigen, in welchen die Natur,
nach einer gewißen Breite, eine Anſtrengung und Nachlaßung leidet. Man kann allerdings ſehen, daß ein etwas zu enger Handſchuh durch das öftere Anzie
hen weiter wird; daß ein Stäbgen durch den Gebrauch und die Länge der Zeit die gegenſeitige Krümmung ſeiner natürlichen Biegung annimmt, und in eben den Zuſtand eine Zeitlang bleibt; daß die Stimme durch Uebung ſtärker und klingender wird; daß man durch
Gewohnheit Kälte und Hize erträgt; und dergleichen mehr. Welche zwey leztere Beyſpiele der Sache auch näher kommen, als die, welche von ihm angeführt worden ſind. Doch dieſes mag ſeyn wie es will; je mehr es wahr iſt, daß ſowohl die Tugenden als die Laſter in der Fertigkeit beſtehen; deſtomehr hatte er dahin zu ſehen, daß er Vorſchriften gab, wie derglei chen Fertigkeiten zu erlangen oder abzulegen ſind.
Indem eben ſowohl ſehr viele Regeln von der klugen Einrichtung der Gemüths - als der Leibes - Uebungen gegeben werden können. Wir wollen einige wenige derſelben anführen. Die erſte wird ſeyn, daß wir uns im Anfang vor mehr ſchweren, oder mehr leichten Aufträgen, als die Sache erfordert, hüten: dann wenn allzu viel Laſt aufgelegt wird, ſo wird man bey einem mittel
mäßigen Geiſt die Munterkeit der guten Hoffnung ſtumpf machen, bey einem Geiſt voll Zutrauens auf ſeine Kräfte wird man eine Meinung erregen, nach welcher er ſich mehr verſpricht, als er leiſten kann;
welches die Trägheit nach ſich zieht. In beyder Gei ſtes
z-Fººd ſtes Beſchaffenheit
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aber wird es geſchehen, daß der
Verſuch der Erwartung nicht Genüge leiſtet;
als
welches das Gemüth immer niederſchlägt und beun ruhigt. Wann die Aufträge allzuleicht geweſen ſind, ſo wird dadurch ein großer Verluſt in der Fortſchreis tungs- Summe eingeführt. Die zweyte wird ſeyn , daß man zur Uebung damit man eine Fertigkeit erlange, vornehmlich zwey Zeiten beobachte: die eine, wann unſer Gemüth am beſten zur Sache aufgelegt iſt;
einer Fähigkeit,
die andere, worinn es am wenigſten iſt: damit wir
Kraft der erſtern ſehr weit auf dem Wege fortkom men; und in der leztern die Knoten und Hinderniße durch eine ſtarke Anſtrengung der Seele abränken:
woraus die mittlere Zeiten leicht und ruhig dahin fließen werden.
- >
Die dritte Regel wird dieſe ſeyn, deren Ariſto teles obenhin gedenket; daß wir nemlich mit allen Kräften nach dem Gegentheil desjenigen, (das Laſter
ausgenommen) ſtreben, zu welchem wir von der Natur am uneiten angetrieben werden; wie wann wir einen
Strudel entgegen rudern, oder einen krummen Stab, damit er gerad werde nach der Gegenſeite biegen.
Die vierdte Regel hangt von jenem Grundſaz ab, der ſehr wahrhaft iſt: daß das Gemüth zu jedem Ding glücklicher und angenehmer hingerißen werde, wenn dasjenige, wornach wir ſtreben, in der Abſicht des wirkenden nicht eas hauptſächliche iſt, ſondern
gleichſam nur neben her übernommen wird; weil es Ss 3
die
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die Natur ſo mit ſich bringt, daß ſie die Nothwen digkeit und den harten Zwang ſehr haßt. Es giebt noch viele andere Dinge, welche über die Regierung der Gewohnheit dann wenn die richtet wird, ſo mein heißt, die
mit Nuzen gelehret werden können: Gewohnheit klug und geſchickt einge wird ſie in der That, wie ſie insge andere Natur: Wann ſie ungeſchickt
und nur nach dem Zufall geleitet wird, ſo wird ſie nur ein Affe der Nucur ſeyn, und ſie nicht nach dem Leben, ſondern blos unwißend und verunſtalter nach ahmen. Eben ſo iſt es,
wann wir von den Büchern
und Studien, und deren Kraft und Einfluß auf die Sitten reden wollten; fehlen wohl ſehr viele Lehren, und heilſame, ſich darauf beziehende Rathſchläge? hat wohl nicht einer von den Kirchen, Vätern mit großem Unwillen die Poeſie, den Wein der Teufel
genannt, da ſie in der That ſehr viele Verſuchungen, Begierden, und eitle Meinungen erzeugt? iſt es wohl
nicht ein kluger und vieler Ueberlegung würdiger Aus ſpruch des Ariſtoteles, daß die Jünglinge keine tüchtige
Zuhörer der Moralphiloſophie ſeyn: weil die Aufwal, lung in ihnen noch nicht geſtillt, noch durch die Zeit und durch die Erfahrung gedämpft iſt? und um die Wahrheit zu ſagen, geſchieht es nicht diesfalls, daß die vortrefflichſten Schriften und Reden der alten Schriftſteller (durch welche die Menſchen auf das kräftigſte zur Tugend angereizt worden ſind: indem
ſie ſowohl deren herrliche Majeſtät aller Augen darſtel
len, als auch die pöbelhaften Vorurtheile, die ſich zur Schmach der Tugend
gleichſam in Schmarozer -
Tracht gewors
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geworfen, dem Spott ausſezen) ſo wenig zur Er barkeit des Lebens, und zur Verbeſſerung der ſchlim men Sitten nuzen, weil ſie nicht von Männern die an Alter und Verſtand reif ſind, geleſen und wieder geleſen, ſondern nur Knaben und Anfängern überlaßen
werden? Iſt nicht auch dieſes wahr, daß die Jüng linge weit weniger tüchtige Zuhörer der Politik als der Ethik abgeben, ehe ſie nicht die Religion und die
Lehre der Sitten und Pflichten gänzlich gefaßt haben: damit ſie nicht etwa an der Urtheilskraft verwahrloßt
und verdorben auf die Meinung kommen, es gebe keine wahren und gründlichen moraliſchen Unterſchiede
der Dinge,
ſondern es ſeye alles nach dem Nuzen,
oder dem Erfolg abzumeßen ? wie der Dichter ſagt: das glückliche und wohlgerathene Laſter wird Tugend
genenn.
Und wieder: jener trägt den Galgen zum
Lohn des Laſters davon, und dieſer eine Crone. Die Dichter ſcheinen zwar dies mit Satire und aus Un willen zu ſprechen. Aber einige politiſche Schriften
ſezen eben dieſes mit Ernſt und Gewisheit voraus. Denn Macchiavel ſpricht: wenn es ſich geroffen hätte, daß Cäſar durch den Krieg überwunden worden,
ſo
wäre er gehäßiger als ſelbſt Catilina geweſen:
als
wann außer dem bloßen Glück kein Unterſchied
zwi
ſchen einer gewißen aus Wolluſt und Blutgierigkeit zuſammengeſezten Furie, und einem erhabenen und unter natürlichen Menſchen den Ehrgeiz ausgenommen
äußerſt ſchäzbaren Gemüthe geweſen wäre. Wir ſehen auch hieraus ſelbſt, wie nothwendig es ſey, daß die Menſchen fromme und ſittliche Lehren vollkommen er lernen, ehe ſie einen Vorſchmack von der Politik er-
halten: und wie diejenigen, welche in den Höfen der Ss 4
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Fürten
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Fürſten und den Staatsgeſchäften gleichſam von Ju gend an erzogen worden ſind, faſt niemals eine auf
richtige und innerliche Rechtſchaffenheit der Sitten erlangen: wie viel weniger wann auch noch die Unter
weiſung ſolcher Bücher hinzu gekommen iſt? iſt nicht ferner ſelbſt in moraliſchen Lehren, oder wenigſtens in einigen derſelben, ebenfalls Vorſicht zu gebrauchen, damit die Menſchen nicht dadurch halsſtarrig, an maßend, und unverträglich werden, nach jenem Aus ſpruch des Cicero von dem M. Cato : man muß
wißen, daß das göttliche und vortreffliche Gute, was man an ihm wahrnimmt, ihm eigen iſt: was wir bis weilen ausſezen,
das iſt glles nicht von der Natur,
ſondern von den Lehrmeiſtern. Es giebt noch mehrere andere Grundſäze, welche dasjenige betreffen, was durch die Studien und die Bücher den Gemüthern der Menſchen eingepflanzt wird. Denn es iſt wahr, was jener ſagt:
die Studien gehen in die Sitten
über! ein gleiches iſt von jenen übrigen Dingen, die wir vorher angeführt haben, der Gemeinſchaft, dem Ruhm, den vaterländiſchen Geſezen, und dergleichen zu behaupten. Uebrigens giebt es eine gewiße Ausbildung der
Seele, welche noch genauer und bearbeiteter als die übrigen zu ſeyn ſcheint. Sie ruht aber auf dieſem Grunde: daß die Gemüther aller Sterblichen, zu ge wißen Zeiten, in einem vollkommneren, zu andern,
in einem ſchlimmeren Zuſtand gefunden werden. Die Abſicht und Einrichtung dieſer Ausbildung mag alſo dieſe geweſen ſeyn, daß jene guten Zeiten unterhalten;
die ſchlimmen aber gleichſam aus dem Calender aus geſtrichen
."
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geſtrichen und verlöſcht werden. Die Veſhaltung der guten Zeiten nun wird auf zwey Arten verſchaft: durch Gelübde oder wenigſtens durch ſehr beſtändige Entſchlüße der Seele, und durch Gebräuche und Uebungen; welche nicht ſo viel an ſich vermögen, als
darzu, daß ſie das Gemüth beſtändig in Pflicht und Gehorſam erhalten. Die Vertilgung der ſchlimmen Zeiten kann ebenfalls auf zweyfache Art geſchehen: durch einige Auskaufung, oder Verſöhnung der ver gangenen und durch eine neue Lebens, Einrichtung, gleichſam als von vornen. Allein dieſer Theil ſcheint ganz zur Religion zu gehören; es iſt auch kein Wun der; da die ächte und wahre Moralphiloſophie, wie zuvor geſagt worden iſt, nur die Stelle der Magd gegen die Theologie vertritt.
Diesfalls wollen wir dieſen Theil von der Aus bildung der Seele mit demjenigen Hülfsmittel ſchlieſ ſen, welches unter allen das kürzeſte und hauptſäch lichſte, und wiederum das edelſte und wirkſamſte iſt,
wodurch das Gemüth zur Tugend gebildet, und in einem Zuſtand verſezet wird, welcher der Vollkommen
heit am nächſten iſt.
Es iſt aber dieſes, daß wir
uns Endzwecke des Lebens und der Handlungen er kieſen, die rechtſchaffen und mit der Tugend überein
ſtimmend, doch alſo ſind, daß wir einigermaßen ſie zU erlangen die Fähigkeit haben. Denn wann beydes zum Grund geleget wird: daß ſowohl die Endzwecke der Handlungen ehrbar und gut ſind, als auch der
Entſchluß der Seele wegen Erlangung und Erhaltung derſelben beſtändig und veſt iſt,
ſo folgt, daß ſich
das Gemüth beſtändig mit einer Arbeit nach allen Ss 5
Tugen
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Tugenden wendet und bildet. Und dieß iſt allerdings jene Behandlung, welche das Werk der Natur ſelbſt darſteller, da die übrigen, von welchen wir geredet haben, nur wie die Arbeiten der Hände zu ſeyn ſchei nen. Denn gleichwie der Bildhauer, wenn er ein Bild behauet oder meißelt, bloß die Figur desjenigen Theiles ausbildet, in Abſicht defen die Hand beſchäf
tiget iſt, nicht aber der übrigen: (wann er nemlich das Geſicht ausbildet, ſo bleibt der übrige Cörper ein roher und ungeſtalteter Stein, bis er auch daran ge
kommen iſt: ) ſo bringt im Gegentheil die Natur, wenn ſie eine Blume , oder ein Thier bildet, die Anfänge aller Theile zugleich hervor: und eben ſo ver
hält es ſich auch, wenn die Tugenden durch Fertigkeit erlangt werden, dann wenn wir zum Beypiel uns der Mäßigkeit befleißigen, ſo kommen wir der Täpferkeit
oder den übrigen nicht viel näher; wann wir uns aber rechtſchaffenen und ehrbaren Endzwecken ganz ergeben und aufgeopfert haben, ſo werden wir uns, was es
auch für eine Tugend ſey, die jene Endzwecke unſe
rem Gemüth empfohlen, und aufgelegt haben mit einer Geſchicklichkeit und Vorliebe, ſie zu erlangen und auszudrücken, begabt finden. Und dies kann der
Zuſtand jenes Gemüthes ſeyn, welcher von dem Ari ſtoteles vortrefflich beſchrieben, und von demſelben nicht
mit dem Character der Tugend, ſondern einer gewißen Göttlichkeit bezeichnet wird. Seine Worte ſind dieſe: der Grauſamkeit aber iſt es gemäß, diejenige Tugend
entgegen zu ſezen, welche über die Menſchlichkeit iſt, nemlich die heroiſche oder göttliche. Und kurz hernach; dann wie das Wild weder Laſter noch Tugend hat,
alſo auch die Gottheit nicht. Aber dieſer Zuſtand iſt -
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Was
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was höheres als die Tugend, jener was anderes als das Laſter. Auch Plinius hat nach der Freyheit einer heydniſchen Großſprecherey die Tugend des Trajans nicht als eine Nachahmung der göttlichen, ſondern als ein Muſter dargelegt, wenn er ſagt: die Mens ſchen haben nicht nöthig, andere Gebete zu den Göt tern zu thun, als daß ſie ſich den Menſchen als gnäs
dige und gütige Herren erzeigten; Trajan aber hätte dies geleiſtet.
Allein dieſe Ausdrücke verrathen eine
unheilige Prahlerey der Heyden, welche gewiße Schat ten die größer als der Eörper ergriffen. Aber die wahre Religion und der heilige chriſtliche Glaube be
gehrt die Sache ſelbſt: indem er den Gemüthern der Menſchen die Liebe einprägt; welche ſehr ſchön das Band der Vollkommenheit genennet wird, weil ſie alle Tugenden zuſammen ſammlet und bindet.
Menander hat allerdings von der ſinnlichen Liebe, ſehr artig
welche jene göttliche verkehrt nachahmt,
geſagt: die Liebe ſey eine befere Lehrmeiſterin fürs menſchliche Leben als ein alberner Sophiſt.
Womic
er andeutet, daß der Anſtand der Sitten beßer von
der Liebe gebildet werde, als von einem Sophiſten und abgeſchmackten Lehrmeiſter, welchen er albern nennt. Indem er mit allen ſeinen mühſamen Regeln und Lehren den Menſchen doch nicht ſo artig und fertig bilden kann, daß er ſich ſowohl ſelbſt im Werth halte, als auch in allem artig betrage, als es die Liebe thut. Alſo iſt es gewiß, daß wenn ein Gemüth von dem Feuer der ächten Liebe entzündet wird, es zu einer größern Vollkommenheit gelangt, als durch
die ganze Sittenlehre; welche fürwahr das Verhältniß /
W
des
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des Sopkſten hat, wann ſie mit jener andern vergli chen wird. Ja, Xenophon hat mit Recht beobachtet, daß die übrigen Affecten, ob ſie gleich das Gemüth erheben, ſelbiges dennoch durch ihre Begeiſterungen und Ausſchweiffungen verdrehen und mißſtimmen: die Liebe allein aber ſolches zugleich erweitere und har moniſch mache : eben ſo ſind alle andere menſchliche Gaben, die wir bewundern, bey ihrer Erhöhung der Natur,
dennoch den lebermaaß unterworfen:
die
Liebe allein aber läßt keine Uebermaaße zu. Indem die Engel nach einer der göttlichen gleichen Macht trachteten, haben ſie geſündiget, und ſind gefallen: ich will aufſteigen und werde dem Höchſten gleich ſeyn. Indem der Menſch nach einer der göttlichen gleichen Wßenſchaft trachtete, hat er geſündiget,
und iſt gefallen: ihr werdet wie Gott ſeyn und Gutes und Böſes wißen. Aber durch das Trachten nach der Gleichheit der göttlichen Güte oder Liebe, iſt weder Engel noch Menſch jemals in Gefahr gekommen, oder wird
kommen.
Ja wir werden ſogar zu dieſer
Nachahmung ſelbſt aufgemuntert: liebet eure Feinde,
thut wohl denen die euch haßen, und betet für die, die euch verfolgen und läſtern, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel ſeyd, der ſeine Sonne über Gute und Böſe aufgehn, und über Gerechte und Ungerechte regnen läßt. Ja die heydniſche Religion ſpricht nach der Natur von dem Höchſten: Sr iſt der Bete und Größeſte: die heilige Schrift aber ſagt:
Seine Barmherzigkeit geht über alle ſeine Werke. Wir haben alſo nun dieſen Theil der moraliſchen
Lehre von den Vorſchriften für die Seele vollendet. -
Wann
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Wann hiebey nach demjenigen, was wir durchgegan gen haben, jemand glauben möchte, daß unſere Ar beit nur darinnen liege, daß wir das in eine Kunſt
oder Lehrwißenſchaft brächten, was von andern Schrift
ſtellern übergangen worden, und gleichſam gemein und alltäglich,
auch an ſich deutlich und klar genug ſey;
der mag ſein Urrheilfrey gebrauchen.
Indeßen mag
er eingedenk ſeyn, was von Anfang bekannt iſt, daß
unſer Vorſaz nicht dahin geht, die Schönheit der Dinge zu haſchen, ſondern den Nuzen und die Wahr heit zu unterſuchen. Er mag ſich auch ein wenig an jenes Gedicht der alten Parabel, von den zweyfachen
Thoren des Schlafes erinnern: es giebt zweyfache Thore des Schlafes, wovon das eine von Horn ſeyn ſoll, wodurch die wahren Schatten einen leichten Ausgang haben; das andere ſoll vom glänzenden Elfenbein ſeyn, aber nur die falſchen Träume ſchicken
die Götter dadurch zum Himmel.
Es iſt allerdings
eine große Pracht um ein elfenbeinenes Thor: jedoch gehen die wahren Träume durch das von Horn. Statt eines Zuſazes kann in Abſicht auf die
Sittenlehre. jene Beobachtung aufgeſtellt werden, daß nenlich eine gewiße Beziehung und Uebereinſtimmung
zwiſchen dem Wohl der Seele, und dem Wohl des Cörpers ſtatt finde. Dann wie wir geſagt haben, daß das Wohl des Cörpers in der Geſundheit, der Schönheit, der Stärke, und dem Vergnügen beſtehe; alſo werden wir auch einſehen, daß das Wohl der Seele, wenn wir es nach den Säzen der moraliſchen Lehrwißenſchaft betrachten, dahin ziele, daß das Ge
müth geſund und von Aufwallungen befreyt ſey; daß eß
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es ſchön, und mit dem Schmuck einer wahren Zierde verſehen; ſtark, und behende um alle Pflichten des Lebens zu unternehmen; endlich nicht gefühlloß, ſon dern des Vergnügens und einer ehrbaren Ergözung lebhaft fähig ſey. Dieſes aber, iſt wie in dem Cör per, alſo auch in der Seele ſelten beyſammen zu fin,
den.
Denn es iſt leicht zu ſehen, daß viele, die an
Geiſt und Seele ſtark ſind, dennoch von Aufwallun
gen und Beunruhigungen geplagt werden, und daß auch ihre Sitten eben nicht viel artiges oder zierliches an ſich haben: andere wiederum, die ſehr artige und höfliche Sitten haben, bey denen aber jedennoch ent, weder die Rechtſchaffenheit, oder die Kräfte, um recht zu thun fehlen: andere, die mit einem ehrbaren und
von der Befleckung der Laſter gereinigtem Gemüth be gabt ſind, jedennoch aber weder ſich ſelbſt zur Zierde,
noch dem Staat zum Nuzen gereichen: endlich andere, welche vielleicht dieſer dreyen mächtig ſind, aber jeden, noch eine gewiße ſtoiſche Traurigkeit und Gefühlloßig keit beſizen,
die Handlungen der Tugend zwar aus
üben, aber ihre Freuden nicht genießen.
Wenn es ſich
zuträgt, daß von jenen vieren, zwey oder drey bisweilen
zuſammenkommen, ſo geſchieht es jedoch ſehr ſelten, daß ſie alle zuſammen treffen, wie wir bereits geſagt haben.
Nun aber iſt dieſes Hauptſtück der menſchlichen Philoſophie, welche den Menſchen betrachtet, inſofern er aus Leib und Seele beſtehet, aber jedoch abgeſondert,
und außer der Geſellſchaft iſt, von uns behandelt w0rden.
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Achtes
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ess
A cht es Buch. An
den
König.
Iſtes Capitel. Eintheilung der bürgerlichen Klugheit in die Lehre von dem Umgang; die Lehre von den
Geſchäften; und die Lehre von der Regie
rung, oder dem Staat.
G mehrere iſt eine alte Erzählung, beſter König, daß Philoſophen vor dem Geſandten eines auswärtigen Königes feyerlich zuſammen gekommen
ſeyen, und jeder nach Kräften mit ſeiner Weisheit geprahlt habe; damit der Geſandte von der wunder baren Weisheit der Griechen was zu erzählen hätte. Doch einer von ihrer Anzahl ſchwieg, und brachte nichts zum Vortrag: ſo daß der Geſandte ſich zu ihm wandte, und ſagte: was aber er hätte, das er berich ten könnte? deme derſelbe geantwortet; ſagen Sie Ihrem König, daß Sie bey den Griechen einen Mann gefunden hätten, der zu ſchweigen wüßte. Ich habe zwar in dieſem Abriß der Künſte die Kunſt zu ſchwei
gen einzuſchalten vergeßen: welche ich jedoch, weil ſie
gemeiniglich vermißt wird, jezt mit eigenem -
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lehren
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lehren will.
Denn da mich endlich die Ordnung der
Dinge darauf gebracht hat, daß ich hernach von der
Regierungs- Kunſt handle und da ich an einen ſo großen König ſchreibe, der ein ſo vollkommener Lehrer in dieſer Kunſt iſt, und ſie von Jugend auf eingeſogen hat; und ich auch allerdings nicht vergeßen kann, was ich bey Ewr. Majeſtät für einen Plaz beſize; ſo
habe ich allerdings für gemäßer gehalten, mich ſelbſt durch Schweigen von dieſer Sache, als durch Schrei, ben bey Ewr. Majeſtät zu erweiſen. Cicero aber ge denket nicht allein der Kunſt, ſondern auch einer ge wißen Beredſamkeit, welche im Schweigen gefunden werde. Denn da er einiger ſeiner Reden, worinn er über dies oder jenes mit andern geſprochen, in einem
gewißen Brief an den Atticus erwehnt hatte, ſchreibt er alſo: an dieſer Stelle habe ich etwas von deiner Beredſamkeit angenommen, dann ich habe geſchwiegen.
Pindar aber, dem das eigen iſt, daß er die Gemüther der Menſchen unerwartet mit einem nervigten Sinn
ſpruch, wie mit einer Zauberruthe, erſchüttert, ſagt: das nicht geſagte rührt bisweilen mehr als das geſagte. Hierinnen habe ich alſo, zu ſchweigen, oder was dem Schweigen am nächſten iſt, ſehr kurz zu ſeyn be ſchloßen. Ehe ich aber auf die Künſte der Regierung komme, ſo muß ich noch manches von andern Theilen der bürgerlichen Klugheit vorausſezen.
Die Wißenſchaft der bürgerlichen Klugheit be ſchäftiget ſich mit einem Gegenſtand, der unter allen übrigen am meiſten in die Materie verwickelt iſt: ſie läßt ſich alſo ſehr ſchwer auf Grundſäze bringen. Doch
giebt es einige Dinge, welche dieſe Schwierigkeit heben.
e-Fººd
es?
heben. Denn erſtlich, wie Cato von ſeinen Römern zu ſagen gewohnt geweſen; gleich,
ſie ſeyen den Schaafen
von welchen man eine ganze Heerde mit ge
ringerer Mühe treibe, als ein einziges: denn wenn man wenige von der Heerde dahin treiben könne, daß
ſie den rechten Weg gehen, ſo werden die übrigen von ſelbſt nachfolgen: eben ſo iſt in dieſer Huſicht das Amt der Ethik gewißermaßen ſchwerer als das der
Politik. Zweytens ſezt ſich die Etik vor, tus Ge müth mit innerlicher Güte zu verſehen und zu berei chern - aber die bürgerliche Klugheit fordert nichts weiter, als die äußerliche Güte: denn dieſe iſt zur
Geſellſchaft hinreichend.
Alſo geſchiehet nicht ſelten,
daß die Regierung gut iſt, die Zeiten ſchlimn: Indeink
in der heiligen Geſchichte es nicht einmal vorkommt, wann von guten und frommen Königen die Rede iſt aber das Volk hatte ſein Herz noch nicht zu den Herrn dem Gott ſeiner Väter gewendet. Alſo hat
es auch in dieſer Hinſicht die Ethik weit ſchwerer Drittens
haben die Staaten dies an ſich, daß ſie
als größere Maſchinen langſamer bewegt werden und auch nicht ohne große Anſtrengung, daher ſie niché
ſo geſchwind geſchwächt werden: denn wie in Egypter die ſieben fruchtbaren Jahre, die ſieben unfruchtbarei
unterhalten haben: eben ſo verurſachet in de Staatet
die gute Einrichtung der erſteren Zeiten, daß die Feh ler der folgenden nicht gleich Verderben bringen: abek die Entſchlüße und Sitten einzeler Menſchen pflegef plözlicher umgekehrt zu werden. Dieſes endlich bk ſchweret die Echik, unterſtüzt die Politik
658
&-Fsd
d
Die bürgerliche Klugheit hat drey Theile, nach den drey hauptſächlichſten Handlungen der Geſellſchaft:
die Lehre von dem Umgang; die Lehre von den Ge ſchäften; und die Lehre von der Regierung oder dem Staate. Denn es ſind drey Güter, welche die Mens ſchen durch die bürgerliche Geſellſchaft ſich zu ver
ſchaffen ſuchen: einen Troſt wider die Einſamkeit, eine Unterſtüzung in den Geſchäften, und einen Schuz wider das Unrecht. Und dieſe drey Gattungen Klug heit ſind ganz unter ſich verſchieden, und öfters ge
trennet: die Klugheit im Umgang, die Klugheit in Geſchäften, und die Klugheit im Verwalten. Was aber den Umgang anbetrift ,
ſo
muß
er
allerdings nicht gezwungen ſeyn vielweniger aber nachläßig: da die Klugheit in dem Betragen ſowohl eine gewiße Würde der Sitten an ſich hat, als auch
zur bequemen Verwaltung ſowohl der öffentlichen, als der privat Geſchäfte ſehr viel beyträgt. Denn wie bey einem Redner der äußere Anſtand, ob er wohl nichts weſentliches iſt ſo hoch gehalten wird, daß er auch jenen andern Theilen, welche wichtiger und weſentlicher ſcheinen, vorgeſezt wird; auf eben die
Weiſe findet an einem Manne im bürgerlichen Leben der Umgang und deßen kluge Einrichtung, ob es wohl nur das äußere betrift, wo nicht den oberſten, doch gewiß einen vorzüglichen Plaz. Denn was vor ein Gewicht hat ſelbſt das Geſicht, und deßen Fal-tung? mit recht ſagt der Dichter : verderbe die Worte durch dein Geſicht nicht. Denn man wird die Kraft der Rede durch das Geſicht ſchwächen und gänzlich
verrathen können. Ja auch die Thaten können nicht minden
/
&SFR)
659
minder als die Worte durch das Geſicht gleichfalls zerſtöret werden, wenn wir dem Cicero glauben. Als
dieſer ſeinem Bruder die Zugänglichkeit für ſeine Un
tergebene empfahl, ſo ſagte er, ſie beſtehe nicht haupt ſächlich darinn, daß er ihnen einen leichten Zugang erlaube , ſondern er müße ſie auch mit freundlichem
Geſicht empfangen. Was hilft es eine offene Thür zu haben und ein verſchloßenes Geſicht. Wir ſehen auch . . daß Atticus bey dem erſten Zuſammentreffen des Eicero mit dem Cäſar , da der Krieg noch in völliger Hize war, den Cicero fleißig und ernſthaft
durch Briefe ermahnt habe, daß er Geſicht und Ge, berden nach Würde und Ernſt zeigen ſolle.
Wann
allein die Richtung des Mundes und des Geſichtes ſo
viel vermag, wie vielmehr die Rede, und das übrige, was zum Umgang gehört ? und allerdings liegt die
Hauptſache und der Innbegrif des anſtändigen und artgen der Sitten beynahe darinn, daß wir gleichſam mit richtiger Waage ſowohl unſere eigene Würde als
die Würde anderer abmeßen und behaupten,
welches
auch T. Rivius, obwohl in Rückſicht auf eine andere Sache durch folgenden Character nicht übel ausge
druckt hat: Ich will nicht weder anmaßend, noch j, terwürfig ſcheinen: worunter das eine der fremden Freyheit, das andere ſeiner eigenen vergeßen heißt. Im Gegentheil aber, wann wir auf die Höflichkeit
und äußerliche Artigkeit der Sitten allzu übertrieben ſehen, ſo geht dies in eine gewiße häßliche und falſche Ziererey über. Denn was iſt häßlicher als ſich im Umgang Theatermäßig zu zeigen? Ja wenn man auch
gar nicht in jene fehlerhafte Uebertriebenheit
verfällt;
ſo wird doch allzuviele Zeit mit dergleichen Tändeleyen D. t 2
-
vek,
FIFsd
“ . ?
»rbraucht, und der Geiſt durch deren Beſorgung all ſehr niedergedrückt.
Denn gleichwie auf Academien
.. Studirenden, welche allzuviel in Geſellſchaften liegen,
en den Lehrern ermahnt zu werden pflegen, daß die reunde die Zeit ſtehlen: eben ſo ſtiehlt auch aller t.gs dieſe beſtändige Anſtrengung des Gemüthes auf
da: Anſtand des Umgangs ſehr viele wichtigere Be ctratungen. Hernach haben diejenigen, welche den Bozug in der Höflichkeit erhalten um zu dieſer ein zigen Sache gleichſam gebohren zu ſeyn ſcheinen, bey
nahe dieſes an ſich, daß ſie ſich ſelbſt allein darinn gefalkn, und nach den mehr gründlichen und erha benen Tugenden kaum jemals trachten: *) wann im
Gegenheil diejenigen, welche ſich hierinn eines Man gels bewußt ſind, den Wohlſtand in dem guten Nah menſchen: denn wo der gute Nahme iſt, da ge ziemt ſch faſt alles, wo aber dieſer fehlt, alsdann muß mm erſt von der Geſchmeidigkeit und Feinheit der Sittn Hülfe ſuchen.
Ferner wird man kaum ein
ſchwerere oder gewöhnlicheres Hinderniß zur Führung der Geftiäfte finden,
als die allzugeſuchte Beobach
tung dieſes äußerlichen Wohlſtandes; und jenes zweyte, welches *) Anmerk. des Ueherſ . Wer außer dieſer Schilderung
von den Nachtheil einer übertriebenen Höflichkeit auch ein Lab ier Grobheit leſen will, der darf nur in dem allge: mein beiiebten Original Roman der Deutſchen : So phie Reiſe von Memel nach Sachſen, die Stelle auf ſchlagt, wo Herr Hermes den National - Charakter eines ſeinen Sitten lange treu gebliebenen
aus rºoer ſezt.
deutſchen Volkes
Auch Herr von Moſer hat in ſeinen
Behe ingen den Werth der Grobheit mit politiſcher
Wºge und menſchenfreundlicher Scharfſicht, erfahrungs Müß, wº vögen.
&S Fººd
&
welches eben dieſem dient nemlich die ängſtliche Er, wählung der Zeit und bequemen Gelegenheiten. Denn vortrefflich ſagt Salomon: wer auf die Winde ſie et,
ſäet nicht: wer auf die Wolken ſiehet, erndter nicht,
Indem man ſich die bequeme Gelegenheit öfterer ſelbſt verſchaffen, als erſt auf ſie warten muß. Mit einem Wort, jene Artigkeit der Sitten iſt wie ein
Kleid der Seele, und muß demnach die Bequemlich keiten eines Kleides darſtellen. Denn erſtlich muß es alſo ſeyn, daß es nach der Mode iſt: Ferner, daß
es nicht allzu wollüſtig oder prächtig iſt: hernach muß es ſo gemacht ſeyn, daß es jegliche Tugend der Seele
ſehr anſchaulich mache; daß es jeden Fehler erſeze und verberge: zulezt und vor allem muß es nicht zu eng
ſeyn, und das Gemüth ſo preßen, daß es deßen Be wegungen in Führung der Geſchäfte zurück hält und hindert. Allein dieſer Theil der bürgerlichen Klugheit von dem Umgang
iſt allerdings von einigen ſchön
abgehandelt worden, und kann auf keine Weiße als
vermißt betrachtet werden. -
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5)
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EASNSV-TNSATA
2tes Capitel. Eintheilung der Lehre von den Geſchäften, in die Lehre von den zerſtreuten Gelegen
heiten, und in die Lehre von dem Bewer ben im menſchlichen Leben. Beyſpiel der Lehre von zerſtreuten Gelegenheiten, aus
einigen Parabeln des Salomo. Vorſchrif
#
über das Bewerben im menſchlichen
LHL.
Wº
wollen die Lehre von Geſchäften in die Lehre
von den verſtreuten Gelegenheiten, und in die
Lehre von dem Bewerben im menſchlichen Leben eins theilen: unter welchen die eine die ganze Mannigfal tigkeit der Geſchäfte begreift, und gleichſam dem gemeinen Leben wie ein Schreiber zur Hand geht; die andere nur dasjenige, was zur Erweiterung des
eigenen Glückes eines jeden gehört, auszieht und dar legt, daß es ſodann Einzelnen als gewiße geheime Tabellen oder Codicillen ihrer Umſtände dienen kann.
Doch ehe wir uns zu den Arten herunter laßen, ſo wollen wir über die Lehre von Geſchäften noch einiges
überhaupt vorbringen. Die Lehre von Geſchäften hat nach der Wichtigkeit der Sache noch niemand abge
handelt, und zwar zum großen Verluſt der Achtung
ſowohl der Wißenſchaften als der Gelehrten. Dann von dieſer Wurzel keimet jenes Uebel , welches den Nahmen der Gelehrten beflecket hat, daß nemlich die
Gelehrſamkeit und die bürgerliche Klugheit ſehr ſelten -
-
-
PEPs
&SFRd
663
vereiniget werden. Denn wenn man genau acht hat, ſo wird man ſehen, daß von jenen drey Klugheits
Gattungen, von welchen wir geſagt haben, daß ſie zum bürgerlichen Leben gehören, die des Umgangs von den Gelehrten beynahe verachtet, und als etwas ſclaviſches, auch über dies den Betrachtungen ſchädli
ches angeſehen wird.
Was aber jenen Theil von Ver
waltung des Staats anbetrift,
ſo tragen allerdings
die Gelehrten, wenn ſie zu ſolchen Verwaltungen ge langen, ihr Amt mit Beſchwerde; allein wenigen gelingt es, daß ſie zum Ruder des Staats kommen.
Von der Klugheit in Geſchäften aber, worauf es ſo viel im menſchlichen Leben ankommt,
hat man
allerdings keine Bücher: außer einige wenige politiſche Warnungen, die in einem oder anderem Heft ge ſammlet worden, die aber dem Umfang dieſes Gegen ſtandes auf keine Weiſe entſprechen. Denn wenn einige
Bücher über dieſe Unterhandlungskunſt, wie von den übrigen, vorhanden wären, ſo zweifle ich keinesweges, daß nicht die Gelehrten, welche mit der in dieſen Büchern vorgetragenen Kenntniß nur einige Erfahrung beſäßen, die lange Uebung der ungelehrten Staats
Leute weit übermöchten, und mit dieſer Leute eigenem Bogen aus einer größern Entfernung träfen. Auch dürfen wir nicht befürchten, daß die Ma terie dieſer Wißenſchaft ſo mannigfaltig ſey, daß ſie
ſich nicht unter Vorſchriften bequeme: indem ſie weit enger iſt, als jene Wißenſchaft von der Verwaltung des Staats;
die wir jedoch ſehr ausgebildet wißen.
Von dieſer Gattung Klugheit ſcheint es bey den Romern Dt 4
zu
664
F-Fººd
u ihren beſten Zeiten einige Lehrer gegeben zu haben.
Ä Cicero bezeuget,
daß es nicht lange vor ſeinem
Zeitalter Sitte geweſen,
daß die an Klugheit und
Erfahrung vorzüglich bekannte Senatoren (ein Corun ganius, Curius, Kälius,
und andere) zu gewißen
Stunden auf den öffentlichen Pläzen ſpazierten,
wo
ſie den Bürgern erlaubten ſie um Rath zu fragen, und zwar nicht in Rechtsſachen, ſondern in Geſchäften
– allerley Art; als von Ausſtattung einer Tochter, von Erziehung eines Sohnes von Erkaufung eines Gutes von einem Contract, einer Anklage, einer Vertheidi
gung oder ſonſt einer Sache, welche im gemeinen Leben vorkommt, Woraus erhellet, daß es eine gewiße Klugheit giebt auch in Privatgeſchäften Rach zu er
heilen, welche aus einer allgemeinen Kenntnis bürger
f
licher Dinge, und aus der Erfahrung fließt, die zwar in beſonderen Fällen geübt, aber doch aus der allge meinen Beobachtung gleicher Fälle gezogen wird. Denn alſo ſehen wir, daß Bruder in derjenigen Schrift, welche Q, Cicero an ſeiyen über das Bewerben um
die Conſulariſche Würde geſchrieben hat, (und die ſo viel ich weiß, die einzige Abhandlung iſt, die wir von
den Alten über einiges beſonderes Geſchäft, oder Un erhandlung haben;) wenn ſie gleich nur meiſtens den Rach über die damalige Sache betrift, doch ſehr viele
politiſche Grundſäze enthalten ſind, welche nicht nur den zeitigen Gebrauch, ſondern eine gewiße beſtändige -
Richtſchnur in Abſicht der Volks- Wahlen vorſchreiben, In dieſer Gattung aber wird nichts gefunden, das guf einige Weiſe mit jenen Sprüchen zu vergleichen
ſey, welche der König Salomo verfaßet hat: von
welchem die Schrift ſagt: er habe Weisheit gehabt, -
-
wie
&SF Id
665
wie Sand am Meer: denn wie der Sand des Meeres
alle Welt Gegenden umgiel: , alſo hat auch deßen Weisheit alles menſchliche, nicht minder als das gött
liche, begriffen.
In jenen Sprüchen aber, wird man
außer anderen mehr theologiſchen, offenbar nicht wenige ganz vortrefliche Weltkluge Lehren und Warnungen finden, die aus den innerſten Tiefen der Weisheit quellen, und in ein ſehr weites Feld der Mannigfale tigkeit auslaufen. Weil wir aber die Lehre von den zerſtreuten Gelegenheiten, welche der erſtere Theil der Lehre von den Geſchäften iſt unter das Vermißte ſezen, ſo wollen wir unſerer Gewohnheit nach, uns etwas dabey aufhalten:
und ein Beyſpiel derſelben,
welches wir aus jenen Sprüchen oder Parabeln des
Salomo genommen haben vorlegen. Es wird uns aber Niemand,
wie wir davor
halten, mit Recht verübeln können, daß wir einen Schriftſteller aus der heiligen Schrift auf politiſchen
Sinn wenden: denn ich glaube, wenn jene Bücher, eben dieſes Salomo von der Natur der Dinge, worinn er jede Pflanze von dem Moos an Mauer
bis zur Ceder auf Libanon, ingleichen die Thiere beſchrieben hat, vorhanden wären es wohl erlaubt ſeyn würde, ſie nach dem natürlichen Sinn zu erklär ren: welches uns -
-
-
/
e-a-S-MSS-FSS=s-TNE-Sea
Beyſpiel des
Theiles
der Lehre von den zerſtreuten Gelegenheiten, nach einigen Parabeln des Salomons. -
1. Parabel.
s
Eine gelinde Antwort ſtillet den Zorn. Erklärung.
-
Wenn der Zorn eines Fürſten oder eines Obern
wider dich entbrennet und du nun zu reden haſt, ſo gebietet Salomo zweyerley: Erſtlich, daß man eine Antwort gebe; zweytens, daß dieſe gelinde ſey.
erſtere enthält drey Vehren.
Das
Erſtlich, daß man ſich
vor einem traurigen und trozigen Stillſchweigen hüte: denn es ſchiebt entweder die ganze Schuld auf dich, als wann du nichts hätteſt, welches du antworten
könnteſt ; oder es klagt den Herrn heimlich der Un billigkeit an, als wann ſeine Ohren der Vertheidigung, ob ſie gleich gerecht, nicht offen ſtünden. Zweytens, daß man ſich vor dem Aufſchub der Sache hüte, und keine andere Zeit zur Vertheidigung fordere: dann
dieſes hängt entweder den nemlichen Flecken an, als das erſtere, daß nemlich der Herr in einer allzugroßen
Verwirrung des Geiſtes ſey; oder es zeigt allerdings
an, daß man auf eine gewiße künſtliche Vertheidigung denke, da man nichts in Bereitſchaft habe; und es alſo immer das beſte ſeyn wird, etwas ſogleich und in
Gegenwart, nach den Umſtänden zu ſeiner Entſchul –
/
digung
667
FSFR)
digung anzuführen. Drittens, daß wirklich eine Ant wort gegeben werde: eine Antwort ſage ich, kein laus teres Bekenntniß, oder eine lautere Unterwerfung, ſondern daß man etwas Rechtfertigung und Entſchul digung mit einſtreue: denn es iſt ſonſt nicht ſicher zu
handeln, außer bey ſehr großmüthigen und erhabenen Gemüthern, welche ſehr ſelten ſind. Zulezt heißt es,
daß die Antwort gelinde gar nicht hartnäckig oder rauh ſey.
-
-
2. Parabel. Ein kluger Knecht , wird über den thörichten Sohn herrſchen; und die Erbſchaft unter die Brüder theilen.
Erklärung. In jeder verwirrten und uneinigen Familie wirft
ſich immer ein Knecht, oder niedriger Freund mit An ſehen auf, der ſich nach Willkühr in Schlichtung der Familien, Streitigkeiten beträgt, und dem in dieſer Hinſicht ſowohl die ganze Familie als der Herr ſelbſt
unterwürfig ſind.
Wenn er blos auf ſich ſieht, ſo
unterhält und erſchwert er die Uebel der Familie: wo
er aber in der That treu und redlich iſt, ſo verdient er allerdings ſehr viel: ſo daß er gleichſam auch unter
die Brüder gezählt werden, oder wenigſtens die anver traute Verwaltung der Erbſchaft erhalten muß. 3. Parabel. Ein Weiſer, der mit einem Narren zu ſtreiten
hat, findet nicht Ruhe, er zürne, oder lache. Erklä
/ 668
&SFN
Erklärung. Wir werden öfters erinnert, daß wir den un
gleichen Streit vermeiden ſollen, in dem Verſtande, daß wir nicht mit mächtigeren ſtreiten. Aber die Er
innerung iſt nicht weniger nützlich, welche hier Sa lomo. giebt, daß wir mit feinem Unwürdigen ſtreiten ſollen.
Denn dieſe Sache wird durch ein ganz un
gleiches Looß entſchieden. Wann wir überwinden, ſo erfolgt kein Sieg: werden wir überwunden, ſo iſts
eine große Erniedrigung.
Es hilft auch bey derglei
- chen Streit nicht, ob wir bisweilen gleichſam mit Scherz zu Werk gehen, bisweilen mit Stolz und Ver
achtung. Dann wohin wir uns hinwenden, ſo werden wir dadurch geringer werden, und uns nicht füglich erklären. Am ſchlimmſten aber iſt es, wenn derglei chen Perſon, mit welcher wir zu ſtreiten haben, etwas
mit einem Narren gemein hat,
wie Salomo ſagt,
- das iſt, wann ſie naſeweiß und frech iſt. 4. Parabel.
Merke nicht auf alle Reden die geſprochen wer
den; damit du nicht etwan deinem Knecht dir ſuchen höreſt. Erklärung.
-
Es iſt kaum zu glauben, wie ſehr die unnüze Neugierde in Abſicht derjenigen Umſtände,
welche
unſere Angelegenheiten betreffen, das menſchliche Leben beunruhige : wann wir uns nemlich beſtreben, jene Geheimniße zu erforſchen, welche entdeckt und gefun ...
den
-Fººd
669
v
den Kummer in die Seele bringen, zur Ausrichtung der Anſchläge aber nichts helfen. Denn erſtlich er folgt eine Quaal und Unruhe des Gemüths, da alles menſchliche ſo voll Untreue und Undankbarkeit iſt ſo, daß wann man einen Zauber - Spiegel machen könnte, in welchem wir alle Feindſeligkeiten, und jede irgendwo
wider uns gemachte Bewegungen erblicken könnten, wenn er alsbald
ſo würde es für uns beßer ſeyn,
hinweg geworfen und zerbrochen würde.
Denn der
gleichen Dinge ſind wie das Rauſchen der Blätter, und verſchwinden ſich in kurzen.
Zweytens beſchweret
jene Neugierde die Gemüther mit allzugroßem Arg wohn, welches den Anſchlägen ſehr nachtheilig iſt, und ſie unbeſtändig und verwickelt macht.
Drittens
heftet eben dieſelbe die Uebel ſelbſt ſehr oft feſt, da ſie doch ſonſt entwiſchen würden: denn es iſt ſchwer, die Gewißen der Menſchen zu reizen; als welche, wenn ſie ſich verborgen glauben,
leicht zum Beßern
ſich wenden, wo ſie aber ſich getroffen fühlen, das Uebel mit Uebel vertreiben, -
-
Es wurde alſo mit Recht dem großen Pompejus als eine ſehr große Klugheit ausgelegt, daß er die
ſämmtliche Schriften des Sertorius, weder ſelbſt gele, ſen, noch andern zum Leſen übergeben, ſondern alsbald ins Feuer geworfen hatte.
5. Parabel. Die
Armuth
kommt wie ein Wanderer,
und
die Dürftigkeit wie ein gewafneter Mann,
Erklä
A
«-
& Fººd
Erklärung. Die Parabel beſchreibet ganz artig,
wie den
Verſchwendern, und um ihr Haußweſen unbekümmer
ten Menſchen,
das Unglück auf den Hals komme.
Denn von Anfang an kommt ganz ſachte und mit
langſamen Schritten, gleich einem Wandersmann, die Verſchuldung und Verminderung des Vermögens, und wird beynahe nicht gefühlt : aber nicht lange
hernach kommt die Dürftigkeit, wie ein gewaffneter nemlich mit ſtarker und mächtiger Hand,
Mann,
daß man ihr nicht widerſtehen kann, da es bey den Alten mit Recht geheißen, die Noth iſt unter allen Dingen das ſtärkſte. Alſo muß man dem Wanderer entgegen kommen, wider den gewafneten ſich ſchüzen. /
6. Parabel.
Wer einen Spötter unterrichtet, der thut ſich ſelbſt unrecht: und wer einen Gottloſen zurechtweiſet, der machet ſich Unehre. –
Erklärung. Es kommt mit dem Gebot des Erlöſers überein:
wir ſollen unſere Perlen nicht für die Säue werfen. Es werden aber in dieſer Parabel die Handlungen des Unterrichts und des Tadels unterſchieden; ferner wer den die Perſonen des Spötters und des Gottloſen unterſchieden; zulezt wird das unterſchieden, was ver
golten wird.
Denn in dem erſtern wird mit verſpot,
teter Arbeit; in dem leztern auch mit Unehre veraol
ten.
Denn wenn jemand den Spötter unterrichtet /
Und
& SFR
671
und unterweiſet, ſo geſchiehet zuerſt ein Verluſt der
Zeit; hernach belachen auch andere die Bemühung, als eine eitle Sache und übel angewandte Arbeit; zulezt eckelt dem Spötter ſelbſt für der Wißenſchaft, die er gelernt hat. Aber mit weit größerer Gefahr, wird die Sache in dem Tadel oder der Zurechtweiſung des Gottloſen geführt; welcher nicht allein als ein Gottloſer nicht höret, ſondern auch die Hörner ent gegen kehrt, und den Zurechtweiſer, der ihm nun ge
häßig geworden, entweder mit Schmähungen belegt, oder wenigſtens hernach bey andern verläſtert.
7. Parabel. Ein weiſer Sohn erfreuet den Vater: ein när riſcher Sohn aber iſt ſeiner Mutter zum Kummer.
Erklärung Der häußliche Troſt und Kummer, nemlich des Vaters und der Mutter, in Abſicht ihrer Kinder wer
den unterſchieden. Denn ein kluger und wohlgerathner Sohn, iſt vorzüglich des Vaters Troſt, welcher den Werth der Tugend beßer kennt als die Mutter, und deswegen dem zur Tugend geneigten Gemüthe ſeines
Sohnes mehr hold iſt: Ja vielleicht bringt ihm auch
ſeine Anordnung Freude, daß er nemlich ſeinen Sohn ſowohl erzogen, und ihm die Ehrbarkeit der Sitten
durch Lehren und Beyſpiel eingeprägt hat: da hingegen
die Mutter mehr durch den Uebelſtand ihres Sohnes gerührt wird und leidet, ſowohl wegen dem mehr
weichen und zarten mütterlichen Affect; als auch viel leicht
/ 672
& SFRd
leicht wegen dem Bewußtſeyn ihrer Nachſicht, wodurch ſie ihn verwöhnt und verdorben hat. 8. Parabel.
Das Andenken des Gerechten wird gerühmet; aber der Nahme der Gottloſen iſt ſtinkend. Erklärung. Es wird zwiſchen dem Nahmen guter und böſer Menſchen, wie er nach dem Tode zu ſeyn pflegt, ein Unterſchied gemacht.
Dann bey rechtſchaffenen
Männern blüht nach erloſchenen Neide, der ihren Ruhm ſo lang ſie lebten, angrif, der gute Nahme
beſtändig, und die Lobſprüche, nehmen täglich mehr zu : aber bey ſchlechten Männern, wenn ſie gleich bey Lebzeiten durch die Gunſt ihrer Freunde und ihre
Parthey auf eine kurze Zeit Ruhm gehabt, entſteht kurz hernach ein Eckel des Rahmens und zulezt endigen ſich jene nichtige Lobſprüche in Ehrloſigkeit, und gleichſam in einen ſchweren und ſtinkenden Geruch.
9. Parabel.
-
Wer ſein Hauß verwirret, wird Winde beſizen,
Erklärung, Dies iſt eine ſehr nüzliche Ermahnung, in Ab, ſicht der häußlichen Verwirrungen und Uneinigkeiten,
Dann ſehr viele verſprechen ſich aus den Uneinigkeiten der Weiber oder den Enterbungen der Kinder, oder dett
z-Fººd
673
den häufigen Veränderungen in der Familie was großes; als wenn dadurch entweder die Gemüths - Ruhe, oder
die Verwaltung ihrer Umſtände beßer würde, gemei niglich aber gehen ihre Hoffnungen in Winde über. Denn ſowohl jene Veränderungen gedeihen meiſtens nicht zun Beßerſeyn; als auch erfahren dieſe Stöhrer
ihrer Familie mancherley Beſchwerden, und öfters den Undank dererjenigen,
welche ſie mit Vorbeygehung
anderer auf und annehmen.
Ja ſie ziehen ſich auch
dadaurch nicht das beſte Gerücht, und einen zweydeu tigen Nahmen zu, denn Cicero hat nicht übel bemerkt, daß alle Nachrede von den Haußgenoßen herkomme. Beydes Uebel aber wird von dem Salomo durch den
Beſiz der Winde ſehr artig ausgedrückt: dann ſowohl die Vereitlung der Erwartung, als auch die Erregung
der Gerüchte, werden mit Recht den Winden ver glichen. Io. Parabel. Das Ende der Rede iſt beßer als ihr Anfang.
Erklärung. Die Parabel verbeſſert einen ſehr häufigen Feh ler, nicht allein derjenigen, die beſonders redſelig ſind, ſondern auch der klügern. Es iſt derjenige, daß die
Menſchen um den Auftritt und Eingang ihrer Reden mehr bekümmert ſind, als um den Ausgang, und daß ſie genauer auf den Anfang und die Vorreden als
das Ende der Reden denken. Sie hätten aber jenes nicht vernachläßigen und dieſes als das mehrbedeu -
-
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Uu
tende /
674
&SF d
tende wohl vorbereitet und verdaut bey ſich haben ſol,
len; indem ſie bedenken und ſo viel möglich vorher ſehen müßen, wie endlich der Ausgang ihrer Rede ſeyn werde, und wie dadurch die Geſchäfte befördert
und zur Reiffe gebracht werden können.
Und hieran
iſt es noch nicht genug. Ja man muß nicht allein auf die Beſchlüße und Ausgänge der Reden, welche zu den Geſchäften ſelbſt gehören, denken; ſondern auch die Sorgfalt auf ſolche Reden wenden, welche man beym Abſchiede ſelbſt füglich und artig einſchieben kann, ob ſie wohl von dem Geſchäft gänzlich entfernt ſind. Ich kannte zwey Räthe, allerdings große Männer, und auf welchen die Laſt der Regierung vorzüglich lag; welchen das eigen und immer gewöhn lich geweſen, daß ſie ſo oft ſie mit ihren Fürſten von ihren Geſchäften ſprachen, die Geſpräche niemals mit Dingen, welche die Geſchäfte ſelbſt betrafen, endigten; ſondern immer, entweder zum Scherz, oder zu etwas anders, das angenehm zu hören war, Aus
flüchte nahmen; und wie es im Sprichwort heißt, - die Seefiſche zulezt mit Flußwaßer abwuſchen. Und dieſes war keine ihrer lezten Künſte. 1 I. Parabel. Wie die todten Fliegen die beſte Salbe ſtinkend
machen; eben alſo einen an Weisheit und Ruhm vor züglichen Mann, eine kleine Thorheit.
Erklärung. Sehr unbillig und elend iſt der Zuſtand der an Tugend vorzüglichen Männer,
wie die Parabel ſehr wohl
&SFSd
675
wohl bemerkt, weil auch ſo gar die geringſten Fehler derſelben, auf keine Weiſe verziehen werden.
Denn
gleichwie an einem ſehr glänzenden Edelſtein auch das geringſte Körngen, oder Wölckgen, auffällt und unan genehm iſt: das jedoch, wenn es an einem ſchlechterert Edelſtein gefunden würde, kaum in die Augen fiele: eben ſo fallen an vorzüglich tugendhaften Männern auch die geringſten Fehler, gleichbald in die Augen und Reden der Menſchen, und werden mit einem ſcharfert Tadel belegt: da ſie an mittelmäßigen Menſchen ents weder ganz verborgen blieben, oder leicht Verzeihung fänden. Alſo benimmt einem ſehr klugen Manne/
eine kleine Thorheit; einem ſehr rechtſchaffenen Manne, eine kleine Vergehung; einem höflichen und artigea
Manne nur etwas weniges Unanſtändiges; ſehr viel von ihrem Anſehen und Ruhm. So, daß es vor trefflichen Männern nicht zu verargen wäre, wenn ſie
einiges abgeſchmacktes, das nicht laſterhaft iſt, in ihre Handlungen einmiſchten; daß ſie einige Freyheit vor ſich behielten, und die Merkmahle kleiner Mängel vers wirrten.
12. Parabel.
Die Spötter verlieren die Stadt, die Weiſen aber wenden Unglück ab.
Erklärung Es kann wunderbar ſcheinen, daß in der Be, ſchreibung der Menſchen, welche zur Schwächung und Verderbung der Staaten gleichſam von Natur be,
ſchaffen und gemacht zu ſeyn ſcheinen, Salono nicht Uu 2
der
676
&SFRd ".
den Character eines ſtolzen und trozigen; nicht den eines tyranniſchen und grauſamen; nicht eines frechen
und gewaltſamen; nicht eines gottloſen und laſterhaf, ten; nicht eines ungerechten und unterdrückenden; nicht eines aufrühriſchen und ſtürmiſchen; nicht eines geilen und wollüſtigen; endlich nicht eines albernen und ungeſchickten; ſondern den Character eines Spöt
ters ausgeſucht habe.
Allein dieſes iſt der Weisheit
eines ſolchen Königes, der die Erhaltungen und Um kehrungen der Staaten am beſten gekannt hatte, ganz würdig. Denn es iſt für die Reiche und Staaten beynahe eine Peſt, wann die Räthe der Könige oder die Aelteſten des Volks, welche das Regiment führen, von Natur Spötter ſind. ---
Denn dergleichen Menſchen
machen immer die Größe der Gefahren verächtlich, um ſtarke Rachgeber zu ſcheinen; und verſpotten die
jenigen als furchtſam, welche die Gefahren, wie es ſich gebühret, abwägen; ſie verlachen die reifen Ver weilungen mit Berathſchlagen und Ueberlegen, und die durchgedachten Beſtreitungen, als eine redneriſche und verdrüßliche, auch zum Hauptwerk nichts dienende
Sache: ſie verachten das gute Gerüchte, nach welchen
die Anſchläge der Fürſten vorzüglich einzurichten ſind, als einen Speichel des Pöbels, und als ein plözlich verfliegendes Ding: ſie fragen nichts nach dem An ſehen und der Kraft der Geſeze, die ſie als gewiße Neze anſehen, durch welche größere Dinge mitnichten
aufgehalten werden müßen: ſie verwerfen die Anſchläge und Vorſichtigkeiten, die ſich auf die Ferne erſtrecken, als gewiße Träume und melancholiſche Anwandlungen:
ſie verhöhnen in der That kluge und Sachverſtändige Männer von großem Geiſt und Anſchlag mit ſpöttiſchen Scher
&SFRd
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Scherzen: endlich untergraben ſie zugleich alle Grund pfeiler der Staatsverfaßung.
Wovor man ſich deſto
mehr in Acht zu nehmen hat, weil dieſe Sache mit Liſt, und mit keinem offenbaren Anfall geführt wird: auch iſt ſie den Menſchen noch nicht ſo wie ſie verdient verdächtig geworden. 13. Parabel. Ein Fürſt, der ſich gerne Lügen ſagen läßt, hat lauter gottloſe Diener.
Erklärung. Wenn ein Fürſt ſo beſchaffen iſt, daß er Ohren bläßern, und Lügnern ohne Unterſchied leichtglaubig und gerne ſein Ohr darbietet; ſo dunſtet gleichſam von der Seite des Königs wirklich eine peſtilenzialiſche Luft aus, welche alle deßen Diener verderbt und an
ſteckt. Einige häufen die Beſorglichkeiten des Fürſten an, und vermehren ſie mit erdichteten Erzehlungen: andere reizen die Furien des Neides auch gegen die
beſten vorzüglich auf: andere wälzen durch Verläſte rung anderer die eigene Schande und das böſe Gewißen
von ſich: andere kommen der Ehrbegierde und den Wünſchen ihrer Freunde zuvor, indem ſie deren Mit werber verläſtern und ſchmähen: andere ſchmieden Mährchen wider ihre Feinde, und was dergleichen mehr iſt. Und dies thun diejenige, welche unter den
Dienern des Fürſten kein gutartiges Gemüth haben. Aber auch diejenigen, welche von Natur redlicher und beßer geartet ſind, "
. .
legen bey ſolchen Umſtänden, U u 3 nach
z-Fººd
78.
-
nachdem ſie in ihrer Unſchuld wenig Schuz gefunden weil der Fürſt das Wahre von dem Falſchen nicht
zu unterſcheiden weiß, den Ernſt ihrer Sitten ab, und ergreiffen Hof Winde*) und laßen ſich von denſelben ſclaviſch herumtreiben, Denn nichts iſt, wie Tacitus von Claudius ſagt, bey einem Fürſten ſicher, deßen Gemüth gleichſam alles eingegeben und anbefohlen
worden iſt.
Und Comines ſagt ſehr wohl : es iſt
beßer der Diener eines Fürſten zu ſeyn, deßen Arg wohn kein Ende hat, als desjenigen, bey dem die Leichtglaubigkeit ohne Maaß iſt.
14. Parabel. -
Der Gerechte erbarmet ſich auch ſeines Viehes;
aber der Gottloſe iſt grauſam mit ſeinem Verſchonen. Erklärung,
Dem Menſchen iſt von der Natur ſelbſt der ede und vortreffliche Affect der Barmherzigkeit einge pflanzt; welcher auch auf die unvernünftigen Dhiere
ſich erſtrecket; die nach der göttlichen OrdnungÄ Hers
*) Anmerk. des Ueberſ.
Wer zu ehrlich iſt, und die
Menſchen. Würde zu richtig fühlt, um dieſe Winde in ergreifen, muß die Hof-Luft ganz meiden beſonders das
wo der Adeliche, der kein perſönliches Verdienſt hat, noch das Recht beſizt, den Bürgerlichen zu unterdrücken,
wie mir das aus der Erfahrung bekannt iſt.
&SFRd
679
Herrſchaft unterworfen ſind *). Ebenſo hat dieſe Barmherzigkeit eine gewiße Gleichheit mit der des
Fürſten gegen die Unterthanen.
Ja es iſt allerdings
ganz gewiß, daß die Seele deſtomehr Mitleiden hat, je mehr ſie Würde beſizt. Denn die engen und uns artigen Seelen glauben, daß dergleichen Sachen ſie nichts angehen: diejenige Seele aber, welche ein edle rer Theil des Ganzen iſt, leidet durch die Gemein
ſchaft. Daher ſehen wir, daß unter dem alten Geſez nicht wenige Vorſchriften geweſen, die nicht ſowohl blos auf das Ceremoniell, als auch auf die Barm herzigkeit zielen: dergleichen jenes geweſen iſt, daß man das Fleiſch nicht mit ſeinem Blut eßen ſoll, und dergleichen.
Auch die Secten der Eſſäer,
und Py
thagoräer enthielten ſich gänzlich des Genußes der Thiere oder der Fleiſchſpeiſen. Welches auch noch heut zu Tag auf abergläubiſche Weiſe bey einigen Bewoh nern des Mogoliſchen Reiches geſchiehet. Ja auch die Türken, die doch ſonſt von Natur und Zucht ein grauſames und blutgieriges Volk ſeyn ſollen, pflegen dannoch den unvernünftigen Thieren Allmoſen zu reis chen; auch laßen ſie die Quaalen und Peinigungen
der Thiere nicht geſchehen.
Damit aber nicht etwa
das, was wir geſagt haben, für jede Art Barmher
zigkeit zu ſprechen ſcheine, -
ſo fügt Salomo heilſam
Uu 4
K) Anmerk. des Ueberſ.
-
hinzu,
Eine artige philoſophiſche Ab
handlung von dem Erbarmen des Gerechten über ſein Vieh, findet man in des Verſtorbenen, aber um die
Marggräflich Baadiſchen Länder ſich unſterblich verdient gemachten, Geheimden Raths Reinhards vermiſchten Schriften, worinn auch die Parforce - Jagd beurtheilt, und beſonders auf den Antimachiavell verwieſen wird.
&-Fººd
6Zo
hinzu, daß das Verſchonen der Gottloſen grauſam ſey. Es iſt dasjenige, wenn man laſterhafte und boshafte Menſchen ſchont, die mit dem Schwerdt der Gerechtigkeit zu ſtrafen ſind: denn ein dergleichen
Verſchonen iſt grauſamer, als die Grauſamkeit ſelbſt. Dann die Grauſamkeit wird gegen einzele ausgeübt: aber jene Barmherzigkeit bewafnet durch die zugeſtan dene Freyheit von der Strafe, einen ganzen Haufen laſterhafter gegen unſchuldige Menſchen.
15 Parabel. Der Narr läßt ſeinen Geiſt ganz aus; aber der Weiſe behält etwas für die Folge zurück.
Erklärung. Die Parabel ſtrafet hauptſächlich, wie es ſcheint, nicht die Waſchhaftigkeit eitler Menſchen, welche das, was man ſagen und verſchweigen muß, leichtſinnig vorbringen: nicht jene Unverſchämtheit im Reden,
womit man ohne Unterſchied und Beurtheilung auf alle und über alles herfährt: nicht die Plauderhaftig keit, womit man andern bis zum Eckel beſchwerlich
fällt: ſondern einen andern mehr verborgenen Fehler; nemlich eine gar nicht kluge und politiſche Führung der Rede;
das iſt,
wenn jemand die Rede in Privat
Geſprächen alſo führt, daß er das, was er im Sinn hat und zur Sache dienlich glaubt, zugleich und gleichſam in einem Hauch, und mit fortgeſezter Rede auf einmal vorbringt. Dann dieſes ſchadet den Ge
ſchäften ſehr viel. Indem erſtlich eine abgeſchnittene, Und
&SFIN
s
63 I
und durch Theile beygebrachte Rede, weit mehr durch, dringt,
als eine fortgeſezte; weil in einer fortgeſezten
das Gewicht der Dinge nicht deutlich und eigentlich aufgenommen wird, und auch nicht einige Weile feſt
ſizt, ſondern ein Grund den andern, ehe er wirklich plaz gefunden, austreibt. Zweytens, hat Niemand eine ſo wirkſame und glückliche Beredſamkeit, daß er mit dem erſten Anfall der Rede denjenigen, den er
anredet, ganz ſtumm und ſprachlos mache: daß nicht auch der andere etwas gegenſeitig antworten und vielleicht einwenden wird. Alsdann aber geſchiehet, daß dasjenige, was man zur Widerlegung oder Er,
wiederung hätte vorbehalten ſollen, ſchon heraus und vorher geſagt iſt demnach auch ſeine Kräfte und An nehmlichkeit verlohren hat. Drittens, wenn jemand dasjenige, was er zu ſagen hat,
nicht auf einmal
ausſchüttet, ſondern theilweiſe herredet, indem er bald das eine, bald das andere vorbringt; ſo wird er aus
dem Geſicht und der Antwort desjenigen, mit dem er ſpricht, merken, wie das einzele jenen rührt, und wie es aufgenommen wird; damit er dasjenige, was
er noch zu ſagen hat, entweder vorſichtig unterdrücke, oder mit Nachdruck vorbringe.
16. Parabel. Wenn der Geiſt eines
Gewaltigen über dich
kommt, ſo verlaße deinen Plaz nicht, weil die Heilung große Sünden wegnehmen wird. Uu 5
Erklä
-
&SFR)
682
Erklärung. Die Parabel lehret, wie ſich jemand betragen muß, wenn er den Zorn und den Unwillen des Fürſten auf ſich bringt. Die Vorſchrift iſt zweyfach: erſtlich, daß er ſeinen Plaz nicht verlaße: zweytens, daß er vor die Heilung, wie in einer ſchweren Krankheit, fleißig und vorſichtig beſorgt ſey. Dann die Menſchen ſind gewohnt, ſobald ſie ihre Fürſten wider ſich aufgebracht fühlen, theils aus Unerträglichkeit der Unehre, theils um die Wunde durch Beobachten nicht aufzureißen, theils damit ihre Fürſten ihre Traurigkeit und Demüthigung einſehen, ſich ihren Amtsgeſchäften und Verrichtungen zu entziehen, ja auch bisweilen die obrigkeitlichen Stellen, und Würden ſelbſt, wieder in
die Hände der Fürſten zu übergeben.
Aber Salomo
mißbilliget dieſe Heilungsart als ſchädlich:
und das
fürwahr mit gröſtem Recht. Denn erſtlich macht ſie die Unehre ſelbſt allzuſehr bekannt; dadurch dann die Feinde und Neider kühner werden. Zweytens ereignet ſich dadurch, daß der Zorn des Fürſten, der ſich vielleicht von ſelbſt gegeben hätte, wenn er nicht be
kannt worden wäre mehr veſt geſezt wird, und da der Anfang, den Mann zu ſtürzen, nun gemacht iſt, ſolcher wirklich zum Fall kommt. Zulezt zeigt dieſe Abſonderung etwas häßiges und mit den Zeiten un zufriedenes an: als welches das Uebel des Unwillens noch mit dem Uebel des Argwohns häuffet. Zur Hei
lung aber gehört dieſes.
Erſtlich muß man ſich vor
allem hüten, daß man nicht durch eine gewiße Fühl loſigkeit oder auch aus Hochmuth den Unwillen des
Fürſten gar nicht zu fühlen, oder wie es ſeyn ſoll, -
davon
KSF Id
633
davon gerührt zu werden ſcheine: das iſt, daß man ſowohl das Geſicht nicht nach einer trozigen Traurig keit, ſondern nach einer ernſthaften und beſcheidenen Betrübniß falte: als auch in jeglichen Geſchäften ſich weniger als gewöhnlich aufgeräumet und froh zeige: ja es wird auch zum beſten dienen, wenn man ſich der Mühe und des Vorſpruchs eines Freundes bey dem
Fürſten bedient, der zur gelegener Zeit beybringe, von welchem ſchmerzhaften Gefühl man geplagt werde.
Zweytens muß man alle Gelegenheiten, auch die ge ringſten, fleißig vermeiden, durch welche entweder die
Sache ſelbſt, welche zum Unwillen Urſache gegeben, erneuert oder der Fürſt ſonſt Gelegenheit nehmen möchte, aufs neue böſe zu werden, und in Gegen wart anderer zu ſchmähen. Drittens ſuche man auch
fleißig alle Gelegenheiten auf, in welchen die Arbeit dem Fürſten angenehm ſeyn kann: damit man ſowohl den fertigen Willen zeige,
die vergangene Schuld
wieder gut zu machen: als auch der Fürſt merke, welchen Dieners er ſich endlich berauben würde, wann er ihn von ſich ließe. Viertens, muß man die Schuld
ſelbſt, entweder verſchlagen auf andere ſchieben *); oder beyzubringen ſuchen, daß ſolche nicht mit Vorſaz oder ſchlimmer Abſicht begangen worden ſey; oder auch *) Anmerk. des Ueberſ. Um die Tugend des großen Geiſtes hier nicht zweydeutig zu machen, ſo kann dieſe Verſchiebung der Schuld auf andere ſehr wohl ſtattfinden, wann ſie die entfernte Urſache darzu gegeben, oder auch wann die Perſonen, auf welche die Schuld geſchoben
wird, in einer ſolchen Lage der Umſtände ſind, daß es ſie entweder gar nicht, oder doch weit weniger, und nicht merklich intereßirt.
684
-
dy-Fººd
auch die Bosheit derjenigen, welche es dem König vorgebracht, oder über die Maaße vergrößert darſtellig machen. Endlich muß man in allem wachſam und auf die Heilung bedacht ſeyn.
-
17. Parabel. Der erſte iſt in ſeiner Sache gerecht: alsdann kommt der andere Theil, und unterſucht ihn. Erklärung.
-
Die erſte Belehrung in einer jeden Sache ſchlägt, wo ſie nur ein wenig das Gemüth des Richters ein
genommen hat, tiefe Wurzeln, und beſchäftiget ihn ganz: ſo daß ſie ſchwer ausgetilgt werden kann, wo nicht entweder einige offenbare Falſchheit in der Materie
der Belehrung, oder einiger Kunſtgriff in derſelben Darſtellung vorgefunden wird. Denn eine bloße und einfache Vertheidigung, wenn ſie gleich und überwie
gend iſt, vermag kaum an und vor ſich das Vorur theil der erſten Belehrung zu erſezen, oder die einmal vorſchlagende Waage der Gerechtigkeit zum Gleichge wicht zu bringen. Alſo iſt es für den Richter das ſicherſte, daß er ſich von den Umſtänden der Sache
zuvor nicht hinreißen laße, bis er beyde Theile zugleich gehört und gegen einander vernommen und alles ab
gewogen habe: und vor den Vertheidiger iſt es das beſte ,
ſo er den Richter eingenommen merkt, daß
er hauptſächlich, ſo viel es die Sache zuläßt, darauf ſieht,
t-FR
685
ſieht, daß er einige Argliſt und böſen Vorſaz, der von dem Gegentheil zum Mißbrauch des Richters ge braucht worden, entdecke. -
18. Parabel. Wer den Diener von Jugend auf verzärtelt ernährt, wird ihn hernach trozig haben.
Erklärung.
Fürſten und Herren müßen nach dem Rath des Salomo mit ihrer Gnade und Gunſt gegen ihre Die
ner Maaß halten.
Dieſes iſt dreyfach.
daß ſie Stufenweiſe
nicht durch Sprünge befördert -
Erſtlich,
werden: Zweytens, daß ſie bisweilen einer abſchlägli chen Antwort gewohnt werde: Drittens, daß ſie immer etwas vor Augen haben,
trachten können,
wornach ſie weiter
wie auch Machiavel wohl gelehret
hat. Denn wo dieſe Dinge nicht beobachtet werden, ſo werden die Fürſten ohne Zweifel am Ende von
ihren Dienern ſtatt eines dankbaren und dienſtpflich tigen Gemüthes, Verdruß und Trozdavon tragen.“ Denn aus der plözlichen Beförderung entſteht der
Hochmuth: aus der beſtändigen Erlangung des Ge ſuchten, die Unerträglichkeit einer abſchläglichen Ant wort: endlich, wann die Wünſche fehlen, ſo wird auch die Munterkeit und der Fleiß fehlen.
19. Parabel.
-
&SFRd
6Z6
19. Parabel.
Du haſt einen Mann geſehen, der in ſeiner Arbeit behende iſt: er wird vor den Königen ſtehen, und nicht unter den unedlen ſeyn.
Erklärung. Unter den Tugenden, auf welche die Könige in der Wahl der Diener hauptſächlich ſehen und ſie er fordern, iſt vor allen die Geſchwindigkeit
und die
Fertigkeit in Verrichtung der Geſchäfte die angenehmſte. Männer von tiefer Klugheit ſind den Königen ver dächtig, als welche allzugenaue Aufſeher ſind, und ihre Herren, wider ihr Wißen und Willen, durch die Kräfte ihres Geiſtes, als durch eine Maſchine, umtreiben können. Lieblinge des Volks ſind verhaßt: als welche den Königen im Wege ſtehen, und die Augen des Volks auf ſich wenden. Muthige werden öfters für ſtürmiſche gehalten, und die weiter gehen als erlaubt iſt. Rechtſchaffene und redliche werden als ſchwierige und ſolche angeſehen, die nicht zu allen Winken des Herrn geſchickt ſind.
Endlich giebt es keine andere
Tugend, die nicht gleichſam einigen Schatten habe, welcher den Gemüthern der Könige anſtößig iſt; die alleinige Geſchwindigkeit nach den Befehlen hat nichts, das nicht gefiele. Ueber dies ſind die Bewegungen
der königlichen Gemüther geſchwind, und können keinen Verzug leiden. Denn ſie glauben, daß ſie jedwedes ausrichten können: es fehle nur daran, daß es nicht
plözlich geſchehe.
Alſo iſt ihnen vor allem die Ge
ſchwindigkeit angenehm.
-
20. Para
&SFD
6ß7
20. Parabel.
Ich habe alle Lebenden geſehen, die unter der Sonne wandlen, mit einem glücklichen Jüngling, der vor ihr aufſteht,
-
Erklärung. Die Parabel bezeichnet die Eitelkeit der Menſchen/ welche ſich an die ernannten Nachfolger der Fürſten zu ſchmiegen pflegen. Die Wurzel dieſer Sache aber iſt jener Unſinn, welcher den Gemüthern der Menſchen von Natur ganz eingepflanzt iſt: daß ſie nemlich ihre
Hoffnungen allzuſehr lieben. Denn es giebt faſt Nie mand, der nicht durch dasjenige, was er hoft, mehr vergnügt wird, als durch dasjenige was er genießt. Ja auch die Neuheit iſt der menſchlichen Natur an
genehm, und wird heftig geſucht. An dem Nachfolger eines Fürſten aber kommen dieſe zwey vor; die Hoff, nung und die Neuheit. Die Parabel deutet auch auf eben dieſes, was ehmals ebenfalls geſagt worden war;
erſtlich von dem Pompejus zu dem Sylla, hernach von dem Tiberius von dem Makro: daß mehrere die aufgehende Sonne anbeten, als die untergehende. Und doch werden die Regenten nicht viel durch dieſe Sache
gerührt oder halten ſie hoch, wie weder Sylla, noch Tiberius gethan haben, ſondern ſie verlachen vielmehr die Leichtſinnigkeit der Menſchen, und ſtreiten nicht mit Träumen: die Hoffnung iſt aber, wie jener ſagte, ein Traum eines wachenden. /
21. Parabel.
688
&SFRd
21. Parabel. Es war eine kleine Stadt, und wenige Männer
in ihr, wider dieſelbige iſt ein großer König gekommen, und in ſie gedrungen, er hat ſie rund herum beveſti
get, und die Belagerung iſt vor ſich gegangen: in derſelben Stadt iſt ein armer und weiſer Mann erfun
den worden, der ſie durch ſeine Weisheit befreyet hat:
und keiner hat hernach dieſes armen Mannes gedacht. Erklärung. Die Parabel beſchreibet die ſchlimme und boshafte Art der Menſchen. Sie nehmen in wiedrigen und be trübten Umſtänden ſchier gerne zu klugen und entſchloße nen Männern, wann ſie ſolche gleich vorher verachtet,
ihre Zuflucht.
Sobald aber das Wetter vorüber
gegangen iſt,
ſo werden ſie endlich als undanckbar
gegen ihre Erhalter erfunden. Machiavel aber ſtellt nicht ohne Urſache die Frage auf, wer unter beyden undanckbarer gegen wohlverdiente Männer ſey, der
Fürſt oder das Volk ? indeßen aber beſchuldigt er beyde der Undankbarkeit.
Doch dieſes entſtehet nicht,
s
allein von der Undankbarkeit des Fürſtens oder Volkes, ſondern hierzu kommt gemeiniglich der Neid
der Obern, welche über den Erfolg, ob er gleich glücklich und wohl gerathen iſt, insgeheim mißvergnügt ſind, weil er von ihnen nicht hergekommen iſt: alſo
ſchwächen ſie ſowohl das Verdienſt des Mannes, als drücken ihn auch nieder. 22. Parabel.
689
Fººd e2. Parabel.
Der Weg der Faulen, iſt gleichſam ein Zaum von Dornen.
!
Erklärung.
-
Die Parabel zeigt ſehr ſchön, daß die Faulheit am Ende mühſam ſey. Denn der Fleiß, und die emſige Vorbereitung, leiſten das, daß der Fuß nir gends anſtoße, ſondern der Weg eben gemacht werde, ehe er angetreten wird: wer aber faul iſt, und alles bis auf den lezten Augenblick der Ausführung ver ſchiebt, der muß beſtändig und bey jedem Schritt,
gleichſam durch Dornen und Hecken treten, die ihn ſehr aufhalten und hindern. Eben dieſes kann auch bey der Regierung eines Haußweſens beobachtet wer den, dann wenn darinn Sorgfalt und Vorſicht anges
wandt wird, ſo gehet alles ruhig und gleichſam von ſelbſt ſeinen Gang, ohne Geräuſch und Tumult: , wo
aber dieſe fehlen, und es kommt nur eine etwas ſtarke Bewegung darzwiſchen, ſo gehet alles ſtürmiſch zu: die Knechte machen Lermen, die Häußer durchſchallen.
23. Parabel.
Wer im Gericht die Geſtalt erkennet, thut nicht wohl: er wird auch für einen Bißen Brods die Wahr heit verlaßen.
Erklärung. Die Parabel bemerker ſehr klug, daß bey einem
Richter die Gewinnung durch Sitten gefährlicher - -
-
Xr
-
Äals
&SFRd
69e
als die Beſtechung durch Geſchenke. Dann die Ge ſchenke werden nicht von allen angeboten: aber es
giebt kaum eine Sache, in welcher nicht etwas ge funden werde, das das Gemüth des Richters biege, wenn er die Perſonen anſieht. Denn der eine wird als ein Günſtling des Volks:
der andere als ein
ſchmähſüchtiger: der andere als ein reicher: wieder ein anderer als ein dankbarer : und endlich einer als
ein von einem Freund empfohlner angeſehen werden. Endlich iſt alles voll Unbilligkeit, wo das Anſehen der Perſonen herrſcht : und das Gericht wird allerdings
um einer geringen Urſache willen,
als gleichſam um
einen Bißen Brod verkehret werden. 24. Parabel. -
-
Ein armer Mann der die Armen ſchmähet, iſt
gleich einem heftigen Plazregen Hunger kommt.
durch welchen der
v
Erklärung.
Dieſe Parabel iſt vor Alters durch die Fabel der Schwalbe, nemlich einer vollen
ausgedrückt und abgezeichnet worden.
und einer leeren,
Denn die Un
terdrückung von einem armen und hungrigen iſt weit ſchwerer,
als die Unterdrückung durch einen reichen
und angefüllten : da erſtere alle Eintreibungskünſte, und alle Ecken der Münzen durchſucht. Eben dieſes pflegte auch mit Schwämmen verglichen zu werden,
welche nemlich trocken ſtarck ſaugen: feucht, nicht alſo. Es enthält aber eine nüzliche Warnung: ſowohl an die Fürſten ,
és
BGFD
Fürſten, daß ſie die Oberaufſeherſtellen in den Pro vinzen, oder die obrigkeitlichen Würden, nicht dürfti gen und verſchuldeten Männern anvertrauen: als auch
an die Völker, daß ſie ihre Könige nicht mit allzu großem Mangel kämpfen laßen.
25. Parabel,
Der Gerechte der vor einem Gottloſen fällt / iſt wie eine mit dem Fuß getrübte Quelle und verdor -
bene Ader.
,
Erklärung.
Die Parabel lehret, daß man ſich in den Staaten doch ja vor einem unbilligen und entunehrenden Ge richt in einer fürnehmen und wichtigen Sache hüten ſolle : beſonders da, wo der ſchuldige nicht loß ge ſprochen, ſondern der unſchuldige verdammt wird. Denn die unter Privatleuten herrſchende Ungerechtig keiten trüben und beflecken zwar die Waßer der Ge
rechtigkeit, aber gleichſam nur in Bächlein. die unbilligen Gerichte,
Allein
wie wir ſie eben genannt
haben, und von welchen Beyſpiele hergenommen wer den vergiften und verunreinigen die Quellen der Ge
rechtigkeit ſelbſt. Dann wenn der Richterſtuhl auf die Seite der Ungerechtigkeit geſchoben iſt, ſo wird der Zuſtand der Dinge in eine öffentliche Mördergrube verwandelt: und es geſchiehet ganz und gar, daß ein Menſch des andern Wolf iſt.
Fr 2
26. Parabel, N.
C92
FFR.
1.
26. Parabel.
Mache keine Freundſchaft mit einem zornigen Menſchen, und wandle nicht mit einem tobenden.
Erklärung.
Je heiliger die Rechte der Freundſchaft zwiſchen den Guten zu halten und zu pflegen ſind, deſtomehr muß man ſich von Anſang an mit einer klugen Wahl der Freunde vorſehen. Und die Natur und Sitten der Freunde,
inſofern ſie uns ſelbſt betreffen, ſind
allerdings zu ertragen.
Wenn ſie uns aber die Noch
wendigkeit auflegen, was für eine Perſon wir gegen
andere annehmen und zeigen ſollen, ſo iſt die Ba dingnis der Freundſchaft ſehr hart und unbillig. Alſo dient es beſonders, wie Salono lehret, zum Frieden und Schuz des Lebens ſehr viel, daß wir unſere Um
ſtände nicht mit zornigen Menſchen, die leicht Streit und Schmähungen hervorbringen, oder unternehmen, verflechten. Denn dieſe Gattung Freunde wird uns beſtändig in Streitigkeiten und Partheyen verwickeln: daß wir entweder die Freundſchaft abbrechen, oder
unſerm Wohlſtand entſagen müßen. 27. Parabel.
Wer ein Verbrechen verheelet, ſucht Freund, ſchaft: wer es aber noch einmal mit der Rede wieder
holet, trennet verbündete.
Erklärung.
»-Fs Erklärung.
-
6,3
-
Ss giebt einen zweyfachen Weg die Einigkeit herzuſtellen, und die Gemüther wieder zu vereinigen. Der eine fängt von der Amneſtie oder der Vergeßen
heit an; der andere von der Wiederholung des Un rechts, wobey man Entſchuldigungen und Vertheidi gungen anbringt. Denn mir iſt der Spruch eines ſehr klugen und politiſchen Mannes im Gedächtnis:
wer den Frieden unterhandelt, und die Beſchaffenhei ten des Zwiſtes nicht wiederholet, der hintergeht die Gemüther mehr durch das Süße der Einigkeit, als daß er ſie durch die Billigkeit zuſammen bringt. Allein
Salomo, der nemlich klüger hierinn iſt, hat die ge genſeitige Meinung; und billiger die Amneſtie, verwirft
aber die Wiederholung.
Denn in der Wiederholung
ſtecken dieſe Uebel: daß ſie theils wie ein Nagel in einen Geſchwür iſt; theils eine Gefahr von einem neuen Hader bevorſtehet, indem man unter den Par
rheyen niemals über die Gründe des Unrechts überein kommen wird; theils endlich die Sache auf Verthei digungen führt; jeder Theil aber will lieber davor angeſehen ſeyn, daß er vielmehr Beleidigungen ver
geben, als Entſchuldigungen zugelaßen habe. 28. Parabel.
-
Bey jedem guten Werk wird Ueberfluß ſeyn; wo aber ſehr viel Worte ſind, da iſt gewöhnlich Mangel. -
Xr 3
Erklärung.
65-
“
-
&-Fººd
Erklärung. Salomo unterſcheidet in dieſer Parabel die Frucht
von der Arbeit der Zunge, und der Arbeit der Hände; daß aus der erſten der Mangel aus der zweyten der Ueberfluß folge. Denn es geſchiehet ſchier immer, daß diejenigen, welche viel ſchwazen, viel prahlen, viel verſprechen, dürftig ſind, und keinen Nuzen von
jenen Sachen ziehen, von welchen ſie reden. Ja ſie ſind meiſtens auch gar nicht fleißig
oder unverdroßen
zur Arbeit, ſondern weiden und ſättigen ſich nur durch ihre Reden wie durch Wind. Der Dichter ſpricht allerdings wahr: wer ſchweigt, iſt feſte. Derjenige, welcher ſich bewußt iſt, daß er in ſeiner Arbeit zu nimmt, iſt mit ſich ſelbſt zufrieden, und ſchweigt: - -
wer ſich aber im Gegentheil bewußt iſt, daß er nach leeren Wind ſchnappt, der macht viel Weſens und Wunder bey andern von ſich. 29. Parabel.
Ein offenbarer Verweiß, iſt beßer als eine heim liche Liebe.
Erklärung. Die Parabel tadelt die Weisheit der Freunde, welche die Freyheit der Freundſchaft nicht gebrauchen, um ihre Freunde ſowohl über ihre Fehler als Gefahren freymüthig und offen zu warnen. Denn was ſoll ich thun, pflegt ein dergleichen weicher Freund zu ſagen,
oder wohin ſoll ich mich wenden? ich liebe ihn ſo ſehr als
& SFR)
695
als einer, und wollte mich gerne wenn ihm was Uebels begegnen ſollte, an ſeine Stelle ſezen: aber ich kenne
ſeine Gemüthsart; wann ich frey mit ihm handlen werde, ſo möchte ich ihn beleidigen; wenigſtens be trüben; und doch wird mirs nichts nuzen; und ich werde ihn eher von meiner Freundſchaft entfernen, als von demjenigen abziehen, was er ſich veſt vorgeſezt hat. Einen ſolchen Freund, ſchilt Salomo als weich
lich und unnüz; und thut den Ausſpruch, daß man mehr Nuzen von einem offenbaren Feind,
als von
einem ſolchen Freund, ziehen könne. Indem er viel leicht von dem Feind dasjenige mit Schmähung hören dürfte, was der Freund aus allzugroßer Nachſicht in
30. Parabel. Der Kluge merket auf ſeinen Weg; der Narr wendet
ſich zum Betrug.
-
Erklärung.
Es giebt zwey Arten der Klugheit. Die eine iſt ächt und geſund: die andere iſt ausgeartet und umächt,
welche Salomo mit dem Nahmen der Narrheit zu be legen kein Bedenken trägt.
Wer ſich der erſteren er,
geben hat, ſieht vorſichtig auf ſeine eigenen Wege und Tritte, merkt auf die Gefahren, ſinnt auf die Mittel: indem er die Arbeit der rechtſchaffenen nuzt, wider die unredlichen ſich ſelbſt ſchüzt ,
klug in der Unter
nehmung, im Rückzug nicht unbereitet iſt; die Gele genheiten in Acht nimmt, wider die Hinderniße ent Kr 4 ſchloßen
696
->
,
-
ſchloßen iſt: und mehr dergleichen beobachtet, welche die Regierung der Handlungen und Schritte ſeiner ſelbſt betreffen. Aber die andere Art iſt ganz aus Betrügerey und Argliſt zuſammen geſezt, und ſezt ihre Hofnung gänzlich darein, andere zu hintergehen und -ſie nach Gefallen zu lenken. Dieſe verwirft die Pa rabel mit Recht, nicht nur als gottlos, ſondern auch
als närriſch.
Denn erſtlich iſt ſie gar keine von den
jenigen Sachen, die in unſerer Gewalt ſind
auch
ruht ſie auf keiner andern beſtändigen Regel; ſondern es ſind beſtädig neue Schliche zu erdenken, wenn die erſteren abgenuzt und unzulänglich ſind. Zweytens,
wer einmal in den Ruf eines tückiſchen und argliſtigen Menſchen ſteht, hat ſich eines vorzüglichen Werkzeugs
zur Führung der Geſchäfte gänzlich beraubet, das iſt der Treue: und demnach wird er erfahren, daß alles mit ſeinen Wünſchen wenig übereinſtimmt. Zulezt werden dennoch dieſe Künſte, ſo ſchön ſie auch ſcheinen,
und gefallen mögen öfters vergeblich, wie Tacitus wohl bemerkt hat: liſtige und kühne Anſchläge ſind
der Erwartung nach frölich, der Behandlung nach hart, dem Ausgang nach traurig. -
3. Parabel Seye nicht allzu gerecht,
noch
allzuweiſe; warum
willſt du plözlich davon?
Erklärung. Es
gebt Zeiten,
wie Tacitus ſagt, in welchen
großen Tugenden der gewißeſte Untergang bereitet iſt, -
Und
&-Fººd
697
Und dies trift Männer von vorzüglicher Tugend und Gerechtigkeit, bisweilen plözlich, bisweilen lange vorher
geſehen. Wenn auch die Klugheit hinzukommt, das iſt, daß ſie vorſichtig ſind, und auf das eigene Wohl wachen, alsdann gewinnen ſie dieſes, daß ihr Unter
gang aus verborgenen und ganz dunklen Anſchlägen plözlich kommt, wodurch ſowohl der Neid vermieden wird, als auch das Verderben ſie unbereitet angreift. Was aber jenes allzuviel, wovon in der Parabel die Rede iſt, anbetrift, indem es nicht die Worte eines Perianders, ſondern des Salomo ſind, der das üble im menſchlichen Leben öfters bemerkt, niemals gebie tet; ſo iſt nicht von der Tugend ſelbſt, in welcher es
kein zuviel giebt, ſondern von der eitlen und neidiſchen Prahlerey und Nachäffung derſelben zu verſtehen. Etwas gleiches deutet Tacitus von dem Lepidus an, indem er es für ein Wunder hält, daß er niemals der Verfaßer eines ſclaviſchen Spruches geweſen, und
dennoch in ſo grauſamen Zeiten unverſehrt geblieben wäre: wir haben, ſagt er, darüber nachgedacht, ob dieſes von dem Schickſal regiert werde, oder auch in unſerer Gewalt ſey, einen gewißen mittlern Gang
zwiſchen einem abgeſchmackten Gehorſam, und einem
gähen Troz zu halten, wobey man von Gefahr und Unwürdigkeit gleich entfernt iſt,
-
32. Parabel. Gieb dem Weiſen Gelegenheit, und ſeine Weis heit wird zunehmen, Kr 5
Erklä
&SÄd
698
Erklärung. Die Parabel unterſcheidet zwiſchen jener Weis,
heit, welche in eine wahre Fertigkeit erwachſen, und reif geworden iſt und zwiſchen jener, welche nur in dem Gehirn und in dem Sinn ſchwebt, oder durch prahleriſches Reden gezeigt wird, aber keine tiefe Wurzeln geſchlagen hat. Indem die erſtere bey gege, bener Gelegenheit,
wo ſie ſich zeigen kann, alsbald
ermuntert, gerüſtet, erweitert wird, ſo daß ſie ſich ſelbſt zu übertreffen ſcheint: die leztere aber, welche vor der Gelegenheit muthig war, wird bey gegebener
Gelegenheit beſtürzt und verwirrt, daß ſie auch derje nige ſelbſt, der ſich damit begabt glaubte, in Zweifel
zieht, ob die Vorbegriffe davon nicht lautere Träume, und unnüze Grübeleyen geweſen? 33. Parabel.
Wer den Freund mit lauter Stimme lobt, indem
er früh aufſteht, das wird jenem ein Fluch ſeyn. Erklärung.
Gemäßigte, und bey ſchicklicher Zeit und Gele genheit vorgebrachte Lobſprüche, ſind dem guten Ruf und auch dem Glück der Menſchen ſehr zuträglich:
aber unmäßige, mit Geräuſch und Ungeſtümm ausge ſchüttete, nuzen nichts: ja ſie ſchaden vielmehr dem Sinn der Parabel gemäß ,
nachdrücklich.
Denn
erſtlich verrathen ſie ſich offenbar , daß ſie entweder aus einer allzugroßen Gunſt entſtanden,
oder mit Vorſaz
&SFRd Vorſaz erzwungen ſeyen;
699
wodurch man das gelobte
vielmehr mit falſchen Erhebungen belegt, als mit wahren Zueignungen ſchmücket. Zweytens ſparſame und beſcheidene Lobſprüche muntern ſchier die gegen wärtigen auf, daß ſie auch etwas darzu ſezen; da hingegen verſchwendete und unmäßige verurſachen, daß
man etwas hinweg nimmt und abzieht.
Drittens,
und das die Hauptſache iſt, wird demjenigen Neid erregt, welcher allzuſehr gelobt wird: da alle allzu große Lobſprüche auf die Schmach anderer, die nicht weniger verdient ſind, abzuzielen ſcheinen.
34. Parabel. Wie das Angeſicht im Waßer wiederſcheinet: ſo
ſind die Herzen der Menſchen den Klugen offenbar.
Erklärung. Die Parabel unterſcheidet zwiſchen den Gemü thern der klugen, und der übrigen Menſchen; indem ſie jene mit den Waßern oder Spiegeln vergleicht, welche die Geſtalten und Bilder der Dinge aufneh men:
da die andere der Erde oder einem unpolirten
Stein gleich ſind, an welchen nichts zurückgeworfen wird. Und das Gemüth eines klugen Menſchen wird deſto ſchicklicher einem Spiegel verglichen, als in einem
Spiegel das eigene Bild, mit den Bildern anderer betrachtet werden kann:
welches den Augen ſelbſt
nicht ohne den Spiegel erlaubt iſt. Wenn das Ge müth eines klugen ſo fähig iſt, daß es unzählige Ge müthsarten und Sitten beobachten und unterſcheiden kann;
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kann
ſo iſt
noch übrig, daß man Mühe anwende, damit es nicht wen ger nannigfaltig in der Behand -
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lu g als in der Darſtellung ſey; wer weiſe iſt, wird
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zu unzähligen Sitten geſchickt ſeyn.
Und nun haben wir uns vielleicht mit dieſen Parabeln des Salbmo allzulange für die Art eines
Beyſpieles aufgealten; allein die Würde der Sache ſelbſt und des Verfaßers hätten es noch länger ver
dient.
Doch war es nicht allein bey den Ebräern
in Gebrauch, ſondern auch ſonſten unter den weiſen
der alten Völker ſehr gemein, daß wann jemand ſeine Beobachtung auf etwas gerichtet hatte, welches dem gemeiner leben dienlich geweſen war, er ſolches in einen
kurzen Spruch, oder in eine Parabel, oder auch in eine Fabei brachte und zuſammen zog. Allein, was die Fiben anoetriſt, ſo ſind ſie wie anderswo geſagt worden iſt, ehmals die Stellvertreter und Erſezungen
der Beypiele geweſen: jezt aber, da wir durch die
Länge der Zeit einen Vorrath an Geſchichten haben, ſo wird ſolcher weit befier und munterer zu einem belebten Iveck verwendet.
Aber
die ſchiflichſte
Schreibart, welche einem ſo mannigfaltigen und viel, fachen Innhalt, wie derjenige von Geſchäften und zerſtreuten Gelegenheiten iſt, am beſten zukommt, wäre
diejenige, welche Machiavel zur Bearbeitung politiſcher
Sachen gewählt hat; neinlich durch Beobachtungen, -
oder durch ſogenannte Unterredungen über die Ge ſchichte und Beyſpiele. Dann die Wißenſchaft, welche
neu, und gleichſam unter unſerem Zuſauen, aus be ſo deren Dingen entwickelt wird,
kennet den Weg
am beſten, das beſondere aufs neue zu wiederholen: -
und
-*
X
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701
und es dient allerdings weit mehr zur Uebung, wann
die Unterredung oder Beſtreitung unter dem Beiſpiel ſteht, als wann der Beſtreitung erſt das Beyſpiel beygefügt wird. Dann hier wird nicht bloß auf die Ordnung, ſondern auf die Sache ſelbſt geſehen. Dann wenn das Beyſpiel als die Grundlage der Beſtreitung
angenommen wird, ſo pflegt es mit dem ganzen Vor rath der Umſtände vorgetragen zu werden, als welche die Unterredung bisweilen verbeſſern, bisweilen erſezen,
daher ein Muſter zur Nachahmung und zur Ausübung daraus entſteht: wo im Gegentheil aber die zu Gunſt der Beſtreitung angeführte Beyſpiele, zuſammengezo gen und einfach, gleichſam als Sclaven angeführt werden, ſo beobachten ſie nur die Winke der Be ſtreitung.
Es wird aber der Mühe werth ſeyn hier anzu merken, daß gleichwie die Geſchichten der Zeiten die
beſte Materie zu Unterredungen über politiſche Dinge, ſo wie diejenige des Machiavels ſind abgeben; eben alſo auch die Geſchichten der Lebenswandeln am beſten zu den Lehrſäzen von den Geſchäften gebraucht wer
den; weilen ſie alle Mannigfaltigkeit der Gelegenheiten und Geſchäfte, ſowohl der großen als der geringern, in ſich begreiffen.
Ja es iſt noch eine Grundlage zu den Lehrſäzen von den Geſchäften zu finden, die weit bequemer, als jene beyde Arten Geſchichte ſind: es iſt dieſe, daß Unterredungen über Briefe, die aber etwas klug und
ernſthaft ſeyn müßen, als wie die des Cicero an den Atticus und andere ſind, angeſtellet werden. -
-
Indem die
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&SFRd
die Briefe mehr in der Nähe und nach dem Leben, die Geſchäfte darzuſtellen pflegen, als die Zeit- und die Lebens, Beſchreibungen. Nun haben wir alſo ſo,
wohl von der Materie, als der Form des erſten Theiles der Lehre von Geſchäften, welcher die zer ſtreuten Gelegenheiten behandelt, genug geſagt; und wir zählen ihn unter das Vermißte. Es giebt aber noch einen andern Theil eben dieſer Lehre, welcher von jenem erſten, von dem wir geredet haben, um
ſo viel verſchieden iſt, als weiſe ſeyn, und für ſich ſelbſt weiſe ſeyn, verſchieden ſind. Denn die eine ſcheint ſich gleichſam von dem Mittelpunct zur Peri,
pherie, die andere gleichſam von der Peripherie zum
Mittelpunct zu bewegen.
Denn es giebt eine gewiße
Klugheit, Rach zu ertheilen, und eine andere ſeinen eigenen Sachen wohl vorzuſtehen: und dieſe werden bisweilen mit einander verbunden,
öfters getrennet.
Denn es giebt viele, die in Einrichtung ihrer eigenen Umſtände ſehr klug ſind, welche aber dannoch in Ver waltung des Staates, oder auch im Rathgeben nichts vermögen: der Ameiſe gleich: welche ein weiſes
Geſchöpf um ſich ſelbſt zu ſchüzen, dem Garten aber allerdings ſchädlich iſt. Dieſe Tugend für ſich weiſe zu ſeyn, iſt ſelbſt den Römern, dieſen dannoch ſo vortreflichen Pflegern des Vaterlandes, nicht unbe
kannt geweſen:
daher auch der Dichter ſagt:
Weiſer bildet ſich ſein Glück ſelbſt.
ein
Ja es iſt auch
bey ihnen zum Sprüchwort geworden,
ein jeder iſt
der Schmid ſeines eigenen Glücks.
Und Livius
eignet eben dieſe Tugend dem Cato zu: dieſer Mann hatte eine ſo große Geiſtes- und Seelen Stärke, daß er an jedem Ort, wo er auch gebohren geweſen wäre, ſich A
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-
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ſich ſelbſt ſein Glück gemacht haben würde. Dieſe Gattung Klugheit, wann einer ſich ſelbſt rühmet, und öffentlich mit ſich prahlt,
iſt nicht nur immer für
unpolitiſch, ſondern auch für etwas unſeeliges und unglückliches gehalten worden: wie an Timotheus dem Athenienſer beobachtet worden iſt: welcher nach, dem er viele vortrefliche Thaten zur Ehre und zum Nuzen ſeiner Bürgerſchaft verrichtet hatte, und dem Volk wie es damals üblich war, von ſeiner Verwal,
tung Rechenſchaft ablegte, jede einzele Begebenheiten mit dieſem Schluß geſchloßen hat: und hieran hat das Glück keinen Theil gehabt. Aber es hat ſich ereignet,
daß ihm nach dieſer Zeit niemals etwas geglückt hat. Auf dieſes allerdings allzu aufgeblaſene und ſtolze Be tragen zielt auch jener Ausſpruch des Ezechiels vom
Pharao: du ſagſt, der Fleiß iſt mein, und ich habe mich ſelbſt gemacht; oder jener des Propheten Ha bacuc: ſie trozen auf ihr Nez und opfern demſelben; oder auch jener des Poeten, von dem Götter-Veräch,
ter Mezentius: in meiner Rechten ſollen Gott und der Pfeil den ich jezt abwerfe, ſeyn. Endlich hat
Julius Cäſar niemals wie ſchon erinnert eine Schwach, heit ſeiner heimlichen Gedanken verrathen, als durch einen ähnlichen Ausſpruch: denn da ihm der Prieſter berichtete, daß die Eingeweide nicht gut gefunden worden ſeyen, hat er leiſe hingemurmelt: ſie werden beßer ſeyn wann ich will. Welcher Ausſpruch auch
dem Unglück ſeines Todes nicht lange vorher gegangen iſt.
Allein dieſes Uebermaaß der Zuverſicht iſt, wie
wir geſagt haben, eine ebenſo unglückliche als gottloſe
Sache daher es auch großen und wahrhaftig weiſen Männern gut gedeucht, jede geſegnete Erfolge ihrem W
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794
Glück,
nicht der Tugend, oder dem Fleiß zuſchrei
ben*): dann auch Sylla hat ſich den glücklichen, nicht den großen genennet; und Cäſar hat beßer als
oben zum Steuermann geſagt: du führſt den Cäſar und ſein Glück. **)
Wann jedoch dieſe Sprüche:
ein jeder iſt der Schmidt ſeines eigenen Glücks; ein Weiſer wird über die Geſtirne herrſchen; der Tugend iſt kein Weg unwegſam, und dergleichen; vielmehr
für Anſpornungen zum Fleiß, als für Bügel des Stolzes, *) Anmerk. des Ueberſ. Dieſe weiſen und tugendhaften Männer haben doch hierinneike Schwachheit begangen,
denn nicht das Glück, ſondern die Tugend und der Fleiß müßen einen rechtſchaffenen Mann beſeelen, und er muß es wißen, und andern ſagen dürfen, daß dies die Mittel
ſind, die ihn glücklich gemacht haben, und die überhaupt das Glück der Welt gründen, weil ſie die Wege ſind, die der Herr der Natur in ſeinen Geſezen zum allgemeinen
Wohl vorgezeichnet hat; denn nur ein Schwärmer kann außer dieſen Wegen zum Ziel kommen wollen, und mo
raliſche Wunder erwarten, welche die Gottheit eben ſo ſehr verweigert, als die phyſiſchen.
**) Anmerk. destleberſ. Auch dieſer Ausſpruch des Cäſars entſtund von keinem Vertrauen auf das Schikſal, oder auf äußerliche Dinge, ſondern von einer Erhaben,
heit des Geiſtes, die den Gefahren Tröz bietet, und von einem Muth,
der in der Stunde der Roth fühlt,
daß er ſchon ähnliche Gefahren überſtanden, und alſo hat hier Cäſar den nemlichen Geiſt wie oben beym Be richt des Prieſters von den Eingeweiden gezeigt, wo er frey von der Kette des Aberglaubens ſeinen Handlungen mehr Einfluß in den guten oder ſchlechten Erfolg ſeines :
Plans, als dem nnter der Decke der Religion verhüllten Wahnſinn zuſchrieb. *
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7o.
Stolzes, angeſehen und gebraucht werden, und damit ſie deſtomehr die Beſtändigkeit und die Stärke der Entſchlüße erzeugen; ſo ſind ſie allerdings als geſund
und heilſam anzuſehen, und haben ohne Zweifel in der Bruſt großmüchiger Menſchen einigen Siz genom men, und zwar ſo weit, daß ſie dergleichen Gedanken bisweilen ſchwer verleugnen. Dann wir ſehen, daß
der Käyſer Auguſt, welcher mit ſeinem O9ein vers glichen, vielmehr von ihm verſchieden als unter ihm,
aber allerdings ein etwas mehr beſcheidener Mann ge weſen, am Ende ſeines Lebens ſeine Freunde die um ſein Bett ſtunden gebetten, daß ſie bey ſeinem Aoſter
ben ihm zuklatſchen möchten, daß er das Schauſpiel des Lebens geſchickt ausgeführt habe; wie er ſich deßen auch bewußt zu ſeyn glaubte,
Auch dieſer Theil der Lehre oder Gelehrſamkeit iſt unter das Vermißte zu zählen: nicht dießfalls, weil ſie nicht in der Ausübung,
auch mehr als zu
viel, gebraucht und benuzt wird; ſondern weil die Bücher davon ſchweigen. Wir wollen alſo unſerer
Gewohnheit nach, wie in dem erſteren einige Haupt ſachen davon anführen: und ihn den Schmidt des Glücks , oder wie wir geſagt haben, die Lehre von dem Bewerben im menſchlichen Leben nennen. Aber den erſten Anblick nach werde ich einen gewißen neuen
und ungewöhnlichen Innhalt abzuhandlen ſcheinen: indem ich die Menſchen lehre, wie ſie die Schmidte ihres Glücks werden können, eine Lehre, zu der ſich gewiß ein jeder gerne als Schüler bekennen wird, der die Schwierigkeit derſelben eingeſehen hat. Denn dasjenige iſt nicht geringer J) y
oder weniger
oder min HEP
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der ſchwer, was zur Verſchaffung des Glücks erfordert wird, als dasjenige was zur Tugend gehört : und es iſt eine eben ſo ſchwere als ernſtliche Sache, ein
wahrhaft weltkluger Mann, als ein wahrhaft tu genchafter Mann zu werden. Nun trägt aber die Abhandlung dieſer Lehre ſehr viel ſowohl zur Zierde als zur Wichtigkeit der Wißenſchaften bey.
Denn es
betrift beſonders die Ehre der Wißenſchaften,
daß
dieſe mit Welthändeln beſchäftigte Menſchen wißen,
daß die Gelehrſamkeit keineswegs einem Vögelchen, wie die Lerche iſt gleich ſey, welche ſich in die Höhe zu machen und durch Singen zu ergözen pflegt; aber nein: ſie weiß auch gleich jenen Stoßvögeln die in der
Höhe fliegen, und bisweilen, wenn es ihren Nuzen betrift, herabfliegen, und die Beute ergreifen, ſich zu verhalten. Hernach gehört es auch zur Vollkommen heit der Wißenſchaften ſelbſt, weil die ächte Richt ſchnur einer rechtmäßigen Unterſuchung die iſt, daß nichts in dem Ball der Materie gefunden werde,
was nicht etwas paralleles in dem kryſtalliniſchen Ball, oder dem Verſtande habe. Das iſt, daß nichts in die Praxis komme, davon nicht auch einige Lehre und Theorie vorhanden ſey. Dannoch bewundern oder
ſchüzen die Wißenſchaften dieſe Baukunſt des Glückes ſelbſt nicht anderſt, als wie ein gewißes Werk von niederer Gattung. Denn Niemanden kann das eigene
Glück auf einige Weiſe als eine würdige Vergeltung für das ihm von Gott zugeſtandene Geſchenk ſeyn. Ja es geſchieher auch nicht ſelten, daß vorzüglich tugendhafte Männer ihrem Glück freywillig entſagen,
um ſich mit höheren Dingen zu befaßen. iſt das Glück,
Dennoch
inſofern es ein Werkzeug der Tugend Und
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und des Verdienſtes iſt, auch einer Betrachtung und eigener Lehre würdig. Zu dieſer Lehre gehören einige Hauptregeln, und einige die zerſtreut und mannigfals
tig ſind.
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Die Haupfregeln beſchäftigen ſich mit der
wahren Kenntniß ſeiner ſelbſt und anderer. Zur erſten Regel alſo, worinn die Hauptſache von der Kennniß anderer beſtehet, mache man jene, nuch der wir uns ſo viel als möglich jenes Fenſter verſchaffen ſollen, welches ehemals Momus erfordert hat. Als dieſer in den Bau des menſchlichen Herzens ſo viele Winkel
und Ecken erblickt hatte, ſo hat er das getadelt, daß ein Fenſter mangelte, durch welches man in jene
e,
der
dunkle und krumme Biegungen einſchauen könnte. Dies ſes Fenſter aber werden wir erlangen, wann wir uns mit allem Fleiß von den Perſonen mit welchen wir zu thun haben, ihren Eigenheiten, Umſtänden, Ge müchsbeſchaffenheiten, Begierden, Endzwecken, Sitten/ Unterſtüzungen und Beyſtänden, ferner von den Män
geln und Schwachheiten, denen ſie am meiſten unter
worfen ſind, den Freunden, Partheyen, Patronen,
Clienten weiter ihren Feinden Neidern, Mitwerbern, auch den Zeiten und Zugängen nach dem Ausſpruch
des Dichters: du allein kennſt die weichen Zugänge
und Zeiten des Mannes: endlich von ihren Anſtalten und Einrichtungen die ſie ſich gemacht haben, und von dergleichen den gehörigen Unterricht erwerben und
verſchaffen.
Ja man muß ſich auch nicht allein von
den Perſonen unterrichten, ſondern überdies von den beſondern Vorgängen und Handlungen, welche von Zeit zu Zeit in Bewegung, und gleichſam unter dem
Amboß ſind : wie ſie geführt werden und von ſtatten gehen, durch welcher Bemühungen ſie unterhalten, .
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703
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von welchen ſie beſtritten werden,
von welchem Ge
wicht und Anſehen ſie ſind, und was ſie mit ſich füh ren, und dergleichen. Denn die gegenwärtigen Hºnd
lungen zu kennen, hat auch überdies die Kenntniß der wird. Dann die
nuzt an ſich ſelbſt ſehr viel; als das an ſich, daß ohne dieſes auch Perſonen ſehr trügeriſch und irrig Menſchen werden zugleich mit den
Handlungen verändert:
und ſie ſind anderſt, indem
ſie in den Handlungen ſelbſt verwickelt und befindlich ſind: anderſt, wann ſie wieder in der vorigen Ver faßung ſind. Und dieſe Unterrichtungen von den be
ſondern Umſtänden,
welche ſowohl die Perſonen als
die Handlungen betreffen, ſind gleichſam die Unterſäze
in jeder thätigen Schlußformel. Denn keine Wahrheit oder Vortrefflichkeit der Beobachtungen oder Grundſäze, woraus die politiſchen Oberſäze gemacht werden, kann
zur Gründung des Schlußes hinreichen, wann in dem Unterſaz gefehlt worden iſt.
Daß aber eine ſolche
Kenntniß verſchaft werden könne, davor iſt uns Sas
lomo Bürge, welcher ſagt, der Rath in dem Herzen eines Mannes, iſt wie ein tiefes Waßer, aber ein kluger Mann wird es ausſchöpfen. Obwohl nun die Kenntnis ſelbſt keine Soche für die Regel iſt, weil ſie jede Einzelen betrift; ſo können doch Vorſchriften in
Abſicht ihrer Entwicklung mit Nuzen gegeben werden. Die Kenntnis der Menſchen kann auf ſechs Arten entwickelt und geſchöpft werden: durch das Angeſicht und das Aeußere derſelben, durch die Worte, durch
die Thaten, durch ihre Gemüthsarten, durch ihre Ab ſichten, endlich die Nachrichten anderer.
Was das
Angeſicht anbetrift, ſo bewegt uns das alte Sprichwort nicht:
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-
709
nicht: die Stirne verdient keinen Glauben; denn ob wohl dieſes ſelbſt nicht fälſchlich geſagt iſt, inſofern
es die äußerliche und allgemeine Darſtellung des An geſichtes und der Geberden anbetrift, ſo giebt es doch
gewße feinere Bewegungen und Arbeiten der Augen, des Mundes, des ganzen Geſichtes, und der Geber dung: durch welche, wie Q. Cicero ganz artig ſagt
gleichſam eine Thüre des Gemüths aufgeſchloßen und eröfnet wird. Wer war zurückhaltender als der Kayſer Tiberius? aber Tacitus, wenn er die Art und Ver ſchiedenheit des Ausdrucks im Sprechen bemerkt, deren
ſich Tiberius bedient hat, wenn er bey dem Senat die Thaten des Germanicus und Druſus lobte, ſpricht in Abſicht der Lobſprüche auf den Germanicus
- alſo: er ſprach mehr mit gekünſtelten Worten, als daß er es ganz zu fühlen ſchien. In Abſicht des Lobes des Druſus alſo: er faßte ſich kürzer, aber nach drücklicher und offen.
Ferner ſagt Tacitus,
wenn
er eben dieſen Tiberius als bisweilen mehr heraus lafend beſchreibt: manchmal brauchte er gleichſam ängſtliche Worte; er redete aber freyer, wann er helfen Mit
wollte.
ſt
und erfahrner Meiſter in der Verſtellungs- Kunſt ge
Allerdings mag ſchwerlich ein ſo geſchickter
n
funden, oder ein ſo gezwungenes, und wie jener ſpricht
ſ,
ein ſo anbefohlnes Angeſicht gefunden werden, welches von der künſtlichen und verſtellten Rede dieſe Merkmale trennen fänn, daß nicht entweder die Rede fließender
als gewöhnlich, oder umſchweifender und unſtäter, oder trokener, und gleichſam ängſtlich ſey. Was die Worte der Menſchen anbetrift, ſo ſind ſie zwar, wie
die Aerzte von dem Urin ſagen, verführeriſch.
Aber
dieſe verführeriſche Schminke nimmt man am beſten My 3
auf
7 Io
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auf zwey Arten wahr, wann nemlich die Worte entweder unverſehens, oder in einer Beunruhigung vorgebracht werden. Alſo hat Zbertus, als er durch die angreifende Worte der Agrippina plözlich gerührt und etwas hingerißen worden, ſich außer die Grenzen
der angebohrnen Verſtellung geſezt, und dieſes gehörte ſagt Tacitus hat die ſeltene Stimme des verborgenen Herzens entwickelt, er auch die erhaſchte mit einem griechiſchen Vers erinnert; ſie werde diesfalls beleidi
get, weil ſie nicht regierte.
Daher der Dichter der
gleichen Beunruhigungen nicht unſchicklich Torturen nennt, weil die Menſchen durch ſie gezwungen werden, ihre Geheimniße zu verrathen; nach dem Ausſpruch: Wein und Zorn haben ihn gepreßt. Selbſt die Er
fahrung bezeugt allerdings, daß ſehr wenige gefunden werden, welche gegen ihre Geheimniſſe ſo getreu ſind, und ein ſo veſtes Gemüth haben, daß ſie nicht bis weilen aus Zorn, bisweilen aus Ruhmſucht, bisweilen
aus innigſter Neigung gegen einen Freund, bisweilen aus Schwäche der Seele, welche die Laſt der Gedan ken nicht mehr zu tragen vermag, endlich bisweilen aus einem andern gewißen Affect, die innigſten und
geheimſten Gedanken offenbaren und mittheilen. Und vor allem ſchüttet ſich der Buſen der Seele aus, wann eine Verſtellung die andere treibt; nach jenem ſpanniſchen Sprichwort: ſage eine Lüge, und du wirſt die Wahrheit herausbringen. Ja auch ſelbſt den Thaten, ob ſie gleich die ſicherſten Pfänder der menſchlichen Seele ſind,
iſt
jedoch nicht gänzlich zu trauen, wo man nicht ſorgfäl
tig und aufmerkſam ſowohl ihre Größe als Eigenſchaft zuvor
&SFRd zuvor überlegt hat.
71 I
Denn dies iſt ſehr wahrhaft:
der Betrug macht ſich im kleinen treu, damit er bey
einen größeren Vortheil betrüge. glaubt,
Der Italiäner aber
daß er ſelbſt auf dem Stein ſtehe wo der
Ausrufer ausruft, wenn er ohne offenbare Urſache Dann jene beßer als gewöhnlich behandelt wird. kleinern Dienſterweiſungen ſchläfern gleichſam die Mens ſchen ein, und machen ſie ſowohl in Abſicht der Vorſicht als der Bemühung ſorglos: und werden mit Recht von dem Demoſthenes Nahrungsmittel der Trägheit genennet. Ferner mag man auch die Eigen ſchaft und Natur einiger Thaten, die ſonſten vor freundſchaftlich gehalten werden, und doch boshaft und zweydeutig ſind, deutlich aus jener erkennen, mit
welcher zuerſt Mutianus den Antonius hintergangen hat: welcher nach ſeiner Verſöhnung mit dieſen, aber unter ſehr verſtellter Bosheit, die meiſten von den Freunden des Antonius zu Würden erhoben, und zugleich ſeinen Freunden Landpfleger - und Tribunen Stellen ertheilt hat. Durch dieſe iſt aber hat er den Antonius nicht beſchüzt, ſondern gänzlich entwafnet un) verlaßen gemacht, indem er deßen Freundſchaften an ſich ſelbſt zog.
Der gewißeſte Schlüßel zur Eröfnung der Ge
mücher der Menſchen beſteht aber darinn, daß man ſich Mühe giebt , entweder die Gemüthsarten und Natur, Beſchaffenheiten, oder die Endzwecke und Ab Und allerdings ſichten derſelben kennen zu lernen. werden die ſchwächern und einfältigern aus den erſtern,
nemlich den Gemüthsarten und Natur, Beſcha enhei ten;
die klügern verdecktern aber aus den leztern, WILPUs M y 4 /
-Fººd
7 I2
nemlich den Endzwecken und Abſichten am beſten er kannt und beurtheilet.
Gewiß ſehr artig und fein,
of wohl nºch meinem Urtheil minder wahr iſt der Aus
ſpruch eines gewiſſen päbſtlichen Geſandten bey ſeiner Zurückkunft von ſeinem Poſten auf die Frage welchen
Nachfolger man wählen ſolle, in dieſer Antwort ge weſen: man möchte keinen vorzüglich,
ſondern nur
einen mittelmäßig klugen Mann abſchicken, weil von
den Klägern keiner leicht muchmeißen dürfte,
was
jenes Volk wahrſcheinlicher Weiſe unternehmen
würde.
Allerdings iſt ſolche Irrung nicht ſelten gewöhn
ſich, und hauptſächlich klugen Männern gemein, daß ſie nach dem Maaß ihres eigenen Kopfes andere meßen, und diesfalls öfters weit über das Ziel ſchießen, in den ſie vermuchen, daß die Menſchen weit größere Dinge dencken und ſich vornehmen, und weit feinere
Künſte gebrauchen, als jemals in ihren Sinn gekom
men ſind. Welches auch ein italiäniſches Sprichwort ſehr artig andeutet, nach welchem es heißt: vom Geld,
der Klugheit, der Treue findet man immer kleinere Summen, als man glaubte.
Daher bey leichtſinniges
ren Menſchen, weil ſie viel abgeſchmacktes thun, die
Vermuchung vielmehr nach den Neigungen der Ge mühsarten, als nach den Beſtimmungen der Endzwecke
zu nehmen iſt. Ferner werden auch die Fürſten und die Vornehmern, aber wegen einer ganz andern Ur ſache, am beſten nach den Gemüthsarten beurteilt: die Privat, Leute aber nach den Endzwecken. Dann die Fürſten haben den Gipfel der menſchlichen Wünſche erreicht, und beynahe haben ſie keine ſich vorgeſezte
Endzwecke, nach welchen ſie vornehmlich heftigbeſtän º
713
&SFRd
beſtändig trachten: und es kann alſo auch keine Rich tung und Leitung ihrer übrigen Handlungen nach der
Lage und Entfernung ihrer Abſichten aufgenommen und ins Werk geſezt werden;
welches unter andern
auch eine hauptſächliche Urſache iſt, daß ihre Herzen, wie die Schrift ſpricht, unerforſchlich ſind. Aber uns ter den Privatleuten giebt es keinen, der nicht aller dings wie ein Wandersmann ſey, welcher zweckmäßig
auf ein gewißes Ziel der Reiſe losgehet, wo er ſtehen bleibt: daher wir nicht übel muthmaßen können, was
er thun werde, oder nicht thun werde. Dann wenn etwas der Ordnung nach zu ſeinem Zweck dient, ſo
iſt wahrſcheinlich, daß er es thun wird: wo es aber
zum Gegentheil ſeiner Abſicht gereicht, er ſolches uns terlaßen wird.
Aber nicht nur blos einfach muß man
ſich von der Verſchiedenheit der Endzwecke und Ge müthsarten der Menſchen unterrichten,
ſondern auch
vergleichungsweiſe: was nemlich herrſchend ſey
und
das übrige bezwinge? ſo ſehen wir, daß Tigellinus, als er ſich unter dem Petronius Turpilianus als Diener der Wollüſte ſeines Herrn des Nero zu ſeyn
fühlte,
die Furcht des Nero,
wie Tacitus ſagt,
benuzt hat ſeinen Nebenbuhler wirklich zu ſtürzen.
Was die Kenntnis der Menſchen und ihrer Ge müther ſo zu reden von dem zweyten Orte, oder durch den Bericht anderer anbetrift, ſo wird es hin länglich ſeyn, nur ganz kurz davon zu reden.
Die
Mängel und Laſter lernt man am beſten von den Feinden: die Tugenden und Fähigkeiten von den Freunden:
die Sitten und Zeiten von den Haußbe
dienten: die Meinungen und Gedanken von den ver Py 5
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714
SFTD
trauteſten Geſellſchaftern.
Das gemeine Gerüchte iſt
nicht gegründet genug, und die Urtheile der Obern ſind mit der gewiß: denn vor denſelben gehen die Menſchen verdeckter einher; der wahrhaftere Ruf kommt von den Haußgenoßen.
Was aber jene allgemeine Erforſchung anbelangt; Erſtlich,
ſo beſteht der kürzeſte Weg in dreyerley.
daß wir viele Verbindungen mit ſolchen Menſchen eingehen, welche eine vielfache und mannigfaltige Kenntnis ſowohl von Sachen als Perſonen haben: beſonders aber iſt darauf zu ſehen, daß wir wenigſtens einzele jedesmal haben welche nach Verſchiedenheit der Geſchäfte und Menſchen uns von jeder Sache ver
geößern und gründlich unterrichten können.
Zweytens,
daß wir eine kluge Mäßigung und eine gewiße Mit
telmäßigkeit behaupten, ſowohl in der Rede, als in der Verſchwiegenheit;
Freyheit der
daß wir öfterers
die Freyheit brauchen, aber wann es die Sache
for Denn die Freyheit im
dert, auch Stillſchweigen,
Reden reizt und lockt auch andere / daß ſie gleiche Freyheit gegen uns gebrauchen, und ſo bringt ſie vieles zu unſerer Kenntnis: aber die Verſchwiegenheit erwekt
Vertrauen, und verurſachet daß die Menſchen gerne
ihre Geheimniße bey uns als in
einem Schooß nie
derlegen. Drittens/ müßen wir nach und nach dieſe
Fertigkeit erlangen, daß wir
mit wachſamen und ges
genwärtigem Geiſt in allen Geſprächen und Handlun gen, zugleich die vorhandene Sache führen, als auch das andere was dabey einſchlägt, beobachten. . Dann wie Epictet lehret, daß der Philoſoph bey jeden ein
zelen Handluugen alſo mit ſich ſpreche; ich will ſowohl -
-
-
dieſes
&SFs d
715
dieſes, als auch das Geſez halten; eben ſo muß der Politiker bey einzelen Geſchäften bey ſich beſchließen: ich will ſowohl dieſes, als auch etwas lernen, was mir in Zukunft nuzen kann. Diejenigen alſo, welche
von der Art ſind, daß ſie nur das thun, und ganz in das gegenwärtige Geſchäft, welches ſie unter Hän den haben, verſinken ſind, an das aber was dar zwiſchen kommt, nicht einmal denken, wie ſolches Montaneus an ſich erkennt, ſind gewiß die beſten
Diener der Könige oder Staaten,
Glück überſehen ſie.
aber ihr eigenes
Indeßen müßen wir vor allem
Vorſicht anwenden, daß wir die allzugroße Munterkeit und Betriebſamkeit zurückhalten, damit wir uns nicht d: rch viles Wiſſen in viele Dinge einmiſchen. Denn es iſt was unglückliches und vermeßenes un die Viel
miſcherey (polypragnoſyne). Alſo geht jene Mannig faltigkeit der Kenntnis von Sachen und Perſonen,
die wir zu erwerben lehren, nur dahin, daß wir mit beßerer Beurtheilung ſowohl die Wahl der Dinge, die wir unternehmen, als auch der Menſchen, deren Ar beit wir brauchen, treffen mögen, wodurch wir alles
ſowohl ſicherer,
als auch geſchickter anzuordnen und
zu verwalten wißen.
Auf die Kenntnis anderer folgt die Kenntnis ſei, ner ſelbſt. Denn es iſt kein geringerer Fleiß, ſondern vielmehr ein größerer anzuwenden, daß wir uns von
uns ſelbſt als wie von andern wahrhaft und genau
unterrichten.
Daß demnach jener Haupt - Spruch:
kenne dich ſelbſt, nicht nur eine Regel der allgemeinen Klugheit iſt, ſondern auch in politiſchen Dingen einen
vorzüglichen Plaz einnimmt. Denn ſehr wohl erinnert >.
der
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der heilige Jacobus die Menſchen, daß derjenige, welcher ſein Angeſicht im Spiegel beſchauet habe, doch alsbald vergeße, wie er geſtaltet ſey: daß man alſo ein öfteres Beſchauen nöthig hat. Dies findet auch in politiſchen Dingen ſtatt. Aber nur die Spiegel ſind verſchieden: denn der göttliche Spiegel, in welchem wir uns beſchauen müßen, iſt das Wort Gottes: der politiſche Spiegel aber iſt nichts anders, als der Zu ſtand der Dinge und Zeiten in welchen wir leben.
Der Menſch muß alſo eine genaue Unterſuchung und keine ſolche, wie die eines Menſchen iſt der ſich
zu ſehr liebt, über ſeine eigenen Fähigkeiten, Tugen den und Unterſtüzungen, wie auch über ſeine Mängel, Fehler, und Hinderniße anſtellen, und ſo die Rechnung ziehen, daß dieſe lezteren beſtändig größer, jene erſteren aber kleiner als ſie in der That ſind, geſchäzet werden. Aus einer ſolchen Unterſuchung aber kommen folgende
Dinge zur Betrachtung vor. - -
Die erſte Betrachtung ſey, wie ein Menſch ſeine Sitten und ſeine Natur mit den Zeiten übereinkomme; ſind dieſe in allem übereinſtimmig erfunden worden,
ſo mag er mehr frey und ungezwungen und ſeiner angebohrnen Art gemäß handlen: wenn aber einige Antipathie vorhanden iſt, alsdann muß man erſt in dem ganzen Lebenswandel vorſichtiger und richtiger einhergehen, und weniger öffentlich erſcheinen. So hat es Tiberius gemacht, der ſeiner Sitten ſich bewußt und nicht gar wohl mit ſeinem Zeitalter übereinſtim mend, die öffentlichen Spiele niemals beſucht hat: ja
er iſt auch die lezte zwölf ganze Jahre niemals in den Senat
SFR
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Senat gekommen: wo hingegen Auguſt beſtändig un ter den Augen der Menſchen gelebt hat, wie auch Tacitus beobachtet: Tiberius hatte ein anderes Be tragen der Sitten. Und ſie haben gleiche Gefahren gehabt. -
Die zweyte Betrachtung ſey, wie man mit den Profeßionen und Lebensarten übereinſtimme,
im Gebrauch und Werth ſind,
welche
und wie man eine
Wahl derſelben treffen ſoll, daß wenn man ſich noch
zu keiner Lebensart entſchloßen hat man die ſchicklichſte und mit der angebohrnen Art am meiſten übereinſtim mende ergreife : wenn man aber ſchon längſt eine Re bensart ergriffen, zu welcher man weniger von der
Natur gemacht iſt, ſo muß man ſich ihr bey erſter Gelegenheit entziehen, und ſich in eine andere Lage begeben. Wie wir dies an dem Valentin Borgia ſehen, der von ſeinem Vater zum prieſterlichen Leben erzogen war, das er jedoch hernach verlaßen hat, ſeiner angebohrnen Art gefolgt iſt,
und ſich dem
Soldaten - Leben gewiedmet hat, ob er wohl des Für
ſtenthums wie des Prieſterthums unwürdig beyde als ſchlechter Menſch geſchändet hat.
Die dritte Betrachtung ſey, wie man ſich in Vergleichung mit ſeinesgleichen und ſeinen Nebenbuh
lern verhalten ſolle, welche Mitwerber in ſeinem Glück man wahrſcheinlich haben werde,
und daß man iſt
einer ſolchen Bahn bleibe, worinn es an vortreflichen Männern ſehr fehlt, und wo es wahrſcheinlich iſt,
daß man ſelbſt unter den übrigen am meiſten hervor, ragen könne. Als welches von C. Cäſar geſchehen it
f
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iſt, welcher im Anfang Redner geweſen iſt, als Ad, vocat ſich beſchäftiget hat, und meiſtens bürgerliche Dinge beſorgte: da er aber geſehen hatte, daſ Cicero,
Hortenſius, Catulus, einen vorzüglichen Ruhm der Beredtſamkeit beſaßen, in Kriegs, Bedienungen aber, außer dem Pompejus Niemand ſonderlich berühmt
war, iſt er von ſeinem Vorhaben abgeſtanden, hat jener bürgerlichen Macht gerne entſagt, und ſich den Künſten des Krieges und des Feldherrn gewidmet, worinn er die gröſte Höhe erſtiegen hat. ----
-
Die vierte Betrachtung ſey, daß man bey Er
wählung der Freunde und Vertrauten auf ſeine Natur und Gemüthsart Rückſicht nehme: indem verſchiedenen eine verſchiedene Gattung Freunde zukommt, dem einen eine feyerliche und verſchwiegene, dem andern eine ver
meßene und prahlende und dergleichen Gattung mehr. Es iſt allerdings merkwürdig, wie die Freunde des
Julius Cäſars als Antonius, Hirtius, Panſa, Oppius, Balbus, Dolabella, Pollio, und die übrigen beſchaffen geweſen: ſie pflegten nemlich bey dem Leben des Cäſars zu ſchwören, waren in allem vor den Cäſar eingenommen, gegen alle andere trozig und verachtend,
in Führung der Geſchäften unver,
droßen, an Ruhm und Achtung mittelmäßig. -
Die fünfte Betrachtung ſey, daß man ſich vor
Beyſpielen hüte,
und andere nicht ungeſchickt nach,
- ahme, als wann das was andern nicht unwegſam ge
weſen, auch einem ſelbſt offen ſtehen müße , indem man keineswegs überlegt, welch ein großer Unterſchied
vielleicht zwiſchen ſeiner eigenen und derjenigen Natur -
Und
&FTD
719
und Sitten geweſen, die man ſich zum Beyſpiel ge
wählt hat. In welchen Irrthum offenbar Pompejus gefallen iſt, welcher, wie Cicero uns berichtet, ſo oft zu ſagen gewohnt war: Sylla hat es gekonnt, ſollte ich es nicht können ? in welcher Sache er ſich
ſehr hintergangen hat,
da die Gemüthsart und die
Handlungsgründe des Sylla von den Seinigen him melweit unterſchieden waren:
da der eine grauſam,
gewaltthätig und alles durchtreibend war: der andere aber ernſthaft, der Geſeze eingedenk, und alles nach Majeſtät und Ruhm behandlend, und daher zur Aus führung defen, was er dachte, weit minder wirkſam und thätig war. Es giebt noch andere Lehren dieſer Gattung, allein dieſe mögen zum Beyſpiel der übrigen genug ſeyn,
Es iſt aber dem Menſchen nicht genug ſich ſelbſt zu kennen, ſondern man muß auch bey ſich überlegen, wie man ſich füglich und klug zeigen, erklären, und endlich wenden und drehen ſolle. Was die Kunſt ſich zu zeigen anbetrift, ſo ſehen wir daß nichts öfterer vorkommt, als daß derjenige welcher in der Fertigkeit der Tugend geringer iſt, in dem äußerlichen Schein
der Tugend vorzüglicher iſt. Es iſt alſo kein geringer Vorzug der Klugheit, wann jemand mit einer gewißen Kunſt und einem artigen Anſtand bey andern eine gute Meinung von ſich erregen kann: iudem er ſeine Tugenden, Verdienſte auch den Glücksſtand, inſofern
es ohne Hochmuth oder Eckel geſchehen kann, ſchicklich
zeigt hingegen die Fehler, die Mängel, die unglück, lichen und ſchimpflichen Umſtände künſtlich verbirgt:
alſo mit jenen ſich aufhält und ſie gleichſam gegen denn
729
- FR
dem Licht kehrt, bey dieſen aber Ausflüchte ſucht oder ſich ſchicklich aus der Sache zieht,
und dergleichen
mehr. Alſo ſagt Tacitus von dem Mutianus, ei nem ſehr klugen und zu Geſchäften ganz unverdroße
nen Mann ſeiner Zeit: alles was er ſagte und that zeigte er mit einer gewißen Kunſt. Allerdings bedarf dieſe Sache eine gewiße Kunſt, damit ſie nicht Eckel
und Verachtung erwecke: doch ſo, daß ein gewißes Zeigen und Prahlen,
ob es gleich bis zum erſten
Grad der Eitelkeit geht, vielmehr ein Fehler nach der Ethik als nach der Politik iſt. Denn wie man von der Läſterung zu ſagen pflegt, läſtere kühn, es bleibt immer was
hangen,
alſo kann man auch von dem
Großchun, wo es nur nicht ganz und gar abgeſchmackt und lächerlich iſt, ſagen : rühme dich kühnlich, es bleibt immer was hangen. Es wird allerdings bey dem Pöbel hangen bleiben, obgleich die klügern lächeln. Alſo wird die bey ſehr vielen erworbene Achtung den Widerwillen weniger reichlich vergelten. Wann dieſe Zeigung ſeiner ſelbſt wovon wir reden, mit Anſtand
und Beurtheilungskraft geleitet wird, wann ſie zum Beyſpiel eine gewiße natürliche Aufrichtigkeit und Ofen herzigkeit vor ſich hat, oder wann ſie zu jenen Zeiten angebracht wird, da entweder Gefahren vorhanden ſind, wie bey Kriegsleuten im Felde , oder da andere
von Neid brennen, oder wann Worte welche das eigene Lob betreffen, einem gleichſam als von ohnge fähr und mit etwas anderem beſchäftiget entwiſcht zu
ſeyn ſcheinen, und man ſich gar nicht weder ernſthaft noch allzulange dabey aufhält, oder wann ſich jemand ſo mit eigenem Lob ehret, daß er ſich zugleich auch des Tadels und Scherzes gegen ſich ſelbſt nicht enthält, -
Pder
&-Fººd
72r
oder wenn er endlich dieſes nicht freywillig, ſondern gleichſam gereizt und durch anderer Unverſchämtheiten und Schmähungen aufgebracht thut, wann er alles dieſes, ſage ich, mit Klugheit behandelt, ſo wird dieſe
Sache dem Ruhn eines Menſchen keinen geringen Zuſaz geben. Auch iſt allerdings die Zahl derjenigen nicht geringe, welche ihrer Beſcheidenheit wegen einigen Verluſt an ihrer Würde leiden, da ſie von Natur
mehr geſezt und gar nicht windigt ſind, und diesfalls
dieſer Kunſt ihre Ehre auszubreiten ermanglen. Allein ob wohl jemand von ſchwacher Beurtheilungskraft, und vielleicht allzuſehr Moraliſt eine dergleichen Vors
zeigung der Tugend misbilligen möchte: ſo wird doch das Niemand leugnen, daß man ſich wenigſtens Mühe geben müße, daß die Tugend nicht durch Sorg loſigkeit um ihren Werth gebracht und geringer geſchäzt werde als ſie es verdient. Aber dieſe Verminderung des Werths in Schäzung der Tugend pflegt auf drey Arten zu geſchehen: erſtlich wann jemand in Geſchäften
ſich und ſeine Bemühung ungerufen oder ungefordert anbietet und aufdringt: denn bey dergleichen Verrſch
tungen pflegt es ſtatt einer Bebahnung zu ſeyn, wann Zweytens, wenn jemand bey dem Anfang eines Geſchäftes ſeine Kräfte allzuſehr
ſie nicht verworffen werden.
anſtrengt, und das was nach und nach zu leiſten war,
mit einem Anfall thut, als welches bey wohl ausge richteten Dingen eine voreilige Gunſt erwirbt, am Ende aber Ueberdruß bringt. Drittens, wann jemand die Folge ſeiner Tugend in ertheilten Kobeserhebungen, Beyfall, Ehre, Gunſt, allzugeſchwind und allzuleicht ſinnig fühlt, und in ihnen ſich gefällt, weswegen die
kluge Warnung hat: hüte dich, daß du nicht in größern ö
Dingen
8-Fººd
722
Dingen ungewohnt ſcheineſt, wann dich dieſe kleine
Sache wie eine große freuet.
emſige Verbergung
der Fehler aber iſt von keiner geringern Wichtigkeit, als die kluge und künſtliche Die
Zeigung der Tugenden. Die Fehler aber werden durch eine gewiße dreyfache Emſigkeit verheimlichet, und ſtecken gleichſam in drey Winkeln verborgen: der Vor ſicht, dem Vorwand, und dem kühnen Zutrauen. Wir nennen es Vorſicht,
wann wir uns derjenigen
Dinge mit Klugheit enthalten, welchen wir nicht ge wachſen ſind: wo im Gegentheil vermeßene ruhige Köpfe ſich ohne Beurtheilungskraft Dinge miſchen, deren ſie nicht gewohnt ſind, ihre eigene Mängel aufdecken und öffentlich
und uns leicht in und alſo darlegen.
Vorwand nennen wir es, wann wir ſcharfſinnig und
klug uns einen Weg bahnen und ausrüſten, auf wel, chem eine vortheilhafte und gütige Auslegung von uns
ſern Fehlern und Mängeln geſchehen möge, als wann ſie gleichſam anderswo herkommen, oder anderswo hinzielen, als gemeiniglich geglaubt wird.
Dann von
den verdeckten Laſtern ſagt der Dichter nicht übel: oft
iſt in der Nähe des Guten ein Laſter verborgen. Wann
wir daher einen Fehler an uns ſelbſt wahrgenommen haben, ſo müßen wir uns Mühe geben, daß wir die Perſon und den Vorwand der angrenzenden Tugend borgen,
unter deren Schatten er verborgen liege.
Zum Beyſpiel, der Langſame muß Ernſthaftigkeit, der Faule Gelindigkeit vorwenden, und ſo weiter.
Das
iſt auch nüzlich, einige wahrſcheinliche Urſache vorzu wenden und auszuſtreuen, durch welche bewogen, wir
unſere lezten Kräfte anzuſtrengen uns geſcheut, und v
»
wir
z-Tºd
723
wir alſo davor angeſehen werden, daß wir das nicht
wollen, was wir nicht können.
Was das kühne Zu
trauen anbetrift, ſo iſt es allerdings ein unkluges Mit tel, aber jedoch ein ſehr gewißes und ſehr wirkſames: daß man nemlich dasjenige wirklich zu verachten und
gering zu ſchäzen vorgebt, was man in der That nicht erlangen kann, klugen Kaufleuten gleich, welchen es gewöhnlich und eigen iſt, daß ſie den Werth ihrer
>
Waaren erheben, und den der andern niederdrücken. Ss giebt jedoch noch eine andere Gattung des ver meßenen Zutrauens, die unverſchämter als dieſe iſt; nenlich mit frecher Stirne auch ſeine Mängel der Meis nung aufzudringen und feilzubieten, als gleichſam in demjenigen, worinn man am Und laßen iſt, hervorzuragen glaubt. dieſes deſtoleichter glauben mache, ſo ſtellt
wann man meiſten vers damit man man ſich in
denjenigen Dingen auf ſeine Kräfte mißtrauiſch,
in
welchen man in der That am meiſten vermag. Wie dies die Dichter zu machen pflegen. Dann wenn ein Dichter ſeine Gedichte herließt, und er ein oder anderes Versgen geſagt das nicht ganz zu billigen iſt, ſo wird
man alsbald hören: dieſer Vers hat mir wirklich weit mehr gekoſtet, als die meiſten der übrigen. Alsdann aber wird er einen gewißen andern Vers anführen / als wann er ihm gleichſam ſelbſt verdächtig vorkomme, und wird in Abſicht deßelben fragen, was man von
ihm halte, da er doch ſehr wohl weiß, daß er einer der beſten, und dem Tadel gar nicht unterworfen iſt. Vor allem aber glaube ich, daß zu dieſem,
wovon
jezt die Rede iſt, daß man nemlich in Gegenwart anderer ſich mit Ruhm zeige, und ſein Recht in allem
behalte, nichts mehr beytrage, als daß man nicht -
-
Zz 2
durch
724
-
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durch ſeine allzugroße angebohrne Güte und Holdſelig keit ſich entwafne, und den Schmähungen und Unver ſchämtheiten ausſeze: ſondern daß man vielmehr in allem einige Funken eines freyen und großmüthigen
Geiſtes, der eben ſowohl den Stachel als den Honig in ſich trägt, bisweilen äußere. Welche beſchüzte Le bensart zwar in Verbindung mit einem fertigen und
zum Schuz wider Schmähungen bereiteten Gemüth einigen durch den Zufall und durch eine gewiße und
unvermeidliche Nothwendigkeit wegen etwas an ihrer Perſon oder Glück haftenden auferlegt wird: wie an gebrechlichen, unehlich gebohrnen, und mit einiger Schmach geſtraften Menſchen zu ſehen iſt, daher der gleichen Leute, wann ihnen die Tugend nicht fehlet, gemeiniglich glücklich werden. Was aber die Kunſt ſich zu erklären anbetrift,
ſo iſt das allerdings eine andere Sache als die Kunſt ſich zu zeigen, von der wir geredet haben. Dann ſie wird nicht zu den Tugenden oder Fehlern der Men ſchen, ſondern zu den beſonderen Handlungen des Le bens gezählt. In dieſem Theil wird nichts der Welt klugheit gemäßeres gefunden, als daß man eine ge wiße kluge und geſunde Mittelmäßigkeit in Eröfnung oder Verbergung derer auf die beſondern Handlungen
ſich beziehenden Gedanken beobachte. Denn obwohl eine tiefe Verſchwiegenheit und eine Verbergung der Rathſchläge, und diejenige Art Geſchäfte zu führen, welche alles mit blinden und wie die neueren Sprachen reden mit ſtummen Künſten und Mitteln ausrichtet,
eine nüzliche und wunderbare Sache iſt: ſo geſchieht doch nicht ſelten, daß nach dem Sprichwort die Ver ſtellung A
w-Fººd
725
ſtellung Irrungen zeugt, welche den verſtellenden ſelbſt
beſtricken. ſ
Dann wir ſehen, daß ſehr weltkluge,
und ganzhaben, vorzüglich große Männer ge nommen die Endzwecke welchekeinſieBedenken ſuchten frey und unverſtellt öffentlich bekannt zu machen. So hat
d
L. Sylla offenbar geſtanden, er begehre daß alle Menſchen glücklich unglücklich ſo wie ſie entweder ſeine Freunde oder oder Feinde wären. werden, So hat
th
Cäſar bey ſeinem erſten Zug nach Gallien ſich nicht
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geſcheut zu bekennen: er wolle lieber der erſte in einem
(! Ü.
kleinen Dorf, hatalsbeyderſchon zweyte in Rom ſeyn. dieſer Cäſar angefangenem Krieg Eben mit
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nichten den Heuchler gemacht, wann wir hören, was
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Cicero von ihm ſagt. Der eine, indem er auf den Cäſar deutet, weigert ſich nicht, ſondern fordert es
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bisweilen, daß man ihn, wie es auch ſey, einen Tyrannen nenne. Gleichfalls ſehen wir aus einem Brief des Cicero an den Atticus, wie wenig Heuch ler der Kayſer Auguſt geweſen, welcher ſelbſt bey
dem Antritt der Regierungs, Geſchäfte, da er noch ein Liebling des Senats war, dennoch in den Verſamm lungen des Volks mit jener Formel zu ſchwören pflegte: ſo wahr uns die Ehrenſtellen des Oheims zu erlangen
erlaubt iſt. Dies war aber nichts kleineres, als die Tyranney ſelbſt. Es iſt wahr, daß er um den Neid ein wenig zu mildern, zugleich gewohnt geweſen gegen
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die Bildſäule des Julius Cäſars, welche eben nicht
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zum beſten Andenken an öffentlicher Stelle aufgeſtellt war, die Hand auszurecken. Die Leute aber lachten
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und klatſchten, und bewunderten, und redeten unter ſich alſo: was bedeutet dieſes? wer iſt der Jüngling?
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ſie vermutheten aber keine Bosheit in demjenigen der Zä3 ſo
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726
z-Fººd
ſo offen und aufrichtig,
was er dachte, ſprach.
Und dieſe nun, welche wir aenannt haben,
haben
alles glücklich erlangt: Pompejus hingegen, welcher nach den gleichen Endzwecken ſtrebte,
aber nur auf
mehr düſternen und dunkelen Wegen,
wie Tacitus
von ihm ſagt: er war zurückhaltender, nicht beßer: und Salluſtius ſpricht gleichfalls: er war von redli chem Munde, von unverſchämten Herzen: that ganz
und gar dies, und bewirckte es durch unzählige Künſte, daß er bey tiefer Verbergung ſeiner Begierden und
ſeines Ehrgeizes, indeßen dannoch die Republik in eine Anarchie und Verwirrung brachte, worauf ſie ſich noch wendia in ſeinen Schooß warf,
und auf dieſe Art
- gleichſam wider Willen und Beſtreben das Ruder der Dinge in ſeine Hände kam. Da er aber dieſes erlangt
zu haben glaubte, indem er, was niemals einem be gegnet war, allein Conſul geworden, ſo kam er um
nichts deſto mehr zu ſeinen Abſichten, weil auch diejeni gen, welche ihn ohne Zweifel unterſtüzt haben würden, nicht wußten, was er wollte. So daß er endlich gezwungen worden iſt, einen gemeinen und alltäglichen Weg einzuſchlagen, daß er nemlich unter dem Vor
wand ſich dem Cäſar entgegen zu ſezen, Waffen und eine Armee zuſammen brachte. -
So langſam dem Zufall unterworfen, und ge meiniglich unglückſelig pflegen diejenigen Rathſchläge zu ſeyn, welche durch eine allzutiefe Verſtellung verdeckt werden. Eben dieſes ſcheint Tacitus gedacht zu ha
ben, da er die Kunſtgriffe der Verſtellung als eine
Gattung niedriger Klugheit in Abſicht der politiſchen Künſte aufſtellt: indem er jene dem Tiberius, dieſe dem
-
/
z-Fººd
727
dem Auguſt zueignet. Dann wenn er von der Livia redet, ſo ſagt er, daß ſie die Künſte des Ehemanns
und die Verſtellung des Sohnes wohl inne gehabt habe. Was die Kunſt das Gemüth zu wenden und zu drehen anbetrift, ſo muß man freylich mit allen Kräf
ten dahin ſtreben, daß das Gemüth nach den Gelegen heiten und Umſtänden ſich biege, und auf keine Weiſe gegen ſelbige hart oder widerſtrebend ſey. Dann es hat kein größeres Hindernis bey Führung der Geſchäfte, oder bey Schmiedung des Glückes gegeben, als jenes: er blieb immer der nemliche, und es ziemte nicht immer das nemliche; wann nemlich die Menſchen die nemli
chen bleiben und ihrer Natur folgen, nachdem ſich doch die Umſtände geändert haben. Alſo führt Livius mit Recht den ältern Cato als den erfahrenſten Baumei ſter ſeines Glückes an, und fügt hinzu, daß er einen geſchmeidigen Geiſt gehabt habe. Daher kommt es
auch, daß ernſte und ſteife Köpfe, die ſich nicht zu drehen wißen, gemeiniglich mehr Würde als Glück haben. Dieſen Fehler aber haben einige ganz und gar von der Natur, und ſind ihrer Gemüthsart nach
gleichſam zähe, knotigt, und unbiegſam. Bey andern aber iſt es durch die Gewohnheit, welche die andere Natur iſt, und durch ein gewißes Vorurtheil, das in
die Gemüther der Menſchen ſich leicht einſchleicht, ſo weit gekommen, daß ſie diejenige Art der Geſchäfts Führung gar nicht verändern zu müßen glauben, welche ſie vorher als gut und glücklich erfahren haben. Denn mit Klugheit beobachtet Machiavel an dem Fabius Marimus, daß er ſeine alte und gewohnte
Art zu zaudern und Krieg zu führen habe veſt beybe Zz 4
-
halten
-
728
&-Fººd
halten wollen, wann die Natur des Krieges eine andere war, und ſchärfere Mittel erforderte.
Bey andern
entſteht ferner eben dieſer Fehler aus Mangel an Beurtheilungskraft,
da die Menſchen die Zeitpuncte
der Dinge und Handlungen nicht zeitig unterſcheiden: ſondern alsdann erſt ſich lenken,
Zeit verfloßen iſt.
wann die bequeme
So was tadelt Demoſthenes an
ſeinen Athenienſern, indem er ſagt, ſie ſeyen den Bauern gleich, welche bey dem Fechterſpiel immer
-
erſt nach erhaltenem Streich den Schild auf denjenigen Theil zur Beſchüzung hinwenden, an welchem ſie ge troffen ſind, und nicht vorher. Bey andern ereignet ſich wieder dies, daß ſie die Mühe, welche ſie auf dem einmal angetretenen Wege, gehabt haben, nicht gerne verlieren wollen, und gleichſam nicht zum Abzug, zu blaſen wißen, ſondern vielmehr glauben, ſie werden
durch ihre Beſtändigkeit über die Umſtände Meiſter werden. Allein dieſe Zähigkeit und Unbiegſamkeit des Geiſtes, von welcher Wurzel ſie auch abſtamme, iſt
der Geſchäfts, Führung und dem Glück der Menſchen
ſehr nachtheilig, und der Weltklugheit iſt nichts mehr angemeßen, als die Räder der Seele mit den Rädern des Glücks auf einen Mittelpunct und in gleichem Kreiſe laufen zu laßen. Und ſo viel mag von den
zwey Hauptlehren in Abſicht der Baukunſt des Glückes genug geſagt ſeyn, Zerſtreute Lehren aber giebt es nicht wenige ; wir wollen jedoch nur einige als Bey
ſpiel ausleſen,
«
Die erſte Lehre iſt; ein Baumeiſter des Glücks gebrauche ſeine Schnur geſchickt - und lege ſie wohl
an, das iſt er gewöhne den Geiſt, daß er den Preiß Und
&º FRd
729
und Werth aller Dinge ſo ſchäze, wie ſie zum Glück und zu ſeinen Abſichten mehr oder weniger beytragen, und dieſes beſorge er emſig, nicht obenhin. Dann es iſt eine wunderbare, aber ſehr wahrhafte Sache, daß ſehr viele gefunden werden, bey denen, wenn ich mich ſo ausdrucken darf, der logiſche Theil ihres Gei ſtes gut der mathematiſche aber ſehr ſchlecht iſt,
die
nemlich von den Folgen der Dinge ziemlich gründlich, von ihren Preiſen oder dem Werth ſehr ungeſchickt urtheilen. Daher kommt es, daß einige die beſondere und geheime Unterredungen mit Fürſten, andere die Volksgunſt ſo bewundern, daß ſie was ſehr großes erlangt zu haben glauben, da ſehr oft beydes eine
Sache voll Neid und Gefahr iſt *): andere aber meßen die Sachen nach der Schwierigkeit und ihrer darauf verwandten Mühe, indem ſie glauben, daß es ſich ſo zutragen müße, daß je größere Anſtrengung ſie gebraucht, deſto größer werde auch die Förderung ſeyn:
wie Cäſar von dem Cato von Utica gleichſam im Spott geſagt hat, indem er erzählte wie mühſam und emſig, und gleichſam unermüdet, doch ohne viel aus,
zurichten, er geweſen; alles, ſprach Cäſar, betrieb er mit großer Emſigkeit. Daher kommt ferner auch das, daß die Menſchen ſich öfters ſelbſt betrügen, welche ſich alles glückliche verſprechen,
wann ſie die
Verwendung eines großen oder geehrten Mannes ge
nießen, da doch wahr iſt, daß nicht die größeſten Zz 5
ſons
*) Anmerk. des Ueberſ. In Abſicht der beyden gefähr lichen Umſtände, ſagt ein Philoſoph unſeres Zeitalters, Herr Schloßer, ſehr gut: es iſt eine wohlbelohnte Ar“
beit dem Lande dienen; dem Fürſten dienen bringt oft Fluch; dem Volke dienen lohnt nie.
FIFRd
73-
ſondern die ſchicklichſten Werkzeuge, jedes Werk ge ſchwinder und glücklicher vollenden. Und um die wahre
Mathematik der Seele zu lehren, ſo iſt es der Mühe werch, beſonders das zu wißen und beſchrieben zu haben, was zur Errichtung und Beförderung des Glücks eines jeden zuerſt, was zum zweyten - was
drittens, und ſofort aufgeſtellt werden müße. Ich ſeze
zuerſt die Verbeſſerung der Seele, denn durch
Hin
wegnehmung und Ebenmachung der Hinderniße und Knoten der Seele, wird man den Weg zum Glück geſchwinder eröfnen, als wenn man durch die Hülfe des Glücks die Hinderniße der Seele hinwegnehmen
will; zum zweyten ſezeich Güter und das Geld, wels
ches vielleicht ſehr viele an die höchſte aben,
Stelle geſezt da es bey allem von ſo großen Nuzen iſt.
Hllein eine ſolche Meinung verwerfe ich aus gleicher -,
urſache, als Machiavel in einer andern Sache
die von
jener nicht viel unterſchieden iſt geehan hat
Denn
da es eine alte Meinung geweſen, daß das Geld die Nerven des Kriegs ſeyn, ſo hat er im Gegentheil be
hauptet, daß es keine andern Nerven des Kriegs
gebe,
jſs die Nerven ſtarker und kriegsfähiger Männer. Auf
gleiche Weiſe kann allerdings mit Wahrheit behº jen, daß nicht das Geld die Nerven des Glück ſeyn, ſondern vielmehr die Kräfte der Seele, als das Genie, die Tapferkeit, die Kühnheit
die Beſtändig
keit, die Mäßigkeit die Arbeitſamkeit, und dergleichen.
Drittens ſtelle ich den Ruhm und die Achtung auf
j das um deſtomehr, weil ſie eine gewiße Ebbe und
Fluch haben, und es ſchwer ſeyn wº Ä wiederum völlig herzuſtellen,
Zeiten
wenn man ſich ſolcher
nicht füglich bedient hat; denn es iſt eine ſchwere -
s
Sache,
-Fººd
-
731
Sache, dem ſinkenden Ruhm wieder aufzuhelfen. Zu lezt ſeze ich die Ehrenſtellen, zu welchen allerdings durch ein jedes von jenen dreyen
weit mehr durch
alle zuſammen, ein leichterer Zugang offen ſteht, als wenn man von den Ehrenſtellen anfängt, und hernach
zu den übrigen fortgeht. Wie aber nicht wenig daran gelegen iſt, Ordnung in den Dingen zu halten, ſo liegt eben ſo viel daran, Ordnung in der Zeit zu hal ten, durch deret Verwirrung ſehr oft gefehlt wird, indem man alsdann zum Ende eilt, wann der Anfang zu beſorgen wäre, und indem wir alsbald zu dem
höchſten fliegen, ſo überſpringen wir dasjenige ver meßentlich, was in der Mitte liegt. Aber es heißt mit Recht: laßt uns das thun was jezt vor uns liegt. Die zweyte Lehre iſt, uns zu hüten, daß wir
nicht durch eine gewiße Größe der Seele und ſtarke Zuverſicht zu allzuſchweren Dingen uns begeben, noch auch wider den Strom ſchwimmen.
Denn der beſte
Rath in Abſicht des Glücks der Menſchen iſt: trette Gott und dem Schickſal bey.
Laßt uns auf allen
Seiten umher ſehen, und wahrnehmen, wo die Dinge offen ſtehen, wo ſie verſchloßen und verſtopft ſind, wo ſie leicht, wo ſie ſchwer, und laßt uns da, wo kein bequemer Zugang iſt, unſere Kräfte nicht mißbrauchen. Wann wir dieſes gethan haben werden, ſo werden wir uns von wiedrigem Erfolg frey erhalten, in einzelen Geſchäften allzulange nicht verweilen, das Lob der
Mäßigung davon tragen, und endlich das Vorurtheil des Glücks erhalten, nach welchem alles unſerem Fleiß gedankt werden wird, was vielleicht von ſelbſt geſche hen wäre.
s -
-
-
Die
&-Fººd
732
Die Lehre kann der nächſt vorhergehenden etwas
zu widerſprechen ſcheinen, ob ſie es gleich wohl ver“ ſtanden, nicht thut. Sie iſt dieſe : wir ſollen die Gelegenheiten nicht immer erwarten ſondern ſie bis weilen hervorrufen und führen.
Worauf auch De
moſthenes mit einem gewißen Stolz
deutet, wenn er
ſagt: ſo wie es angenommen iſt, daß ein Feldherr die Armee führe, ebenſo müßen herzhafte Männer die umſtände ſelbſt führen und dasjenige thun was ihnen
gut dünkt; auch müßen ſie nicht gezwungen ſeyn, bloß jach den Erfolgen ſich zu richten. Dann wenn wir genau aufmerken, ſo werden wir zwey und zwar ganz
verſchiedene Arten Perſonen erblicken, welche zur Unters
der Geſchäfte und Führung der Unterhand lungen tüchtig gehalten werden. Indem einige der nehmung
Gelegenheiten ſich füglich zu bedienen wißen, aber nichts aus ſich ſelbſt nehmen, oder erſinnen; andere
ſind wieder ſelbſt voll Entwürfe, aber ſie ergreifen die Gelegenheiten nicht, welche ſich gelegen darbieten.
Wann die eine dieſer Fähigkeiten mit der andern, nicht verbunden iſt, ſo iſt ſie allerdings für mangelhaft und unvollkommen zu halten.
-
-
- Die vierte Lehre iſt, daß wir nichts unterneh men, womit wir allzu viele Zeit zubringen müßen,
ſondern daß uns jener Ausſoruch immer vºr den Ohren ſey: aber ſie fliehet indeßen, ſie fliehet die unwieder
jgliche Zeit. Es iſt auch keine andere Urſache vorhanden, warum diejenigen neº ſich mühſamen ebensarten oder Berufsſtänden geroidmet haben, als
Rechtsgelehrte Redner Schriftſteller an Gelehrſamteſ Ä zeichnende Gottesgelehrte und derglei -
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chen,
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-
733
chen, in Errichtung und Beförderung ihres Glücks minder emſig ſind, als daß es ihnen an ſonſt unver brauchter Zeit fehlt, die Beſondernheiten durchzufor ſchen, die Gelegenheiten zu haſchen, und die Maſchinen, welche zu ihrem Glück gehören, zuſammen zu ſezen und zu bewegen. Ja man wird auch an den Höfen
der Fürſten und in den Republiken ſolche als die wirk ſamſten für die Beförderung ihres eigenen, und die Zerſtörung des Glücks anderer finden,
welche kein
öffentliches Amt verwalten, ſondern mit dieſem Bewer
ben im menſchlichen Leben, wovon wir jezt reden, beſtändig beſchäftiget ſind.
Die fünfte Lehre iſt, daß wir einigermaßen die Natur nachahmen,
welche nichts vergebens thut.
Welches in der Ausübung nicht ſehr ſchwer ſeyn wird, wann wir alle unſere Geſchäfte von verſchiedener Art geſchickt mit einander vermiſchen und verweben. Dann
in jeden einzelen Handlungen iſt das Gemüth ſo zu ordnen und vorzubereiten, und unſere Abſichten ſind
ſämtlich ſo in einander zu fügen, und unter zu ordnen, daß, wann wir in einer Sache unſeres Wunſches nicht in dem höchſten Grade theilhaftig werden können, doch
im zweyten, ja auch im dritten ſtehen zu bleiben er laubt ſey: wann wir auch an gar keinem Theil han gen oder ſtehen bleiben können, alsdann müßen wir die angewandte Mühe auf einen andern Endzweck als den beſtimmten lenken: und wann wir auch vors ge
genwärtige keinen Nuzen davon erhalten können, ſo müßen wir wenigſtens etwas daraus ziehen was uns vor die Zukunft nüze: wann es aber weder vor das
zukünftige noch vor das gegenwärtige etwas gründliches "daraus
&SFRd
734
daraus zu entwickeln giebt, ſo müßen wir uns wenig ſtens bemühen, daß unſerer Achtung etwas dadurch zuwachſe : und dergleichen Rechenſchaft müßen wir immer von uns ſelbſt fordern, damit uns bekannt iſt, daß wir einigen Nuzen, mehr oder weniger, aus un
ſern einzelen Handlungen und Anſchlägen erhalten ha ben: auch müßen wir auf keine Weiſe zulaßen, daß wir gleichſam beſtürzt und niedergeſchlagen alsbald den
Muth ſinken laßen, wann es uns etwa unſern Haupt
zweck zu erhalten nicht geglückt iſt. Dann nichts iſt einem weltklugen Mann minder anſtändig,
als auf
eine einzige Sache allein zu verſizen. Dann wer dieſes tut, der wird durch den Verluſt unzähliger Gelegen. heiten, die er entſchlüpfen läßt, geſtraft werden; denn dieſe Gelegenheiten pflegen bey Behandlung der Ge ſchäfte ſo in die Quere zu kommen, und möchten viel Ileicht zu andern Dingen welche hierauf in der Zukunft
ſich ereignen, bequemer und günſtiger als für dasjenige geweſen ſeyn, was wir jezt unter Händen haben. Alſo laßt uns jene Regel wohl faßen: dieſes muß man thun, und jenes nicht laßen.
Die ſechste Lehre iſt, daß wir uns nicht allzu entſcheidend in eine Sache einlaßen, ob ſie wohl dem erſten Anblick nach dem Zufall minder unterworfen zu ſeyn ſcheint,
ſondern daß wir immer entweder ein
offenes Fenſter zum wegfliegen,
oder eine geheime
Hinterthüre zum zurückgehen haben. Die ſiebende Lehre iſt jene aus dem Alterthum, von dem Bias; nur muß man ſie nicht zur Untreue, ſondern zur Vorſicht und Mäßigung anwenden: nan nuß
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muß haßen als ein künftiger Freund und muß lieben als ein künftiger Feind. Dann es verräth und ver- derbt jede Vortheile ſehr, wenn man ſich allzuſehr in unglückliche Freundſchaften, in beſchwerliche und unge ſtümme Feindſchaften, oder in kindiſche und nichtswür dige Nacheyferungen eingelaßen hat. Das vorgebrachte mag als ein Beyſpiel in Abſicht
der Lehre von dem Bewerben im menſchlichen Leben genug ſeyn: denn die Menſchen müßen eingedenck ſeyn, daß dieſe Abriße, die wir in Abſicht des Vermißten gebrauchen, ja nicht als vollſtändige Abhandlungen angenommen werden,
ſondern daß ſie vielmehr nur
Zettel oder Aufzüge ſind, aus welchen man von dem ganzen Gewebe urtheilen kann. Auch ſind wir ferner nicht ſo aberwizig, zu behaupten, daß das Glück ohne
eine ſo große Zurüſtung und Bemühung, als wir ge ſagt haben, nicht verſchaft werden könne. Dann wir wißen wohl, daß es gleichſam freywillig in den Schooß Einiger fließt : andere aber es durch bloßen
Fleiß und Emſigkeit, einige Art roher Vorſicht, ohne viele oder mühſame Kunſt erlangen. Allein wie Cicero, wenn er einen vollkommenen Redner ſchildert, nicht das will, daß jede einzele Rechtsſchwäzer ſo ſeyn müßen, oder können: und ferner, wie bey der Be
ſchreibung eines Fürſtens oder Hofmanns, welche ei nige zu entwerfen unternommen haben, das Modell ganz nach der Vollkommenheit der Kunſt, nicht aber nach der gemeinen Erfahrung gebildet wird: ſo haben wir eben dieſes auch um einen weltklugen Mann dar zuſtellen gethan; einen weltklugen Mann, ſage ich, in Abſicht auf ſein eigen Glück. Jedoch müßen wir -
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736
-
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allerdings das erinnern, daß die Lehren, welche wir in Abſicht dieſer Sache ausgewählt und vorgetragen haben, ſämmtlich aus der Gattung derjenigen ſeyen, welche man gute Künſte nennt. Denn was die böſe Künſte anbetrift, wann nemlich jemand dem Machiavel
ſich in die Lehre gegeben, welcher lehret, die Tugend ſelbſt ſeye nicht ſehr zu achten, ſondern nur der Schein
derſelben ins Publikum zu bringen, weil der Ruf und das Vorurtheil der Tugend dem Menſchen zur Unter ſtüzung, die Tugend ſelbſt zur Hinderniß gereiche: welcher an einem andern Orte gebietet, daß ein welt
kluger Mann dies zum Grund ſeiner Klugheit legen müße, daß er vorausſeze, die Menſchen können weder richtig noch ſicher zu demjenigen, was wir wollen, ge lenkt oder gebracht werden, außer durch die bloße
Furcht, daß er ſich alſo Mühe gebe, daß, ſo viel an
ihm iſt, alle unterwürfig und in Gefahren und Aengſte geſezt ſeyen, daß alſo ſein weltkluger Mann derjenige
zu ſeyn ſcheint, den die Italiäner Dornenſäer nennen: oder wann jemand jenen Grundſaz, der vom Cicero angeführt wird, annehmen will: die Freunde mögen zu Grunde gehen, wann nur die Feinde umkommen;
wie die Triumvirs gethan haben"), welche den Unter -
- *) Anmerk. des Ueberſ.
gang
Einen ganz vorzüglichen Bey
trag zur Kenntniß des menſchlichen Herzens liefert die Ge ſchichte dieſer Triumvirs zu Rom. Sie erhielten dieſen Namen von der Verbindung die aus drey Perſonen bei
ſtund. Das erſte Triumvirat machten Craſſus, Pom pejus und Caſar; das zweyte Triumvirat, wovon ei:
gentlich hier die Rede iſt, errichteten Octavius , oder der nachmalige Kayſer Auguſt, 4.epidus, und Anto,
nius. Als eine angenehme Lekture kann man darüber die Schriften eines Wollin und Monteequieur nachleſen.
737
z-Fs
gang der Feinde mit dem Verderben ihrer beſten Freunde erkauften: oder wann jemand ein Nachahmer des Catilina ſeyn will, daß er ein Rebell und Stö rer der Staaten wird, damit er deſto beſſer im trüben
ſiſchen und ſein Glück machen kann, ich ſagt er, werde eine Feuersbrunſt, die meine eigenen Glücksumſtände anbetrift, nicht mit Waßer, ſondern mit der Zerſtö rung löſchen: oder wann jemand jenen Ausſpruch des Lyſanders annimmt, welcher zu ſagen pflegte:
die
Kinder muß man durch Kuchen, die Männer durch Meineide locken : oder ſonſt dergleichen gottloſe und verderbliche Säze, deren es, wie in allen übrigen
Dingen, immer eine größere Anzahl als der rechtſchaf fenen und geſunden giebt gebraucht: wann jemand, ſage ich, an dergleichen befleckten Klugheit ein Gefallen hat: ſo will ich nicht leugnen, daß er auf kürzerem Wege und geſchwinder ſein Glück befördern könne, allein er hat ſich alsdann von allen Geſezen der Liebe und Tugend loß und nur dem Glück ſich zum Selaven gemacht; und es trägt ſich auch im Leben zu, was auf einer Reiſe vorkommt, daß nemlich eine kürzere
Straße kothigter und garſtiger iſt: es auch allerdings
keines vielen Umſchweifs bedarf, um einen beßern Weg zu gehen. Es iſt alſo ſo weit gefehlt,
daß die Menſchen
zu dergleichen böſen Künſten ſich wenden müßen, daß
ſie allerdings vielmehr, wenn ſie nur bey ſich ſind und ſich zu halten vermögen, auch von dem Wirbel
und Ungeſtümm des Ehrgeizes nicht dahin gerißen werden ſowohl die allgemeine Schilderung der Welt
vor Augen haben müßen, daß nemlich alles Eitelkeit Aaa
Und
-
738
&<FSd
und eine Plage des Geiſtes ſey; als auch jene beſon dere, daß nemlich ſelbſt ſeyn, und getrennt von dem Guten ſeyn, ein Fluch iſt, und je größer das ſeyn,
deſto größer auch der Fluch iſt, und daß die herr lichſte Belohnung der Tugend die Tugend ſelbſt ſey; gleich wie auch die äußerſte Strafe des Laſters das Laſter ſelbſt iſt, wie der Dichter vortrefflich ſagt: ihr würdigen Männer, welche Belohnungen ſind Eurer wohl würdig? die ſchönſten Belohnungen werden euch die Götter und eure Sitten ſelbſt geben;
ebenſo
wahrhaft ſagt er von dem Laſterhaften, ſeine Sitten werden ihn ſtrafen. Ja, die Sterblichen müßen auch, indem ſie auf alle Seiten ihre Gedanken richten und ausbreiten um ihr Glück wohl zu berathen und zu gründen, indeßen dennoch mitten in jenen Umher wandlungen der Seele nicht vergeßen ihre Augen zu den göttlichen Gerichten und auf die ewige Vorſicht empor zu heben: welches ſehr oft die liſtigen Anſchläge, der Gottloſen verkehrt und zernichtet; nach jenem Ausſpruch der Schrift: er hat Bosheit empfangen, und wird Unglück gebähren. Ja, wenn man auch
gleich von dem Unrecht, und den böſen Künſten ab ſteht, ſo iſt dennoch dieſes beſtändige und unruhige
Beſtreben nach den Höhen des Glücks, ohne Unter laß, und gleichſam ohne Sabbath, zweckwiedrig, und
bezahlt den ſchuldigen Tribut unſerer Zeit dem Herrn unſerem Gott nicht: welcher wie zu ſehen iſt, den
zehenden Theil unſeres Vermögens, aber den ſiebenden unſerer Zeit von uns fordert und ſich zulegt. Dann worzu ſollte es geweſen ſeyn, ein gen Himmel gerich tetes Angeſicht, aber einen auf der Erde kriechenden
und gleich einer Schlange Staub freßenden Geiſt zu haben?
W
-
&SFSd
739
haben? welches auch den Heyden nicht unbekannt ge weſen, da einer ihrer Dichter ſagt: er hat ein Theilchen des göttlichen Odems auf die Erde geheftet. Wann
ſich jemand damit ſelbſt ſchmeichlen will,
daß er be
ſchloßen habe ſein Glück, wenn er es auch gleich durch böſe Künſte erlangt, gut anzuwenden: wie man von
dem Kayſer Auguſt, und Septimius Severus zu ſagen pflegte, ſie hätten entweder niemals gebohren werden, oder niemals ſterben ſollen, indem ſie wäh
rend dem Bewerben um ihr Glück ſo große Uebel verübt,
und nachdem ſie die höchſte Stufe erlangt
wieder ſo viel gutes gethan haben: der mag nichts deſtoweniger einſehen, daß dieſe Vergeltung des Uebels
durch das Gute nach der That erſt gebilliget, ein dergleichen Vorhaben aber billig verworfen werde. CAuch ſagt Paulus: laßet uns nichts Uebels thun, auf daß etwas Gutes daraus erfolge. P.) Zulezt wird es nicht undienlich ſeyn, \
in dieſem vollen und
hizigen Lauf nach unſerem Glück einige Abkühlung zu geben, die von jenem artigen Ausſpruch Kayſer Carl
des Fünften in ſeiner Verordnung an ſeinen Sohn hergenommen iſt: daß nemlich das Glück die Sitten der Frauenzimmer nachahme, welche die allzuſehr ſich bewerbenden Freyer gemeiniglich ſtolz abweiſen.
Allein
dieſes lezte Mittel gehört für diejenigen, die durch eine Gemüthskrankheit einen verdorbenen Geſchmack haben. Die Menſchen ſollen ſich vielmehr auf jenen Stein ſtüzen, welcher der Theologie und der Philoſophie gleichſam ein Eckſtein iſt, welche nemlich zugleich von ihm behaupten, daß er zuerſt geſucht werden müße. Denn die Theologie ſpricht: trachtet zuerſt nach dem
Reiche Gottes, ſo wird euch das übrige alles zufallen. Aaa 2
Die
&F d
74o
Die Philoſophie aber befiehlt ein gleiches: ſuchet zuerſt die Güer der Seele, ſo wird das übrige entweder da eyn, oder euch nicht entſtehen. Ob wehl aber dieſer Grund, menſchlich gelegt, bisweilen auf Sande ruht; wie an M. Brutus zu ſehen iſt, der bey ſeinem Untergang alſo ausrief: ich habe dich Tugend als eine Sache verehrt, aber du biſt ein leerer Nahme: ſo ruht doch eben dieſer Grund, göttlich gelegt, immer auf Felſen. Wir beſchließen nun die Lehre von dem Bewerben im menſchlichen Leben, und zugleich die alls
gemeine Lehre von den Geſchäften. PºS>RSSVG
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-
3tes Capitel. Die Eintheilungen der Lehre von der Re
gierung oder dem Staat werden wegge laßen, es geſchiehet blos eine Eröfnung zu
zwey vermißten Stücken, nemlich zur Lehre von Erweiterung der Grenzen des Reichs, und zur Lehre von der allgemeinen Gerech tigkeit, oder den Quellen des Rechts. ch komme nun auf die Regierungs- Kunſt,
oder
Ä5
auf die Lehre von Verwaltung des Staats: unter welcher auch die Hauſhaltungslehre, wie die Familie
unter der Bürgerſchaft begriffen iſt.
In dieſem Theil
habe ich mir, wie ich ſchon vorher geſagt habe,
Stillſchweigen anbefohlen. - lich mißtrauiſch ſeyn ſollen
ein
Doch habe ich nicht gänz etwa ungeſchickt oder -
unnüze
741
&HÄFTd unnüze davon reden zu können,
da ich durch ſange
Erfahrung gelehrt, und durch ſo viele Stufen der Aemter und Ehrenſtellen zur erhabenſten obrigkeitlichen Würde des Reichs durch die Gnade Ewr. Majeſtät, ohne mein Verdienſt, gelangt bin und ſolche nun vier ganze Jahre getragen habe: was aber mehr iſt, ſo
bin ich durch eine Reihe von achtzehn Jahre an Eor. Majeſtät Befehle und Geſpräche, wordurch auch ein Kloz zum Politiker hätte gebildet werden können, ge wehnt worden, und habe auch unter allen Künſten die meiſte Zeit auf die Geſchichte und die Geſeze verroeidet.
Welches alles ich nicht aus Prahlerey auf die Nºch kommen bringe, ſondern weil ich glaube, daß es zur
Würde der Wißenſchaften etwas beyrage , daß ein Menſch der mehr für die Wißenſhaften als für ſonſt was gebohren, auch zu Führung der Geſchäfte, durch welches Schickſal weiß ich nicht ,
wider ſeine ange
bohrne Art hingerißen, und zu den wichtigſten und
glänzendſten Aemtern unter dem weiſeſten König ge nommen worden iſt. Allein wenn meine Muße nºch dieſer Zeit etwas auf die Politik ſich beziehendes gebäh ren wird, ſo wird es vielleicht entweder eine allzufrüh
zeitige oder nach dem Tod erſt erſcheinende Geburt ſeyn.
Da indeßen ſchon alle Wißenſchaften in ihrem
angewieſenen Plaz ſind, und dieſer ſo erhabene Siz nicht ganz leer bleibe, ſo habe ich beſchloßen nur zwey Theile der bürgerlichen Klugheit, welche nicht zu den Geheimnißen des Reichs oder der Regierung gehören, ſondern mehr gemeinſchaftlicher Natur ſind, als Ver mißtes hier zu bezeichnen, und von denſelben unſerer
Gewohnheit nach, Beyſpiele vorzutragen.
Aaa 3
. Die
FRd
742
Die
Künſte des Staats begreifen drey politiſche
Pflichten in ſich, erſtlich daß der Staat erhalten werde, zweytens daß er glücklich und blühend gemacht werde, drittens daß er erweitert werde, und ſeine Grenzen ſich ausdehnen: in Abſicht der beyden erſten -
Pflichten iſt ſehr vieles vortreflich abgehandelt worden, von der dritten iſt nichts vorhanden. Alſo werden wir dies unter das Vermißte ſezen, und nach unſerer
Gewohnheit ein Beyſpiel davon vortragen, und ſie die
Lehre von der Erweiterung der Grenzen des Staats nennen *). Beyſpiel *) Anmerk. des Ueberſ. In unſern Zeiten iſt dieſer Theil der Staatskunſt mit den übrigen in ganz vortrefli
chen Schriften verhandelt. Beſonders verdient hierüber die mit ſo vielem Geiſt und ſo großer Beleſenheit verfaßte Schrift eines Philippi unter dem Titel: der vergrößerte Staat ſcharfſinnig nachgeleſen zu werden. Auch haben die Herren Pfeiffer, Bielefeld, Juſti, Schlettwein, Dohm, Iſelin, Springer, u. ſ. w. den Deutſchen in dieſem Fach viel Ehre und Nuzen acbracht. Den be
ſten Unterricht zur Kenntnis einen Staat zu erweitern und zu vergrößern würde uvs eine ſolche pragmatiſche Finanz-Geſchichte geben , die mit demſelben Geiſt und nach dergleichen Anordnung, als Iſelins Geſchichte der Menſchheit in Rückſicht der Philoſophie, und mit der, gleichen Erfahrung als Neckers Con pte rendu in Ab
ſicht der Politik verfaßt wäre.
Aber ein ſolches Werk
würde uns ein Geiſt wie Friederich der Große ſeiner Be,
ſtimmung gemäß liefern können, weil er auch, wie la Baumeile vom Präſidenten von Montesquieu ſagt, in allen Zeitaltern und unter allen Völkern gelebt haben,
und Philoſoph, Geſchichtſchreiber, und Staatsmann oder
Regent ſeyn müßte, wie Friederich wirklich iſt. /
&SFN
743
-----------------Beyſpiel einer kurzen Abhandlung von Erwei terung der Grenzen des Reichs.
Der
Ausſpruch des Themiſtocles, den er auf ſich ſelbſt angewandt hat, würde allerdings unhöflich und aufgeblaſen geweſen ſeyn, wann er von andern, und
überhaupt vorgebracht worden wäre, doch ſchien er allerdings eine fluge Beobachtung und einen ſehr ernſt haften Tadel in ſich zu begreiffen.
Als er bey einem
Gaſtmahl gebeten worden die Laute zu ſpielen, hat er geantwortet: ſpielen kann ich nicht, aber aus einer kleinen Stadt eine große machen; dieſe Worte, wann ſie auf politiſchen Sinn gedeutet werden, beſchreiben und unterſcheiden allerdings zwey ſehr von einander
unterſchiedene Fähigkeiten an denjenigen ſehr gut, welche die Ruder der Dinge in Händen haben. Dann
wann wir die Räthe der Könige, die oberſten des Volkes, und andere in öffentlichen Geſchäften ſtehende Männer, die jemahls geweſen ſind
aufmerkſam be
trachten, ſo werden in der That obwohl ſehr ſelten einige gefunden, welche ein Reich oder eine Stadt aus einem kleinen Zuſtand zu einem großen bringen
können, jedoch ſehr ungeſchickte Spieler ſind: da in Gegentheil andere, und die meiſten auf der Cycher oder Laute, das iſt in den Hofſchranzereyen, wunder
bare Künſtler ſind, aber ſo wenig einen Staat erwei tern können, daß ſie vielmehr von Natur ſo beſchaffen ſind, um einen glücklichen und blühenden Staat zu
ſchwächen und umzukehren.
In der That, jene aus,
Aaa 4
gear
&SFRd
744
gearteten und taſchenſpieleriſchen Künſte, durch welche
öfters die Räthe und Vornehmſten, ſowohl die Gunſt bey ihren Fürſten als einen Ruf beym Volk davon tragen, verdienen keinen andern Rahmen, als den einer gewißen Schicklichkeit in ſpielenden Tändeleyen,
da es Dinge ſind, die mehr vors gegenwärtige ange nehm und den Künſtlern ſelbſt zur Zierde ſind, als daß ſie zum Reichchum und zur Vergrößerung der
Staaten,
deren Diener ſie ſind,
beytragen oder
nüzen. Dann kommen ferner noch andere Räthe und Verwalter des Staats vor, welche mitnichten zu ver achten und den Geſchäften gewachſen ſind, ſie können
auch die Sachen ſchicklich beſorgen, und ſie vor offen, baren Nachtheilen und Verderbnißen bewahren,
doch
fehlt ihnen weithin jene Stärke Staaten aufzurichten und zu erweitern. Allein laßt uns, wie auch endlich die Arbeiter beſchaffen ſeyn mögen, unſere Augen auf das Werck ſelbſt werfen; wie nemlich die wahre Größe der Reiche und Staaten beſchaffen ſeyn müße, und durch welche Künſte ſie erhalten werden können: allerdings ein wür
diger Innhalt, welchen die Fürſten beſtändig in Hän den haben, und fleißig bedenken ſollten; damit ſie weder ihre Kräfte allzuhoch ſchäzen, und ſich in eitle und allzuſchwere Dinge verwicklen; noch auch dieſelben
allzuflein anſehen, und ſich zu ſchwachmüthigen und furchtſamen Anſchlägen herablaßen. Die
Größe
-
der Staaten wird in Abſicht der
Maße und des Gebiets der Meßung, in Abſicht der
Einkünfte den Rechnungen unterworfen,
KD Die
e-FR
745 /
Die Anzahl der Bürger, und die Köpfe können durch die Steuer, die Menge und Größe der Städte und Flecken
durch Tabellen aufgenommen werden.
Doch findet man in Staatsſachen nichts dem Irrthum mehr unterworfen, als das Aufnehmen des wahren und innerlichen Werthes in Abſicht der Kräfte und Volkszahl eines Reiches. Das Himmelreich wird nicht
einer Eichel, oder einer andern größern Nuß, ſondern einem Senfkorn verglichen, welches unter den Körnern das kleinſte iſt, und indeßen doch eine gewiße Eigen
ſchaft und angebohrne Kraft in ſich hat, wordurch es ſich ſowohl geſchwinder erhebt, als auch weiter aus breitet; eben ſo ſind Reiche und Staaten zu finden, die zwar einen großen und weiten Umfang der Gegen
den haben, jedoch zur weitern Ausdehnung der Gren zen, oder zur ausgebreiteteren Herrſchaft minder geſchickt
ſind; da hingegen andere von ziemlich kleinem Raum ſeyn können, der aber die Grundlage iſt, auf welchen die gröſten Monarchien gebaut werden. –
1. Beveſtigte Städte, volle Zeughäußer, vor trefliche Pferdezucht, Streitwagen, Elephanten, aller ley Gattungen Maſchinen und Wehre zum Krieg, und dergleichen ſind gewiß allzuſammen nichts anders, als ein mit einer Löwenhaupt bekleidetes Schaaf, wo nicht
das Volk ſelbſt, ſeinem Stammen und ſeiner Art nach, tapffer und kriegeriſch iſt. /
Ja auch ſelbſt die Anzahl der Truppen hilft nicht viel, wo die Soldaten ſchwach und träge ſind.
Denn Virgil ſagt mit Recht: der Wolf fürchtet die Zahl des Viehes nicht. -
Die Armee der Perſer ſtand
Aaa 5
auf
-
A
746
&EFSd
auf den Feldern von Arbela im Angeſicht der Mace,
dozier -
eine ungeheure Fluth von Menſchen, ſo daß
au - die Berer als des Aleranders durch das Anſehen ſehſt gerührt den König baten, ſie bey der Nacht zu überfallen, worauf er geantwortet: ich will ihnen den Sieg nicht ſtehlen. In eben dieſer Meinung iſt aber
auch der Armeniſche König Tigranes leichtſinniger ge weſen, der an einem Hügel mit einer Armee von vier
mal hunderttauſend Mann ſich lagerte.
Als er die
Römer, die nicht über vierzehen tauſend Mann ſtark waren, in Schlachtordnung wider ſich ankommen ſah, hat es ihm mit dieſem Ausdruck zu ſporten gefallen: was iſt das vor eine Handvoll Leute, für eine Ge ſandſchaft zu viel, und für den Streit zu wenig. Doch
noch vor Untergang der Sonne hat er durch eine er
ſchreckliche Niederlage traurig genug erfahren, daß es nur allzuviele für ihn waren. Es giebt unzählige Beyſpiele, wie ungleich der Streit der Menge mit der
Tapferkeit ſey.
-
Es iſt alſo zuerſt als die gewißeſte und ausge machteſte Sache anzunehmen und feſt zu ſezen,
daß
unter allem demjenigen, was zur Größe eines Reichs
oder Staates gehört, dies das vornehmſte ſey, daß das Vºlk ſeinem Stammen und ſeiner Natur nach
kriegeriſch ſeh. Dann wenn einem weichen und weibi ſchen Volk die Nerven des Arms fehlen, ſo iſt es ein
mehr gemeines als wahres Sprichwort, daß das Geld die Nerven des Kriegs ſeyen. Denn mit Recht hat Solon dem mit ſeinem Golde prahlende Eröſus ge antwortet: wenn aber o König einer kommen ſollte,
der beßer als du das Schwerdt führen wird, ſo -
/
wird C
KSFSd
747
wird ihm fürwahr alles dieſes Gold zu theil werden.
Daher derjenige Fürſt oder Staat, deßen eingebohrne und einheimiſche Unterthanen nicht muthig und krieges riſch ſind, ſeine Macht ſehr mäßig ſchäzen ſolle: die
jenige Fürſten hingegen, welche über muchige und kriegeriſche Völker herrſchen, mögen ihre Kräfte ken nen, und ſich nicht entſtehen.
Was die Miethtruppen
anbetrift, welche gebraucht zu werden pflegen, wann
eigene Truppen fehlen, ſo iſt alles voll Beyſpiele, aus welchen deutlich erhellet, daß derjenige Staat der ſich darauf verlaßt, vielleicht auf kurze Zeit etwas größere Federn als das Neſt iſt ausbreiten kann, aber ſie entfallen ihm kurz darauf,
2. Der Segen Judas und Iſaſchar werden niemals in einem zuſammen kommen:
daß nemlich
ebenderſelbe Stamm oder das nemliche Volk zugleich ein junger Löwe, und ein unter ſeiner Laſt ſich legender Eſel ſey.
Auch wird es niemals geſchehen, daß ein
mit Abgaben gedrücktes Volk tapfer und kriegeriſch ſey.
Wahr iſt es,
daß die mit öffentlicher Einſtimmung
gemachte Steuern die Gemüther der Unterthanen we niger niederſchlagen und bedrücken, als diejenigen, welche auf bloßen Befehl aufgelegt werden. Wie
man dies eines theils deutlich an den Abgaben Nie derdeutſchlandes, die man Acciſe nennt, und andern
theils an denjenigen ſehen kann, die man in England
Subſidien nennt.
Denn es iſt zu merken, daß jezt
von den Gemüthern der Menſchen, nicht von dem Ver mögen die Rede ſey. Die Abgaben aber, welche aus
Einſtimmung gegeben werden, und welche aus Befehl auferlegt werden, greiffen dennoch, wenn ſie auch in . -
Abſicht
748
SEF d
Abſicht der Vermögens Erſchöpfung gleich ſind, die Gen her der Menſchen allerdings verſchiedentlich an. Man ſeze alſo auch dieſes feſt, daß ein mit Abgaben
beſchwertes Volk, zum herrſchen nicht tüchtig ſey. 3. Die nach Größe trachtende Reiche und Staa ten müßen ſich gänzlich hüten, daß nicht die Geſchlech ter der Adelichen und Patricier allzuſehr gehäuft wer den. Denn dies bringt die Sache dahin, daß das gemeine Volk niedrig und verworffen, und beynahe nichts anders als Sclaven und Taglöhner der Vor nehmen ſind. Ein gleiches ſehen wir an den Holz ſchlägen der Wälder, wann in ſolchen eine allzugroße
Anzahl alter Stämme oder ſtarker Bäume gelaßen wird, ſo wird kein ächter und reiner Anflug nach wachſen, ſondern der meiſte Theil wird in Stauden und Hecken ausarten.
Eben ſo wird bey Völkern,
wo der Adel allzuzahlreich iſt, das gemeine Volk träg und elend ſeyn: und die Sache wird endlich dahinaus gehen, daß auch von hunderten nicht einer die Picke zu tragen im Stande ſeyn wird: wenn man beſonders auf das Fußvolk ſieht, welches gemeiniglich die Haupt ſtärke einer Armee iſt ; woraus dann vieles Volk,
wenig Kräfte kommen.
An keinem Volk iſt dies was
ich hier ſage deutlicher zu ſehen, als an den Beyſpie len Englands und Frankreichs. Wie nemlich England, ob es gleich dem Gebiete und der Anzahl der Einwoh
ner nach, weit geringer als dieſes iſt, dennoch im Kriege beynahe immer die Oberhand erhalten hat: und zwar eben dieſer Urſache wegen,
weil bey den
Engländern die Anſiedler und die Menſchen aus den niedrigern Ständen des Kriegsdienſtes fähig ſind, die Bauren z
-
“
&EFD Bauren Frankreichs nicht alſo.
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In Abſicht dieſer
Sache hat Heinrich der Siebende, König von Eng land, wie wir in der Geſchichte ſeines Lebens weit läuftiger gezeigt haben, mit einer wunderbaren und tiefen Klugheit den Entwurf gemacht, daß kleinere Landgüter und Bauren Häußer errichtet würden, welche eine beſtimmte und zwar mittelmäßige Anzahl Feldes beygefügt haben, die nicht veräußert werden kann, zu dem Ende,
damit ſie zu einer etwas guten Nahrung
hinreiche, und daß der Akerbau von denen getrieben werde, welche Herren, oder wenigſtens Nuznießere des
Bodens, nicht Pächtere oder Miethlinge ſind. Dann alsdenn erſt wird eine Gegend jenen Character ver
dienen, womit Virgil das alte Italien bezeichnet hat:
ein Land das durch Waffen mächtig und von fruchtba rem Boden iſt. Auch iſt jener Theil des Volks nicht vorbey zu gehen, welcher England beynahe eigen iſt, und meines Wißens nirgends als etwa bey den Pohlen gefunden wird, nemlich die Diener der Edlen: denn auch die geringeren dieſer Gattung weichen, in Abſicht auf den Infanteriedienſt, ſelbſt den Landleuten nicht.
Daher es ausgemacht iſt, daß jener Pracht und Glanz in der Dienerſchaft und in den Leibwachen, welche key den edlen und vornehmen Geſchlechtern Englands Sitte ſind, ſehr viel zur militäriſchen Macht beytra gen: da im Gegentheil die dunkle und mehr in ſich
gezogene abgeſonderte Lebensart der Adelichen die Kriegs völker vermindert.
4. Man muß ſich allerdings Mühe geben,
daß -“
ein ſolcher Baum der Monarchie, wie der des Ne. bucadnezars geweſen iſt, einen ſehr weiten und ſtarken Stani
&SFRd
75o
Stamm habe, um ſeine Aeſte und Zweige zu tragen,
das iſt, daß die Anzahl der Einheimiſchen immer hin, reichend genug ſey,
die auswärtigen Unterthanen in
Zaum zu halten. Diejenigen Staaten alſo haben eine gute Anlage ihr Reich zu vergrößern, welche das Bürgerrecht leicht und gerne ertheilen. Denn es iſt allerdings eine eitle Meinung geweſen, daß eine Hand voll Leute, wann ſie auch gleich an Geiſt und Muth vortreflich ſind, allzuweitläuftige und entfernte Gegenden unter dem Scepter des Reichs regieren und halten könne. Dieſes
mögen ſie vielleicht eine Zeitlang thun können, aber dieſe Sache dauert nicht in die Länge. Die Spar taner waren wenig an der Anzahl und ſchwierig im
Aufnehmen neuer Bürger. Daher ſind auch ſo lang ſie in ihre enge Grenzen eingeſchloßen waren, ihre Umſtände veſt und beſtändig geweſen. Nachdem ſe aber angefangen hatten, ihre Grenzen zu erweitern und ausgebreiteter zu herrſchen, als der ſpartaniſche Stamm im Stande war, die Menge der auswärtigen
füglich unter der Herrſchaft zu halten, iſt ihre Macht plözlich geſunken. Kein Staat hat jemals ſeinen Schooß ſo ſehr net, um neue Bürger anzunehmen, als die römiſche eröf
Und das Glück entſprach auch der klugen
Republik.
Einrichtung, da hierdurch das größeſte Reich des Es war bey ihnen Sitte das Erdbodens erwuchs. d cht geſchwin zu errheilen: und zwar in dem Bürgerre höchſten Grade: das iſt, nicht allein das Recht "des
Handels, das Recht des Eheſtandes, das Recht der Etb /
K-Fººd
751
-
:
-
Erbſchaft, ſondern auch das Wahlrecht, und das Recht
ſich um Ehrenſtellen zu bewerben: und dieſes haben ſie wieder nicht nur einzelen Perſonen, ſofern ganzen
Familien, ja Städten und bisweilen ganzen Nationen
ercheilet.
Hiezu rechne man noch die Gewohnheit
Anſiedlungen zu machen, wordurch römiſche Stämme auf auswärtigem Boden verpflanzt wurden. Wenn man dieſe beyde Einrichtungen zuſammen nimmt, ſo wird man allerdings ſagen, daß nicht die Römer ſich über die ganze Welt ausgebreitet haben: ſondern daß
die ganze Welt ſich über die Römer ausgebreitet: welches allerdings die ſicherſte Art der Erweiterung des Reichs iſt. Es wundert uns oft, daß das ſpani ſche Reich mit ſo wenigen einheimiſchen ſo viele Kö
nigreiche und Provinzen umfaßen und im Zaum hal ten kann. Aber gewiß Spanien muß vor einen ziem lich großen Stamm gehalten werden, da es einen weit größern Umfang an Landſchaften hat, als Rom
oder Sparta bey ihren Anfängen hatten.
Ferner
ercheilen zwar die Spanier das Bürgerrecht ſehr ſpar ſam, doch thun ſie etwas demſelben zunächſtliegendes; nemlich ſie nehmen Menſchen aus allen Nationen ohne
Unterſchied unter ihre Truppen.
Ja ſie übertragen
auch das höchſte Kriegsamt nicht ſelten an Generale die keine Spanier von Geburt ſind.
Und doch ſchei
nen ſie eben dieſe kleine Anzahl der Einheimiſchen ohn, längſt gefühlt und ihr aufzuhelfen begehrt zu haben, wie aus der in dieſem Jahre kund gemachten prag
matiſchen Sanction erſichtlich iſt. 5. Es iſt ſehr gewiß,
daß die mechaniſchen
ſizenden Künſte, welche nicht unter freyem Himmel, ſondern
«
-
geFººd
-
-
752
ſondern unter Dach geº werden,
und die feinen
Manufacturarbeiten welche vielmehr den Finger als den Arm erfordern hº Natur nach kriegeriſchen Seelen zuwiderſey". ueberhaupt ſind kriegeriſche
Wj gerne müßig Ä Gefahren weni ger als die Arbeiten
und von dieſer ihrer Art ſind
v
ſie nicht ſehr
abzuhalten
wenn wir haben wollen,
daß ihre Seelen Kraft behalten ſollen. Es iſt alſo Sparra, Athen, Rom/ und andere alten Staaten
je große Unterſtüzung 9Ä daß ſie keine freyen je, ſondern gemeinsÄ gehabt haben durch deren Arbeiten dergleichen Handwerke getrieben worden. Allein der Gebrauch der Sclaven iſt nach
jenommenen chriſtliche
Ä ÄDaher ſºº dieſe Künſte nur auswärtigen überlaßenÄ werden, welche diesfalls anzulocken ! oder wenigſtens leicht aufzuneh j ſind. Unter den eingebohrneº aber muß das ge
-
jene Volk aus drey Gaº Menſchen beſtehen; jlich aus Bauren ſº Dienſtboten undNerven Künſt lern, deren Arbeiten Stärke und männliche
Ähn Ä hauer, die Zimmerleutedieund ergleichen ſind: ohne die i: . . . beſchriebene Miliz zu rechnen. 73 " :. . 73 6. Vor allem aber trägt e. zur Größe eines -
-
.
.“
Reichs bey/ wann ein Volk das Kriegshandwerk als ſeine Zierde und als eine der erſten ſeiner Lebensarten j Ernſt treibt, und in ganz vorzüglicher Ehre hält,
Äsjch von uns geſagt worden. . Ä nur die Fähigkeiten zu
den Waffen: worzu aber die - -
-
-
-
- -
-
Fähigkeit, wenn mjn nicht der Sache ſelbſt obligt -
--
-
daß
&SFN
753
daß ſie zur Thätigkeit gebracht wird? man erzählt oder dichtet von Romulus daß er nach ſeinem Abſterben
ſeinen Bürgern anbefohlen, daß ſie vor allen Dingen
das Kriegsweſen mit Verehrung treiben ſollten, wor durch die Stadt zum Haupt der ganzen Welt werden würde.
Der ganze Bau des ſpartaniſchen Reiches
iſt, obwohl nicht allzuklug doch emſig, auf eben den ſelben Endzweck eingerichtet und gebauet, daß nemlich
deßen Bürger mit den Perſern und Macedoniern Krieg führten. Es war die gleiche Einrichtung, aber nicht ſo beſtändig oder daurend.
Die Britannen, die Gal
lier, die Germanen, die Gothen, die Sachſen, die Normänner, und einige andere, haben ſich auch den
Waffen ganz vorzüglich ergeben.
Die Türken behal
ten heutiges Tages eben dieſe Einrichtung, von ihrem Geſez nicht wenig aufgemuntert bey, aber ihre Miliz hat ſich wie ſie jezt iſt, ſehr verändert. In dem chriſtlichen Europa ſind die Spanier das einzige Volk (zu Baeons Zeiten),
welches jene Einrichtung noch
beybehält und betreibt.
Es iſt aber eine ſo klare und
offenbare Sache, daß ein jeder in demjenigen es am
weiteſten bringe, worauf er die meiſte Mühe verwen det, daß es keiner Worte bedarf. Es mag genug ſeyn anzudeuten, daß man allerdings an einer Nation
verzweiflen müße, die nicht das Kriegsweſen und die Waffen als eine Handthierung treibt, und ſich mit ſo viel Würde und Fleiß darauf legt, als wann ſie noch in der Zukunft eine fernerweitige auffallende Größe
dardurch erlangen wollte: da ja die Zeit aufs gewißeſte gelehret hat, daß jene Nationen, welche das Kriegs
weſen und die Handthierung der Waffen ſehr lange getrieben, wie dies hauptſächlich die Römer und Türken *
B hh
gethan/
&SFRd.
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gerhan, wunderbare Fortſchritte in Erweiterung des Staats machen.
Ja auch diejenigen Völker, welche
nur in dem Zeitraum eines einigen Jahrhunderts einen kriegeriſchen Ruhm gehabt, haben doch dardurch in
jenem einigem Jahrhundert eine ſolche Weite des Staa, -tes erlangt, die ſie lange Zeit nachher, da auch jene Kriegszucht und Uebung der Waffen nachgelaßen, noch behalten haben.
7. Mit der vorhergehenden Lehre iſt dieſe ver wandt, daß ein Staat ſich ſolcher Geſeze und Gewohn
heiten bediene, welche ihm alsbald gerechte Urſachen, oder wenigſtens Vorwände die Waffen zu ergreiffen,
an Hand geben. Dann den Gemüthern der Menſchen iſt ein ſolcher Begriff der Gerechtigkeit eingepflanzt, daß ſie ſich enthalten einen Krieg, der ſo viel Trüb ſalen mit ſich führt, ohne eine wichtige, wenigſtens
anſcheinende Urſache anzukünden.
Die Türken haben
immer und auf jeden Wink eine Urſache zum Kriege
bereit, nemlich die Ausbreitung ihres Geſezes und ihrer Secte. Die Römer, ob es gleich ihren Feldherren
zur großen Ehre gereicht, wann ſie die Grenzen ihres Reichs erweitert hatten, haben doch bloß um dieſer Urſache willen, damit die Grenzen erweitert würden, niemals Krieg angefangen. Einem nach Größe trach tendem Volk ſey alſo dies zur Gewohnheit: daß es eine lebhafte und ſcharfe Einpfindung eines Unrechts
habe, welches entweder ſeinen Grenzunterthanen, oder Kaufleuten, oder öffentlichen Staatsbedienten angethan worden, und daß es bey der erſten Aufforderung nicht allzulange zaudern oder träge ſey: ferner muß es fertig
und geſchwind ſeyn ſeinen Alliirten und Verbündeten - - Hülfe
&SFsd
755
Hülfe zu ſchicken : als welches bey den Römern be ſtändig war: ſo, daß wann etwa auf ein verbündetes
Volk / das auch mit andern eine Defenſiv-Allianz
hatte ein feindlicher Angrif geſchehen war, und jenes von vielen Hülffe ſuchte, ſo waren die Römer immer unter allen zuerſt bey der Hand, indem ſie die Ehre
des Beyſtandes von Niemand ſich entreißen laßen wollten. Was aber die Kriege anbetrift, die zu alten Zeiten wegen einer gewiſſen Gleichheit, oder ſtilſchwei, f
gener ebetkunft der Staaten geführt worden ſind, ſo ſehe ich nicht ein, in welchem Recht ſie gegründet M ſ
g
ſind. Der gehen. Kriege waren die, welche die Rö, mer geführt hatten um Griechenland in Freyheit zu ſezen: ſo waren die Kriege der Lacedämonier und Athe nienſer, um entweder Democratien zu errichten, oder Oligarchien zu zerſtören: ſo ſind bisweilen von Repu
i e.
bliken oder Fürſten Kriege unter dem Vorwand gerührt
worden, fremde Unterthanen zu ſchüzen, und von der Zur geenwärtigen Sache
Tyranney zu befreyen.
mag es hinreichend ſeyn diesfeſt zu ſezen: daß kein Staat eine Erweiterung ſeines Reichs erwarten dü fe/
wo er nicht bey jeder rechtmäßigen Gelegenheit die
Waffen zu ergreiſen ſich alsbald mit Munterkeit rüſtet. 8. Allerdings kann
kein Cörper,
er mag entweder
ein natürlicher oder politiſcher ſeyn, ohne Ulebung ſeine
Geſundheit ſchüzen und erhalten.
Einem Reche oder
Staat aber iſt ein gerechter und ehrenvoller Krieg. ſtatt einer heilſamen Uebung. Ein Bürgerkrieg iſt allerdings einer Fieberhize gleich: aber ein auswärtiger Krieg iſt der aus der Bewegung entſtehenden Wärme gleich welche vorzüglich zur Geſundheit dient. Dann B bb 2.
durch
&-Fººd
756
-
durch einen ſchläfrigen und trägen Frieden werden ſo wohl die Seelen weibiſch, als auch die Sitten verdor ben. Wie ſich aber auch die Sache verhalte, ſo iſt es nöthig,
daß ein Staat, inſofern die Größe zu ſeiner
Glückſeligkeit gehört, gleichſam immer in den Waffen ſey. Und eine verſuchte und gleichſam beſtändig unter der Fahne gehaltne Armee, wann ſie auch gleich große Koſten und Aufwand erfordert, iſt dannoch von ſolcher
Beſchaffenheit,
daß ſie einem Staat gleichſam die
Entſcheidung der Dinge unter den Nachbarn,
oder
wenigſtens ſehr viel Achtung in allen Geſchäften ver ſchaffet. Welches man vorzüglich an den Spaniern ſieht, welche ſchon ein hundert und zwanzig Jahre durch eine verſuchte Armee, wo nicht immer nach glei chen doch nach einigen Seiten, unterhalten haben. 9. Die Herrſchaft zur See iſt ein kurzer Inn begrif einer Monarchie. Wann Cicero von der Zu
rüſtung des Pompejus wider den Cäſar an ſeinen Atticus ſchreibt, ſagt er alſo: der Anſchlag des Pompejus iſt allerdings mit dem Geiſt eines The miſtocles gefaßt: denn er glaubt, wer ſich der See bemächtige bemächtige ſich der Dinge. Und Pom pejus würde allerdings den Cäſar ermüdet und ge ſchwächt haben, wenn er durch kein leeres Vertrauen aufgeblaſen, von jenem Vornehmen nicht abgeſtanden hätte. Wie wichtig die Seetreffen immer geweſen, erhellet aus vielen Beyſpielen.
Die Schlacht bey
Actium hat die Herrſchaft über den Erdkreiß ent ſchieden. Die Schlacht bey den Echinadiſchen In ſeln hat den Türken einen Ring in die Naſe gelegt.
Sehr oft iſt es allerdings geſchehen, daß die Siege A
zur -*
757
&SFRd
zur See den Krieg ein völliges Ende gemacht haben. Aber es iſt dies geſchehen,
mit dem Spiel ſolcher
Treffen iſt das ganze Kriegsglück übergeben worden. Dies iſt gar kein Zweifel, daß derjenige der ſich der Herrſchaft zur See bemächtiget, mit großer Freyheit
wirket, und ſo viel als er will aus dem Krieg ziehen
kann: da im Gegentheil der ,
welcher zu Lande die
Oberhand hat, nichtsdeſtoweniger mit ſehr vielen Nöthen zu kämpfen hat. Und heut zu Tag beſon ders bey uns Europäern, iſt jezt oder niemals, die
Seemacht, welche dieſem Britaniſchen Reich zum Ei genthum geworden, von der größeſten Wichtigkeit zur Erlangung der Größe, weil ſowohl die meiſten euro päiſchen Reiche nicht blos vom Lande eingeſchloßen,
ſondern meiſtentheils mit dem Meer umgeben ſind, als auch weil die Schäze und Reichthümer beyder Indien mit der Herrſchaft des Meeres, als eine gewiße Zus gabe verknüpft ſind. -
1o. Die neueren Kriege kann man als ſolche
anſehen, die gleichſam in der Finſterniß geführt wer den, wenn man dagegen den Ruhm und die mancher
ley Verehrung betrachtet, welche zu den alten Zeiten auf die Kriegsleute von den Kriegsthaten zu kommen
pflegten. Wir haben vielleicht heut zu Tage zur Er munterung der Gemüther einige ehrenvolle Kriegs orden, welche doch ſchon ſowohl dem Hofe als der Armee gemeint ſind. Auch haben wir einige unter ſcheidende Wappen, überdies einige öffentliche Häuſer
für invalide Soldaten,
und dergleichen.
Bey den
Alten aber wurden an den Orten, wo die Siege er
worben worden, Trophäen, Lobreden auf die Verſtor -
Bbb 3
benen -
-
758
&EFD
benen, und prächtige Denkmale der im Kriege beblie, benen errichtet. Die Bürger, Cronen, die Kriegs Känze, wurden einzelen gegeben. Der Nahme
Imperator ſelbſt war ſo ehrwürdig, daß ihn hernach die größten Könige von den Heerführern gleichſam er
borgt haben. Die wieder zurückkehrende Heerführer hielten nach glücklich vollendetem Krieg auffallende Triumphe. Bey der Entlaßung der Armeen erhielten die Soldaten große Schenkungen und Gnadengehalte. All dieſes nun iſt ſo vielfach und ſo groß geweſen, und
hat mit einem ſolchen Glanz geſchimmert, daß es die Herzen der Sterblichen, wann ſie auch ganz von Eiß
waren, hat anfeuren und zum Kriege entflammen kön nen. Vor allem aber war jene Gewohnheit der Rö, mer Triumphe zu halten keine bloße Prachtſache oder
ein leeres Schauſpiel, ſondern allerdings unter die flügſten und edelſten Anſtalten zu zählen.
Da ſie
nemlich dieſe drey Stücke in ſich enthielt: den Ruhm und die Ehre der Heerführer;
die Bereicherung des
gemeinen Schazes aus den Plünderungen; Beſchenkungen der Soldaten.
und die
Allein die Ehre des
Triumphs kommt vielleicht den Monarchien nicht zu, außer an den Perſonen des Königes ſelbſt oder dei Söhne des Königes. Welches auch zu den Zeiten der Kayſer
zu Rom ſo geweſen iſt, welche die Ehre des Triumphs ſelbſt ſich und ihren Söhnen von den Kriegen welche ſie ſelbſt gegenwärtig vollendet hatten, als etwas ihnen ganz eigenes vorbehalten haben: bloß die Kleider und
die Triumphszeichen haben ſie andern Heerführern nachſichtlich erlaubt.
Allein
e-FS
759
Allein laßt uns nun dieſe Vorträge beſchließen. Niemand kann, wie die heilige Schrift bezeugt durch ängſtliches Nachdenken ſeiner Länge, eine Elle zuſezen/
nemlich an dem kleinen Maaß des menſchlichen Cör pers: aber doch iſt es der Könige und Herrſcher Sache in dem großen Bau der Reiche und Staaten die Herr ſchaft zu erweitern und
die Grenzen auszudehnen.
Dann durch kluge Einführung ſolcher Geſeze , . An ſtalten und Gewohnheiten wie wir vorgetragen haben, und anderer dergleichen, werden ſie für ihre Nachkom
men und die künftigen Jahrhunderte Größe ausſäen. Aber die Rathſchläge werden bey den Fürſten ſelten unterhandelt, ſondern die Sache gemeiniglich dem Glück überlaßen. Und dies iſt es was wir gegenwärtig von der
Erweiterung der Grenzen des Reichs haben vortragen wollen. Was ſoll aber dieſe Betrachtung, da die römiſche Monarchie, wie man glaubt, die lezte menſch liche ſeyn wird ? wir haben unſerem Entwurf getreu es nicht gänzlich hinweglaßen noch irgend aus dem Wege weichen dürfen, indem die Erweiterung des
Staats unter den drey Verrichtungen der Politik die dritte iſt.
Noch iſt das andere vermißte Stück von
den obigen beyden übrig, nemlich der Vortrag von der allgemeinen Gerechtigkeit, oder den Quellen des Rechts. Alle, welche von den Geſezen geſchrieben haben, haben dieſen Innhalt entweder als Psiloſophen, oder als Rechtsgelehrte behandelt. . Die Philoſophen nun bringen vieles vor das ſchön geſagt, aber von der Er fahrung entfernt iſt. Die Rechtsgelehrten aber ſind Bbb 4 EITs
76e
&-Fººd
entweder den Säzen der Geſeze ihres Vaterlandes, oder auch der römiſchen und päbſtlichen Rechten zu
gethan, und gebrauchen alſo keine aufrichtige Beur theilung, ſondern reden gleichſam in Feßeln. Gewiß geht dieſe Erkänntnis eigentlich Staatsmänner an: welche am beſten wißen, was die menſchliche Geſell
ſchaft, was das Wohl des Volks, was die natürliche Billigkeit, was die Sitten der Völker, was die ver ſchiedenen Verfaßungen der Staaten vermögen:
ſie
können alſo ſowohl nach den Gründen der natürlichen Billigkeit als nach den Lehren der Politik über die Geſeze entſcheiden. Diesfalls ſoll nun dies geſchehen, daß die Quellen der Gerechtigkeit und des öffentlichen
Wohls aufgeſucht werden, und in jeden einzelnen Theilen des Rechts ein gewißer Character und ein Begriff des rechtmäßigen dargelegt werde, nach wel chem derjenige, dem dieſes am Herzen liegt, die Geſeze der beſonderen Königreiche und Staaten prüfen, und dar durch die Verbefierung unternehmen kann. Wir wollen unſerer Gewohnheit nach von dieſer Sache ein Bey ſpiel in dem Abſchnitt oder Titel vorlegen.
-Äé GSA, Yse-sk” 4
Beyſpiel
Be y ſpiel Einer Abhandlung von der allgemeinen Ge rechtigkeit, oder von den Quellen des Rechts, in einem Abſchnitt, durch Aphorismen oder kurze Säze.
Eingang. I. Sa z.
In
der bürgerlichen Geſellſchaft gilt entweder das
Geſez, oder die Gewalt.
Die Gewalt aber nimmt
auch einigermaßen den Schein des Geſezes an, und manches Geſez verräth mehr Gewalt als Billigkeit des Rechts.
Die Quelle der Ungerechtigkeit iſt alſo
dreyfach, eine lautere Gewalt; eine boshafte Ver ſtrickung unter dem Vorwand des Geſezes; und eine Strenge des Geſezes ſelbſt.
2.) Der Grund des Privatrechts iſt dieſer: wer Unrecht thut, nimmt durch die Sache Nuzen oder Vergnügen, durch das Beyſpiel Gefahr. Die übri gen nehmen an jenes Nuzen oder Vergnügen keinen Theil, ſondern glauben daß das Beyſpiel ſie betreffe. Alſo werden ſie leicht eins, durch Geſeze ſich vorzuſe
hen, daß die Ungerechtigkeiten nicht von einzelen auf einzele gehen. Wann nach der Beſchaffenheit der
Zeiten und der Theilnehmung der Schuld ſich zuträgt, Bbb 5
daß
762
SFR)
daß mehrere und mächtigere durch ein Geſez in Gefahr kommen, als verwahrt werden, ſo hebt die Parthey das Geez auf, welches auch öfters geſchieht.
3.) Aber das Privatrecht liegt unter dem Schuz des Staatsrechts verborgen. Denn das Geſez ver wahret die Bürger die Obrigkeit die Geſeze; das An ſehen der Obrigkeiten aber hängt an der Majeſtät der Regierung der Verfaßung des Staates, und an den
Grundgeſezen. Wann daher hierinn eine geſunde und richtige Beſchaffenheit ſtatt findet, ſo werten die Ge
ſeze guten Nuzen haben, wo aber dies nicht
iſt, ſo
wird wenig Schuz in ihnen zu ſuchen ſeyn. - 4. Doch geht das Staatsrecht nicht bloß darauf, daß es dem Privatrecht gleichſam als ein Wächter zu
geſezt werde, damit man dieſes nicht verleze, und die Ungerechtigkeiten aufhören; ſondern es erſtreckt ſich
auch auf die Religion, die Waffen, die Zucht und Ordnung, die Zierde und Bequemlichkeiten die Reich
thümer, und endlich auf alles, was das Wohl eines Staates betrift.
5. Denn der Endzweck und die Abſicht,
auf
welche die Geſeze zielen - und worauf ihre Befehle und Verordnungen gehen müßen, iſt kein anderer, als
daß die Unterthanen oder Bürger glücklich leben. Dies wird geſchehen,
wann ſie in der Frömmigkeit und
Religion richtig unterrichtet an
Sitten ehrbar, durch
die Waffen wider ihre äußere Feinde geſchüzt
durch
die Hälfe der Geſeze wider innere Aufruhren und Privat, Ungerechtigkeiten verwahrt, der Regierung und den
v-Fs
763
Obrigkeiten
gehorſam, mit den Gütern dieſes Le bens geſegnet und alſo blühend ſind. Die Werkzeuge
den
und Nerven dieſer Dinge aber ſind die Geſeze. 6. Und dieſen Endzweck erreichen ſehr gute Ge ſeze: die meiſten aber verfehlen ihn. Denn die Geſeze ſind ganz außerordentlich weit von einander unterſchie
den, da einige vortreflich, andere mittelmäßig, und endlich andere ganz mangelhaft ſind. Wir wollen alſo nach dem kleinen Maaß unſeres Geiſtes, gleichſam ei nige Geſeze der Geſeze aufſtellen, nach welchen die
Prüfung geſchehen kann, was in einzelen Geſezen gut oder verkehrt angeordnet iſt. -
-
7. Ehe wir aber zur Verfaßung der beſonderen Geſeze ſelbſt ſchreiten: ſo wollen wir mit wenigem die
Kräfte und Tugenden der Geſeze überhaupt anzeigen. Ein Geſez kann für gut gehalten werden, das in der Ankündigung gewiß, im Gebot gerecht, in der Aus
führung bequem
mit der Staatsverfaßung überein,
ſtimmend und Tugend lehrend iſt.
1ſter Titel oder Abſchnitt. Von der erſten Erfordernis der Geſeze: gewiß ſeyn.
daß
ſie
8. Es liegt ſo viel daran daß ein Geſez gewiß ſey, daß es ohne dieſes nicht gerecht ſeyn kann. Dann wann die Trompete einen ungewißen Ruf giebt, wer
will ſich zum Streit rüſten? eben ſo, wann das Geſez . einen
764
-Fººd
-
einen ungewißen Ausdruck giebt , wer will ſich zum Gehorchen bereiten ? man muß alſo vorher warnen, ehe man ſchlägt.
Auch heißt es mit Recht: dies iſt
das beſte Geſez, welches der Willkühr des Richters und dies leiſtet nur ſeine am wenigſten Beſtimmtheit. oder überläßt; Gewisheit A
9.) Es giebt eine doppelte Ungewißheit der Ge ſeze: die eine iſt die, wenn gar kein Geſez vorgeſchrie ben wird: die andere avenn es zweydeutig und dunkel Alſo muß man von den vom Geſez ausge iſt. laßenen Fällen, zuerſt reden, daß man auch in dieſen
einige Richtſchnur der Gewisheit finde.
Von den, vom Geſez ausgelaßenen, Fällen. 10.) Die Beſchränktheit der menſchlichen Klug heit kann nicht alle Fälle faßen,
welche die Zeit
findet. Nicht ſelten zeigen ſich alſo Fälle, die ausge laßen und neu ſind. In dergleichen Fällen wird eine
dreyfache Hülfe oder Erſezung angewandt, entweder hilft man durch die Erörterung nach Gleichem, oder durch den Gebrauch der Beyſpiele, wenn ſie auch gleich zu keinem Geſez erwachſen ſind, oder durch die Aus
ſprüche eines erwählten rechtſchaffenen Mannes nach geſünder Unterſcheidung der Sache, vor welche Be
hörde leztere auch gehört haben mag.
Von der Erörterung nach Gleichem und den Ausdehnungen
der
Geſeze.
1 1. In den ausgelaßenen Fällen iſt die Richt
ſchnur des Geſezes nach gleichen Fällen,
aber mit Vorſicht
765
&-Fººd Vorſicht und Beurtheilungskraft zu ziehen.
gen folgende Regeln zu halten ſind.
Weswe
Der Rechts
grundſeye fruchtbar, die Gewohnheit unfruchtbar und zeuge keine Fälle. Was alſo wider den Rechtsgrund angenommen iſt, oder wo auch der Grund deßelben dunkel iſt, das muß man nicht zur Folgerung ziehen.
12.) Ein großes allgemeines Gut reißt die aus gelaßene Fälle an ſich.
Wann alſo ein Geſez die
Vortheile des Staates merklich und vorzüglich ſchüzet und ſolche verſchaffet, ſo muß deßen Auslegung aus
dehnend und erweiternd ſeyn.
-
13.) Es iſt hart, die Geſeze diesfalls zu zerren, damit ſie die Menſchen zerren. Es iſt alſo nicht an ſtändig die Strafgeſeze, vielweniger die peinlichen, auf
neue Verbrechen auszudehnen. Wann ein altes und nach den Geſezen bekanntes Verbrechen der Ausfüh rung nach auf einen neuen von den Geſezen nicht vorher geſehen Fall ſtößt, ſo muß man eher von den
gewohnten Rechtsſprüchen gänzlich abgehen, als daß die Verbrechen ungeſtraft bleiben.
14.) In den Statuten,
welche das gemeine
Recht beſonders in Abſicht defen, was häufig vor kommt und lange im Gebrauch geweſen, gänzlich ab
ſchaffen, iſt es nicht anſtändig nach der Gleichheit Dann mit den ausgelaßenen Fällen zu verfahren. ermangelt hat, Geſezes der ganzen des Staat wann und zwar in ausgedruckten Fällen, ſo iſt wenig Ge fahr dabey, wann die ausgelaßenen Fälle von dem neuen Statut ein Hülfsmittel erwarten.
15.) Die
- GEFRd
766
15.) Die Statuten, welche offenbar Geſeze der Zeit geweſen, und aus Gelegenheiten entſtanden, die damals in dem Staat herrſchend geweſen, haben nach verändertem Verhältnis der Zeiten genug, wann ſie ſich in den eigenen Fällen halten können: es würde aber unzeitig ſeyn, wann ſie jemals auf die ausge
laßenen Fälle gezogen würden. 16. Eine Folgerung der Folgerung findet nicht ſtatt: ſondern die Ausdehnung muß immer den nächſten
Fällen ſtehen bleiben: ſonſt wird ſie nach und nach auf das ungleiche fallen, und die Spizfindigkeiten der Köpfe werden mehr gelten als das Anſehen der Geſeze. 17.). In Geſezen und Statuten die von kürzerem Ausdruck ſind, iſt die Ausdehnung freyer zu machen. Aber in denjenigen, welche die beſonderen Fälle an,
führen, zurückhaltender.
Dann wie die Ausnahme
die Kraft des Geſezes in nicht ausgenommenen Fällen
ſtärket: alſo ſchwächet die Erzählung jene auch in den nicht erzählten Fällen. 18.) Ein erklärendes Statut ſchießt die Ausflüße
des erſteren Statuts, auch wird hernach die Ausdeh nung in dem anderen Statut nicht angenommen. Auch muß der Richter keine weitere Ausdehnung machen,
wo einmal von dem Geſez die Ausdehnung gemacht zu werden angefangen hat. -
«
19.) Die Feyerlichkeit der Worte und Aeten
-
läßt die Ausdehnung auf das gleiche nicht zu,
denn
ſie verliert die Natur des feyerlichen, welches von der .
. «.
.
Sitte
r
FFSd
-
767
z
Sitte zur Willkühr übergeht: und die Einführung neuer verdirbt die Würde der alten.
20.) Leicht iſt die Ausdehnung des Geſezes auf die nachher entſtandenen Fälle, welche zur Zeit als das Geſez gegeben worden, in der Natur der Dinge nicht geweſen ſind. Dann entweder konnte der Fall nicht ausgedruckt werden, weil er damals nicht war, oder der ausgelaßene Fall wird für einen ausgedruckten ge
halten, wann der Rechts- Grund gleich geweſen iſt.
Und ſo viel mag von den Ausdehnungen der Ge ſeze in ausgelaßenen Fällen genug geſagt ſeyn: nun müßen wir von dem Gebrauch der Beyſpiele reden.
Von den Beyſpielen und ihrem Gebrauch. 21.) Nun iſt von den Beyſpielen zu reden, aus welchen das Recht zu ſchöpfen iſt, wo das Geſezman
gelt.
Von der Gewohnheit aber,
welche eine Art
des Geſezes iſt, und von den Beyſpielen, welche durch den öftern Gebrauch, in eine Gewohnheit, als in ein
ſtillſchweigendes Geſez, übergegangen ſind, werden wir zu ſeiner Zeit reden. Nun wollen wir aber von den Beyſpielen reden, welche ſelten und zerſtreut vorkom men, und in keine Kraft des Geſezes erwachſen ſind, wann, und mit welcher Vorſicht, die Richtſchnur des
Rechts von ihnen zu nehmen ſey, wann das Geſez mangelt. -
22.) Die Beyſpiele ſind von guten und ge
-
mäßigten Zeiten - nicht von tyranniſchen, oder par -
-
-
thei
768
&-Fººd
-
\
theiiſchen oder unordentlichen herzunehmen.
Derglei
chen Beyſpiele ſind unächte Geburthen der Zeit, und ſchaden mehr als ſie lehren. 23.) Unter den Beyſpielen ſind die neueren für ſicherer zu halten. Denn warum ſoll das was kurz vorher geſchehen iſt und woraus kein Schade erfolgt, nicht abermalen wiederholt werden? doch aber haben die neuen weniger Anſehen. Und wenn es etwa nöthig iſt, die Sachen wieder beßer herzuſtellen, ſo ſchmecken
die neuen Beyſpiele mehr nach ihrem Zeitalter, als nach einem richtigen Grund. 24.) Die älteren Beyſpiele aber ſind vorſichtig und mit Auswahl anzunehmen: indem der Lauf des Alters vieles verändert, daß das, was der Zeit nach
alt ſcheint, der Verwirrung und Unſchicklichkeit vors gegenwärtige nach, allerdings neu iſt. Die Beyſpiele der mittlern Zeit oder auch einer ſolchen Zeit,
welche
mit der jeztlauffenden Zeit am meiſten übereinkommt, ſind die beſten,
wobey bisweilen die entferntere Zeit
beßer als die etwas nähere iſt. 25.) Man muß ſich immer den Grenzen des Beyſpieles oder vielmehr dießſeits derſelben halten, und ſie auf keine Weiſe übertretten. Denn wo keine Richt ſchnur des Geſezes iſt, muß man alles gleichſam vor
So daß im dunkeln das geringſte
verdächtig halten. erfolgt.
P
26.) Man muß ſich vor Bruchſtücken und Ab
kürzungen der Beyſpiele hüten: und das ganze Beyſpiel und -
769
&SFRd
und deßen völliger Gang iſt einzuſehen. Dann wenn es unſchiklich iſt nur von einem Theil des Geſezes zu
urtheilen, ohne es ganz eingeſehen zu haben, ſo muß. dieſes noch weit mehr von Beyſpielen gelten, als welche zweifelhaften Gebrauchs ſind, wo ſie ſich nicht ſehr ſchicken. -
-
-
-
27.) An den Beyſpielen liegt ſehr viel daran, durch welche Hände ſie gegangen, und zu Stande gebracht worden ſind.
Dann wann ſie nur bey den
Schreibern und Dienern der Gerechtigkeit, nach dem Lauf der Rechtspflege, ohne offenbare Kenntnis der
Obern, oder auch bey dem Pöbel dem Lehrer der Vor- -
urtheile ſtatt gefunden haben, ſo ſind ſie niederzudrücken und gering zu ſchäzen. Wenn ſie aber bey den Raths perſonen, oder Richtern, oder vornehmen Rechtspfle gen ſo unter das Halbverborgene geſezt worden ſind,
daß es nothwendig geweſen iſt, daß ſie wenigſtens durch eine ſtillſchweigende Einwilligung der Richter
beveſtiget worden, ſo haben ſie mehr Würde. -
-
*
28.) Den Beyſpielen welche öffentlich bekannt gemacht worden, ob ſie wohl minder im Gebrauch geweſen ſind, iſt mehr Anſehen zuzuſchreiben, da ſie doch durch die Reden und Beſtreitungen der Menſchen umgetrieben und beurtheilt worden ſind. Welche aber in den Schränken und Archiven gleichſam begraben t
geblieben,
und öffentlich in Vergeßenheit gekommen
ſind, beſizen weniger Anſehen. Dann die Beyſpiele ſind, wie das Waßer, fließend am geſundeſten. C c c
29.) Es
-.
77a
geFººd
G.
Beyſpiele welche
29.) Es iſt nicht anſtändig,
Geſeze betreffen, von den Geſchichtſchreibern zu neh men, ſondern ſie müßen von den öffentlichen Acten
und ſorgfältigeren Ueberlieferungen genommen werden. Dann es herrſcht auch unter den beſten Geſchichtſchrei bern eine gewiße Unſeligkeit, daß ſie ſich entweder bey den Geſezen oder öffentlichen Acten nicht lange genug verweilen,
oder wann ſie etwa einen gewißen Fleiß
angewandt haben, ſo gehen ſie doch von den ächten Urkunden ſehr ab.
30.) Ein Beyſpiel welches das gleichzeitige oder dqß nächſte Zeitalter verwirft, iſt, wann der Fall bis
weilen wiederkäme nicht leicht zuzulaßen.
Dann es
thut nicht ſo viel für ſelbiges, daß die Menſchen es bisweilen gebraucht haben, als das Gegentheil, daß ſie es erfahren verlaßen haben. -
31.) Die Beyſpiele werden zu Rathe gezogen, ſie gebieten oder befehlen allerdings nicht. Sie müßen alſo ſo geleitet werden, daß das Anſehen der vergan
genen Zeit auf den Gebrauch in der gegenwärtigen ge richtet werde.
-
Und ſo viel mag von dem Unterricht durch Bey ſpiele, wann das Geſez mangelt, genug geſagt ſeyn. Wir müßen nun von den unterſtüzenden und ſtraffens"
den Rechtspflegen reden.
-
Von
& Fººd
771
Von den unterſtüzenden und ſtrafenden Rechtspflegen,
32.) Dieſe Rechtspflegen ſollen auch Gerichte, zwänge ſeyn, welche nach der Willkühr eines recht, ſchaffenen Mannes und nach geſunder Unterſcheidung
entſcheiden, wo die Vorſchrift des Geſezes mangele. Denn das Geſez iſt wie vorher geſagt worden iſt, für die Fälle nicht hinreichend, ſondern wird nach dem, was gemeiniglich vorfällt eingerichtet.
Die weißeſte
Sache aber die Zeit, wie von den Alten gelehret wor, den iſt, iſt täglich ſowohl ein Urheber, als Erfinder neuer Fälle.
33.) Es kommen aber ſowohl in peinlichen Din gen neue Fälle vor, welche beſtraft, als auch in bür, gerlichen Dingen, welche unterſtüzt werden müßen. Die Rechtspflegen,
welche ſich auf jene erſteren beziehen,
wollen wir ſtrafende, welche auf die leztere gehen, unterſtüzende nennen.
34.) Die ſtrafenden Rechtspflegen ſollen den Ge, richtszwang und die Macht haben, nicht nur neue Verbrechen zu ſtrafen, ſondern auch die von den Ge
ſezen aufgeſtellten Strafen für die alten Verbrechen zu vermehren, wann die Fälle gehäßig und ungewöhn, lich groß ſind,
Dann das ungewöhnlich große iſt ebenfalls was neues.
35.) Gleichfalls ſollen die unterſtüzenden Rechts pflegen die Macht haben, ſowohl wider die Schärfe des Geſezes zu unterſtüzen - als den Mangel des Ecc 2 *.
\
-
nur nicht die Todesſtrafe betreffen. -
Geſezes
-
FSF d
772
Geſezes zu erſezen.
Dann wenn demjenigen Hülſe
dargeboten werden muß, welchen das Geſezübergangen
hat, ſo muß es weit mehr demjenigen geſchehen, wel chen es verwundet hat.
36.) Dieſe ſtrafenden und unterſtüzenden Rechts, pflegen ſollen, ſich allerdings immer den ungewöhnlich
großen und außerordentlichen Fällen halten, und nicht in die gewöhnlichen Gerichtszwänge eingreifen, damit die Sache nicht etwa mehr zur Unterdrückung des Ge ſezes, als deßen Erſezung abziele.
37.) Dieſe Rechtspflegen ſollen nur in den ober ſten Gerichtshöfen Plaz haben, und nicht auf die niede ren mitgetheilt werden. Dann von der Macht Geſeze zu geben, iſt die Macht ſie zu erſezen, oder auszudeh nen, oder zu mäßigen, wenig unterſchieden.
38.) Aber dieſe Rechtspflegen müßen nicht einem Mann anvertraut werden, ſondern aus mehreren be ſtehen. Auch müßen die Entſcheidungen nicht mit Stillſchweigen hervorkommen, ſondern die Richter müßen die Gründe ihres Ausſpruches anführen, und zwar öffentlich und in Beyſeyn der Menge: daß das, was
der Gewalt ſelbſt nach frey iſt, dannoch durch den
Ruhm und die Achtung umſchränkt ſey. 39.) Keine Blut-Rubriken ſollen ſtatt finden, auch ſoll man bey keinen Gerichtshöfen über Tod und Leben ſprechen,
außer nach einem bekannten und be
ſtimmten Geſez.
Selbſt Gott hat den Tod zuvor an
geſagt, ehe er hernach damit beſtraft hat. Auch muß -
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TQUI
- sº - -
z-Fººd
-
773
man nur demjenigen das Leben nehmen, der es zuvor gewußt hat, daß er wider ſein eigen Leben ſündiger.
40.) In den ſtrafenden Rechtspflegen ſoll es einen dritten Ausſpruch geben, daß den Richtern nicht die Nothwendigkeit auferlegt ſey, entweder loszuſpre chen, oder zu verdammen, ſondern auch daß ſie nicht Auch muß die ſtrafende frey entſcheiden können. Rechtspflege nicht blos mit Strafe, ſondern auch init
einem Denkmal belegen, welches nemlich keine Ver urtheilung mit ſich führt, ſondern entweder zur War nung dient, oder die Dinge mit einer leichten Bes ſchimpfung und gleichſam mit Schamrede züchtiget.
41.) In den ſtrafenden Rechtspflegen werden die angefangene und mittlere Handlungen aller großen
Verbrechen und Laſter geſtraft, obwohl keine vollbrachte Wirkung erfolgt: und dies ſey einer der gröſten Nuzen
dieſer Rechtspflegen: da es ſowohl der Strenge daran liegt, daß die Anfänge der Laſter beſtraft werden, als
auch der Güte, daß die Vollbringung derſelben durch die Beſtrafung der mittleren Handlungen unterbrochen werde.
42.) Man muß ſich beſonders hüten, daß in den unterſtüzenden Rechtspflegen keine Unterſtüzung in Fällen geleiſtet werde, welche das Geſez nicht ſowohl ausge laßen, als vielmehr als zu geringe verachtet, oder als zu gehäßig der Hülfe unwürdig erachtet hat. 43.) Zur Gewißheit der Geſeze, wovon wir jezt
reden, gehört allermeiſt, daß die unterſtüzenden Rechts Ecc 3
pflegen
z-Fººd
774
- pflegen nicht aufſchwellen oder ſo ausarten, daß ſie unter den Vorwand die Strenge der Geſeze zu mil
dern,
ihnen auch die Nerven zerſchneiden oder die
Stärke ſchwächen, indem ſie alles zur Willkühr ziehen. 44.) Die unterſtüzenden Rechtspflegen ſollen kein Recht haben, wider ein ausdrückentliches Statut unter einigen Vorwand der Billigkeit zu ſprechen. Dann wenn dieſes geſchähe, ſo würde der Richter ſich gänz lich in den Geſezgeber verwandeln, und alles von der
Willkühr abhangen. 45.) Bey einigen iſt es herkommlich, daß der Gerichtszwang welcher nach Billigkeit und Güte ent ſcheidet, und jener andere, welcher nach dem ſtrengen Recht verfährt, in den gleichen Rechtspflegen behan delt werden: bey andern aber hat allerdings die Ab ſonderung der Rechtspflegen als verſchieden eingeleuch
tet.
Dann es wird keine Unterſcheidung der Fälle
beobachtet, wann eine Vermiſchung der Gerichtszwänge
ſtatt hat, ſondern die Willkühr wird endlich das Geſezdrehen. 46.) Nicht ohne Urſache war bey den Römern die weiße Tafel des Prätors in Gebrauch gekommen,
worinn er zuvor geſchrieben und verkündiget hat, wie er ſelbſt Recht ſprechen würde. Nach welchem Bey
ſpiel ſich die Richter in den unterſtüzenden Rechts pflegen ſo viel als möglich gewiße Regeln vorſezen, und ſie öffentlich anſchlagen müßen. Denn dies iſt
- das beſte Geſez, welches der Willkühr des Richters am wenigſten überläßt, und der beſte Richter drr, welcher ſich ſelbſt am wenigſten überläßt. Aien
&Fººd
77s
Allein von dieſen Rechtspflegen wollen wir weit läuftiger handeln, wann wir an die Stelle von den Gerichten kommen werden; beyläufig haben wir nur
inſofern von ihnen geredet, als ſie das von dem Geſea
Ausgelaßene erſezen und verſehen. Von dem Behelf der Geſeze. 47.) Es giebt noch eine andere Gattung der
Erſezung der ausgelaßenen Fälle, wann Geſez auf Geſez kommt,
und zugleich die ausgelaßenen Fälle
mitnimmt. Dies geſchiehet in Geſezen oder Statuten, welche Behelf geben oder Rückſicht nehmen. Geſeze dieſer Gattung ſind ſelten, und mit großer Vorſicht anzuwenden: dann in den Geſezen gefällt Janus (wegen ſeines Doppelgeſichts) nicht. 48.) Wer die Worte oder die Meinung des Geſezes durch Wendung und Betrug umſchreibt und umſtößt, der verdient es, daß er von dem folgenden
Geſez beſtrickt werde.
Daher iſt es in Fällen des
Betruges und einer boshaften Wendung gerecht, daß die Geſeze Rückſicht nehmen, und einander Behelf ge ben, daß wer auf Argliſt und die Umkehrung der ge genwärtigen Geſeze denkt, wenigſtens vor den künftigen ſich fürchte.
49.) Die Geſeze welche die wahren Abſichten der Acten und Inſtrumente wider die Mängel der Formeln oder Solennitäten ſtärfen und beſtättigen, begreifen ganz rech: das Vergangene. D:an auch ein Haupcmangel des Geſezes, das Rückſicht uinnt, iſt E ce +
der /
776
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der, daß es verwirrt.
Aber dergleichen Beſtättigungs
Geſeze dienen zum Frieden und zur Beveſtigung deßen,
was gefertiget iſt, doch muß man ſich hüten, daß abgemachte Sachen nicht angegriffen werden. 50.) Man muß ſorgfältig merken, daß man diejenigen Geſeze nicht bloß auf das Vergangene ſehend halte, welche das zuvorgeſchehene ſchwächen: ſondern auch dasjenige was das Zukünftige verbietet und eins
ſchränkt, iſt mit dem Vergangenen nothwendig verbun den. Als wenn ein Geſez einigen Künſtlern verbietet, ihre Waaren in Zukunft zu verkauffen: ſo klinget die ſes für die Zu unft, aber es wirkt auf das Vergan gene : dann ſie können nun auf keine andere Weiſe ihre Nahrug ſuchen. -
51.) Jedes erklärende Geſez wird, ob es gleich keine Worte vom Vergangenen hat, dennoch kraft der Erklärung ſellt auf das Vergangene allerdings gezo
Denn die Auslegung fängt nicht alsdann erſt
gen.
an wenn es erklärt wird, ſondern ſie wird als dem Geſez ſelbſt gleichzeitig gemacht. Alſo ſoll man keine Erklärungs, Geſeze,
außer in Fällen verordnen, wo
die Geſeze mit Gerechtigkeit Behelf geben können. Hier aber beendigen, wir denjenigen Theil, welcher von der Ungewisheit der Geſeze, wo kein Geſez gefunden wird, handelt. Nun iſt von jenem andern Theil zu reden,
wo nemlich ein Geſez vorhanden iſt,
aber ein vers
wirrtes und dunkeles.
-
-
-
Von
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-
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Von der Dunkelheit der Geſeze. 52.) Die Dunkelheit der Geſeze nimmt von vier Dingen ihren Urſprung: entweder von der allzugroßen Anhäufung der Geſeze, beſonders mit Beymiſchung des Obſoleten: oder von ihrer zweydeutigen, und min der klaren und hellen Beſchreibung: oder von den ver abſäumten, auch nicht wohl angeſtellten Weiſen das Recht zu entwicklen :
oder endlich von dem Wider
ſpruch und Wanken der Gerichte.
-
Von der allzugroßen Anhäufung der Geſeze. 53.) Der Prophet ſagt, er wird ſie in Stricke fallen laßen. Es giebt aber keine ſchlimmeren Stricke, als die Stricke der Geſeze, beſonders der Strafge ſeze, wann ſie der Anzahl nach unzählig, und durch den Kauf der Zeit unnüz, den Füßen keine Leuchte
ſind, ſondern vielmehr als Neze zum Verderben dienen. 54.) Es iſt eine zweyfache Weiſe, ein neues Statut zu errichten, in Gebrauch gekommen. Die eine beſtättiget und beſtärket die erſteren Statuten in Abſicht
des gleichen Gegenſtandes
hernach ſezt ſie einiges
hinzu oder verändert es. Die andere verlöſcht und ſchaft alles ab, was zuvor verordnet worden iſt, und giebt ein ganz neues und einförmiges Geſez. Die leztere Weiſe gefällt. Dann nach der erſteren Weiſe werden die Verordnungen verwickelt und verwirrt:
und das Gegenwärtige wird allerdings betrieben; aber
der Umfang der Geſeze wird indeßen mangelhaft ge macht. In der leztern aber iſt allerdings mehr Fleiß Cce 5 anz.
»
778
anzuwenden, da man ſich über das Geſez ſelbſt be rathſchlaget, und das vorher verhandelte aufzuſchlagen, und zu überdenken iſt, ehe das Geſez gegeben wird: aber durch dieſes kommt die Uebereinſtimmung der Gas ſeze vor die Zukunft am beſten zu Stande. 55.) Es war bey den Athenienſern Sitte, daß die gegenſeitigen Innhalte der Geſeze, die man An tinomien nennt, jährlich von ſechs Männern unter ſucht, und was nicht vereiniget werden konnte, dem
Volke vorgetragen wurde, damit man von ihnen etwas gewißes beſchlöße. Nach welchem Beyſpiel diejenigen, welche die Macht haben in einzelnen Staatsverfaßun gen Geſeze zu geben, nach drey oder fünf Jahren, oder wie es gut deucht, die Antinomien wieder um ſtoßen ſollen. Dieſe ſollen aber von darzu erwählten Männern zuvor eingeſehen und zubereitet und alsdann den Verſammlungen dargelegt werden, damit dasjenige
was gefallen hat, durch Stimmen beveſtiget und be
gründet werde. 56.) Doch aber ſoll man keine allzuemſige oder ängſtliche Sorge tragen, durch ſpizfindige und geſuchte
Unterſcheidungen die gegenſeitigen Innhalte der Geſeze zu vereinigen, und wie man ſpricht alles zu retten, Dann dies iſt ein Spinngewebe des Wizes, und hat
eine gewiße Beſcheidenheit und Ehrfurcht für ſich, iſt aber jedennoch für ſchädlich zu halten, da es den gan zen Unfang der Geſeze mannigfaltig und gleichſam ſchlecht zuſammen genäht darſtellt. Es iſt allerdings beßer, daß das ſchlimmere unterliege und das beßere
allein F ..
-
57.) Die x
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779
57.) Die obſoleten Geſeze, und welche außer Gewohnheit gekommen, ſind nicht minder als die von Amts wegen aufzuhebende Antinomien von den erwähl ten Perſonen vorzutragen. Denn da ein ausdrückerit liches Statut der Regel nach durch die unterbliebene
Gewohnheit nicht abgeſchaft wird, ſo geſchiehet daß aus der Verachtung der obſoleten Geſeze einiger Ver
luſt des Anſehens auch in den übrigen entſtehet : es erfolgt auch jene Gattung Folter des Mezentius daraus, daß die lebendigen Geſeze in der Umarmung der todten umkommen. Und man muß ſich allerdings von dem
kalten Brand in den Geſezen hüten. 58.) Ja in Abſicht obſoleter und nicht neuer Dings verkündigter Geſeze und Statuten, ſollen die
unterſtüzenden Rechtspflegen indeßen das Recht haben, wider ſie zu entſcheiden. Denn obgleich der Aus ſpruch nicht übel iſt , Niemand müße weiſer als die Geſeze ſeyn, ſo muß man dieſes dennoch nur von den Geſezen verſtehen, wann ſie wachen, nicht wann ſie ſchlafen. Wider die neueren Statuten aber , von welchen man wahrnimmt, daß ſie dem allgemeinen Staatsrecht ſchaden, ſollen nicht die Richter, ſondern
die Könige und die geheimen Rathsverſammlungen, und die oberſten Gewalten das Recht haben, Unter
ſtüzung zu leiſten: indem ſie deren Ausführung durch Edicte oder Verhandlungen aufheben, bis die wicht ſten Hauptverſammlungen eines Landes oder Reich, welche die Macht haben, ſolche abzuſchaffen, wieder
zuſammen kommen, damit indeßen das Wohl des Vol 4 nicht leide, -
V. l
78o
dSFR)
Von neuen Geſezeſammlungen. 59.) Wann Geſeze auf Geſeze gehäuft ,
in
ſo ungeheure Sammlungen erwachſen, oder in eine ſo große Verwirrung gerathen ſind, daß es nüzlich iſt ſie aufs neue zu behandeln, und in ein geſundes und ſchickliches Ganzes zu bringen, ſo muß man dies vor
allen Dingen thun, und ein dergleichen Unternehmen
muß ein heldenmäßiges Unternehmen ſeyn : und die Urheber eines ſolches Werkes müßen billig und mit Recht, unter die Geſezgeber und Wiederherſteller ge
zählet werden. 6o.) Eine ſolche Reinigung der Geſeze, und daraus entſtehende neue Sammlung, wird durch fünf Dinge vollendet.
Erſtlich muß das obſolete ausge
laßen werden, welches Juſtinian alte Fabeln heißt. Hernach müßen von den Antinomien die bewährteſten angenommen, die gegenſeitigen vertilgt werden. Drit tens müßen die Homojonomien, das iſt, die Geſeze welche gleich klingen, und nichts anders als Wieder holungen der gleichen Sache ſind, ausgeſtrichen wer
den, und man muß nur eines derſelben, welches das vollkommenſte iſt, ſtatt aller behalten. Viertens, diejenigen Geſeze welche nichts beſtimmen, ſondern nur Fragen vortragen, und ſolche unentſchieden laßen, müßen gleichfalls wegbleiben. Endlich müßen dieje nigen, welche allzu wortreich und weitläuftig ſind enger zuſammen gezogen werden. 61.) Allerdings aber iſt es gebräuchlich, in einer
neuen Geſezeſammlung, die als gemeines Recht aus genoms
e-FS
zer
genommene Geſeze, welche gleichſam von unerdenklis chen Zeiten her ſtatt finden, und auf der andern, Seite die von Zeit zu Zeit erlaßene Statuten beſon
ders zu ordnen und zu faßen: da in den meiſten Dinº gen, beym Rechtſprechen, die Auslegung und Ver waltung des gemeinen Rechts und der Statuten nicht,
gleich iſt. Dieſes nun hat Tribonian in den Digeſten und dem Codex beobachtet. - -
- -
-
62.) Allein in einer ſolchen Wiedererzeugung de Geſeze, und in einem ſolchen neuen Bau alter Geſeze und Schriften, muß man ganz und gar die Worte
des Geſezes und den Tert beybehalten, ob es gleich nöthig geweſen iſt, ſie durch unendliche Flickereyen und kleine Theile zuſammen zu bringen, und hernach zu ordnen. Denn ob es wohl vielleicht bequemer,
und auch, wenn man auf den wahren Grund ſieher, beßer durch einen neuen Tert,
als durch eine ſolche
Zuſammenſtopplung würde vollführt werden können, ſo iſt doch in den Geſezen nicht ſowohl auf den Aus drück und die Beſchreibung, als auf das Anſehen
und deßen Stüze das Alterthum, zu ſehen. Sonſt kann ein dergleichen Werth vielmehr für was ſchul mäßiges, und eine Lehrart, als für eine Sammlung
der Geſeze der Obern angeſehen werden. ...
- -
-
63) Es wird dienlich ſeyn, daß bey einer neuen Geſezeſammlung die alten Sammlungen nicht gänzlich
vertilgt und der Vergeßenheit übergeben werden, ſon, dern wenigſtens in
Ä
bleiben, wann gleich
ihr öffentlicher und gemeiner Gebrauch verboten iſt.
Dann in etwas ſchweren Fällen wird es nicht undienlich *
-
ſeyn,
732
»-Fs.
ſeyn, die Veränderungen und Abwechslungen der ver
gangenen Geſeze zu Rathe zu ziehen und einzuſehen, und es iſt allerdings feyerlich, das Alterthum mit dem gegenwärtigen zu vermengen. Eine dergleichen neue Geſezeſammlung aber iſt von denjenigen, welche in einzelen Staatsverfaßungen die geſezgeberiſche Macht
haben, gänzlich zu beſtättigen, damit etwa nicht unter dem Vorwand alte Geſeze zu ordnen, verborgener
Weiſe neue Geſeze aufgelegt werden. A -
64.) Es wäre zu wünſchen, daß eine ſolche Wiederherſtellung der Geſeze in denjenigen Zeiten uns ternommen würde, welche vor den älteren, deren Verhandlungen und Werke unterſucht werden, an Wißenſchaften und Kenntnis der Dinge einen Vorzug haben. Welches ſich nicht ſo mit dem Werk des Juſtinians verhält. Denn es iſt eine unſelige Sache,
wann nach der Beurtheilung und Auswahl eines min der klugen und gelehrten Zeitalters die Werke der alten
verſtümmelt und wieder zuſammengeſezt werden. Jedoch iſt öfters nothwendig, was nicht allemal das beſte iſt. Und ſo viel mag von der Dunkelheit der Geſeze, welche von einer allzugroßen und verwirrten Anhäufung derſelben entſteht, genug geſagt ſeyn. Nun iſt von der
zweifelhaften und dunklen Beſchreibung derſelben zu reden.
Von der verwirrten und dunklen Beſchreibung der Geſeze. 65.) Die dunkele Beſchreibung der Geſeze ent ſteht entweder aus einer allzugroßen Weitläuftigkeit, oder
z-Fººd
783
öder aus einer allzugroßen Kürze, oder aus einem Eingang des Geſezes, der mit dem ganzen Geſez ſelbſt ſtreitet.
66.) Nun iſt aber von der Dunkelheit der Geſeze zu reden, welche aus der verkehrten Beſchreibung der “
ſelben entſtehet.
Das viele Gewäſche, welches in
Vorſchreibung der Geſeze zur Gewohnheit geworden,
und die Weitläuftigkeit gefällt nicht.
Denn man er
hält auch das, was man will, und begehrt auf keine
Weiſe, ſondern vielmehr das Gegentheil. Dann wenn jemand dardurch eine größere Gewisheit verhoffet, daß er ſich beſtrebt, beſondere einzele Fälle mit angemeße
nen und eigenen Worten zu verfolgen und auszudrü eken, ſo erzeugt der im Gegentheil häufige Streitfra genüber Worte, daß die Auslegung nach der Meinung
des Geſezes, welche die geſundere und wahrhaftere iſt, wegen dem Geräuſch der Worte ſchwerer von ſtatten geht. -
"
67.) Aber diesfalls muß auch die allzugedrängte
und erkünſtelte Kürze der Majeſtät und des mehr be fehlshaberiſchen Anſehens wegen, nicht gebilliget wer den; ſondern man muß die Mittelmäßigkeit beobachten, und eine wohlbeſtimmte Allgemeinheit der Worte ſuchen,
die, ob ſie gleich die begriffenen Fälle nicht emſig ver folgt dannoch die nicht begriffenen deutlich genug ausſchließt.
68.) Jedoch in den gemeinen und politiſchen Edicten und Geſezen, in welchen meiſtentheils Nie
mand einen Rechtsgelehrten braucht, ſondern wo man -
ſeinem
z-Fs
784
ſeinem Gefühl traut, muß alles weitläufiger erklärt, und nach dem Begriff des Pöbels, gleichſam mit dem Finger gewieſen werden.
69.) Auch würden uns die Eingänge der Geſeze, welche ehmals für unſchicklich gehalten worden ſind,
und die Geſeze als diſputirend, nicht als befehlenden führen, allerdings nicht gefallen, wann wir die alten
Sitten ertragen könnten.
Aber dieſe Eingänge der
Geſeze werden gemeiniglich wie jezt die Zeiten ſind, aus Nothwendigkeit gebraucht, nicht ſowohl zur Er klärung des Geſezes, als gleich einer Ueberredung, um das Geſez in den Verſammlungen geltend zu ma
chen, und wiederum um das Volk zu befriedigen. So viel als möglich ſollen jedoch die Eingänge vermieden
werden, und das Geſez mit dem Befehl anfangen. 7o.) Obwohl die Abſicht und Meinung des Geſezes bisweilen aus den Vorreden und Vorberichten
nicht übel entwickelt wird; ſo muß doch die Weite oder Ausdehnung deßelben mitnichten aus ihnen hergeleitet werden. Denn der Eingang ergreift oft einige der auffallendſten und einleuchtendſten Dinge zum Beyſpiel, da doch das Geſez weit mehrere umfaßet : oder das Geſez beſchränket im Gegentheil weit mehreres, und den Grund dieſer Beſchränkung hat man in - den
Eingang zu ſezen nicht vor nöthig erachtet.
Daher
muß man die Ausdehnung und Weite des Geſezes Denn der aus dem ganzen Geſez ſelbſt nehmen. Eingang fällt öfters entweder jenſeits, oder diesſeits. .
.
.
" -
71.) Es
FSFSd "
785
71.) Es giebt aber eine ſehr mangelhafte Art Geſeze vorzuſchreiben. Da nemlich der Fall, auf welchen das Geſez zielt, in dem Eingang weitläuftig ausgedrückt wird, daher der Eingang dem Geſez ſelbſt einverleibt und einverwebt wird: welches ſowohl dunkel, als minder ſicher iſt: weil man nicht gewohnt iſt, eben den Fleiß in Erwägung und Unterſuchung der Worte des Eingangs anzuwenden, den man in dem Ganzen
des Geſezes ſelbſt anwendet.
Dieſen Theil von der
Ungewißheit der Geſeze, welche aus der üblen Be ſchreibung derſelben ihren Urſprung hat, wollen wir weitläuftiger abhanden, wann wir hernach von der Auslegung der Geſeze reden werden. Und dies mag von der dunklen Beſchreibung der Geſeze genug geſagt
ſeyn :
nun müßen wir von den Arten das Recht zu
entwiflen reden.
Von den Arten das Recht zu entwiklen, und das
zweifelhafte aufzuheben. 72.). Der Arten das Recht zu entwikeln oder zu erklären, und das zweifelhafte aufzuheben, giebt es, fünfe. Denn dieſes geſchiehet entweder durch die Ab
faßungen der Urthelsſprüche, oder durch die authentis ſchen Schriftſteller, oder durch die Hülfs, Bücher, oder durch die Vorleſungen oder durch die Antworten
und Rathſchlüße der Rechtsgelehrten. Wenn alle dieſe Arten wohl angeſtellet werden, ſo werden ſie wider die Dunkelheit der Geſeze große Beyhülfen ſeyn.
Von der Abfaßung der Urthelsſprüche. 73.) Vor allem muß man die in den
höchſten
und vornehmſten Gerichtshöfen und in ſchweren beſon Ddd
der6
zGFRd
736
ders zweifelhaften Fällen, die einige Schwierigkeit oder Neuheit haben, ausgeſprochene Urtheile mit Fleiß und Treue aufnehmen. Dann die Urthelsſprüche ſind die Anker der Geſeze, wie die Geſeze des Staats. -
74) Die Art dergleichen Urthelsſprüche aufzu nehmen, und in Schriften zu verfaßen, muß folgende ſeyn. Den Fall muß man beſtimmt, die Urthelsſprüche ſelbſt genau hinſchreiben: die Gründe der Urthels ſprüche, welche die Richter angeführt haben, muß man beyſezen: das Anſehen der Fälle nach dem Beyſpiel der angeführten, muß man nicht mit Hauptfällen ver mengen:
von den Reden der Advocaten muß man,
wo nicht etwas ſehr vortreffliches in denſelben ſich be funden, ſchweigen.
75) Die Perſonen, welche dergleichen Urthels ſprüche aufnehmen ſollen, müßen ſehr gelehrte Advo caten ſeyn,
und einen anſehnlichen Gehalt aus der
öffentlichen Caße empfangen.
Die Richter ſelbſt müßen
von dergleichen Abfaßungen ſich enthalten: damit ſie
nicht etwa ihren eigenen Meinungen ergeben, und auf ihr eigenes Anſehen ſich ſtüzend, die Grenzen eines Referendars überſchreiten.
76.) Jene Urthelsſprüche muß man nach der Ordnung und Folge der Zeit ordnen; nicht nach Me
thode und Titeln.
Denn dergleichen Schriften ſind
gleichſam Geſchichten oder Erzählungen der Geſeze. Und nicht allein die Acten ſelbſt,
ſondern auch die
Zeiten derſelben geben einem klugen Richter Licht. V9u
& Fººd
-
737
Von den authentiſchen Schriftſtellern. 77.) Aus den Geſezen ſelbſt, welche das gemeine Recht ausmachen: hernach aus den Verordnungen oder Statuten: drittens aus den abgefaßten Urtheilen wird nur ein Geſezbuch errichtet. Außer jenen giebt es
entweder keine andere authentiſche Quellen, oder ſie . werden ſparſam gebraucht.
78.) Nichts iſt für die Gewisheit der Geſeze,
wovon wir jezt handeln, dienlicher, als daß die authen tiſchen Schriften inner mäßigen Grenzen gehalten wer
den, und die ungeheure Menge der Schriftſteller und Lehrer in Rechten ausgeſchloßen werden; als wordurch die Meinung der Geſeze zerrißen wird, der Richter beſtürzt gemacht wird, die Proceße unſterblich werden, und der Advocat ſelbſt, der ſo viele Bücher nicht leſen
und verdauen kann, auf Nebenwege gehet. Etwa eine gute Gloße,
und aus den klaßiſchen Schriftſtellern
einige wenige oder vielmehr ſehr wenige Theile weni ger Schriften können als authentiſche angenommen werden. Von den übrigen kann nichts deſtoweniger einiger Gebrauch in den Bibliotheken bleiben, damit die Richter oder Advocaten, wann es nöthig iſt, der gleichen Schriften einſehen mögen: aber in Führung der Proceße, ſoll es nicht erlaubt ſeyn, ſie vor Gericht
anzuführen, auch ſollen ſie kein gültiges Anſehen haben.
Von den Hülfs-Büchern. 79.) Die Wißenſchaft und Ausübung des Rechts aber, ſoll man durch die Hülfs, Bücher nicht entblößen,
ſondern vielmehr zurüſten. Es ſind ihrer überhaupt ... Ddd 2 ſechſe:
738
&-Fººd
ſechſe: die Inſtitutionen: die von der Bedeutung der Wörter: von den Regeln des Rechts: die Alterthümer der Geſeze: die Hauptinhalte: die Behandlungsformeln. 8o.) Die Jünglinge und Anfänger ſind durch die J.itutionen vorzubereiten, um die Wißenſchaft und die Schwierigkeiten des Rechts tiefer und bequemer
zu ſchöpfen und zu fußen. Dieſe Inſtitutionen muß man in einer hellen und deutlichen Ordnung abfaßen. Man muß in ihnen das ganze Privatrecht durchge hen: indem man nicht einiges ausläßt, und bey ans derem ſich allzulange aufhält, ſondern von jedem in der Kürze was vorbringt, damit demjenigen der ſich
an das Leſen des ganzen Geſezbuchs macht
nichts
ganz und gar neues, ſondern wenigſtens einigermaßen Das öffentliche Staatsrecht bekanntes vorkomme.
ſoll man in den Inſtitutionen nicht berühren, ſondern es ſoll aus den Quellen ſelbſt geſchöpft werden.
81.) Man ſoll einen Commentar von den Wör Man ſoll ſich nicht mit
tern des Rechts verfertigen.
allzugroßer Neugierde oder Arbeitſamkeit in Erklärung derſelben und in der Darſtellung des Sinnes aufhalten. Denn man fordert nicht dies, daß die Definitionen der Wörter genau geſucht werden, ſondern nur die Erklärungen, welche zur Leſung der Rechts, Bücher
einen leichteren Weg eröfnen. Dieſen Tractat aber ſoll man nicht nach den Buchſtaben des Alphabets Dies muß man einem Regiſter überlaßen, ordnen. aber die Wörter müßen zuſammengeſezt werden, welche die nemliche Sache betreffen, daß eines dem andern
zum Verſtändnis diene. -
-
-
82.) Zur
&IFEd
789
82.) Zur Gewisheit der Geſeze dienet vor allem eine gute und ſorgfältige Abhandlung von den verſchie denen Regeln des Rechts.
Eine ſolche verdient, daß
ſie die größeſten Köpfe und die klügſten Rechtsgelehrte bearbeiten. Denn was in dieſer Gattung vorhanden iſt, gefällt nicht. Man muß aber nicht nur die be kannten und gemeinen, ſondern auch die feineren und mehr verborgenen Regeln ſammlen, die nemlich aus der Harmonie der Geſeze und entſchiedenen Sachen ge
zogen werden können, dergleichen bisweilen in den beſten Rubriken gefunden werden: und ſie ſind allgemeine Ausſprüche der Vernunft, welche durch verſchiedene
Materien des Geſezes gehen, und alſo gleichſam der Sand des Rechts.
-
83.). Aber einzele Rechtsſäze oder Meinungen müßen nicht als Regeln verſtanden werden, wie ziem lich unſchicklich zu geſchehen pflegt. Dann wenn dieſes angenommen würde, ſo wären ſo viele Regeln als Ge ſeze.
Dann ein Geſez iſt nichts anders, als eine be
fehlende Regel. Allein man muß diejenigen für Regeln halten, welche ſelbſt an der Form der Gerechtigkeit hängen: daher faſt meiſtens durch die bürgerlichen Rechte verſchiedener Staaten gleiche Regeln gefunden werden, nicht etwa wegen der Beziehung auf die Formenwoderſie Staaten abändern. A
84-) Nach der kurz und körnigt ausgedruckten Regel müßen Beyſpiele und Entſcheidungen der Fälle beygefügt werden, die zur Erklärung, Unterſcheidung, Ausnahme und Erweiterung der nemlichen Regel, das meiſte beytragen. Ddd 3 85.) Es -
-
-
&-Fd
790
85) Es heißt mit Recht, daß man das Recht nicht aus den Regeln nehme,
ſondern daß aus dem
Recht, welches iſt, die Regel entſtehe.
Denn auch
nicht aus den Worten der Regel iſt der Beweiß zu nehmen, als wann es der Tert des Geſezes wäre. Dann wie die Schifs - Nadel die Pole anzeigt, eben
ſo zeigt die Regel das Geſez an, ordnet es nicht.
86.) Außer dem ganzen Umfang des Rechts ſelbſt, wird es auch gut ſeyn, die Alterthümer der Geſeze einzuſehen, dann obgleich das Anſehen derſelben verſchwunden iſt, ſo bleibt doch die Ehrfurcht. Für Alterthümer der Geſeze aber werden die Schriften über die Geſeze und Urthelsſprüche gehalten, welche dem ganzen Geſez-Buch der Zeit nach vorgegangen ſind, ſie mögen nun öffentlich bekannt gemacht worden ſeyn, Man muß ſie nicht verlieren, ſondern oder nicht.
das nüzlichſte, denn ſie werden viel leeres und nichts würdiges haben, aus ihnen ausziehen, und in eine Sammlung bringen: damit nicht / wie Tribonian ſpricht, die alten Fabeln mit den Geſezen ſelbſt ver miſcht werden. -
87.) Der Praxis liegt aber ſehr viel daran, daß das ganze Recht in Hauptſtellen und Titeln geordnet werde, zu welchen man nach ereignender Gelegenheit plözlich ſeine Zuflucht nehmen, und gleichſam wie aus einer Vorrathskammer vor die Gegenwart Nuzen
ſchöpfen könne. Dergleichen Bücher der Hauptinhalte ordnen ſowohl das zerſtreute als kürzen das weitläufige und wortreiche in dem Geſez ab.
Man muß aber
Vorſicht gebrauchen, daß dieſe Hauptinnhalte die Men. s
ſchen
&SFN
791
ſchen nicht behende zur Praxis, in der Wiſſenſchaft ſelbſt aber nachläßig mache. Dann ihre Eigenſchaft iſt die, daß aus ihnen das Recht wiederholt, nicht .
erlernet werde. Die Hauptinnhalte aber müßen aller dings mit großem Fleiß, Treue und Verſtand gemacht
werden, damit ſie den Geſezen nichts entwenden.
88.) Die verſchiedenen Behandlungsformeln in jeder Gattung ſoll man ſammlen.
Denn auch daran
liegt der Praris, und ſie eröffnen gewiß die Geheim niße und Tiefen der Geſeze.
Dann es giebt nicht
weniges, welches nach den Geſezen verborgen iſt: in
den Behandlungsformeln aber, wird es béßer und ums ſtändlicher eingeſehen.
Von den Antworten und Rathgebungen. 89.) Die beſonderen Zweifel welche von Zeit zu Zeit entſtehen, zu entſcheiden muß wenige Weiſe ein
gegangen werden. Denn es iſt hart, daß diejenigen, welche vor dem Irrthum ſich zu hüten begehren, kei nen Führer des Lebens finden, ſondern daß die Hand lung ſelbſt gewagt werde, und keine Weiſe vorhanden
ſey, das Recht vor vollbrachter Sache vorher zu kennen. -
90.) Die Antworten der Rechtsgelehrten, welche
den fragenden über das Recht, entweder von Advoca ten oder Doctoren errheilet werden; ſollen kein ſo großes Anſehen haben,
daß es dem Richter nicht er
laubt ſey, von ihrem Ausſpruch abzugehen: die Rechten muß man von geſchwornen Richtern nehmen.
Ddd 4
91.) Es
792
&-Fººd
91.) Es iſt nicht anſtändig, daß die Gerichte durch erdichtete Unſtände und Perſonen verſucht wer
den, damit die Menſchen auf die Art erfahren mögen, wie die Richtſchnur des Geſezes ſeyn werde.
Es ent
ehret de Majeſtät der Geſeze, und iſt vor eine Mis hanolung zu halten. Auch iſt es häßlich, wann die
Gerichte etwas von der Schaubühne haben. 92.) Alſo bloß allein das Gericht ſoll ſowohl Urtelsſprüche als Antworten und Rathgebungen ab faßen. Jene von anhängigen Streitigkeiten; dieſe von ſchweren Rechtsfragen. Dieſe Rathgebungen muß man weder in Privatſachen noch in öffentlichen von den Richtern ſelbſt fordern, dann wenn dieſes geſchie het, ſo wird der Richter zum Advocaten, ſondern vom
Fürſten oder dem Staat. Von dieſen werden ſie den Richtern übertragen. *) Die Richter aber, die mit einem ſolchen Anſehen unterſtüzt ſind, ſollen die Strei
tigkeiten der Advocaten, die entweder von denen, deren Sache es iſt gebraucht, oder von den Richtern ſelbſt,
wann es nöthig iſt angewieſen worden, ſowohl als wie die Gründe auf beyden Seiten anhören, und nach überlegter Sache das Recht fertigen und erklären. -
*) Anmerk. des Ueberſ.
Ders Dieſen weiſen Gedanken des
großen Canzlers führt jezo der eben ſo weiſe Preuſiſche Monarch aus, dann weder Advocaten noch Doctoren
dürffen ſich, wie leider noch in vielen Staaten, das Anſe hen eines Geſezgebers geben, und erſt noch vor einigen Monathen iſt einem Rechtslehrer zu Halle verboten worden,
die neue Proceßordnung zu erklären, weil der König ſelbſt, oder ſein Staats- Rath, dieſe Erklärung ſich vor behalten hat.
-
EFRd
, 793
Dergleichen Rathgebungen ſollen unter die Urtheile aufgenommen und bekannt gemacht werden, und von gleichem Anſehen ſeyn. -
Von den Vorleſungen.
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93.) Die Vorleſungen über das Recht, und die
Uebungen derjenigen, welche den Rechts, Wißenſchaften obliegen und ſich denſelben widmen, ſollen alſo einge richtet und geordnet werden, daß alles vielmehr zur Stillung als zur Erregung der Streitigkeiten und Zänkereyen abziele. Denn wie es jezt iſt, wird das Spiel beynahe bey allen zur Vervielfachung der Streit fragen und Wortwechſel angeſtellt und eröfnet, um nur
gleichſam mit etwas Wiz zu prahlen. Und dies iſt das alte Uebel. Denn auch bey den Alten hat es zum Ruhme gereicht, gleichſam durch Seeten und
Partheyen mehrere Streitfragen über das Recht viel, mehr zu hegen, als zu vertilgen.
Daß dieſes nu
nicht geſchehe, muß man Sorge tragen.
- -
Von dem Wanken der Gerichte. 94.). Die Gerichte wanken entweder wegen uns -
reifem und allzuvoreiligem Spruch, oder wegen Eyfer
ſucht der Gerichtshöfe, oder wegen ſchlimmer und uns
geſchickter Abfaßung der Urthelsſprüche, oder wegen
dem gegebenen Weg zur allzuleichten und fertigen Auf hebung derſelben.
Alſo muß man davor ſorgen, daß
die Gerichte Stetigkeit haben, und alles zuvor reif lich überlegen, daß die Gerichtshöfe einander ehren, daß die Urthelsſprüche mit Treue und Klugheit abgefaßt
werden, und daß endlich der Weg zur Aufhebung der Ur theile eng, ſchroff und gleichſam mit Fußeiſen belegt ſey. Ddd 5 95.) Wann
794
-
&-Fººd
95.) Wann über einen Fall in einem vornehmen Gerichtshof ein Urtheil geſprochen worden, und der gleiche Fall iſt in einem andern Gerichtshof vorgekom men, ſo ſoll man nicht zum Urtheil ſchreiten, ehe zuvor eine Berathſchlagung in einer größeren Gerichtsverſamm lung vorgenommen worden iſt.
Dann wenn etwa die
geſprochenen Urtheile aufgehoben werden müßen, ſo ſoll man ſie wenigſtens mit Ehre begraben. 96.) Daß ſich die Gerichtshöfe über den Ge richtszwang ſtreiten und zanken, iſt etwas menſchliches,
und das um deſtomehr, weil durch eine gewiße un-"
ſchickliche Meinung, als ſeye es die Sache eines guten und emſigen Richters den Gerichtszwang zu erweitern,
dieſer ganz unzeitige Eyfer genährt und ein Sporn ge geben wird, wo ein Zaum nöthig iſt.
Daß aber nach
dieſer Hize der Gemüther die Gerichtshöfe die auf beyden Seiten geſprochene Urtheile, welche den Gerichtszwang nichts angehen, gerne aufheben, iſt ein unerträgliches Uebel, und von Königen oder Rath, oder Staat, gänzlich zu vertilgen. Denn es iſt eine Sache von dem ſchlimmſten Beyſpiel, wann die Gerichtshöfe, welche den Unterthanen Ruhe und Frieden geben ſollen, unter ſich ſelbſt Zänkereyen ausüben. .“
97.) Der Weg durch Appellationen, Reviſionen, und dergleichen die Urtheile aufzuheben, ſoll nicht leicht
oder geſchwind anzutretten ſeyn. Bey einigen iſt es angenommen, daß der Streit als eine noch völlige
Sache für ein oberes Gericht gezogen, und alſo das darüber gegebene Urcheil behſeitgeſezt, und gänzlich auf gehoben wird. Bey anderen aber iſt es ſo, daß das
Urtheil ſelbſt in ſiler Kraft bleibt, und nur die Aus führung
/
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führung deßelben unterbleibt.
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Keines von beyden ge
fällt, wo nicht die Gerichtshöfe, in welchen das Urtheil geſprochen worden iſt, niedrig und von geringem Anſehn geweſen ſind: es iſt vielmehr darauf zu ſehen, daß
ſowohl das Urtheil beſtehe, als auch deßen Ausführung von ſtatten gehe: nur muß der Vertheidiger Sicherheit
über Schaden und Koſten geben, wann das Urtheil aufgehoben werden dürfte. - --
Und dieſer Titel von der -
Gewisheit
der Geſeze,
mag als Beyſpiel der übrigen Schrift die wir im Sinn haben, genug ſeyn. Nun haben wir aber die Lehre der bürgerlichen Klugheit, ſo weit wir ſie nemlich zu
behandlen für gut gefunden, beſchloßen.
Und mit ihr
zugleich auch die menſchliche Philoſophie: ſo wie mit
der menſchlichen Philoſophie, die Philoſophie überhaupt. Wann wir uns nun endlich ein wenig erholen, und auf das, was wir zurückgelegt, aufmerkſam ſind, ſo finden wir, daß dieſer Tractat jenen Tönen und Vor ſpielen, welche die Tonkünſtler zur Probe machen, in dem ſie die Inſtrumente ſtimmen, nicht ungleich ſeyn:
als welche zwar ſelbſt den Ohren etwas unangenehmes und rauhes darlegen: aber Urſache ſind, daß alles, was folgt, angenehmer iſt; ebenſo haben wir uns nemlich den Vorſaz genommen, daß wir uns mit der Einrich tung und Stimmung der Cither der Muſen zu einer
wahren Harmonie beſchäftigten, damit hernach von andern die Saiten beßer oder glücklicher geſchlagen wür den.
Ja wenn wir den Zuſtand dieſer Zeiten uns vse
Augen legen, in welche die Wißenſchaften ſchon zum drittenmal zu den Sterblichen zurückgekehrt zu ſein
ſcheinen: und wann wir zugleich aufmerkſam betrachte, -
-
mit
796
& SFRd
mit wie mancherley Hülfsmitteln und Unterſtüzungen
ſie uns jezt beſucht haben, da es zu unſeren Zeiten
ſehr viel feine und ſcharfſinnige Köpfe giebt; da die vortreflichen Denkmale der alten Schriftſteller, als ſo viele Fackeln uns vorleuchten; da die Buchdruckerkunſt
Menſchen von allen Ständen die beſten Bücher in Ueberfuß darreicht; da wir den Oeean umſchiffet und die ganze Welt durchreißr haben dardurch uns ſehr viele den Alten unbekannte Erfahrungen zu theil wor
den, und die Naturgeſchichte einen großen Zuwachs
erhalten hat; da die beſten Köpfe in den Königreichen und Provinzen Europens aller Orten viele Muße haben, und die Menſchen in dieſen Orten weniger mit den Ge
ſchäften verwickelt werden, als ehmals die Griechen wegen ihren Democratien oder die Römer wegen der
Größe ihrer Staaten; da gegenwärtig und zu dieſer Zeit Britanien, Spanien, Italien, auch jezt Frank reich, und andere nicht wenige Gegenden den Frieden
genießen; da alles was in Acht der Religions- Strei Fickeiten, die ſo viele gute Köpfe ſchon lange von dem Studiren der übrigen Künſte abgehalten haben nur
erdacht oder geſagt werden zu können ſcheine gleich ſam verbraucht und ausgeleeret iſt; da endlich Ewr. Majeſtät große und vortrefliche Gelehrſamkeit, zu der
ſich von allen Orten hervortreffliche Geiſter gleichſam wie die Phönire verſammlen ſo einleuchtend iſt und die Eigenſchaft der Zeit ſelbſt es mit ſich bringt, daß ſie von Tag zu Tag Wahrheit gebiehrt: wann wir nun all dieſes, ſage ich, bedenken, ſo können wir nicht ums
in die Hoffnung zu hegen, daß dieſe dritte Periode der Wißenſchaften jene zwo erſteren bey den Griechen jd Römern weit übertreffen werde: wo nur die Mens ſchen A
FEFTD
797
ſchen ſowohl ihre Kräfte als auch die Mängel ihrer Kräfte redlich und klug zu kennen verlangen: und ſie
Lampen der Erfindung, nicht Brände des Widerſpruchs von einander empfangen, und die Unterſuchung der
Wahrheit für ein edles Unternehmen, nicht bloß für Vergnügen, oder Zierde halten: auch ferner Vermö gen und Pracht auf gründliche und vortreffliche, nicht auf ſehr gemeine und alltägliche Dinge verwenden.
Wann in Abſicht meiner Arbeiten jemand mit deren Tadel ſich oder andern zu gefallen beliebt, dem werden jene Worte aus dem Alterthum: ſchlage zu, - aber Höre: gewiß eine Bitte der äußerſten Gedult darlegen. Die Menſchen mögen tadeln ſo viel ihnen beliebt wo ſie nur auf dasjenige, was geſagt wird, merken und achten. Es wird allerdings eine rechtmäßige Berufung ſeyn,
ob es gleich die Sache vielleicht minder bedürfen wird, wenn man ſich von den erſten Gedanken der Menſchen auf ihre zweyten, und von den gegenwärtigen Zeitalter auf die Nachkommenſchaft beruft.
Wir kommen nun -
auf diejenige Wißenſchaft, welcher jene zwey alten
Zeit- Perioden ermangelt haben, da ihnen dieſe ſo große Glückſeligkeit nicht zu theil worden iſt, ich meyne
die heilige und von Gott inſpirirte Theologie, als den Sabbath und vortrefflichſten Harren nach allen Arbeiten und menſchlichen Wanderungen.
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Re U nt es BU ch. An den König.
1ſtes Capitel.
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Die Eintheilungen der inſpirirten Theologie
werden ausgelaßen und blos drey vermißte Stücke erwehnt; die Lehre von dem recht
mäßigen Gebrauch der menſchlichen Vernunft in göttlichen Dingen; die Lehre von den Graden der Einheit und Einigkeit in der Stadt Gottes; und die Ausflüße der Schriftſtellen.
D
nun, beſter König, unſer kleines Schiffgen, ſo wie es ſolches vermocht hat, den ganzen Umfang ſowohl der alten als neuen Welt der Wißen
ſchaften umſchiffet hat
(mit welchem Glück, mögen
die Nachkommen beurtheilen) was bleibt uns noch übrig, als daß wir nach erlangtem Ziel das Gelübde bezah len ? es iſt aber noch die heilige oder die inſpirirte
Theologie zurück. Doch wann wir dieſe abzuhandlen fortfahren, ſo müßen wir uns aus dem Schiffgen der menſchlichen Vernunft begeben, und in das Schiff der Kirche tretten, das allein den göttlichen Compaß hat, um den Lauf recht zu regieren.
Denn die Sterne der
Philoſophie, welche uns bisher vornehmlich geleuchtet
haben, werden nicht weiter hinreichen. Und diesfalls ..
würde
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799
würde es billig ſeyn, auch in dieſer Sache ein Stil, ſchweigen zu beobachten. Deswegen wollen wir die
ordentlichen Eintheilungen derſelben auslaßen: jedoch etwas wenige auch zu dieſer nach unſerer Schwach heit, ſtatt Wünſche, beytragen. Wir thun dieſes um deſtomehr, weil wir in dem Gebiete der Theologie keine ganz verlaßene Gegend, oder einen ganz öden und un
gebauten Strich gefunden haben: ſo groß iſt der Fleiß der Menſchen in Säung des Weizens oder Unkrauts geweſen.
Wir wollen alſo drey Anhänge der Theologie vor, tragen, welche nicht von der durch die Theologie ge lehrten oder lehrenden Materie, ſondern blos von der
Art der Belehrung handlen ſollen.
Doch werden wir
in Abſicht dieſer Abhandlungen nicht, wie wir bey den übrigen zu thun gewohnt geweſen ſind Beyſpiele und Lehren beyfügen, ſondern dies den Theologen überlaßen. Denn es ſind wie wir geſagt haben, nur Wünſche.
1. Der Vorzug Gottes gehet den ganzen Men ſchen an: und erſtreckt ſich nicht minder auf die Wer, nunft als auf den menſchlichen Willen: daß nemlich
der Menſch ſich ganz verleugne und zu Gott
nähere.
Wie wir alſo dem göttlichen Geſez gehorſam ſeyn müßen,
Ägleich der Wille widerſpricht, ſo müßen wir auch den Wort Gottes glauben, obgleich die Vernunft wider
ſbricht. Dann wenn wir nur das glauben, was mit unſerer Vernunft übereinſtimmt, ſo geben wir den
Sachen nicht dem Urheber unſern Beyfall
welches
wir auch verdächtigen Zeugen zu leiſten pflegen. Aber
jener Glaube, welcher dem Abraham zur Gerechtigkeie
gerechnet wurde, hat eine ſolche Sache betroffen, worüber Sara
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Zoo
Sara lachte, welche hierinnen ein gewißes Bild der natürlichen Vernunft war. Je ungereimter und un-glaublicher alſo ein göttliches Geheimniß iſt, deſtomehr Ehre wird Gott durch den Glauben erzeigt, und deſto edler wird der Sieg des Glaubens. Auch die Sünder, je mehr ſie in ihrem Gewißen beſchwehrt ſind, und nichts
deſtoweniger ihres Heyls wegen an die Barmherzigkeit Gottes glauben, ehren Gott ſtärker: alle Verzweiflung
aber iſt Gottesläſterung. Ja, wann wir die Sache auf merkſam betrachten,
ſo liegt auch mehr Würde im
Glauben, als im Wißen, wie wir jezt das Wißen haben.
Dann in dem Wißen leidet der menſchliche Geiſt von dem Sinn, welcher von den materiellen Dingen zurück,
prallt, in dem Glauben aber leidet die Seele von der Seele, welche ein weit würdigeres Wirkungsmittel iſt. Anderſt verhält ſich die Sache in dem Stand der Herr lichkeit; denn alsdann wird der Glaube aufhören, und wir werden erkennen, gleichwie auch wir erkannt ſind.
Laßt uns alſo daraus ſchließen, daß die heilige Theologie aus dem Worte und den Ausſprüchen Gottes, nicht aus dem Licht der Natur oder dem Ausſpruch der Vernunft
geſchöpft werden müße. Denn es ſtehet geſchrieben, die Himmel erzählen die Ehre Gottes: aber es ſtehet nir
gends geſchrieben, die Himmel erzählen den Willen Got
tes. Von dieſen heißt es: ſie ſollen nach meinem Ge ſez und Zeugnißen wandlen, ſie ſollen meine Worte halten, u. ſ. w. und dieſes gilt nicht nur von jenen
großen Geheimnißen der Gottheit, der Schöpfung, der Erlöſung; ſondern es gehet auch die vollkommnere Aus
legung des Moral, Geſezes, liebet eure Feinde, thut wohl denen die euch haßen, auf daß ihr Kinder ſeyd
eures himmliſchen Vaters, der über Gerechte und E-
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Unges
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8e I
Ungerechte regnen läßt. Welche Worte allerdings jenen Zuruf verdienen: es iſt nicht die Stimme der Menſchen, Denn es iſt eine Stimme, welche das Licht der Natur übertrift. Ja wir ſehen auch, daß die heydniſchen Dich ter, wenn ſie beſonders ſtark reden, ſich nicht ſelten über
die moraliſchen Lehren und Geſeze, die doch weit nach giebiger und ſchwächer als die göttlichen Geſeze ſind, ſo beklagen, als wann ſie der Freyheit der Natur mit einer gewißen Bosheit widerſtünden: – Und was die Natur nachgiebt, verweigern die neidiſchen Rechte.
So ſagte Dendamis aus Indien zu den Geſandten des Alexanders: er habe etwas von dem Ruhm eines
Pythagoras und anderer Weiſen aus Griechenland ge hört, und glaube zwar, daß ſie große Männer geweſen, jedoch aber den Fehler gehabt , daß ſie eine gewiße
phantaſtiſche Sache, die ſie Geſeze und Sitten nannten, in allzugroßer Verehrung und Hochachtung hielten. Daher auch jenes nicht zu bezweiffeln, daß ein großer Theil des Moral Geſezes erhabener ſey, als das Licht der Natur hindringen könne. Daß man aber ſagt, die Menſchen haben von dem Licht und Geſez der Natur, einige Begriffe der Tugend des Laſters, der Gerechtig keit, des Unrechts, des Guten, des Böſen, iſt aller
dings wahr. Jedoch iſt zu bemerken, daß das Licht der Natur in einer doppelten Bedeutung genommen wird. Erſtlich, inſofern es aus dem Sinn, der Induction, der Vernunft, den Fortſchritten, nach den Geſezen des
Himmels und der Erde entſteht: zweytens, inſofern es der menſchlichen Seele durch innerlichen Inſtinct nach dem Geſez des Gewißens leuchtet, als welches ein ge wißer Funke, und gleichſam ein Ueberbleibſel der ehma Eee
ligen
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Zc2
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ligen und erſten Reinigkeit iſt. In welch lezterem Sinne die Seele vornehmlich eines Lichtes theilhaftig iſt, die Vollkommenheit des Moral, Geſezes einzuſehen und zu unterſcheiden;
welches Licht jedoch nicht ganz
klar iſt, ſondern ſo beſchaffen, daß es vielmehr die Laſter einigermaßen anklagt, als von den Pflichten völlig un
terrichtet. Daher die Religion, man mag entweder auf die Geheimniße oder auf die Sitten ſehen, von einer göttlichen Offenbarung abhangt. Jedoch iſt der Gebrauch der menſchlichen Vernunft
in geiſtlichen Dingen allerdings vielfach, und ſehr weit, gehend. Dann nicht ohne Urſache hat der Apoſtel die Religion einen vernünftigen Gottesdienſt genennet. Man erinnere ſich an die Ceremonien und Vorbilder des alten
Geſezes. Sie ſind vernünftig und bedeutend geweſen, und unterſchieden ſich ſehr von den Ceremonien des Gözendienſtes und der Magie, welche gemeiniglich nichts lehrten, ja nicht einmal andeuteten, ſondern gleichſam
taub und ſtumm waren.
Vornemlich hat der chriſtliche
Glaube wie in allem alſo auch hierinn den Vorzug, daß er die güldene Mittelſtraße in Abſicht des Gebrauchs der Vernunft und des Zweiflens, welches die Vernunft er zeugt, zwiſchen den Geſezen der Heyden und des Ma
homets hält, als welche auf das äußerſte verfallen ſind.
Denn die Religion der Heyden hatte in ihrem Glauben oder Bekenntniß nichts beſtändiges; da im Gegentheil in der Religion des Mahomets alles Zweiflen und Di
ſputiren unterſagt iſt: ſo daß die eine das Anſehen eines vielfachen und ausſchweifenden Irrthums, und die andere das einer argliſtigen und verſchlagenen Betrügerey vor ſich hat, der chriſtliche Glaube aber den Gebrauch der Ver
nunft und das Zweiflen immer in den gehörigen Grenzen
, annint, und außer denſelben verwirft
Der
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Der Gebrauch der menſchlichen Vernunft, iſt in Din
gen welche die Religion betreffen, zweyfach, der eine findet ſich in der Erklärung des Geheimnißes, der andere in den
Schlüßen welche daraus gezogen werden. Was die Er klärung der Geheimniße anbetrift, ſo ſehen wir, daß
Gott es nicht verſchmähet hat, ſich zur Schwachheit un ſeres Begrifs herabzulaßen; indem er ſeine Geheimniße alſo erklärt, daß ſie von uns ſehr wohl begriffen werden können, da er ſeine Offenbarungen in die Begriffe unſe rer Vernunft gleichſam eingepfropffet, und ſeine Einge
bungen zur Eröffnung unſeres Verſtandes ſo einrichtet, wie die Geſtalt eines Schiuß-ls zu der Geſtalt eines Schloßes eingerichtet wird. Worinn wir uns jedoch nicht ſelbſt entſtehen müßen. Denn da Gott ſelbſt die Arbeit unſerer Vernunft in ſeinen Erleuchtungen gebraucht, ſo
müßen auch wir dieſelbe auf alle Theile wenden, damit wir deſto tüchtiger zur Aufnahme und Empfängniß der Geheimniße ſind. Nur muß die Seele nach dem Umfang der Geheimniße, ſo weit ihr Maaß reicht, erweitert wer den nicht aber die Geheimnißenach der Eingeſchränckcheit der Seele zuſammen gezogen werden.
Was aber die Schlüße anbelangt, ſo müßen wir wißen, daß in Abſicht der Geheimniße ein gewißer nach
heriger und verhältnismäßiger, nicht aber uranfänglicher und unbedingter Gebrauch der Vernunft und Schlüſ ſungs Kraft erlaubt ſey. Denn nachdem die Artikel und
Grundſäze der Religion ſchon ihren angewieſenen Siz haben, ſo daß ſie von der Unterſuchung der Vernunft gänzlich ausgenommen ſind, alsdann wird es erſt geſtat tet von ihnen Schlüße herzuleiten und nach der Analogie
derſelben zu führen. In natürlichen Dingen findet nun tees nicht ſtatt. Dann ſelbſt auch die Grundſäze wer den der Unterſuchung unterworfen; durch die Induction, ſage Eee 2 -
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deſ Fººd
ſage ich, obwohl gar nicht durch die Schlußformel; und eben jene haben mit der Vernunft keinen Widerſpruch, daß von dergleichen Quelle ſowohl die erſten, als die mittleren Saze hergeleitet werden. Anderſt iſt es in der Religion, wo ſowohl die erſten Säze ſelbſtſtändig ſind, als auch ferner nicht von jener Vernunft regiert werden,
welche die daraus folgenden Säze herleitet. Doch geſchie her dieſes nicht in der Religion allein, ſondern auch in andern Wißenſchaften, ſowohl in ſchweren als leichten, wo nemlich die erſten Säze angenommene Meinungen, nicht eigentliche Grundſäze ſind: denn auch in jenen kann kein unbedingter Gebrauch der Vernunft ſtatt fins
den. Dann wir ſehen in den Spielen, als dem Schach
ſpiel, oder dergleichen, daß die erſten Vorſchriften und Geſeze des Spiels ganz angenommen und auf will kührliche Uebereinſtimmung gegründet ſind, die man annehmen und darüber man gar nicht diſputiren muß: daß man aber gewinnt und das Spiel geſchickt anſtellt, dies iſt künſtlich und vernünftig: eben ſo iſt es auch mit den menſchlichen Geſzen, unter welchen nicht wenige
bloße angenommene Rechtsſäze ſind, die ſich mehr auf Anſehen als auf Vernunft gründen und die nicht beſtrit ten werden; was aber das gerechteſte ſey, nicht unbe dingt, ſondern verhältnismäßig, das iſt, nach der Ana logie jener als Geſeze angenommenen Rechtsſäze; das iſt erſt vernünftig, und ſtellt ein weites Feld zum Diſputiren
dar. Ein ſolcher nachheriger Gebrauch der Vernunft nun findet in der heiligen Theologie ſtatt, die nemlich auf die Willkühr Gottes gegründet iſt. Gleichwie aber in göttlichen Dingen der Gebrauch der menſchlichen Vernunft zweyfach iſt, ſo iſt auch, in eben dieſem Gebrauch die Ausſchweifung zweyfach. Die
eine, da man die Art des Geheimnißes mit mehr Neugierde, als
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als recht iſt, unterſucht. Die andere, da man den Schlüßen gleiches Anſehen zueignet, als wie den Grundſäzen ſelbſt. Dann der kann auch für einen Schüler des Nicodemus an
geſehen werden, der allzu trozig fragt: wie könnte ein Menſch gebohren werden wann er alt iſt? und der kann keineswegs für einen Schüler Paulus gehalten werden,
der nicht bisweilen in ſeine Lehren einwebt, ich, nicht der Herr: oder jenes, nach meinem Rath.
Dann dieſe
Schreibart wird ſich für die meiſten Schlüße ſchicken. Alſo
ſcheint es uns eine heilſame und beſonders nüzliche Sache
zu ſeyn, wenn eine geſunde und ſorgfältige Abhandlung verfertiget wird, welche den Gebrauch der menſchlichen Vernunft in der Theologie mit Nuzen lehret, und gleich ſam als eine göttliche Logik anzuſehen iſt. Welche ſodann wie eine mit Opium verſezte Arzney wirke, und nicht nur das Leere der Speculationen, das bisweilen der Schule
ſo gemein iſt, einſchläffere, ſondern auch die Wuch der Streitigkeiten, welche in der Kirche Aufruhr erregen, in etwas mildere*). Eine ſolche Abhandlung ſezen wir unter das Vermißte, und nennen ſie Sophron oder von dem rechtmäßigen Gebrauch der menſchlichen Vernunft in göttlichen Dingen. 2. Es iſt vor den Frieden der Kirche ſehr dienlich, daß der Bund der Chriſten, welcher von dem Heyland in Eee 3 jenen *) Anmerk des Ueberſ. Von einer ſolchen Idee begeiſtert, - wird uns Herr Doctor Babrdt ſein Compendium religio nis chriſtanae omnibus ſectis accommodatum,
ſeiner
Ankündigung gemäß, in Bälde ſchenken. Man kann ſich von dieſem Werke alles verſprechen, was nur Gelehrſamkeit, To
leranz, und Freymüthigkeit heiſcht. Eben dieſe große Idee ein ſolches Werk, das ſo viel Menſchenliebe verbreiten kann, zu ſchreiben, hat auch ſchon das Privatgute vor ſich, daß ſie zur Wiederverſöhnung der durch Uebereilung entzweyten großen Theologen, Semmler und Bahrdt Anlaß gegeben hat.“
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jenen zwey Hauptſäzen, welche etwas unterſchieden zu ſeyn ſcheinen, vorgeſchrieben worden iſt, wohl und deutlicher kläret werde: unter welchem der eine alſo heißt: wer nicht
mit uns iſt, der iſt wider uns: der andere aber alſo: wer nicht wider uns iſt, der iſt mit uns. Aus dieſem erhellet
deutlich, daß es einige Artickel gebe, in Abſicht deren
derjenige außer den Bund gehört, der damit nicht über einſtimmt: daß es aber auch wiederum andere gebe, mit welchen man des Bundes unbeſchadet, mißſtimmig ſeyn
darf. Denn als Bande der chriſtlichen Gemeinſchaft wer
den geſezet, ein Glaube, eine Taufe, u. ſ. w. Nicht ein Gebrauch, nicht eine Meinung. Wir ſehen auch, daß der Rock des Heylandes ungenähet geweſen, das Kleid der Kirche aber Buntfärbig iſt. Die Spreu ſind nach der Erndte von den Korn zu ſondern; das Unkraut aber den Acker nicht gänzlich auszurotten.
Als Moſes den
mit dem Iſraeliten ſtreitenden Egypter fand, hat er nicht geſagt warum ſtreitet ihr? ſondern hat mit ausgezogenem Schwerdt den Egypter getödtet: da er aber zwey ſtrei tende Iſraeliten geſehen hatte, ſo hat er, obgleich nicht
beyde eine gerechte Urſache haben konnten, ſie dannoch alſo angeredet: ihr ſeyd Brüder, warum ſtreitet ihr? wenn man alſo dieſes wohl überlegt, ſo ſcheinet es aller,
dings eine Sache von ſehr großem Nuzen zu ſeyn, daß man beſtimme, von welcher Art und Weiſe dasjenige ſey, welches die Menſchen von der Verſammlung der Kirche gänzlich trenne, und von der Gemeinſchaft der Glaubigen entferne. Möchte jemand glauben, daß dies
ſchon längſt geſchehen ſey, der mag doch auch wohl zu,
ſehen, mit welcher Aufrichtigkeit und Mäßigung. Dies iſt indeſſen wahrſcheinlich, daß derjenige, welcher des
Friedens erwehnen wird, jene Antwort des Jehu bekom men dürfte: was iſt der Friede und dir und dem Frieden . . . . . . . .“ gemein? *
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gemein? gehe du über und folge mir: denn nicht der Friede, ſondern die Partheyſucht liegt den meiſten am Herzen. Nichtsdeſtoweniger hat es uns gut gedeucht, eine Abhandlung von den Graden der Einheit und Ei nigkeit in der Stadt Gottes, als eine heilſame und nüzliche Sache, unter das Vermißte zu ſezen. 3. Da die heiligen Schriftſtellen in Abſicht der Verbeßerung der Theologie ſo viel vermögen, ſo iſt auf
ihre Erklärung beſonders zu ſehen. Wir reden aber jezt nicht von dem Anſehen ſie zu erklären und auszule gen, welches in der Uebereinſtimmung der Kirche ge gründet iſt, ſondern von der Art ſie auszulegen. Dieſe
iſt zweyfach: methodiſch und ungebunden. Denn dieſe göttlichen Waßer, welche jene Waßer aus den Brunnen Jacobs unendlich übertreffen, werden faſt auf gleiche Weiſen geſchöpfer und dargereicht, als wie das natür liche Waßer aus den Brunnen: indem dieſes entweder bey dem erſten Schöpfen in Ciſternen geſchöpfet wird, von da aus es durch mehrere Röhren füglich zu dem Gebrauch geleitet werden kann; oder es wird alsbald
ſo wie man es braucht, in die beſtimmten Gefäße ge
goßen. Jene erſtere methodiſche Arr nun hat uns die ſcholaſtiſche Theologie erzeugt durch welche Lehrart die
Theologie in eine Kunſt, wie in eine Ciſterne gefaßt worden iſt; und daraus die Bächlein der Grundſäze und Lehrſäze in alle Theile ſich ergoßen haben. In der ungebundenen Auslegungsart aber kommen zwey Auä ſchweiffungen vor. Die eine derſelben ſezt nemlich eine ſolche ungereimte Vollkommenheit in den Schriftſtellen voraus, daß auch alle Philoſophie aus denſelben als den rechten Quellen hergeholt werden müße, als wann
die Philoſophie, die nicht daher genommen ſey, eine befleckte und heydniſche Sache wäre. Dieſer Unſinn
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868
iſt beſonders in der Schule des Paracelſus, wie auch bey andern eingewurzelt: deßen Anfänge aber ſind von den
Rabbinen und Cabaliſten hergekommen.
Dergleichen
Menſchen aber erlangen das nicht was ſie wollen: auch
thun ſie nicht, wie ſie wähnen, den Schriftſtellen eine
Ehre damit an; ſondern ſie drücken ſie vielmehr nieder, und beflecken ſie.
Dann wer den materiellen Himmel,
und die Erde, von welchen geſchrieben ſteher: Himmel und Erde werden vergehen, aber mein Wort wird nicht vergehen: in dem Worte Gottes ſucht, der beſtrebet ſich
ganz vermeßen nach dem Vergänglichen unter dem Ewi gen. Dann gleichwie man die Lebendigen unter den Tod
ten ſuchte, wenn man die Theologie in der Philoſophie ſuchen will: eben ſo würde man die Todten unter den Le
bendigen ſuchen, wenn man die Philoſophie in der Theo logie ſucht.
Die andere Auslegungsart aber, die wir
für eine Ausſchweiffung halten, ſcheint dem erſten An blick nach beſcheiden und mäßig zu ſeyn, aber ſie entehret jedannoch ſowohl die Schriftſtellen ſelbſt, als bringt ſie
der Kirche den größten Schaden. Es iſt, um es mit ei nem Wort zu ſagen, diejenige, wenn die von Gott inſpi rirte Schriftſtellen auf eben die Weiſe erkläret werden, wie menſchliche Schriften. Man muß aber eingedenck ſeyn, daß Gott als dem Urheber der Schriftſtellen jene zwey Dinge kund ſind, welche der menſchliche Geiſt nicht weiß: nemlich die Geheimniße des Herzens, und
die zukünftigen Zeiten. Da alſo die Ausſprüche der Schriftſtellen ſo beſchaffen ſind, daß ſie an das Herz geſchrieben werden, und die Abwechslungen aller Zeit alter begreiffen; da ein ewiges und gewißes Vorher wißen aller Kezereyen, Widerſprüche, und des mannig
faltigen und veränderlichen Zuſtandes der Kirche,
ſowohl überhaupt als an einzelen Erwählten,
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ihrer
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8o»
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ihrer Abfaßung ſtatt gefunden; ſo ſind ſie nicht blos nach der Ausdehnung und dem vorkommenden Sinn der Stelle zu erklären, indem man entweder auf die
Veranlaßung ſieht, nach welcher die Worte vorgebracht worden: oder mit Genauigkeit den Zuſammenhang der
vorhergehenden und nachfolgenden Worte betrachtet: oder dem Hauptzweck des geſagten bedenckt;
ſondern
ſie ſind alſo auszulegen, daß wir einſehen, ſie be greiffen nicht allein überhaupt und dem ganzen , ſon dern auch abgetheilter Weiſe, in den einzelen Worten und Clauſeln, unzählige Bächlein und Adern der Lehre, um die einzelen Theile der Kirche, und die Seelen
der Glaubigen zu befeuchten. Denn die Beobachtung iſt ſehr ſchön, daß die Antworten unſers Erlöſers, auf nicht wenige Fragen unter denen die ihm vorgelegt wurden, gleichſam die Sache nicht zu betreffen,
gar nicht herzu gehören ſchienen.
und
Wovon die Urſache
zweyfach iſt; die eine, weil er die Gedanken derjenigen, die ihn fragten, nicht aus den Worten, wie wir Menſchen, ſondern unmittelbar und durch ſich ſelbſt erkannt hatte, er hat alſo auf ihre Gedanken, nicht auf die Worte geantwortet:
nicht blos zu denjenigen, waren,
leben
geredet hat,
die andere, weil er
welche damals zugegen
ſondern auch zu uns die wir
und zu allen Menſchen aller Zeiten und aller
Orten ,
wo
das Evangelium geprediget werden
wird. Welches auch bey andern Stellen der heiligen Schrift ſtatt findet. Dieſes alſo vorausgeſetzt, kommen wir auf diejenige Abhandlung, welche wir als vermißt aufſtellen.
Unter den theologiſchen Schriften werden
fürwahr nur allzu viele Bücher voll Streitigkeiten gefun
den: die Maße derjenigen Theologie, die wir die poſitive Eee 5
genannt
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FSF ºd
genannt haben, iſt groß; man hat Gemeinſtellen; beſon dere Abhandlungen; Gewißensfälle; Predigten und der gleichen Reden; endlich ſehr viele weitläuftige Commen tarien über ganze Bücher der Schrift. Was wir aber vermißen, iſt dies: nemlich eine gedrängte, geſunde,
und mit ſcharfer Beurtheilung verfaßte Sammlung von Anmerkungen und Beobachtungen über beſondere Texte der Schrift; wobey man keineswegs in Gemeinſtellen ausſchweift, oder Streitigkeiten verfolgt oder ſie in eine
künſtliche Methode verfaßt, ſondern welche deutlich hin geſtreut, und ganz natürlich ſind. Es iſt fürwahr eine Sache, die ſich manchmal in gelehrten Predigten zeigt, die aber meiſtens nicht dauern; in Büchern aber, die auf die Nachwelt kommen, iſt ſie noch nicht verfaßet.
Ja
gewiß wie die Weine, welche bey dem erſten Tretten der Trauben ſanft abfließen, angenehmer ſind, als diejenigen welche durch die Preße ſcharf ausgedrückt werden, indem ſolche nach den Kämmen und Kernen der Trauben ſchme
cken: eben ſo ſind die Lehren ſehr heilſam und angenehm, welche aus den gelinde gedrückten Schriftſtellen ausflie ßen, und nicht nach Streitigkeiten oder Gemeinſtellen
ſchmecken. Eine ſolche Abhandlung wollen wir die Aus füße der Schriftſtellen nennen. Nun ſcheine ich alſo einen kleinen Abriß der ganzen intellectuellen Welt mit aller mir möglichen Treue ges
macht zu haben; wobey ich diejenigen Theile bezeichnet und beſchrieben habe, von welchen ich finde, daß ſie
durch den Fleiß und die Bemühungen der Menſchen ents weder nicht beſtändig bearbeitet oder nicht genugſam bebauet worden ſind. Wo ich in dieſem Werke von der «-
Meinung v
Gººd
ZI f
Meinung der Alten abgegangen bin, ſo iſt dieſes in der Abſicht geſchehen, etwas beßeres zu ſchaffen, nicht zu neueren oder auszuſchweiffen. Dann ich hätte nicht mir ſelbſt, oder dem Inhalt den ich in Händen habe, getreu bleiben können, wo ich mir nicht gänzlich vorgenommen
hätte, anderer Erfindungen ſo vieles als mir möglich ge weſen, beyzufügen, wobey ich jedoch nicht minder ges
wünſcht habe, daß auch meine Erfindungen von anderen in Zukunft übertroffen werden.
Wie billig ich aber in
dieſer Sache geweſen bin, erhellet auch daraus, daß ich überall meine Meinungen nackend und wehrloß vorgetra gen, und fremder Freyheit durch keine kämpffenden Wi derlegungen zu ſchaden geſucht habe. Dann in Abſicht desjenigen, was richtig von mir angenommen worden iſt, habe ich die Hoffnung, daß wann auch beym erſten Leſen eine Bedenklichkeit oder Zweifel entſtehet, ſolcher doch beym wiederholten Leſen ſich heben werde: in Abſicht des jenigen aber, worinnen ich etwa geirret habe, bin ich ge
wiß, daß ich der Wahrheit keine Gewalt durch zänkiſche Beweiſe angethan habe: als welcher Natur ſchier die iſt, daß ſie den Irrthümern Anſehen verſchaffen, den richtigen Erfindungen es benehmen. Indem der Irrthum von dem Zweiffel Ehre erlangt; die Wahrheit Widerſpruch leidet. Indeßen iſt mir jene Antwort des Themiſtocles beygefallen, welcher einen Mann, der als Abgeſchickter eines kleinen Fleckens einiges großes vorbrachte, mit dies
ſen Worten angegangen: Freund, deine Worte erheiſchen eine Stadt. Ich glaube allerdings, daß mir ſehr wohl vorgeworfen werden kann, daß meine Worte ein Jahr
hundert erfordern. Vielleicht ein ganzes Jahrhundert zum beweiſen, mehrere Jahrhunderte aber zum vollen
den.
Weil aber doch jede Dinge hauptſächlich auf ihren Anfäns
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Anfängen beruhen, ſo dürfte es mir genug ſeyn der Nach welt, und dem unſterblichen Gott gepflanzt zu haben: deſ ſen herrlichen Nahmen im Staube ich anruffe und durch ſeinen Sohn und unſern Erlöſer von ihm erflehe, daß er
dieſe und dergleichen Opffer des menſchlichen Verſtandes, die mit der Religion als dem Salz beſtreut und ſeiner Ehre geopffert ſind, gnädig annehmen wglle.
Ende des zweyten und letzten Bandes. /