Rudolf Steiner - Gesundheitsfragen im Licht der Geisteswissenschaft II, München, 06.03.1909

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liefert] zu sein, was eins der größten Güter des menschlichen Lebens ist.

Rudolf Steiner

Gesundheitsfragen im Licht der Geisteswissenschaft München, 6. März 1909 Öffentlicher Vortrag

Gesundheit

ist ein großer, herrlicher Schatz, der auch von allen Menschen als hohes Gut anerkannt wird. Und obgleich es egoistisch erscheinen könnte, es fühlt doch jeder mit Recht, dass die Gesundheit mit dem zusammenhängt, was unserem tiefsten, innersten Wesen entspricht. Gesundheit ist das Mittel zur Lebensbetätigung, zur Erfüllung unserer Aufgaben und Lebensziele. Daher muss auch die Gesundheit als etwas unendlich Wertvolles in den Mittelpunkt der Lebensauffassung und Lebensführung gerückt werden. Der denkende, gesunde Mensch kann zu trüben Erfahrungen kommen, wenn er sieht, wie über Gesundheit und Krankheit Berufene und Unberufene verschieden urteilen, wie das Wissen von Gesundheit und Krankheit in allerlei Parteischattierungen hineingezogen wird, wie gestritten wird über das Wesen von Heilprozessen und über die Methoden, nach denen man die Gesundheit am besten schützt. So scheint dem Parteihader [überliefert / ausge1

Um in den Geisteswissenschaften oder der Theosophie das zu sagen, was diese über das Wesen von Gesundheit und Krankheit, ihrem innersten Wesen nach, vorzubringen hat, müssen wir uns darüber klar sein, dass die Geisteswissenschaft durchaus nie die Aufgabe haben kann, sich in eine Parteirichtung einzureihen. Es ist ihr vielmehr der Standpunkt zu eigen, ohne Sympathie und Antipathie, also ohne Vorurteil, auf die Sache selbst einzugehen, ein Standpunkt, der von allen Angehörigen der verschiedenen Parteirichtungen besonders beachtet werden müsste. Aber in diesen ist es meistens so, dass nicht mit absolut Wahrem und Falschem, sondern nur mit Einseitigkeiten im Behaupten und Bekämpfen gearbeitet wird. Wer nach den grundlegenden Ursachen schauen will, muss weit über den Parteischattierungen stehen, um nicht mit «entweder oder», sondern mit «sowohl als auch» kommen zu können. Insbesondere was unsere heutige Frage anbetrifft, sehen wir, dass häufig mit Fanatismus der eine des anderen Parole und Meinungen bekämpft. Es gibt weitgehende Behauptungen, die wenig Günstiges vorbringen über die Heilwissenschaft, als solche wird sie vielfach angefochten. Die Geisteswissenschaft ist jedoch nicht dazu da, um sich auf einen Laienstandpunkt zu stellen und die offizielle Wissenschaft zu bekämpfen. Sie ist jederzeit geneigt, voll anzuerkennen, wie die offizielle Heilwissenschaft durch 2


ihre Kenntnis geeigneter Methoden die Mittel zu einem sachgemäßen Urteil herbeischaffen kann. Die Geisteswissenschaft möchte im Allgemeinen gern mit der offiziellen Wissenschaft gehen. Diese ist aber in einem ungeheuren Dogmatismus, dem materialistischen Dogmatismus, so eingeschnürt, dass der größte Teil derer, die urteilen können, kaum anders kann, als das, was die Geisteswissenschaft heute zu sagen hat, als töricht und dilettantisch zu bezeichnen. Aber gerade von der Geisteswissenschaft ist über diese Fragen zu sprechen. Vorher aber müssen wir uns vor Augen führen, wie die Parteien ihr Urteil über diesen Gegenstand abgeben. Da ist zunächst die landläufige Anschauung, aber ganz durchdrungen von materialistischem Wesen – das ist ihre Stärke und Schwäche zugleich. Doch [es] hat sich darin während der letzten Jahrzehnte schon viel geändert.

nehmen und beherrschen zu können. Wenn er den Aufbau des menschlichen Körpers darlegte, hatten seine Hörer die Empfindung, ein Wirken der schaffenden Kräfte wahrzunehmen, [als / wie] wenn ein unsichtbarer Baumeister Glied um Glied gebildet, entwickelt und zusammengefügt habe. Und doch sagte er nie etwas von einem Äther- oder Lebensleib. Den Geist seiner Darstellungsweise aber durchwehten die Kräfte dieses Lebensleibes, zwischen den Worten seiner Rede war er wirkend zu finden. Ein Ausspruch von ihm möge der Ausgangspunkt für heute sein: «Eine Krankheit erkennen kann nur der Arzt, eine Krankheit heilen kann nur der, welcher weiß, was hilft.» Dieser Geist ist heute teilweise gewichen, denn man fasst [gemeiniglich / gewöhnlich] den Leib nur als physischen Stoff auf und die in ihm wirkenden Kräfte als Vorgänge von physikalischen und chemischen Prozessen.

Wir werden sehen, was in der materialistischen Gesundheitslehre versäumt wird, indem wir hinweisen auf die verschiedenen Glieder der menschlichen Wesenheit, die an dem Eingreifen im ganzen Getriebe des menschlichen Lebens beteiligt ist.

Eine solche Betrachtungsweise hat, weil sie die herrlichsten Mittel der Untersuchung entwickelte, sehr gute Erfolge gezeitigt, aber nur in gewissen Grenzen.

Um anzudeuten, wie um verhältnismäßig kurze Zeit früher sich Heilwissenschaft und Gesundheitslehre bewegt haben, möchte ich erinnern an den Anatomen Josef Hyrtl, einen der größten akademischen Lehrer der letzten Jahrzehnte. Er trug deskriptive und topografische Anatomie vor. Er sagte, dass er seine Lehrbücher zum Studium vor dem Hören der Vorträge in der Anatomie geschrieben habe, um das Vorgetragene dann besser auf3

Es gibt bekanntlich für Krankheiten gewisse Gegenmittel, die im Körper die beabsichtigten Prozesse hervorrufen und dadurch die Krankheiten verschwinden lassen, sogenannte spezifische Heilmittel. Der menschliche Körper hat gegen die Krankheitskeime gewisse Schutzwehren, oder er kann solche hervorrufen. Aus der Statistik kann man die Fortschritte derjenigen wissenschaftlichen Anwendungen nachweisen, welche die Sterblichkeitsziffern zum Beispiel in den großen Städten außerordentlich he4


rabgemindert haben. Vieles ist zu dem guten Schatz der Heilmittel hinzugekommen. Diesen offensichtlichen Fortschritten stehen aber starke Schattenseiten gegenüber. Was würde zum Beispiel der Menschheit bevorstehen, wenn man die Bazillenfurcht ausnutzen und Bestimmungen gesetzlicher Art gegen die Bekämpfung der Bazillen schaffen wollte? Zum Beispiel entsteht die Genickstarre durch Aufnahme des Bazillus aus der Umgebung, durch Berührung mit einem Erkrankten oder auch mit einem sogenannten Bazillenträger, einem Menschen, der lebensfähige, übertragbare Krankheitskeime mit sich trägt, ohne es zu wissen und ohne selbst krank zu sein. Kontrollieren kann man das alles nicht, es würde das zu unmöglichen Zuständen, zu einer unerträglichen Tyrannei führen. Die Geisteswissenschaft will die guten Wirkungen spezifischer Heilmittel unter gewissen Umständen nicht in Abrede stellen. Die starke Betonung derartiger Mittel ist oft nur eine Parteiflagge, [so] wie das Wort «Gift» zur Erzeugung einer Suggestion gebraucht wird, zur Stimmung gegen die Arzneimittel der offiziellen Medizin. Wer mit dem Wort Gift in dieser Art hausieren geht, kann oft nicht einmal sagen, was denn eigentlich darunter zu verstehen ist, und es ist das auch schwer zu sagen. Kaninchen zum Beispiel fressen Belladonna, Ziegen fressen Schierling, ohne Schaden zu nehmen. Für andere Geschöpfe, auch für den Menschen, enthalten beide Pflanzen starke Gifte: Sokrates [Tod / starb] durch den Schierlingsbecher! Gift ist ein relativer Begriff, es kommt bei der Anwendung der 5

damit bezeichneten Stoffe hauptsächlich darauf an, dass sie als Arznei genommen in dem beabsichtigten heilenden Sinne helfen. Gegen diese allopathische Richtung wollen wir zum Beispiel die homöopathische Heilweise anführen; beide unterscheiden sich durch ihre Denkweise über die Krankheiten. Die heutige Medizin sieht die Krankheit als etwas an, was im Körper nicht da sein sollte und was daher zu bekämpfen ist. Dagegen sagt die Homöopathie: Dasjenige, was uns als Krankheitserscheinung entgegentritt, ist der Versuch des Organismus, gegen die Schädigungen, welchen der Körper ausgesetzt war, anzukämpfen. Also ist zu versuchen, diese Prozesse in richtige Bahnen zu leiten, den Körper darin zu unterstützen. Nicht also die Symptome zu bekämpfen, sondern ihnen Gelegenheit zu geben, sich auszuwirken, damit die tiefer liegenden Schädigungen des Organismus verschwinden. Die Homöopathie wendet das als Heilmittel an, was beim gesunden Menschen die Krankheit hervorruft, damit bekämpft sie die Krankheit. Mit ihren Anschauungen und Heilverfahren streift sie nahe heran an das, was die Geisteswissenschaft vertreten muss. Jenseits des physischen Körpers liegt der Auferbauer, der Architekt des menschlichen Leibes, der Äther- oder Lebensleib. Für die materialistische Heilwissenschaft erscheint es nahezu als Schande zuzugestehen, dass es einen Ätherleib gibt. Die Geisteswissenschaft will mit dem 6


Dasein des Ätherleibes zunächst erklären, was hinter dem physischen Leib als Kraftsystem liegt und den sichtbaren physischen Leib durchkraftet. Die Ursachen zu Erkrankungen können daher nur im Ätherleib liegen. Während des irdischen Lebens wirkt der Lebensleib im physischen Leib, erst im Tod trennt er sich von diesem, und der physische Leib zerfällt. Es gibt aber nicht nur Schädigungen im Ätherleib, sondern auch im Astralleib und Ich, welche dann hierdurch im ungünstigen Sinne auf den Ätherleib zurückwirken. Mit dem theoretischen Zugeben eines Trägers von unbewussten und unbekannten Kräften ist es nicht getan, wenn nicht in richtiger Folgerung dieser Erkenntnis gewirkt wird, denn sonst ist der Geist nichts als eine leere, leblose Theorie. Es muss vielmehr alles in den Dienst des tätigen Lebens gestellt werden. Es ist nunmehr zu zeigen, inwiefern die höheren Glieder der menschlichen Natur für unser heutiges Thema in Betracht kommen. Wir haben dabei besonders auf Erkrankungen zu achten, die sich von innen heraus, und [auf] solche, die sich auf nervöser Grundlage entwickeln, nicht auf solche, die [aus / von] äußerlichen oder innerlichen groben Verletzungen herrühren. Im ersteren Falle sind unzählige Ursachen der Krankheiten im Geistigen zu suchen, und es müssen sodann auch die Heilmittel im Geistigen gefunden werden, in den unsichtbaren Gliedern des Menschen.

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Anknüpfend an den öffentlichen, allgemein gehaltenen Vortrag über Ernährungsfragen im Licht der Geisteswissenschaft sei daran erinnert, wie die aufgenommene Nahrung für die Stärke oder die Schwäche des Organismus bedeutsam ist. Heute sei darauf hingewiesen, wie der Mensch durch die Nahrungsaufnahme zu den Kräften und Lebensvorgängen, den Prozessen aller Art in der Umwelt in Beziehung tritt. Er lässt diese Prozesse nicht nur in sich vorgehen, sondern er ist dadurch abhängig von den Prozessen, die die Nahrungsmittel in uns einleiten. Der Mensch gibt seine eigene Individualität auf, und er muss nun in der Lage sein, um diese wiederzugewinnen, das Aufgenommene zu verarbeiten. Wenn der Mensch durch die Nahrungsmittel sozusagen mit der Außenwelt zusammenhängt, so steht er mit der geistigen Welt in ähnlicher Verbindung durch die Organe, mit denen er die Nahrungsmittel verdaut. Das ist von ungeheurer Tragweite. Zwischen dem Physischen und Geistigen schwingt der Mensch hin und her wie ein Uhrpendel. Neigt er sich zur sinnlichen Natur durch Nahrungsaufnahme aus deren Stoffen, so zieht er sich zurück in sich selbst. Das geistige Wesen der Natur kommt zur Geltung, indem er die unsichtbaren Geister durch Vermittlung der äußerlichen, sinnlichen Nahrungsmittel in sich aufnimmt. Bei richtiger Hingabe werden die Organe zu richtigen Werkzeugen, um das Aufgenommene zu verarbeiten. Im umgekehrten Fall wird der Vorgang der Verdauung ungünstig verlaufen. Der Mensch kann dann seinen Stoffwechsel nicht richtig leiten, er wird krank werden. 8


Das Leben in einem gesunden Astralleib ist ein guter Beurteiler in seinem Verhältnis zur Außenwelt. Ein Kind, das in dieser Beziehung unverdorben ist, weist manches Nahrungsmittel zurück, das sollte man beachten und es nicht zur Aufnahme zwingen wollen. Was ihm schmeckt, das ist es, was seinen Organismus aufbaut, das andere ist dafür ungeeignet. Man soll dabei Sympathie und Antipathie des Kindes prüfen. Zunächst müssen wir dem Kind zu einer ihm dienlichen Nahrung Lust machen. Und indem wir so auf den astralen Leib wirken, kommen wir durch diesen Umweg zu dem, was nun von uns in der geeigneten Weise aufgenommen werden kann. Sehen Sie, wer heute unser soziales Leben betrachtet, der weiß, dass unzählige krankhafte Zustände damit zusammenhängen.1 Nehmen wir an, der Mensch hat eine Arbeit zu verrichten, die ihm gewohnheitsmäßig wird. Was geschieht da? Beteiligt ist an einer solchen Arbeit der physische Leib und der Ätherleib. Wenn dem Menschen etwas [zur] Gewohnheit wird, wenn er es sozusagen macht, weil er es machen muss, dann ist der Astralleib nicht an der Sache beteiligt. Sehen Sie die zahllosen Menschen[, die] da oder dort sitzen und arbeiten, die kaum den Astralleib – höchstens durch Ärger und Unlust – beteiligt haben. Unter dem Einfluss solcher Verrichtung geht ein Prozess vor sich, den wir einen Erstarrungsprozess des Astralleibes nennen können. Der Astralleib ist dann in einem ge-

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In der Teilnehmernachschrift ist hier Folgendes in Klammern eingefügt: «Wir haben, wenn wir den menschlichen Organismus vor uns haben, den physischen Leib, den Ätherleib, den Astralleib und das Ich.»

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sunden Zustand, wenn er lebendig in den physischen und Ätherleib eingreifen kann. Wenn Sie den Astralleib starr und verhärtet gemacht haben, so ist das, als wenn Sie eine Maschine vor sich haben, die Sie nicht lenken können. Wenn der Ätherleib und der physische Leib den Astralleib ausschalten, ist er bei Verrichtungen nicht dabei. Dadurch, dass er einen Widerstand findet, ist die Folge, dass ein solcher Mensch den Widerstand nicht nur als Krankheit empfindet, sondern als diese oder jene Krankheit hat. So ist einfach die Nichtberücksichtigung, das Nichtbeteiligen des Astralleibes die Ursache bei unzähligen Krankheitsprozessen der Gegenwart. Diesem wird nicht in der richtigen Weise entgegengearbeitet. Gewiss wird auf allerlei recht Nützliches Wert gelegt, wie das Turnen zum Beispiel. So aber, wie es in unserer Zeit betrieben wird, fördert es nicht die intensive Gesundheitspflege. Man hat zu sehr den physischen Leib im Auge, man hat im Auge: So und so muss sich ein Glied bewegen, in der Weise muss der Mensch diese Turnübung verrichten, weil dies den physischen Leib fördert. Man wird begreifen, dass wenn man ins Auge fasst, dass es dahin kommen muss, dass mit jeder Übung ein ganz spezifisches Gefühl der Lust verknüpft ist, man im Astralleib sozusagen turnt. Dann wird der Einklang mit dem Astralleib hergestellt. Ich kannte einen Turnlehrer, der war ein Beispiel dafür, wie nicht geturnt werden sollte. Er war ein Mensch, der stolz war, dass er Anatomie verstand. Der Mann selber konnte nicht turnen, er konnte nur angeben, wie die Dinge gemacht werden sollen. Seine Angaben gin10


gen darauf hin, dass er die Menschen nur von außen betrachtete, nur als eine Zusammensetzung von Knochen und Muskeln. Es soll sozusagen das Turnen vergeistigt werden. Es wird einmal dazu kommen, dass eine jede Turnübung einen ganz bestimmten Namen hat, dass man meint etwas ganz Bestimmtes nachzubilden. Man macht eine Übung, zum Beispiel ein Schiffchen, und man fühlt, dass man etwas nachahmt. Das ist ein durchgeistigtes Turnen. Das hat noch die Nebenwirkung, wenn es in der Jugend so betrieben wird, dass der Mensch niemals im Alter zu einem schwachen Gedächtnis kommt. All das Angeführte zeigt, wie die Geisteswissenschaft in die Geschäfts- und Lebenspraxis eingreifen kann. Aber man kann auch sagen: Weil außer dem physischen Körper noch andere, unsichtbare Glieder des Menschen an seinem Tun und Treiben beteiligt sind, so können sie auch bei Krankheitsprozessen beteiligt sein. Die Menschen führen gewissermaßen zweierlei Leben, ein äußeres und ein inneres, beide müssen tunlichst miteinander in Harmonie stehen. Wenn der Ichträger gesundend oder gesunderhaltend wirken soll – der Astralkörper, der in erster Linie Lust und Leid und so weiter empfindet –, so muss dieses unser Innenleben richtig gelenkt werden, es muss sich in Übereinstimmung befinden mit der Gesetzlichkeit des allgemeinen Weltdaseins, dann erst wird auch der Äther- und der physische Leib gesund bleiben können. Wenn aber der Astralkörper nur Schmerz, 11

steten Kummer empfindet, aus einer sorgenvollen Stimmung nicht herauskommt, dann leiden auch die eben genannten beiden unteren Glieder, weil sie nicht genügend mit Kräften versorgt werden. Ein reiches und mannigfaltiges Gefühlsleben, den Tatsachen des Lebens entsprechend, ruft Gesundheit des Ätherleibes hervor. Die Notwendigkeit einer solchen Angemessenheit an die äußere Welt, die Art und Begründung derselben ist dem Geisteswissenschaftler völlig klar, nicht aber dem Materialisten. Alle Kultur soll dahin wirken, dass sie in ihren Mitteln zur Gesundung hinwirkt. Aristoteles sagt zum Beispiel: «Das Drama soll Furcht und Mitleid erregen.» Aber das soll so angeordnet werden, dass in der menschlichen Seele eine Katharsis dieser Leidenschaften eintritt, eine Art Reinigungs- und Heilungsprozess, dann wird der astralische Leib stark, sodass er gesundend auf den Äther- und physischen Leib wirken kann. Wir werden im Leben vielfach gesundend wirken können durch ein Abwechseln von Freude und Schmerz, durch Sturm in den Gefühlen und dann wieder durch Beruhigung. Aber es muss das alles in richtigem Maß angewendet und geleitet werden. Der Astralleib bedarf der Regelung seiner inneren Tätigkeit. Eins der einfachsten und volkstümlichsten Mittel war und ist vielfach noch in den Zirkusspielen das Auftreten des Clowns. Für viele Menschen hatte die Freude und das Lachen über dessen drolliges Treiben, das Durchschauen seiner Tätigkeit etwas außerordentlich Befreiendes und 12


Gesundendes. Diese Lustempfindung des Astralleibes wirkte also im besten Sinne zurück auf den Äther- und physischen Leib. Alle derartigen Dinge sind unbewusst in das menschliche Kulturgeschehen hineingebracht [worden], aber man förderte sie, weil man darin wichtige Gesundungs- und Ausgleichsprozesse für die menschliche Natur sah. Der Ichträger [und] der astralische Leib [ist / sind] sehr beteiligt daran, wie der Mensch die Wirkungen der Außenwelt verträgt. Viele Menschen leiden unter stetiger schlechter Verdauung. Man weiß im Allgemeinen wenig davon, dass das Menscheninteresse, seine Sympathie und Antipathie an gewissen Sachen und Vorgängen, mit dem Verdauungs- und Ernährungssystem in engem Zusammenhang steht. Nicht eher wird man klar werden und entsprechend abhelfen, und zwar gründlich helfen können, als bis man überzeugend beobachtet hat, wie der Astralleib einen ausschlaggebenden Einfluss auf das Ernährungs- und Blutsystem ausübt. Beim Lachen und Weinen zieht sich der ganze astralische Organismus förmlich auseinander [und / beziehungsweise] zusammen. Beim Lachen ist das Empfinden eines Überlegenheitsgefühls über die Außenwelt da, etwas außerordentlich Wohltuendes für den Ichträger. Das Weinen ist ein linderndes Gegenmittel gegen das Schmerzliche oder auch wohl Freudige, was der Mensch in seinem Astralleib erlebt hat. Tränen bilden erleichternde Aussonderungen aus dem Blut, dem physischen Ausdruck des Ich, das in letzter Linie alle Empfindungen in sich ver13

einigt. Alle diese Beziehungen sind ins Auge zu fassen, wenn man über Gesundheits- und Krankheitsfragen reden will. Ferner sehen wir zum Beispiel, wie das menschliche Ich einen Rhythmus von 24 Stunden durchmacht, morgens beim Aufwachen erlebt man also jeweils mit eintägigem Zwischenraum dasselbe. Einen ähnlichen Rhythmus wie das Ich erlebt der Astralleib, und zwar in einem [Zwischenraum / Zeitraum] von sieben Tagen, dann kommt er an seinen Ausgangspunkt zurück. Der Ätherleib aber erst in achtundzwanzig Tagen, ein Vorgang der sich besonders im Leben der Frau zeigt. Vergleichsweise könnte man etwa für das Ich den Sekundenzeiger, für den Astralleib den Minutenzeiger und für den Ätherleib den Stundenzeiger anführen. Wie diese, so überdecken sich die Rhythmen der Glieder in der menschlichen Wesenheit verschieden. Vom Ätherleib und seinem Zusammentreffen im Rhythmus mit dem Astralleib hängt es ab, wie der Mensch gewisse Erlebnisse verträgt, zum Beispiel entsteht so bei bestimmten Stellungen dieses Rhythmus eine starke Fiebererregung, nach sieben weiteren Tagen kann der Ätherleib das Fieber bekämpfen. Wie hierbei, so ist auch die Wirkung der höheren Glieder des Menschen auf einzelne Teile seines physischen Körpers, es bestehen derartige starke Einflüsse für Lunge, Magen, Nieren, Gehirn und Nervensystem und so weiter. Ist dieses erst richtig und in allen seinen Einzelheiten erkannt, so gewinnt der Mensch auf sich und der so richtig erkennende Arzt einen ungeheuren Einfluss auf Krank14


heit und Gesundheit, wenn er in seinem Handeln sich immer lebendig bewusst ist, dass er auf das Geistige und von diesem aus sicher auf das Physische wirken kann. Man spricht viel vom Einfluss des Lichtes, aber leider nur von dem Einfluss auf den physischen Leib. Das ist so unmittelbar aber nicht richtig, dieser Einfluss beruht auf tiefer liegenden Vorgängen in der Menschennatur von einer für den Erkennenden unzweifelhaften Wirklichkeit. So wirkt zum Beispiel bei einem Erwachsenen nur durch Erregung der Vorstellung und Empfindung das blaue Licht beruhigend, das rote anregend. Bei entsprechendem Verhalten in Meditation und Konzentration sieht der Mensch unter diesem Einfluss in ganz andere Gebiete geistiger Art hinein als unter gewöhnlichen Umständen. Die Chromotherapie, welche derartige Mittel benutzt – in München Dr. Peipers, Königinstraße 69 –, kann nicht mit der materialistisch arbeitenden Therapie verglichen werden, weil bei der vorhin angedeuteten Anwendungsart der Astralleib und das Ich als mitwirksam hereingezogen werden und durch deren mittelbaren Einfluss heilende Prozesse ausgelöst werden. Das Neue daran ist also, dass damit gerechnet wird: Es gibt eine geistige Welt, in der Kräfte für das menschliche Leben, gesundende Kräfte unter Mitarbeit des Menschen selbst flüssig gemacht werden, indem Töne, Farben, Gedanken und daraus gebildete Geisteskomplexe verwendet werden in bestimmter heilend wirkender Beziehung zu 15

den in Behandlung genommenen Leiden von meistens nervöser Art. Wenn der Mensch sich Vorstellungen wie einer Fotografie hingibt, so ist das nur Reproduktion einer Wahrnehmung in grobklotziger Form. Diese Vorstellungen sind die ungesundesten für den menschlichen Organismus, da sie nicht belebend wirken, ja sogar das menschliche Innere ertöten. Astral- und Lebensleib können ihre Kräfte nicht in den physischen Leib ergießen. Dieser kann von ihnen nicht durchkraftet werden, und es folgt Missbehagen und in weiterer Folge auch Krankheit. Anders wirken aber Vorstellungen, die vom Menschen durch seine Fantasie, durch eigenes freies Vorstellen, selbstschöpferisch, nicht nachempfindend produziert werden. Diese wirken bei richtiger Lenkung der Interessen und Aufmerksamkeiten gesundend auf den Menschen ein, und niemand leidet an gestörter Verdauung, wenn er an allen Plänen und Vorkommnissen [sich interessiert / Interesse zeigt], welche ihrer ganzen Eigenart nach harmonisch im Weltgeschehen stehen, so wie es die Geisteswissenschaft tut, wenn sie uns das Geistige vorführt, was hinter allem Physischen als Urgrund, Veranlassung und Förderndes steht. So soll Lebensfrieden, Wärme und Sympathie in unsere Seelen gegossen werden. Und die Geisteswissenschaft kann auf diesem Weg ein Urheilmittel für alle Krankheiten werden. Man soll nicht abwechselnd, unstet von Interesse zu Interesse eilen, das wirkt sehr ungesund. Das richtig geleitete 16


Interesse des Lebens soll auf das Zentrum, den Kernpunkt des Lebens gehen, dann wendet sich der Mensch dahin, wohin ihm die Geisteswissenschaft die Richtung gibt. Unter den heutigen Bildungsverhältnissen findet der Mensch auch an dem Kleinsten etwas Interessantes. Er braucht also nicht die Außenwelt um Neues anzubetteln – unfähig, selbst etwas zu finden –, sondern er soll sich dazu entwickeln, durch sich selbst und in sich selbst den Quell des Interesses zu finden, welcher die Seele stark, kräftig und gesund machen kann.

Störungen richtig und rechtzeitig auszugleichen, um einer ausgesprochenen Krankheit zu entgehen, der weiß auch, dass seine eigenen inneren Kräfte fähig sind, Krankheiten zu heilen. Daher ist die Geisteswissenschaft, richtig angewendet, ein sicheres Mittel zur Lebenshoffnung und Sicherheit, ein Mittel zur Erfüllung unserer Aufgaben und Pflichten im Leben.

Die Geisteswissenschaft ist und gibt kein Lebenselixier, das nur passiv genommen zu werden braucht. Das Leben ist sehr mannigfaltig, und ebenso wirkt die Geisteswissenschaft auf jeden verschieden, sie macht seine individuellen Kräfte frei, führt ihn aber dadurch zum Mittelpunkt der Welten und ist ein Quell der Gesundheit, der sich in alle unsere Glieder ausgießt. Sagen was hilft, kann nur derjenige, der den ganzen Menschen in seiner Vielseitigkeit erkennt, und nur die Geisteswissenschaft kann uns Gesundheitsempfehlungen geben, die den Menschen zum Herren [macht / machen] über sein Instrument, den physischen Körper und die anderen Glieder, sodass er immer stärker wird und stärker sich erhält. Der Mensch kann sich gesund erhalten, wenn er gesund ist. Ist er erkrankt, so muss er sich wohl in seine Krankheit von dem richtigen Arzt hineinwerken lassen, daher ist stets die Hauptfrage zu beantworten: Wie erhalte ich mich gesund? Der Mensch, der imstande ist, 17

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IMPRESSUM: Erschienen bei: Steinerquellen.de Am: 19. November 2008 Textgestaltung: (Neue Rechtschreibung, Dativ-Es, Interpunktion, Absatzwahl, Wortstellung im Satz, gekennzeichnete Korrekturen)

Elke Hüttig, Gerhard Hüttig, Eva Koglin, Michael Schmidt auf Grundlage einer Teilnehmer-Nachschrift.

Urheberrecht: Die Nutzung der durch die Veröffentlichung dieses Vortrags entstandenen Urheberrechte nach UrhG §71 wird hiermit unentgeltlich jedem für alle Nutzungsarten räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkt eingeräumt, mit der Bedingung, dass bei einer Veröffentlichung mit einem Umfang von mehr als der Hälfte des Vortrags im Impressum dieser Veröffentlichung ein Hinweis auf die Ausgabe des Vortrags unter Steinerquellen.de mit Nennung der Internetadresse (zum Beispiel «Erstveröffentlichung unter www.steinerquellen.de») enthalten sein muss.

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