Christoph Kardinal Schรถnborn
Erlesener Sonntag Das Lukasevangelium im Kirchenjahr
wiener verlag
Die Schreibweise entspricht der neuen deutschen Rechtschreibung 2006.
Impressum
Kunsthistorische Redaktion: Elena Holzhausen, Referat für kirchliche Kunst und Denkmalpflege in der Erzdiözese Wien Fotografien: Karl Grohmann Umschlaggestaltung: Nele Steinborn, unter Verwendung des Bildes „Grablegung Christi“, (© Domarchiv, St. Stephan) Grafische Gestaltung/Satz: Nele Steinborn, www.nest.at Schrift: Eidetic Neo, Akzidenz Grotesk BQ Herstellung: Tina Gerstenmayer, adpl-solutions – Division Publishing, Wien Druck und Bindung: Druckerei Theiss, St. Stephan © 2009 by Wiener Dom-Verlag Wiener Dom-Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien Printed in Austria. Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-85351-213-5 Die Fotos in diesem Buch stammen von der Pfarre St. Michael (S. 51), der Stiftsbibliothek Klosterneuburg (S. 78), von Martin Hesz (S. 89), dem Domarchiv St. Stephan (S. 109). Alle übrigen Fotos stammen von Karl Grohmann. Wir bedanken uns für die Erlaubnis zum Abdruck. Wir danken allen Verantwortlichen für Kirchen und geistliche Häuser in der Erzdiözese Wien, die mit Abbildungen im Buch vertreten sind, für ihre Unterstützung. Für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Kommentartexte danken wir „Radio Stephansdom“ und der „Kronen Zeitung“. Der Evangeliumstext entspricht dem Lesejahr C. Die Evangelientexte sind entnommen aus der ökumenisch verantworteten Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. ©1980 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart
Den Ordensgemeinschaften, die in der Erzdiรถzese Wien wirken, in Dankbarkeit gewidmet.
Vorwort
Was macht den Sonntag zum Sonntag? Eine mittlerweile eingestellte, gleichnamige Kabarettsendung im Radio meinte: der Gugelhupf, und der gehört sicher auch dazu, wie ein gutes Mittagessen. Viele Österreicher aber feiern die Sonntagsmesse mit. Daraus gewinnen sie Kraft für den Sonntag und die ganze Woche. Die Lesungen aus der Heiligen Schrift, aus dem Alten und Neuen Testament, geben einen Leitfaden, an dem man sich im Alltag orientieren kann. Die Botschaft des Evangeliums ist vielfältig, sie richtet auf, zeigt Möglichkeiten zur Heilung, ermahnt die, die auf den falschen Wegen gehen, gibt den Armen und Schwachen Hoffnung und zeigt uns Menschen den Weg zu Gott. Das Evangelium macht jeden Sonntag zu einem besonderen Tag. Dieses Buch mit kurzen Kommentaren soll eine Hilfe sein, die verschiedenen Seiten der Frohen Botschaft Jesu Christi zu sehen, kennenzulernen, zu „erlesen“. Dem Evangelium ist jeweils ein Bild zur Seite gestellt. Dabei geht es nicht einfach um eine Illustration. Die Bilder sollen zur Auseinandersetzung anregen und eine Hilfe sein, neue Aspekte zu erkennen, die bisher vielleicht noch nicht beachtet worden sind. Die gezeigten Kunstwerke sind aus der lebendigen Beschäftigung mit dem Evange-
lium entstanden. Deshalb machen sie für uns neue Glaubenserfahrungen möglich. Der vorliegende Band schließt an das Buch „Alle heiligen Zeiten“ an. Es legt ausgewählte Kommentare zu den Sonntagsevangelien im Lukasjahr („Lesejahr C“) vor. Ausgesucht wurden der Advent und die Fastenzeit, die großen Feste, sowie eine Reihe von Sonntagen „im Jahreskreis“, an denen eindrucksvolle Evangelienstellen gelesen werden. Die Bilder, die mit den Evangelien verbunden sind, stammen aus Kirchen oder geistlichen Häusern der Erzdiözese Wien. Verschiedene Formen und Techniken aus unterschiedlichen Epochen sind vertreten. In vielen Gotteshäusern der Erzdiözese gibt es Schätze, die deutlich machen, wie wertvoll den Menschen ihr Glaube, ihr Gottesdienst war und heute noch ist. Sie zu bewahren und nachfolgenden Generationen zugänglich zu machen, gehört auch zu den Aufgaben der Kirche. Die über Jahrhunderte geschaffenen Kunstwerke sind selbst ein Teil der Glaubensverkündigung. Oft haben wir uns an die Bilder und Statuen in unseren Kirchen gewöhnt, sodass sie uns gar nicht mehr besonders auffallen. Es zahlt sich aber aus, sie immer wieder zu betrachten, weil sie uns helfen können, das Evangelium wieder neu zu verstehen.
An der Entstehung dieses Buches waren viele Menschen beteiligt, denen mein besonderer Dank gilt. Die Kommentare erschienen zuerst im Jahr 2006/07 in der „Kronen-Zeitung“. Ich danke dem Verleger Hans Dichand, der das ermöglicht hat, dem Team der „Krone bunt“ und meinen Mitarbeitern in der Öffentlichkeitsarbeit der Erzdiözese Wien. Die Vorauswahl für die Bilder haben Frau Mag. Elena Holzhausen und Frau Mag. Karin Langeder vom Referat für kirchliche Kunst und Denkmalpflege überaus kenntnisreich vorgenommen. Die meisten Kunstwerke wurden von Herrn Karl Grohmann neu fotografiert. Frau Inge Cevela vom Wiener Dom-Verlag hat sich des Projektes mit viel Engagement angenommen. Das Manuskript hat in bewährter Weise Hubert Philipp Weber betreut. Ihnen allen gebührt mein herzlicher Dank. Das Evangelium kann seine Kraft nur entfalten, wenn sich ihm die Menschen mit ihrem ganzen Leben stellen. Möge dieses Buch dazu beitragen, dass viele Freude am Evangelium und Mut zum Leben nach dem Evangelium finden. Wien, an Allerheiligen, dem 1. November 2009 Christoph Kardinal Schönborn
Inhalt Advent und Weihnachtszeit 1. Adventsonntag
13
17
21
25
11. Sonntag im Jahreskreis
29
15. Sonntag im Jahreskreis
16. Sonntag im Jahreskreis
24. Sonntag im Jahreskreis
35
39
26. Sonntag im Jahreskreis
71
28. Sonntag im Jahreskreis
75
Lukasevangelium 17,11–19 Heilung geschieht heute
Lukasevangelium 4,21–30 Österreichisch neutral? Lukasevangelium 5,1–11 Ein heilsamer Schrecken
67
Lukasevangelium 16,19–31 Ein Weckruf von drüben
Johannesevangelium 2,1–11 Der Traum von der Traumhochzeit
5. Sonntag im Jahreskreis
63
Lukasevangelium 15,11–13.17–19.22–32 (gekürzt) Er ist dein Bruder!
Sonntage im Jahreskreis
4. Sonntag im Jahreskreis
59
Lukasevangelium 10,38–42 Das Bessere wählen
Matthäusevangelium 2,1–12 Der beste „Star“
2. Sonntag im Jahreskreis
55
Lukasevangelium 10,25–37 Wer ist mein Nächster?
Lukasevangelium 2,1–14 Mächtiger als alles Geld … Erscheinung des Herrn
51
Lukasevangelium 7,36–50 Weil sie viel geliebt hat
Lukasevangelium 3,10–18 Was sollen wir tun? In der Heiligen Nacht
10. Sonntag im Jahreskreis
Lukasevangelium 7,11–17 Lücken im Todesgesetz
Lukasevangelium 3,1–6 Da erging das Wort … 3. Adventsonntag
47
Lukasevangelium 6,17.20–26 Happy oder selig?
Lukasevangelium 21,25–28.34–36 Richtet euch auf! 2. Adventsonntag
6. Sonntag im Jahreskreis
43
31. Sonntag im Jahreskreis
Lukasevangelium 19,1–10 Freie Sicht auf Jesus
79
Fastenzeit und Ostern 1. Fastensonntag
85
89
Lukasevangelium 9,28b–36 Unvergessliche Stunden 3. Fastensonntag
93
97
101
Palmsonntag
105
Lukasevangelium 19,28–40 Wie es auf Erden Friede wird Karfreitag
109
Johannesevangelium 19,17–30 (gekürzt) Gott geht nicht vorbei Ostersonntag
Johannesevangelium 20,1–18 Am ersten Tag der Woche
113
125
Johannesevangelium 10,27–30 Der Herr ist mein Hirte Apostelgeschichte 2,1–11 Jeder in seinem Dialekt
Johannesevangelium 8,1–11 Wer ohne Sünde ist …
121
Johannesevangelium 21,1.15–19 (gekürzt) Liebst du mich?
Pfingstsonntag
Lukasevangelium 15,11–25.29–32 (gekürzt) Glück der Heimat 5. Fastensonntag
3. Sonntag der Osterzeit
4. Sonntag der Osterzeit
Lukasevangelium 13,1–9 Wer ist schuld? 4. Fastensonntag
117
Johannesevangelium 20,19–31 Berühre mein Herz
Lukasevangelium 4,1–13 Der Teufel und die Religion 2. Fastensonntag
2. Sonntag der Osterzeit
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Advent und Weihnachtszeit
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1. Adventsonntag Lukasevangelium 21,25–28.34–36
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. 26 Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. 27 Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. 28 Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. 34 Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, 35 (so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. 36 Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt. 25
Marienkrönung Kirche Maria am Gestade, Wien 1/Chor Meister von Maria am Gestade Öl auf Holz 1450/1460
Wer glaubt, hofft auch. Denn Gott ist Zukunft und Leben. Wer Vertrauen hat, kann aufblicken und aufrecht gehen. Gott wird uns nicht fallen lassen, wenn wir ihm vertrauen.
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Advent und Weihnachtszeit
Richtet euch auf!
Wer bedrückt ist, geht meist gebückt. Der Körper zeigt, wie es der Seele geht. Gute Hausärzte brauchen keine hochtechnisierte Medizin, um zu erfassen, wie es einem Patienten geht. Sie sehen es ihm an, am Gesicht, am Gang, an der Körperhaltung. Wem es gut geht, der richtet sich auf. Wer wieder froh ist, hebt den Kopf und schaut auf. Wer Hoffnung hat, hebt das Haupt und blickt nach oben. „Wenn das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.“ Weihnachten ist das Fest der Geburt des Erlösers. Aber ist Weihnachten dazu angetan, den Kopf zu heben und sich aufzurichten? Habe ich Grund, Hoffnung zu haben, damit ich nicht bedrückt und gebückt durchs Leben gehe? Der Advent sollte mich aufrichten und zuversichtlich machen. Jedes Jahr nehme ich mir vor, den Advent besinnlicher und ruhiger zu leben: Heuer soll es keine so hektische Zeit werden. Und doch ist es
jedes Jahr wieder das alte Lied, ein Rennen ohne Ruhe, Berge von Post, viele Feiern und wenig Stille. Der „besinnliche“ Advent droht zum besinnungslosen Stress zu verkommen. Jedes Jahr noch mehr, noch schneller, noch unruhiger. Wohin soll das führen? Ich sehe für mich nur einen Ausweg. Jesus zeigt ihn mir. Zuerst will er mich von meiner Zukunftsangst befreien. Viel von unserem selbst gemachten Wirbel hat damit zu tun, dass wir aus Angst vor dem, was kommen kann, uns in die Hektik treiben lassen. Jesus spricht von manchem, das heute noch Angst macht: vom „Toben und Donnern des Meeres“ – denken wir an die Tsunamis, die Wirbelstürme und Orkane. Die Klimakatastrophe betrifft uns alle, weil wir nur diesen einen Planeten zum Leben haben. „Die Menschen werden vor Angst vergehen, in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen.“ Das muss keine sichtbare Panik sein. Viele sagen, sie wollen in diese Welt, wie sie jetzt ist, keine Kinder setzen. Auch auf diese Weise können wir „vor Angst vergehen“ – wenn die Nachkommen ausbleiben und wir ein sterbender Kontinent werden …
„Guter Hoffnung sein“ – so wird Schwangersein auch genannt. Kinder sind Zeichen der Hoffnung, sie sind Vertrauen in die Zukunft. Gibt es Grund dazu? Wer glaubt, hofft auch. Denn Gott ist Zukunft und Leben. Wer Vertrauen hat, kann aufblicken und aufrecht gehen. Gott wird uns nicht fallen lassen, wenn wir ihm vertrauen. Advent ist eine Zeit, den aufrechten Gang zu üben, denn unsere Erlösung ist nahe. Advent ist Zeit der Besinnung. Aber wie soll das trotz Stress gelingen? „Wachet und betet allezeit“, rät uns Jesus. Jeden Tag wenigstens eine Zeit der Stille, der Sammlung, des Betens – das wirkt Wunder. Es kostet nur den Preis, ein wenig innezuhalten. „Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Alltagssorgen euch nicht verwirren!“ Auch dieser Rat Jesu ist höchst aktuell. Nichts gegen Punschstände und Weihnachtseinkäufe, aber alles mit Maß. Es geht um mehr. Ein echter, guter Advent richtet auf.
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