Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie Analyse und Reaktionen aus der Industrie Aktual isier Fassun te g!
Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
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Inhalt Über die Studie
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Einleitung: Klassische Industrieproduktion in der Krise
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Der Local Motors Business Case
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Eine völlig neue Art von Auto-Unternehmen
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Aus dem Netz auf die Straße: Der Rally Fighter
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Die Community als offenes Entwicklungswerkzeug
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Insight: Wie startet man eine Co-Creation-Community
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Die Kunden von Local Motors
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Der Charme des Selbermachens: Die „Local Motors Build Experience“
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Der Local Motors Prozess
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FLYPmode: Von der Idee zum Prototypen in 150 Tagen
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Perspektive: Neue Fahrzeuge, Flotten und ein Auto für Afrika
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Analyse: Die Vorteile offener Entwicklungsprozesse
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Executive Summary: Die Learnings aus dem Case Local Motors
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Reaktionen der Industrie
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Anhang 1: Offene Zusammenarbeit bei deutschen Zulieferern
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Anhang 2: Collaboration-Beispiele und Best Practices
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Über die Studie Mit dieser Studie wollen wir das Thema Innovation im Automotive-Bereich um eine neue Perspektive erweitern: Die offene Entwicklung mit Hilfe einer Community, bei der nach dem Collaboration-Prinzip verteilte Akteure außerhalb des Unternehmens Aufgaben eigeninitiativ abwickeln. Die Studie gliedert sich in vier Teile: →→ einen deskriptiven Teil, in dem wir erklären, wie Local Motors funktioniert, →→ einen Teil, in dem wir darstellen, was dieses Entwicklungsmodell für den deutschen Markt bedeuten kann, →→ einen Teil, in dem die Learnings aus dem Case Local Motors zusammengefasst werden →→ und einen Teil, der Reaktionen der deutschen Automotive-Industrie auf Local Motors dokumentiert. Für den analytischen Teil der Studie wurden neben dem Team und den Führungskräften von Local Motors rund 50 Fach- und Führungskräfte aus der deutschen Automobilindustrie in Interviews um Einschätzungen zu Local Motors gebeten.
Um die Reaktionen der deutschen Automobilindustrie auf das Konzept Local Motors zu ermitteln, hat die Universität St. Gallen im Nachgang eine quantitative Befragung durchgeführt. Autoren: Dr. Willms Buhse, Lars Reppesgaard (doubleyuu), Prof. Dr. Sven Henkel (Universität St. Gallen), Dr. Ulrich Lessmann (T-Systems)
Local Motors CEO Jay Rogers mit einem der Autoren, Dr. Willms Buhse
Bildnachweise: S. 4: Public Domain, Fotograf unbekannt / S. 61: Streetsmart GmbH / alle anderen: Local Motors. / S. 3 & 11: Stefan Hans
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Einleitung: Klassische Industrieproduktion in der Krise Als Adam Smith 1776 seine Ideen zur Arbeitsteilung veröffentlichte, ahnte er nicht, was er auslösen würde. Smith schlug vor, dass die Arbeiten in einer Gesellschaft jeweils von einem Spezialisten mit speziellen Werkzeugen erledigt werden sollten. Unter dem Einfluss seiner Theorie von der Arbeitsteilung und den Ideen von Frederick Winslow Taylor, der vorschlug, Produktionsprozesse in viele kleine Arbeitsschritte aufzuteilen, die wiederum in repetitive Ablaufabschnitte unterteilt sind, erlebte die Wirtschaft im 19. Jahrhundert eine ungeheure Steigerung ihrer Produktivität. Heute bezeichnen wir diese Zeitwende als „Industrielle Revolution“. Als Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts begann, die Automobil produktion zu revolutionieren, griff er auf ihre Ideen zurück. Damals drängte das weiträumige Amerika nach ungehemmter Mobilität. Doch noch war das Auto nicht nur ein vollkommen neues, sondern auch ein außerordentlich teures Produkt. Ford schwebte ein einfach zu bedienendes, robustes Vielzweck-Auto vor, das für jedermann erschwinglich sein sollte. Das Ford Modell T, das Ford 1908 auf den Markt brachte, war perfekt auf diese Anforderungen abgestimmt. Doch erst 1914, mit Einführung des Fließbandes für eine hoch arbeitsteilige Massenproduktion, knackte Ford die letzte Bastion für den Einstieg in den Massenmarkt. Schrittweise konnte er den Preis der „Tin Lizzy“ von 850 Dollar auf 370 Dollar senken. Der Erfolg war überwältigend. Das T-Modell motorisierte Amerika und wurde bis 1928 über 15 Millionen Mal verkauft. Erst der VW Käfer konnte 1972 den Verkaufsrekord des Modell T brechen.
Fortschritt trifft auf Vergangenheit: Eine Tin Lizzy begegnet auf diesem Foto aus dem Jahr 1911 Big Springs, Nebraska, einer Kutsche.
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Das Wachstum der automobilen Industrieproduktion führte danach zum Aufbau riesiger Produktionsstraßen. Noch bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts stellten die Automobilkonzerne einen Großteil der Bauteile im eigenen Unternehmen her – Ford unterhielt zeitweise sogar ein eigenes Reifenwerk. Erst der Aufstieg von japanischen Herstellern änderte das Spiel. Die „Lean Production“ mit optimierten Materialflüssen und Just-in-Time-Logistik nach der KANBAN-Methode des japanischen Herstellers Toyota galt in den 90er Jahren als Leitbild des Fahrzeugbaus. Seither werden immer größere Anteile der automobilen Produktion und Entwicklung an spezialisierte Partner ausgelagert. Was sich nicht geändert hat: Nach wie vor setzen die meisten Automobilproduzenten auf das klassische Inhouse-Prinzip. Entwicklungsabteilungen mit Heerscharen an Weißkitteln entwickeln auf der Grundlage von Marktforschung ingeniöse Innovationen. Im Anschluss schrauben Kohorten von Blaukitteln Seite an Seite mit Robotern in großen Fabrikhallen die Fahrzeuge an Just-in-time-genährten Fließbändern zusammen. Mit hohem Kapitalaufwand entwickeln die Hersteller Einheitsbaumuster, um sie 100.000fach zu kopieren und über ihr Händlernetz per Massenmarketing in den Markt zu drücken. In diesem System gibt es keinen kontinuierlichen Dialog mit den Kunden. Das Feedback von Kunden begrenzt sich auf Marktforschungsergebnisse, Reaktionen auf Messeprototypen und Erfahrungen aus dem Kundenservice nach Verkauf des Produktes. Das Angebot an Dienstleistungen rund um das Fahrzeug ist beim Händler konzentriert oder auf einen undurchsichtigen Dschungel unabhängiger Servicebetriebe verteilt. Obwohl der Kunde mit dem Auto die zweitgrößte Anschaffung seines Lebens macht, finden viele seiner Bedürfnisse und Wünsche erst sehr spät Eingang in die Serie – wenn sie nicht gleich gänzlich unberücksichtigt bleiben. Das ist die Praxis der automobilen Industrieproduktion – bis heute. Zwar lässt sich auch in der Automobilproduktion ein Trend zur Individualisierung von Produkten und zu limitierten Auflagen beobachten, doch sind diesen Entwicklungen angesichts der gegebenen Struktur der Wertschöpfungskette enge Grenzen gesetzt. Spätestens seit der jüngsten Finanzkrise 2009 hat das klassische Paradigma der Industrieproduktion Risse bekommen. Das gilt ganz besonders für die amerikanische Automobilindustrie. Nach Jahren des Siechtums stehen die stolzen Bannerträger des American Way of Life vor der Herausforderung, sich radikal neu auszurichten.
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Dabei geht es nicht nur darum, Antriebe für die nächste Fahrzeuggeneration zu entwickeln oder die richtigen Schritte bei der Vernetzung der Fahrzeuge zum Connected Car zu tun. Vor allem bei Jüngeren nimmt die emotionale Bindung an Marken oder Modelle ab. Der Wert des Autos an sich – als Mittel der Wahl zur individuellen Mobilität, als identitätsstiftendes Statussymbol und als Kommunikationswerkzeug – wird in einer zunehmend urbanen und vernetzten Gesellschaft neu definiert. „Es ist eine neue Ära, und jeder, der mit diesem Unternehmen verbunden ist, muss dies verstehen und bereit sein für Veränderungen, und zwar schnell.“ (Frederick Henderson, CEO von General Motors) Diese Entwicklung ist besonders ausgeprägt bei den sogenannten Digital Natives zu beobachten – der Generation der ab 1980 Geborenen, die mit digitalen Technologien wie dem Computer und dem Mobiltelefon aufgewachsen sind. Ihre Verhaltensmuster, die sich an netz-inhärenten Werten wie dem Teilen von Wissen, dem Vernetzen und Offenheit orientieren, prägen aber inzwischen auch andere Teile der Gesellschaft. „Das Verständnis des Kunden hat sich verändert. Er will gestalten und mitmachen und nicht mehr nur konsumieren.“ (Prof. Dr. Torsten Tomczak, Universität St.Gallen) Gleichzeitig hat sich in einer zunehmend von der Digitalisierung und der permanenten Vernetzung, vom Mitmach-Internet Web 2.0, individualisierten Produkten und offenen Partizipationsmodellen wie Wikipedia geprägten Gesellschaft das Verständnis der Kunden an sich – und damit auch der Autokunden – verändert. Aus reinen Konsumenten werden Kunden, für die der Schriftsteller und Futurologe Alvin Toffler den Begriff „Prosumenten“, also Konsumenten, die produzieren, gestalten und mitmachen wollen, geprägt hat. Noch versäumen es Automobilbauer in der Regel, ihnen Partizipationsmöglichkeiten anzubieten.
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Der Local Motors Business Case Wohin soll also die Reise gehen? Vielleicht hierhin: Stellen Sie sich vor, Sie mischen mit bei der Entwicklung Ihres neuen Autos und diskutieren Ihre Ideen und Wünsche mit Ingenieuren und Designern. Und schließlich begeben Sie sich zu Ihrem freundlichen Händler, um dort Ihr Auto gemeinsam mit Freunden zusammenzubauen – ein Auto, das es nur ein einziges Mal gibt. Und jetzt sagen Sie: Ist es nicht eigentlich völlig undenkbar, dass Kunden ihre Autos selbst zusammenbauen? So etwas Ähnliches haben sich die Leute auch gefragt, als Ikea an den Start ging. Werden die Leute wirklich bereit sein, ihre Möbel selbst zusammenzubauen? Heute weiß man, dass die Leute dazu bereit sind – und Ikea gerade für diese Idee lieben. Genau diese Gedanken hatte Jay Rogers, als er sich entschloss, Local Motors zu gründen. Das Start-Up-Unternehmen aus Phoenix im US-Bundesstaat Arizona baut Autos. Das ist aber auch fast das einzige, was das Unternehmen, das sich selbst als „Next Generation American Car Company“ bezeichnet, mit anderen Autoproduzenten gemeinsam hat. Local Motors ist ein Autohersteller, der seine Produkte über das Internet entwickelt und sie von ihren Kunden beim Händler vor Ort zusammenbauen lässt. So kommt es, dass jeder Kunde bei Local Motors sein ganz individuelles Auto bekommt – ein Auto, das er selbst gebaut hat. Damit wagt das Unternehmen etwas, das neu ist in der Automotive-Industrie. Das Unternehmen setzt in den Bereichen Konstruktion und Entwicklung voll auf Offenheit als Strategie. Das beinhaltet das intensive Einbeziehen von Kunden und Freunden der Marke in Entwicklungs- und sogar Fertigungsprozesse. Dieser gemeinschaftliche, aber final immer von Local Motors gesteuerte Schöpfungsprozess – „Co-Creation“ – ist das Ergebnis einer offenen Entwicklungsstrategie und die Basis des Geschäftsmodells. Ob Fahrzeugkonzept, Detailentwurf von Baugruppen, Produktion oder Service – Local Motors nutzt die Erfolgsfaktoren von Co-Creation in allen Phasen der Wertschöpfung. Vor allem im Bereich der Produktentwicklung ist diese Vorgehensweise wesentlich durch das Collaboration-Prinzip – das Bearbeiten einer Aufgabe durch verteilte Akteure – geprägt. Was in Local Motors-Fahrzeugen wie dem Rally Fighter steckt, ist demnach alles andere als ein Betriebsgeheimnis. Im Gegenteil: Die Konstruktionsdaten aller Bauteile sind öffentlich einsehbar. Dadurch werden die Fahrzeuge in dynamischen, agilen Collaboration-Prozessen mit
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einer ungeheuren Geschwindigkeit entwickelt – eine Verfahrensweise, die eher an das Codieren von Software als an die Ingenieursarbeit in einer Entwicklungsabteilung erinnert. Es passt perfekt zu dem Local Motors-Fertigungskonzept für Kleinserien, die auf Fertigteilen beruhen, die lediglich leicht verändert oder neu zusammengestellt werden. Von Local Motors kann man lernen, wie man Offenheit als Strategie verfolgt, wie man diese Strategie Schritt für Schritt umsetzt, wie ein Automobilunternehmen so die Prinzipien des Netzes aufgreift, um Kunden nachhaltig zu binden und zu begeistern – und was ein Unternehmen darüber hinaus durch diese Vorgehensweise zu gewinnen hat. Local Motors hat die Erfahrungen aus drei Jahren co-kreativer Entwicklung und Produktion in einen strukturierten Prozess überführt, den die Arbeitsschritte der Community in vier Phasen – „Create it“, „Develop it“, „Build it“ und „Mod it“ aufgliedert. Dieser Prozess erlaubt es, in jeder Entwicklungsphase auf Kreativität und Feedback aus der Community zugreifen zu können ohne die Kontrolle über die Entwicklung Externen zu überlassen.
Gegenüber klassischen Crowdsourcing-Szenarien, bei denen ein Unternehmen vielfältige Impulse von außen aufnimmt, verfolgt Local Motors einen Co-Creation-Ansatz: Kunden, Designer und Ingenieure („Contributors“) und die Mitarbeiter von Local Motors entwickeln das Fahrzeug in engem Austausch.
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Außerdem pflegt und entwickelt Local Motors ein Open-Source-Netzwerk mit Zulieferbetrieben, über das CAD-Dateien der Bauteile ausgetauscht und publiziert werden. Die Öffnung der OEM-Prozesse zu allen Stakeholdern unterstützt neuartige Interaktionen, angefangen von der Konzeptdefinition über das Design bis hin zur Gestaltung der Außenhaut mithilfe von „Skins“, die der Kunde gemeinsam mit den Community-Designern entwirft. Über die Community und die „Local Motors-Experience“, den gemeinsamen Bautermin in den Micro factories, werden Kunden eng in den Entwicklungs-, Kauf- und Serviceprozess eingebunden. Die Microfactory dient als Plattform für die aktive Begegnung und Zusammenarbeit von Kunden mit Experten des Unternehmens. Dieser Ansatz erlaubt es Local Motors, ein Geschäftsmodell zu verfolgen, mit dem sich extrem schnell und mit einem sehr geringen Kapitaleinsatz individuelle, aber auch komplett neue Fahrzeuge entwickeln lassen und das sich zudem schon nach extrem kurzer Zeit rechnet. Während neue Serien und Modelle in der klassischen Autoindustrie eine Vorlaufzeit von fünf bis sieben Jahren haben, dauerte es beim Rally Fighter nur 18 Monate, bis aus der 2D-Zeichnung ein Fahrzeug wurde, das ein Kunde abholen konnte. Das nächste Ziel von Local Motors ist es, diesen Zeitraum auf 12 Monate zu reduzieren.
18 Monate dauerte es, bis nach dem ersten Entwurf der Rally Fighter, das erste Produktionsfahrzeug von Local Motors, auf einer Wüstenpiste fuhr.
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Ähnlich radikal sehen die Zahlen beim Thema Kapitaleinsatz aus. Während Ford beispielsweise für seinen 4-Wheel-Drive F150 in fünf Jahren etwa 1,5 Milliarden Dollar investieren musste und Tesla für den Roadster sechs Jahre und 250 Millionen Dollar Kapital benötigte, kam der Rally Fighter, das erste Modell, das Local Motors zum Verkauf anbietet, mit einem Budget von 3,6 Millionen Dollar aus. Local Motors muss also nur ein bis zwei Prozent des Kapitals aufwenden, das die klassische Automotive-Industrie in ein neues Fahrzeugmodell investiert. Bereits jetzt ist Local Motors nach eigenen Angaben an einem Punkt, an dem schon 150 verkaufte Fahrzeuge pro neuer Serie ausreichen, um den Break-Even zu erreichen. „Das Innovationsmodell von Local Motors ist radikal neu für die Automotive-Industrie. Der Ansatz, Kunden und Zulieferer online an der Produktentwicklung zu beteiligen, ist vielversprechend und eröffnet der Branche aufregende Perspektiven, wie sie Produkte beziehungsweise Komponenten in Zukunft schnell und kosteneffizient entwickeln kann.“ (Prof. Dr. Daniel Wentzel, RWTH Aachen)
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Eine völlig neue Art von Auto-Unternehmen Wer Local Motors besucht, sieht zunächst eine Wellblechhalle, drei kleine Büroräume und eine Armada an Autos, die aussehen wie Kampfmaschinen für einen neuen George-Lucas-Film. Erst das Internet macht den kleinen Automobilhersteller zum Riesen. Weil Local Motors die Entwicklungsabteilung kurzerhand in eine Online-Community ausgelagert hat, lebt der weitaus größte Teil des Unternehmens im Netz. Und die allermeisten Menschen, die gestalten, planen und entwickeln, sind überhaupt nicht bei Local Motors angestellt: Es sind Designer, Ingenieure und Autofans aus der ganzen Welt, die über das Internet begeistert ihr Wissen und ihr Know-how in die Wertschöpfung von Local Motors einbringen. Rund 1.400 Designer arbeiten für Local Motors, außerdem viele eingeführte Zulieferer der amerikanischen Automobilindustrie.
Der Rally Fighter vor der ersten „Microfactory“ des Unternehmens in Phoenix, Arizona.
Auch bei der Produktion geht das Start-up neue Wege. Bei Local Motors gibt es keine Fabriken mit langen Fließbändern, sondern kleine Werkstatthallen, die gleichzeitig als Händlerstützpunkt dienen. Local Motors nennt sie „Microfactory“. Auch viele der Monteure, die dort arbeiten, sind nicht bei Local Motors angestellt – nein, es sind Kunden, die gemeinsam mit Freunden und Familie ihre Autos unter fachkundiger Anleitung zusammenschrauben – in der Regel echte Fans, die schon immer gern einmal selbst Hand anlegen wollten. Hinter der Idee von Local Motors steht ein Mann mit Benzin im Blut. John Burton Rogers, den alle nur Jay nennen, ist geschäftsführender Gesellschafter und Mitgründer von Local Motors. Seit frühester Kindheit vom Autovirus infiziert, sammelte Jay seine Fahrpraxis auf BMW 535, Mercedes 300 SL, Dodge Viper, Chevrolet 1500, Honda Element und Mercedes 280 SL. Schon sein Großvater war ein Motor Guy – er leitete den berühmten amerikanischen Motorradhersteller Indian, der bis zum zweiten Weltkrieg die Königsklasse des Motorradbaus darstellte.
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Jay hat bereits ein äußerst bewegtes Leben hinter sich, bevor er Local Motors gründet. Mit seinem Vater hat er im aufstrebenden China der 90er Jahre ein Start-up für medizinische Testgeräte entwickelt. Sein Studium absolviert er an der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs der renommierten Universität Princeton. Er arbeitet als Finanzanalyst für die Investment Bank Ewing & Partner und lernt die Welt von Private Equity und Venture Capital von innen kennen. Im Anschluss entscheidet sich Jay gegen einen Studienplatz an der Universität Stanford und für den Eintritt in die US Army. Über sechs Jahre kommandiert er eine Truppe von 300 Infanteriesoldaten im United States Marine Corps. Zwischendurch wird er auch noch Ehemann seiner Frau Susannah und Vater seiner Söhne John, Charles und Houston.
Seine Militäreinsätze führen Jay in den Nahen Osten, wo er hautnah wahrnimmt, wie Amerikas Abhängigkeit von Ölimporten die Sicherheit des Landes gefährdet. Jay beschließt, etwas dagegen zu tun. Als leidenschaftlicher Autofan und mit seinen Erfahrungen als Gründer und Führungskraft entwickelt er nach und nach die Vision eines Automobilunternehmens der Zukunft. „Bei den Marines lernt man‚ bescheiden zu sein, aber in großen Maßstäben zu denken. Ich habe Autos tief in meinem Herzen geliebt seit ich ein Kind war. Ich hatte einen Hintergrund als Unternehmer. Das und meine Arbeit im Finanzsektor würde bedeuten, dass ich Geld aufbringen kann. Und ich hatte bereits viele Leute geführt, als Kommandeur einer Kompanie war ich für 300 Marines verantwortlich, Ich dachte‚ wer wäre besser dazu in der Lage, in der Auto-Industrie einen Unterschied zu machen?’“ (Jay Rogers, Gründer von Local Motors) Nach seiner Zeit bei der Armee setzt Jay sein Studium an der Harvard Business School fort und konzentriert sich auf das Thema Innovation in der Automobilindustrie. Parallel arbeitet er als Berater für die Automotive Practice der Unternehmensberatung McKinsey & Co. Gemeinsam mit einem Kommilitonen
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gewinnt er für seine Studienarbeit 20.000 Dollar der Harvard Social Enterprise Initiative – ein Gründerpreis für sozial verpflichtete Unternehmer. Der Preis motiviert die beiden Jungunternehmer, ihre Ideen in ein Gründungskonzept umzusetzen. Sie studieren eingehend die Methoden der Autohersteller und führen Interviews mit großen und kleinen Herstellern, darunter mit Ford, dem Elektropionier Tesla und dem Kit-Car-Produzenten Factory Five. Sie lernen, dass fast kein Hersteller die Kunden seiner Autos wirklich kennt. Am besten weiß es der kleine Hersteller Factory Five, der Replicas klassischer Autos als Bausätze anbietet. Eher beiläufig hatte das Unternehmen eine Online-Community-Plattform ins Netz gestellt – mit beachtlichem Erfolg. In der Community diskutieren Kunden und Interessenten von Factory Five über kleine Details und große Ideen. Bis zu 1.000 Nutzer pro Tag nutzen das Online-Forum des Kleinherstellers – weitaus mehr als die Community-Plattformen großer Hersteller wie Ford oder Volkswagen. Für Jay ist die Factory Five-Community so überzeugend, dass er sich sofort entschließt, das Element der Community in sein Gründungskonzept aufzunehmen – auch wenn er zu dieser Zeit noch nicht genau weiß, welche Funktion die Community in seinem Unternehmen haben würde. Joe Lassiter, einer seiner Professoren in Harvard, bestätigt Jay in seiner Vorahnung. „(Joe Lassiter) regte an, dass nicht wir diejenigen sein sollten, die die Kunden davon überzeugen müssen, unser Produkt zu kaufen, sondern dass die Kunden andere Kunden überzeugen müssten unser Produkt zu kaufen.“ (Jay Rogers, Local Motors) Professor Joe Lassiter empfiehlt, zunächst eine kleine Fach-Community zu entwickeln, die Designer und Entwickler für die Mitarbeit gewinnt. Und Factory Five-Chef Mark Smiths plädiert dafür, die Kunden – ähnlich wie bei Kit-Cars – am Bau der Autos zu beteiligen, sodass ein erheblicher Teil der Wertschöpfung durch die Kunden selbst erbracht würde. Nachdem Jay seinen Harvard MBA in der Tasche hat, kommt der Tag der Entscheidung. Noch sind drei Optionen im Spiel: Die Beraterlaufbahn bei McKinsey, ein Job bei einer Private Equity-Beratung, und die Gründung von Local Motors. Jay setzt auf volles Risiko und entscheidet sich für Local Motors. Sein Partner
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springt im letzten Augenblick aus privaten Gründen ab. Jay steht unverhofft allein da. Ein Gespräch mit Mark Smiths, dem Gründer von Factory Five, bringt den Wendepunkt. Smith ist sofort von der Local Motors-Idee überzeugt und bietet umfangreiche Starthilfen an: Büros und eine Werkstatt in der Nähe der Factory Five-Produktion, Zugriff auf Ingenieure und Designer, Know-how für Betriebsführung und Produktion sowie die Unterstützung des Factory Five-Managements. Mit diesem Grundstock überzeugt Jay weitere Investoren. Die Anteile sind weit gestreut – viele der Investments bewegen sich um 100.000 Dollar.
Eine kleine Mannschaft, die Großes bewegt: Das Kernteam von Local Motors.
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Aus dem Netz auf die Straße: Der Rally Fighter Die Gründung von Local Motors beginnt bei Null. Es gibt keinen Entwurf, keinen Prototyp und kein fertiges Produkt. Es gibt nur Jays festen Glauben, dass die Gemeinschaft der Local Motors-Online-Community schon bald ein erstes Produktionsfahrzeug hervorbringen wird. Als erste Iteration der Produktentwicklung entwickelt Local Motors den Rally Fighter.
Dynamische Entwicklung: Im Laufe der 18 Monate veränderten sich Design und Innenleben des Rally Fighters durch den Input der Community erheblich.
Doch bis der Wüstenrenner Wirklichkeit wird, ist es noch ein langer Weg. Zunächst muss Jay die Online-Community aufbauen, die er später Local Forge nennen wird. Die Anfänge sind mühselig. Um Local Forge erfolgreich zu starten, wirbt Jay aktiv Designer an. Er führt Gespräche mit Lehrenden und Studenten des berühmten Arts Center in Pasadena, Kalifornien, einer weltweit führenden Talentschmiede für Autodesigner. Jay stellt fest, dass nur 20 Prozent der Absolventen einen Job bei einem der großen Autohersteller finden. Er sieht ein großes Potential an unterbeschäftigten Jungdesignern, die mit frischen Ideen und ohne industrielle Vorprägung nach ersten Herausforderungen suchen. Diese kreativen Talente möchte er überzeugen, über Local Forge mit seinem Unternehmen zusammen zu arbeiten. Der Start der Community verläuft zögerlich. Auch eine Prämie von 500 Dollar, die er den Studenten zusagt, sofern sie ihre eigenen Designarbeiten in die Community hochladen, bringt wenig Erfolg. Erst als Ariel Ferreira das Management der Community übernimmt, stellen sich erste Erfolge ein. Ariel hat Erfahrung mit Kundenbindungsprogrammen für Volvo und GM und akquiriert von nun an systematisch neue Mitglieder. Sie besucht Automotive und Industrial Design Online-Communities und nimmt Kontakt mit potentiellen Kandidaten auf. Oft
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muss Ariel Misstrauen auflösen und nachweisen, dass Local Motors keine kurzlebige Eintagsfliege ist. Auch die Frage des Urheberrechts taucht immer wieder auf. Vielfach sind bis zu zehn Kontakte notwendig, bevor es zur Registrierung in der Community kommt. Mit dem „Charter Member“-Programm wirbt Ariel um die ersten Mitglieder. Um die virtuelle Community realer und spürbarer zu machen, erhalten die 20 ersten Designer, die ihre Arbeiten in die Community hochladen, eine Racing-Basecap mit Local Motors-Logo als Dankeschön. Einige dieser Designer stellt Ariel mit einem Beitrag im Blog von Local Motors vor. Irgendwann, nach mühevollen Anfängen, wendet sich das Blatt: 12 Monate nach Start sind 1.400 Designer und Autofans in der Community registriert. „Wir erreichten einen Punkt, an dem es ‚umkippte’ und an dem die Leute aufhörten, die Fragen nach unserer Glaubwürdigkeit zu stellen, weil so viele ihrer Freunde und Kollegen sich bereits beteiligten. Sie begriffen, dass wir echt waren.“ (Ariel Ferreira, ehemalige Community-Managerin von Local Motors) Im April 2008 startet Local Motors den ersten Online-Wettbewerb – ein Motivationsmittel, das von jetzt an die Community-Kultur des Autoherstellers maßgeblich bestimmt. Der „Southern Californian Contest“ dreht sich um ein Offroad-Fahrzeug für die Wüstenregionen im Südwesten der USA. Dieser Wettbewerb deutet bereits das Rally Fighter-Konzept an. Mindestens 10 ernstzunehmende Entwürfe müssen eingereicht werden, damit das Preisgeld von 2000 Dollar ausgeschüttet wird. Am Ende sind es 22 Entwürfe. Sieger wird das Offroad-Performance-Konzept „Panterra“ des 30jährigen Transportation Designers Filip Tejzerski aus Australien. Ab jetzt folgt jeden Monat ein neuer Wettbewerb. Parallel steigen die Teilnehmerzahlen. Auf die „Miami Motors Competition“ mit 40 Einreichungen folgt die „Air Base Motors Challenge“ mit 80 und der „Adventure Team Motors Contest“ mit über 100 Teilnehmern.
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Mit monatlichen Wettbewerben hält Local Motors die Community lebendig. Thema der Wettbewerbe sind innovative Fahrzeugkonzepte für regionale Nischenmärkte.
Die Wettbewerbe werden auf regionale Nischenmärkte in den USA ausgerichtet. Die Anforderungen an das Autodesign leiten sich von örtlichen Kundenbedürfnissen und äußeren Bedingungen wie Geologie, Wetter, Kultur und ästhetischem Empfinden ab. Im Sommer 2008 ist es soweit: Local Motors ruft zur Auswahl eines TopKonzepts für die Umsetzung in die Produktion aus. Die Community bekommt die Möglichkeit, noch einmal alle Einreichungen zu bewerten. Local Motors motiviert die Community ausdrücklich dazu, besonders innovativen Ansätzen ihr Votum zu geben. Im Rennen sind sowohl die Wettbewerbssieger als auch Ideenskizzen und heiß gehandelte Fast-Gewinner früherer Wettbewerbe. Unter Berücksichtigung von Community-Kommentaren und Bewertungen wählen die Local MotorsMitarbeiter aus den besonders hoch bewerten Entwürfen 10 Top-Konzepte für die finale Entscheidung aus. Die letzte Entscheidung behält sich Jay Rogers vor. Er will sicherstellen, dass das Konzept die geplanten Anforderungen technisch
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erfüllt, mit den gegebenen Ressourcen der Firma umsetzbar ist und am Markt eine reelle Chance hat. Diese Entscheidung kann nach Jays Überzeugung nur jemand treffen, der mit allen Aspekten des Unternehmens vertraut ist.
Ausschnitte aus einem langem Interview mit Jay Rogers finden Sie auf www.doubleyuu.com/jayrogers
„Ich wollte, dass die Leute von Anfang an wissen, dass jemand die endgültige Entscheidung treffen wird und dass wir nicht lediglich an einen demokratischen Prozess gebunden sein würden. Wir befanden uns in einer sehr empfindlichen Phase. Die Community war noch sehr klein, es gab keine Präzedenzfälle, auf die man sich beziehen konnte, und der größte Teil unseres Investments stand auf dem Spiel. Ich hatte also das Gefühl, dass die Person mit der meisten Erfahrung in dem Unternehmen aus den Community-Designs auswählen sollte, was wir bauen, was wir vermarkten können und so weiter. Ich nenne diesen Prozess des kollaborativen Entscheidens von Community und Unternehmen ‚bi-modale Intelligenz’.“ (Jay Rogers, Local Motors) Vor der endgültigen Festlegung berät sich Jay noch einmal mit externen Stakeholdern, zum Beispiel mit dem Arts Center und mit Experten von Factory Five. Jay entscheidet sich schließlich für den Entwurf des südkoreanischen Designers Sangho Kim, auch wenn sein internes Team eher für das „Panterra“-Konzept, den Sieger des „Southern Californian Motors Contest“, plädiert. Kim hatte mit dem Rally Fighter-Konzept zuvor bereits den „Miami Road Racer Competition“ gewonnen. Am 11.8.2008 kündigt Jay im Blog und auf der Website von Local Motors den Rally Fighter offiziell als erstes Produkt von Local Motors an. Das erste Auto von Local Motors soll die Bedürfnisse der angepeilten Marktnische funktional und ästhetisch exakt befriedigen, die Individualität des Designers spiegeln und gleichzeitig als Kultsymbol für die junge Automarke dienen.
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Der Local Motors Rally Fighter basiert auf einem Entwurf des koreanischen Designers Sangho Kim.
Eine der Varianten von Kims Entwurf dient als Ausgangspunkt fĂźr die weitere Ausarbeitung durch die Community.
Die Reinzeichnung des Entwurfs wird von der Community inspiriert.
In weiteren Ausarbeitungen werden die Proportionen an das MaĂ&#x;konzept angepasst.
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Auch im weiteren Entwicklungsprozess des Rally Fighter-Konzepts behält die Community ihre einflussreiche Rolle. Über den Online-Dialog finden Designer und Ingenieure gemeinsame Positionen, obwohl ihre Perspektiven oft ganz unterschiedlich sind und einander widersprechen. „Du musst sie dazu bringen, miteinander zu reden. Die Designer wollen etwas, die Ingenieure werden dir sagen, dass es nicht geht. Und oft musst du beide dazu bringen, einen Kompromiss zu finden. Beide Seiten werden ihre Entscheidungen verteidigen, und manchmal wirst du Leute vor den Kopf stoßen.“ (Jay Rogers, Local Motors) Für den Rally Fighter entwickeln die Local Motors-Ingenieure ein leichtes, hochfestes Chassis. Es dient als Basis für individuelle Karosseriekörper, die die Community entwickelt. Ingenieure aus der Community und Techniker von Local Motors kümmern sich um die Anpassung der Designentwürfe an das Einheitschassis. Auch das Innenleben – Komponenten wie Motor, Lenksäule oder Getriebe – entwickeln die Ingenieure von Local Motors nach den Vorgaben und auf Grundlage der Ideen der Community. Sie sind es aber, die im Detail Lösungen für technische Probleme suchen und entscheiden, wie sie sie am Besten lösen.
Rapid Prototyping: Der 3D-Drucker bei Local Motors im Einsatz
Dazu nutzt Local Motors unter anderem gezielt 3D-Drucker und -Scanner. Die Hardware des Anbieters Z Corporation wird für das Rapid Prototyping genutzt, um die Entwicklungszeit zu reduzieren und Entwicklungskosten zu senken. So benötigte das Unternehmen etwa bei der Konstruktion des Rally Fighters eine Antriebswellengabel, die für die off-Road-taugliche Federung geeignet war. Das Entwicklungsteam kaufte eine handelsübliche
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Gabelaufhängung, die den Anforderungen am nächsten kam. Ihre Oberflächendaten wurden mit einem 3D-Scanner erfasst und in ein CAD-Modell umgewandelt. Die Entwickler veränderten an einigen Stellen die Proportionen der Gabel und fügten Anschlussbacken hinzu. Diese Konzeptstudie drucken sie auf einem 3D-Drucker um sicherzugehen, dass das Teil ins Fahrzeug passen würde. Hätte das Unternehmen das CAD-Modell an eine Werkstatt geschickt, hätte Local Motors mit einer Bearbeitungszeit von drei bis vier Wochen und mit Kosten von 2.700 Dollar rechnen müssen. Local Motors nutzte die 3D-Technik auch um sicherzustellen, dass alle Teile des Rally Fighters tatsächlich exakt in das Chassis passen. Pisanis Team scannte fertig gebaute Einheiten wie Benzintank, Motor und Lenksäule und integrierte diese Daten in das CAD-Modell des Fahrzeugs. Bei der Entscheidung, welche Fertigteile Local Motors für die Fahrzeuge einkauft, half die 3D-Technologie ebenfalls, etwa bei der Suche nach Front- und Heckscheinwerfern. Auf Grundlage eines bereits sehr ausgereiften CADEntwurfs druckte das Local Motors-Team ein Frontpaneel aus. Dieses GlasfaserModell bestückten die Mitarbeiter mit unterschiedlichen frei im Handel erhältlichen Lampen. Sie verglichen die optische Wirkung der jeweiligen Frontabdeckungen auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums mit den Frontansichten der dort geparkten Fahrzeuge und entschieden dann, welche Scheinwerfer die richtigen für den Rally Fighter waren. „3D-Scanning und 3D-Druck helfen uns, die Entwicklung zu beschleunigen und Kosten zu senken, sodass wir pünktlich und innerhalb des Budgets bleiben können.“ (Mike Pisani, Fahrzeug Ingenieur und Ausbilder der Autobauer in den Mikrofabriken, Local Motors)
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Die Außenhaut wird in einen dreidimensionalen CAD-Datensatz umgesetzt.
Der CAD-Entwurf wird mit einer grafisch durchgestalteten Oberfläche versehen.
Der Entwurf wird in ein 1:1-Schaum-Modell umgesetzt.
Zur Beurteilung des Außendesigns entsteht ein 1:4-Tonmodell des Rally Fighters.
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Konzept
Produktion
Auch einzelne, technische Komponenten werden durch Ingenieure und Designer der Community entwickelt. So entsteht der außenliegende Auspuff innerhalb eines Monats.
Das Gestaltungskonzept für das Interieur des Rally Fighters wird in nur vier Monaten in die Produktion umgesetzt.
Kalkuliert für eine Stückzahl von 2.000 pro Jahr und Produktionsstandort, kann der Rally Fighter zu einem Maximalpreis von 59.000 Dollar angeboten werden. Alle Bauteile sind als Open-Source nach Creative Commons lizensiert. Die dazugehörigen CADFiles sind online über die Community abrufbar. Im Juni 2010 startete die Produktion des Rally Fighters. Die CAD-Daten des fertigen Entwurfs wurden an die Zulieferer übergeben, die die notwendigen Standardkomponenten bereitstellten und just-in-time an die Local Motors Microfactory auslieferten. Dort wurden die Autos unter Mitarbeit des Kunden verkauft, montiert, qualitätsgeprüft und gewartet. Bis November 2010 wurden 127 Autos zum Stückpreis von 50.000 Dollar bestellt und vier fertig gestellt.
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Mitte 2011 fuhren bereits 22 Rally Fighter auf den Straßen des süd-westlichen Amerikas und einer im fernen Kasachstan. Die technischen Komponenten stehen als Open Source-CAD-Dateien online zur Verfügung. Designer und Ingenieure können die Dateien weiter modellieren und maßgeschneiderte Designs um die technischen Bauteile herum entwickeln. Und Besitzer eines Rally Fighters können ihre Fahrzeuge auch nach dem Kauf problemlos aufrüsten oder verändern. Allerdings: Bis heute ist keiner der Designer Kunde von Local Motors geworden – vielleicht deshalb, weil der angepeilte Verkaufspreis von rund 50.000 Dollar weit über dem Budget der meisten Jungdesigner liegt. Der Rally Fighter ist nicht nur das erste Produktionsfahrzeug von Local Motors, sondern gleichzeitig das erste Crowdsourcing „Creative Commons“-Auto überhaupt. Er erfüllt alle gesetzlichen Regelungen für „Custom Built“-Autos und ist in 50 amerikanischen Staaten auf Emission geprüft und für die Zulassung freigegeben. Alle Elemente des Rally Fighters zum Beispiel Exterior und Interior Design, Türen, Heck und Name, wurden in der Community entwickelt. Er vereint die besten Ideen aus 35.000 Designentwürfen von 2.900 Community-Mitgliedern aus über 100 Ländern.
Ein robuster Gitterrohrrahmen bildet die stabile Basis für kundenindividuelle Konfigurationen des Rally Fighters.
Der Rally Fighter-Gitterrohrrahmen in Produktion.
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Fertigung der Rally Fighter-Karosserie.
Montage von Chassis und Zulieferteilen.
Springinsfeld mit Offroad-Qualit채ten: Der Rally Fighter.
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Die Community als offenes Entwicklungswerkzeug Das Kundenerlebnis Local Motors wird ganz wesentlich von der Zusammenarbeit in der Online-Community Local Forge geprägt, der Open Source Co-Creation Plattform von Local Motors. Sie ist zentrales Element des Local Motors-Geschäftsmodells. Technisch basiert die Community auf einer Reihe von Programmen zur Bereitstellung dynamischer Webseiten, die sich mit dem Akronym LAMP abkürzen lassen. Die Buchstaben stehen für Linux, Apache, MySQL und PHP. Diese bei vielen Webunternehmen und -projekten extrem populäre Programmkombination ist besonders geeignet für den Aufbau von Webangeboten, deren Inhalte sich schnell verändern und die von extrem vielen Besuchern genutzt werden. Sie stellt auch beispielsweise die Infrastruktur für die Wiki-Software MediaWiki dar, mit der das Online-Lexikon Wikipedia betrieben wird. Die Grundlage aller Softwarebausteine ist Linux als quelloffenes Betriebssystem. Auf dem Open Source Webserver Apache liegen die CAD-Entwürfe, aber auch alle Dokumente, in denen sie kommentiert oder bewertet werden, in einer MySQL-Datenbank. Der Computer, der Surfern auf ihre Anfragen hin die dynamischen Webseiten der Local Motors-Community zur Verfügung stellt, nutzt PHP-Skripte, um Daten aus einer MySQL-Datenbank zu generieren und mit Apache über das World Wide Web abrufbar zu machen. Die Seitenbesucher können die Seiteninhalte verändern. Änderungen werden dann in die MySQLDatenbank zurückgeschrieben. Der eigentliche Code zur Programmierung der Community ist dagegen alles andere als eine Standard-Lösung: Ihn haben Programmierer bei Local Motors selbst entwickelt. Auch der Code, den das Unternehmen nutzt, um Hacker zu entdecken und zu verhindern, dass Spammer mit ihren Einträgen die Community missbrauchen, ist eine Eigenentwicklung. Doch nicht die individuelle Programmierung der Community-Software ist der wesentliche Erfolgsfaktor des Unternehmens, sondern der Aufbau der virtuellen Gemeinschaft und der Umgang mit ihren Mitgliedern. Den Prozess des Community Managements beschreibt Jay Rogers als „Ein- und Ausatmen“, als dynamischen Wechsel der Prinzipien Wettbewerb und Zusammenarbeit. Die Community erschließt das Know-how von Designern, Ingenieuren und
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Autofans, um innovative Fahrzeuge zu entwickeln. Local Motors spezifiziert Konzept, Marktsegment und Zielpreis, die Community kreiert in OnlineWettbewerben maßgeschneiderte Problemlösungen und die Kunden bauen ihre Autos gemeinsam mit Local Motors-Mitarbeitern in den regionalen „Microfactories“ zusammen. Jay sieht Local Forge als einfach zu benutzendes Werkzeug für Designer, Ingenieure, Kunden und Fans, um ihr ganz persönliches Idealauto zu entwerfen, zu entwickeln und schließlich auch zu fahren.
Die Local Motors-Community ist gleichzeitig Showroom der registrierten Designer, die eigene Arbeiten in ihrem Profil veröffentlichen können.
Gemeinsam ein technisch hochkomplexes Industrieprodukt entwickeln? Wie soll das gehen? Aurel François, diplomierter Industrialund Autodesigner aus Castres in Frankreich hat es selbst erlebt. Nachdem er 2007 seinen Abschluss als Transportation Designer in der Tasche hatte, folgten viele Bewerbungen, aber kein Jobangebot. Um möglichst viele Menschen auf seine Arbeiten aufmerksam zu machen, entschloss sich Aurel, sie online zu veröffentlichen. Bald wird auch Ariel Ferreira, Community Managerin bei Local Motors, auf Aurel aufmerksam. Aurel bekommt ausführliche E-Mails von Ferreira, mit denen sie dem Jungdesigner die Mitgliedschaft in der Local Motors-Community schmackhaft machen will. Doch Aurel hat seine Probleme mit Ariels Angeboten. Ihre Vorschläge lesen sich sehr utopisch, sind für einen Franzosen schwer zu verstehen und äußerst langatmig verfasst. Dennoch wird er Mitglied der Community. Er veröffentlicht seine Entwürfe auf Local Forge und lädt bald erste Ideenskizzen in den sogenannten Check-Up-Bereich der Community hoch. Schließlich nimmt Aurel an der „Miami Motors Challenge“ teil – ein Designwettbewerb zur Entwicklung eines Fahrzeugkonzepts speziell für Miami, ausgeschrieben von Local Motors. Weil Aurel niemals in seinem Leben in Miami gewesen ist, muss er zunächst sehr viel recherchieren. Aurels
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fertiger Designentwurf wird von den anderen Mitgliedern der Community bewertet und erreicht Rang 3. Aurel hat die neuartige Arbeitsweise überzeugt. Er mag das Gefühl des Zeitdrucks, konnte sein Konzept aktiv verteidigen und hat viele Anregungen aus den zahlreichen Vorschlägen und Kritiken gezogen. Community-Mitglieder wie Aurel sind in allen Phasen eingebunden. Ob Besucher, einfaches Mitglied, Designer oder „Builder“ – in allen Rollen können Nutzer mitarbeiten. Mit besonderen Reward-Tags bildet Local Motors Untergruppen innerhalb der Community. Es gibt „LM Competion Winner“, „LM Vehicle Owner“, „LM Team Members“ und „LM Charter Members“ – die Mitglieder der ersten Stunde. Von der ersten groben Ideenskizze bis hin zum Produktionsfahrzeug können die Mitglieder Iterationen der Fahrzeugentwicklung mit eigenen Vorschlägen beeinflussen, bewerten und kommentieren. Über Local Forge kann Local Motors hautnah entlang aktueller Markttrends entwickeln, um kompromisslose, begeisternde Fahrzeuge zu kreieren. Zentrales Element der Community sind die monatlichen Wettbewerbe. Sie helfen Local Motors, Produkte iterativ zu entwickeln. Dafür wird das Gesamtprojekt wird in mehrere Einzelwettbewerbe für die Entwicklung einzelner Baugruppen zerlegt. Der Projektfortschritt wird in der „Punch List“ über ein Journal aller wichtigen Releases dokumentiert. Jeder Wettbewerb markiert eine Entwicklungsphase und eröffnet Mitgliedern die Chance, mit einem eigenen Beitrag zur Lösung beizutragen. Während des Wettbewerbs geben die Mitglieder wechselseitig Feedback. Die Höhe des Preisgeldes, das ebenfalls monatlich ausgeschüttet wird, richtet sich nach der Komplexität der Komponente. So gibt es für ein komplettes Außendesign ein höheres Preisgeld als für den Feinentwurf einer Tür. „Es ist eine großartige Erfahrung, das erste Mal, dass ich etwas über Local Motors erfuhr, war an meiner Schule, der IED hier in Turin. Da war so ein Banner, einfach ausgedruckt und an eine Wand geklebt. Und nun das. Es ist cool, Teil dieser Community zu sein. Es ist großartig.“ (Giulio Partisani, Istituto Europeo di Design Turin, nach dem Gewinn der Chicago Motors Competition)
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First Time in a Competition - Editable 3D and Photoshop “Package” to help community members with their design. - Restricted drivetrain placement and configuration (Batteries and Electric Motor) - Form factor : Shooting Brake - Use of video interviews to help designers get a better idea of who they would be designing for.
Local Motors Competitions Das Briefing des „San Francisco Motors Competition“ formuliert exakt die Regeln und Rahmenbedingungen für den Entwurf.
Wettbewerbsdetails →→ Wettbewerb der Kategorie Umrisszeichnungen →→ Preise: →→ Erster Preis: 2.000 Dollar
Themen der monatlichen Wettbewerbe sind Nischenkonzepte für regionale Märkte. Beim „San Francisco Motors Competition“ ging es um ein Elektroauto im „Shooting Brake“-Sportkombi-Layout.
→→ Zweiter Preis: 500 Dollar →→ Dritter Preis: 200 Dollar →→ Rahmen-Layout: „Shooting Brake“ →→ Elektrofahrzeug →→ Ausschreibungszeit: Zwei Wochen →→ Zeit zum Einreichen der Vorschläge: Eine Woche →→ Abstimmungsphase: Eine Woche →→ Bislang 123 eingereichte Vorschläge
Designer und Entwickler können in der Community auch auf Software-Tools und CAD-Files fertig entwickelter Komponenten und Baugruppen zurückgreifen, die unter Creative Commons lizensiert sind und als Open Source-Dateien heruntergeladen werden können.
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Die Mitglieder der Local Motors-Community können die Konstruktionszeichnungen von Chassis und Komponenten kostenlos als Open Source-CAD-Files herunterladen und weiter verarbeiten. Alle Zeichnungen sind nach Creative Commons lizensiert.
Jedes Bauteil des Rally Fighters ist als Open Source-CAD-Datei online hinterlegt.
Die „Open Hardware Platform“ der Local Motors-Fahrzeuge spiegelt den Open Source-Ansatz der Software-Industrie nach Vorbild des Betriebssystems Linux, das zu einem weltweit führenden Betriebssystem aufstieg, nachdem es über mehrere Iterationen der Community-Entwicklung eine immer größere Reife erreicht hatte. Die Zulieferer von Local Motors nutzen die Open Hardware Plattform, um neue Bauteile zunächst in Kleinserie einzuführen. Über das Feedback
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der Local Motors Community erhalten sie wertvolles Feedback für die Großserie. Ähnlich wie bei Linux prognostiziert Jay auch für die Open Hardware Platform von Local Motors einen längeren Vorlauf, bis Anwender und Nutzer der offenen Hardware-Plattform auf breiter Ebene vertrauen. Jay führt zudem an, dass die Entwicklung einer Hardware-Plattform für ein Auto besonders hohe Anforderungen an Zuverlässigkeit, Sicherheit und Compliance stellt. Er setzt auf die Kräfte der Community, über die er das Feedback von Kunden sammeln und in die weitere Entwicklung einbeziehen kann. Außerdem ist er überzeugt, dass die junge Marke Local Motors über den offenen Entwicklungsprozess nachhaltig Bekanntheit und Vertrauen aufbauen kann. „Wir werden das erste wirkliche Open-Source-Autounternehmen sein.“ (Jay Rogers)
Local Motors integriert sukzessive weitere Partner in seine Community, darunter Medienpartner, Logistikunternehmen, Software-Produzenten, Regierungsagenturen, Markenartikler und Zulieferer.
2011 ist die Community auf 25.000 Mitglieder aus 122 Ländern angewachsen. Viele Mitglieder kommen aus Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien. Deutschland und Russland sind weniger stark vertreten. Local Forge bildet ein Gegenmodell zur Abteilungsstruktur traditioneller Automobilhersteller. Auch dort nähern sich Fachabteilungen wie Entwicklung und Marketing aus unterschiedlicher fachlicher Perspektive gemeinsamen Lösungen. Doch verläuft
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die Kommunikation zwischen Fachabteilungen in der Regel viel schleppender. Abstimmungen und Umsetzung aktueller Markttrends in das Produkt dauern länger. Und die Fähigkeit, Kunden zuzuhören, ist wesentlich weniger ausgeprägt. „Das Beispiel Local Motors zeigt, dass AutomotiveUnternehmen Online-Communities kontinuierlich aktiv managen müssen, wenn sie die Kreativität ihrer Kunden dauerhaft für sich nutzen wollen.“ Prof. Dr. Daniel Wentzel, RWTH Aachen.
Seit ihrem Start im März 2008 hat sich die Local Motors-Community stetig vergrößert. 2011 sind 25.000 Mitglieder in Local Forge registriert.
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Insight: Wie startet man eine Co-Creation-Community Ariel, wie sind Sie zu Local Motors gestoßen? Mein Ehemann half dem Gründer im Jahr 2007, seine Webseite zu starten. Damals hatten sie noch nicht ein einziges Community-Mitglied, aber von Beginn an die Vision eines offenen Entwicklungs- und Designprozesses, an dem maßgeblich eine Community beteiligt ist. Ich wurde gefragt, ob ich den Aufbau übernehmen würde und sagte zu, auch wenn ich ehrlich gesagt nicht wusste, wie man eine Community managed. Es war damals ein ziemlich neuer Berufszweig. Und was wir vorhatten, war auch neu: Wir wollten für Auto-Enthusiasten und Designer einen Ort für die Zusammenarbeit und konstruktives Feedback schaffen. Gab es keine anderen Communities, in denen Designer im Automotive-Bereich Entwürfe vorstellen und diskutieren konnten? Es gab bereits andere Communities, wo man sein Portfolio zeigen und sich vernetzen konnte, aber sie
Ariel Ferreira →→ Sie war die erste CommunityManagerin von Local Motors.
waren weniger auf den Austausch
→→ Community-Nickname: Ari
von konstruktivem Feedback und
→→ Heute betreut sie die Presse-
ganz sicher nicht für Collaboration-
und Öffentlichkeitsarbeit des
Projekte ausgelegt. Statt einer
Unternehmens.
formellen Ausbildung als Community Manager waren Freundlichkeit, Respekt und Zuspruch die Eigenschaften, die ich in den Aufbau unserer Community mit einbringen konnte. Wir wollten einen Ort im Netz kreieren, an dem man positiv über die Dinge spricht und nicht nur kritisiert. An dem man von seinem Traumwagen träumt und sagen kann: Ich würde es lieben, wenn ein Auto „soundso“ wäre.
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Negative Stimmen innerhalb der Local Motors- Community gibt es aber vermutlich auch, oder? Ja, ein paar Neinsager und Meckerer gibt es überall. Aber wenn man eine Community vom ersten Aufkeimen bis zur Blüte begleitet, erlebt man, dass es ganz entscheidend ist, dass zu Beginn Mitglieder mitmachen, die bestimmte Werte hochhalten. Sie wachsen mit der Gemeinschaft und weisen oft die Neinsager in ihre Schranken. Wir selbst schalten uns sehr selten in die Konversationen ein, meistens schaffen es die Mitglieder, selbst die kollaborative und konstruktive Atmosphäre zu erhalten. Wie startet man eine Co-Creation-Community? Das Gute ist, dass viele Auto-Designer und andere, die sich mit viel Leidenschaft das Automotive-Umfeld bewegen, das öffentlich tun. Sie haben ein Blog, sie wollen sich ausdrücken. Zunächst haben ich viele Blogger persönlich kontaktiert und ihnen erklärt, was wir vorhaben und dass wir ein offenes Modell der CoCreation in der Automotive-Entwicklung verfolgen. Das war nicht einfach, denn viele haben nicht geglaubt, dass wir es mit unserem offenen Co-Creation-Ansatz ernst meinen und das Open Source-Prinzip tatsächlich ernst nehmen. Da war der persönliche Kontakt das wichtigste um Vertrauen aufzubauen. Das gilt übrigens für Community-Mitglieder inner- und außerhalb der Vereinigten Staaten gleichermaßen. Dabei habe ich mir oft viel zu viel Arbeit gemacht und lange, lange Mails geschrieben, in denen ich das ganze Projekt erklärt habe. Heute weiß ich, dass drei Zeilen genügt hätten und am Schluss die Sätze: „Hast du Interesse? Dann lass uns darüber sprechen.“ Aber hey, man lernt eben nie aus. Der zweite Schritt war, dass ich persönlich alle wesentlichen Design-Hochschulen in den Vereinigten Staaten besucht und dort unser Konzept vorgestellt habe. Auch hier gab es viele Menschen, die Lust hatten, ihre Designs vorzustellen und Feedback zubekommen. Der dritte Schritt war, dass wir schnell begonnen haben, diejenigen öffentlich hervorzuheben, deren Designs in der Community am besten ankamen. Konstruktives Feedback ist einer der Werte, zu denen wir uns als Organisation bekennen, und wir versuchen, diesen Grundsatz auch beim Umgang mit der Community mit Leben zu füllen.
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Wie wichtig war es für Local Motors, nicht nur einige Spezialisten, sondern eine große Zahl von Autoliebhabern für die Community zu begeistern? Die Basis für unsere Arbeit sind die Designs, die in einem offenen Co-CreationVerfahren entstehen. Es ist entscheidend für unser Geschäft, dass die Community weiter wächst. Wir haben zwar immer Qualität wichtiger eingeschätzt als Quantität. Wir brauchen aber eine kritische Masse von Nutzern, weil wir nicht nur Entwürfe benötigen, sondern auch Feedback, und zwar am Besten von Leuten, die nicht alle Auto-Designer sind, sondern von Leuten, die einfach nur Autos lieben. Aber auch wenn die Community rasch wächst, legen wir noch immer mehr Wert auf Qualität als auf Quantität. Deswegen haben wir nun zwei neue Community-Manager. Könnte ein großer Hersteller eine ähnlich erfolgreiche Community aufbauen? Grundsätzlich: In gewisser Hinsicht Ja, in anderer Nein. Für einen großen Hersteller wäre die kritische Masse an Nutzern natürlich viel schneller zu erreichen. Die Herausforderung ist dann aber, eine funktionierende Community weiter zu pflegen, damit sie langfristig kreativ und produktiv bleibt. Es reicht nicht aus, so etwas als einmalige Aktion zu konzipieren, die dann nach einem Jahr wieder beendet wird. Außerdem kann Local Motors schnell Feedback ohne bürokratische Hürden umsetzen. Uns gibt es, um den Kunden zu dienen und diese Community und die Grundlage unseres Unternehmen sind auf diesem kollaborativen Co-Creation-Prozess aufgebaut, der als Resultat zu echten Fahrzeugen führt. Diese Grundlage ist es, die uns half, eine erfolgreiche Community aufzubauen, und ich weiß nicht, ob ein größerer Hersteller in der Lage ist, das Gleiche zu tun. Reicht das dazu aus, Mitglieder zu sammeln und passiv zuzusehen, womit sie sich beschäftigen? Nein, wir haben ihnen im übertragenen Sinn von Beginn an Bälle zugeworfen und dann geschaut, was passiert. Manche ignorieren sie, aber manche werfen sie auch zurück. Am Anfang habe ich vor allem auf Qualität der rechnergestützten Designs geachtet und den Nutzern, die sie eingestellt haben, viel Aufmerksamkeit geschenkt und Anregungen gemacht. Aber ich lernte schnell, dass nicht
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nur diese Kreativen wichtig sind. Andere Mitglieder brachten vor allem eine ungeheure Leidenschaft mit. Zum Beispiel gab es ein Mitglied, das der Community sehr früh beigetreten war, aber zu Beginn nur ziemlich mittelmäßige Designs beisteuerte. Ich hatte keine Ahnung, dass er sich bald zu einem unserer größten Unterstützer entwickeln würde. Er wurde nicht nur zu einer Inspiration für die etablierteren Designer, sondern entwickelte sich selbst schnell weiter zu jemandem, der einzigartige Designs beisteuerte. Er zeichnete seine Entwürfe am Anfang nur auf Papier, aber nachdem wir begannen, uns auszutauschen, lernte er schnell, wie man die Design-Werkzeuge benutzt, die wir online zur Verfügung stellen. Es ist ungeheuer wichtig, zu sehen, ob jemand einen Ball zurück wirft, und wenn jemand das tut, dann muss man ihn auffangen. Inzwischen betreuen Sie nicht mehr allein die Community. Wie verhindert man, dass der Einzelne enttäuscht ist, wenn nun Sie persönlich nicht mehr so viel Zeit für den Dialog verwenden? Zum Glück müssen nicht wir Local Motors-Mitarbeiter allein dafür sorgen, dass es Dialog und Feedback gibt. Die Community wächst. Das heißt, die Last, die einzelnen Mitglieder der Community zu unterstützen, verteilt sich auf unterschiedliche Schultern. Leute, die sich dort engagieren, werden für die anderen zu Vorbildern, sie helfen anderen. Aber natürlich funkt mich manchmal jemand an, und sagt, hey, du hast lange nicht geantwortet. Natürlich bekommt er dann eine persönliche Antwort. Die Zeit müssen wir uns nehmen. Das sind wir den Community-Mitgliedern schuldig. Bestimmte Designs belohnt Local Motors mit Geldpreisen. Wie erhält man eine gemeinschaftliche, konstruktive Atmosphäre, wenn Geld ins Spiel kommt? Wir fingen mit größeren Geldpreisen an, damit Leute die Community entdecken, und das brachte auch viele Leute und viel Presse. Aber wir merken, dass wir durch das Bargeld nicht den Grad der Partizipation der Community steigern können. Die Leute wollen Preise, die man nicht kaufen kann, Anerkennung und Erfüllung zum Beispiel. Geld ist kein großer Antreiber für die Community. Was die Mitglieder mehr als alles andere schätzen, ist, dass sie lernen und Rückmeldungen von Top-Leuten bekommen, von Leuten, die sie achten. Sie bekommen
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so etwas wie den Designer-Respekt. Es geht nicht um das Geld. Wir zahlen es vor allem, weil wir für einzigartiges Design auch bezahlen wollen.
Die Einreichungen in die monatlichen Local Motors-Wettbewerbe nehmen stetig zu. Die Höhe des Preisgeldes, dass sich zwischen 1.200 und 10.000 Dollar bewegt, haben keinen signifikanten Einfluss auf die Teilnehmerzahlen.
Die Community-Mitglieder sitzen rund um die Welt. Wieso legt Local Motors darauf wert, obwohl man derzeit nur in den Vereinigten Staaten produziert? Eins und eins ergibt in einer Community nicht zwei, sondern sehr viel mehr. Je mehr Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Wünschen mitmachen, desto mehr Kreativität wird entfesselt. Das ist keine Frage von Märkten, die man erobern möchte, sondern eine Frage von Autoträumen, die man mit anderen teilen und die man vielleicht erfüllen kann. Wir haben einen tollen Community-Leader in Uganda. Für ihn gibt es im Berufsleben kaum Möglichkeiten, sein Talent als Autodesigner auszuleben. Wir freuen uns, wenn wir solchen Menschen ein Forum bieten können.
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Local Motors ist trotz seiner geringen Größe ein Global Player: 2011 rekrutieren sich die Mitglieder der Local Motors-Community aus 122 Ländern.
Über 65 Prozent der Community sind jünger als 30 Jahre. Den größten Anteil macht die Gruppe der 21- bis 25-Jährigen aus, die fast ein Drittel aller Mitglieder stellen.
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Die Kunden von Local Motors Wer kauft aber einen Rally Fighter? Zum Beispiel Offroad-Fahrer und Fans digitaler Gadgets, die über die Presse auf den Rally Fighter aufmerksam geworden sind. Jay Rogers weiß, dass Local Motors derzeit noch nicht den durchschnittlichen Autokunden anspricht, sondern eine Gruppe, die er die „engagierten Mitmacher“ nennt. Sie sind technisch interessiert, aber nicht notwendigerweise selbst Automotive-Experten. Eine wesentliche Gruppe besteht ihm zufolge aus Familienvätern, die im Beruf etwa als Ärzte oder Anwälte sehr erfolgreich sind und in der Woche wenig Zeit für die Familie haben. Für sie ist die Möglichkeit, zum Beispiel als Vater und Sohn ein Wochenende mit dem gemeinsamen Bau eines Autos zu verbringen, extrem attraktiv. Zu ihnen zählt etwa der Bauunternehmer Jay, Kunde Nr. 8, einer der ersten Kunden, der in der Local Motors-Microfactory sein Auto selbst zusammenbaut – gemeinsam mit seinem Sohn, einem Neffen und seinem Bauleiter. Auch Robert, der im Filmbusiness arbeitet und eigentlich Kunde Nr. 82 ist, gehört in dieses Segment. Er hat seinen Rangplatz nach zähen Verhandlungen mit Kunde Nr. 13 getauscht und wird seinen Rally Fighter an einem langen Wochenende gemeinsam mit seinen beiden Söhnen
Die Käufer des Rally Fighter
zusammenbauen.
→→ 125 sind männlich, drei weiblich
Eine zweite Kundengruppe besteht
→→ Sie verfügen über ein Eigenheim im Schnitt im
aus Unternehmern und Selbstständigen, die es schätzen, sich selbst zu vermarkten und wenn sie an der Ampel staunend gefragt werden, woher sie das Auto haben, mit Genuss antworten, dass sie es selbst gebaut haben. Eine dritte Kundengruppe stellen Autosammler dar, die einen Rally
Wert von 900.000 Dollar. →→ 50 Prozent erfuhren von dem Projekt durch vier Magazinartikel (in den Magazinen Wired, Men’s Journal, PopSci und PopMech). →→ Ein Drittel sind Off-Road-Fahrer. →→ Ein Drittel zählt sich zu den als extrem technologie-interessiert eingestuften Lesern des Magazins Wired.
Fighter wollen, weil für sie dieses Auto ein neues industrielles Paradigma repräsentiert. Eine vierte lässt sich unter dem Begriff der Open Source- und Bastelfreunden subsummieren. Es sind Konsumenten, die beim Produktkauf lediglich einen technischen Rahmen und am liebsten gar kein fertig designtes
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Produkt erwerben wollen. Sie genießen es, Produkte selbst zu modifizieren und auszuprobieren, inwieweit sie sich nach ihren individuellen Vorstellungen verändern lassen. Es sind Leute wie Louise, Kunde Nr. 46, Farmerin in zweiter Generation, die das alte Flugzeug ihres Vaters restauriert und Colin aus Santa Cruz, Kunde Nr. 49, der bereits Subaru und Mini Cooper fährt, Rennerfahrung mitbringt und seinen Rally Fighter für Offroad-Rallyes einsetzen will.
Jay #8 →→ Eigentümer der Moreno Valley Construction. →→ Ein Sohn, ein Neffe und sein Vorarbeiter bauten das Fahrzeug mit ihm. →→ Liebt Sandpisten.
Jay, Rally FighterKunde Nr. 8.
→→ Fuhr mit dem Rally Fighter auch schon ein Rennen in Glamis, Südkalifornien, vor 150.000 Zuschauern.
Robert #13 →→ Ist im Filmgeschäft. →→ Bat darum, in der Liste der Bautermine weiter nach oben zu kommen und tauschte seinen Platz #82 mit Kunde #13. →→ Wird seinen Rally Fighter mit zwei seiner Söhne zwischen Weihnachten und Neujahr bauen.
Robert, Rally Fighter-Kunde Nr. 13
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Peter #44 Diesen Rally Fighter hat Peter, Kunde Nr. 44, bestellt.
→→ Baut sein Fahrzeug im Dezember 2011. →→ Wollte eigentlich einen Diesel. Will aber trotzdem einen Rally Fighter. →→ Arbeitet aus Spaß einmal im Jahr bei der Security des Burning Man-Festivals.
Louise #46 →→ Arbeitet in der zweiten Generation als Anbauer von Zitrusfrüchten in der Sunkist-Kooperative. →→ Will das Flugzeug ihres Vaters zu seinen Ehren restaurieren. Er behielt es, obwohl es ihn fast finanziell ruiniert hätte.
Louise, Rally Fighter-Kunde Nr. 46
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Colin, Rally Fighter-Kunde Nr. 49
Colin #49 →→ Lebt und arbeitet Santa Cruz. →→ Mag: Rallyfahren. Die „Street Legal“-Zulassung des Rally Fighers erlaubt es ihm, mit dem Fahrzeug zu, Rennen zu fahren. →→ Fährt sonst einen Subaru und einen Mini Cooper. →→ Hat einen Hintergrund als professioneller Rennfahrer. →→ Fuhr die LaCarrera Panamericana und die 24 Stunden von Le Mans, entdeckt gerade seine Liebe für Sandpisten.
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Der Charme des Selbermachens: Die „Local Motors Build Experience“ Einen Rally Fighter kauft man nicht einfach fix und fertig aus dem Showroom. Gebaut wird nur auf Bestellung, und zwar unter tatkräftiger Mitarbeit des Kunden. Zusammengebaut wird der Rally Fighter in regionalen Minifabriken, den „Microfactories“. Bis 2020 plant Local Motors die Errichtung von 30 bis 50 Fabriken von jeweils gut 7.000 Quadratmetern Fläche. Pro Microfactory können rund 40 Verkäufer und Techniker jährlich bis zu 2.000 Fahrzeuge produzieren. Je nach regionalem Preisgefüge fallen pro Standort Investitionen von drei bis zehn Millionen Dollar an. Als Umfeld sind Gewerbe- und Einkaufsgebiete großer Ballungsräume vorgesehen. Ideale Standorte haben eine gute Verkehrsanbindung und liegen in der Nähe großer Do-It-Yourself-Einkaufserlebniswelten wie zum Beispiel Ikea, Home Depot, Bass Pro Shops oder Lowes. Für die Auswahl der Standorte ermittelt Local Motors die jährlichen Autoverkäufe und bestimmt jeweils die Anzahl potentieller Early Adopters. Diese Gruppe, die rund fünf Prozent aller Käufer ausmacht, interessiert sich ganz allgemein für neue Technologien wie Hybridautos und limitierte Auflagen und kommt daher als Zielgruppe für Local Motors besonders in Frage. Die ersten Microfactories nahmen in Phoenix und Boston ihren Betrieb auf. Es sind aber nicht nur kleine Produktionsstätten. Als Ort der Begegnung von Kunden und Technikern sind sie auch ein wesentlicher Baustein der communityorientierten Marketingstrategie von Local Motors. Jay ist der festen Überzeugung, dass sich Fans und Kunden über eine virtuelle Online-Community nicht ausreichend binden lassen. Notwendig sei auch ein physischer Ort, um den sich alle Fans wie um ein Lagerfeuer scharen können, um dort im direkten Gespräch Geschichten und Informationen auszutauschen. Deshalb lädt Local Motors seine Fans von Anfang an zu „Burgers, Cars and Welding“-Events in der Fabrik ein. Monat für Monat kommen hier Dutzende von Autofans und Schraubern zusammen, um über aktuelle Designentwürfe oder die Features des Rally Fighters zu plaudern.
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Den Austausch in der Online-Community ergänzt Local Motors um Life-Events wie die „Burgers, Cars & Welding“, bei denen sich Fans, Kunden und Designer mit Mitarbeitern über Trends und Ideen austauschen.
Um einen Rally Fighter zu erwerben, überweist der Kunde zunächst eine Anzahlung. Gleichzeitig erhält er einen Platz in der Produktionsrangfolge. Ist das Auto bestellt, liefern die Zulieferer Chassis und Karosserieteile an die kleine Montagehalle vor Ort, die Microfactory. Die Montage in der Microfactory dauert 14 Tage. Die Basisarbeiten während der ersten 5 Tage übernehmen Local Motors-Mitarbeiter. Anschließend wird der Kunde zur „Local Motors Build Experience“ eingeladen, um an zwei langen Wochenenden seinen Rally Fighter unter fachkundiger Anleitung eines „Builder Trainers“ zusammenzubauen – gern gemeinsam mit Freunden, Bekannten und Kollegen, die später als Multiplikatoren zur weiteren Verbreitung der Local Motors-Story beitragen. Local Motors hält eine Liste an Bauteilen bereit, die der Kunde auf Wunsch in Eigenarbeit zusammenfügen kann. Je höher der Eigenbauanteil ausfällt, desto weniger muss der Kunde für die Montageleistung von Local Motors zahlen. Die Kosten für die Bauteile belaufen sich auf 22.000 bis 24.000 Dollar. 4.500 bis 6.000 Dollar fallen für die Arbeitslöhne der Local Motors-Mitarbeiter in der Microfactory an.
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Die „Local Motors Build Experience“ sieht vor, dass Kunden ihren Rally Fighter gemeinsam mit Local Motors-Mitarbeitern über zwei lange Wochenenden in Eigenarbeit zusammenbauen.
Kunden und Mitarbeiter bei der Arbeit.
Hohe Identifikation, Spaß und Lernerfahrung: Die Einbindung der Kunden in die Local MotorsProduktion nützt beiden Seiten.
Local Motors produziert dezentral in lokalen Werkhallen, den sogenannten „Microfactories“. Erster Produktionsstandort ist die Microfactory in Phoenix, Arizona.
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Nach dem Kauf übernimmt die Microfactory auch den Service. Mit dem NightOwl-Service bietet Local Motors ein innovatives Servicekonzept an. Steht das Auto maximal 3 Stunden Fahrzeit von der nächsten Microfactoy entfernt, holt ein Local Motors-Mitarbeiter den Wagen abends beim Kunden ab. Am nächsten Morgen wird das Auto fertig repariert wieder an den Kunden überführt. Dauert die Reparatur länger, bucht Local Motors auf Wunsch einen Mietwagen für den Kunden. Da alle Standardbauteile von eingeführten US-Zulieferfirmen stammen und in vielen anderen Autos verbaut werden, können Local MotorsAutos auch in anderen Werkstätten gewartet werden. Technische Informationen und Baupläne liegen offen und können über die Website heruntergeladen werden. Local Motors-Microfactories vereinen die Funktionen Produktionsstätte, Showroom und Servicebetrieb auf einer Fläche von maximal 7.000 Quadratmetern.
Klein, aber smart: Rally Fighter-Produktion in der Microfactory.
Anfragen für weitere Standorte von i Anfragen für weitere Standorte von Microfactories →→ Vereinigte Arabische Emirate →→ Nigeria →→ Deutschland →→ Singapur →→ Philippinen →→ Bahrain →→ Großbritannien →→ Texas →→ Florida →→ New Hampshire →→ New York
Nicht nur in den USA, sondern weltweit soll das Konzept der Mikrofabriken die schlanke Produktion und einen effizienten Vertrieb sicherstellen. Schon jetzt liegen zahlreiche Anfragen internationaler Partner vor.
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Der Local Motors Prozess Die Erfahrungen aus drei Jahren co-kreativer Entwicklung und Produktion hat das Unternehmen in einen strukturierten Prozess überführt, den die Community in die Phasen „Create it“, „Develop it“, „Build it“ und „Mod it“ aufgliedert.
Create it Die kreative Konzeptfindung bildet den Einstieg. Sie beginnt mit der Registrierung in der Online-Community. Designer stellen ihre „Referenzmappen“ ein. Im sogenannten „Checkup“-Bereich können sie erste Entwürfe und Skizzen diskutieren, um Feedback für die weitere Ausarbeitung zu sammeln. Ein zentrales Element der Kreativphase bilden monatliche Designwettbewerbe. Sie sorgen für stetige Bewegung und Motivation. Local Motors prüft Kommentare und Bewertungen und wählt auf dieser Grundlage die Gewinner aus.
Develop it In der nächsten Phase geht die Community in die Detailentwicklung der besten Konzepte – der sogenannten Top Concepts. Ziel ist ein produktionsreifer Prototyp. Als Gestaltungsgrundlage dienen offen zugängliche CAD-Files der einzelnen Bauteile. Auch in der Entwicklungsphase werden Wettbewerbe ausgeschrieben. Sie konzentrieren sich auf die Konstruktion einzelner Baugruppen und Komponenten und richten sich eher an Ingenieure.
Das Auto entsteht in einem co-kreativen Prozess mit Designern und Kunden. Basis ist ein Gitterrohrrahmen, den Local Motors unter Creative Commons-Lizenz zur Verfügung stellt.
Build it Gegen Bestellung und auf Vorkasse produzieren die regionalen Microfactories bis zu 2.000 Fahrzeuge pro Jahr und Modell. Der Käufer partizipiert am Produktionsprozess seines Fahrzeuges. Jedes Fahrzeug ist nummeriert. In „Custom Car Skin Competitions“ schreiben Kunden Dekors für die Karosserie ihres Fahrzeugs aus, die mit digitalen Technologien in kürzester Zeit umgesetzt werden.
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Kunden nutzen die Community, um mit Designern in nur einer Woche individuelle Dekors („Skins“) für die Karosserie des Rally Fighters zu entwerfen.
Die Kunden geben Aufträge und Ideen für individuelle Skins in die Community. In Wettbewerben entwickeln Designer die Dekors. Die prämierten Entwürfe werden über ein Template in die Produktion umgesetzt und auf dem Kundenfahrzeug umgesetzt.
Die Community bei der Arbeit: Die erste „Custom Car Skins Competition“ gewinnt Dwight Bynum, Jr.
Der „Custom Car Skins Competition“ bringt eine Vielzahl an fantasievollen Karosseriedekors hervor.
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Mod it Alle Systeme und Komponenten können jederzeit modifiziert werden, um das Fahrzeug auch nach dem Kauf zu optimieren und aufzuwerten. Die Spezifikationen der Bauteile basieren auf Industriestandards und sind als Open Source-Dateien für alle Nutzer der Community zugänglich. Umgekehrt hat auch der Kunde die Möglichkeit, CAD-Files individueller Entwicklungen und Erweiterungen in die Community hochzuladen, um sie der Gemeinschaft zur weiteren Verwendung zur Verfügung zu stellen.
Auch das Werkzeug für die Umsetzung der „Custom Skins“ in die Produktion entsteht am CAD-Arbeitsplatz.
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FLYPmode: Von der Idee zum Prototypen in 150 Tagen Kann ein Entwicklungskonzept wie es Local Motors für die eigenen Fahrzeuge verwendet, dann auch auf andere Projekte übertragen werden? Das Beispiel FLYPmode zeigt, das dies möglich ist und auch Auftraggeber, die nicht direkt als Autofans von Local Motors ein Fahrzeug kaufen wollen, die Dynamik des kollabatorativen Co-Creation-Prozesses beim Bau eines Prototypen für sich nutzen können. Im Januar 2011 startete Local Motors ein Projekt mit der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) der amerikanischen Regierung. Die DARPA verfolgt das Ziel, die technische Überlegenheit der US Army auf Dauer zu sichern. Das gemeinsame Projekt soll beispielhaft zeigen, wie Local Motors die Community nutzt, um in kürzester Zeit innovative Fahrzeuge auf die Beine zu stellen.
Das neue Innovationskonzept von Local Motors ist auch dazu geeignet, die eingefahrenen Prozesse bei der Konstruktion von Verteidigungsgütern aufzubrechen und die Entwicklung zu beschleunigen.
Das Konzept „FLYPmode“ wird in nur 150 Tagen entwickelt und in einen fahrfähigen Prototyp umgesetzt. In einer ersten Scoping-Session mit dem DARPA-Team werden die Anforderungen für den Wettbewerb festgelegt. Anfang Februar 2011 startet der Wettbewerb mit dem sperrigen Namen „Experimental Crowd-derived Combat-support Vehicle (X2CV) Design Challenge“. Gesucht wird ein innovatives Geländefahrzeug. Als Preisgeld sind 7.500 Dollar ausgeschrieben. In der Check-Up-Phase werden 552 Rohentwürfe eingereicht. In einer Roadshow, die in zahlreichen Hochschulen für Industrial Design Station macht, promotet die DARPA gemeinsam mit Local Motors den Wettbewerb beim Designernachwuchs. Der Wettbewerb endet nach drei Wochen. Eine weitere Woche braucht das DARPA/Local Motors-Team, um das beste Konzept auszuwählen. Noch am gleichen Tag startet die 3-D-CAD-Modellierung von Konstruktion und Karosserie. Eine Woche später ist bereits ein Modell im Maßstab 1:4 realisiert. Anfang April ist die Entwicklung der Außenhaut abgeschlossen. Zwischen 29. April und 26. Mai wird das Chassis entwickelt. Am 31. Mai startet
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ein „Blitz“-Wettbewerb zum Thema „Haubenbefestigung.“ Am 6. Juni wird das Chassis mit den Karosserieteilen beplankt. Am 14. Juni hat der FLYPmode seine Jungfernfahrt und am 20. Juni ist der Prototyp fertiggestellt.
Wenige Tage später, am 24. Juni 2011, wird der FLYPmode dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama vorgestellt. Obama lobt den Entwurf und hebt besonders die kurze Entwicklungszeit hervor. Sie spare dem Steuerzahler unter Umständen Milliarden, bringe innovative Technologie schneller ins Feld und erhöhe die Sicherheit der Soldaten. „Wenn wir in der Lage wären, nicht mehr zehn Jahre lang einen Ausrüstungsgegenstand entwickeln zu müssen, bei dem sich laufend die Spezifikationen ändern, wenn wir das Tempo in der Produktion radikal verändern könnten, würde das dem Steuerzahler Milliarden an Dollars sparen. Es würde aber auch dazu führen, dass die Produkte eher auf die Bühne kommen, was nicht nur schneller Leben retten, sondern auch dazu führen würde, dass wir sie schneller auch in den privaten Sektor überführen könnten – was heißt, dass wir bessere Produkte und Dienstleistungen erhalten würden, die wir wiederum rund um die Welt verkaufen und exportieren könnten.“ (Barak Obama, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, an der Carnegie Mellon University zum Projekt FLYPmode)
Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Rasante Entwicklung: Zeitlicher Ablauf der FLYPmode-Entwicklung Im Auftrag der Agentur DARPA, die den technischen Vorsprung der US Army sichert, richtet Local Motors einen Wettbewerb für die Entwicklung eines Landfahrzeugs aus.
21.1.2011
Scoping Session mit der DARPA
3.2.
Start Wettbewerb
4.2.
Check up-Phase mit 552 Checkups
7.2. bis 14.2.
Roadshow durch Ausbildungsstätten für Industrial Design
10.3.
Ende des Wettbewerbs, 159 Einreichungen
18.3.
Auswahl des Gewinners
18.3.
Start des Feindesigns: 3-D-Modellierung von Konstruktion und Karosserie
25.3.
Mock-up im Maßstab 1:4
5.4.
Oberflächenentwicklung abgeschlossen
29.4.
Bau des Chassis beginnt
26.5.
Chassis fertig entwickelt
31.5.
Wettbewerb für die Konstruktion der Haubenbefestigung
6.6.
Beplankungsteile fertiggestellt und montiert
14.6.
Erste Testfahrt
20.6.
Prototyp des XC2V fertiggestellt
24.6.
Präsentation des XC2V vor Präsident Barack Obama
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Perspektive: Neue Fahrzeuge, Flotten und ein Auto für Afrika Local Motors hat bei dem Entschluss, zuerst den Rally Fighter zu entwickeln, eine sinnvolle strategische Entscheidung getroffen. Statt es dem Zufall zu überlassen, wer das erste durch ein kollaboratives Co-Creation-Verfahren gebaute Auto kaufen würde, entschied man sich für ein Produkt, das für eine klar definierte Zielgruppe und einen lokalen Markt, auf dem man sich wegen der regionalen Nähe zur Firmenzentrale gut auskannte, attraktiv ist. Das heißt aber nicht, dass Local Motors plant, sich auch in Zukunft nur auf den Bau von kleinen Wüstenflitzern zu beschränken. Das Entwicklungs- und Innovationsmodell ist darauf angelegt, alle erdenklichen Fahrzeuge zu bauen. Schon heute werden in der Community Entwürfe und Konzepte für Limousinen und Elektrofahrzeuge diskutiert. Fahrzeuge, die andere Zielgruppen als die Kunden des Rally Fighters ansprechen, sind konkret in der Planung.
Entwurf für ein Elektro-Fahrzeug, das die Community für Autokunden in San Francisco designt hat.
Local Motors hat das Potential, als Herausforderer, der wegen seines neuartigen, an die Softwareindustrie angelehnten Entwicklungs- und Produktionskonzepts mit disruptiver Energie angreifen kann, auch viele andere Marktsegmente und Fahrzeugklassen zu adressieren. Auch wer das Thema Local Motors nur unter der Fragestellung betrachtet, ob sich möglicherweise auch in Deutschland jemand zum Aufbau einer Mikrofabrik entschließen könnte, um besonders auto-affine Bastler oder Business Professionals, die sich ein besonderes Auto wünschen, anzusprechen, denkt möglicherweise zu kurz. Ein anderes Segment etwa könnte noch attrak-
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
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tiver sein, um das Local Motors-Modell nach Deutschland zu importieren: Das der Fahrzeugflotten.
Maßgeschneiderte Flottenfahrzeuge Die Idee, eine eigene Flotte mit Hilfe eines kleinen, spezialisierten Dienstleisters nach eigenen Vorstellungen maßgeschneidert zu entwickeln statt Fahrzeuge eines großen OEMs einzukaufen wird ansatzweise bereits in Deutschland umgesetzt. So startete die Deutschen Post DHL Deutsche gerade ein gemeinsames Projekt mit der StreetScooter GmbH und Instituten der RWTH Aachen. Das neu zu entwickelnde Elektrofahrzeug für die Brief- und Paketzustellung muss nicht besonders schnell fahren, dafür über bis zu 200 Stopps und Anfahrvorgänge bewältigen, bis zu 300 Tage im Jahr im Einsatz sein und genügend Ladevolumen für die Briefe und Pakete haben. Die aktuell auf dem Markt vorhandenen Elektrofahrzeuge erfüllen diese Anforderungen nur zum Teil und sind in der Produktion noch nicht wirtschaftlich. Also sucht sich die Post Partner, um genau das Auto zu bauen, das man braucht.
Möglicherweise bald auch in Gelb auf der Straße: Elektrofahrzeug der StreetScooter GmbH, die ein Flottenfahrzeug zusammen mit der Deutschen Post entwickelt.
Dieses Kooperationsmodell ist auch auf große Unternehmen anderer Branchen übertragbar. Das Beispiel FLYPmode zeigt, dass die Kooperation mit Externen nach deren Vorgaben mit Hilfe von der Local MotorsCommunity und KonstruktionsKnow-how funktioniert. Das eröffnet Flottenbetreibern aufregende Perspektiven. 70 Prozent der Fahrzeuge, die in Car-Sharing-Flotten unterwegs sind, sind dem Bundesverband Carsharing zufolge im Segment der Klein- und Kleinstwagen. Gerade beim Bau von Fahrzeugen dieser Größe hat Local Motors bereits Erfahrung.
Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Grundsätzlich spricht aber auch nichts dagegen, mit Hilfe des Local MotorsProzesses auch andere Fahrzeuge zu bauen: →→ Wartungsfahrzeuge für Telekommunikationsanbieter, Hafen- und Flugplatzbetreiber oder →→ Verkehrsmittel für regionale und überregionale Verkehrsbetriebe →→ Spezialfahrzeuge, die ganz bestimmte Aufgaben übernehmen oder den hohen Wiedererkennungswert einer Marke fördern sollen. Sie könnten im Zusammenspiel von großen Auftraggebern und einem kleinen, innovativen Anbieter wie Local Motors konstruiert und gebaut werden.
Autos für Afrika Doch vielleicht werden die meisten Local Motors-Autos in Zukunft auch gar nicht in Nordamerika oder Europa gebaut, sondern in Afrika zum Beispiel. Für die etablierten Fahrzeugbauer sind die meisten Staaten dieses Kontinents als Markt uninteressant. Niemand entwickelt bislang ein Fahrzeug wie man es eigentlich zur massenhaften Mobilisierung der Menschen in vielen afrikanischen Staaten brauchen würde: Ein Auto für Afrika. Dieses Auto dürfte in der Entwicklung nur sehr wenig kosten und müsste perfekt an die verheerenden Straßenverhältnisse angepasst sein. Es müsste nicht schnell sein, dafür aber so leicht, dass es einige Menschen zur Not über ein Hindernis hinweg bewegen oder aus einem Loch ziehen könnten. Es müsste aus möglichst wenig beweglichen Teilen bestehen, sodass es sich einfach reparieren ließe. Es müsste vielleicht sogar nicht einmal aus teurem Stahl gefertigt werden, sondern aus einem schnell nachwachsenden Rohstoff wie in Form gewachsenem Bambus. Seine Zug- und Druckfestigkeit entspricht der des Stahls. Auf den Philippinen fahren bereits einige Taxis, die aus Bambus gebaut sind. Welcher Antrieb für Autos in Afrika am besten geeignet ist, welche Form das Chassis haben müsste, wie man die unzähligen technischen Details löst, die sich mit der Konstruktion eines völlig neuen Fahrzeugtyps zwangsläufig ergeben – das Alles ließe sich möglicherweise bei relativ geringem Kapitaleinsatz mit Hilfe des Know-hows von Auto-Experten rund um die Welt beantworten. Wenn überhaupt, dann lässt sich ein Auto für Afrika mit Hilfe der Local Motors-Community, der Local Motors-Entwicklungsprozesse und des auf Mikrofabriken basierenden Fertigungskonzepts realisieren.
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Fahrzeuge für Zukunftsmärkte Vielleicht liefert Local Motors auch die entscheidenden Bausteine für eine von Elektromobilität geprägte Zukunft. Oder der Green Apple – ein Auto, das über seitlich angebrachte Filter beim Fahren die Stadtluft reinigt – fährt tatsächlich irgendwann durch New York. Oder das Unternehmen wälzt einen ganz anderen Bereich der Automotive-Industrie um. Für Jay Rogers ist jedenfalls klar, dass Collaboration und Co-Creation das Potential haben, nicht nur einen Bereich der Fahrzeugentwicklung und -fertigung zu revolutionieren, deutlich mehr. „Mein Traum ist es, dass wir eine rasante Technologieevolution ermöglichen und dass wir miterleben, wie erstaunliche Fahrzeuge rund um die Welt auf den Markt kommen. Besonders aber interessiert es mich, die Probleme des Klimawandels und der Nachhaltigkeit anzupacken. Ich denke, dass wir durch die Art und Weise, wie wir unsere Ressourcen nutzen, heute ernste Probleme haben. Und wenn wir Technologie und die Ideen der Menschen dazu nutzen können, dass uns mehr Ressourcen zur Verfügung stehen oder dass sie länger erhalten bleiben, dann haben wir eine Menge erreicht.“ (Jay Rogers, Local Motors)
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Analyse: Die Vorteile offener Entwicklungsprozesse Wer mit Entscheidern aus der klassischen Automotive-Industrie spricht, merkt, dass der offene, kollaborative Entwicklungsansatz von Local Motors bei uns oft unterschätzt wird. Ein Automotive-Manager vergleicht im Gespräch Local Motors mit einer „Schrauberbude“ und verweist darauf, dass die heute aktive Bastler- und Car-Tuner-Szene trotz ihres Enthusiasmus und Erfindergeistes keine Gefahr für das klassische Geschäftsmodell der Automobilhersteller darstellt. Ein anderer Manager eines süddeutschen Autobauers wird sich durch das skizzierte Szenario eines Autos für Afrika bestätigt fühlen. „Was Local Motors entwickelt, entspricht nicht dem westlichen Standard, sondern macht vielleicht in einem Entwicklungsland Sinn“, glaubt er. Beide verkennen wie viele unserer Gesprächspartner unserem Eindruck nach, dass eine kollaborative Innovationsmaschine wie die Community und die von Local Motors daran angeschlossenen Entwicklungs- und Produktionsprozesse zu weit mehr in der Lage sind als zum Bau eines wüstentauglichen Rally-Flitzers, der vor allem Schrauber begeistert.
Schon bald wird Local Motors seine Angebotspalette um weitere innovative Fahrzeugkonzepte ergänzen – wie den „Straßenbomber“ B7 des Designers Filip Tejszerski.
Dass diese Innovationsinfrastruktur dazu geeignet ist, auch komplexere Fahrzeuge zu bauen und Vorgaben von Auftraggebern zu erfüllen, die Themen wie Sicherheit oder Zuverlässigkeit ernster bewerten als einige Pionierkunden von Local Motors, zeigt die Kooperation mit der DARPA beim Projekt FLYPmode. Entsprechend gibt es auch einen Manager eines norddeutschen Autobauers, der einräumt, dass das Entwicklungskonzept von Local Motors im
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Flottenbereich durchaus auch in Deutschland Potential haben könnte. FLYPmode zeigt aber auch, dass ein weiteres Argument, mit dem sich ein anderer Automotive-Manager in Sicherheit wiegt, nicht unbedingt zielführend ist. „Es ist unmöglich, über so eine Community ein Auto auf die Straße zu bringen, das eine TÜV-Abnahme bekommt“, glaubt er – ein Einwand, der verkennt, dass nicht allein die Community entscheidet, was wie gebaut wird, sondern dass sie für bestimmte Vorgaben und in einem bestimmten Rahmen durch ihre Ideen zur Entwicklung optimaler Lösungen beiträgt. Zugegeben: Momentan profitiert Local Motors davon, dass die Voraussetzungen für eine Straßenzulassung eines Fahrzeugs in den Vereinigten Staaten relativ leicht zu erfüllen sind. Aber: Die Spezifikationen für die Fahrzeuge, die als Rahmen für die Wettbewerbe in der Community vorgegeben werden, können natürlich ohne Weiteres gemeinsam mit einer Organisation wie dem TÜV ausgearbeitet werden. Das Local Motors-Entwicklungsmodell ist wegen seiner Offenheit sogar besser dazu geeignet, potentielle Partner – und auch einen TÜV – in alle Schritte der Entwicklung mit einzubeziehen als die auf Abschottung basierende Vorgehensweise der klassischen Autoindustrie.
Der Industrie fällt es schwer, sich zu öffnen. Für uns ist deutlich erkennbar, dass ein auf Offenheit und Austausch basierender Entwicklungsansatz in der Automotive-Industrie ein enormes Potential hat. Dass es viel zu gewinnen gibt, wenn man Externe in offenen Verfahren in die Entwicklung mit einbezieht, ist zumindest ein Stück weit auch in der Branche angekommen. Doch noch fehlt an vielen Stellen der Mut, diese Erkenntnis praktisch umzusetzen. Formal bekennen sich viele Autobauer inzwischen zu offenen Entwicklungsprozessen, etwa dem Open Innovation-Konzept. In der Praxis kommen diese öffentlichen Aufrufe zur Zusammenarbeit meist nicht über Ideenwettbewerbe für neue Apps in den Bereichen Car-Entertainment und Navigation hinaus. Jenseits des Cockpits bleibt die Entwicklerwelt häufig geschlossen. Es gibt zwar einige „Leuchtturmprojekte“, bei denen Automobilhersteller auf das Wissen von Vielen zurückgreifen. Volkswagen etwa befragt seit Mai 2011 chinesische Internetnutzer auf der Plattform „People‘s Car Project“ (PCP) zu ihren Ideen zum Auto der Zukunft. Teilnehmer können auf der PCP-Seite ihr
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Volkswagen-Modell der Zukunft per Maus-Click am Car-Configurator mitentwickeln sowie Ideen vorstellen, die von anderen Nutzern weitergedacht und diskutiert werden. Heute stoßen nach Angaben von Volkswagen 1000 neue Teilnehmer pro Tag zu der Community.
In erster Linie aber ist das PCP ein Marketing- und kein kollaboratives Entwicklungs-Projekt. Es ist vorerst für einen Zeitraum von einem Jahr angelegt. Volkswagen bekommt auf diese Weise einen wertvollen Einblick in die Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen der chinesischen Kunden auf dem weltgrößten Zukunftsmarkt für Automobile. Die aus diesem Projekt abgeleiteten Insights fließen lediglich in die Entwicklung eines Prototyps ein, der auf der Shanghai Motorshow 2012 präsentiert werden soll. An eine Serie, bei der die Kunden den Takt vorgeben, wagt sich Volkswagen noch nicht. „Collaboration ist im Grundsatz ein interessantes Modell, aber wie lässt es sich im großen Stil auf unsere internen Abläufe übertragen?“ Diese Frage stellt sich nicht nur ein Volkswagenmanager, der seine Einschätzungen zum PCP und zur Strategie von Local Motors mit uns teilte. Es ist die Kernfrage, die sich die meisten in der Industrie stellen, wenn sie sich mit dem Case Local Motors und den Themen Collaboration und Co-Creation beschäftigen. Dort, wo es um Kernbereiche der automobilen Wertschöpfung geht, gibt es aber trotz einiger „Leuchtturmprojekte“ faktisch so hohe prozessabhängige Hürden und Wissensgefälle, dass der Input von außen folgenlos bleibt und sich
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
nur selten irgendwo niederschlägt. Die BMW-Group etwa erhält nach eigenen Angaben über die Ideenplattform VIA durchschnittlich 800 Ideen jährlich. Umgesetzt wird davon nach Unternehmensangaben eine pro Jahr. „Die klassischen Automobilunternehmen werden sich schwer tun, die reine Lehre von Local Motors zu übernehmen, weil die Entwicklungsprozesse nicht darauf ausgelegt sind, permanent Rückmeldungen von Externen aufzugreifen.“ (Prof. Dr. Andreas Herrmann, Universität St.Gallen) Es gilt in der Branche als Gewissheit, dass ein völlig offenes Co-CreationKonzept in der Autoindustrie nicht funktioniert. Das Beispiel Local Motors zeigt, dass dies nicht mehr zutrifft. Local Motors ist gerade deshalb erfolgreich, weil das Unternehmen voll auf Offenheit und Partizipation setzt. Kunden und Angestellte sind aktiv in die Kernwertschöpfungsprozesse des Unternehmens eingebunden. In dieser neuen Rolle sind sie keine passiven Feedback-Geber mehr, sondern gleichwertige Partner auf Augenhöhe. Das ist neu in einer Branche, in der im Extremfall Mitarbeitern die Kameras von Mobiltelefonen zerkratzt und in der Car Clinics in absoluter Geheimhaltung organisiert werden. Die Security-Kräfte an den Eingängen der Messehallen sorgen zwar dafür, dass kein Konkurrent einen Blick auf eine Innovation werfen kann – aber auch kein zufälliger Besucher, kein spontan angereister Autofan, der sich nicht angemeldet hat oder kein wissenshungriger Unternehmensmitarbeiter aus einer nicht beteiligten Abteilung. Die Geheimhaltung und die Abschottung gegen Ideen von außen wird nicht nur gegenüber Externen – und zwar oft besonders loyalen Kunden – praktiziert. Sie trifft auch große Teile der eigenen Belegschaft, die eben per Definition nichts mit einem Projekt zu tun haben sollen. Das Abschotten kostet nicht nur viel Geld. Viele kluge Köpfe können damit auch nicht ihr Wissen in bestimmte Entwicklungsprozesse einbringen. Steigende Opportunitätskosten und Doppelarbeit sind die Folge. Das Abschotten sorgt mitunter auch innerhalb der Unternehmen für Frust. Und den Entwicklungsteams entgeht wertvolles, authentisches Feedback – und das, obwohl gerade die Autobauer doch bei ihren Auftritten auf Social Media-Plattformen viele „Freunde“ haben.
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Offenheit hilft, Wünsche zu erkennen und zu erfüllen Local Motors vermeidet Frustrationen, Kosten, die durch den Wunsch nach Geheimhaltung produziert werden und Reibungsverluste bei der Kommunikation zwischen den Abteilungen in komplexen, globalen Organisationen. Local Forge bildet ein Gegenmodell zur klassischen Abteilungsstruktur traditioneller Automobilhersteller. Local Motors erhält über die Community nicht nur eine Menge von Anregungen, sondern kann auch problemlos dokumentieren, was aus jeder Idee geworden ist. Jeder kann nachvollziehen, ob seine Einfälle und Designs in der Community ankamen oder nicht, wo sie verbessert werden müssen und ob sie von Local Motors aufgegriffen wurden. Ausgeschlossen ist außerdem, dass sich Local Motors mit fremden Federn schmückt. Das Prinzip des Teilens, der Vernetzung und der Offenheit ist der Motor, der das Unternehmen antreibt. Local Motors orientiert sich damit direkt an den Werten, an denen sich auch Digital Natives orientieren und die zunehmend die Gesellschaft prägen. Wenn auch nicht jeder Netznutzer das technische Knowhow hat, an der Entwicklung der Teile mitzuarbeiten, kann doch praktisch jeder das Design der Fahrzeuge mitbestimmen und Vorschläge machen. Local Motors wird dadurch zu einem Unternehmen, das den Kunden das Gefühl gibt, verstanden zu werden, mit Vorschlägen, Ideen und Engagement willkommen zu sein. Rund um das Unternehmen ist nicht nur eine Online-Community entstanden, sondern eine loyale Gemeinschaft von Menschen, die sich dem Unternehmen verbunden fühlen. Wenn es richtig ist, dass einerseits technische Eckdaten und Statussymbole für eine neue Generation von Fahrzeugkäufern an Bedeutung verlieren und andererseits die Möglichkeit, ein Produkt individuell zu gestalten und über das Produkt mit anderen in Interaktionen zu treten, in Zukunft von Vorteil ist, ist Local Motors exzellent aufgestellt. Die Strategie der Offenheit zahlt sich auch aus, weil Local Motors so genau die Produkte produzieren kann, die sich die Kunden wünschen. Dass das Unternehmen Fahrzeuge oder auch nur Features und Teile entwickelt, die bei den Nutzern nicht ankommen, ist durch das permanente Feedback der Community unwahrscheinlich. Dass viel Zeit und Geld in die Entwicklung von teuren Flops fließt, ist so ausgeschlossen.
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Ein weiterer Blick in die Zukunft von Local Motors: Der Boston Bullet des Designers Mihai Panaitescu.
Offenheit ermöglicht Partizipation und emotionale Bindung. Auch die offene Partizipation der Kunden am Fertigungsprozess, die zunächst wie ein Nachteil des Local Motors-Konzepts wirkt, ist in Wirklichkeit ein Vorteil: Wenn sich Fans an Design, Entwicklung und am Zusammenbau vor Ort beteiligen können, eröffnet das vielfältige Perspektiven, potentielle Kunden an eine bestimmte Fahrzeugmarke zu binden. Dass die Kunden sich emotional an den Hersteller gebunden fühlen, wenn sie einen Teil der Arbeit von ihm übernehmen, zeigt unter anderem der Erfolg von Ikea. Das Gros der Möbel wird daheim vom Kunden zusammengebaut – an trotz aller Mühen oft als denkwürdig empfundenen Nachmittagen oder Wochenenden. Nicht nur die günstigen Preise (auch hier spielt das Prinzip des Zusammenbaus durch den Kunden natürlich eine Rolle) sorgen bei Ikea für den Erfolg, sondern auch die Emotionalität, die entsteht, wenn Menschen, die eigentlich keine Heimwerker sind, zu Möbelbauern werden. Local Motors nutzt eine vergleichbare Dynamik. Das eigene Auto ein Stück weit selbst zusammenbauen zu müssen, erfüllt den Kunden mit Stolz, er hat etwas zu erzählen. Natürlich darf man in den Werkshallen und Werkstätten fotografieren was man will. Die Bautermine sind soziale Ereignisse, über die schraubende Autobesitzer ihre Freunde mit Hilfe von sozialen Netzwerken oder Fotogalerien bei Flickr und anderen Webdiensten informieren.
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Offenheit fördert Engagement. Die offene Struktur einer Community bietet zudem die Chance, dass sich Fachleute freiwillig auch an einem Projekt beteiligen, selbst wenn sie in einem anderen Unternehmen arbeiten – einfach, weil sie es als sinnstiftend empfinden. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die Weigerung, eine Möglichkeit zur Partizipation an spannenden, sinnstiftenden und vor allem offenen Innovationsprojekten anzubieten, ein Risiko darstellen kann. Womöglich empfinden es dann die Mitarbeiter eines Unternehmens attraktiver, sich zusätzlich jenseits ihrer gewohnten Tätigkeit außerhalb der vorgegebenen Firmenprojekte zu engagieren und dort Know-how und Kreativität einzubringen. Auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Vorgehensweise von Local Motors zielführend. Das offene Entwicklungskonzept erlaubt es in Kombination mit dem Fertigungskonzept des Unternehmens, Fahrzeuge in extrem kurzer Zeit und mit geringem Kapitaleinsatz zu entwickeln und zu produzieren.
Offenheit hält schlank. Im Endeffekt setzt Local Motors auf ein Fertigungskonzept für Kleinserien, die auf Fertigteilen beruhen, die lediglich leicht verändert oder neu zusammengestellt werden oder durch den Kunden um ein neues, eigenes Design individualisiert werden. Das erlaubt es, vielfältige Kundenwünsche zu erfüllen, ohne dass in großem Umfang Entwicklungs- oder Anpassungskosten anfallen. Letztlich handelt es sich beim Local Motors-Ansatz um die konsequente Weiterentwicklung der Plattformstrategie in Zeiten der Online-Kommunikation und der kundenindividuellen Fertigung. Durch eine Strategie der Offenheit schafft es Local Motors zudem, auch als stark wachsendes Unternehmen schlanke Strukturen beizubehalten. Die inzwischen 25.000 Mitglieder umfassende Community wächst nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch im Verhältnis schneller als die Zahl der Local Motors-Mitarbeiter. Durch die Community bindet das Unternehmen nicht nur immer mehr potentielle Kunden. Es verfügt über eine wachsende Menge an externen Ressourcen in Form von potentiellen Entwicklern oder Problemlösern, ohne dass die internen Ressourcen in gleichem Maße wachsen müssen. Das Unternehmen investiert zwar in neue Community-Manager, denn die Gemeinschaft muss strategisch
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
betreut und weiterentwickelt und besonders wichtige Mitglieder müssen mitunter sehr individuell rekrutiert und motiviert werden. Doch Local Motors müsste, wenn es eine klassische Automotive-Organisation aufbauen würde, sehr viel mehr Mitarbeiter direkt (und teuer) rekrutieren und ihnen – da Ingenieure in der Regel mehr verdienen als Community-Manager – auch mehr bezahlen. Local Motors kann also sein Entwicklungs- und Produktionskonzept skalieren und auf diese Weise wachsen, ohne dass die Personalkosten explodieren und die interne Struktur des mit derzeit etwa 20 Mitarbeitern extrem schlanken Unternehmens sehr viel komplexer wird. „Local Motors ist ein Beispiel dafür, dass die gemeinschaftliche Produktentwicklung auch jenseits der Softwareentwicklung funktioniert. Die durch die weltweite Digitalisierung und Vernetzung verursachten radikalen Umwälzungen, die bereits anderes Branchen wie etwa die Medienindustrie von Grund auf erschüttert haben, erreichen nun auch die Automobilindustrie.“ (Prof. Dr. Torsten Tomczak, Universität St.Gallen)
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Executive Summary: Die Learnings aus dem Case Local Motors Lange galt es in der Branche als Gewissheit, dass ein völlig offenes Co-CreationKonzept in der Autoindustrie nicht funktioniert. Dies trifft nicht mehr zu. Local Motors ist als Autobauer gerade deshalb erfolgreich, weil das Unternehmen ein in der Auto-Industrie radikal neues Innovationsmodell verfolgt. Das Unternehmen setzt voll auf Offenheit und web-basierte Partizipation – ein Ansatz, aus dem sich wertvolle Learnings ableiten lassen.
1.
Ein konstituierendes Element offener Enterprise Co-Creation-Prozesse sind Communities. Ihre Basis sind Web 2.0-Plattformen, die Zusammenarbeit, Inspiration und kreative Findungsprozesse im Kollektiv unterstützen.
2.
Eine Community wächst nicht von allein. Sie braucht Community Manager, die aktiv Mitglieder anwerben, sie motivieren und den Ideenaustausch moderieren. Ein Wechsel zwischen „Ein- und Ausatmen“ – zwischen Kooperation und Wettbewerb – hält die kreativen Prozesse in der Community wach und lebendig.
3.
Enterprise Co-Creation erschließt zusätzlich zu den intern vorhandenen Potentialen weitere Potentiale – bei Mitarbeitern und externen Stakeholdern. Die Community bildet ein Gegenmodell zur klassischen Abteilungsstruktur. Dabei geht es aber nicht darum, die klassische Entwicklungsabteilung völlig zu ersetzen, sondern per Community Seite an Seite mit dem Unternehmen ein besseres, überlegenes Produkt zu entwickeln.
4.
Ein offener Entwicklungsprozess ist keine Anarchie. Er erweitert den Ideenraum im Innovationsprozess, braucht aber klare Meilensteine und Entscheidungen des Managements, damit das Unternehmen seine Ziele tatsächlich erreicht. Wichtig ist es dabei, die Gründe für Entscheidungen transparent zu kommunizieren und sich jederzeit der Diskussion der Community zu stellen.
5.
Enterprise Co-Creation macht das Kundenerlebnis („Experience“) emotio nal. Dieses Erlebnis wird zu einem zentralen Element des Angebots, das Kunden zuweilen mehr fasziniert und bindet als das eigentliche Produkt.
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
Fazit: Der Co-Creation-Prozess bei Local Motors darauf ausgelegt, ein hohes Innovationstempo zu ermöglichen. Das Unternehmen ist in der Lage, sehr schnell unterschiedliche Produkte auf den Markt zu bringen. Die vitale Community und das offene Collaboration-Konzept erlauben es in Kombination mit dem Fertigungskonzept, sehr unterschiedliche Fahrzeuge in extrem kurzer Zeit und mit sehr viel geringem Kapitaleinsatz als die klassische Autoindustrie zu entwickeln und zu produzieren. Das Unternehmen braucht im Vergleich mit anderen Herstellern nur ein Fünftel der Zeit – etwa 18 Monate – von der Entwurfszeichnung zum fertigen Fahrzeug. Die Entwicklungskosten für das erste Local Motors-Produkt, den Rally Fighter, betrugen 3,6 Millionen Dollar. Für den Break Even muss Local Motors gerade mal 150 Fahrzeuge verkaufen. Viele etablierte Automobilunternehmen müssen auf Wunsch der Kunden eine immer größere Anzahl von Modellen und Varianten anbieten. Doch diese Vielfalt verursacht bei ihnen hohe Kosten. Wer Autos produziert wie Local Motors es tut, muss sich dagegen keine Gedanken darüber machen, ob es zu teuer ist, den Wunsch eines bestimmten Kundensegments zu erfüllen.
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie
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Reaktionen der Industrie Die Art und Weise, wie Local Motors Autos baut, ist für die Automotive-Professionals kein Geheimnis. Das Entwicklungs- und Produktionskonzept von Local Motors war bereits vor der Veröffentlichung unserer Studie in der Branche relativ bekannt. Immerhin 41 Prozent der befragten Automotive-Professionals gaben an, das Entwicklungs- und Produktionskonzept von Local Motors zu kennen – für ein kleines Automotive Start-Up ist das ein beachtlicher Wert. Dass die Industrie den Co-Creationund Collaboration-Ansatz von Local Motors kennt, heißt aber nicht, dass sie ihm großes Potential beimisst. Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass die Industrie zwar ein Stück weit kollaborative Co-Creation-Ansätze für sinnvoll hält, von einer konsequenten Umsetzung eines radikal offenen Entwicklungs- und Produktionskonzepts aber noch weit entfernt ist.
Informationen zur Befragung In einer Spontanbefragung unter Leitung der Universität St. Gallen haben die Studien partner Experten aus der Auto motive-Industrie zum Erfolgs potential des von Local Motors verfolgten Innovations- und Entwicklungsansatzes sowie seiner Umsetzbarkeit für die deutsche Industrie befragt. Trotz der sehr kurzen Befragungszeit konnten aus 350 angeschriebenen Experten 36 Umfrageteilnehmer generiert werden – mit einer Rücklaufquote über zehn Prozent ein sehr erfreulicher Wert.
Die Erfolgsaussichten von Local Motors Zwar gibt es ein deutliches Interesse zu verstehen, wie Crowdsourcing funktioniert und ein offener, kollaborativer Co-Creation-Prozess in der praktischen Umsetzung durch einen Auto-Anbieter aussehen kann. Local Motors wird aber langfristig bestenfalls zugetraut, als Nischenanbieter Erfolg zu haben. Wenn es dem Unternehmen gelingt, 2015 zwischen 1.000 und 10.000 Autos im Jahr zu verkaufen und 2020 zwischen 10.000 und 100.000 Fahrzeuge, so ist das zwar beachtlich für einen Newcomer. Keineswegs aber bedeuten diese Zahlen, dass hier ein Game Changer mit disruptiver Kraft dafür sorgt, dass die Karten auf dem Automotive-Markt völlig neu gemischt werden. Local
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Motors-Fahrzeuge sind und bleiben in den Augen der Studienteilnehmer bestenfalls Nischenprodukte. Wie schätzen Sie das Marktpotential eines Kollaborationsansatzes à la Local Motors für die klassische Autoindustrie ein? Wie viele verkaufte Einheiten sehen Sie in … zwischen 0 und 100
0% 0%
zwischen 100 und 1000
46%
15%
zwischen 1000 und 10.000
54%
31%
zwischen 10.000 und 100.000
0%
zwischen 100.000 und 1 Mio.
0% 0%
2015 2020
54%
Dass in Deutschland ein Modell wie Local Motors es verfolgt funktioniert, halten die meisten Befragten für sehr unwahrscheinlich. „Allen Ankündigungen zum Trotz ist das mehr eine Art ‚kit-car’-Bastelprojekt, das in weiten Teilen der Welt wohl kaum eine Zulassung bekommt“, lautet etwa eine Rückmeldung eines Industrievertreters. „Interessanter Ansatz, aber total overhyped.“, erklärt ein anderer Branchenvertreter. Wie groß schätzen sie die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas wie Local Motors in Deutschland funktioniert (0 – 100 Prozent)? 0-20 %
23%
21-40 %
31%
41-60 %
38%
61-80 % 81-100 %
8% 0%
Die Frage ist aber unabhängig von den konkreten Erfolgschancen von Local Motors, ob nicht in dem offenen, kollaborativen Co-Creation-Konzept als Innovationsmodell und als Instrument zur Kundenbindung die eigentliche disruptive Kraft steckt – also ob nicht das Prinzip Local Motors für die Industrie prägender sein kann als das Unternehmen Local Motors selbst. Zumindest in einem Bereich scheint das Local Motors-Modell die Automotive-Branche prägen zu können: Die Industrie hat erkannt, dass die Öffnung der Innovationsprozesse die Chance bietet, Produkte und Teile schneller, günstiger und effizienter als
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bisher zu entwickeln. Nur jeder sechste ist sehr skeptisch, was die Perspektiven eines Teileentwicklungsprozesses auf Grundlage offener Daten angeht. Welches Potential bietet es der Automotive-Industrie, die Teileentwicklung als offenen Prozess auf Grundlage öffentlich einsehbarer Konstruktionsteile zu gestalten? geringes
15%
mittelgroßes
46%
großes
31%
sehr großes
8%
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
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40%
45%
50%
Doch nicht nur unter dem Aspekt der effizienten Entwicklung ist das LocalMotors-Modell interessant, sondern auch wegen des hohen Grades an Partizipationsmöglichkeiten für die Kunden, die dadurch wiederum enger an die Marke Local Motors und die Produkte gebunden werden. „Das Neue an Local Motors ist die Einbindung der Community via Internet. Jeder kann an ‚seinem’ Fahrzeug mitgestalten. Entwicklung als ein quasi demokratischer Prozess - das ist interessant und entspricht sicher der Wunschvorstellung vieler Automobil-Fans“ (Dr. Wolfgang Armbrecht, ehemaliger MINI-Markenchef)
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Partizipation bitte nur ein Stück weit Begreift die klassische Automotive-Industrie vor diesem Hintergrund Crowdsourcing, kollaborative Entwicklungsprozesse und Nutzer-Communities nach dem Vorbild Local Motors als Chance, die eigene klassische Entwicklungsarbeit zu erweitern?
Wie wahrscheinlich ist in der Automotive-Industrie die Implementierung kollaborativer Entwicklungsprozesse und Nutzer-Communities (0 – 100 Prozent)? 0-20 %
38%
21-40 %
38%
41-60 %
23%
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0%
Die Antwort ist: Nein. Die Bereitschaft der klassischen Automobilindustrie, sich von Local Motors in diesen Disziplinen inspirieren zu lassen, schätzen die Befragten als gering ein. Die große Mehrheit hält es für völlig oder ziemlich unwahrscheinlich, dass die Art und Weise, wie Local Motors Autos entwirft und baut, Schule machen wird. Nicht einmal jeder vierte Befragte hält es wenigstens für möglich, dass dieses neue Produktionsparadigma die klassischen Player inspiriert. Allerdings müssen diese Aussagen differenziert betrachtet werden. Grundsätzlich sind die Befragten durchaus der Meinung, dass die Partizipation der Kunden eine wertvolle Ressource darstellt und die offene und kollaborative Teileentwicklung in der Autoindustrie ein gewisses Potential hat. „Ein von mir gestaltetes Produkt hat für mich einfach einen höheren Wert“ (Dr. Wolfgang Armbrecht, ehemaliger MINI-Markenchef) Ein Stück weit experimentiert die Branche dementsprechend bereits mit Partizipationsmöglichkeiten. Nahezu jeder Hersteller bietet inzwischen Möglichkeiten, das eigene Fahrzeug ein Stück weit zu personalisieren. Typischerweise geschieht dies durch Farben, durch Materialien, Felgen oder sonstiges Sonderzubehör. Noch einen Schritt weiter gehen bestimmte Kollektionen, wie sie etwa bei Mini durch die Zusammenarbeit mit Designern Paul Smith oder Diane von
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Fürstenberg entstanden sind. Beim MINI etwa können Kunden beispielsweise auch Fahrzeugdächer online gestalten. Sie tauschen ihre Entwürfe untereinander aus und lassen dann das finale Ergebnis beim Händler auf ihr Fahrzeug umsetzen. Allerdings sollen die Kunden nur in streng definierten Bereichen – vor allem beim Car Entertainment und beim Thema Zubehör – offen mit entwickeln dürfen. In welchen Bereichen der Automobilproduktion halten Sie es für wahrscheinlich, dass sich das Co-Creation-Modell durchsetzen kann? Design Karosserie Design Interieur
sehr wahrscheinlich
Entwicklung Komponenten (Rückspiegel etc.)
wahrscheinlich
Entwicklung Zubehör (Gepäckträger etc.)
unentschieden
Entwicklung In-Car-Entertainment und Navigation
unwahrscheinlich
Entwicklung Antriebsstrang
sehr unwahrscheinlich
Entwicklung Fahrwerk
0%
20%
40%
60%
80%
100%
Der Ansatz von Local Motors geht weiter über die Partizipation des Kunden am Design hinaus. Bei der offenen Entwicklung geht es nicht nur um Schmuck-, sondern auch um Funktionsteile. Die Innovationsprozesse werden auch in diesen Kernbereichen der automobilen Wertschöpfung aufgebrochen. Auch extrem sensible Fahrzeugteile wie Fahrwerk oder Antrieb werden in offenen Entwicklungsprozessen konstruiert. Für die klassischen Autobauer ist das nach wie vor ein Tabu. Die eigenen Kronjuwelen werden weiterhin unter Verschluss gehalten. Die Bereitschaft, ein Co-Creation-Modell in die gesamte Produktentwicklung zu integrieren ist dementsprechend gering. Wie bereit ist die etablierte Automobilindustrie in Deutschland zur Integration von Co-Creation-Modellen in die eigene Produktentwicklung? sie ist völlig unvorbereitet
15%
es gibt wesentliche Hürden
46%
sie wägt noch ab
23%
es gibt gewisse Vorbehalte
15% 0%
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10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% 50%
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Hemmschwellen für die Nutzung von Co-Creation-Modellen Zu den größten Hemmschwellen für einen tiefer gehenden Einstieg in CoCreation-Modelle in der Automobilindustrie zählen Sicherheitsbedenken. „Der Fahrzeugbau berührt heute hoch-kritische Momente wie etwa Fragen nach bestmöglicher Fahrzeugsicherheit oder der Gewährleistung an sich. Wer zeichnet da in einer freien Entwickler-Community verantwortlich? Noch dazu bei weltweit unterschiedlichen Anforderungen?“ (Dr. Wolfgang Armbrecht, ehemaliger MINI-Markenchef) 70 Prozent der Befragten glauben zudem, dass die Sorge, dass ein Unternehmen einen Wissensvorsprung verlieren könnte, in der Automobilindustrie die Lust auf co-kreative, kollaborative, offene Entwicklungsprozesse bremst. Zwar zeigt der Case Local Motors, dass diese gerade besonders gut dazu geeignet sind, Wissen zu vermehren, Entwicklung zu beschleunigen, kurz: Einen Vorsprung eher auszubauen als ihn zu verspielen. Doch die Sorge, dass ein offenes Entwicklungskonzept und damit assoziierte Technologien wie Open Source Plattformen mit totaler Transparenz und dem Verlust geistigen Eigentums einhergehen könnten, prägt viele Reaktionen aus der Industrie auf Local Motors. Wo sehen Sie die größten Hemmschwellen für einen Einstieg in Co-Creation-Modelle in der Automobilindustrie (Mehrfachnennungen möglich)? unzureichende technologische Ausstattung unzureichendes Technologisches Know-how Misstrauen gegenüber Open Source-Plattformen Sicherheitsbedenken Angst vor Wissensabfluss Aufgabe des Wissensvorsprungs Notwendigkeit wird im Top Management nicht gesehen
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Auch die Angst vor Wissensabfluss verhindert nach Ansicht von 70 Prozent der Befragten, dass die etablierte Automobil-Industrie Local Motors nacheifert.
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Dabei geht es bei dem Collaboration- und Co-Creation-Modell eigentlich darum, dass das Unternehmen die Kreativität und den Ideenreichtum der vielen nutzt, ohne vollends die Zügel aus der Hand zu geben. Auch bei Local Motors definiert die Unternehmensleitung selbst, welches Wissen geheim bleiben muss und welches Wissen man offen legen kann. Local Motors zieht hier andere Grenzen als ein klassischer Automobilhersteller, ist aber keineswegs ein gläsernes Unternehmen, über das eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit die Kontrolle hat und nicht das Management. Auch wenn das Unternehmen auf der gleichen technologischen Basis wie etwa das offene Online-Lexikon Wikipedia operiert und Elemente des Crowdsourcing nutzt, kontrolliert es mit Hilfe ausgefeilter Berechtigungs- und Verschlüsselungskonzepte technisch und durch den Einsatz der Community-Manager auch inhaltlich zu wesentlichen Teilen, was auf der Entwicklungsplattform geschieht.
Die individualisierte Massenfertigung hat Potential Wenn auch die Autoindustrie bislang die von Local Motors praktizierte Einbeziehung der Kunden als Mitentwickler nicht als Blaupause sieht um zukünftigen Herausforderungen zu begegnen, so räumt sie vor dem Hintergrund, eine immer größeren Variantenvielfalt anbieten zu müssen, einem anderen Bestandteil des Local Motors-Innovations- und Produktionskonzepts große Chancen ein: Der individualisierten Massenfertigung auf Grundlage von Standardbauteilen. Welche Chance räumen Sie grundsätzlich im Bereich Automotive der individualisierten Massenfertigung auf Grundlage von Standardbauteilen ein (0 – 100 Prozent)? 0-20 % 21-40 %
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Der Möglichkeit, Kunden emotional durch die Partizipation beim Bau der Fahrzeuge in den Mikrofabriken zu binden, beurteilt die Branche dagegen eher skeptisch. 92 Prozent der befragten Experten halten den Ausbau von
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Mikro-Fabriken trotz des Vorbilds Local Motors in Deutschland für sehr oder ziemlich unwahrscheinlich. Wie wahrscheinlich ist in der Automotive-Industrie der Aufbau von Mikro-Fabriken, in denen Kunden aktiv in die Herstellung ihres Fahrzeugs eingebunden werden (0 – 100 Prozent)? 0-20 %
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Dass Kunden daran Freude haben, ihr Fahrzeug ein Stück weit zusammenzubauen, ist demnach ihrer Ansicht nach wenig wahrscheinlich. Ob diese Einschätzung aber auch in fünf Jahren noch Bestand haben wird, ist offen. Das Beispiel IKEA – ein Unternehmen, das der Local Motors-Gründer Jay Rogers zu seinen größten Einflüssen zählt – zeigt, wie schnell Kunden mit alten Gewohnheiten brechen und ein neues Paradigma beim Vertrieb und beim Zusammenbau von Waren akzeptieren, wenn es für sie vorteilhaft erscheint. „Die Industrie sucht nach neuen Wegen, um die Kunden zu binden. In gewisser Weise machen viele OEMs etwas Ähnliches. Zum Beispiel hat Volkswagen die Autostadt, in der der Kunde sein Fahrzeug abholt und den einfachen Akt des Kaufens ein bisschen emotionaler verpackt bekommt. Da ist es ein charmanter Ansatz, wenn Local Motors die Kunden in den Bau direkt mit einbezieht.“ (Lars Röhrig, Leiter Produkte & Innovationen bei EDAG Group) Als 1956 IKEA das erste Mal Möbel als Bausatz verschickte, um Transportund Versandkosten zu sparen, wurde die Idee, von Kunden ihre Möbel ein Stück weit selbst zusammenbauen zu lassen, von der Konkurrenz noch stark belächelt.
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Als Fazit bleibt die Feststellung, dass die klassische Automotive-Industrie keineswegs völlig unvorbereitet darauf ist, dass ein neuer Player wie Local Motors mit einem neuartigen Innovations- und Produktionskonzept an den Markt geht. In kleinen Grenzbereichen experimentiert die Industrie selbst mit kollaborativen Co-Creation-Verfahren. Sie nicht in weitergehenden Bereichen zuzulassen, ist eine bewusste strategische Entscheidung der Hersteller. Ob die diese Haltung auch in fünf Jahren noch haben werden, oder ob veränderte Anforderungen seitens der Verbraucher dafür sorgen, dass am Markt andere als die klassischen Erfolgsrezepte gefragt sind, muss sich zeigen. Aktuell gilt, dass die Chancen dieses Entwicklungsmodells nur zum Teil erkannt werden. Uns erscheint es sinnvoll, die Augen nicht vor evidenten Veränderungen zu verschließen und grundsätzlich bestimmte Kooperations- oder Produktionsstrategien und -ansätze auszuschließen. Wie das Zusammenspiel von Kunden, Entwicklern und Produzenten in Zukunft aussehen wird, wird der Markt entscheiden. Da kann es eine große Chance sein, dass die Fachleute gerade auch im Erfinderland Deutschland den Schritt wagen, von anderen zu lernen. Das ist insbesondere eingedenk der Tatsache von Bedeutung, dass die Branche gerade erst begonnen hat, mit der digitalen Welt und damit mit neuen Kunden, neuen Erwartungen und möglicherweise auch neuen Wettbewerbern und Wertschöpfungskonzepten in Berührung zu kommen. Wo alte Erfolgsrezepte durch diese Entwicklung in Frage gestellt werden, wird die Industrie viel von Local Motors lernen können. „Interessant für Volkswagen ist weniger das Fahrzeug selbst, also der Rally Fighter. Spannend ist vor allem, wie und mit welchen Prozessen dieses Produkt entstanden ist. Die Erwartungen der Kunden zu kennen und die Kompetenz vieler zu nutzen, ist gerade in Zeiten eines rasanten Wandels von entscheidender Bedeutung. Das heißt: Wir können von Local Motors lernen, unsere Produkte und unsere Prozesse dialogfähig zu gestalten.“ (Volker Donnermann, Leiter Informationssysteme Finanz, Kommunikation und GRC, Volkswagen AG)
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Über uns doubleYUU Das von Dr. Willms Buhse gegründete Beratungsunternehmen doubleYUU analysiert für Unternehmen das Potential von Enterprise 2.0 Technologien und hilft bei der Auswahl und Implementierung. doubleYUU bietet die Organisation und Durchführung von OpenSpaces, Workshops und Studien sowie Impulsvorträge, Coaching und Supervision an. Zu den Kunden gehören Alcatel-Lucent, die Allianz, BMG, dpa, der Deutsche Ring, die Deutsche Messe AG, Hays, IBM, Marquardt & Bahls, NEC Renesas, die Otto Group, der SWR, Scholz & Friends, T-Systems, Volkswagen und das ZDF.
Forschungsstelle für Customer Insight der Universität St. Gallen Die Forschungsstelle für Customer Insight ist eine der führenden europäischen Institutionen im Feld der Kauf- und Konsumverhaltensforschung. Die Forschungsstelle für Customer Insight ist darauf ausgerichtet, das Verhalten von Individuen im betriebswirtschaftlichen Kontext empirisch zu untersuchen. Ziel unserer Arbeit ist es, neue Erkenntnisse in den Themenbereichen der Kommunikation, der Markenführung, des Produktdesigns und der Mitarbeiterführung zu generieren. Im Zentrum unserer Arbeit steht die Entwicklung innovativer Lösungsansätze zu aktuellen marktwirtschaftlichen Fragestellungen.
T-Systems International GmbH T-Systems ist die Großkundensparte der Deutschen Telekom. Auf Basis einer weltumspannenden Infrastruktur aus Rechenzentren und Netzen betreibt das Unternehmen Informations- und Kommunikationstechnik für multinationale Konzerne und öffentliche Institutionen. Mit Niederlassungen in über 20 Ländern und globaler Lieferfähigkeit betreut T-Systems Unternehmen aus allen Branchen – von der Automobilindustrie über Telekommunikation, den Finanzsektor, Handel, Dienstleistungen, Medien, Energie und Fertigungsindustrie bis zur öffentlichen Verwaltung und dem Gesundheitswesen.
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Über die Autoren Dr. Willms Buhse ist Gründer von doubleYUU und Experte für Digital Leadership und Enterprise 2.0. Er promovierte über die Internet-Musikwirtschaft, gründete eine marktführende Internetfirma für Bertelsmann in New York und arbeitete als Technologie- und Strategieberater bei Roland Berger & Partner sowie in der Geschäftsleitung des Telekom-Ventures CoreMedia. Die Erfahrungen, die Buhse als Internet-Pionier gesammelt hat, gibt er heute als Berater an CEOs und Vorstände weiter. Er hält Vorträge in Harvard, am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an deutschen Elite-Universitäten in Berlin, München oder Hamburg. Er ist Autor und Herausgeber mehrere Bücher, darunter „Enterprise 2.0 – die Kunst, loszulassen”.
Lars Reppesgaard ist Research Consultant bei doubleYUU. Der Google- und Internet-Experte arbeitete davor seit 1996 als Journalist und Autor für renommierte Printpublikationen (etwa die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, Financial Times Deutschland oder das Handelsblatt) und für den öffentlichrechtlichen Rundfunk. Er ist Autor der Bücher „Das Google-Imperium“ und „Wild Economy“.
Dr. Ulrich Lessmann ist bei T-Systems für das Automotive Marketing zuständig. Zuvor hatte er verschiedene Positionen im internationalen Marketing und als Berater in der IT- und Automobilindustrie inne. Dr. Lessmann studierte BWL an der TU Berlin und promovierte über dasThema „Interkulturelle Geschäftsbeziehungen“.
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Prof. Dr. Sven Henkel ist Vice Director am Center for Customer Insight an der Universität St.Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Marketingkommunikation und Branding. Weiterhin setzt er sich seit einigen Jahren intensiv mit Fragen der wertorientierten Mitarbeiterführung und -zusammenarbeit auseinander. Im Rahmen seiner Tätigkeit ist Prof. Dr. Sven Henkel für zahlreiche Unternehmen forschend und beratend tätig. Aktuell arbeitet er unter anderem mit ABB, BMW, B.Braun Melsungen, Lufthansa und der Rewe Group zusammen.
Jens Otto Lange verfasst als Partner von doubleYUU Studien und Dokumentationen zu Innovationsthemen in der IT- und Automobilbranche. Der Co-Creation-Experte strukturiert als freier Managementberater für Kommunikation multidisziplinäre Teamprozesse und setzt in der Moderation kollektiver Ideenfindung auf die lösungsorientierte Methodik des Design Thinking. Jens Otto Lange verfügt über langjährige Projekterfahrungen im B2B-Marketing für mittelständische Unternehmen. Arbeitsschwerpunkte sind technologiegetriebene Branchen wie High Tech, Software und Services.
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Kontakt doubleYUU Dr. Willms Buhse +49 (0) 40 33429-594 info@doubleyuu.com www.doubleyuu.com Bahrenfelder Str. 52-54 D-22765 Hamburg
Universität St. Gallen Forschungsstelle für Customer Insight Prof. Dr. Sven Henkel +41 (0) 71 2247160 sven.henkel@unisg.ch www.fci.unisg.ch Bahnhofstrasse 8 CH-9000 St. Gallen
T-Systems International GmbH Automotive Marketing Dr. Ulrich Lessmann +49 (0) 30 8353-84277 ulrich.lessmann@t-systems.com www.t-systems.de Pascalstraße 11 D-10587 Berlin
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Anhang 1: Das Light Car oder: Wie offene Zusammenarbeit bei deutschen Zulieferern funktioniert
Interview mit Lars Röhrig, Leiter Produkte & Innovationen bei der EDAG Group in Fulda. Herr Röhrig, warum interessiert Sie, wie Local Motors Fahrzeuge entwickelt und baut? Ich halte den Ansatz, Impulse in einer Community zu setzen, damit den kreativen Geist anzustoßen und dadurch an tolle Ideen zu kommen, wie Local Motor das tut, für sehr interessant. Auch EDAG hat bereits Erfahrungen mit einem offenen Entwicklungsprozess gesammelt. Wie sahen die aus? Wir haben mit dem Light Car ein Fahrzeug bis zu einem gewissen Reifegrad entwickelt, das in einem Open Source-Verfahren mit verschiedenen Partnern und Lieferanten entwickelt wurde. Diese offene Zusammenarbeit war für uns alle eine sehr interessante Erfahrung. Jeder brachte seine Innovationen in das Thema ein. Das war eine andere Art der Zusammenarbeit, die man sonst nicht kennt, die aber eine Menge interessanter Effekte mit sich brachte. Welche Effekte waren das? Wir haben uns zum Beispiel alle nicht mit Argusaugen betrachtet, wie das bei Projekten, bei denen es streng um kommerzielle Interessen geht, oft der Fall
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ist. Wir konnten voneinander lernen. Wir konnten den Lieferanten Einblicke in Bereiche der Fahrzeugentwicklung gewähren, die sie als Teilelieferanten sonst nicht bekommen, und ihre Impulse und ihr Feedback in die Entwicklungsarbeit mit einfließen lassen. Wie schätzen Sie angesichts dieser Erfahrungen die Übertragbarkeit des Innovations- und Produktionsprozesses von Local Motors auf die klassische Autoindustrie ein? Bei Themen wie Design oder In-CarEntertainment kann man so einen kollaborativen Ansatz gut verfolgen. In sensibleren Bereichen stellt sich die Frage nach der Sicherheit und der Haftung. Ob sich auf diese Fragen auch nur mittelfristig befriedigende Antworten finden lassen, bezweifele ich. Trotz allem ist es aber wichtig, sich ein Modell wie das von Local Motors anzuschauen. Ungeachtet einer möglichen Übertragbarkeit auf die eigene Unternehmung erzeugt jeder neue Ansatz frischen Wind, mit dem sich auseinandergesetzt werden muss und somit die vorhandene Kompetenz automatisch erweitert wird. Auf diese Weise entwickeln sich Unternehmen und ganze Branchen weiter. Was könnte die Industrie denn von diesem Auto-Start-up lernen? Zum Beispiel wie man die Ideen der Million Autofans in Deutschland sinnvoll nutzt. Dazu gehört, dass man erst einmal Möglichkeiten schafft sie zu sammeln, etwa über eine Community. Dazu gehört aber auch, dass so eine Community so gut strukturiert und begleitet wird, damit gute Ideen nicht untergehen. In einigen Internetforen muss der User sich schon durch viel Belangloses, Unsinniges oder sachlich Falsches durchkämpfen, bevor die wesentlichen Inhalte gefunden werden. Sicherlich geht es auch darum, schon jetzt ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Ideen auf eine faire Art und Weise zukünftig genutzt werden können.
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Wenn ein OEM über Facebook dazu aufruft, Ideen zu spendieren ist das toll. Wenn dieser OEM dann mit einer umgesetzten Idee Millionen verdient und der Erfinder nur einen warmen Händedruck vom Vorstand bekommt, dann ist das weniger toll. Dann ist das ein Problem. Das zentrale Thema scheint aber das Management der Community zu sein. Digital Leadership bedeutet also, das richtige Maß aus Offenheit, Kooperation und Führung zu finden? Bei der Light Car Geschichte haben wir eines ganz klar erkannt: Man muss auch bei einem offenen Entwicklungsprozess jemanden haben der koordiniert, der führt und auch entscheidet. Linux wird als Open Source Softwareprodukt auch um einen Kern herum entwickelt, den nur ein ganz bestimmter Kreis kontrolliert. Dieser wird nicht immer wieder neu in Frage gestellt. So wird sichergestellt, dass die Technik funktioniert und die Ergebnisse stimmen. Das haben wir beim Light Car den Partnern vermitteln können. Wir sind die Integratoren, wir behalten den Lead und wir steuern das Projekt. Wenn Sie diesen Kern nicht definieren und ihn in der Hand behalten, wird es in einer offenen Zusammenarbeit schwer zu Ergebnissen zu kommen. Video des Light Car: http://youtu.be/lXBzlYGJufM
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Anhang 2: Collaboration-Beispiele und Best Practices Volkswagen: People’s Car Project Volkswagen befragt seit Mai 2011 chinesische Internetnutzer auf der Plattform „People‘s Car Project“ (PCP) zu ihren Ideen zum Auto der Zukunft. Teilnehmer können im Netz ihr Volkswagen-Modell der Zukunft per Maus-Click am Car-Configurator mitentwickeln und Ideen publizieren, die von anderen Nutzern weitergedacht und diskutiert werden. So bekommt Volkswagen einen wertvollen Einblick in die Wünsche, Bedürfnisse und Anforderungen der chinesischen Kunden auf dem weltgrößten Zukunftsmarkt für Automobile. Das PCP ist vorerst für einen Zeitraum von einem Jahr angelegt. Die aus diesem Projekt abgeleiteten Insights fließen in die Entwicklung eines Prototypen ein, der auf der Shanghai Motorshow 2012 präsentiert werden soll. „Grundsätzlich können wir uns aber vorstellen, das Projekt auch in anderen Märkten an den Start zu bringen“, erklärte Luca de Meo, Leiter Marketing Konzern und Marke Volkswagen Pkw, gegenüber den Medien. Damit die Community von Beginn an eine kritische Masse erreichte, bereitete Volkswagen das Projekt ein Jahr lang mit einer umfangreichen Kampagne vor, die aus Elementen klassischer Werbung, Beiträgen in Blogs, Fernsehclips, viralen Online-Videos, Online-Games sowie Events am Rand von Messen und bei VW-Händlern bestand. Heute stoßen nach Angaben von Volkswagen 1000 neue Teilnehmer pro Tag zu der Community.
www.zaoche.cn
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Dells Idea Storm Dell startete 2007 die Ideenplattform Idea Storm, um direkt mit den Kunden in den Dialog zu kommen, ihre Wünsche zu sammeln und bei gemeinsamen Online-Brainstorm-Sessions Lösungen für häufig formulierte Probleme (etwa die Tatsache, dass die Ladegeräte von Laptops untereinander in der Regel inkompatibel sind) zu finden. Idea Storm basiert auf Salesforce CRM. Registrierte Nutzer können Artikel auf der Webseite hinzufügen, sie empfehlen, kommentieren oder abwählen. Alle Ideen werden mit einer Art Halbbarkeitsdatum versehen, welches verhindert, dass Uralt-Ideen, die vor Jahren viele positive Stimmen bekommen haben, immer wieder neu diskutiert werden müssen. Binnen drei Jahren sammelte Dell über die Webseite über 10.000 Ideen und implementierte 400 von ihnen. Ergebnisse sind unter anderem eine Neuorganisation des Telefon-Supports und das Bereitstellen von Open-Source-Software für die Laptops und Computer. Wichtiger noch: Dells Image als öder Kistenschieber wurde durch das eines innovativen, kundenorientierten IT-Unternehmens ersetzt. Die an Idea Storm konzeptionell angelehnte Plattform Employee Storm, auf der Mitarbeiter Ideen und Vorschläge kommunizieren und diskutieren können, wurde vier Monate nach dem Start von Idea Storm aufgebaut.
www.ideastorm.com
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InnoCentive InnoCentive, nach eigenen Angaben „das größte Onlinelabor der Welt“, ist ein 2001 von zwei ehemaligen Eli Lilly & Company-Managern gegründetes Open-Innovation-Unternehmen, das Probleme aus den Bereichen Forschung und Entwicklung als „Challange Problems“ ins Internet stellt. Jeder kann dort Lösungen für Fragestellungen aus Mathematik, Informatik, Chemie, Life Science und Physik anbieten. Die besten Lösungen werden mit Geld (5.000 Dollar bis eine Millionen Dollar, je nach Komplexität des Problems) prämiert. Eli Lilly & Company gehört zu den Kerninvestoren der Plattform. Größter Erfolg: 2011 wurde an ein Forscherteam das Preisgeld von einer Million Dollar ausbezahlt. Es hatte einen Biomarker, der den Fortschritt der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose,misst, entdeckt. 250.000 Problemlöser aus 200 Ländern sind auf der Plattform registriert. 1.320 „Challenges“ wurden bisher auf der Plattform veröffentlicht und in mehr als 370.000 Projekträumen bearbeitet. Netznutzer reichten mehr als 27.000 Lösungsvorschläge ein und verdienten mehr als 1.000 Prämien in Höhe von 28 Millionen Dollar. InnoCentive gibt an, bei Problemen, die über die Plattform ausgeschrieben werden, eine Erfolgsquote von 50 Prozent aufzuweisen, während sie bei klassischen Innovationsprozessen bei 30 Prozent liege. Zudem dauere es bei InnoCentive drei Tage, bis eine Lösung da ist. Bei klassischen Innovationsprozessen müssten hierfür zwischen einem halben Jahr und zwei Jahren veranschlagt werden.
www.innocentive.com
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YourEncore Unternehmen wie Procter & Gamble, Eli Lilly & Company und Boeing nutzen die Plattform YourEncore, um ihre Aufgaben und Probleme einer Community vorzustellen, die sich vor allem aus pensionierten Wissenschaftlern und anderen Fachleuten zusammensetzt. Diese drei Firmen haben die seit Oktober 2003 aktive Plattform gegründet. Die Community der Plattform ist auf „life sciences, consumer sciences, food sciences, specialty materials and aerospace and defense industries“ spezialisiert. YourEncore gibt an, dass mehr als 50 Unternehmen, „ein großer Teil von ihnen Fortune-500-Unternehmen“, die Plattform nutzen. Das Expertennetzwerk besteht nach Unternehmensangaben aus etwa 5.000 Fachleuten, die vor ihrer Pensionierung in etwa 800 unterschiedlichen Unternehmen oder Universitäten Karriere gemacht hatten. Sie alle unterzeichnen Vertraulichkeitserklärungen, bevor sie Aufträge annehmen. Bis 2008 hatte das Unternehmen 600 Research-Aufträge für US-Unternehmen durchgeführt. Seit Juli 2008 ist YourEncore in England vertreten, seit Oktober 2009 auch in Deutschland mit einem Büro in München.
www.yourencore.com
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FoldIT Beim Projekt FoldIT stellen Forscher der University of Washington OnlineSpielern im Netz eine Spieloberfläche bereit, auf der sie mit der Form und der Struktur von Proteinen spielen können. Es gibt Millionen von Möglichkeiten, auf welche Art und Weise die organischen Verbindungen zwischen den Proteinmolekülen miteinander verschlungen sind. Um zu verstehen, wie diese organischen Bausteine funktionieren, ist es notwendig, den exakten Verlauf dieser Verbindungen zu entschlüsseln. FoldIT versucht auf spielerische Weise, Plattformnutzer die Struktur und Funktionsweise der 100.000 Proteine, die im menschlichen Körper zu finden sind, entschlüsseln zu lassen. Im Lauf der Evolution hat sich in jedem Protein die Faltung durchgesetzt, die am wenigsten Energie verbraucht. Die Forscher haben das Entwerfen von Faltungsmustern zur Spielidee weiter entwickelt: Die virtuellen Moleküle folgen streng den Regeln, denen auch echte Moleküle unterworfen sind, wenn die Spieler sie verschieben. Wenn jemand bei dem Onlinespiel auf ein Strukturmuster gestoßen ist, das mit einem niedrigeren Energieverbrauch auskommt als das bislang beste Modell, wird er mit Punkten belohnt. Mehr als 236.000 Onlinespieler haben sich seit 2008 auf der Plattform registriert. Mit ihrer Arbeit tragen sie dazu bei, Heilungsmethoden für Krankheiten zu finden beziehungsweise ihre Entstehung zu verhindern. Größter Erfolg: Nachdem Wissenschaftler 15 Jahre lang versucht haben, die Struktur eines Proteins namens „Retrovirale Protease“ zu entschlüsseln, stieß ein Team von Onlinespielern binnen zehn Tagen auf eine Lösung.
http://fold.it/portal
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OpenStreetMap Beim im Juli 2004 in London gegründeten Projekt OpenStreetMap sammeln Netznutzer Geodaten, um eine digitale Weltkarte aufzubauen. Seit 2006 können Freiwillige mit Hilfe der Infrastruktur von OpenStreetMap die Welt in digitaler Form geografisch erschießen. Der Kern des Projekts ist eine Datenbank mit geografischen Daten. Als Datengrundlage dienen sowohl von Hand eingegebene als auch aufgezeichnete Daten. Diese werden von den Freiwilligen meist mit einem handelsüblichen GPS-Empfänger erfasst, während sie sich auf Straßen, Wegen oder Flüssen befinden. Freiwillige versehen die rohen Geodaten dann mit Zusatzinformationen, so genannten „Tags“, die es zum Beispiel ermöglichen, aus dem Datenbestand automatisch Karten zu generieren oder Datensätze für Navigationsgeräte abzuleiten. Durch diese Trennung der Schritte – Aufzeichnung und Upload einerseits, Bearbeiten (Editieren) der Rohdaten andererseits – können auch Personen bei dem Projekt mitmachen, die keinen GPS-Empfänger besitzen. Viele Programmierer haben auf freiwilliger Basis Software für die OpenStreetMap-Community geschrieben, die das Bearbeiten von OpenStreetMap-Karten vereinfacht oder automatisiert. Bis August 2011 haben Netznutzer 2,5 Milliarden GPS-Punkte, 1,2 Milliarden Informationspunkte und 107 Millionen Wege in die Datenbank eingetragen. Zu diesem Zeitpunkt waren 459.000 Benutzer bei dem Kartenprojekt registriert. Auf Grundlage der OpenStreetMap-Daten gibt es etliche Spezialkartenprojekte, etwa schwul-lesbische Stadtpläne, Landkarten für Nichtraucher, Radwander-, Gaststätten- und Skipistenkarten oder Karten, in denen nur rollstuhlgerechte Orte aufgeführt sind.
www.openstreetmap.org
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CrowdSPRING Die 2008 gestartete CrowdsourcingPlattform des amerikanischen Startups CrowdSPRING könnte man die größte Agentur der Welt nennen. Fast 100.000 Grafikdesigner und andere Kreative aus 190 Ländern bieten hier die Entwicklung von industriellem und grafischem Design, Logos, Webseiten und andere Dienstleistungen an. Wer ein Cover für das neue Album seiner Band, ein Logo für seine Firma oder ein Label für den Wein, den er verkauft, benötigt, stellt ein kurzes Briefing auf die Seite. Wer sind wir, was brauchen wir, wer ist unsere Zielgruppe, welche Designs gefallen uns? Zudem legt man eine Summe fest, die derjenige erhält, der das beste Design einreicht. CrowdSPRING ist prozentual an dem Honorar beteiligt, wenn ein Auftrag zur Zufriedenheit aller vermittelt wurde. Mitunter erhalten Auftraggeber dort schon nach einigen Stunden Entwürfe für Firmenlogos oder ein Design für eine Webseite. Neben etwa 25.000 Kleinunternehmern haben mittlerweile auch internationale Großunternehmen wie Phillips Electronics, Amazon, Air New Zeeland oder der Mobiltelefonhersteller LG über CrowdSPRING Designwettbewerbe gestartet.
www.crowdspring.com
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Threadless Der im Jahr 2000 in Chicago gegründete T-Shirt-Anbieter Threadless braucht keine eigenen Designer. Mitglieder der Threadless-OnlineCommunity entwerfen T-Shirts um die Wette. Die gesamte Community stimmt über ihre Entwürfe ab. Threadless produziert T-Shirts mit den Gewinner-Entwürfen. Es sind Designs, bei denen das Unternehmen sicher sein kann, dass sie bei der Zielgruppe (die sich ja schließlich in der Community engagiert) ankommen. Die Gewinner erhalten Geldpreise (in der Regel 2000 Dollar) und 500-DollarEinkaufsgutscheine für den Threadless-Online-Shop. Im Schnitt reichen pro Woche 1.500 Menschen ihre Designs auf der Plattform ein. Wenn bestimmte Shirts ausverkauft sind, werden sie – sofern sich eine ausreichend große Zahl der Community-Mitglieder dafür ausspricht – nachgedruckt.
www.threadless.com
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Lego Cuusoo Das Shinkai 6500 ist nicht irgendein Lego-Bausatz für ein Unterseeboot, sondern ein ganz besonderer: Ein japanischer Lego-Fan hat ihn entworfen. Er hat als erster über die Community-Seite Lego Cuusoo 10.000 Stimmen gesammelt, die seinen Entwurf als Produkt sehen wollen. Wer so viel Unterstützung bekommt, dessen Idee wird von den LegoEntwicklern untersucht und – wenn sie realisierbar ist – in ein Produkt umgesetzt. Das im Februar 2011 publizierte U-Boot wurde inzwischen um ein zweites Kundenprodukt, einen Bausatz für einen Satelliten, ergänzt. Lego arbeitet seit Kurzem dazu in Japan mit dem Unternehmen Cuusoo zusammen, das auf innovative Produkt-Designs spezialisiert ist.
http://lego.cuusoo.com