DOMINIK DOMBROWSKI FERMATEN Gedichte
DOMINIK DOMBROWSKI FERMATEN Gedichte
Once more he found himself in the presence of mystery. Rain. Laughter. History. Art. The hegemony of death. He stood there, listening. Raymond Carver, Listening
prolog
Fernhin
Ich denke wie erwachsen / ich als Kind noch war denn ich lag unter der Bettdecke mit einer Lampe & las doch inzwischen ist es unter der Decke unendlich dunkel geworden / und ich lese seither / höchstens im Regen noch / oder an all diesen Dingen von meinem nächtlichen Fenster ab so lange bis ich an meiner Meerestiefe angekommen bin Meine alte Katze streift derweil / weit voraus mit ihren Geheimnissen / über den dunklen Fußboden sichert sie sich meine Gunst durch ihr Talent keineswegs / sich enträtseln zu lassen / dort bin ich / hoffentlich auch bald im Bauch meines Blauwals gestrandet & habe mich dort eingerichtet unter einem schwankenden Leuchter im alten Sessel / über meinem aschenen Teppichläufer der an den leeren Regalen endet hier / schläft auch manchmal meine nachdenkliche Nixe im Tabakrauch ein
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Ich nehme ihr sachte die Brille ab / Ausschau haltend am Auge des Tiers immerzu nach einem der L채nder wo die Zitronen bl체hn mein Gott wie wirklichkeitsfremd bin ich doch oft gewesen mit all diesen B체chern in meiner Kindheit
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I.
Die Jules-Verne-Vision
Auf eine Zigarette zur Frühe am Fenster im Licht des Kühlschranks wie unter einem Leuchtturm denke ich an meine früheren Vorgesetzten die alle ziemliche Arschlöcher waren Wie sie alle wie in einem letzten Akt / immer aufs Streichen der Stellen fixiert wenn man zu spät kam / fragten: warum? man sein Mobiltelefon nicht eingeschaltet hatte um ihnen Bescheid zu geben / sie alle waren möglicherweise verzweifelt & benötigten meistens nur vier Stunden Schlaf / sie schliefen wie umgekippte Stehlampen sie strichen / in ihren gebügelten Camouflagehosen die ganze Freizeit / über durch die Baumärkte Hier stelle ich mir immer fest / eine göttliche Macht vor in Gestalt eines Jules-Verne-Luftschiffes / ein Schiff das alle diese meine einstigen Arbeitgeber samt Häusern & Gärten umrissen von ihren frischgestrichenen Zäunen direkt in eine indische Totenstadt bugsieren würde / wie ich sie neulich um vier Uhr früh im Nachtprogramm gesehen habe Wie sie dort dann alle mit ihren weißgetränkten / Pinseln an den Ufern des Ganges zu stehen kämen / wie Puppen / & wie sie dort paralysierten / vor der fehlenden Hygiene & von der Schändlichkeit faselten / die Vormittage zu verschlafen / während ihre Augen doch erschrocken längst
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den heiligen Kühen folgen müssen / in all jene Häuser die aus deren Kot gebaut werden / und wieder zurück zum Ganges (Göttin & Müllhalde) / der die Asche hunderter Leichname pro Tag aufnehmen muss neben den Goldwäschern die dort / nach ein paar Zähnen suchen um ihre hinduistischen Bestatter zu bezahlen um den Kreislauf des Daseinszwangs zu durchbrechen / um Erlösung für die Seele zu finden möchte man hier in dieser Stadt des Sterbens doch dringend verbrannt werden wo Shivas Bakteriophagen voller Sanftmut & geduldig stets für die Trinkbarkeit des großen Flusses sorgen Ach ja scheiße ich schließe / schulterzuckend dabei den Kühlschrank und gehe / müde zurück in mein Schlafzimmer / sitze aber da noch auf vier kalte Bier träumend eine Weile / auf der Bettkante um eines gewiss zu wissen:
Wenn ich nachmittags wieder erwachen werde würde es längst zu regnen begonnen haben Tropfen auf Tropfen prasselten da längst ein wild linderndes Tuch aus Wu-Wei wie schön my Sweet Lord / Halleluja / Hare Krishna / my sweet Lord Halleluja / Hare Krishna / Hare Luja / my / Lord
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Delirium
Gerade im Sonnenaufgang habe ich die für mich günstigste Zeit entdeckt die muss man aber sehr umsichtig zelebrieren / es gilt die halbe Nacht auf der Veranda leise abzuwarten / unter den Sternen bereits / darüber nachzudenken / wie es einst sein soll / hinter der Pforte wenn man von seinem Tier eingeholt wird / da mit ihm am Gestade im Mondwinkel zu sitzen / und nach 1,5 Litern Tütenwein wird dabei der Himmel / langsam schnell / hell und man selbst immer weniger verrückt und denkt / so etwas kennt man eigentlich nur von den Kunstmuseen her von diesen wahnsinnigen Malern oder diesen Schummelfotografen diese Bilder die sich einem da plötzlich bieten / dabei wird man ganz demütig sitzt nur staunend & barfuß in seine Decke gehüllt im ganzen Aufflammen des Tages wird man urplötzlich ungeheuer weise / und nimmt nebenbei noch seinen letzten Zug / beim Dirigieren eines alten Songs aus der Zigarette & tritt sie dann aus & schläft & wacht dann erst durch das Licht der nächsten Mondphase verführt wieder auf
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Und findet fast / krabbelnd noch in einen Weinberg hinein und weiĂ&#x; dass man da nie mehr herauskommen will Erreicht aber hier seine letzte freie einsame / Windebene erblickt dort ein riesiges verlassenes staubiges Schneckenhaus gut zehn Meter hoch da muss man nur noch hineingehen und seinen Platz finden auf immer Und dann wird es da wirklich hĂźbsch werden & still & vollkommen intakt & was vermutlich dort einmal gehaust haben kann mit etwas GlĂźck dann doch weg sein am Ende der Wanderung an der Freude der Ankunft
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Dominik Dombrowski geboren 1964 in Waco (Texas) und aufgewachsen in Biarritz (Südfrankreich), studierte Philosophie und Literaturwissenschaften. Nach Gelegenheits jobs als Nachtschichtleiter, Kellner in Thailand und Florist in einem Schnäppchenmarkt lebt er heute als Autor und Freier Lektor in Bonn. 2015 war er Preisträger beim Lyrikpreis München und Stipendiat des Künstler hauses Edenkoben, 2014 gewann er den postpoetry-Lyrikpreis NRW.
Erstausgabe © edition AZUR, Dresden 2016 www.edition-azur.de Gestaltung: Frauke Wiechmann, Glenn Vincent Kraft Kraft plus Wiechmann, Berlin Titelgrafik: © Frauke Wiechmann ISBN: 978-3-942375-27-6
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