Moritz Gause
Meditationen hinterm
Gedichte
Moritz Gause
Meditationen hinterm
Gedichte
In der Ebene zwischen den Bergen
Ashina 8 Unter dem Bild eines toten Hundes 9 ATA-BEJIT-KOMPLEKS 10 Der Taxist hält 11 Die Reflexion der Sonne 12 Als der Vollmond 13 Bella Italia, Bishkek 14 Journal aus Bishkek 15
Alte Liebe
Bahnhof Wannsee 20 Der Abend unter Wolken 21 Bahnhofsviertel, Moseleck 22 Bahnhof Mexikoplatz 23 Nach den Fahrten 24 Du gehst wieder in Kneipen 25
Zwischen den Fahrten
Der Graupapagei 28 Wir fahren, springen, fliegen 29 Der gelbe Kran in Uhlstädt 30 Demontiertes Land 31 In Oppurg unterm Meer 32 Fortezza/Franzensfeste 33 Wien, Marienbrücke 34 Die Fliegen 35 In den Zug steigen 36 Kürzestgedichte I 37
Waldsterben
Die Marshrutka 40 Ein Photo, das mir fehlt 41 Ein Denkmal 42 Der Stadt Elista 43 Hektargroße Flächen Birken, Kiefern 44 Die schönsten Landschaftsgedichte 45 Matros Baltiskogo Flota 46 Kürzestgedichte II 47
Meditationen hinterm Supermarkt
Auf dem Weg zum Supermarkt 50 Die alte Dame aus dem Treppenhaus 51 Die Nachbarn meines Freundes 52 Über die Rotationen der Fliege 53 Wohin gehen meine großen Pläne 54 Stadtbusgedanke 55 Am Tag 56 Kürzestgedichte III 57
In der Ebene zwischen den Versen
In der Küchengemeinschaft 60 Als vor dem Imbiss 61 Im Taxi nach Tashkent 62 Das Gespräch der Häuser 63 In der Marshrutka nach Kant 64 Seine Zunge: eine Schnecke 65 Als Kamelreiter 66 Es war im frühen Herbst, als wir 67 Der erste Herbstregen 68 Die Kamele machten mich sehnsüchtig 69 Blechtafeln 70 An den steilen Ufern der Assá 71
In der Ebene zwischen den Bergen
Ashina
Du fragst in einem Deiner Briefe ob es hier WĂślfe gebe. Sicherlich, und manchmal denke ich ich sei einer von ihnen, freilich nur noch Hund und vielleicht zog mich darum alles nach Osten, so lang schon, und vielleicht fĂźhle ich darum ich sei angekommen in der Ebene zwischen den Bergen die aussehen, als habe jemand das vielfach geflickte und doch so ruhige Tuch der Steppe mit Zeltstangen angehoben, als sei ich sei etwas in mir von hier gekommen. Aus diesen Bergen, von denen keiner weiĂ&#x; wo geht die Erde zuende wo fangen die Geschichten an
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Unter dem Bild eines toten Hundes
dessen zerfressene Augen nichts mehr sehen am Rand der Straße durch die Steppe steht der Vorwurf: ein solches Bild entwürdige die Kreatur. In der Gobi legten sie früher ihre Toten auf Hügel und ließen die Geier, Wölfe und Hunde sie fressen. Ich habe den Hund photographiert. Der Brustkorb ein dunkles Loch der Darm aufgebläht. Ich beugte mich hinunter die zerfressenen Augen zu photographieren. Der kalte Wind blies mir den Gestank ins Gesicht ich hielt den Atem an um nicht zu erbrechen. Auf seinem linken Hinterlauf, das Haar heruntergefressen lag eine Zigarettenkippe. Keine Fragen mehr. Kein Hunger. Keine Furcht.
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ATA-BEJIT-KOMPLEKS
Der Wunsch, sich zum Sterben in die Steppe zu legen zwischen die jungen einsamen Berge kommt plötzlich. Die hier liegen, wurden nicht gefragt. Auch dass sie zum Berg schauen durften anstatt auf eine Mauer, wird kein Trost gewesen sein. Am Grabmal Chingiz Aitmatovs zwei Mädchen mit Fahrrad und Rollschuhen. Auf dem Ehrenfriedhof sind die Gesichter weiß, die Augen schwarzer Granit. Kaum einem ist es vergönnt in der Steppe auf den Tod zu warten. Weiter unten weiden Rinder Es ist eine ehrliche Geste, sich zum Gebet hinzuhocken wie die Alten an den Straßenrändern.
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Der Taxist hält
Am Horizont verdunsten die Berge. Links der Piste ein Wagen. Rechts der Piste ein Wagen. Die Fronten gestaucht bis zur Mitte. Schwarze Säcke glänzen in der Nachmittagssonne. Der Taxist steckt sich eine Zigarette an und beschleunigt. Das Radio spielt It’s dangerous, dangerous I wanna do it again
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Die Reflexion der Sonne
auf den Frontscheiben der Wagen an einem Spätnachmittag in Almaty: Es kÜnnte jetzt alles wirklich alles geschehen. Aber so ist es gut.
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Als der Vollmond
noch träge über dem Rand der Stadt hing sprach mich einer an, die Mütze tief ins Gesicht gezogen: Dzhigit! sagte er Dzhigit! Hast Du drei Spiczki für mich? Ich gab ihm die Schachtel, er bot mir Vodka ich nahm an und wir tranken zwei, tranken drei, tranken sieben auf Mond und Mädchen und einen auf die reinigende Kraft der Ausschweifung wir spielten Fußball im Hinterhof, andere kamen hinzu mit Hunden und Pferden und Vodka vielleicht waren wir gar nicht im Hinterhof sondern spielten Vodka im Zelt die Mütze erzählte, Ioana und Aigerim seien auf weißen Kamelen gekommen als wir tanzten, schimpfte ich laut weil sie mir die Kamele vorenthielten, ich liebe Kamele ihre sanften Augen, den Wein, den Freunde aus den Tränen keltern das konnte Ioana kaum glauben, aber Aigerim wusste wovon ich sprach, das hatte ich gehofft ich konnte es daran erkennen, wie entschlossen sie war wenn sie mich ansah und trank von einem Erwachen war nicht zu reden doch erwachen mussten wir in einem grell ausgeleuchteten Krater der südlichen Hemisphäre eines sehr trägen Mondes
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Moritz Gause
wurde 1986 in Berlin geboren und wuchs dort, in Brandenburg und in Thüringen auf. Er studierte in Jena Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft. In den Jahren 2009 bis 2015 verantwortete er Literaturprojekte, Lesereihen, literarische Werkstätten, Ausstellungen und Interventionen in Thüringen. Nach zwei Jahren in Bishkek, Kyrgyzstan, lebt Gause heute in Berlin. »Mediationen hinterm Supermarkt« ist sein Debütband.
Ich danke dem Freistaat Thüringen für das im Jahr 2013 gewährte Stipendium, das mir die Realisierung der Zyklen »Zwischen den Fahrten« und »Waldsterben« ermöglicht hat.
Erstausgabe © edition AZUR, Dresden 2018 www.edition-azur.de Gestaltung: Frauke Wiechmann, Glenn Vincent Kraft Kraft plus Wiechmann, Berlin ISBN: 978-3-942375-34-4