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Wie die Zukunft aussehen wird, weiss niemand, aber sie kann radikale Brüche bringen; zudem ist Zukunft etwas, das w ir Menschen mit unserem Tun gestalten. Diese zwei Gedanken bilden Grundthesen der Studie «Future Skills». Welche Fähigkeiten brauchen KInder und Jugendliche dafür? Studien aut or Jakub Samochowiec gibt Hinweise darauf – und bedauert, dass schönen Worten nur selten Taten folgen.

Jakub Samochowiec, Sie haben vor zwei Jahren in der Studie «Future Skills» erforscht, wie die Zukunft aussieht und was man in der Zukunft können muss. Welche Antworten fanden Sie auf die erste Teilfrage?

Wir können die Zukunft nicht punktgenau voraussagen. Aber wir haben versucht, Geschichten zu sammeln, die über die Zukunft erzählt werden – in Science-Fiction, politischen Statements, Unternehmensvisionen –, und daraus vier Szenarien abgeleitet.

Die Zukunft wird Aspekte all dieser Szenarien enthalten, je nach Weltregion, Person oder Situation jedoch in unterschiedlichen Anteilen.

Können Sie diese Szenarien skizzieren?

Im Szenario Kollaps können die komplexen Lieferketten unserer modernen Welt nicht aufrechterhalten werden – aufgrund öko- nomischer Krisen, des Klimawandels oder auch von Kriegen und Terrorangriffen. Nationale oder supranationale Organisationen haben an Bedeutung eingebüsst, lokale Gemeinschaften müssen sich in den Ruinen der globalisierten und industrialisierten Welt neu organisieren. Netto-Null nennen wir das Modell, in dem die Hoffnung, den Klimawandel allein mit Fortschritt und Technologie aufzuhalten, verflogen ist. Es braucht einschneidende persönliche Einschränkungen. Das Szenario Gig-Economy-Prekariat bildet die Verdatung der Arbeitswelt ab. Maschinen erledigen viele Jobs und drängen die Menschen ins Prekariat. Als digitale Tagelöhner buhlen sie um rar gesäte Arbeit. Auch im Szenario Vollautomatisierter KI-Luxus erledigen die Maschinen viel Arbeit. Aber jetzt profitieren alle. Lohnarbeit verliert so an Bedeutung; die Menschen müssen ihrem Leben auf andere Weise Sinn geben.

Das alles klingt aufregend, beängstigend. Es sind Überzeichnungen. Aber sie machen Aspekte greifbar, welche die Zukunft prägen werden. Manche Entwicklungen sieht man schon heute: Plötzlich sind wir mit Lieferschwierigkeiten konfrontiert, erleben institutionelle Brüche wie den Sturm aufs Kapitol oder werden im Homeoffice von einer Software kontrolliert. Mit unserer Studie wollen wir zeigen, dass Zukunft etwas sein kann, was radikal anders ist als das, was wir kennen – mehr als nur ein bisschen wärmere Sommer und schnelleres Internet.

Eine böse Pointe ist: Kaum war die Studie fertig, brach Corona aus. Uns wäre lieber gewesen, diesbezüglich nicht so schnell recht zu bekommen.

Wie werden sich Arbeit und Arbeitswelt in den vier Szenarien verändern?

Unterschiedlich. Im Szenario Kollaps kehrt die Produktion von Dingen zu uns zurück, wie in Bergamo, als während der Pandemie Intubationsröhren fehlten und man vor Ort begann, sie mit 3-DDruckern herzustellen. Handwerkliche Berufe gewinnen wieder an Wichtigkeit, oft gehts ums Überleben, Heizen und Essen statt Selbstverwirklichung. Netto-Null beschreibt eine freiwilligere Rückkehr zur Einfachheit: Es gibt weniger zu tun, der Gelderwerb ist nur eine Form des Tätigseins. Der WWF forderte vor einigen Jahren, dass Menschen weniger arbeiten und dadurch auch weniger Geld haben, um zu konsumieren. Im Szenario Gig-Economy-Prekariat haben die Menschen keine festen Stellen mehr, sondern agieren in Projekten oder befristeten Stellen und werden dabei von Maschinen ausgespäht. Das geschieht bereits bei Essenskurieren und teilweise im Homeoffice. Die gleiche leistungsfähige Technologie wird im KI-Luxus-Szenario produktiv verwendet; sie lässt einfache Arbeiten verschwinden, alle müssen weniger arbeiten.

Welche Fähigkeiten brauchen Kinder und Jugendliche, um auf diese Szenarien vorbereitet zu sein?

Die Schülerinnen und Schüler werden mit rascheren und radikaleren Veränderungen konfrontiert sein, als wir sie erlebten. Um sie zu bewältigen, müssen die Kinder in der Lage sein, flexibel auf sehr unterschiedliche Zukünfte zu reagieren. Future Skills bedeutet aber mehr, als nur zu reagieren. Es bedeutet die Fähigkeit, die Zukunft mitgestalten zu können: Denn Zukunft ist kein Unwetter, das über uns hereinbricht. Um ein selbstbestimmtes Individuum, aber auch eine selbstbestimmte Gemeinschaft zu werden, muss geübt werden, allein und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Darauf muss man sie in vielen altersgerechten Schritten hinführen. Nötig dafür sind Kompetenzen in den Bereichen des Wissens, des Wollens und des Wirkens, wie wir sie nennen. Wissen besteht aus Grundlagenwissen und der Fähigkeit, neue Dinge zu lernen. Wollen umfasst die Fähigkeit, Bedürfnisse wahrzunehmen und Ziele zu formulieren – sei es für sich persönlich oder für andere Menschen. Im Wirken überwinden wir den Graben zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll. Dazu gehören praktische Skills, aber auch der Mut, trotz Ungewissheit zu handeln.

Das klingt nach Lehrplan21, wo Kompetenz als eine Summe von Wissen, Können und Wollen begriffen wird.

Das ist sicher ähnlich. Eine Stärke unserer Systematik liegt darin, dass sie einen Kreislauf beschreibt, in dem die drei Kompetenzen aufeinander einwirken.

Die Bertelsmann Stiftung hat anhand von Stellenanzeigen untersucht, welche Skills der Arbeitsmarkt braucht. In drei Viertel der Anzeigen werden mindestens eine Selbstmanagementkompetenz und eine soziale Kompetenz nachgefragt – am häufigsten Einsatzbereitschaft und Teamfähigkeit.

Das wundert mich nicht; fachliche Fertigkeiten reichen nicht mehr aus, um in den Berufswelten des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Schule muss die Kinder und Jugendlichen ermutigen, sich Ziele zu setzen und sich dafür einzusetzen; welches diese Ziele sind, kann man nicht durch Grübeln eruieren, man muss sie ausprobieren. Schule muss den Kindern und Jugendlichen auch Gelegenheiten bieten, Neues auszutesten, Einigungsprozesse zu bewältigen und gemeinsam Entscheidungen zu fällen. In Krisenzeiten greift man auf Routinen zurück – Experimentieren in Gruppen muss also zu einer Routine werden. Aber wissen Sie: Gegen all das wird niemand etwas einwenden. Aber wenn es darum geht, Zeit und Freiräume zu schaffen, um diese Kompetenzen einzuüben, fängt meist der kleinliche Streit um die Stundenpläne an.

Die Studie «Future Skills» ist zu finden auf der Webseite des Gottlieb Duttweiler Instituts; sie ist kostenlos: gdi.ch/futureskills

Inhalt

1–2 Interview

Dr. Jakub Samochowiec

4–11 Be ispiele aus Wissenschaft und Praxis Er kenntnisse, Anregungen, Unt errichtsmaterialien und Angebote zum Thema «Arbeit im Wandel»

12–13 Fo kus

Wi e die Schule die Jugendlichen auf de n Wandel der Arbeit vorbereiten kann: Be ispiel Service Learning

14 Bi ldungsangebote zu «Arbeit im Wandel»

15 A ktuell

BNE-Praxistag: Gemeinsam gegen Rassismus

16 In eigener Sache

10 J ahre Engagement für BNE

Editorial

Berufliche Zukunft: Ich werde … was?

60 Prozent der Erstklässlerinnen und Erstklässler werden in Berufen tätig sein, die es heute noch nicht gibt. Diese Zahl soll nicht die Zukunft voraussagen, sondern bloss aufzeigen, in welchem rasanten Tempo sich die Arbeitswelt verändert und weiter verändern wird. Neue Technologien, klimatische Veränderungen und gesellschaftliche Trends beeinflussen diesen Wandel. Doch was bedeutet das für die Schule, und wie kann Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) zur Bearbeitung dieser Fragen beitragen?

Dr. Jakub Samochowiec, der Studienautor von «Future Skills», sieht heutige Schülerinnen und Schüler mit rascheren und radikaleren Veränderungen konfrontiert, als wir sie erlebt haben. Im Interview (Seiten 1–2) erklärt er, wie Lehrpersonen Kinder und Jugendliche darauf vorbereiten können. Lehrpersonen sollen Lernenden «Gelegenheiten bieten, Neues auszutesten, Einigungsprozesse zu bewältigen und gemeinsam Entscheidungen zu fällen. In Krisenzeiten greift man auf Routinen zurück – Experimentieren in Gruppen muss also zu einer Routine werden.»

Impressum

Herausgeberin éducation21, Monbijoustrasse 31, 3011 Bern, T 031 321 00 21, info@education21.ch

Redaktionsleitung Carmela Augsburger

Reda ktion éducation21 T homas Abplanalp, Experte Lernmedienproduktion; Dr. Isabelle Bosset, Expertin/Wissenschaftliche Mitarbeiterin BNE; Dr. Isabelle Dauner Gardiol, Projektverantwortliche; Dr. Jessica Franzoni, W is senschaft liche Mitarbeiterin Schulnetz21; Dr. Léa Steinle, Wissenschaftliche Mitarbei ter in Bildungslandschaften21 (bis Dezember 2022); Noah Stucky, Praktikant BNE; Silvana Werren, Projektverantwortliche; Kathrin Hausammann, Fachperson Kommunikation; Carmela A ugsburger, Fachperson Kommunikation

Externe redaktionelle Mitarbeit Dr. Kerstin Duemmler, Senior Researcher and L ecturer, Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB; Dan iel F leischmann, Fachredaktor für Berufsbildung

Übersetzungen Irene Bisang, Karin Leoni-Meier Bilder Keystone, Jean-Christophe Bott; Daniel Fleischmann Layout und Druck Stämpfli Kommunikation, staempfli.com

Auflage 24 585 (12 36 5 Deutsch, 10 48 0 Französisch, 1740 Italienisch)

Erscheinungsweise jährlich 3 A usgaben

Nächste Ausgabe Mai 2023

Abonnement Das Abonnement ist ein kostenloses Angebot für alle an BNE interessierten Personen in der Schweiz, Bestellung unter Kontakt auf www.education21.ch ventuno online www.education21.ch/de/ventuno éducation21 Die Stiftung éducation21 koordiniert und fördert Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Schweiz. Sie wirkt im Auftrag der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren (EDK), des Bundes und der Zivilgesellschaft als nationales Kompetenzzentrum für die Volksschule und die Sekundarstufe II.

Genau hier kommt BNE mit ihren visionsorientierten, partizipativen, kollaborativen, systemisch orientierten didaktischen Ansätzen ins Spiel. Konkrete Beispiele und Impulse für Ihren Unterricht finden Sie im vorliegenden Heft und im entsprechenden Themendossier www.education21.ch/themendossier/arbeitim-wandel. Im Fokusartikel (Seiten 12–13) erfahren Sie am Beispiel «Service Learning», wie ein Schüler in einem Schulprojekt auf dem Balkon einer Seniorin einen vertikalen Garten anlegt. Dabei denkt er über unkonventionelle Lösungsmöglichkeiten nach und sammelt Erfahrungen in Zusammenarbeit.

Einen anderen Weg zeigt das Beispiel auf Seite 11. Bei einem Spaziergang können Schülerinnen und Schüler existierenden Berufen begegnen und diskutieren, wie sich diese durch den fortschreitenden Klimawandel verändern.

Die berufliche Zukunft beschäftigt Kinder und Jugendliche. Die Suche nach der optimalen (Aus-)Bildung begleitet sie während der gesamten Schulzeit. Das vorliegende Heft soll Sie dabei unterstützen, Ihre Schülerinnen und Schüler bei dieser langen Reise zu begleiten und gemeinsam mit ihnen in die Arbeitswelt von morgen zu blicken. Viel Freude bei den Entdeckungen.

Themendossier «Arbeit im Wandel»

Kompetenzen für neue Berufe | DR.

JESSICA FRANZONI

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