Das Projekt bin ich.
EGO
Klartext. Das Magazin der Deutschen Journalistenschule Lehrredaktion 51B Nummer 31. 2013
Das Projekt bin ich.
W端nsche brauchen Zukunft. Deshalb muss man wissen, wie man sie erreichen kann. Das neue Vorsorgekonzept Perspektive bietet Ihnen die Chance auf eine hohe Rendite mit der Sicherheit der Allianz. Was ist Ihnen wichtig im Alter? Sprechen Sie mit uns bei Ihrer Allianz vor Ort oder informieren Sie sich auf www.allianz.de/vorsorge
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Hoffentlich Allianz versichert. Luise M. Allianz Kundin
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Wir entwerfen uns selbst. Aber wann sind wir fertig? 03.12.13 13:55
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Menschen suchen ihre Zukunft in Städten, die heute schon an morgen denken.
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Deutschland geht neue Wege. Mit Antworten für nachhaltige Stadtentwicklung.
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München wächst schneller als jede andere Stadt in Deutschland: In den vergangenen sechs Jahren sind mehr als 100.000 Menschen an die Isar gezogen. Aber in München wächst nicht nur die Zahl der Einwohner. Die Stadt hat ehrgeizige Ziele – für den Wirtschaftsstandort und für die Lebensqualität der Menschen.
Neubauten und bei der Modernisierung bestehender Häuser. Und sichere und wirtschaftliche Stromnetze binden mehr Energie aus erneuerbaren Quellen ein und sorgen dafür, dass sie genau dort zur Verfügung steht, wo sie gebraucht wird. So wächst nicht nur die Wirtschaftskraft, sondern auch die Lebensqualität.
Modernste Verkehrsleittechnik und ein gut ausgebautes Nahverkehrsnetz halten die Stadt in Bewegung und entlasten dabei die Umwelt. Intelligente Gebäudetechnik spart Energie – bei
Die Antworten für nachhaltige Stadtentwicklung sind da. Und die Zeit für neue Wege ist jetzt. Denn die Welt von morgen braucht unsere Antworten schon heute.
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Impressum EGO // KLARTEXT Nr. 31 Magazin der Lehrredaktion 51B Deutsche Journalistenschule www.klartext-magazin.de/51B Herausgeber Deutsche Journalistenschule e.V. Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon: 089/2355740 www.djs-online.de Chefredaktion Marlena Maerz (Print, V.i.S.d.P.) Angela Gruber (Digital) Chefin vom Dienst Sophie Anfang Textchef Simon Pfanzelt Artdirektion Sabine Pusch (Layout) Martin Moser (Fotografie) Marian Schäfer (Fotografie) Redaktion Sophie Anfang, Lisa Böttinger, Florian Falzeder, Angela Gruber, Anne-Nikolin Hagemann, Tatjana Kerschbaumer, Marlena Maerz, Christina Metallinos, Martin Moser, Paul Munzinger, Simon Pfanzelt, Sabine Pusch, Victoria Reith, Michael Risel, Marian Schäfer Beratung Philip Reichardt (Konzept) Jennifer Kalisch (Layout) Wolfgang Maria Weber (Fotografie) Dirk von Gehlen (Online) Chris Bleher (Text) Anzeigen Sven Szalewa, Deutsche Journalistenschule, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon: 089/2355740 Lithografie Regg Media GmbH Dachauer Straße 233, 80637 München; Telefon: 089/1591820 www.reggmedia.de Druck Bosch-Druck GmbH Festplatzstraße 6, 84030 Ergolding; Telefon: 0871/76050 www.bosch-druck.de Wir danken Inês Querido, Dalia Antar, Carlos, Mario Vigl, Jiri Kadlec und dem Team des Aquariums in München-Pasing, Tobias Erlacher und dem Animexx e.V. München, dem Medienzentrum München, der Steel Bar München, MuenchnerSingles.de, Verena Eder, Janis Witting, dem gesamten Team der DJS Besonderer Dank gilt Julia Emslander für die Illustrationen. www.juliaemslander.de Titel Illustration: Julia Emslander Fotografische Vorlage: Wolfgang Maria Weber Model: Martin Szeike
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Editorial
Ich bin EGO. Ich quäle mich im Fitnessstudio. Ich frisiere meinen Lebenslauf und meine Haare. Ich kaufe Produkte, die mich schöner, besser und klüger machen. Die Sehnsucht nach einer optimierten Version von mir selbst begleitet mich täglich. An der Uni, im Job, im Bett: Überall kann ich besser werden. Und ich will es auch. „Mittelmaß“ ist ein Schimpfwort, meinen Marktwert zu erhöhen ist das Ziel. Der Drang, aus dem Leben das Beste machen zu wollen, ist nicht neu. Die Gefahr, zu übertreiben, war nie so groß wie heute. Die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Technische Innovationen und globale Vernetzung machen scheinbar Unmögliches möglich. Aber ist das Mögliche auch wünschenswert? Ich erzähle von Menschen, die an sich arbeiten. Was treibt sie an? Können sie ihre Ziele erreichen? Auch außerhalb der Leistungsgesellschaft suchen Menschen nach ihrem perfekten Ich. In abgelegenen italienischen Dörfern wollen Aussteiger im Einklang mit der Natur leben, abseits der Gesellschaft und jenseits technischer Errungenschaften (S. 24).
Ganz anders Neil Harbisson: Er kann Farben hören. Der Cyborg lässt sich Technik implantieren, um die Grenzen der Wahrnehmung zu überwinden – und ist dadurch nicht mehr nur Mensch, sondern auch ein bisschen Maschine. Sieht so die Zukunft aus (S. 20)? Braucht man für die Arbeit an sich selbst ein Gegenüber, ein Vorbild? Und wer könnte das sein? Gott, sagt Johannes Prünte, der sich dem Opus Dei verschrieben hat (S. 31). Ein Partner für eine Nacht oder länger, sagen drei suchende Menschen (S. 58). Warum soll man nicht einfach zufrieden sein? Ich habe mir Rat geholt: Der Kabarettist Gerhard Polt erklärt, warum Optimierung gar nicht optimal ist (S. 64). Ich bin ein Magazin über Selbstoptimierung. Gestatten, EGO.
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Inhaltsverzeichnis 6
Selbstoptimierung international
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Der perfekte Lebenslauf
8
Was heißt schon schön?
8
Die Worte der Werber
9
Warum alles selber machen?
10 12 1.
Alles, was schlecht ist Du musst ein Schwein sein: Ein Ratgeber verspricht Fieslingen mehr Erfolg. EGO macht den Selbstversuch. Sieben Todsünden in sieben Tagen
49 7.
Aktion Turbo-Veganismus Fleischlos besser werden: Im oberbayerischen Kurort Bad Tölz krempelt eine Gruppe „Challenger“ ihre Ernährung um
Ehrliche ECTS-Punkte
52
Was treibt Spitzensportler an?
Träume für 1001 Nacht
54
Wider die Faulheit
Schreib das auf: Beim Day Zero Project geben sich Menschen dreieinhalb Jahre Zeit, eine Liste mit 101 Punkten abzuarbeiten
56
Musik: Du bist, was du hörst
57
Machen To-do-Listen glücklich?
58 8.
Weitertanzen
16
Teurer Spaß
18
Wir Prothesengötter
20 2.
Ein Mann hört rot Ich, Cyborg: Neil Harbisson hört Farben. Mit Technik erweitert er das Spektrum des menschlichen Könnens
24 3.
44 6.
Hinterm Berg Das Glück liegt im Gemüsebeet: In der Toskana sucht eine Gruppe von Aussteigern nach Wegen, ein entschleunigtes Leben zu führen
30
Das Brillen-Dilemma
30
Wenn der Name nervt
31 4.
Immer im Dienst „Jeder getaufte Mensch ist dazu berufen, heilig zu werden“: Johannes Prünte ist Mitglied des Opus Dei. Für ihn bedeutet das tägliche Arbeit an sich
34
Politik-Optimierer im Porträt
37
Der Alles-Messer
38 5.
Fotostrecke: Das andere Ich In eine fremde Rolle schlüpfen: Ihr Hobby ermöglicht es Liverollenspielern, sich neu zu erfinden. Das Ergebnis sieht ganz schön spektakulär aus
Auf der Suche nach Sex, Freiheit, echter Liebe. Eine Nacht in München und die Frage: Bin ich auch ohne Partner fertig? 62
Natürlich besser im Bett
63
Künstlich besser im Bett
64 9.
Geh‘ mir aus der Sonne! Das würde der Kabarettist Gerhard Polt einer guten Fee sagen. EGO spricht mit ihm über Perfektion, Mittelmaß und den Wunsch, Bootsverleiher zu sein
68
Scheitern als Kunstprojekt
69
In der Rumpelkammer
71 10.
Schläfchen zählen Wir verschlafen ein Drittel unseres Lebens. Für manche ist das eine unerträgliche Vorstellung. Uberman-Schläfer wollen die Nacht abschaffen
74
Machbare Vorsätze für 2014
EGO gibt es auch online – mit Videos, Bildern und Audiodateien. Unsere Website: www.klartext-magazin.de/51B
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Auf Französisch nennt sich das Ganze la maîtrise de soi. Selbst beherrschen soll man sich in unserem Nachbarland also. Dabei passt das so gar nicht zum Genusssinn, den man mit den Franzosen verbindet. Selbstbeherrschun g bedeutet, die eigenen Emotionen – positiv oder negativ – zu kontrollieren, seine Ängste in den Griff zu bekommen und sein Leben somit in eine ausgewogenere und vielleicht auch glücklichere Richtung zu lenken.
Fotos. Privat
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Selbstoptimierung – 17 Buchstaben, fünf Silben. Typisch deutsch. Denn Optim ierung, also das Streben nach dem Perfekten, ist das, was andere Nationen von uns Deutschen erwa rten. Für fleißig und effizient hält man uns – und dazu passt auch der technokratisch klingende Begriff der Optimierung, der sich multifun ktional anwenden lässt: auf Produktionsprozesse, den Straßenverkehr und eben auch auf die Persönlichkeit.
Text und Protokolle. Victoria Reith, Lisa Böttinger, Sophie Anfang
Und bei euch so? Nicht in jeder Sprache klingt Selbstoptimierung so gestelzt wie im Deutschen. In jeder Kultur optimieren sich die Menschen anders. Ein Blick in die Welt
Ihr wollt noch mehr Stimmen aus aller Welt?
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Die neue Version: So sieht Maximas Lebenslauf optimiert aus
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Lebenslauf Maxima Mustermann Musterstraße 1 10000 Musterstadt Tel. 0123 34 56 78 Email. Maxima2001@hotmail.com Staatsangehörigkeit: deutsch
Arbeit 9/2008 – 8/2009
Work and Travel in Australien (Verkäuferin, Reisen, Housekeeping, Menschen kennenlernen) 6/2005 – 8/2005 Altenheim Musterstadt, berufsorientierendes Praktikum 3/2005 – 5/2005 arbeitslos gemeldet 10/2004 – 3/2005 Optimal Bar, Musterstadt, Kellnerin Supermarkt Mustermarke, Musterstadt, Kassiererin 9/2004 Ausbildung 6/2006 – 5/2008
Supermarkt, Mustermarke, Musterstadt, Ausbildung Verkäuferin
Studium 10/2012 – 5/2013 Uni Musterstadt, Betriebswirtscha ftslehre 10/2011 – 6/2012 Private Fachhochschule Musterstadt, Heilpraktiker (abgebrochen) Schule 9/2010 bis 7/2012 Musterstadt Kolleg, Abschluss: Abitur (Schnitt 3,0) 9/2000 bis 7/2004 Friedrich von Schiller Realschule, Musterstadt, Abschluss: Mittlere Reife (Schnitt 2,8) 9/1998 bis 7/2000 Johann.Wolfgang von Goethe Gymnasium, Musterstadt, nach 6. Klasse abgebrochen Erich Kästner Grundschule, Musterstadt 9.1994 – 7/1998 Sonstige Kenntnisse: Word, Exel, Windows, English Sonstige Interessen Reisen, Kino
Der perfekte Lebenslauf Das Leben so aufschreiben wie es wirklich war? Das geht vielleicht am Lebensabend in der eigenen Biografie – im Lebenslauf definitiv nicht. Wie gut, dass man aus jedem Umweg noch etwas rausholen kann. EGO hat einen verkrachten Lebenslauf-Prototypen von der Bewerbungsberatung Benscon überarbeiten lassen. Das Ergebnis zeigt: Ist doch mehr Schein als Sein, so ein Curriculum Vitae.
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Runde Zeiten, schlanke Zeiten
In der Antike ist der ideale Körper weder zu dick noch zu dünn. Ein fetter Bauch gilt als Zeichen der Verweichlichung. An klassischen Statuen wie der Venus von Milo kann man erkennen, dass Frauen als schön galten, die kleine, feste Brüste hatten – und ein breites Becken.
1. Antike.
Die Schönheit der Frau im Wandel Text und Grafik. Victoria Reith
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In der Werbung ist der Mensch perfekt. In den 70ern setzte man auf Qualität, heute auf Anglizismen. gan z Zeitlos: „mehr“. be Die 100 häufigsten Wörter in Werbeslogans
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Text und Grafik. Anne-Nikolin Hagemann
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Das weibliche Schönheitsideal des Mittelalters ist mädchenhaft: schlank, kleine Brüste, schmale Hüften. Um eine hohe Stirn zu zeigen, wurden die Haare an den Ansätzen ausgezupft.
2. Mittelalter.
In Renaissance und Barock ist die ideale Frauenfigur wohlbeleibt, verfügt über starke Hüften und einen üppigen Busen. Ein Doppelkinn ist Zierde, kein Makel. Bekanntestes Beispiel für Frauendarstellungen im Barock sind die Gemälde von Peter Paul Rubens.
3. Renaissance/Frühbarock.
4. Mitte
des 17. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhunderts. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts werden weibliche Rundungen in ein Korsett gezwängt – die Sanduhrform wird zum Inbegriff von Weiblichkeit. 20. Jahrhundert. Das Ideal des sportlichen, schlanken Körpers hat sich gegen das Korsett durchgesetzt. In den 20er Jahren gesellt sich ein Gegenbild hinzu, die „Garçonne“. Kennzeichen: flachgedrückte Brüste, kurzgeschnittene Haare, roter Schmollmund.
5. Frühes
dem Zweiten Weltkrieg. Vollschlanke Figuren sind wieder en vogue. Sie stehen für Gesundheit und Wohlstand in Zeiten der Entbehrung. Marilyn Monroe trug Kleidergröße 42, ein Maß, das in den frühen 50er und 60er als normal galt. Und doch das Maß aller Dinge war.
6. Nach
Knochig, hager, flachbusig: Diese Attribute eines gesundheitsgefährdenden Schönheitsideals prägten die letzten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Inbegriff des Magersucht-Schicks: Kate Moss.
7. 1980er/90er.
Das Schönheitsideal hat sich etwas ausdifferenziert, aber noch immer gilt Schlankheit als Nonplusultra. Sportlich mit verhältnismäßig großem Busen, das Schönheitsideal der Lara Croft ist seit Jahren hoch im Kurs. Übergewicht wird als Folge eines Fehlverhaltens ausgelegt.
8. Heute.
5.
6.
7.
8.
Lass mal machen
Egal, was wir tun – irgendwo gibt es immer jemanden, der es besser kann. Warum also nicht die Anderen machen lassen, worauf man sowieso keine Lust hat? Wie Alltags-Outsourcing aussehen könnte Text. Anne-Nikolin Hagemann
Dein Telefon klingelt. Die nette Computerstimme vom telefonischen Weckdienst wünscht dir einen guten Morgen. Verschlafen nimmst du den Duft von frischem Kaffee wahr, der aus deiner Küche kommt. Die Zeitschaltuhr an der Kaffeemaschine hast du gestern eingestellt. Es klingelt an der Tür. Der Bäckerei-Lieferservice mit frischen Croissants. Die Abo-Zeitung liegt auf der Fußmatte. Jetzt erst mal gemütlich frühstücken. Es klingelt wieder. Ein Fahrradkurier bringt Klamotten, die dein Personal Shopper ausgewählt hat. Gut, dass er da ist. Da kannst du ihn gleich mit der Dreckwäsche zur Wäscherei schicken. Du schaust in die Einkaufstüten. Wofür nochmal die teuren Schuhe? Verdammt, deine Mutter hatte gestern Geburtstag. Die Feier-Vorbereitung fürs Wochenende hast sogar du übernommen. Der Party-Planer weiß: Was Individuelles soll es sein. Gratulieren hast du trotzdem vergessen. Schnell eine Skype-Nachricht an deinen persönlichen Assistenten in Indien, er soll einen Blumenstrauß liefern lassen, per Express. Persönliche Nachricht dazu darf er sich ausdenken (deine Mutter kann Englisch). Wo du gerade dabei bist: Die Überweisungen, die Mails an deine Kollegen und die Recherche für deine Doktorarbeit kannst du deinen Assistenten auch eben noch erledigen lassen. Obwohl, Doktorarbeit? Dafür hast du doch den Ghostwriter deines Vertrauens. Hat ja beim ersten Uni-Abschluss auch geklappt. Du surfst noch ein bisschen im Netz. Laut Plan deines Personal Trainers solltest du jetzt ein bisschen
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Radfahren. Falls es zu anstrengend wird, könntest du auch den Motor zuschalten. Trotzdem keine Lust. Du bestellst Mittagessen. Die Ernährungsberaterin sagt: Eiweiß-Tag. Also Entscheidung klar: Huhn, Gemüse. Mittagessen ist da. Putzfrau auch. Bisschen unangenehm ist es dir ja schon, beim Essen die Füße zu heben, während sie darunter Staub saugt. Zeit für Power-Napping. Von einem Hörbuch lässt du dich in den Schlaf wiegen. Du wirst wach, guckst auf Facebook. Super, dein Social-Media-Berater hat deine Fotos, deine Lieblingsfilme und deinen Musikgeschmack überarbeitet. Und deine Freundesliste. Komisch, genau die Personen gelöscht, von denen dir dein Imageberater auch im richtigen Leben abgeraten hat. Du kommst ins Grübeln. Dem Social-Media-Coach vertraust du blind, schließlich hat er deine Affäre für dich kennen gelernt. Beim Profil und den privaten Nachrichten, die er auf der Dating-Plattform für dich erstellt hat, musste man ja schwach werden. Die Vorfreude aufs Date heute Abend steigt. Alles super vorbereitet: Bei der Menü- und Musik-Auswahl haben Event-Manager und Image-Coach zusammengearbeitet. Der handgeschriebene Liebesbrief von der Liebesbriefautorin liegt bereit. Und der Mensch, der meint, mit dir in einer Beziehung zu sein, denkt, du wärst auf Geschäftsreise: Die Alibi-Agentur hat aus dem Tagungshotel eine nette Postkarte geschickt. Falls dein Lebensgefährte trotzdem misstrauisch wird: Rechnungen und Beweisfotos liegen parat. Echte Profis eben. Dein Stylist ist da. Gut siehst du aus! So entspannt. Der Privatkoch kommt. Eine Stunde später ist er weg und ein Vier-Gänge-Menü steht auf dem Tisch, in deiner Küche stapeln sich Töpfe. Fast selbst gekocht. Dein Date ist begeistert, die Auswahl aphrodisierender Lebensmittel zeigt Wirkung. Den Rest kriegst du selbst hin, ganz bestimmt. Ⅲ
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Fotos. Flickr/bembelkandidat, Flickr/Beverly & Pack, Flickr/ br1dotcom, Flickr/Brentdanley, Flickr/CC Lisby, Flickr/daniel.julia, Flickr/Georg Schwalbach, Flickr/Hardo, Flickr/MiGowa, Flickr/operationpaperstorm, wikimedia/tamorlan,
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Text und Fotos. Sophie Anfang
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Das Erasmus-Programm ist nach dem niederländischen Humanisten Erasmus von Rotterdam benannt
Ein bisschen Hörsaal
Ein Erasmus-Semester macht sich gut im Lebenslauf. Für die Uni sammeln Studenten ECTS-Credits im Ausland. In EGO verraten sieben von ihnen, wofür sie eigentlich Punkte verdient hätten
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Hannah Dompke. 22 Jahre, studiert Tourismusmanagement an der Hochschule München, Erasmus: Napier University, Edinburgh,September – Dezember 2012, Uni-Credits: 30 1
Whisky testen. 1 Credit Kulinarische Experimente. 1 Credit Live-Musik in Pubs. 2 Credits WG-Suche. 2 Credits
Festivals. 3 Credits Kaffee trinken. 8 Credits Sprachhürden. 11 Credits Reisen. 50 Credits
„Ich war im 6. Semester in Edinburgh. Vorlesungen und Seminare hatte ich nicht viele, allerdings musste ich viele ‚Reports‘ schreiben. Das habe ich in Cafés gemacht, die gibt es in Edinburgh überall. Natürlich hatten meine Freunde und ich auch unser Stamm-Pub. Dort haben wir auch Whisky probiert, das war aber nicht so meins. Haggis habe ich auch getestet, danach war ich eine Woche krank. Gereist bin ich viel, eigentlich jedes Wochenende. Einmal hab‘ ich eine komplette Nord-Tour gemacht, mit Loch Ness und einem Trip an die Küste.“
Katharina Ansel. 24 Jahre, studiert Bauingenieurwesen an der TU München, Erasmus: KTH, Stockholm, Januar – Mai 2013, Uni-Credits: 30 2
Kaffee trinken. 1 Credit Kulinarische Experimente. 5 Credits Valborg-Event. 1 Credit Sprachhürden. 10 Credits Eislaufen. 2 Credits Reisen. 30 Credits Einheimische treffen. 4 Credits Partys. 30 Credits „Mein Wohnheim war in einem ehemaligen Krankenhaus. Wir waren dort 150 Erasmus-Studenten, gefeiert haben wir viel. Weil Alkohol teuer ist, haben wir öfter Bootstrips nach Riga oder Tallin gemacht, um dort einzukaufen. Ich bin viel gereist, etwa am 1. Mai nach Uppsala zur Valborg, der Walpurgis. Da basteln Studenten von verschiedenen Unis Boote und machen ein Rennen. Gutes Essen gibt es viel in Schweden. Ausprobiert habe ich Elch-Salami und Rentier-Döner. Was am wenigsten gut ist: vergorener Hering. Das stinkt so schlimm, das kann man nicht essen.“
Romina Lenderer. 24 Jahre, hat Soziologie an der LMU München studiert, Erasmus: Universiteit van Amsterdam, August 2012 – Januar 2013, Uni-Credits: 9
Nana Kirtava. 24 Jahre, hat Kommunikationswissenschaft an der LMU München studiert, Erasmus: Universidad International de Catalunya, Barcelona, September 2011 – Juni 2012, Uni-Credits: ca. 30
Konzerte in Plattenläden. 3 Credits Kulinarische Experimente. 4 Credits Mitbewohner kennen lernen. 5 Credits Sprachhürden. 5 Credits
Reisen. 5 Credits Am Strand liegen. 6 Credits Longboard fahren. 6 Credits Kulinarische Experimente. 6 Credits
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Rad fahren. 6 Credits Reisen. 7 Credits Kaffee trinken. 10 Credits Regen bezwingen. 15 Credits
„In Amsterdam regnet es eigentlich immer, da muss man seine modischen Ideale über Bord werfen und im Ganzkörper-Cape durch die Stadt radeln. Das Rad ist eh das Wichtigste: Ein gutes Rad zu finden, das fahrbar ist, über eine Klingel verfügt und bezahlbar ist, ist eine echte Herausforderung. Richtig zu radeln, auch. Wer in Amsterdam bremst, verliert. Was toll ist: Es gibt in Plattenläden kleine Konzerte. Ich habe zum Beispiel Bon Iver gesehen. Man muss allerdings schon um 14 Uhr da sein, wenn man bei Konzertbeginn um 18 Uhr einen Platz haben will.“ Dilber Öztürk. 36 Jahre, studiert Zahnmedizin an der LMU München, Erasmus: Istanbul Üniversitesi, Februar – August 2012, Uni-Credits: 35 5
Reisen. 1 Credit Verkehr bezwingen. 3 Credits Einheimische treffen. 2 Credits Kulinarische Experimente. 4 Credits Credit-Anrechnung. 2 Credits Tee trinken. 4 Credits WG-Suche. 3 Credits Erasmus planen. 4 Credits „Das Essen an der Universität Istanbul war toll! Ich habe dort nur lokale Gerichte gegessen, alles wurde frisch gemacht und hat nur eine Lira, also etwa 35 Cent, gekostet. Um die Uni herum waren viele Teehäuser und kleine Restaurants. Dort sind meine Freunde und ich nach der Uni oft hingegangen, um den Abend ausklingen zu lassen. Die meiste Zeit habe ich im Istanbuler Verkehr verbracht, weil ich eher am Stadtrand gewohnt habe. Ständig ist Stau, aber die Istanbuler nehmen es gelassen.“ Laura Schlesinger. 27 Jahre, studiert Neue Deutsche Literatur an der LMU München, Erasmus: Institut Catholique, Paris, August 2011 – September 2012, Uni-Credits: ca. 20 7
WG-Suche. 0 Credits Fashion-Week. 1 Credit Flohmärkte. 3 Credits Reisen. 5 Credits
Kaffee trinken. 5 Credits Kulinarische Experimente. 6 Credits Sprachhürden. 9 Credits Wein trinken. 10 Credits
„Mit der Wohnung hatte ich großes Glück, weil ich in die WG meines Freundes einziehen konnte. Andere hatten da ziemliche Schwierigkeiten. Ein Highlight war, als ich mich mit Freunden auf die Pariser Fashion-Week geschmuggelt habe. Wir sind da am Eingang einfach durchgelaufen und konnten uns drei kleinere Shows anschauen. Sonst waren wir oft auf Flohmärkten, besonders auf dem an der Porte de Clignancourt. Sprachlich habe ich mich anfangs schwer getan. Da dachte ich mir oft: ‚Ich will doch nur ein Croissant kaufen, warum versteht ihr mich nicht?‘“
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Sprachhürden. 9 Credits Partys. 10 Credits In Parks liegen. 10 Credits Aussicht. 15 Credits
„Am Anfang bin ich oft auf Erasmus-Partys gegangen, bis ich gemerkt habe, dass es in Barcelona viele interessante Bars und Clubs gibt. Einer besteht nur aus Treppen, in einem anderen wird mit Konfetti geworfen. Tagsüber war ich in Parks oder auf einer Aussichtsplattform, bei ehemaligen Bunkern. Ein Geheimtipp, der Ort steht in keinem Reiseführer: Man hat einen Blick über die Stadt, aber trotzdem wirkt alles zum Greifen nah.“ Fabian Gruber. 25 Jahre, studiert Maschinenbau an der TU München, Erasmus: University of Strathclyde, Glasgow, September 2012 – Januar 2013, Uni-Credits: 8 6
WG-Suche. 1 Credit Einheimische treffen. 1 Credit Whisky testen. 1 Credit Sprachhürden. 2 Credits
Bier trinken im Pub. 4 Credits Sport. 5 Credits Partys. 6 Credits Reisen. 15 Credits
„Während meiner Zeit in Glasgow habe ich deutlich mehr Zeit in den Sportanlagen der Uni verbracht als in den Hörsälen. Ich war teilweise zweimal pro Tag im Fitnessstudio, beim Laufen oder Schwimmen. Was Partys angeht: Bis auf Montag hätte man jeden Tag weggehen können. Pub und Club gehen in Schottland oft ineinander über, manche Pubs werden um Mitternacht zu Clubs.“
ECTS: Was heißt das jetzt eigentlich? „European Credit Transfer System“ ist das europäische System, das die grenzüberschreitende Umrechnung von Studienleistungen innerhalb Europas vereinfachen soll. Die Währung sind ECTS-Punkte. Sie bilden ab, wie viel Arbeitsaufwand ein Student für ein Seminar oder eine Vorlesung hatte. Pro Punkt geht man von 25 bis 30 Arbeitsstunden im Semester aus. Für ein arbeitsintensives Seminar gibt es also mehr Credits als für eine Vorlesung, bei der man nur zuhören muss.
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für 1001 Nacht
Eine Liste, 101 Ziele, dreieinhalb Jahre Zeit: Das Day Zero Project vereint Lebensplan und Selbsterkenntnis und wird von Menschen auf der ganzen Welt genutzt, um ihre Wünsche endlich umzusetzen Text und Fotos. Christina Metallinos
Top 10 Day Zero-Wünsche Blut spenden Einen Brief an sich selbst schreiben und ihn in zehn Jahren öffnen #3. Ein Tattoo stechen lassen #4. Unterm Sternenhimmel schlafen #5. Einen schlauen Spruch für jemand anderen in einem Buch hinterlassen #6. Die „Fifty questions that will free your mind“, einen Fragenkatalog im Netz, beantworten #7. Sich eine Woche lang über nichts beschweren #8. Ein Kuss im Regen #9. Sich verlieben #10. Den Sonnenauf- und -untergang am gleichen Tag sehen #1. #2.
Quelle. dayzeroproject.com
Die Wochen im Leben der Petra Maier sind streng durchgetaktet: Der Abgabetermin für zwei Uni-Projekte rückt immer näher, ihre Wochenenden verbringt sie dank Blockseminaren im Hörsaal und nebenher arbeitet die Studentin für eine Augsburger Lokalzeitung. Die 22-Jährige nennt das „organisiertes Chaos“. Zeit ist für Petra ein rares Gut. Denn wenn sie nicht gerade ECTS-Punkten nachjagt oder immer mehr Berufserfahrung sammelt, beschäftigt sich Petra mit ihrer Liste. Die Liste, das ist ein liniertes Schulheftchen im A5-Format, von Petra in Schönschrift beschriftet und mit gestreiftem Klebeband verziert. Darin hält sie ihre größten Wünsche für die nächsten Jahre fest, Punkt für Punkt. Genauer gesagt: 101 Dinge, die sie in 1001 Tagen erleben, erledigen und erreichen möchte. Unter dem Namen Day Zero Project existiert diese Idee seit knapp zehn Jahren im Netz. Petra ist auf mehreren Blogs darauf gestoßen und hat danach mit ihrer eigene Liste begonnen. „Ich schreibe mir ohnehin immer Listen von Dingen, die ich einmal machen möchte, und dachte, dass ich das so einmal konkreter formulieren kann“, sagt sie. Nach dem Abitur war Petra für fünf Monate in Neuseeland und hat dort erlebt, wie viele Dinge sich in so kurzer Zeit lernen lassen. Noch während des Trips wanderten Reiseziele und Träume ins Tagebuch und wurden später Teil ihres Projekts.
Eine Sprache lernen, ein Lebkuchenhaus bauen, 3000 Euro für Reisen sparen
Prag. Drei europäische Hauptstädte will Petra bereisen. Zum Auftakt ging es nach Prag, vor die bekannte JohnLennon-Wall
Obwohl es für Petra nach eigener Aussage nicht darum geht, ihren Lebenslauf zu verbessern, finden sich viele Ziele auf ihrer Liste, die genau das tun. Punkt 98: den Bachelor-Abschluss mit einer Eins vor dem Komma absolvieren. Punkt 100: für das Erasmus-Programm bewerben. Und der erste Punkt überhaupt: eine neue Sprache lernen. „Ich sehe Sprachen als Hobby, sie machen mir Spaß“, sagt Petra dazu. Ende der siebten Klasse hat sie aus Neugierde schon einmal den gesamten Französischstoff der achten Klasse vorgelernt, jetzt stehen Schwedisch oder Türkisch ganz oben auf ihrer Wunschliste. „Meine beste Freundin ist Türkin und ich würde mich gerne fließend mit ihrem Vater unterhalten“, sagt Petra. Ob sie diesen Punkt
umsetzen kann, weiß sie momentan selbst nicht. Zumindest mit dem Erasmus-Aufenthalt wird es während ihres Bachelorstudiums wohl nichts mehr. Ihre Wunschuniversität in Südschweden bietet im Wintersemester keine Kurse in Medien und Kommunikation, Petras Studienfach, an.
Mehr Abenteuer, weniger Alltag „Die meisten Leute schaffen nicht einmal die Hälfte der Punkte auf ihrer Liste“, sagt Michael Green. Der Neuseeländer hat selbst vor mehr als zehn Jahren die erste Day Zero-Liste gestartet und so den Hype im Netz begründet. „Man muss sich Zeit nehmen, seine Liste zu schreiben und darüber nachzudenken, was für einen selbst wirklich wichtig ist“, sagt Green. Er selbst saß an seiner ersten Liste rund vier Monate, bevor seine 1001-Tages-Frist begann. Sein Leben damals: öde Routine. „Die Liste zu machen hat mich dazu inspiriert, in eine andere Stadt zu ziehen und endlich ein abenteuerlicheres Leben anzufangen. Ich musste aus meinem Leben raus und andere Dinge erleben“, sagt Michael Green. Sein Blog wurde gelesen und er erhielt überraschend viel positives Feedback von anderen Menschen, die ihre eigenen 1001-Tages-Projekte starten und darüber öffentlich schreiben wollten. In Zeiten vor Facebook & Co. war das gar nicht so einfach, kurz nach der Jahrtausendwende. Michael hatte sein eigenes Projekt bereits beendet und arbeitete schon an der zweiten Liste. „Ich hatte so viele Nachrichten bekommen und dachte mir, dass ich einen Weg finden möchte, dass an-
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Quelle. Petra Maier
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Foto. Petra Maier
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3.
Hamburg. Für die Mission „Drei Bundesländer sehen“ war Petra schon an der Alster 2. München. Aufs Tollwood-Festival mit den Freundinnen – perfekt für einen Tagesausflug 3. Daheim. Die Polaroid-Kamera hat einmal ihrem Großvater gehört. Petra will neue Tinte und Fotopapier kaufen und damit wieder fotografieren
1.
Darum kla appt Dayy Zerro Ohne Ziel kein Erfolg, so die Kernaussage der sogenannten Zielsetzungstheorie in der Psychologie. Sich Ziele zu setzen, ist demnach wichtig. Allerdings müssen diese gewisse Kriterien erfüllen. Nach dem SMART-Prinzip sollten Ziele spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und zeitlich begrenzt sein. Offene Wünsche wie „Ich wäre gerne besser im Sport“ fallen weniger darunter, stattdessen wäre „Ich möchte in drei Monaten einen Halbmarathon absolvieren“ eine bessere Variante. Gleichzeitig gilt das SVEM-Prinzip, nach dem Ziele besser spezifisch statt allgemein, selbst vereinbart statt von anderen vorgegeben, erreichbar und messbar sein sollten. Die Wünsche von vielen Day Zero-Teilnehmern erfüllen also die Vorgaben für gute Zielsetzung. Damit sei aber noch nicht alles geschaff t, sagt Dieter Frey, Professor für Sozialpsychologie an der LMU München: „Wenn man sich 101 Ziele setzt, besteht die Gefahr, dass man sich verzettelt und gefrustet ist.“ Deshalb brauche man bei einem solchen Projekt viel Durchhaltevermögen, auch im Umgang mit Misserfolgen. Was einem helfen kann: sich gegenseitig zu unterstützen und Feedback zu geben, wie es die User auf Michaels Plattform dayzeroproject.com tun.
dere Menschen ihre Listen auch teilen können“, sagt er heute. Er entwickelte eine Plattform für eine entsprechende Community und taufte die Seite, und damit das Projekt, Day Zero Project – ob man damit nun den Tag vor den 1001 Tagen oder den letzten Tag des Projekts bezeichnet, weiß Michael selbst nicht so recht. Im Laufe der Jahre entwickelte er die Plattform immer weiter. Heute sind mehr als 60.000 Menschen angemeldet, die ihren Fortschritt mit Fotos und Texten dokumentieren. Hinzu kommen etliche Blogger wie Petra, die lieber auf ihrer eigenen Website über ihre Liste schreiben. Der Grundgedanke ist immer gleich geblieben: 1001 Tage Zeit für 101 Dinge, die man immer schon einmal machen wollte. Nur für sich. Dabei geht es ein wenig zu wie bei Monopoly: Jeder hat seine eigenen Regeln, wenn es um die konkrete Ausgestaltung geht. Manche erlauben das Austauschen von Listenpunkten, andere nicht. Die Nächsten wiederum füttern bei nichterfüllten Zielen ein Sparschwein und kaufen sich von dem ersparten Geld etwas Besonderes. Auch unter deutschen Lifestylebloggerinnen verbreitet sich die Idee zunehmend. Für viele von ihnen geht es jedoch weniger um das Erfüllen der eigenen Lebensträume. Viel eher scheint das Abhaken von Aufgaben in geworden zu sein. Zwischen Dekorationsideen und Kuchenrezepten werden Listen und Vorsätze für alle Jahreszeiten und Lebenslagen gebloggt. Instagram-Fotos vom perfekten selbstorganisierten Brunch und Artikel über die optimale Organisation im WG-Zimmer gehören dort fast schon zum guten Ton, genauso wie Erlebnisberichte vom letzten Städtetrip. Das Projekt wird so für viele zur Darstellungsform und zum Rahmen für Blogeinträge – eine Liste von 101 Themenideen, über die sich schön schreiben lässt. Auch Petra bloggt und hat sich auf ihrer eigenen Liste Ziele rund um ihre Website gesetzt. Nach einem halben Jahr würde sie das heute jedoch nicht mehr machen: „Ich würde die Rubrik ‚Was ich am Blog ändern möchte‘ komplett weglassen und es stattdessen persönlicher halten.“ Inzwischen hat sie realisiert, dass der Blog für sie eher ein Medium zum Ausprobieren ist – und dass Ziele wie „100 Blogleser bekommen“ ihr gar nicht so wichtig sind, wie sie anfangs dachte. Ein typischer Verlauf während der 1001 Tage, sagt Michael Green. „Für viele Menschen ist es das erste Mal, dass sie ernsthaft über die Ziele nachdenken, die sie in ihrem Leben erreichen möchten“, sagt der Erfinder. Hinzu kommt, dass sich über den Zeitraum des Projekts nicht nur die eigenen Lebensziele ändern, sondern manche zu anderen Menschen werden. Michael sieht das mit den Regeln deshalb nicht ganz so eng – für ihn zählt, dass die Motivation nicht verloren geht. „Wenn es etwas ist, das ich doch nicht
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Drinnen. Mit einem eigenen Heft behält Petra ihr Projekt immer im Blick 2. Draußen. Michael lebt jetzt abenteuerlicher als früher, sagt er 1.
machen möchte, ist es am besten, es durch etwas anderes zu ersetzen, das ich wirklich machen möchte“, sagt er. „Das ist besser, als den Punkt zu behalten und sich zu denken, dass man seine Liste niemals vollständig durcharbeiten kann.“ 101 Aufgaben für 1001 Tage – das bedeutet, dass man im Schnitt alle zehn Tage eine Aufgabe erfüllen sollte. Petra hat zudem Punkte wie „mindestens zehn Bücher lesen“ auf ihrer Liste, die mehr Zeit in Anspruch nehmen. Dennoch ist für Petra das Projekt kein zusätzlicher Stressfaktor: „Für mich ist es eine Unterstützung, damit ich weiß, was ich überhaupt machen will.“ Sollte sie Aufgaben nicht erfüllen, sieht sie das eher locker. Zumal sie auch noch bis 2015 Zeit hat, ihre Liste durchzuarbeiten.
Einmal David Bowie live sehen
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Michael hat inzwischen schon zwei Listen mit jeweils 101 Punkten abgearbeitet. Von seiner ersten Liste schaffte er 80 Prozent, von der zweiten erreichte er sogar alle Ziele. An seine Punkte kann er sich kaum mehr erinnern, einen weiß er jedoch noch ganz genau. „Ich wollte einen meiner Lieblingsmusiker unbedingt live sehen“, sagt er. In Neuseeland sei das gar nicht so einfach, internationale Künstler kommen nur selten in das Land. 2004 jedoch war es soweit: David Bowie kam für ein Konzert nach Wellington – und Michael war dabei.
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Gerade in Zeiten, in denen jeder viel zu tun habe, solle man sich weiter mit seinen Träumen und Wünschen befassen, sagt Michael. „Wenn man seine Ziele nicht niederschreibt, geht man jeden Tag in die Arbeit, kommt heim, kocht sich sein Abendessen und verbringt seine Wochenenden, ohne einen Fortschritt in den Dingen zu machen, die einem wirklich etwas bedeuten“, sagt er. Deshalb hält er es für wichtig, sich mit seinen Zielen zu befassen – egal, ob man gerade gestresst ist oder nicht. Momentan arbeitet Michael an seiner dritten Runde. Gar nicht so einfach, wenn man sieht, wie sehr sich sein Wunsch nach einem anderen Leben schon erfüllt hat. Inzwischen ist Michael 36 Jahre alt und lebt in Chile, dort arbeitet er hauptberuflich als Softwareentwickler an mehreren Projekten. Wie lange er dort bleiben wird, weiß er nicht – und wie soll man sich Ziele setzen, wenn man nicht weiß, wohin es einen im nächsten halben Jahr verschlägt? 40 neue Punkte hat er schon zusammen. Er lässt sich damit Zeit. Denn für ihn ist nicht das Durcharbeiten der Liste das Wichtigste. Interessant sei, dass viele Menschen dabei realisieren, wie wenig Ziele sie tatsächlich haben – und dass diese alle erreichbar seien. „Denn in Wirklichkeit sind die Ziele vieler Menschen Dinge, die man an einem Wochenende erledigen könnte, wenn man denn wollte“, sagt Michael. Ⅲ
Unser Interview mit Michael Green und die Day Zero-Liste der EGORedaktion findet ihr auf
www.klartext-magazin.de/51B
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Teurer Spaß
Besser werden gibt‘s nicht für lau. Wer Menschen schöner, schlauer oder stärker macht, kann viel Geld verdienen. EGO zeigt, wie viel Text. Sophie Anfang, Simon Pfanzelt | Foto. Wolfgang Maria Weber
Kosten für eine Mitgliedschaft im Business-Portal Xing. 9,95 Euro/ Monat bei einer dreimonatigen Laufzeit, 7,95 Euro/Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, Quelle: Xing
Umsatz der Louis-VuittonGruppe 2013. 28 Milliarden Euro, Quelle: Prognose von Ernst and Young
Deo. Umsatz in Deutschland 2012: 737 Millionen Euro, Quelle: IKW
Umsatz mit dekorativer Kosmetik in Deutschland. In Millionen Euro, Quelle: IKW
Umsatz mit Ritalin/Focalin. Zahlen für 2012, in Millionen US-Dollar, Quelle: Novartis
Sichergestellte Doping-Substanzen in Deutschland. Quelle: Zollkriminalamt
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Neue Parfüms. Jährlich werden in Deutschland 200 neue Düfte auf den Markt gebracht, 2012 betrug der Umsatz mit Damendüften in Deutschland eine Milliarde Euro, Quelle: VKE, IKW
Wege zum Doktorgrad. #1 Kosten für einen Ghostwriter für eine akademische Arbeit im Fach Medizin: 36.798,30 Euro (Umfang: 300 Seiten, Lieferfrist: 50 Tage), Quelle: gwriters #2 Kosten für ein Jahr an einer amerikanischen Elite-Uni: 33.000 US-Dollar (25.441 Euro), Quelle: DAAD
Fitness in Deutschland. #1 Fitnessanlagen (2011): 7.300 #2 Mitglieder (2011): 7,6 Millionen (mehr als der größte deutsche Sportverband DFB) #3 Umsatz der Fitnessbranche (2012): 380 Milliarden Euro Quelle: Deloitte
Beliebteste Schönheits-OPs in Deutschland und ihre Kosten. Zahlen für 2011. #1 Brustvergrößerung, 36.816 OPs, 5.500 – 7.500 Euro #2 Fettabsaugung, 32.535 OPs, 3.500 – 6.000 Euro #3 Augenlidkorrektur, 24.949 OPs, 1.800 – 3.400 Euro #4 Nasenkorrektur, 13.549 OPs, 3.000 – 4.700 Euro #5 Bruststraffung, 13.523 OPs, 4.000 – 6.000 Euro Quelle: Isaps, DGPRÄC
Ratgeber-Literatur. Unter den Amazon-Top-100 von 2012 befinden sich 17 Ratgeber, darunter drei Bände von „Schlank im Schlaf“
Umsatz Weight Watchers International. In Millionen US-Dollar, Quelle: Weight Watchers International
Flirt-Kurs. Kosten für PickUp-Artist-Kurs „Nighthunter Extreme“: 499 Euro, Quelle: Progressive Seduction
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Coaching. Jährlich lassen sich deutschlandweit 4.000 Menschen zu Coaches ausbilden. Das Coaching-Gewerbe hat ein Marktvolumen von 300 Millionen Euro/Jahr, Quelle: DBVC
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Der Mensch ist eine Baustelle. Seine Möglichkeiten zur Verbesserung sind im Zeitalter der modernen Wissenschaft schier grenzenlos. Doch woher kommt der Drang, ständig über sich hinaus wachsen zu wollen?
Text. Florian Falzeder, Michael Risel | Illustration. Julia Emslander
Wenn der Energy Drink nicht mehr kickt und die Abschlussprüfung immer näher rückt, greift mancher Student gerne zu härteren Mitteln: Adderall und Ritalin, die kleinen Schwestern von Speed, sollen den Geist beflügeln. Mögliche Nebenwirkungen werden dabei in Kauf genommen. Hirndoping ist unter deutschen Studenten verbreitet. Das zeigt eine Studie der Universität Mainz. Jeder Fünfte nimmt zumindest phasenweise leistungssteigernde Substanzen. Die Hemmschwelle sinkt, auch außerhalb des Hörsaals. Um den nächsten Marathon in Rekordzeit zu laufen – oder sich nicht nach Atem ringend zu blamieren – schlucken viele Hobby-Sportler Pillen und spritzen sich verbotene Mittel. Das Robert-Koch-Institut hat 2011 herausgefunden, dass in den damals mehr als 6.000 Fitnessstudios in Deutschland fast ein Viertel aller Männer dopte. Menschen werden zu Maschinen. Auf Leistung getrimmt, gehen sie in den Wettstreit. Im Sport bestimmt die Rangliste den Erfolg, an der Uni machen Credit Points die Denkleistung vergleich- und messbar. Und in der freien Wirtschaft gilt ohnehin der Kampf „jeder gegen jeden“. Die Götzen, denen wir uns im Konkurrenztrieb unterzuordnen haben, heißen Effizienz und grenzenlose Selbststeigerung. „Work it! Make it! Do it!” Das französische Elektro-Duo Daft Punk lässt in seinem Song „Harder, Better, Faster, Stronger“ die verzückten Massen zum Sound der Optimierung tanzen. Im Musikvideo bauen Maschinen galaktische Musiker. Die Disco-Parolen werden durch Weltalloptik in die Zukunft verschoben. Dabei sind diese Ideen Teil unseres Alltags, seit protestantische Arbeitsethik und Kapitalismus die Welt in Beschlag genommen haben – befeuert vom
Geist der Aufklärung. Der allmächtigen Vernunft und ihrem Wissensdrang sind keine Grenzen gesetzt. Friedrich Nietzsche entlarvte dieses bedingungslose Bekenntnis zur Rationalität als einen neuen Glauben, den er zum Vorschein kommen sah; einen Platzhalter für eine leere Stelle, die der moderne Mensch in den Himmel gerissen hat. Dessen machttrunkener Geist konnte es nicht ertragen, einen Nebenbuhler zu haben. Gott musste sterben. Wie genau das passiert ist – Nietzsche löst das Rätsel nie ganz auf. Eines aber sagt er mit aller Deutlichkeit: „Dies Gefühl, das Mächtigste und Heiligste, was die Welt bisher besaß, getötet zu haben, wird noch über die Menschen kommen, es ist ein ungeheures neues Gefühl!“ Und es kam über uns. Zügellos haben wir uns die Erde Untertan gemacht. Doch die Verheißungen der Moderne bröckeln: Den Mars haben wir nicht besiedelt, der Glaube an saubere Energie aus Atommeilern ist dahin und die Weltformel kriegen wir auch nicht auf die Reihe. Der Gedanke des grenzenlosen Wachstums stößt überall an seine Grenzen. Trotzig zwanghaft weicht der vernunftbefeuerte Geist auf die letzte Bastion aus, die er noch seinem Willen unterwerfen kann: sich selbst – und seinen Untertan, den Körper. Immer weiter, lautet das Credo. Der moderne Mensch will das Optimum erreichen. Er ist selbst Gott geworden, schrieb Sigmund Freud vor dem Zweiten Weltkrieg: „Eine Art Prothesengott, recht großartig wenn er alle seine Hilfsorgane anlegt, aber sie sind nicht mit ihm verwachsen.“ Eine Gewissheit mit geringer Halbwertszeit. Cyborgs, Mischwesen aus Mensch und Maschine, sind längst Realität. Weil mancher mit seinen angeborenen Fä-
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higkeiten unzufrieden ist, implantiert er sich Nachtsichthilfen, Hörcomputer und Datenchips. Körper und Gehirn verschmelzen mit Steuerungstechnik; technische Eingriffe erweitern gezielt den eigenen Organismus. Mit Hilfe von Biotechnologie und Gentechnik entwerfen Forscher den Menschen der Zukunft: intelligenter, gesünder und stärker. Früher waren es die Götter, in die wir unsere Ideale gegossen haben; heute ist es der Blick nach vorne. Unersättlich streben wir nach Vollkommenheit, ohne zu wissen, wohin uns dieses Streben führt. Härter, besser, schneller, stärker – die Komparative geben die Richtung vor. Die bloße Steigerung wird zum Wert an sich, zum Selbstzweck. Das ist die Antwort des modernen Menschen auf die Herausforderungen seiner Zeit. Ich designe die Zukunft nach meinen kühnsten Fantasien, sagt der entfesselte Selbstoptimierer. Der Blick nach vorne kann so optimistisch sein wie im klinischen Kosmos von Star Trek. In den Episoden aus den 1980ern konnte der blinde Geordie La Forge, mit seinem VISOR ausgestattet, wieder sehen. Im selben Jahrzehnt zeichnete das japanische Manga-Epos „Ghost in the Shell“ eine düstere Dystopie. Die Protagonistin ist eine State-ofthe-Art-Cyborg. Nur noch ihr Gehirn ist menschlich. Per Direktdraht in die Synapsen hackt sie sich ins Netz und verschmilzt mit der virtuellen Welt, bis zur Selbstauflösung. Und das in einem kapitalistischen System mit seinem Gedanken der unbedingten und permanenten Profitsteigerung, der alle Lebensbereiche erfasst. Im Spiel der grenzenlosen Optimierung bleibt dem Einzelnen oft keine Wahl: Prescht einer vor und verschafft sich
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einen Vorteil – indem er dopt oder sich zur Maschine ausbaut – muss der andere nachziehen, um nicht auf der Strecke zu bleiben. Aus dem optimierten Selbst wird schnell das „erschöpfte Selbst“, wie der französische Soziologe Alain Ehrenberg es nennt. Es ist gezeichnet von Burnout und Depression. Wir müssen uns an unsere Umwelt anpassen, um zu überleben. Das ist nichts Neues. Der Mensch ist ein lernfähiger Trottel, „das nicht festgestellte Tier“, wie Nietzsche sagte. Er kann von Geburt an nichts, aber er kann alles lernen. Wachstum ist tief in uns verankert. Der Drang, besser werden zu wollen, ist nichts Verwerfliches. Doch die Welt des alles durchleuchtenden Rationalismus mit ihrer auf Effizienz getrimmten Ideologie überfordert uns. Sie setzt uns Ziele, die wir nicht erreichen können. Wie der Esel, der einer Karotte am Stock hinterher trabt, lechzen wir nach Perfektion. Das geht zu weit. Perfekt bedeutet „vollendet“. Das können wir nie sein. Es wäre an der Zeit, das zu akzeptieren. Ⅲ
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Ein Mann hört
Foto. Dan Wilton / Red Bulletin
Neil Harbisson ist Cyborg. Mit seinem Implantat, dem Eyeborg, kann er Farben hören, sogar Infrarot und Ultraviolett. Mit Technik erweitert er seine Wahrnehmung
1.
Text. Florian Falzeder
Sagt man zu Neil Harbisson „blau“, hört er den Ton Cis und denkt an Albert. Albert, das ist ein Junge, den er kennengelernt hat, als er mit Farben noch nicht viel anfangen konnte. Harbisson sieht die Welt in schwarz-weiß, er ist von Geburt an farbenblind. Aber seine Freunde haben ihm von Farben erzählt, so auch von Blau. Dass es eine kalte Farbe sei, aber auch eine sehr loyale. Informativ, königlich und maskulin. Wie Albert. Das Cis
ist vor zehn Jahren dazu gekommen. Seitdem kann Harbisson Farben hören. Seine Geschichte beginnt im Jahr 2003, in einem Hörsaal in England. Der Musikstudent hörte einen Vortrag über Kybernetik. Gesprochen hat Adam Montandon, ein Experte, der sich mit der digitalen Zukunft beschäftigt. „Es war die größte Veränderung in meinem Leben“, sagt Harbisson: Technologie nicht als Werkzeug, sondern als Teil von sich zu sehen.
2.
Neil Harbisson. Messias der jungen Cyborg-Szene 2. Moon Ribas. Harbissons Partnerin tanzt zu „Waiting for Earthquakes“ 1.
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Noch muss er alle paar Tage an die Steckdose Seinen Eyeborg verfeinert er Schritt für Schritt. 2004 hörte er die Farben noch über Kopfhörer, der Klang kam aus einem mehrere Kilogramm schweren Computer, den er auf dem Rücken trug. Seit 2010 sitzt ein Chip an seinem Hinterkopf. Heraus ragt eine schwarze Antenne, die sich über seine Pilzkopff risur biegt. Vor der Stirn, etwas oberhalb der Augen, hängt an der Antenne der optische Sensor, der die Farben einfängt. Als Nächstes plant Harbisson, den Chip direkt in den Schädelknochen integrieren zu lassen. Über Knochenschall kann er die Farbtöne präziser hören. Wenn das gemacht ist, will er die Elektronik in seinem Kopf mit körpereigener Energie laden. Eine mikroskopische Turbine soll aus seinem Blutfluss Strom erzeugen. Noch muss er alle paar Tage an die Steckdose. Es gab einen Punkt, von dem an er Farben genauer erkennen konnte, als es mit dem bloßen Auge möglich ist. Früher war es seine Partnerin Moon Ribas, die ihm Farben beschrieb – die beiden wuchsen zusammen in Barcelona auf, gingen zur selben Schule. „Wir alle sehen Farben“, sagt sie. „Aber auf einmal haben alle Neil gefragt, was für eine Farbe die Dinge haben.“ Auch sie begann zu experimentieren, am Anfang ebenfalls mit Farben: „Wenn du mit Neil zusammen wohnst, fühlt es sich so an, als ob es nichts als Farben gäbe.“ Dann wandte sich die Choreografin einem anderen Feld zu. Durch vibrierende Ohrringe spürte Ribas Bewegungen. Sie merkte, wie Menschen geschwindigkeitsmäßig aneinander kleben. In jeder Stadt gebe es ein bestimmtes Gehtempo: „Jeder, der losgeht, startet in dieser Geschwindigkeit.“ 2010 haben Ribas und Harbisson die Cyborg Foundation gegründet. Im Zentrum von Barcelona bauen sie eine Plattform für Menschen wie sich selbst auf, die ihre Wahrnehmung erweitern wollen. Das haben sie mit den sogenannten Grindern gemeinsam. Unter dem Stichwort Body- oder Bio-Hacking gibt es vor allem in den
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USA Menschen, die sich technisch ausbauen. Magnetische Implantate in den Fingerkuppen lassen sie zum Beispiel elektromagnetische Felder spüren – etwa, wenn die Mikrowelle eingeschaltet ist. Beide, die Grinder und die Cyborgs, wollen ihre Technik selbst bauen und sind der Meinung, dass sie frei und offen sein soll: „Wir wollen die Geräte öffnen, verändern und verbessern, so dass jeder seine eigenen, speziellen Sinne schaffen kann“, sagt Moon Ribas. So könne man sich gegenseitig helfen. Das sind Grundsätze der Hacker. Ursprünglich bezeichnete dieses Wort jemanden, der mit einer Axt Möbel baut. Ein Hack wurde in der Subkultur, die sich seit den 1960er Jahren um Computer und Technik bildete, zu einer besonders eleganten, intelligenten oder auch witzigen Lösung eines Problems. Hacker sind begeisterte Bastler und Tüftler, das Einhacken in Computernetze ist nur ein Nebenaspekt. Die Bio-Hacker greifen diese Ideen auf. Sie wollen an ihrem Körper basteln. Body-Hacking sei ein riesiges Gebiet, sagt Harbisson. Man könne seinen Körper mit allem hacken, sich etwa eine Gabel in die Hand bauen. „Was wir machen, ist aber sehr speziell, wir benutzen Kybernetik.“ Damit meint er Computertechnik, die mit dem Menschen kommuni-
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Die beiden kamen ins Gespräch und beschlossen, dass Klänge die beste Möglichkeit für Harbisson seien, Farben wahrzunehmen. 2004 war der Eyeborg fertig. Er verwandelt Farben in elektronische Klänge. Die erste Farbe, die Neil Harbisson hörte, war rot – sie wurde zu seiner ersten Lieblingsfarbe. Erst war alles unglaublich chaotisch. Aber langsam bekam er ein Gespür für die Welt, die sich ihm da auftat. Als der Halbbrite das erste Mal mit dem neuen Sinn in seine Heimatstadt Barcelona zurückkam, war er überwältigt. Vor allem Gaudís Park Güell mit seinen bunten Steinen war für ihn ein musikalisches Ereignis. Den Eyeborg hat er seitdem nicht mehr abgenommen. Er trägt ihn sogar beim Schlafen. Wenn er sich mal verschiebt, spricht er von einem Phantomgefühl. Ihm fehlt etwas, wenn der Eyeborg nicht an der gewohnten Stelle sitzt. Irgendwann begann er, in Farben zu träumen. Die elektronischen Klänge kamen nicht mehr aus dem Computer. Es war sein Gehirn, das die Töne erzeugte. Mensch und Technik sind eins geworden. 2004 durfte er auf seinem neuen Passfoto das Implantat tragen, nach längerem Marsch durch die Institutionen. Seitdem gilt er als der erste staatlich anerkannte Cyborg. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Raumfahrt. In den 1960er Jahren wollten der Wissenschaftler Manfred Clynes und der Mediziner Nathan Kline den Menschen technisch anpassen, damit er im All überleben kann. Harbisson mag diese Definition. Er will die menschlichen Sinne aber erweitern, um den Planeten Erde intensiver wahrnehmen und erkunden zu können. Sich an die Umwelt anzupassen und besser zu werden, ist für Harbisson grundmenschlich.
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ziert. Eine Beinprothese oder eine Brille tun das nicht. Und die Cyborgs verfolgen ein bestimmtes Ziel. Sie wollen Kunst mit ihren Sinnen machen, die sie selbst als Kunstwerke betrachten. Es gibt Gruppen, die über leuchtende Zähne Taschenlampen ersetzen wollen oder an einem internen Kompass arbeiten. Ihr neuestes Projekt nennt sich Seismic Sense – ein Sinn für Erdbewegungen. Moon Ribas trägt ein Armband, über das Internet ist es mit Seismografen verbunden: „Das ist eine echte Verbindung zur Erde, und das ist aufregend!“ Wenn die Erde bebt, vibriert das Gerät. Ribas hat das Gefühl, dass wir uns nicht gut an unseren Planeten angepasst hätten. Die Erde bewege sich, sie lebe. „Wir begreifen das nicht und bauen all diese Städte.“ Sie hat dieses Bild im Kopf, dass die Erde darunter atmen will. In ihrer Performance „Waiting for Earthquakes“ tanzt sie zu Erdstößen, die ein Beamer an die Wand wirft. Oder auf ihren Körper, wenn sie mit fließenden, bebenden Bewegungen ins Bild schwebt.
Seit er den Chip am Hinterkopf trägt, kann er das nahe Spektrum von Infrarot und Ultraviolett hören. Wenn der Eyeborg erst mal in seinen Schädel integriert ist, hoff t er auf noch mehr, bisher nicht gekannte Farben. „Ich werde sie erst noch benennen müssen.“ Und er wird zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder tauchen können. Bislang kann sein Implantat zwar nass werden, es ist aber nicht vollkommen wasserfest. Harbisson ist gespannt, wie die Farben unter der Meeresoberfläche klingen. Ⅲ
Melodien werden zu Farben
Angeschlossen. Der Cyborg lädt sich auf
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Der Musiker Harbisson gibt Gesichtskonzerte. Aus den Klängen von Augen, Lippen, Haaren und Haut baut er Melodien und Rhythmen. Wenn die Musik nicht gut klinge, sagt er, sei das nicht seine Schuld. Das Gesicht ist einfach dissonant. Er geht aber auch in die andere Richtung. Musikstücke und Reden werden zu Farbsequenzen, die er zu rechteckigen Bildern malt. Farben und Klänge – für Harbisson sind sie eins. Justin Biebers Lied „Baby“ ist pinklastig. Gerne stellt Harbisson die Bilder zweier Reden unkommentiert nebeneinander und lässt das Publikum raten. Die eine ist Martin Luther Kings „I Have a Dream“. Die andere ist von Hitler. Die meisten liegen falsch. Hitler ist bunter. Rot ist nicht mehr Harbissons Lieblingsfarbe. Nach ein paar Jahren hat er sich im Supermarkt eine Aubergine angehört und war überrascht; er hatte immer gedacht, sie wären schwarz. Aubergine wurde eine Zeit lang seine neue Lieblingsfarbe. Heute ist es Infrarot, der tiefste Ton, den er wahrnehmen kann: „sehr entspannend“. Außerdem finde man ihn an interessanten Orten. Zum Beispiel, wenn ein Bewegungsmelder in der Nähe ist.
Mehr Geschichten und Hintergründe zu Cyborgs im EGO-Webdossier
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Schlagzeilen – mal macht man sie, mal kriegt man welche.
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In der Toskana wollen Aussteiger zur체ck in die Zeit vor der Industrialisierung. Zwischen Lehmh체tten und Kr채uterg채rten suchen sie ein besseres Leben. Eine Reise zum Volk der Elfen Text. Tatjana Kerschbaumer | Fotos. Christina Metallinos
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Eingang. Für Aussteiger 2. Marco. Kein Sensenmann 3. Schulpflicht. Gibt es nicht 1.
Eine Führung durch Avalon beginnt immer gleich, an einer Holzstange, an der gut zehn Feldhacken hängen. „Wenn du Kacka machen musst, nimm dir eine, grab ein Loch und geh einfach irgendwo“, erklärt Layla. Die ehemalige Exportmanagerin lebt seit sechs Wochen in Avalon, ihr Businesskostüm hat die große Frau gegen ein braunes Leinenkleid und Holzketten getauscht. Layla deutet mit der Hacke auf den steilen Abhang kurz oberhalb einer Wäscheleine: „Ich geh immer da. Aber eigentlich ist es egal, man kann überall gehen.“ Sie überlegt kurz, ihre dunklen Augen flackern: „Naja, vielleicht nicht im Gemüsegarten.“ Avalon ist nicht die Insel aus der Artus-Sage, sondern ein von Aussteigern so getaufter Ort in der Toskana. Er liegt in der Provinz Pistoia, versteckt auf einem Hügel zwischen Oliven- und Walnussbäumen. Dort steht ein verfallenes Haus, umringt von mehreren Lehmhütten. Wilde Hunde streunen durch hohes Gras. Wer hierher kommt, hat keine Lust mehr auf ein strikt geregeltes mitteleuropäisches Leben, auf feste Arbeit oder Wohnen in der Stadt. Jeder, der sich so von der Welt abwenden will, wird in Avalon herzlich aufgenommen und umarmt. Die dreißig Dorfbewohner, die sich selbst wegen ihrer Naturverbundenheit Elfen nennen, fragen den Reisenden in mindestens fünf Sprachen, woher er kommt und wie lange er bleiben will. Und ob es ihm eventuell ernst ist – die Sache mit dem „Elf werden“.
Seit mehr als 30 Jahren praktizieren die Elfen ihre Version einer Mikrogesellschaft. Sie haben sich ganz der Rückkehr zur Natur verschrieben. Das optimale Leben stellen sie sich schlicht vor: ohne Ausbeutung der Umwelt, ohne Profitgier, ohne Industrie und Kapital. Weil heute kaum mehr jemand ohne diese Einflüsse aufwächst, wird die Gesellschaft in den Augen der Elfen immer schlechter. Sie meiden deshalb fast alles Moderne, um ein einfaches Landleben zu führen und sich möglichst autark zu versorgen. Clara, die seit sieben Jahren bei den Elfen lebt, zitiert ihr gemeinsames
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Hexenzimmer. Hier werden Heilkräuter getrocknet 5. Küche. An den Steckdosen hängen manchmal Ladekabel 4.
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Motto: „We change ourselves to change the world.“ Sie selbst arbeitet schon seit Jahrzehnten an sich und ihrer Bindung zu Mutter Natur – ein Prozess, den sie „aufmachen“ nennt. Doch erst seit sie sich zu den Elfen zurückgezogen hat, ist sie ganz mit sich im Reinen: „Jetzt geht es mir endlich gut.“ Im Jahr 2013 ist der radikale Rückzug von der Zivilisation gar nicht so einfach, erst recht nicht in einer beliebten Urlaubsregion wie der Toskana. Die Elfen von Avalon haben Nachbarn. Gegenüber wohnt eine ältere deutsche Dame, deren azurblauer Swimming-Pool ins Dorf herüberfunkelt. Auf dem
macht, ist seine Sache.“ Marco stockt kurz. „Oder er geht dafür auf das Nachbargrundstück. Aber an den Gemeinschaftsorten wollen wir das nicht.“ Er widmet sich wieder dem Rasenmäher. Hinter seinem schmalen, gebeugten Rücken läuft ein etwa 20-jähriger Elf vorbei, der etwas raucht, das wie eine ganze Cannabis-Plantage riecht. Clara kennt die wilden Geschichten von früher auch. „Es gibt natürlich immer noch Leute hier, die Drogen
Foto. Inês Querido
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Hügel oberhalb des Elfendorfs hat sich ein reicher Schweizer einen Palazzo bauen lassen. Die Fensterläden dort sind aber meistens zu. „Wirklich abgeschieden sind wir nur in den Bergen“, sagt Clara. Einige Kilometer entfernt gibt es nämlich noch 250 weitere Elfen, die verlassene Bauernhäuser im Appenin besiedelt haben. Sie leben angeblich noch viel karger als ihre Kollegen in Avalon. „Wir haben hier sogar Strom und fließendes Wasser“, sagt Clara, „also echten Luxus.“ Der Luxus ist ein viel diskutiertes Problem in Avalon. Jeder Elf hat eine andere Vorstellung, wie viel davon legitim ist. Davide, ein großer, schlaksiger Theaterwissenschaftler mit hohlen Wangen, regt sich schon über den Rasenmäher auf, mit dem die Elfen seit einiger Zeit die Olivenhaine pflegen. Es gäbe schließlich auch eine Sense. So mancher Elf telefoniert aber auch heimlich mit einem äußerst modernen Smartphone. Ab und zu werden Ladekabel an den Steckdosen der Gemeinschaftsküche vergessen.
Drogen sind unerwünscht – zumindest „weitgehend“ Marco sieht die Situation nicht ganz so eng. Er ist kein dauerhafter Elf, hält sich aber seit Jahrzehnten oft in ihrer Gemeinschaft auf. Für Marco ist immer ein Bett im Schlafsaal frei, in dem die Elfen Besucher unterbringen. Davides Protesten zum Trotz repariert er in aller Seelenruhe den Rasenmäher. „Nicht die Zündkerze“, brummt er, „muss der Ölfilter sein.“ Während Marcos schlohweißer Pferdeschwanz auf und ab wippt und er mit seinen knochigen Händen den Ölfilter ausbaut, verschwindet Davide schimpfend im Garten. Marco grinst ein verschmitztes Großvatergrinsen, das seinen einzigen Zahn sehen lässt. Obwohl er auf seine selbstgedrehten Pueblo-Zigaretten nicht einmal beim Ölfilterwechsel verzichten will, sagt er, dass er von Drogen nicht viel halte. Früher soll es in Avalon noch echte Exzesse gegeben haben. Jetzt sei das anders, sagt Marco: „Alkohol und Haschisch sind weitgehend verboten. Wir trinken ab und zu eine Flasche Wein zusammen, aber nur, wenn es für alle in Ordnung ist.“ Weitgehend verboten? „Naja. Wir sagen, was einer in seinen Privaträumen
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Clara. Eine Heilkundige 2. Mario. Gründer der Elfen 3. Aneta. Auf Durchreise 1.
nehmen; um sich zu öffnen, um frei zu sein. Aber das macht nicht frei. Das ist letzten Endes nur eine Abhängigkeit.“ Clara muss es wissen. Sie hat in Triest Pharmazie studiert und anschließend lange in diversen Berliner Apotheken gearbeitet. Irgendwann hat sie der Schulmedizin den Rücken gekehrt. „Weil ich mit klassischer Pharmazie nichts Gutes tue.“ Seitdem ist ihr Lieblingsthema die Geburt. „Eine Mutter sollte am besten allein gebären“, sagt sie. „Jede weitere Person stört nur.“ Und: „Wenn ich an Krankenhäuser denke, muss ich weinen. Diese Kälte, schon bei der Geburt: Das kann auf die Dauer nicht gut gehen.“ In Avalon hat Clara seit sieben Jahren das Amt der Medizinfrau inne. Werdenden Müttern rät sie, sich in ihre Hütten im Wald zurückzuziehen, sobald die Wehen einsetzen. Im „Hexenzimmer“ des Dorfs trocknet sie Kräuter und setzt Öle an. Mit ihnen behandeln die Bewohner ihre Wehwehchen – wie beispielsweise den Keuchhusten, den Kinder wie Erwachsene seit Monaten haben. Zum Arzt geht ein echter Elf nur in absoluten Notfällen. Lieber wendet er sich an eine Heilkundige wie Clara. „Ich war seit dreißig Jahren nicht beim Arzt“, sagt Mario Cecchi, wenn man ihn nach seiner Haltung zur Medizin fragt. Er ist der einzige Elf mit einem offi ziellen Nachnamen. Das hat einen Grund: Zusammen mit drei Freunden hat er das Volk der Elfen vor mehr als dreißig Jahren gegründet. Obwohl die Elfen eigentlich keine Hierarchie haben, ist Cecchi zumindest in Avalon die absolute Autorität, der Ur-Elf, der Über-Elf. Früher traf er die meisten Entscheidungen des Dorfs im Alleingang. Heute überlässt er das dem Circolo, einer Versammlung aller dauerhaften Elfen. Stattdessen erzählt er lieber stundenlang in nuschelndem Genueser Dialekt, wie er als kleiner Junge seine Liebe zum Land entdeckte und mit Anfang 20 in seine
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Schleppend. An Sense oder Rasenmäher scheiden sich die Geister. Beim Heutransport ist man sich einig
erste Kommune zog – irgendwo im Piemont. „Es waren wilde Zeiten“, sagt er, berichtet von freier Liebe und nackten Menschen. Irgendwann wurde es ihm zu viel nackte Haut und zu wenig Arbeit: „Keiner war vom Landleben so begeistert wie ich.“ Cecchi besetzte mit seinen Freunden verlassene Häuser in den Bergen um Pistoia. Fast zwanzig Jahre hat er dort verbracht, bevor er durch Zufall auf das verwahrloste Grundstück aufmerksam wurde, auf dem sich heute Avalon befindet. Er kaufte es vom Erbe seines Vaters, siedelte irgendwann von den Bergen nach Avalon über: „Es ist wirklich bequemer hier.“
Das Volk der Elfen breitet sich aus – weltweit Wenn er den Blick über sein Anwesen schweifen lässt, sieht Cecchi ein bisschen aus wie Yoda aus Star Wars, nur mit Bart. Er hat ein einnehmendes Wesen, kluge Augen und drängt niemandem seine Sicht der Dinge auf. Doch nach einem dieser sehr ruhigen, langsamen Gespräche mit ihm, die fast schon Audienz-Charakter haben, sind Neuankömmlinge oft versucht, ihm einfach alles zu glauben. Dann fallen Sätze wie: „Er ist ein beeindruckender Mann“, „Er ist ein Vorbild“, „Alle sollten so sein wie Mario.“ Die neuen Elfen erkennt man daran, dass sie noch Unterwäsche unter ihren dünnen Leinenkleidern tragen. Jeder von ihnen macht schnell Bekanntschaft mit Mario. Ja, man habe mit ihm gesprochen. Unglaubliche Persönlichkeit. Trotzdem ist Avalon für manche von ihnen nur eine weitere Station – zwischen jugoslawischem Bürgerkrieg, Familie in Kolumbien und Arbeit als Erntehelferin in der Schweiz. Die Frau mit diesem Lebenslauf heißt Aneta und weiß nicht, wie lange sie bleiben möchte: „Vielleicht ein paar Monate.“ Dass die Elfen entgegen westlicher Konvention keinen Wert auf Schulbildung legen, ist ihr und ihrer sechsjährigen Tochter Mariana nur recht. Wohin sie auch geht, Aneta nimmt ihre Tochter einfach mit. Oder will sie übergangsweise bei ihrer eigenen Mutter in Serbien unterbringen. Dass Mariana eigentlich nur Spanisch spricht, macht ihr keine Sorgen. Es sind ihre Kinder, auf die die erwachsenen Elfen alle Hoffnungen setzen. Das älteste Elfenkind ist mittlerweile 28 Jahre alt, das jüngste erst wenige Tage. Werden die Elfen nach den Berufen der Kinder gefragt, schweigen sie oder schütteln die Köpfe. Dann erklären sie, dass ihre Kinder durch die Welt reisen, Festivals organisieren oder bei großen Veranstaltungen Pizza backen. Marco, der endlich den Rasenmäher wieder zum Laufen gebracht hat, sagt: „Sie sind in Brasilien, in ganz Lateinamerika, eigentlich überall auf der Welt. Sie kaufen Land, um ähnliche Projekte wie Avalon aufzubauen.“ Woher das Geld für die Landkäufe stammt, darüber schweigt er; darüber schweigen hier alle. Es gibt aber Gerüchte, dass gerade spätberufene Elfen oft schon beachtliche Karrieren hinter sich haben. Entsprechenden Verdienst inklusive. Teresa, die Frau von Technik-Skeptiker Davide, hat sich unterdessen in ihr gemeinsames Zelt im Wald zurückgezogen. Sie ist hochschwanger, das Kind hat sich bereits gesenkt. „Dauert nicht mehr lange“, sagt Clara. Dann wird ein neuer Elf geboren. Ⅲ
Von Schotterstraßen und Tankstellen-Interviews: Eine Audio-Slideshow zeigt den EGO-Trip nach Avalon
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Bildung stärken
Talente fördern
Wie funktioniert der genetische Fingerabdruck? Wie wird aus flüssigem Kunststoff eine Sportbrille? Als „Forscher für einen Tag“ können interessierte Kinder und Jugendliche Antworten auf spannende Fragen selbst herausfinden: in den „Baylabs“, den Schülerlaboren von Bayer. Darüber hinaus unterstützt die Bayer Science & Education Foundation innovative Projekte für einen attraktiven naturwissenschaftlichen Unterricht. Dafür stellt die Stiftung Schulen im Einzugsgebiet jedes Jahr rund 500.000 Euro zur Verfügung. Seit Jahrzehnten ist Bayer zudem Partner des Schülerwettbewerbs „Jugend forscht“. So fördern wir die Talente von jungen Menschen. Für eine starke Bildung in Deutschland. www.bayer.de
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Das Brillen-Dilemma
Warum wir manchmal nicht besser werden wollen Text. Martin Moser | Illustration. Julia Emslander
Kurz vor dem Abitur tauchen sie plötzlich auf: die Führerschein-Brillenträger. Der beste Kumpel sitzt plötzlich mit Kassengestell hinterm Steuer. Die braunen Rehaugen der süßen Blondine verschwinden auf einmal hinter schwarzer Nerd-Brille. Bis es einen schließlich selbst triff t: Fahrschule, im Sehtest durchgefallen, Brillenpflicht aufgebrummt bekommen. Ist ja nur fürs Autofahren, windet man sich raus. Schnell wieder ins Handschuhfach damit. Im Alltag aufsetzen? Um Gottes willen, nein. Man steckt im Optimierungs-Dilemma: Sehkraft oder Eitelkeit? Was brauchst du schon das hässliche Ding, spricht dann das angekratzte Ego. Mit ein paar Augenübungen, viel Karottensaft und anderen Hausmittelchen geht das schon vorbei. Mit jedem Gang zum Augenarzt nimmt diese Hoff nung ab. Man kennt das ja: Es beginnt mit einer halben Di-
Einer von tausenden Stefan Müllers zu sein, kann nerven. Gemeinsam in einem Telefonbuch mit Rainer Zufall und Margarete Sex wird Stefan Müller aber zugeben, mit seinem Namen ziemlich gut dran zu sein. Wir sagen euch, was ihr beachten müsst, wenn ihr euren Namen ändern wollt. Und warum Stefan Müller sich nicht Beckenbauer nennen darf
optrie. Dann eine, dann zwei, dann drei und schwupps bleibt die Brille für immer auf der Nase. Sich einzugestehen, dass man doch nicht ganz perfekt ist, die eigenen Augen langsam trüber werden, ist schon schwer genug. Aber den anderen das andauernd mit diesem Ding auf der Nase zeigen? Ein Permanent-Outing. Die Brille scheint zu schreien: Hallo, seht her, der ist nicht perfekt. Glotzt den mal an. Blick für Blick fühlt man sich immer weniger perfekt – ein Graus. Dabei schauen einem die Leute nur ganz normal in die Augen. Da steht man lieber weiter verzweifelt im Supermarkt und mikroskopiert das Haltbarkeitsdatum auf dem Joghurtbecher. Die Brille bleibt in der Tasche, die Sicht trübe. Bislang ging es ja ganz gut ohne – irgendwie. Zurück im Auto, die Brille auf. Der Joghurt ist noch eine Woche haltbar: sechs Packungen Erdbeere – man wollte Pfirsich. Ⅲ
Theo Retisch moglich Heute im Angebot. In Deutschland gibt es bekanntlich nichts umsonst, auch keine neuen Namen. Für einen neuen Vornamen werden in der Regel 250 Euro fällig, ein Nachname kostet bis zu 500 Euro. Die Änderung seines Namens bei Banken, Arbeitgebern und Vermietern muss jeder selbst beantragen.
No VIPs, please. Egal wie langweilig oder lustig ein Name vor der Änderung war – auch hinterher darf kein Eindruck falscher Prominenz erweckt werden. Namenswünsche wie Beckenbauer oder Lagerfeld sind tabu, ebenso die Annahme eines Adelstitels. Die Wahl eines neuen Vornamens ist frei, beim Nachnamen gilt: Er sollte schon einmal im Familienstammbaum aufgetaucht sein.
Ab zum Amt. Wer seinen Vor-, Nach- oder gleich beide Namen ändern will, muss dies beim Standesamt beantragen. Warum? Namensänderungen gelten immer als Ausnahmeentscheidungen. Der Staat fürchtet nämlich, dass ihm Identitäten verloren gehen, wenn sich seine Schäfchen zu oft umbenennen.
Vorteil für Deutsche. Obwohl Ausländer, die in Deutschland leben, zum Beispiel kommunal wählen dürfen: Wenn sie einen für deutsche Zungen unaussprechlichen Namen haben, sind sie im Nachteil. Bei deutschen Behörden können sie ihren Namen nicht ändern lassen. Sie müssen weiterhin Krzysztof Szewczyk heißen.
Schlüpfrig und schwierig. Stefan Müller hat schlechte Chancen auf eine Namensänderung. Nur weil ein Name häufig ist, berechtigt er seinen Träger nicht dazu, ihn abzulegen. Anerkannte Gründe für eine Änderung sind vor allem mögliche Wortspiele (Theo Retisch) oder schlüpfrige Bemerkungen (Anne Wäsche). Auch die schwierige Schreibweise eines Namens gilt als guter Grund, einen neuen zu wollen.
Text. Tatjana Kerschbaumer
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Immer im Dienst
Johannes Prünte widmet sein Leben dem Glauben. Er ist Mitglied des Opus Dei und arbeitet an dem Ziel, Christus ähnlich zu werden. Ein Besuch Text. Marian Schäfer | Fotos. Wolfgang Maria Weber
Der junge Mann, der heilig werden will, trägt das blaue Polohemd ordentlich in die beige Hose gesteckt. Er sitzt im Wohnzimmer einer Münchner Altbauwohnung, teures Schwabing, das Siegestor nur 160 Meter entfernt. Mit zwei anderen Männern wohnt er hier, lebt streng den apostolischen Zölibat. Sein eigenes Zimmer misst vielleicht acht Quadratmeter, das Bett ist tagsüber hochgeklappt. Es kommt vor, dass er es abends nicht aus der holzgetäfelten Wand holt, sondern auf dem Boden schläft. Unannehmlichkeiten, die seine Liebe zu Gott beweisen sollen, immer wieder. Er opfert sich auf, lebt ein gottgefälliges Leben. Die Konturen verschwimmen, der Mensch verblasst; mit jedem Satz, den Johannes Prünte mit „Wir Christen“ oder „Der Christ“ beginnt, wird seine Person zu einer Rolle, die streng nach Plan funktioniert. Er würde das so nie sagen, nicht einmal so sehen, sondern von einer Aufgabe sprechen, die er zu erfüllen hat, jeden Tag, mit dem Ziel, Gott ähnlich zu werden. „Jeder getaufte Mensch ist dazu berufen, heilig zu werden“, sagt er. Es sollte ein persönliches Gespräch werden, aber das ist es nicht. Das Ich kommt kaum vor, kann es vielleicht auch nicht, weil das Christsein alles überschattet. Es ist die Rolle seines Lebens. Johannes Prünte ist 26 Jahre alt, er ist in Augsburg aufgewachsen, streng katholisch erzogen worden. Seine Eltern sind Mitglieder des Opus Dei, jeden Sonntag ging es in die Messe, es wurde viel gebetet. Mit 16 Jahren flachte das Interesse an der Kirche ab. „Wie das in dem Alter so ist: Man praktiziert ein bisschen vor sich hin, sinkt zwar nicht unter ein
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bestimmtes Niveau, aber natürlich ist das ziemlich herzlos“, sagt er. Wenn der Münchner „man“ sagt, meint er „ich“. Es ist die größte Nähe, die Johannes Prünte zulässt. Als er 20 Jahre alt war und seinen Zivildienst in Nigeria ableistete, umgeben von praktizierenden Christen, fällte er die Entscheidung, selbst Mitglied beim Opus Dei zu werden. Er bat um Aufnahme und wählte die Ganzhingabe an Gott. Seitdem führt er ein Leben in Sühne und Enthaltsamkeit. „Die Entscheidung dafür fällt beim Gebet. Es kommt kein Engel, der dir sagt, was richtig für dich ist. Es bleibt eine Unsicherheit, aber das ist wie vor einer Hochzeit“, sagt er – ohne wissen zu dürfen, wie es sich vor einer Hochzeit tatsächlich anfühlt. Er lebt auf bei diesen Erzählungen, überwindet seine Müdigkeit, die der Nacht zuvor geschuldet ist. Bis in die frühen Morgenstunden hat er an seiner Diplomarbeit gearbeitet, gab sie dann ab, um das Studium der Architektur an der Technischen Universität mit dem Modell eines Volkshauses abzuschließen. Es musste perfekt sein, alles andere hätte dem Kerngedanken des Opus Dei widersprochen: dass der Christ Gott nicht nur in der Heiligen Messe nahekommt, sondern auch im Alltag, in der Arbeit, in der Familie. Alles wird zum Gottesdienst, weshalb Mitglieder des Opus Dei auch alles, was sie machen, besonders gut zu machen versuchen – sie heiligen die Arbeit, die Familie, den Alltag. „Ich kann Gott keine Schlamperei anbieten und sagen: passt schon“, sagt der Student. Im „Werk Gottes“, wie Opus Dei übersetzt heißt, ist das Bildungsbürgertum zuhause. Nur zwei Prozent der Mitglieder sind Priester, gut 80 Prozent so genannte Supernumerarier, Frauen und Männer also, die in Familien leben wie die Eltern des 26-Jährigen. Die restlichen gut 20 Prozent sind Numerarier wie Johannes Prünte, die zölibatär und nach Geschlechtern getrennt in Wohngemeinschaften leben. Sie sind für die christliche Bildung innerhalb der Organisation hauptverantwortlich. Die Zeit, die sie nicht einer Familie widmen müssen, sollen sie Gottes Werk widmen. Dafür führen sie ein einfaches, ihrer Meinung nach zutiefst christliches Leben, geben einen Großteil des Geldes ab, das sie mit ihrem Job verdienen. „Wir haben natürlich das Ziel, den Glauben zu verbreiten. Und diese apostolischen Initiativen kosten Geld“, sagt Johannes Prünte. Seine Ausgaben legt er offen. Und es kann durchaus passieren, dass Nachfragen kommen: „Wenn ich mir ein Rennrad für 3500 Euro kaufen wollte, würde sicher gefragt werden, ob das der Tugend der Klugheit entspricht, ob also nicht auch eins für 800 Euro reicht, um einmal in zwei Wochen zu fahren“, sagt er.
Johannes Prünte führt jetzt durch die Wohnung, zur kleinen Privatkapelle, die vom Wohnzimmer nur durch eine Schiebetür getrennt ist. „Man lebt mit Gott in einem Haus. Wer hat das schon?“, fragt er, lacht kurz und zeigt auf das Ewige Licht, das links neben einem Kruzifi x aus dem 17. Jahrhundert flackert. Das Altarbild malten russischstämmige Künstler, der Tabernakel wird von einem prächtigen Velum, einem liturgischen Tuch bedeckt, das der 26-Jährige so sanft beiseite legt, als könnte er Gott jeden Moment verscheuchen, als sei das Allerheiligste ein scheues Reh. Nicht viel erinnert hier an das Bild, das Dan Brown in dem Roman „Sakrileg“ zeichnet: Von einem katholischen Geheimbund, dessen Mitglieder Schlüsselpositionen in der Gesellschaft besetzen, nach der Weltherrschaft greifen und sich geißeln bis aufs Blut. „Voll daneben, abschreckend und absurd“, sagt Johannes Prünte. Er spuckt den Satz aus, nennt den Film zum Buch infantil. Opus Dei demonstriert seither jedenfalls Offenheit, versucht, wieder als Laienorganisation wahrgenommen zu werden, der weltweit etwa 90.000 und in Deutschland rund 600 Mitglieder angehören. Trotz der überschaubaren Größe soll Opus Dei viel Macht innerhalb der katholischen Kirche Johannes Prünte haben. Der verstorbene Papst Johannes Paul II. gilt als ein großer Förderer, gar als Fan der reinen, ultrakonservativen Lehre, die das Werk praktiziert. Er soll Mitglieder des Opus Dei in entscheidende Positionen gebracht haben. Johannes Prünte fehlt diese Vorstellung eines allmächtigen Papstes vollkommen. „Die Hierarchie in der Kirche ist nicht wie eine Pyramide, an deren höchstem Punkt der Papst steht“, meint er und faltet seine Hände zu einem Dreieck, die Finger nach oben spitz zulaufend. „Sie ist mehr wie ein Trichter, an dessen unterster Stelle der Papst steht, der den Christen dient“, sagt er und passt seine Hände dem Gesprochenen an. Mitglieder wie Johannes Prünte wissen, dass die Kirche ihre Macht über den Alltag der Gläubigen stetig verliert. „Es gibt für einen Christen die Versuchung, ein Doppelleben zu führen und den Glauben nach der Messe an der Garderobe abzugeben“, sagt er. Der Münchner findet das falsch: „Christus sagt zu den Menschen: Ihr gehört mir, ganz. Er sagt nicht: ein bissl und dann passt das schon. Gott will alles, er ist ein fordernder Gott.“ Die Vorstellung aber, dass jeder heilig werden könne, schockiere viele:
Ⅲ Christus sagt nicht: ein bissl und dann passt das schon. Gott will alles, er ist ein fordernder Gott Ⅲ
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Serviam. „Ich werde dienen.“ Johannes Prünte führt ein Leben für Gott 2. Labora. Studieren als Gottesdienst 3. Ora. Gebet in der privaten Hauskapelle 1.
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„Die Heiligkeit ist kein Zustand permanenter Verzückung – der Mensch faltet nicht die Hände und schwebt über den Boden. Sie besteht darin, jeden Tag an sich zu arbeiten.“ Johannes Prünte arbeitet jeden Tag an sich. Für Numerarier wie ihn ist es oberste Pflicht, einem Lebensplan zu gehorchen. Dazu gehören 30-minütige Gebete morgens und nachmittags, der tägliche Besuch der Heiligen Messe mit Empfang der Kommunion, der Rosenkranz und zwei Lesungen. Wöchentlich steht die Beichte an, Vertiefungsgespräche in der Gemeinschaft und mit einem geistigen Leiter, meist einem älteren Numerarier, der einem Schwächen und Stärken aufzeigt, sagt, woran man noch arbeiten muss: „In diesen Gesprächen schaut man, ob man den Geist des Opus Dei gut gelebt hat. Nicht, dass die Leute in 50 Jahren etwas ganz anderes leben.“ Alles muss bleiben, wie es ist und wie es schon immer war, auch was Riten betriff t, die aus der christlichen Praxis so gut wie verschwunden sind: die Selbstkasteiung, das tägliche Tragen des
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Bußgürtels, die wöchentliche Selbstgeißelung. Prünte kann die ständige Kritik daran nicht verstehen: „Es ist verblüffend, dass in einer Zeit, in der so viele Menschen ihren Körper quälen, durch Diäten, Fitnessstudios und Schönheits-OPs, dass in dieser Zeit so davor zurückgeschreckt wird“, sagt er und vermutet: „Weil es keine Abtötung ist, um anderen zu gefallen, sondern Gott.“ Es sind diese Momente, in denen deutlich wird, wo die Konfliktlinien verlaufen: Der Glaube soll sich dort bewähren, wo Johannes Prünte lebt, wo er arbeitet, so, wie es der Opus-Dei-Gründer Josemaría Escrivá 1928 als Grundsatz festgeschrieben hat. Aber die Zeiten haben sich geändert und Johannes Prünte gibt zu, dass es heutzutage schwieriger ist, die christlichen Tugenden so zu leben wie vor 80 Jahren. „Man geht durch die U-Bahn und alles ist voll mit Bildern von Frauen, die wie Objekte dargestellt werden“, sagt er mit Abscheu im Gesicht und meint schließlich: „Natürlich kann ein Fisch in einem dreckigen Tümpel sagen: Hier fühle ich mich nicht wohl. Hüpft er aber aus dem Wasser raus, ist er tot.“ Ⅲ
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Wenn Wahlkampf ist, kann Guido Paefgen sein Werk an jeder Straßenecke bewundern. Der Mann, dessen Arbeit unsichtbar sein soll, kann dann durch Rheinland-Pfalz fahren, von überallher lächeln Politikergesichter von den Plakaten, und Paefgen denkt sich oft: „Die hab ich gemacht und den hab ich auch gemacht.“ Gemacht heißt geschminkt. Grundieren, Make-up drauf, Falten kaschieren, müde Stellen finden und verschwinden lassen. „Ein bisschen optimieren, wie wir so schön sagen“, beschreibt der Maskenbildner seine Arbeit, die sich an Parteigrenzen nicht hält, „ich bin ja käuflich“. Eigentlich hat Paefgen Urlaub an diesem Tag. Aber was heißt das schon, wenn man Chefmaskenbildner am Mainzer Staatstheater ist und nebenher freiberuflich arbeitet. Er habe den ganzen Tag Dreh, schreibt er per SMS, aber vielleicht könne man in der Mittagspause kurz sprechen. Man erwischt ihn dann am frühen Nachmittag telefonisch, in einer Drehpause des Wiesbadener Tatorts. Gerade hat er noch Schauspieler gemacht, jetzt soll es um Politiker gehen. Paefgen erzählt von Kurt Beck. Den langjährigen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz hat Paefgen nicht oft gemacht, fünfmal vielleicht. Aber wenn, dann waren es für Beck „einschneidende Ereignisse“. Am Tag, nachdem Beck vom SPD-Vorsitz zurückgetreten war, machte er ihn, und auch, als der Ministerpräsident im September 2012 eilig eine Presskonferenz anberaumt hatte, um seinen Rücktritt zu erklären. „Das Telefon hat geklingelt, die haben gefragt, ob ich spontan in die Staatskanzlei kommen kann.“ Er hatte Zeit, also fuhr der Maskenbildner rüber zur Staatskanzlei, puderte Beck und dessen Nachfolgerin Malu Dreyer ab, bevor beide vor die
Fotografen traten. „Der Blitz ist stark, die Auflösung ist hoch“, sagt Paefgen. Es sei seine Aufgabe, Politiker vor dem „brutalen Realismus der Kameras“ zu schützen. Politiker wollen gut aussehen. Im Moment des größten Triumphs, vielleicht noch mehr im Moment der größten Niederlage. Sie wollen glänzen, aber nicht transpirationsbedingt. Dass sie sich dafür Profis zur Seite holen, ist für viele ein Thema, über das man nicht spricht. Das soll hinter verschlossenen Türen ablaufen, weil Politik echt sein oder zumindest echt wirken soll. Da passt das ganze Make-up nicht. Im Grunde sei es immer das Gleiche, sagt Paefgen: „Politiker wollen’s nicht übertreiben, man soll nicht sehen, dass sie geschminkt sind. Eine natürliche Eitelkeit.“ Es sei schon vorgekommen, dass ein bekannter Politiker stets eigenes Make-up dabei hatte. Er habe seinen Ton halt gefunden, sagte dieser. Wer das war, will Paefgen nicht sagen. Weil es ein Mann war. Überhaupt, Männer. Die stellten sich manchmal ziemlich an. Vor allem in der Kommunalpolitik – Gemeinderatskandidaten, also „Feierabendpolitiker“, wie Paefgen sie nennt. Männer, die noch nie geschminkt worden seien, von denen aber offizielle Fotos oder Bilder für die Wahlwerbung gemacht werden sollen. Da wird der Kampf gegen den brutalen Realismus der Kameras oft zum brutalen Kampf gegen das Selbstverständnis der Kandidaten. „Ich will nix und ich brauch’ nix. Die Leute kennen mich so“, solche Sätze hört Paefgen oft. Dann muss der Maskenbildner überzeugen, muss das mit dem Blitz erklären und das mit der hohen Auflösung. Meistens ergeben sie sich dann. „Von den 500 oder 600 Politikern, die ich gemacht habe, hat nur einer gesagt: Nö, will ich nicht.“ Es war aber keines von diesen störrischen Mannsbildern, die um ihre männliche Glaubwürdigkeit fürchten. Es war eine Frau, die sich noch nie geschminkt hatte. Aus Überzeugung.
Als sich das Taxi den Nikolausberg hochschiebt und das Wort Wahlkampfberater fällt, verzieht Achim Moeller das Gesicht. „Ich bin Wahlsiegberater“, sagt er, den Körper eingedreht, der linke Arm hängt lässig über den Sitz. Es geht hoch zur Frankenwarte, rechts erhebt sich die Festung Marienberg, nach hinten öffnet sich der Blick über Würzburg. Achim Moeller ist ständig unterwegs, mit seiner Bahncard 100 reist der 67-Jährige durchs Land, oft vier Tage die Woche. Die
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Nächte verbringt er in Hotels und die Tage damit, vorwiegend sozialdemokratische Kandidaten für anstehende Wahlkämpfe fit zu machen. Sein Spezialgebiet sind Orts- und Oberbürgermeisterwahlen, 27 Mandanten betreut der Wiesbadener zurzeit. In Ludwigsstadt, einem 3500-Einwohner-Nest, haben sie ihn genauso engagiert wie in Nürnberg. Früher wurde er oft gebucht, wenn es eng wurde. Heute versprechen sich die Ortsverbände von Achim Moeller einen innovativen Wahlkampf – und, dass er aus normalen Typen Siegertypen macht. Der Kandidat, den die SPD zusammen mit den Grünen am 16. März ins Rennen um das Oberbürgermeisteramt in Würzburg schickt, wirkt davon weit entfernt. Er läuft über den Parkplatz zum Eingang der Frankenwarte, unterm Arm einen Fahrradkorb mit Fahrradhelm. Nicht Typ Sieger, sondern Typ Umlaufmappe. Ein Verwaltungsmann, was der derzeitige Schulreferent der Stadt auch ist. Keine Rampensau, keiner, der auf den ersten Blick Massen mitreißen könnte, aber einer, mit dem man gerne an einem Tisch sitzt und dem man sein Leid klagt. Die Frage ist, welcher Typ besser Wahlen gewinnt – und, ob ein Berater das überhaupt beeinflussen kann. „Einen introvertierten Menschen werden Sie nie zu einem extrovertierten machen“, sagt Moeller. Die Vorstellung, Berater könnten Menschen umdrehen, sei naiv: „Das glauben einem die Leute doch nicht, das ist nicht authentisch.“ Bei Achim Moeller hört sich alles einfach an. Letztlich gehe es nur darum, die Stärken des Kandidaten zu finden, zu nutzen. „Die Schwächen interessieren mich nicht“, sagt er. Im Idealfall beginnt seine Arbeit zwei bis drei Jahre vor der Wahl, unterteilt in drei Phasen: Lernen, planen, handeln. Die erste Phase betriff t den Kandidaten. Moeller schaut die Person genau an, filtert ihre Stärken heraus. Über die redet er stundenlang mit ihr. Manchmal bestellt er Parteifreunde ein, drei bis sieben Leute können das sein, die dem Kandidaten seine Stärken vorhalten. „Ein guter Berater gibt Energie, Schwung“, sagt Moeller. Er sorgt dafür, dass sich der Kandidat schon als Bürgermeister fühlt, bevor er gewählt wird. Dann geht es an Feinheiten, um Aussehen und Auftreten, Sprache. Er beobachtet seinen Kunden bei Auftritten, filmt ihn manchmal, bestellt zur Not Rhetoriktrainer, Stilberater und Visagisten ein, empfiehlt Fitnessstudiobesuche und achtet penibel darauf, dass Entschlossenheit aus dem Kandidaten spricht: „Ich möchte nicht so etwas hören wie: ‚Eigentlich sollten wir‘. Besser ist: ‚Wir werden‘“, sagt Moeller. Das Tageshonorar für diese Arbeit liegt bei mindestens 1000 Euro plus Spesen und Mehrwertsteuer. Der Markt sei eng, sagt der Berater, es gebe vielleicht acht oder neun ernst zu nehmende Konkurrenten. Mehr als 650 Bürgermeisterkandidaten hat der Wiesbadener in den vergangenen Jahren beraten, seine Erfolgsquote liege zwischen 50 und 60 Prozent. „Wichtig aber sind auch die Prozentzuwächse“, sagt er, wohl, um den Titel Wahlsiegberater zu rechtfertigen. In Würzburg hat an diesem Morgen Phase zwei begonnen, die Planung. Der triste Seminarraum atmet Schulatmosphäre, die Tische stehen in U-Form, Achim Moeller arbeitet mit einem Flipchart, das Wahlkampfteam ist zusammen mit seinem Kandidaten gekommen. „So“, sagt er, „jetzt basteln alle erst einmal Namensschilder. Möglichst kreativ, bitte.“ Was ein Scherz sein soll, wird befolgt, es
Make-up. Schützt vor Kamera-Realismus: „Der Blitz ist stark, die Auflösung hoch“ Emotion. Macht Normalos zu Siegertypen: „Die Menschen sind es leid, die Welt erklärt zu bekommen“
Ⅲ Ein guter Berater sorgt dafür, dass der Kandidat sich schon als Bürgermeister fühlt Ⅲ
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Web 2.0. Erweitert den Freundeskreis: „Ein Gefühl dafür vermitteln, wie es läuft im Social Web“
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Noch so Wörter, die man vom Wiesbadener oft hört. Beides hängt für ihn zusammen, es sind die Personen, sagt Moeller, über die in der Politik Glaubwürdigkeit hergestellt werde. „Heute glauben nur noch zehn Prozent an das, was Parteien sagen.“ Er hat etwas dagegen, wenn Parteien meinen, etwas zu sagen zu haben: „Die Menschen sind es leid, die Welt erklärt zu bekommen.“ Zuhören müsse man, von Verein zu Verein gehen, von Stammtisch zu Stammtisch. Es ist das Umfeld, in dem sein Kandidat wohl am besten seine Stärken ausspielen kann. 80 Prozent zuhören, 20 Prozent reden. Schließlich geht es an diesem Morgen noch um den Slogan, der die Wahlkampfplakate in den kommenden Monaten zieren soll. Das Wahlkampfteam hat beraten, Moeller lässt sich die Sätze diktieren, schreibt sie auf seine Flipchart: „Besser. Gemeinsam. Und Würzburg gewinnt.“ Er schaut etwas skeptisch. „Darüber kommt dann Muchtar’s Name?“, fragt er. „Ja“, sagt ein Sozialdemokrat, der ein paar Sätze zuvor schon den „Kampf gegen das, was sich bürgerlich nennt“ ausgerufen hat. Achim Moeller schaut jetzt zufrieden. Der Lagerwahlkampf gegen das Bündnis aus CSU, FDP und Freien Wählern kann beginnen.
Teresa Bücker ist einer jener Menschen, die noch keine dreißig Jahre alt sind und wirken, als wären sie seit 40 Jahren im Netz aktiv. Gut zehntausend Leute folgen ihr bei Twitter, mehr als doppelt so viele Tweets hat sie dort geschrieben. Als hätte sie nie etwas anderes getan, als
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Schön. Macht Guido Paefgen 2. Erfolgreich. Macht Achim Moeller 3. Digital. Macht Teresa Bücker 1.
Foto. Carsten Costard
entstehen kleine und große gelbe Schilder, quer, hochkant, mit und ohne abgerundete Ecken, die Namen groß und klein, zum Teil mit Schnörkeln. Kunstunterricht. Der Oberbürgermeisterkandidat, der in der Reihe links von Moeller sitzt und zwei Umlaufmappen sauber übereinander gelegt hat, heißt Muchtar Al Ghusain. Es geht jetzt darum, die für ihn passende Strategie zu finden. Auch das ist Moellers Job und der Berater weiß schon, welche Geschichte er im Wahlkampf gerne erzählen würde: die von einem weltoffenen Würzburg, das sich gegen kleingeistige Abschotterei stemmt. Es soll um Neugierde und die Lust auf Neues gehen, obwohl sein Kandidat ja gar nicht so neu ist und seit seinem siebten Lebensjahr auch in Würzburg lebt. Aber auf Storytelling, so nennt es Moeller, lege er wert, genauso wie auf die Tatsache, dass Wahlkämpfe unbedingt emotionalisiert und personalisiert werden müssten.
die Welt in 140 Zeichen zu informieren. „Ich bin ein Twitter-Addict, ein News-Junkie“, sagt Bücker. „Bei jeder Nachricht, die ich lese, denke ich aber auch sofort daran, was das wohl für uns als SPD heißt.“ Aus gutem Grund, denn Teresa Bücker hat nicht nur ihre eigenen Accounts, sondern managt auch das Auftreten der SPD-Bundestagsfraktion im sozialen Netz. Referentin für digitale Strategie und soziale Medien, so heißt ihr Job. Bücker entwickelt Strategien für das Web, pflegt die Onlineprofile der Fraktion und erklärt Politikern den Umgang mit Social-Media-Plattformen. Die Politik hat längst entdeckt, welche Möglichkeiten das Netz bietet. Damit die Botschaften, die direkt und vorbei an den klassischen Medien an den Wähler gehen sollen, ankommen, braucht es Übersetzer. Leute wie Bücker, die Schnittstellen bilden zwischen analoger und digitaler Welt: „Wenn im Plenum etwa über Binnenschiff fahrt debattiert wird, denkt die Fraktion, wir müssen das sofort über Facebook kommunizieren“, sagt Bücker und nennt dies die „klassische Konfliktlinie“, die man als Social-Media-Person habe, wenn man Parteien oder Fraktionen berate. „Ich muss aber zugleich schauen, inwiefern Themen relevant für unsere Zielgruppe in Netz sind.“ Die richtigen Themen finden, im Netz Präsenz zeigen, mit Usern un-
verkrampft kommunizieren – es sind Selbstverständlichkeiten, über die Teresa Bücker mit leiser Stimme spricht, als stünde sie auf einem Flur im Bundestag und verrate kleine Geheimnisse. Vielen Politikern, das wird deutlich, muss dies zunächst wohl tatsächlich wie eine Geheimrezeptur für den Umgang in sozialen Netzwerken vorkommen, als ein ungeheures Wissen, das sie gerne anzapfen. Hunderte Abgeordnete und deren Mitarbeiter werden von Bücker in Twitter und Facebook geschult. Kurz vor Wahlen nimmt die Nachfrage zu: „Wenn wir als Partei oder Fraktion nicht auf Twitter, Facebook oder in anderen Netzwerken präsent sind, kommen wir im Alltag der Bürger nicht vor.“ So grundsätzlich muss sie nicht oft werden, vielmehr besteht ihr Alltag als Social-Media-Referentin darin, sich die alltäglichen Probleme von besorgten Politikern schildern zu lassen. „Ich muss den Abgeordneten ein Gefühl dafür vermitteln, wie das so läuft im Social Web“, sagt Bücker. Zum Beispiel, wenn die nicht mehr so genau wissen, wie das mit der Netiquette im Internet nochmal war oder wenn sie böse Kommentare auf Facebook kassieren. „Viele haben Facebook auch zuerst als Ablageform für ihre Pressemitteilungen genutzt“, sagt Bücker, „und ich versuche zu erklären, dass das nicht nur eine Plattform ist, in der man Informationen streut, sondern auch den Dialog sucht.“ Ⅲ
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„Meine Waage hat Wi-Fi“
Keine Sekunde vergeuden: Florian Schumacher will seinen Alltag möglichst effizient gestalten und misst deshalb sein Verhalten Interview. Angela Gruber
EGO. Sie sind Self-Tracker, erfassen und dokumentieren also Ihr Verhalten mit Messgeräten. Wozu? FLORIAN SCHUMACHER. Es geht mir zuerst um die Erkenntnis über mich selbst. Die Daten liefern eine Einsicht, die ich mit einer subjektiven Selbsteinschätzung nicht bekomme. Werde ich gefragt, wie gesund ich innerhalb der letzten zwei Monate gegessen habe, weiß ich vielleicht noch von der Pizza letzte Woche. Aber insgesamt ist das für mich schwer zu beurteilen. Wir können uns nicht so gut an Vergangenes erinnern. Manche sagen, das sei eine Sache der Intuition. Wir Self-Tracker glauben: Man muss das aufzeichnen, präziser machen. Nur mitzuzählen, wie viele Pizzen ich gegessen habe, hat aber keine Wirkung. Nein. Die Daten nützen nur jemandem, der eine Veränderung oder Erkenntnis anstrebt, und will, dass am Ende der Messreihe ein bestimmtes Resultat steht. Messen ist eine Möglichkeit, unsere mentale Schwäche zu übergehen. Nur wer ein Ziel hat und seinen Weg dorthin nachvollziehbar macht, kann dem Zufall ein Schnippchen schlagen. Ein Sportler interessiert sich für seine Laufzeiten, ein Mensch mit gesundheitlichen Problemen vielleicht eher für seinen Blutdruck. Für welche Werte interessieren Sie sich selbst? Ich habe eine Waage mit Wi-Fi-Anschluss. Die speichert das Gewicht in einer Datenbank. Über eine App verfolge ich die Entwicklung. Ich teste Schrittzähler und mes-
se ab und zu meinen Blutdruck. Außerdem tracke ich meine Arbeitszeit. Ich habe eine Software, die aufzeichnet, welche Webseiten ich besuche und wie lange ich darauf unterwegs bin. Ziel ist es, in meiner Aufgabenplanung besser und realistischer zu werden. Ich habe auch mal einen Haltungssensor ausprobiert. Er vibriert, wenn man eine schlechte Körperhaltung hat und erinnert einen daran, sich gerade hinzusetzen. Hört sich anstrengend an. Das ist einfach eine Eigenart von mir, dieses Managen und Kontrollieren. Beim Lernen habe ich mir immer schon einen Plan gemacht und überprüft, ob ich im richtigen Tempo vorankomme. Messen ist das Hilfsmittel, um in einer Art Selbstexperiment zu erkennen, ob man sich in die gewünschte Richtung entwickelt. Und was haben Sie über sich herausgefunden? 2012 war ich 400 Stunden auf Facebook. Die hohe Stundenzahl hat mich schon gewundert. 2013 soll das weniger werden. Spannend war auch, meinen Schlaf zu tracken. Es hat sich gezeigt, dass ich mich selbst schlecht einschätze. Ich bin von sieben Stunden Schlaf pro Nacht ausgegangen. Es ist dann rausgekommen, dass es oft nur fünf oder sechs sind. Die Daten haben mir geholfen, mehr darauf zu achten.
Nach dem Leitspruch „self knowledge through numbers“ will man mit Hilfe von Messdaten Erkenntnisse über sich selbst gewinnen. Digital-Unternehmer und Trendscout Florian Schumacher gründete die deutsche Gruppe von Quantified Self, um sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.
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Quantified Self
Präzise. Florian Schumacher, 33, misst sein Verhalten
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Text und Casting. Victoria Reith | Fotos. Wolfgang Maria Weber, Martin Moser | Grafik. Christina Metallinos, Sabine Pusch
Das andere Ich Religionslehrer im Alltag, Landsknecht in der Freizeit. Wie es Menschen verändert, in andere Rollen zu schlüpfen
Eine fremde Rolle einzunehmen, ist das Hobby von 30.000 bis 40.000 Liverollenspielern in Deutschland und einigen tausend Cosplayern. Liverollenspieler erleben in ihrer Freizeit inszenierte Abenteuer, die vor unterschiedlichen Kulissen spielen können. Beim aus Japan stammenden Cosplay (kurz für costume play) schlüpfen die Spieler in die Rolle von Figuren aus Anime-Filmen, Manga-Comics oder Videospielen. Ob ihre Charaktere nun lustiger, stärker oder niedlicher sind als sie selbst, bestimmen die Spieler selbst. Auch die Kostüme sind meist handgemacht. Eigentlich sind Rollenspieler kamerascheu: Das Klischee, Sonderlinge zu sein, die sich der Realität verweigern, geht ihnen gehörig auf die Nerven. Bei unserem Kennenlernen hat sich das Vorurteil nicht bestätigt. Die meisten Spieler nutzen die Verwandlung in einen anderen Charakter, um eine Seite ihrer Persönlichkeit herauszukehren, die im normalen Leben, dem Schul- oder Berufsalltag, nicht zum Vorschein oder deutlich zu kurz kommt.
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KIMI (Engel) Anja, 22, aus München, Versicherungskauffrau Ihr Cosplay-Charakter ist ein Engel, der Tote auf ihrem Weg zur Wiedergeburt begleitet. Für sie ist der Ausgleich zwischen Broterwerb und Kunst sehr wichtig: „Ich mache vom Guten bis zum Bösen alles, schlüpfe gerne in unterschiedliche Rollen. Beim Cosplay ist die Herausforderung, authentisch den Charakter einer Figur wiederzugeben.“
KAKASHI (Samurai) Jaouad, 19, aus Darmstadt, in der Ausbildung zum Sozialassistenten Danach will er Medienkommunikation studieren. Im Cosplay gibt er den Samurai mit Schwert. „Ich bin ein offener Typ, der gerne provoziert. Ich falle auf, weil ich nicht so bin, wie andere es gerne hätten. Im Cosplay bin ich noch ein bisschen explosiver.“
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GREGOBALD SAUFEDER (Landsknecht) Raphael, 29, aus München, Lehrer für katholische Religion Für ihn ist das Besondere am Liverollenspiel die Vielfalt. Sein Charakter Gregobald Saufeder („Waibel Greg“) ist nicht der Klügste. „Es ist spannend, wenn mich die Leute dann für ihn halten. Beim Liverollenspiel kann man sein Selbst verlassen, sich neben sich stellen und dadurch anschauen. Man spielt jemanden, der etwas nicht kann, was man selbst kann – oder umgekehrt. Dadurch lernt man sich selber besser kennen.“
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ALARI ROA‘HA (Landelfe) Kerstin, 26, aus Landshut, studiert Psychologie und Medizin „Für mich ist das Liverollenspiel eine gute Möglichkeit, Dinge, die ich gerne tue, geballt ausüben zu können. Das sind zum Beispiel Nähen, Basteln und Zeichnen. Ich habe Fähigkeiten in mir entdeckt, die ich vorher nicht kannte. Ich kann mir beibringen, diverse Instrumente zu spielen.“
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OBRA CASTELLANI (Edeldame) Julia, 26, aus München, Azubi zur Logopädin Ihre Rolle: Möchtegern-Edeldame auf der Suche nach einem adeligen Ehemann. Jemand anderen zu spielen, hilft ihr auch im Beruf: „In Therapiesitzungen ist oft Improvisation gefragt. Diese Fähigkeit habe ich aus dem Liverollenspiel. Ich bin eher schüchtern und spiele Charaktere, die kontaktfreudiger sind. Wenn ich dann auf die Leute zugehe, ist das wie eine Mutprobe. Mit dem Ergebnis: Es geht auch nicht-schüchtern.“
MAGISTER YTTRISTAN (Magier) Florian, 31, aus Mühldorf am Inn, arbeitet als Projektkoordinator in der Automobilbranche Seit zwölf Jahren macht er Liverollenspiele, in denen er unter anderem den Magier Magister Yttristan verkörpert. Technische Optimierung prägt seinen Beruf, im Rollenspiel sucht er die persönliche Optimierung: „Ich arbeite ständig an mir selbst – und das Liverollenspiel ist eine schöne Möglichkeit dazu. Ich habe mich in den Rollen weiterentwickelt und dadurch auch persönlich.“
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Wie die Rollenspieler im wahren Leben aussehen? Die Auflรถsung gibt es auf
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Wohin führt der Pfad der Sünde? In die Hölle, sagt die Kirche. Zu Glück und Erfolg, verspricht ein neuer Ratgeber. Unsere Autoren haben sich auf den Weg gemacht
Start. Auf in eine sündige Woche
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Text. Victoria Reith, Paul Munzinger Fotos. Martin Moser, Marian Schäfer
Die Liste der Bedrohungen, die uns mehr Furcht einflößen als das Fegefeuer, ist lang: Zahnarztbesuch, Spinnen oder der Klang von brechendem Styropor. Die Aussicht auf endlose Qualen in der Hölle hält längst nicht mehr jeden davon ab, die sieben Todsünden zu begehen. Dafür werden wir heute schon im Diesseits bestraft: Wer träge ist, kommt im Beruf nicht weiter. Wer der Völlerei nachgeht, verstößt gegen das geltende Schönheitsideal. Der Sozialpsychologe Simon M. Laham von der University of Melbourne will das ändern. Sein Ratgeber „Der Sinn der Sünde“ (2013) beschreibt in sieben Kapiteln, warum uns die vermeintlichen Fehltritte nach vorne bringen. Aber tun sie das wirklich? Sieben Todsünden in sieben Tagen – ein Selbstversuch.
Tag 1. Hochmut These: „Stolze Menschen sind extrovertierter, verträglicher, emotional stabiler, gewissenhaft und off en für neue Erfahrungen.“ (S. 181) Victoria. Alles davon möchte ich sein. Daher poste ich einen Tag lang Selbstbeweihräucherung bei Facebook. Mal sehen, wie die Leute reagieren. Mein Statusupdate um 8:28 Uhr: „Gerade einen ausgiebigen Morgenspaziergang an der Isar gemacht und festgestellt: München ist einfach die tollste Stadt der Welt. Hier passe ich gut hin.“ So viele Lügen auf einmal. Eine Ungeheuerlichkeit, finde ich selbst. Doch der Post erntet elf Likes und zwei bestätigende Kommentare. Nur Facebook-Freundin Zahra zweifelt an meiner plötzlichen Liebe zu Bayern. Dann das Pflichtprogramm: ein neues Profilbild, ich, von oben in die Kamera strahlend. Es wird im Laufe des Tages 25 Likes bekommen. Mein nächstes Statusupdate: „Mir ist gerade mein Grundschulzeugnis aus der Klasse 2b in die Hände gefallen. Ich stelle fest, mein Talent wurde früh erkannt. Zitat: ‚Geschichten kann sie folgerichtig, anschaulich und lebendig niederschreiben.‘ Da hat die DJS ja einen guten Riecher bewiesen.“ Ich bin mir sicher, dass jetzt die ersten Pöbel-Kommentare kommen. Tun sie nicht, es gibt 14 Likes für meine Überzeugung, ein Naturtalent zu sein. Alle hochmütigen Posts des Tages kommen gut an, inklusive einer Abstimmung über mein schönstes Kinderfoto. Ich kann so dick auftragen wie ich will: Es gibt immer welche, die sich offen mit mir freuen. Ob sie währenddessen die Faust in der Tasche ballen, weiß ich nicht. Erst nach der Auflösung gibt Jan zu: „Diese Erläuterung hat mich ehrlich gesagt ziemlich beruhigt.“ Kora bringt es auf den Punkt: „Mir war das gar nicht als komisch aufgefallen... Hier sind überall nur Egomanen!“ Am Ende des Tages habe ich immer noch gleich viele Facebook-Freunde wie am Morgen.
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Ob mich jemand ausgeblendet hat, sehe ich nicht. Nach jedem Post war in mir Selbsthass aufgeflammt, um kurz darauf von Euphorie abgelöst zu werden. Mut zum Hochmut – das Prinzip „Sinn der Sünde“ scheint zu funktionieren.
Tag 2. Habgier These: „So wie tatsächlicher Reichtum den Wohlhabenden zu mehr Selbstgenügsamkeit verhilft, so sorgt der Gedanke an Geld dafür, dass wir uns unverwundbar und leistungsfähig fühlen.“ (S. 94) Paul. Unverwundbar fühle ich mich schon. Die 100.000 Euro, mit denen ich einen Tag lang online auf dem Börsen-Parkett zocken werde, sind nicht echt. Aber leistungsfähig? Die Internet-Plattform stellt mir zum Glück einen Chat-Berater zur Seite, der mit rührender Geduld alle dummen Fragen beantwortet. Ich fasse Vertrauen, obwohl ich weiß: Er verschenkt eine Einstiegsdroge und hoff t, dass ich
ihm bald das harte Zeug abkaufe. Er spekuliert auf meine Gier. Zurecht. Ich beginne schüchtern. Nach einer halben Stunde habe ich 1,78 Euro gewonnen. Schon ganz gut, jetzt mehr Risiko. Ich setze auf das Verhältnis von Dollar und Mexikanischem Peso. In einer Minute verliere ich 5.000 Euro. Erst mal Kaffeetrinken. Zurück am Computer das Wunder. Aus 5.000 Minus sind 10.000 Plus geworden. Jackpot! Jetzt bin ich drin. Ich kaufe, verkaufe, fluche, juble. Die kleinen Gewinne interessieren mich nicht mehr. Wer nichts riskiert, kann nichts gewinnen. Deshalb: Alles auf Kanadische Dollar/Schweizer Franken. Bei 8.000 Euro Verlust verkaufe ich. Und steige aus. Mein Tag auf dem Parkett endet dennoch im Plus: 1.581,69 Euro, trotz Ahnungslosigkeit und späten Übermuts. Pädagogisch wertvoll ist das nicht. Gier hat mich nicht zu einem besseren Menschen gemacht. Aber zu einem reicheren. Komisch, dass ich gerade jetzt froh bin, dass es nur Spielgeld war.
Tag 3. Völlerei These: „Somit ist der Vielfraß (...) vielleicht tatsächlich ein wenig schlauer und schneller als der Diäthalter.“ (S. 57) Victoria. Völlerei ist laut. Beim Schlossfest in Neuburg an der Donau wird alle zwei Jahre die Renaissance wiederbelebt, mit Pauken und Fanfaren. Im Mittelpunkt: das Essen. Dutzende Fressbuden bilden den sprudelnden Quell der Todsünde. Fettiger Geruch strömt von überallher. An einem Stand hole ich mir einen Holzspieß, lang wie ein Tennisschläger, daran Putenbrust, umhüllt von frittiertem Brezelteig. Ich ziehe immer abwechselnd ein Stück zartes Fleisch und ein Stück Teig herunter. Fett an den Händen, am Mund, im Magen.
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Danach bin ich komplett satt, aber das zählt heute nicht. Ich schiebe schnell ein Steakbrötchen mit Zwiebeln hinterher. Pikant, ein bisschen zäh, okay. In wenigen Minuten habe ich Kalorien für einen ganzen Tag verschlungen. Landwein rinnt durch meinen Magen, bahnt sich seinen Weg vorbei an halbverdautem Fleisch. Das kommt mir gleich wieder hoch. Zum Nachtisch wähle ich Crêpe mit angedickten Kirschen, NussNougat-Creme und Zimt. Ich muss mich setzen. Von meinen Tischnachbarn lerne ich, dass Pfalzgraf Ottheinrich, der Neuburg im 16. Jahrhundert regierte, ein großer Anhänger der Gaumenfreude war. Im Schlossmuseum ist sein Hemd ausgestellt, in das sieben Zehnjährige reinpassen würden. Und seine überdimensionierte Badewanne, in der sieben Zehnjährige ertrinken könnten. Dank der Völlerei bin ich tatsächlich etwas schlauer geworden. Aber schneller?
Tag 4. Trägheit These: „Wenn es um komplexe Entscheidungen geht, scheint der träge Geist des Faulenzers, der Geist, der die schweißtreibende Anstrengung des bewussten Denkens meidet, im Vorteil zu sein.“ (S. 115) Paul. Ich bin faul, richtig faul. Zu faul, um selbst faul zu sein. Der König der Faulenzer schaut anderen Faulenzern beim Faulenzen zu. Dieser König bin heute ich. Lazarus macht zuerst genau das Gegenteil von dem, was ich von einem Faultier erwartet hätte: Er hangelt sich Sprosse um Sprosse die Strickleitern entlang, die wie ein Netz durch das Nashornhaus im Münchner Tierpark gespannt sind, wo Lazarus zusammen mit seiner Frau Lazy wohnt. Schnell ist das nicht, aber entschlossen. Vier Runden dreht er, dann hat die Hyperaktivität endlich ein Ende. Ich bin verblüff t und fühle mich ein bisschen betrogen. Lazarus lässt sich in eine Astgabel sinken, wirft mir noch einen vorwurfsvollen Blick zu und verabschiedet sich für heute. „Das Irritierende an den Faultieren“, spricht mich eine ältere Dame von der Seite an, „ist, dass sie zum Koten immer auf den Boden kommen, anstatt es einfach fallen zu lassen.“ Auch ich bin irritiert – und zugleich beeindruckt. Nur weil jemand faul ist, muss er sich noch lange nicht gehen lassen.
Tag 5. Neid These: „Der Neid stärkt unsere Hoff nung und schaff t ein positives Selbstbild.“ (S. 161) Victoria. Ständig beneide ich andere, vor allem um Freizeit. Gut fühle ich mich dabei nicht, sondern schäbig. Um dem Neid vielleicht doch noch etwas Positives abzugewinnen, fahre ich in aller Frühe zum Flughafen und frage Menschen, wohin sie verreisen. Amsterdam, Malta, Türkei – ganz nett, aber da ist noch Luft nach oben. Drei Höhepunkte, die zugleich Tiefschläge für mich sind, folgen direkt aufeinander: eine Familie, die für drei Wochen nach Kanada fliegt, eine junge Frau, die vier Wochen in Australien urlaubt sowie ein Paar, vor dem zweieinhalb Wochen auf den Kapverdischen Inseln liegen. Ich gönne es ihnen und beneide sie trotzdem. Wie gerne würde ich auf Entdeckungsreise gehen oder einen Tag lang aufs Meer schauen. Stattdessen bin ich am Flughafen und starre die Anzeigentafel an. Am Ende juble ich zwölf Leuten mei-
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ne Adresse unter und hoffe, mein Fernweh durch ihre Postkarten zu lindern. Das ist aber auch die einzige Hoffnung, die der Neid in mir weckt. Ich will an den Strand. Immer noch.
über die spießigen Nachbarn, aber siehe da: Statt der Androhung, unverzüglich die Polizei zu rufen, wenn der Lärm nicht bald ein Ende hat, steht auf dem Zettel: „Hallo Nachbarn. Bei uns steht ein Kasten Gustl kalt. Fühlt euch eingeladen. mfg, Appt. 410.“ Zorn verbindet.
Tag 6. Zorn
Tag 7. Wollust
These: „Er (der Zorn) ist ein auf Erfahrung beruhendes Signal, dass jemandes Rechte verletzt werden oder dass der Gerechtigkeit nicht Genüge getan wird.“ (S. 147)
These: „Die lüsterne Denkweise ist zweckmäßig und kann (…) sogar bessere Klausurergebnisse hervorbringen. (…) Schauen Sie sich vor Ihrer nächsten Prüfung einfach ein paar Pornos an.“ (S. 30)
Paul. Ich suche Streit. Der sichere Weg: ein Spieleabend, Monopoly, Risiko. Klappt immer. Niemand verliert gern. Ich am allerwenigsten. Zuerst Risiko. Laut wird es schon, bevor es losgeht: In der Wohnung oder auf dem Balkon spielen? Alte oder neue Regeln? Wir einigen uns auf den Balkon und darauf, dem Gemetzel freien Lauf zu lassen. Ich erobere handstreichartig Afrika und ganz Amerika und werde auf dem Höhepunkt meiner Macht von einer Spontan-Allianz der beiden Damen am Tisch von der Landkarte gelöscht. Ich fluche laut über kleingeistige Emanzen und verliere danach krachend bei Monopoly. Jetzt fluche ich über die Obrigkeitshörigkeit meiner Mitspieler, die auch im Gefängnis Mieten einziehen, weil es so in den Regeln steht. Gegen drei Uhr morgens senkt sich ein Besenstiel vom oberen Stockwerk herab, an dem mit einem Stück Pflaster ein Zettel befestigt ist. Ich fluche
Victoria. Diese Anweisung in unserem Ratgeber ist ausnahmsweise präzise: Pärchenabend im Pornokino, wir geben uns als Paar aus. Ein Summer ertönt, dann öffnet sich die Tür, hinter der sich eine neue Wirklichkeit verbirgt. Ich zahle keinen Eintritt, bekomme aber einen Prosecco. Vielleicht ganz gut, ich bin nervös. Als wir in den Saal vordringen, ertönt Gestöhne von zwei Seiten. Von den Lautsprechern hinter der Leinwand, auf der sich eine operierte Brünette und ihr solariumgebräunter Kompagnon verbiegen. Sowie aus der vorletzten Reihe links, in der sich ein Paar vergnügt, altersmäßig kurz vor dem Ruhestand. „Ach du Scheiße“, murmle ich und lasse mich auf einen Sitz fallen. In der Eile vergesse ich, das Handtuch unterzulegen, das ich nach der Lektüre einschlägiger Foren mitgebracht habe. Meine Klamotten kommen später direkt in die Wäsche. Was auf der Leinwand läuft, ist öde. Und definitiv keine Prüfungsvorbereitung. Paul. Die Wollust bleibt bei mir aus, das Problem ist nur: Es gibt Menschen, für die ein Pornokino sehr wohl ein sinnlicher Ort ist. Das ältere Pärchen links hinten zum Beispiel. Als wir reingekommen sind, haben sie nicht auf die Leinwand geachtet, sondern, na ja, ihren eigenen Film gedreht. Jetzt sitzen sie nackt nebeneinander und müssen sich diesen miesen Streifen anschauen. Daran sind wir schuld. Ich hatte gedacht, dass es mich stören würde, wenn sich die anderen um mich herum vergnügen. Jetzt stört es mich, dass sie es nicht tun. Ich fühle mich wie ein Eindringling, wie jemand, der in eine lustige Runde kommt, die plötzlich verstummt. Es ist nicht mein Humor, aber deswegen muss ich noch lange nicht allen die Stimmung versauen. Haben sie aufgehört, weil wir untätig auf der Couch sitzen? Oder einfach, weil wir da sind? „Macht doch weiter“, denke ich. „Fühlt euch ungestört, wir schauen nicht hin.“ Es dauert eine halbe Stunde, bis das Stöhnen wieder stereo ist. Endlich.
Fazit Simon M. Laham hat Recht: Die sieben Sünden sind gut für uns. Aber nicht so, wie er sich das vorstellt. Durch Wollust sind wir nicht klüger geworden und durch Neid nicht optimistischer. Trotzdem waren wir am Ende jedes Tages zufrieden. Wir sind in unbekannte Territorien vorgedrungen, haben neue Bekanntschaften gemacht – und gelernt, dass unsere Facebook-Freunde uns einen eitlen Tag verzeihen. Und dass auch in uns ein Zocker steckt. Vor allem haben wir gesehen, dass sündigen immer eine Frage der Dosis ist. Wer viel arbeitet, muss auch mal faulenzen. Wer auf seinen Körper achtet, muss auch mal schlemmen dürfen. Wer daran scheitert, sich selbst zu verbessern, sollte vielleicht erst einmal mit dem Gegenteil anfangen. Dann kann er es ja noch mal versuchen. Ⅲ
Ob wirklich Urlaubspostkarten angekommen sind? Alle Infos, Fotos und Videos zum Selbstversuch unter
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Aktion Veganismus
Hirse statt Haxe: Bei der „Vegan Challenge“ in Bad Tölz arbeiten 200 Teilnehmer einen Monat lang an einem „völligen Reset“ des Körpers. Der Weg dahin leuchtet nicht allen ein Text. Angela Gruber | Fotos. Angela Gruber, Martin Moser, Marian Schäfer, Wolfgang Maria Weber
Claudia Thumfart sitzt in einem türkis gestrichenen Raum im Haus des Gastes in Bad Tölz und erzählt von der Lust, in ein Käsebrot zu beißen. Die 45-Jährige hat in einem Stuhlkreis in der Mitte des Raums Platz genommen. Die Luft ist trocken. Die kleine Gruppe hat sofort die Fenster aufgerissen, als sie in den Raum kam. Trotzdem riecht es immer noch nach Schweiß. In der Ecke stapeln sich Yogamatten und Sitzkissen. Offenbar finden hier auch Sportkurse statt. Die anderen im Stuhlkreis nicken Thumfart verständnisvoll zu. Sie können ihre Essensgelüste nachvollziehen. Alle Zuhörer, die an diesem Juliabend zu dem Vortrag über vegane Ernährung gekommen sind, nehmen an der „30-Tage-Vegan-Challenge“ teil. Einen Monat lang verzichten sie auf alle Lebensmittel tierischen Ursprungs. Die Gesundheitsaktion findet im Sommer 2013 zum ersten Mal in dem bayerischen Kurort statt. Rund 200 Teilnehmer haben sich angemeldet, um einen Monat lang vegan zu essen und so ihre Gesundheit zu verbessern. Keine Schweinshaxe, kein Bergkäse, keine Eier. Die Challenge dekliniert die klassischen Versprechungen jeder beliebigen Diät durch: neues Körpergefühl, entschlackte Seele. Ballast abwerfen, eine Erneuerung von innen durchführen. Dem Darm was Gutes tun, nicht immer diesen Dreck essen. Einen Monat lang heißen sie „Challenger“ und fordern sich selbst heraus. In der Käsebrotfrage ist Thumfart standhaft geblieben. Sie hat den veganen Aufstrich aufs Brot geschmiert. Die Tölzerin lacht laut und herzlich auf, als sie das sagt. Es wirkt, als amüsiere Thumfart sich über sich selbst. Sie trägt einen leicht ergrauten, modischen Bob und eine lockere Jeansjacke. Die blau lackierten Zehennägel harmonieren farblich mit dem Shirt. Eine einzelne Perle baumelt an der Halskette. Der Re-
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Neuer Anstrich. Veganismus galt früher als Form der Mangelernährung. Heute treten Gesundheitsbewusste zur „Vegan-Challenge“ an
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ferent spricht in die Runde: „Veganes Essen gibt mehr Power, die frischere Haut, das bessere Aussehen. Ich kann jetzt mehr leisten, kenne keine Müdigkeit. Ich bin einfach fitter. Man kann Falten wieder rückbilden und graue Haare wachsen wieder dunkel nach. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber es geht.“ In der Vergangenheit hat Thumfart immer mal wieder von Vorzügen veganer Ernährung gehört, die Botschaft ist in ihr Leben gesickert. Sie macht bei der Challenge mit, weil sie ihre Gesundheit verbessern will, Allergien und Entzündungen im Körper vorbeugen möchte. „Die erste Woche war mit viel Einkaufen verbunden. Aber beim Autofahren bin ich seit Beginn der Challenge viel entspannter. Das führe ich schon auf die vegane Ernährung zurück. Ich denke, Veganer leben einfach gesünder. Veganismus ändert gewisse Abläufe im Körper.“ Thumfart hat Normalgewicht, auch vor der Aktion aß sie selten Fleisch. Wenn, dann vom Bio-Metzger. Trotzdem hat sie entschieden, bei der Aktion mitzumachen, als die Plakate auftauchten. „Bad Tölz macht sich fit“, steht auf den Flyern, die überall in der Stadt hängen. „Melde dich kostenlos an, werde schlank und fit.“ Neben dem Schriftzug springt ein junges Pärchen in Tracht in die Luft. Die Füße der Frau verschwinden unter ihrem Dirndl. Es sieht so aus, als schwebe sie über der bayerischen Postkartenlandschaft. Geworben wird mit einem „völligen Reset“ des Körpers, der sich von „Zivilisationsschäden erholen“ kann. Während der 30 Tage ist das Kochbuch „Vegan
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for fit“ die Bibel der Teilnehmer aus Bad Tölz und Umgebung. Geschrieben hat es der 32 Jahre alte Shootingstar der veganen Bewegung in Deutschland, Attila Hildmann. Der Berliner ist so etwas wie der Jamie Oliver des Veganismus. Er lebt seit 13 Jahren vegan und hat sich während dieser Zeit vom Übergewichtigen zum durchtrainierten Triathleten entwickelt. Der Starkoch gibt dem Veganismus einen coolen Anstrich – und die passende Erfolgsgeschichte. Jetzt zum Nachkochen. Hildmann appelliert nicht an die Moral der Deutschen, die durchschnittlich 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr essen. Er lebt sein Ideal vor und hoff t auf Nachahmer. Früher war das Wort Veganismus für viele Deutsche gleichbedeutend mit Mangelernährung. Diese Zeiten sind vorbei. Hildmann ist das beste Beispiel dafür, dass der Veganismus aus seiner Öko-Ecke herauskommt und zum gesundheitlichen Trend wird. Der Luxus, den man sich heutzutage leistet, ist der Verzicht. Auf dem Cover seines Kochbuchs breitet Hildmann seine muskulösen Arme wie ein Adler über einer dunstigen Stadtlandschaft aus. So sieht das mit dem neuen Körpergefühl aus. Vorher-Nachher-Fotos auf seiner Facebook-Seite, in seinen Büchern, überall, zeigen das. Attila Hildmann ohne Shirt war nicht immer so ansehnlich wie jetzt als Veganer. Das ist die Botschaft dieser Bilder. Dass zwischen den Aufnahmen mehr als ein Jahrzehnt liegt, diese Information tritt bei Hildmanns 30-Tage-Challenge in den Hintergrund. 13 Jahre Arbeit am eigenen Körper, damit verkauft man keine Bücher. Mit der Erfindung einer Challenge schon. Es ist eine Hauruck-Akti-
Ⅲ Der Luxus, den man sich heutzutage leistet, ist der Verzicht Ⅲ
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Neuling. Claudia Thumfart isst jetzt vegan 2. Guru. In Stefan Gritzbachs Biomarkt wirbt Attila Hildmann für die Challenge – und sein Kochbuch 3. Kulisse. Rund 200 Tölzer machen mit. Im Ort gibt es aber auch Kritiker 1.
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on, kein langsamer, aber beständiger Wandel der Ernährungsgewohnheiten. Letztlich entspricht Hildmann auch damit dem Zeitgeist. Dass die Challenge in die oberbayerische Provinz kam, hat Bad Tölz dem örtlichen Biomarkt-Betreiber zu verdanken. Stefan Gritzbach ist begeistert von Hildmanns Essens-Philosophie. „Missionieren hat in der Geschichte noch nie etwas gebracht“, so drückt es der 39-Jährige aus. Gritzbach nimmt als Organisator selbst an der Challenge teil und hat davor schon überwiegend vegan gelebt. Im Bioladen liegt Hildmanns Buch wie auf einem Schrein aus, neben grünem Tee, Erdnussmus und Sojamilch. Gritzbach rief bei Hildmanns Verlag an, organisierte eine Eröff nungsveranstaltung für die Aktion Turbo-Veganismus. Der Stargast war Hildmann. Er war der Deus ex machina in der Rotunde der Tölzer Wandelhalle, der Guru aus Berlin. Er signierte die Kochbücher, die jeder kaufen muss, um an der Challenge teilzunehmen. Hildmann und sein Kochbuch sind eine Marke, die auch in der bayerischen Provinz Strahlkraft besitzt. „Er hat sich einfach sehr gut verkauft“, fasst ein Tölzer seinen Eindruck von der Auftaktveranstaltung zusammen. Nicht alle Einwohner sind Fans des Vegan-Kochs und seiner Vorstellung von gesunder Ernährung. Einige Tölzer finden, dass die Challenge nicht in ihre Heimat passt. In Metzgereien und Käseläden stößt die Idee, auf alles Tierische zu verzichten, naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Stattdessen steht Exotisches auf dem Speiseplan der Challenger: Agavendicksaft, Quinoa, Matcha-Tee. „Für den Biomarkt ist das natürlich eine gute Geschichte, der macht damit ja Profit“, sagt Wirt Andi Walz vom Restau-
rant „Krambambuli“. Dort gebe es alle Lebensmittel, mit denen die Challenger während der vier Wochen kochen. „Was wir in Deutschland haben, langt uns nicht. Das ist schade. Aber der Trend ist nun mal danach.“ Dem Trend beugt sich auch Walz. Während der Challenge-Zeit bietet er ein veganes Gericht an. Blumenkohl mit Hirsebrei steht seit neuestem auf der Karte. Walz fi ndet dennoch, dass die Challenge mehr auf bayerische Gegebenheiten eingehen könnte. Wenn es nach ihm ginge, ließe sich die Challenge auch mit Pfi fferlingen und ohne Milch zubereiteten Knödeln bestreiten. Oder mit Bärlauch, schließlich habe der gerade Saison. „Vielleicht macht der Schuhbeck ja mal ein veganes bayerisches Kochbuch“, sagt er. Beim Vortrag im Haus des Gastes tauschen die Teilnehmer im Stuhlkreis ihre Erfahrungen aus. Der Referent gibt Tipps, wiegelt ab, beruhigt. Ein Pfarrer zöge bei Fragen seiner Gemeinde die Bibel zu Rate, er greift auf Hildmanns Kochbuch als Inspirationsquelle zurück. „Ich habe auch seit Tagen Kopfschmerzen“, sagt Claudia Thumfart. „Der Körper signalisiert einen Mangel an Nährstoffen. Du kannst das Rezept für den grünen Smoothie ausprobieren, das sollte helfen.“ „Fleisch fehlt mir interessanterweise nicht so sehr.“ „Ja, das ist bei vielen Menschen so, dass sie eher die Milchprodukte vermissen. In der Milch ist ein Stoff, der wie ein Opiat wirkt und bei den Nervenzellen im Darm ansetzt.“ Nach dem Ende der Veranstaltung sammeln sich die Challenger in einer Gruppe vor dem Gebäude. Es ist ein lauer Sommerabend. Thumfart sagt, dass sie den Tipp mit dem Smoothie gleich ausprobieren will. Sie sieht die Challenge als Schnupperkurs in Sachen Veganismus, eine neue Erfahrung. Nach der Challenge kann sie sich vorstellen, immer mal wieder übers Jahr verteilt eine vegane Woche zwischenzuschalten, zum Durchatmen für den Körper. Rein vegan will sie nicht leben. „Dafür esse ich zwischendrin einfach zu gerne ein Stück Fleisch. Oder ein Käsebrot.“ Ⅲ
Ⅲ Die Provinz sträubt sich gegen Hildmanns Rezepte: Knödel seien auch vegan, so ein Wirt Ⅲ
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Nur nichts liegen lassen
Text. Marlena Maerz | Fotos. Wolfgang Maria Weber
Trotz Weltrekord quält sich Jenny Wolf regelmäßig beim Training, um ihre Leistung weiter zu steigern. Dabei geht es der fünfmaligen Weltmeisterin nicht nur um Titel EGO Das Projekt bin ich.
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Tempo. Mit bis zu 55 km/h flitzt Jenny Wolf übers Eis 2. Erfolg. So schnell wie sie war bislang niemand. Seit 2007 hält Jenny Wolf den Weltrekord über die zwei Mal 500 Meter 1.
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Verschiedene Rhythmen tönen durch die Eishalle von Inzell. Pop-Hits der vergangenen Jahrzehnte mischen sich mit metallischem Klacken. Gleichmäßig, kaum schneller als der Herzschlag. Es kommt von fünf Eisschnellläufern, die in einer Fünferreihe hintereinander ihre Runden auf der Eisbahn ziehen. Sie alle tragen schwarz-rote Einteiler mit der Aufschrift „GER“, an den Ärmeln drei Streifen: schwarz, rot, gelb. Mit einem Klacken treffen die Kufen ihrer flachen Schlittschuhe aufs Eis. Unisono. Das gleiche Geräusch, der gleiche Anzug, ein ähnlicher Rhythmus. Eine Vierergruppe gleitet gebückt durch die Kurve, den linken Arm auf dem Rücken, der rechte schwingt wie ein Pendel hin und her. Von einer anderen Kurve der Eisbahn hört man dasselbe Klacken in einem anderen Tempo. Deutlich schneller. Das ist der Rhythmus von Jenny Wolf. Fünfmalige Weltmeisterin, zehnmal den Gesamtweltcup gewonnen, unzählige Titel bei Deutschen Meisterschaften, dazu mehrere Weltrekorde – um auf dem Eis die Schnellste zu sein, trainiert Jenny Wolf ein- bis zweimal am Tag. Vormittags auf dem Eis oder im Kraftraum, nachmittags Laufen, Radfahren oder Kräftigungsübungen. Rund 30 Stunden pro Woche. Dazu Physiotherapie, Regeneration, gesunde Ernährung. Ein Leben, das sich dem Trainingsplan anpasst, nicht umgekehrt. Vor anderthalb Jahren stand Wolf vor der Entscheidung, mit dem Training aufzuhören und ihre Karriere zu beenden, oder bis zu den olympischen Spielen in Sotschi weiterzumachen. Dass sie heute immer noch jeden Tag trainiert, hat vor allen Dingen einen Grund: Sie möchte später nicht das Gefühl haben, irgendetwas ausgelassen zu haben: „Was dabei rauskommt, ist eigentlich egal, weil du dir im Nachhinein nichts vorwerfen kannst und du als 50-Jährige sagen kannst, du hast da beim Eisschnelllaufen irgendwie nichts liegen gelassen.“ Im Profisport alles mitnehmen – für Jenny Wolf und viele andere Sportler eine emotionale Lebensversicherung. Für sie geht es nicht nur um Titel, Medaillen und Rekorde; für alle sichtbare Erfolge. Sondern vor allem um das Wissen, immer alles gegeben zu haben. Sich später nicht fragen zu müssen, ob doch noch mehr gegangen wäre. Die Biathletin Magdalena Neuner beendete als zwölfmalige Weltmeisterin und zweimalige Olympiasiegerin mit 25 ihre Karriere. Birgit Fischer, mit acht Gold- und vier Silbermedaillen die bislang erfolgreichste Kanutin bei Olympischen Spielen, wollte als 50-Jährige noch einmal bei den Olympischen Spielen in London dabei sein, musste aber wegen gesundheitlicher Probleme auf einen Start beim Qualifikationsrennen verzichten. Zwei erfolgreiche Sportlerinnen, zwei Wege, mit dem eige-
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nen Erfolg umzugehen. Zwischen diesen beiden Extremen liegen viele Möglichkeiten. Doch irgendwann stellt sich jedem Spitzensportler die Frage, ob es sich noch lohnt, sich tagtäglich abzumühen, für die Aussicht auf Erfolg, das „Mehr“, das einen antreibt. Für Jenny Wolf ist dieses Mehr der Olympiasieg. Vor vier Jahren schien er zum Greifen nah. Vier Jahre hintereinander hatte sie den Weltcup über die 100 Meter und die 500 Meter gewonnen. „Ich müsste eine Menge falsch machen, um nicht Gold zu holen“, sagte sie damals. Im Finale war die Südkoreanerin Lee Sang-hwa fünf Hundertstel schneller als sie. Die Silbermedaille fühlte sich wie eine Niederlage an. Um ihr Handgelenk trägt Jenny Wolf eine gelbe Sportuhr. Unter der digitalen Zeitanzeige blinken die olympischen Ringe. Die Grafik hat Wolf selbst eingespeichert. Jede Minute wird sie an ihr Ziel erinnert: Olympia. „Das ist schon konkret im Kopf bei jeder Trainingseinheit. Ansonsten würde man da auch nicht noch die letzte Wiederholung machen oder noch ein bisschen tiefer in eine Position gehen.“ Ob sich das viele Training gelohnt hat, wird sich im Februar in Sotschi zeigen. Oder wenn Jenny Wolf in fünfzehn Jahren auf ihre Karriere zurückblickt. Ⅲ
Ⅲ Ihre Armbanduhr erinnert sie an ihr Ziel: Die Olympischen Winterspiele in Sotschi Ⅲ
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Ein
Ding
Fett weg? Ja, gerne! Einsatz? Nein, danke! Eine Anklage Text. Sabine Pusch | Illustration. Julia Emslander
Noch schwabbelt der Speck, doch bald ist Frühling. Spätestens dann sollen sich die ungeliebten Kilos in Luft aufgelöst haben. Das Problem ist nur: Der Mensch ist faul. Veränderungen steht er skeptisch gegenüber, vor allem, wenn sie mit Aufwand und Einsatz verbunden sind. Doch Hilfe naht. In Starbucks-Manier tauchen in den letzten Jahren an jeder dritten Straßenecke sogenannte EMS-Studios auf, Malträtierhallen zur „elektronischen Muskelstimulation“, zum Beispiel Bodystreet. Studios, die perfekt zum Optimierungswillen der heutigen Zeit passen. Einer Zeit, in der man das gute Gewissen mit fair gehandeltem Kaffee im Vorbeigehen kaufen kann und hoff t, andere Probleme genauso einfach lösen zu können. Bei Bodystreet wird der Kunde in hautenge Trainingswäsche gepackt, von nassen, stromleitenden Gurten eingeschnürt und mit bunten Kabeln an eine futuristisch anmutende Säule gestöpselt. Anschließend werden im Sekundentakt Stromstöße durch seinen Körper geschossen. Gelockt wird mit der logisch klingenden Verheißung „Warum ständig trainieren, wenn 20 Minuten locker reichen?“. Die ideale Lösung für all jene also, die zu faul für regelmäßiges Ausdauer- und Hanteltraining sind und Sport nicht um der Bewegung, sondern der Gesellschaft willen treiben. Je einfacher, je unkomplizierter, je schneller, desto besser. Und das Erfreulichste: Jeder kann Zeuge des Optimierungswillens werden. Denn die meisten Studios befinden sich im Erdgeschoss und verfügen über eine Glasfassade, die sich nahtlos in die Schaufenster der Umgebung einfügt. Für die Studiokette mag es ein Werbeeffekt sein, für den stromtraktierten Kunden ist es die Gelegenheit, sich vor den Augen der Welt als braver Optimierer zu präsentieren. Nach 20 Minuten kann sich der Studiobesucher dann aus der unvorteilhaften Trainingskleidung pellen, zu seinem Auto schlurfen und auf dem Heimweg überlegen, welchen Abnehm-Shake er sich zum Abendessen gönnt.
Limette-Buttermilch oder doch lieber Caramel-Brownie? Schnell gemacht sind sie beide: Dose auf, Löffel rein, mit Milch vermischen, Behälter schütteln, runter damit. Die Tatsache, dass man sich stattdessen auch eine natürliche Mahlzeit mit fester Konsistenz und gleicher Kalorienzahl hätte zubereiten können, wird ignoriert. Salat zu waschen, eine Lachspackung aufzureißen und sich ein Dressing anzurühren wäre zugegebenermaßen komplizierter. Vor allem aber würde es voraussetzen, dass man sich mit den eigenen Bedürfnissen und mit Ernährung auseinandersetzt – und das könnte in Arbeit ausarten. Wer kann das schon wollen? Wenn etwas immer einfacher wird und damit theoretisch für jeden erreichbar ist, verliert es an Bedeutung. Die wahre Leistung ist nicht allein das Erreichen des Optimums, sondern vor allem der Weg dorthin und das Überwinden des inneren Schweinehundes. Flacher Bauch dank Slim-Fast, straffe Oberschenkel dank Bodystreet, knackiger Hintern dank Dr. med. Wunderschön. Resultat: leeres Konto dank Faulheit. Ⅲ
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Allianz SE Emilio Galli-Zugaro Leiter Group Communications Tel. +49 89 3800-3345 emilio.galli-zugaro@allianz.com www.allianz.com
Dr. Georg Schreiber
Medien2013 preis Die Gesundheitsreform sieht vor, dass künftig alle gesetzlichen Krankenkassen insolvenzfähig sind. Auch für die landesunmittelbaren Krankenkassen, die ser derzeit noch als insolvenz unfähig gelten, soll die Insolvenzfähigkeit hergestellt werden. Gleichzeitiges werden die noch bestehenden Bundesverbänden als solidarische Haftungsverbünde der jeweiligen Kassenart aufgelöst. Die Haftungsgebäude der Landes- und Spitzenverbänden passen nicht mehr in die von der Politik gewünschte neue Struktur mit einem GKVDachverband. Die Haftungsaufgaben gehen allerdings nicht auf den Spitzenverband über. Den Krankenkassen droht damit im Falle einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Die Spitzenverbände sind zur Zeit der Schlussstein in dem Gebäude der Absicherung der Krankenkassen, ohne diese stürzt es zusammen. Anstelle des vor der Zahlungsunfähigkeit schützenden Schlusssteines
DIE DEUTSCHE JOURNALISTENSCHULE DANKE ALLEN INTERESSENTEN UND FÖRDERERN DIESES ABSCHLUSSMAGAZINS UNSERER ZEITSCHRIFTENAUSBILDUNG DER KLASSE 51B HERZLICH FÜR DIE UNTERSTÜTZUNG
dien, rintme P r ü f werb hen! Wettbek und Fernse n Hörfu
AOK Bayern – Die Gesundheitskasse Michael Leonhart M.A. Pressesprecher Tel. +49 89 6 27 30 - 146 presse@by.aok.de www.aok.de Bayer AG
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Zugelassen sind Beiträge junger Journalistinnen und Journalisten bis 35 Jahre zu den Themen Gesundheit und Soziales, die 2013 in einer in Bayern erscheinenden Zeitung bzw. Zeitschrift veröffentlicht oder von einem Rundfunksender mit Sitz in Bayern ausgestrahlt worden sind. Beiträge aus den elektronischen Medien außerhalb Bayerns sind zulässig, wenn sie einen thematischen Bezug zum Freistaat haben. Im Printbereich wird zudem ein bundesweiter Sonderpreis ohne Altersbeschränkung vergeben. Der Medienpreis ist mit insgesamt 25.500 Euro dotiert. Informationen und Anmeldung: Internet: www.aok-medienpreis.de e-mail: medienpreis@by.aok.de Telefon: 089 62730-184 AOK Bayern, Zentrale z. Hd. Andrea Winkler-Mayerhöfer Carl-Wery-Str. 28, 81739 München Ausgeschrieben von der AOK Bayern in Zusammenarbeit mit den Nachwuchsjournalisten in Bayern (NJB) e. V. - unterstützt von der Deutschen Journalistenschule (DJS) e. V. München.
Prof. Dr. Marc Langendorf Leiter Management of Communications Tel. +49 89 636 - 4 14 36 marc.langendorf@siemens.com www.siemens.com/presse
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Aufdrehen!
Du bist, was du hörst. Zumindest reden Musikliebhaber sich das ein. Der Satz „Ich höre eigentlich alles“ beeindruckt keinen. EGO zeigt euch die Künstler, über die man mit Kennern fachsimpeln kann. Und Bands, die ihr besser vom Mp3-Player löscht, bevor ihr ihn bei einer Party an die Anlage hängt
Text. Sophie Anfang | Foto. Marian Schäfer
Punk. #1 Pascow (Großer Punk aus der Provinz) #2 Turbostaat (Rasiermesserscharfe Texte, klare Haltung, klare Kante) #3 Zsk (Skaterpunk, erfreulich unsonnig) #NoGo Pseudo-Punk, den man sich sparen sollte: Green Day (Die Frisuren stimmen zumindest), SUM 41 (War da nicht was mit Avril Lavigne?), Blink-182 (Hier stimmt nur der Ohrschmuck) Indie. #1 Neutral Milk Hotel (Indie-Folk, der das Klangspektrum mit bislang ungehörten Instrumenten erweitert) #2 Deerhunter (Monumental-melodischer Indie von experimentierfreudigen Musikern) #3 Björk (Grande Dame der Musik, Punkt) #NoGo Passt nur suboptimal zur Trainingsjacke: CSS (Waren eine ziemlich aufregende Band aus São Paulo, doch dann entdeckten sie Synthie-Pop), Noah and the Whale (Freundlicher Pop-Folk, vielleicht ein bisschen zu schluffi), Muse (Fantastisch, aber zu bombastisch) Hip-Hop. #1 Marteria (Pop-Hits und Underground-Nerdereien) #2 Casper (Musikalisch geht es weg vom klassischen Hip-Hop, aber der Extertaler gehört immer noch zu den besten Rappern Deutschlands) #3 Megaloh (Hip-Hop aus Berlin, im Zentrum von Rap) #NoGo Knapp vorbei gerappt: Naya Isso (Rolf Zuckowski versucht sich an Rap, zumindest klingt es so), Sinan G (Klicks auf Youtube sind kein Gütesiegel), Money Boy (Den Swag sollte man besser abdrehen) Metal. #1 Blind Guardian (Power Metal, der den Hörer in ein Fantasieland entführt) #2 Kreator (Trash Metal, laut, schnell, gut) #3 In Flames (Death Metal und doch melodisch) #NoGo Super Kostüme, aber musikalisch wenig spannend: Mötley Crüe, Skid Row, W.A.S.P. (Wahnsinns-Haare haben alle drei) Elektro. #1 Chris Liebing (Gehört immer noch zur ersten Garde der Szene) #2 Klaudia Gawlas (Zeitgeist heißt ihr Debütalbum, am Puls der Zeit ist ihre Musik) #3 Sven Väth (Hat die Szene geprägt wie kein anderer) #NoGo Künstler, die das DJ-Glück trüben können: David Guetta (Marketing-Maschine, aber nicht wirklich innovativ), Scooter (Techno-Urgesteine, aber ein Phänomen, das man nicht nachvollziehen kann), Cascada (War da nicht so ein Musikwettbewerb?)
Ihr wollt mehr hören?
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Machen -Listen glücklich? Text. Ja. Christina Metallinos Nö. Simon Pfanzelt
Während andere Menschen schlafen, feiern meine Synapsen nachts lieber noch eine Party. Auf einer nicht enden wollenden Gedankenautobahn in meinem Kopf lassen sie in Wortfetzen vorbeirasen, was ich am nächsten Tag zu erledigen habe: Autoversicherung bezahlen, Friseurtermin, Kaffeetrinken mit der Freundin, die ich schon vor einer Woche treffen wollte. In meinem mitternächtlichen Wahn weiß ich, dass ich irgendetwas davon bis zum nächsten Morgen vergessen werde. Also steige ich Nacht für Nacht aus meinem vorgewärmten Bett, stakse barfuß zum Schreibtisch und beginne auf meinem gelben Post-it-Block die To-do-Liste für morgen. So geht das seit Jahren, und seit ich das mache, sind mir sicher etliche Peinlichkeiten und verpasste Termine erspart geblieben. Ich habe mich mit den gelben Zetteln richtig gut angefreundet. Ich mag sie. Sie nehmen mir die Angespanntheit, all die Dinge im Kopf zu behalten, die ich noch tun muss. Und ja, sie machen mich glücklich. Denn für jeden Listenpunkt, den ich abhake, gönnt sich mein Gehirn eine große Portion Dopamin, frisch aus dem Belohnungszentrum. Diese Ausschüttung holen sich die Einen durch anhaltenden Drogenkonsum und ich durch das Abarbeiten meiner To-do-Liste. Das ist billiger und gesünder. Mein Geld verdiene ich nicht, indem ich einen Acker pflüge, Brot backe oder ein Haus baue. Erst die abgehakten Punkte auf dem gelben Klebezettel zeigen mir, was ich geschaff t habe. Wie sollte ich das ohne meine Liste sehen? Ich müsste wohl 20 geschriebene Mails ausdrucken, jedes Telefonat auf einer separaten Kassette aufnehmen und ein Foto von mir und der getroffenen Freundin nebst leergetrunkener Kaffeetasse dazulegen. Und könnte gleich wieder anfangen, alles aufzuräumen. Zugegeben, ich hatte anfangs auch Angst, dass irgendwann nicht mehr ich die Liste, sondern die Liste mich beherrschen könnte. Inzwischen ist mir das egal, bis auf einen Punkt: Dopamin macht zwar glücklich, meine Füße wärmt es nicht. Der Block kommt jetzt auf den Nachttisch. Wenn erst einmal alles auf der neuen Liste steht, geben meine Synapsen endlich Ruhe. Einschlafen? Abgehakt. Ⅲ
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Das Monster liegt vor mir, es glotzt mich an. Ich habe es selbst geschaffen, habe seine Fratze aus Wörtern selbst gezeichnet, auf post-it-gelbem Grund. Am grässlichsten ist es ganz oben, im Stirnbereich, wenn man so will. Dort steht: „Steuererklärung“. Dahinter erstrecken sich fünf Ausrufungszeichen, jedes steht für eine verstrichene Woche. Kein Haken, nirgends. Das macht nicht glücklich, das nervt. Friseurtermin und Kaffeetrinken? Könnte man sich eigentlich auch merken, statt das Gedächtnis auszulagern. Aber geschenkt: Das sind kleine Sachen, die man sowieso und im Zweifel sogar gerne macht. Aber der innere Schweinehund lässt sich mit der Liste nicht überlisten. Da gibt sie mir nur das trügerische Gefühl von Sicherheit, sie sagt mir, was zu tun wäre: morgen, übermorgen, wann auch immer. Und dann, wenn die Zeit knapp wird, schlägt sie zu, in ihrer autoritären Art. Wie jetzt mit der Steuererklärung. Ich frage mich, warum ich sie nicht gleich gemacht habe. Ganz einfach, weil aufschreiben viel leichter ist. Ja, Abhaken ist schön. Manchmal ist es auch ein großer Selbstbetrug. Neulich hat mir ein Freund erzählt, dass ihn das Abhaken der Listenpunkte glücklich mache. Was ihm weniger Glück bereitet: Steuererklärung ausfüllen, Seminararbeit schreiben, über passende Weihnachtsgeschenke nachdenken. Deshalb hat er einen Trick gefunden. Er schreibt einfach jeden Blödsinn auf seine Liste: Einkaufen gehen, Müll runterbringen, solche Sachen. So hakt er ab und hakt ab und hakt ab und traut dem Gefühl, er hätte etwas geleistet. Der Freund sieht meist recht glücklich aus, das Dopamin scheint ihm zu Kopf gestiegen zu sein. Nun sitze ich am Schreibtisch, das Monster glotzt, ich glotze zurück und spüre plötzlich einen Druck auf der Blase. Ich zögere nur kurz, dann greife ich zum Stift und ergänze die Fratze um drei Buchstaben: K-L-O. Wie glücklich ich gleich sein werde, denke ich mir, stehe auf und gehe in Richtung Bad. Dann kehre ich um und streiche die drei Buchstaben wieder durch. Die Simulation von Glück? So weit kommt’s noch. Ⅲ
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Eine e Nacht in München, en,, drei Suchende, viele ele Ziele: schneller Sex, Freiheit, iheit, echte Liebe. Eine Jagd, gd, d, eine Frage: Braucht man einen nen Partner, um vollständig zu sein? in? Text. Sophie Anfang, Anne-Nikolin Hagemann, Simon Pfanzelt Fotos. Martin Moser
Lilli* weint nicht mehr. Seit sie Single ist. Dabei waren ihre Ex-Freunde weder Psychopaten, noch Arschlochkerle, die Frauen absichtlich weh tun. Aber eben Jungs Anfang 20, die Dinge getan haben, die Lilli verletzt haben. Viereinhalb Jahre dauerte ihre erste ernste Beziehung. Erster Sex, erste große Gefühle. Mit 15 kamen sie zusammen, als sie 20 war, machte er Schluss. Der Mensch, der immer ihr „Kerl“ gewesen war, war weg. Lilli flüchtete sich in eine neue Beziehung, ein „Backup“. Sechs Monate lang. Weil es sich weniger einsam anfühlte. Weil sie dachte, dass man mit Typen, die man gut findet, auch zusammen sein muss. „Das ist aber nicht so“, sagt Lilli. 22 Jahre alt, eine zierliche junge Frau mit Rehaugen und Kurzhaarschnitt. Sie sitzt entspannt in einer Münchner Kneipe: gedämpftes Licht, durchgesessene Möbel, Bier statt Sekt. Seit neun Monaten findet sie sich in der Welt der Singles zurecht. Einer Welt der Möglichkeiten und Fallstricke. „Manchmal fühle ich mich wie ein Kleinkind, das versucht, zu laufen und ständig hinfällt. Ich bin noch dabei, alles zu lernen.“ Sie lernt viel: Wie es ist, wenn Kumpels sich auf einmal in einen verlieben, wie scheiße es sich anfühlt, wenn Männer sich nach dem Sex nie mehr melden und wie einsam man alleine auf einer Party ist. Ben, 27, kennt dieses Gefühl auch. Er mag es nicht. „Du bist auf einer Mainstream-Party und dann sind da ein paar Pärchen und dann spielen sie ein paar Schnulzen. Und du denkst dir: Kommt schon, Leute, what the fuck?“ Wenn Ben spricht, wenn er lacht, dann klingt das immer ein bisschen nach What-the-Fuck. Who cares, Schulterzucken. „Gehst du eben in den nächsten Raum und tanzt weiter.“ Ben ist Single, seit anderthalb
Jahren, in seiner Giesinger Wohnung lebt er allein. Er hat gelernt, ein What-the-Fuck-Single zu sein, der lieber vom Tanzen spricht als vom Einsamsein. Ben glaubt, dass man alles lernen kann. Wie eine Beziehung funktioniert, wie guter Sex. Und wie man beides bekommt. „Ich habe ein Ziel“, das sagt er oft. Und legt dabei die Hand auf die Brust, dahin, wo das Herz schlägt. Ein paar Kilometer westlich sitzen Felix und Lisa in ihrem Wohnzimmer. Er, 25, trägt ein schwarzes Hemd, einen Knopf zu weit offen. Die Jeans hält ein Gürtel mit Drachenschnalle, die, wie er findet, „geil aussieht“. Ein unangenehm angenehmer Typ, sehr einnehmend, sehr von sich überzeugt. Daneben sie, 29, sehr schwanger. Am Wahlsonntag machen sie ihr Kreuz bei der CSU, jetzt sprechen sie über die Vorzüge einer offenen Ehe, ihrer offenen Ehe. Es war Lisas Idee, nicht monogam zu leben. „Er ist ja jünger als ich und er geht gerne weg“, sagt sie und wendet sich zu ihm: „Ich wollte, dass du erwachsen wirst.“ Sex mit Fremden bringe Spannung und Neues in die Beziehung. Hinterher erzählen sie sich immer alles, haarklein. Das ist die wichtigste Regel. Sie hat ihm beigebracht, dass er die Frauen nicht zuquatschen soll, sondern zuhören. „Einfach mal die Fresse halten“, sagt sie. Er soll
EGO Das Projekt bin ich.
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Ben. Ist „nie nicht auf der Suche“
* Alle Namen von der Redaktion geändert
gut ankommen, auch an diesem Abend, wenn er sich gleich aufmachen wird, eine Frau zum Vögeln zu finden, die nicht seine ist. „Ziehst du dein Jackett an?“, fragt sie, „Dann muss ich das noch ausbürsten.“ Sie schiebt ihren Schwangerschaftsbauch vom bequemen Sofa und bürstet los. „Das Hemd ist faltig“, sagt sie. „Es ist nicht gebügelt“, sagt er. „Deine Hemden sind alle gebügelt“, sagt sie. „Ich nehm’ die manchmal vom Ständer“, sagt er. „Na toll“, sagt sie, „das ziehst du jedenfalls nicht an. Sieht aus, als hättest du darin geschlafen.“ Er geht ins Schlafzimmer, zieht ein anderes an, genauso schwarz, weniger faltig. Er kommt zurück in den Flur, mit ihm eine Parfumwolke. „Ring?“, fragt er. „Ja, aber nicht den Ehering“, sagt sie. Zum Abschied ein Küsschen. Wenn das Licht erlischt, ist alles möglich. Für Felix und Ben, auch für Lilli. Die Stadt taucht ein in die Nacht. In den Clubs und Kneipen beginnt die Suche, die Jagd: nach schnellem Sex, einer Affäre, dem Partner fürs Leben. Oder einfach nur nach sich selbst. Was man sucht, ist unterschiedlich. Liebe im weitesten Sinne viel-
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leicht, Bestätigung, Vervollkommnung. Wie man findet, auch. Alle haben das gleiche Ziel: glücklich sein. Aber den vorgezeichneten Liebesweg gibt es nicht mehr. Jeder darf alles, doch was will man eigentlich? Und ob man will oder nicht, man muss sich entscheiden. „Geile Musik, Tanzen, Quatschen, was auch immer“, das sind Bens Nächte. Hier und da lernt er eine Frau kennen, ab und an nimmt er eine mit nach Hause. Nicht zu viel nachdenken über das Alleinsein, auch tagsüber. Rausgehen tut gut, sagt er, Sport. „Du hast jeden Tag ein neues Leben. Was gestern war, kannst du nicht ändern.“ Im Wohnzimmer steht die Hantelbank, er könnte sich sofort drauf legen und losstemmen. Daneben das Fahrrad, er könnte sofort drauf springen und losfahren. Er tut es nicht. Er sitzt auf dem Sofa und spricht über seine Ex. Auf dem Tisch stehen Wasserpfeife und Alkohol, aus den Boxen wummern Elektro-Beats. Heute will Ben tanzen. Fünf Jahre waren sie zusammen, sie hat Schluss gemacht, „sie hat mir definitiv mehr bedeutet als ich ihr.“ Liebe, glaubt er, braucht Zeit. Liebe kommt, wenn man weiß, wie der andere tickt, wann er gestresst ist, wann sentimental. Zeit nimmt sich Ben nicht für jede. Von der einen oder anderen hier und da war keine dabei, für die es sich gelohnt hätte. Ben könnte keine feste Beziehung haben mit einer, die er nicht heiraten würde. Mit seiner Ex hat er Arm in Arm Zähne geputzt, „du schläfst mit der Frau, du kennst ihren kompletten Körper – und dann sollst du sie aus dem Bad schicken?“ Das Lied wechselt, keine Beats mehr, Rihanna singt vom Bleiben. „Ich lag auch schon nächtelang wach und hab ihr beim Schlafen zugeschaut“, sagt Ben und geht ins Bad. Als er zurückkommt, trägt er Sakko und Gel im dunklen Haar. Der Beat setzt ein, Rihanna im Remix. „War damals, war schön“, sagt Ben, „aber wer weiß, was morgen passiert? Oder heute?“ Hinter ihm fällt die Haustür zu. Zurück bleibt: eine leere Männer-Wohnung, keine Deko. Nur ein Alpenpanorama an der Küchenwand. Bens Vater hat es aufgehängt. Ben hat es nicht abgenommen. Who cares? Die Nacht wartet.
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Lilli ist keine Frau, die die Nacht zur Jagd macht. Was passiert, passiert. Vielleicht will sie lieber gefunden werden. „Ich bin ein Beziehungsmensch“, sagt sie. Vor kurzem hat sie jemanden getroffen, bei dem diese Vertrautheit da war, die sie manchmal vermisst. „Aber da ging es nicht um den Kerl, sondern um das Gefühl.“ Sie hat gemerkt, dass sie viel zu geben hätte. Nur zur Zeit nicht. Lilli denkt in Abschnitten, und da gibt es solche, die für Beziehungen da sind und andere, in denen man alleine weiter kommt. Gerade hat sie ihren Bachelor gemacht, bald geht sie ins Ausland, erst USA, dann Dublin. Mit Freund hätte sie das nie gemacht. „Ich würde mir ins Knie schießen, wenn ich jetzt jemanden kennen lernen würde.“ Sie sucht nach einem leichteren Gefühl, einem „Crush“. Sie mag das Wort, es klingt nach Knall, nach Anziehung. Lilli sieht sich um, nach „Crush“ sieht es bei keinem der Männer aus. Ein ruhiger Abend. Dann vibriert ihr Handy. Felix hat inzwischen eine Bar im Uni-Viertel erreicht. Keine zwölf Sekunden braucht er, schon redet er mit einer Frau. Es ist voll, es ist heiß. „Ganz schön eng hier“, sagt er zur ersten Blonden, die im Weg steht. Ein bisschen Smalltalk, den er bald beendet. „Die hatte eine Freundin auf Krücken dabei, die werden sich den ganzen Abend nicht mehr trennen“, sagt er, „bedenke die Konsequenzen.“ Innerhalb einer halben Stunde redet er mit fünf Frauen, alle blond. „Wie lange habt ihr auf ein Bier gewartet?“, fragt er eine, als er ein Bier holen will. Ein paar Minuten später steht eine Frau hinter ihm
am Tresen. „Ganz schön heiß hier“, spricht er sie an. „Ja, total heiß“, sagt sie. „Und jetzt kommst du auch noch“, sagt er. Sie schaut angewidert, der Zug ist abgefahren. Der nächste steht schon am Eingang: Paula. „Auf wen wartest du?“ fragt Felix. Auf Bekannte, die sie alle nicht mag, sagt Paula. Felix hat sein Opfer gefunden. Ein Mädchen allein in einer Bar, der kann man gut zuhören. Paulas Pony ist akkurat geschnitten, natürlich blond. Um ihren Arm hängt ein Jutebeutel. „There is much love in this bag“, steht darauf. Dieses Versprechen nimmt Felix ernst. Er und Paula unterhalten sich stundenlang, am Tresen, auch draußen bei einer Zigarette. Als die Bekannten kommen, die Paula nicht mag, bleibt sie bei Felix. Sie hat viel zu erzählen, vor allem zu klagen: Über ihren Vater, Klausurstress, darüber, dass sie gerade gezwungen wurde, Sambuca zu trinken. Felix gibt ihr eine Cola aus, abfüllen muss er sie nicht mehr. Er hört zu. Einfach mal die Fresse halten. Sie jammert und jammert, er ist verständnisvoll. Als die Bekannten von Paula wieder gehen, sagt sie: „Ich bleibe noch.“ Irgendwann geht sie aufs Klo, Felix ist sicher, dass er mit ihr nach Hause gehen wird. Er hat seiner Frau schon eine SMS geschrieben. Sie kann besser schlafen, wenn sie weiß, wo er ist. Felix hat seinen Hafen gefunden, sagt er. Obwohl er mit fremden Frauen schläft, hat er das, wonach andere suchen: Geborgenheit, das Gefühl, ein Zuhause zu haben. Dass daheim mehr wartet als ein Alpenpanorama, dass ein Mensch mehr auslöst als ein kurzes Herzklopfen. Egal, wie lange man sucht. Egal, wie oft man glaubt, gefunden zu haben. Egal, wie oft man scheitert: Man sucht immer weiter, nach der „besseren Hälfte“, dem „Seelenverwandten“, dem „Topf zum Deckel“. Psychologen sagen, dass man in einer Beziehung eigene Schwächen ausblenden kann. Aber heißt das nicht, dass wir zu faul sind, an uns selbst zu arbeiten? In der Eckkneipe tippt Lilli auf ihrem Handy herum. Sie hat eine SMS bekommen, von einem Typen, bei dem dieses Knall-Gefühl da war. Lilli hatte ihn vor ein paar Wochen auf einer Party kennen gelernt. Sie hatten geredet, geflirtet, dann ist sie mit ihm heimgegangen. Nichts Verbindliches, aber es war okay. „Weil wir cool waren.“ Wieder so eine
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Sache, die sie als Single gelernt hat: Ein One-Night-Stand muss sein wie ein Film. Mit stimmigem Vorspann, Dramaturgie und Soundtrack, der in der Nacht beginnt und am Morgen endet. Etwas Abgeschlossenes. Doch der „Kerl“ meldet sich immer noch sporadisch, „wenn er blau ist“. Obwohl nicht klar ist, was er sich davon erhoff t. Lilli mag das nicht. Sie mag Männer, die wissen, was sie wollen. Weil sie es auch weiß. Sie hat viel nachgedacht nach ihrer Trennung. Davor musste sie das nicht. Da war ja ständig jemand da. Lilli packt ihr Handy weg. Bislang ist noch niemand in der Kneipe interessant für sie. Außer dem DJ. DJs seien spannend, weil sie eine Leidenschaft für etwas hätten. Also schaut Lilli sich die DJs immer an. Von der anderen Seite der Kneipe schauen drei Jungs Lilli an. Lilli ist das egal, sie geht, sie interessiert sich jetzt erst einmal für sich selbst. „Als Single“, sagt Ben, „ist man nie nicht auf der Suche.“ Ein Club im Keller, stampfende Bässe, zu laut zum Unterhalten, zu schnell zum Engtanzen. Das Bier ist nicht teuer. Viel trinken will Ben nicht. „Ich mag Kontrolle, weil ich Kontrolle habe“, sagt er. Im Job sorgt er dafür, dass die Meetings effizient sind. „Ich werde jetzt kein Mädel anquatschen, nur, weil ich sie anquatschen will. Da muss was sein, das mir sagt, es lohnt sich, es macht Sinn.“ Ein Lächeln, ein Blick. Er will sicher sein, dass egal ist, was er sagen wird. In zwei, drei Sekunden schätzt er ein, wie jemand fühlt. Und wer zu ihm passt. Schlank soll sie sein und kleiner als er, er muss sie ja tragen können. Kurze Haare darf sie nicht haben, er will ihre Haare im Nacken fühlen, wenn er sie küsst. Vergeben sollte sie auch nicht sein: „Da musst du ja besser sein als ihr Typ, das wäre viel zu viel Aufwand. Das wäre ineffizient.“ Ben ist kein Kämpfer. Sich selbst hat er schon gefunden, glaubt er. Aber eigentlich würde er sich am liebsten verlieren, mit Haut und Haaren. Die Kontrolle aufgeben, sich voll und ganz einlassen auf eine Frau. Hier ist keine, die ihn interessiert, die drei Sekunden sind um. Ben schließt die Augen. Wenn er tanzt, dann fühlt er. Würde es sich jetzt lohnen, würde er sie anlächeln. Er würde besonders oft blinzeln, er hat schöne Wimpern, das hat man ihm oft gesagt. Er würde Selbstbewusstsein ausstrahlen und sie wie zufällig berühren. Er würde keine Frage stellen, ohne zu wissen, welche Antwort er will. Er würde spüren, wenn es passt. Vielleicht will Ben nur überrascht werden. Aber nicht heute. Es ist zwanzig nach zwei, er geht nach Hause. Morgen ist ein neues Leben. Auf Felix wartet eine Überraschung, jetzt, als Paula, die
Felix. Hat „seinen Hafen“ gefunden 2. Lilli. Interessiert sich erst einmal für sich 1.
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klagende Blonde, vom Klo kommt. Sie gehe nach Hause, sagt sie, in den nächsten Tagen stünden Klausuren an. Stundenlang haben sie geredet, für nix. Für Felix ist der Abend gelaufen. Er macht sich auf den Weg zur U-Bahn. Auf der Anzeigetafel steht „30 Minuten“, neben einer Wartebank Pia. Ihre Haarfarbe ist nach Felix’ Geschmack. „Du musst bestimmt auch zum Stachus“, sagt er. Sie nickt. „Dann willst du bestimmt dahin laufen.“ Die beiden gehen los. Sie läuft schnell, Felix redet sanft und viel, zu viel. Erzählt von seiner Ausbildung, von seinem Job. Nach zehn Minuten: Angriff. „Weißt du, wo es die beste Eisschokolade der Stadt gibt?“ Weiß sie nicht. „Gleich hier hinten durch“, sagt er. Blöd, dass Nacht ist. Nach zwölf Minuten: „Hab ich deinen Namen schon erfahren?“ Hat er, macht aber nix. „Ich bin auch endschlecht im Namenmerken“, sagt sie. „Man hat herausgefunden, dass Menschen, die sich Namen beschissen merken können, wesentlich intelligenter sind als der Rest“, behauptet Felix. Sie sind jetzt am Stachus angekommen, Pia verabschiedet sich. „Also du verwehrst mir, dass ich dich zu einer Eisschokolade einlade?“, fragt Felix. „Ja“, sagt Pia. „Gut“, sagt Felix, „ist doch eine Ansage. Triff eine Entscheidung und leb’ mit der Konsequenz.“ „Ok, wann?“, fragt Pia. Sie gibt ihm ihre Handynummer. Er wird sich bei ihr melden, irgendwann. Es wird ihm nicht um kalten Kakao gehen. Ⅲ
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Mit purer Körperkraft können Mann und Frau ihre sexuelle Leistungsfähigkeit steigern, sagen Experten für Fitness, Yoga und Tantra. EGO hat ihre Tipps gesammelt. Einfach mal ausprobieren! al ausp probieren!
Dehnen, strecken, schaukeln
Schere. Auf dem Rücken liegend beide Beine im 45-Grad-Winkel anheben. Beine wechselweise sechsmal übereinander schlagen. Möglichst entspannt weiter atmen. Die Übung neunmal wiederholen. Kräftigt die Pomuskulatur.
Text. Victoria Reith | Illustration. Julia Emslanderr V Vic
Weite Beingrätsche. Fußspitzen anziehen, damit die Beinmuskulatur angespannt ist. Nun den Oberkörper mit dem Einatmen aufrichten, die Arme über dem Kopf ausstrecken, dann mit dem Ausatmen langsam mit geradem Rücken nach vorne lehnen. Erst wenn keine weitere Dehnung mehr möglich ist, den Oberkörper und den Kopf entspannt hängen lassen und auf dem Boden oder den Armen ablegen. Mindestens fünf Atemzüge lang halten und entspannen. Mit dieser Übung wird die Beckendurchblutung angeregt.
Schaukel. Schau Mit Händen auf den Knien nach hinten schaukeln, bis ein Winkel von 45 Grad erreicht ist, dann wieder in die Ausgangsposition zurück schaukeln. Mindestens neunmal durchführen. Diese Übung belastet die Unterleibsmuskulatur und kräftigt sie. Ein kräftiger Unterleib ist ein Indikator für große sexuelle Leistungskraft.
Schmetterling. Sch Mit den Händen die Füße so nah wie möglich am Becken zusammenhalten und in sanften, federnden Bewegungen mit den Knien auf und abwippen – wie Schmetterlingsflügel. Nach einigen Atemzügen das Wippen stoppen und die Oberschenkel mit den Händen sanft in Richtung Boden drücken, dabei ausatmen und für einige Atemzüge halten. Die Übung dehnt die Innenschenkel, öffnet die Hüften und fördert die Durchblutung im Beckenbereich. Das verspricht intensivere Orgasmen.
Taube. Arme und Beine sind gestreckt. Die Fersen in Richtung Boden drücken. Dann rechtes Bein nach vorne schwingen und unterhalb der Brust im rechten Winkel ablegen. Das andere Bein bleibt hinten ausgestreckt. Nun auf den Boden setzen. Einige Atemzüge mit aufrechtem Oberkörper in dieser Haltung verharren. Anschließend mit dem linken Bein wiederholen. Fortgeschrittene können in der Bodenübung zusätzlich das hintere Bein beugen und den Fuß mit den Händen zum Kopf ziehen. Diese Übung öffnet die Hüfte und stimuliert die Sexualorgane. imul
Kobra. Diese Stellung so lang wie möglich halten. Dann Ober- und Unterkörper wieder senken. Möglichst entspannt weiteratmen. n. Die Übung neunmal wiederhoederholen. Stärkt die Gesäßmuskeln. skeln.
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Für‘s Bett nur das Beste
Schnitt für Schnitt zum Höhepunkt: Intim-OPs sollen Frauen zu besserem Sex verhelfen
Text. Lisa Böttinger | Illustration. Julia Emslander
Laura Sander* hat sich unters Messer gelegt. Nicht, um jünger auszusehen oder größere Brüste zu haben. Ein Stück weit wohl für ihren Mann, mit dem sie den Eingriff lange besprochen hat. Aber in erster Linie, so sagt sie, war es eine Entscheidung zu ihren ganz persönlichen, intimsten Gunsten: Seit ihrer Vagina-OP hat Laura Sander wieder Spaß am Sex. „Lange dachte ich, ich kann damit leben. Doch irgendwie hat es mich dann doch bedrückt, dass ich beim Verkehr nichts mehr gespürt habe“, sagt die 39-Jährige. Über die OP spricht Sander in gedämpftem Ton, im Hintergrund sehen die Kinder „Peter Pan“. „Verkehr“, „Stimulationsfähigkeit“ und die perfekte Vagina, aus der „nichts raushängt im Stehen“ sind Themen, über die Professor Stefan Gress spricht, als schwärme er von einem Sportwagen, der gut in der Kurve liegt. Der Münchner Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie hat im April Sanders Beckenboden gestraff t, ihre Scheide verengt und ihre Klitoris abgesenkt. Rund 8.000 Euro hat Sander hingeblättert, um ihren Genitalbereich wieder so formen zu lassen, wie er vor den Geburten ihrer drei und sechs Jahre alten Kinder war. Die Klitoris dabei ein wenig näher an den Scheideneingang zu verpflanzen, ist eine Technik, auf die sich Gress spezialisiert hat. Seit 13 Jahren bietet er Frauen sein Handwerk an, von Schamlippenkorrektur bis hin zur G-Punkt-Intensivierung. Im Schnitt 30 Jahre jung sind Frauen, denen Chirurgen wie Gress ihre sexuellen Optimierungswünsche erfüllen. Ob diese wirklich nur von den Frauen selbst geäußert werden, ist fraglich.
Vollnarkose für den Super-Sex „Es E wäre falsch zu sagen, dass Frauen solche Eingriffe pauschal nur für Männer machen lassen“, sagt die Soziologin Anna-Katharina Meßmer, die an der LMU München zum Thema Intimchirurgie promoviert. Ein patriarchalisch geprägtes Schönheitsideal bestehe jedoch
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trotzdem. Weil zunehmend gesellschaftlich erwartet werde, etwas „für sich“ zu tun, stellten viele Frauen den Gang zum Schönheitschirurgen als etwas dar, dass sie nur sich zuliebe täten. Bilder aus Pornos und Bikini-Werbung plätschern dabei leise im Hinterkopf manch einer Patientin, die sich ohne medizinischen Anlass die Schamlippen verkleinern lässt. Laura Sander saß 2012 im Wartezimmer eines Arztes, als sie zufällig in einer Frauenzeitschrift von Intimoperationen erfuhr. Niemals zuvor habe sie an einen Eingriff im Genitalbereich gedacht, schon der bloße Gedanke an eine Vollnarkose flößte ihr Respekt ein. Sechs Monate später fährt sie alleine in die Münchner Spezialpraxis, lässt sich ein Beruhigungsmittel geben und überlässt dann für vier Stunden ihr Heiligstes dem Chirurgen und seinem Assistenten. Als Laura Sander wieder zu sich kommt, sitzt ihr Mann mit im Aufwachraum. „Natürlich verbindet einen viel mehr, wenn es im Bett gut klappt“, sagt Sander. Die sechs Wochen Enthaltsamkeit und Verzicht auf Sport nach dem OP-Stuhl haben sich für sie gelohnt. „Es“ sei seither viel besser. Die Wissenschaftlerin Meßmer warnt trotzdem davor, dass solche chirurgischen Möglichkeiten Frauen auch unter Druck setzen können: „Weil Selbstoptimierung in diesem Bereich möglich ist, ist sich nicht zu optimieren bereits eine Entscheidung, nach der sich Menschen zunehmend fragen lassen müssen“, sagt sie. Angst, dass die OP ihren Körper ruinieren könnte, hatte Laura Sander nicht. „Dass es schlechter werden könnte als zuvor, konnte ich mir nicht vorstellen“, sagt sie und lacht trocken. Auch mit ihrer operierten Scheide könne sie noch Kinder bekommen. Dann wäre die Vaginalstraffung jedoch hinüber. Optimieren ließe sich das vielleicht mit einer G-Punkt-Aufspritzung, zum Beispiel mit Eigenfett. Gynäkologen wie der Vorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte, Manfred Steiner, können über die jüngste Erfindung der Intimchirurgie nur den Kopf schütteln: „Dass es einen G-Punkt gibt, ist seit Jahrzehnten umstritten – den soll mir erstmal einer zeigen.“ Ⅲ *Name von der Redaktion geändert
Im Trend. 3.350 Mal jährlich operieren Chirurgen Frauen zwischen den Beinen
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„Einer guten Fee würde ich sagen: Geh‘ mir aus der Sonne“ Ein Gespräch mit Gerhard Polt über den Segen der Mittelmäßigkeit, die Kunst, gelassen zu sein, und die Frage, warum sich manche Menschen besser nicht optimieren sollten Interview. Lisa Böttinger, Michael Risel | Foto. Wolfgang Maria Weber
Polt. Wie er ist: gelassen und souverän
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Der Mann ist kein Projekt, er ist eine Erscheinung. Zum Interview kommt Gerhard Polt in geringelten Wollsocken und Trekkingsandalen. Er wirkt, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen. Warum auch? Der 71-Jährige ist seit 30 Jahren vor und hinter der Kamera erfolgreich und bringt sein Publikum als Kabarettist durch bloße Bühnenpräsenz zum Lachen. Und zum Nachdenken: Geschätzt wird der „bayerische Buddha“, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nannte, auch wegen seiner philosophischen Ansichten. Vom engstirnigen Kleinbürger, den er bevorzugt darstellt, ist der viel gereiste Satiriker weit entfernt. Was hat so einer noch an sich zu verbessern? Höchste Zeit, mit dem Berufsgrantler und Menschenfreund über Selbstoptimierung zu sprechen.
„Es gibt Menschen, die sagen, sie müssen sich verbessern, erweitern oder verwirklichen, und ich denke mir: Um Gottes Willen, schade“
EGO. Herr Polt, Sie haben mal gesagt: „Das Mittelmaß ist das Maß aller Dinge.“ Wir haben eher das Gefühl, dass sich mit dem Mittelmaß heute niemand mehr zufrieden geben will. GERHARD POLT. Genau das ist ja das Mittelmäßige. Dass man sich nicht begnügen kann, da wo man sich begnügen sollte.
Wie ist das bei Ihnen, erlauben Sie es sich, mittelmäßig zu sein? Mittelmäßigkeit ist in uns allen, in jedem von uns, in mir genauso. Drum, wenn ich gefragt werde, was machen Sie so, dann sage ich, ich wohne. Es ist sehr mittelmäßig zu wohnen, denn das machen fast alle. Da gehe ich mal vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer und auch
Angenommen, eine gute Fee würde Ihnen einen Wunsch gewähren. Was würden Sie an sich verbessern? Ich würde ihr wohl sagen, geh‘ mir aus der Sonne. Ich bin nicht jemand, der verzweifelt versucht, vor allem sich selber zu suchen. Denken Sie nicht, dass das Streben nach Verbesserung zutiefst menschlich ist? Natürlich. Das ist selbstverständlich. Wenn man einen Maikäfer sieht, dann sieht man, der pumpt und möchte fliegen. Und der Mensch möchte auch fliegen. Aber nicht alle kommen nach dem Flug gut an, manche stürzen ab. Mit Ihrem Film Germanicus hatten Sie auch schon mal einen kleinen Absturz. Das Publikum war nicht gerade begeistert. Was lief da schief? Das waren viele Dinge. Ich wollte einen drastischen Film machen. Aber diese Drastik wäre sehr drastisch ausgefallen, deshalb hat man sie mir genommen. Eine Drastik wäre zum Beispiel gewesen: Viele Eltern haben heute Wunderkinder. Und ich hätte das im Film gerne auf das Heute bezogen, in einer Gladiatorenschule, wo lauter so kleine Gladiatoren rumsausen, damit sie später mal was werden, mit so Helmen auf. Und die schlagen auf sich ein und die Eltern sind ganz fiebig: Hau zu! Hau ihm eine rein! Und dann haut der eine dem anderen ein Ohrwaschel runter. Und dann kommt die Mutter und beschwert sich: Der hat meinem Sohn das Ohr runter gehauen. Und dann hätte ich als Trainer halt gesagt: Gnädige Frau, das sind aber Erfahrungen, die später nur für ihn sprechen, das kann nur positiv für ihn sein.
Haben Sie ein Beispiel? Der Nachbar von einem Freund in Ascholding, den haben sie aus dem Musikkorps rausgeschmissen, weil er zu schlecht spielt. Das sagt schon mal was. Aber er ist auch bei der Feuerwehr. Dort hat er initiiert, dass sie nach Australien fahren, mit der Feuerwehr von Ascholding. Ich hab ihn dann mal gefragt, wie es dort so ist, da sagt er, er weiß nicht so viel, weil sie nur vier Tage da waren. Die sind mit dem Flugzeug hingeflogen, vier Tage Australien und dann zurück. Als ich gefragt habe, was sie so gemacht haben, sagt er, sie haben gegrillt. Und dann haben sie einmal ein Feuerding aufgebaut und das haben sie gemeinsam gelöscht. Dann hab ich gefragt, ob er Kängurus gesehen hat, da hat er gesagt, nein, die sind weiter hinten. Ich will damit nicht sagen, dass der nicht da hinfahren darf, um Gottes Willen. Er optimiert sich, geht in die Welt, aber was er dabei im Endeffekt rausfischt, scheint mir dürftig. Und dabei will dieser Mensch doch gerade der Mittelmäßigkeit seines Alltags entfliehen. Eben. Er möchte dieses Besondere, er sucht sich und versucht, seinen Blick für die Welt und seine Kontakte zu erweitern. Das ist im Grunde in Ordnung, aber die Möglichkeiten, dann sozusagen auch zu ernten, sind halt nicht so groß. Das ist meine Meinung, er ist ja begeistert. Er fährt wieder nach Australien. Sie wollen sogar jetzt eine Partnerschaft mit Brasilien machen, dann grillen sie auch in Brasilien. Es gibt Menschen, die sagen, sie müssen sich verbessern, erweitern oder verwirklichen, und ich denke mir: Um Gottes Willen, schade.
mal in die Küche und zurück. Dann sagen die Leute, na, das ist ja nichts Besonderes.
„Ich wäre kein guter Politiker geworden“
Gefällt Ihnen der Film, so wie er ist? Nein, wenn ich ihn sehe, dann sehe ich alle diese Dinge, die ich nicht verwirklichen konnte. Das ist aber bei allen Filmen so. Man sieht bei allem, was man dokumentiert hat, was man im Kopf gehabt hat, die vielen Versäumnisse. Und das ist nicht immer angenehm. Da denkst du immer: Ach Scheiße! Andererseits: Wer ist schon perfekt? Errare humanum est. Würde ich keine Fehler machen, wäre ich unmenschlich. Ich mache Fehler, jeder macht Fehler. Schon das Wort perfekt ist falsch. Aber in Ihrer Arbeit sind Sie schon ein Perfektionist, der seine Stücke genau einübt und umschreibt, bis sie passen. Beim Film ist das nicht leicht. Wenn ich sehe, das ist nicht so ganz gelaufen, dann kann ich am anderen Tag die Sache nicht ohne Weiteres wiederholen. Auf der Bühne ist es einfacher. Wenn ich merke, dass die Formulierung oder
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die Art zu schnell oder zu hastig oder nicht eindeutig ist oder die Formulierung einer besseren weichen soll, dann habe ich das ja im Griff und dann tue ich das auch. Natürlich revidiere ich.
chen. Die spielen eine Rolle und übernehmen sich furchtbar damit. Das ist etwas Grauenhaftes, stelle ich mir vor.
Sie treten jetzt seit mehr als 30 Jahren als Kabarettist auf. Mit welchem Ziel gehen Sie da abends auf die Bühne? Eigentlich nur mit dem Ziel, dass die Leute, die da unten sitzen, sich für ihr Geld auch amüsieren. Und dass ich für mich das Gefühl habe, ich habe die Geschichte so erzählt, wie wenn ich sie Leuten erzählt habe, denen ich sie noch nie erzählt habe.
Bootsverleiher? Ich war als Kind sehr angetan von einem Bootsverleiher, weil mich der Mensch so überzeugt hat. Die Souveränität, wie der da sitzt, Zeitung liest, isst, mit einem Blick über den See alles erfasst und bei Bedarf ein Boot verleiht, das er dann mit einem Fußtritt aufs Wasser raus schiebt. Der Mensch wirkte auf mich sehr gelassen. Das hat mir gefallen.
Aber wie schaff t man das, ein und dieselbe Geschichte bei jedem Auftritt immer wieder neu zu erzählen? Indem man nicht nachdenkt über sich und sich einfach fallen lässt, nach Jux und Dollerei sich da hinstellt und den Leuten die Geschichte erzählt und davon ausgeht, die meisten kennen sie nicht. Dann erzählt man sie neu.
Was wäre denn Ihre Traumrolle? Politiker auf jeden Fall nicht. Unvorstellbar. Bootsverleiher schon.
Auch, dass der Bootsverleiher da immer alleine sitzt? Sie arbeiten bei ihren Projekten ja oft mit anderen Künstlern zusammen. Arbeiten Sie gemeinsam mit Anderen besser? Also ich muss sagen, mit einem Team zusammen zu sein, ist ein erhebendes Gefühl. Das ist sehr bereichernd, weil man sich ja gemeinsam in Situationen begibt, die nicht so normal sind. Da hocken Leute um drei oder vier Uhr nachts zusammen und spucken sich was aus, was sie zusammen machen wollen. Statt alleine am Schreibtisch auf ein leeres Blatt zu starren. Das berühmte leere Blatt. Das kenne ich natürlich auch, dass man erst einmal lieber was isst, dann noch mal was trinkt und dann,
„Mittelmäßigkeit ist in uns allen“
Brauchen Sie dazu Disziplin? Das ist eigentlich weniger Disziplin als die Lust, eine Sache gut zu machen, die einen selber befriedigt. Es ist, glaube ich, das Normalste der Welt, wenn einem etwas gefällt, dann macht man es halt einfach gerne. Und dann übt man so lange, bis man das Gefühl hat, jetzt geht’s, jetzt passt’s. Aber Disziplin ist das in dem Sinn nicht. Weil Disziplin würde eher heißen, dass man etwas einüben muss, unabhängig davon, ob es einem gefällt. Deshalb wäre ich auch kein guter Politiker geworden. Warum? Weil als Politiker muss man Dinge lassen, die man gerne machen würde. Man muss sich kasteien und darf dann mit bestimmten Leuten bestimmte Dinge nicht machen. Das wird einem vorgeschrieben. Es gibt einen Fraktionszwang. Es gibt einen Zwang, für die Öffentlichkeit so und so zu sein. Man muss so und so ausschauen, so und so formulieren. Man ist in einem Korsett. Bei Politikern ist es glaube ich so, dass sich viele Leute selbst etwas vorma-
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„Nachts um drei hocke ich da und lach’ über meinen eigenen Käse“
bevor man schreibt, noch einmal was isst und dann vielleicht ein Möbel rückt oder irgendwas macht, um nicht an diesen Schreibtisch hin zu gehen. Aber manchmal hockt man sich dann doch hin und dann schreibt es aus dir, wie man so schön sagt. Dann denkst du nach, sortierst, hast irgendeine Formulierung, und auf einmal muss ich selber lachen. Nachts um drei hocke ich da und lach’ über meinen eigenen Käse. Und am anderen Tag, wenn ich aufstehe, lese ich’s wieder und bin eigentlich verblüff t, warum ich da hab lachen können und dann kommt’s wieder in den Papierkorb. Das sind so Vorgänge, aber die gehören zum Leben dazu. Es gibt so viele Berufe, wo die Menschen verschlissen sind und wenig Resonanz haben. Da muss man enorm dankbar sein, dass man so etwas wie ich machen kann. Sagen wir es ruhig, wie es der Ratzinger auch sagte: Es ist eine Gnade. Ⅲ
Gerhard Polt zum Anhören
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Die Scheiterns Text. Michael Risel | Fotos. Marian Schäfer
des In unserem Leben muss alles perfekt sein: der Job, der Partner, der Sex. Ein überzogenes Leistungsdenken, findet die Künstlerin Maria Berauer. In ihrer Aktion „Yes, I can‘t“ versucht sie, mit Erfolg zu versagen
Wie eine Bergsteigerin in der Felswand presst Maria Berauer ihren Körper gegen die Oberfläche der Litfaßsäule. Ein Bein weit von sich gestreckt, sucht sie Halt auf der obersten Sprosse einer Leiter. In der Hand hält sie einen schwarzen Stift, mit dem sie ihren Körper von Kopf bis Fuß umrandet. In verschwommenen Konturen zeichnet sich nach und nach ihre Silhouette vor dem weißen Untergrund ab. Als das Bild fertig ist, erinnert es an die Kreide-Umrisse, mit denen Polizisten die Lage des Mordopfers markieren. „The artist was present“ hat Berauer doppeldeutig darüber geschrieben – die Künstlerin war da. Oder: Die Künstlerin war mal. Die Litfaßsäule steht im Münchner Stadtteil Obersendling. Normalerweise ist sie mit großformatigen Plakaten beklebt, auf denen die Superstars der internationalen Kunstszene beworben werden. Jetzt prangt dort der unförmige Umriss von Maria Berauer. Vor einem Jahr hat sie ihr Studium an der Münchner Kunstakademie abgeschlossen. „Endlich bin ich im Establishment der Kunstwelt angekommen“, sagt sie, „aber leider als Leiche.“ Was für andere eine riesengroße Enttäuschung wäre, ist für die 30-Jährige ein voller Erfolg. Wenn alles schief geht, gar nichts klappt und jeder Versuch ein Schlag ins Wasser ist, dann hat Berauer ihr Ziel erreicht: vor aller Augen grandios zu versagen. Ihr Performance-Projekt trägt deshalb auch den selbstbewusst-trotzigen Titel „Yes, I can’t“ – schaut her, ich hab’s vergeigt. Das Scheitern ist das große Tabu der Moderne, schreibt der amerikanische Soziologe Richard
Sennett. Alles, was in unserer Leistungsgesellschaft zählt, sind Erfolg und Karriere. Schon früh umgeben wir uns mit einem Panzer aus Qualifikationen. Über die Pleiten, Fehltritte und Niederlagen spricht man nur hinter vorgehaltener Hand. Berauers Aktion ist eine Kampfansage an dieses herrschende Optimierungs-Denken, welches das Versagen lediglich als die dunkle Kehrseite des Erfolgs begreifen kann. Ihr Vorsatz war es, das Falschmachen zu üben und einfach Mist zu bauen: drei Wochen lang, jeden Tag. „Serielles öffentliches Scheitern“ nennt sie das. Schauplatz ihrer Performances war das Klohäuschen, ein ehemaliges Pissoir für die Händler der Münchner Großmarkthalle, das seit ein paar Jahren für Kunstaktionen genutzt wird. Für ihre erste Übung im Scheitern stellte sich Berauer vor das Haus und tanzte eine Schrittfolge aus dem Flamenco. Nach und nach steigerte sie das Tempo, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach. In einer anderen Aktion zimmerte sie aus meterlangen Holzlatten einen Stern und versuchte, mit diesem überdimensionierten Gebilde in immer neuen Anläufen durch die schmale Tür ins Innere des Klohäuschens zu kommen – vergeblich. In den drei Wochen hat Berauer einiges vermasselt. Passanten reagierten meist irritiert auf ihre kalkulierten Desaster. Manche wollten wissen, ob die Performance nun wirklich missglückt sei. Eine Frage, die für die Künstlerin die Schwierigkeit im Umgang mit dem Scheitern deutlich macht: „Wenn es heißt, dass man gescheitert sei, kommt es immer auf die Perspektive an: Wer bestimmt das? Ich wollte das Scheitern aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.“ Ein Thema, das sie auch noch in Zukunft beschäftigen wird, da ist sich Berauer sicher: „Mich interessieren Leute, bei denen etwas nicht funktioniert. Erfolgsgeschichten finde ich langweilig.“ Ⅲ 1.
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Maria Berauers Silhouette ist ziemlich schief. Macht nichts, darum geht es ja 2. Verkackt? Die Künstlerin bittet um Zuschriften 3. Vergeigt. Die Aktion sagt dem Perfektionismus den Kampf an 1. Verzerrt.
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Raum für Chaos
Es gibt noch Orte, an denen wir uns erlauben, nicht perfekt zu sein. Wo das alte Einrad neben dem Leergut der letzen Monate lagert. Sechs Menschen haben für EGO ihre Rumpelkammern geöffnet Protokolle und Fotos. S. Anfang, F. Falzeder, A. Gruber, A.-N. Hagemann, T. Kerschbaumer, M. Schäfer
Rudi Krux, 27 Jahre „Meine Rumpelkammer ist ziemlich groß, deshalb nutze ich sie auch als Partyraum. Die Reste bleiben dann oft stehen: Mittlerweile stapeln sich hier über hundert Bierkästen. Als Religionswissenschaftler habe ich kein Auto, um das Pfand regelmäßig wegzubringen. Dann wird eben mit Fahnen verschleiert. Am besten mit politischen.“
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70 71 Kathinka Nohl, 27 Jahre
Florian Sesser, 30 Jahre
„Mein Freund Maxi und ich wohnen seit fünf Jahren in einer WG zusammen, seit einem Monat wohnt auch Sabine hier. In unserem Keller stehen immer noch angekokelte Bücher aus der Zeit, in der unsere WG vor vier Jahren gebrannt hat. Damals haben wir viel weggeschmissen, die Bücher haben überlebt.“
„Sitzsäcke findet meine Ex-Freundin doof. Wir waren fünf Jahre zusammen. Jetzt haben wir Schluss gemacht und ich kann ihn wieder aus dem Keller holen. Zum Glück habe ich mein altes Bett noch.“
Johann Gruber, 88 Jahre „Ich wohne seit meiner Geburt im Jahr 1925 in diesem Haus. Wir hatten früher viel weniger als die jungen Menschen heute. Trotzdem hat sich auf dem Dachboden einiges angesammelt: altes Kinderspielzeug, Kleidung, Geschirr. Hier oben habe ich auch meinen Puzzletisch.“
Anika Jarreck, 24 Jahre
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„Mein Freund und ich wohnen noch nicht lange zusammen. Unsere Rumpel- ist auch unsere Speisekammer, das Geschenkpapier und die Gewürze im Regal hat der Vormieter vergessen. Mein Traumhaus steht auf dem Schrank: Zwei gute Freunde haben mir das gebastelt, als Adventskalender. Wegschmeißen? Niemals!“
Anna Halden, 25 Jahre „Ich wohne seit fünf Jahren in meiner 2er-WG. Auf unserem Speicher habe ich noch viele Sachen aus der Kindheit. Das Schaukelpferd haben mir meine Großeltern geschenkt. Mit dem Einrad war ich im Kinderzirkus. Hätte es keinen Platten, würde ich noch damit fahren.“
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Schläfchen zählen
Die D iie Idee des Uberman-Sleep ist so simpel wie radikal. Nur zwei Stunden Schlaf pro Tag, verteilt auf sechs Nickerchen. Macht in St S ttun der Summe: mehr Zeit zum Leben. Kann das funktionieren? de d er S e Text Tex T xt un x und Fotos. Paul Munzinger
Alss Marcel A Ma Rasche sich entschloss, die Kraft seines Willens Wi W illen gegen die Gesetze der Natur antreten zu lasssen, een n, rief n rie er als Erstes einen Motivationstrainer an. Dann Da D a nn setzte er sich hin und schrieb auf, warum er glaubt, ggla au ubt, dass diese Idee das Richtige für ihn ist und er für diese Idee. In schwachen Momenten, derr Richtige d Ric war der Plan, sollte das Blatt Papier ihn daran erdass wa d iinnern, nn n nern warum er das eigentlich macht. Warum er n freiwillig ffrreiiwill nur zwei Stunden am Tag schläft, verteilt aauf uff sechs sec 20-Minuten-Naps, alle vier Stunden.
Marcel Rasche ist 23 und studiert an einer Business-School in Amsterdam, er stammt aus Hagen im Ruhrgebiet. Vor zweieinhalb Jahren hörte er zum ersten Mal vom Uberman-Schlaf, er war sofort fasziniert. Die Idee kam vor einiger Zeit aus den USA, der Name bezieht sich auf Nietzsches Konzept des Übermenschen. Der Schlaf in der Nacht wird gegen ein paar Nickerchen eingetauscht, gegen mehr Zeit zum Leben, 22 Stunden am Tag. Es ist der Versuch, den Schlaf als Taktgeber des Lebens abzusetzen und selbst die Kontrolle zu übernehmen, getragen von der Überzeugung, dass der Körper an der Belastung wächst, statt an
Müde. Ein Drittel unseres Lebens verschlafen wir. In Schlaflabors (wie hier an der Uni Tübingen) untersuchen Wissenschaftler, was in dieser Zeit passiert
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ihr zu zerbrechen. Eine Rebellion, getarnt als nüchternes Zahlenspiel. „Alles, was ich mache, zielt darauf ab, meine persönliche Effizienz zu steigern“, sagt Rasche. „Wenn ich schon 30 Jahre meines Lebens mit Schlafen verbringe, dann kann ich das auch ein bisschen effi zienter machen.“ Über zwei Jahre hinweg hat er immer wieder im Uberman gelebt, im On-and-Off-Modus, wie er sagt. Seine längste durchgehende Phase: 10 Wochen. 420 Naps, 140 Stunden Schlaf. 1.540 Stunden wach. Die meisten Menschen, sagt der Münchner Biologe Till Roenneberg, glauben, dass moderne Waschmaschinen so gebaut sind, dass sie mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Zeit und Energie ein optimales Ergebnis erzielen. „Kein Mensch käme auf die Idee, nach zwanzig Minuten die Waschmaschine abzustellen und zu sagen: Ich brauche nicht alle Waschphasen, die Wäsche muss jetzt sauber sein. Aber mit unserem Schlaf machen wir es.“ Roenneberg erforscht seit 40 Jahren die innere Uhr des Menschen, seinen biologisch vorgegebenen Schlaf-undWach-Rhythmus. Sein Fachgebiet ist die Chronobiologie. Er glaubt, dass die Zeit, nach der wir leben, und die Zeit, nach der wir eigentlich leben sollten, aus dem Takt geraten sind. „80 Prozent der Menschen brauchen an Arbeitstagen einen Wecker. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken, was das eigentlich heißt: dass die biologische Nacht noch nicht zu Ende geschlafen ist.“ Seit Jahren fordert Roenneberg, die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten und den Schulbeginn ab der Mittelstufe nach hinten zu verschieben. Den Schlaf optimal zu nutzen, bedeutet für ihn, zur richtigen Zeit zu schlafen: zur biologisch richtigen Zeit. Der Trend gehe schon in die richtige Richtung, sagt Roenneberg. Das könne man an den Hauptverkehrszeiten am Morgen sehen, die sich in den letzten Jahren langsam nach hinten verschoben hätten. Doch in der Leistungsgesellschaft gibt es noch einen anderen Trend: den zum bekennenden Kurz-Schläfer, Angela Merkel zum Beispiel. Wenig Schlaf steht für Führungsstärke, Zähigkeit, Produktivität. Für Roenneberg ein Widerspruch: „Jemand, der zu wenig schläft, kann zwar länger arbeiten. Die Frage ist aber, ob er das, was er macht, gut macht.“ Eine kurze Nachtruhe symbolisiere noch eine weitere Eigenschaft: Männlichkeit. „Männlichkeit hat viel mit Aktionismus zu tun“, sagt Roenneberg. „Es gibt nichts weniger aktionistisches als den Schlaf.“ Und die Uberman-Methode? „Das ist, als ob man sich mit den Fäusten auf die Gorilla-Brust trommelt.“
Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über den Uberman-Schlaf gibt es bisher nicht. Nur individuelle Erfahrungen. Zum Beispiel die von Sven Leuschner, 26, letztes Master-Semester Wirtschaftsinformatik in Leipzig. Mit drei Freunden hat er vor Kurzem ein Start-Up gegründet, das für Schulen Software programmiert und die Verwaltung optimiert. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Jungunternehmertum und Uberman-Schlaf? „Ich glaube, wir sind einfach experimentierfreudige Nerds, die bereit sind, Risiken einzugehen.“ Er könne jedem empfehlen, den Uberman-Schlaf einmal auszuprobieren, sagt Leuschner. Er schwärmt vom „Produktivitäts-Boost“, den er in durchgearbeiteten Nächten erlebte. Er erzählt, wie viel man über sich selbst und über den Schlaf erfahre, und dass man durch den Uberman lerne, zu jeder Tages- und Nachtzeit innerhalb von Minuten einzuschlafen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Leuschner praktiziert den Uberman nicht mehr, er hat nie länger als zwei Wochen durchgehalten, ein paar Tage davon im Schlaflabor. Nach wenigen Tagen erreichte er einen Zustand, in dem der Arzt ihm das Autofahren verbot. „Der Uberman ist Raubbau am eigenen Körper“, sagt er. „Der Mensch ist nicht dafür gemacht.“
Der Uberman verspricht Freiheit. Stattdessen schafft er neue Zwänge.
Der Uberman versucht, den Schlaf zu besiegen. Hong-Viet Ngo versucht, ihn zu verstehen, um ihn besser nutzen zu können. Für seine Forschung setzte Ngo, Mitarbeiter am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen, Probanden über Nacht Kopfhörer auf und schloss sie an ein EEG an. Er wartete, bis sie im Tiefschlaf waren und spielte ihnen dann einen Ton vor, ein kurzes Zirpen, zweimal direkt hintereinander. „Das ist rosa Rauschen“, sagt Ngo, „es klingt ein bisschen weicher
Wach. Pro Tag hat ein UbermanSchläfer 22 Stunden zur freien Verfügung. Die können sehr lang werden
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als weißes Rauschen, angenehmer.“ Am nächsten Morgen setzten sich die Probanden an den Computer und versuchten, sich an die 120 Wortpaare zu erinnern, die sie am Abend zuvor gelernt hatten. Im Schnitt schaff ten sie neun mehr als die anderen Test-Schläfer. Für das Gedächtnis ist der Schlaf unentbehrlich. Er sorgt dafür, dass Unwichtiges vergessen und Wichtiges gespeichert wird. Die Forscher in Tübingen wollen diesen Prozess verbessern. Sie haben das Gedächtnis ihrer schlafenden Probanden schon mit Gerüchen, elektrischen Impulsen und Medikamenten angeregt. Jetzt haben sie es auch mit Tönen geschaff t. „Man muss sich das wie eine Schaukel vorstellen“, sagt der Neurowissenschaftler Jan Born. Er leitet das Tübinger Institut, 2010 erhielt er für seine Arbeit über Schlaf und Gedächtnis den renommierten Leibniz-Preis. „Die langsamen Wellen im Gehirn spielen ursächlich als Faktor bei der Gedächtnisbildung eine Rolle. Wenn man diese Wellen im richtigen Moment anschubst, zum Beispiel durch akustische Reize, verbessert man nachweislich das Gedächtnis.“ Bisher ist die Methode nicht massentauglich, ein tragbares EEG zu teuer. Doch auch das ist nur eine Frage der Zeit, glaubt Born. „Am Anfang war es auch ein großer Aufwand, das EKG abzuleiten. Heute läuft jeder Jogger mit so einem Ding am Arm herum.“
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Wenn Marcel Rasche im Uberman-Modus war, dann hatte er immer Ohrstöpsel und eine Schlafmaske im Rucksack. Er schlief in der Uni, im Park, auf Partys. Verpasste er einen Nap, geriet sein gesamtes System ins Wanken. „Am Anfang war mein Kopf bis oben angefüllt mit dem Gedanken: Wann ist mein nächster Nap, wo schlafe ich? Es ist ein sehr unspontaner Lebensstil.“ Vielleicht ist das das eine große Missverständnis des Uberman: Dass er Freiheit von den Zwängen des Acht-Stunden-Schlafes verheißt, nur um sie durch die Zwänge der Organisation zu ersetzen. Im Uberman bestand jeder Tag für Rasche aus sechs Einheiten, jede genau portioniert auf drei Stunden und 40 Minuten. Wachphasen, sagt er, in denen er unglaublich produktiv war, in denen er „richtig Attacke machen“ konnte. Wachphasen, in denen er aber auch in den „Zombie-Modus“ fiel, wenn kein Projekt, keine Klausur anstand. In denen er sich einsam fühlte, isoliert, besonders zwischen Mitternacht und acht Uhr morgens, wenn der Rest der Welt schlief und er die Zeit mit Filmen und Spazierengehen totschlug. Das zweite große Missverständnis des Uberman. Er verspricht mehr Zeit zum Leben und schaff t mehr Zeit zum Arbeiten. Weil meistens keiner da ist, mit dem man diese Zeit teilen kann. Heute schläft Rasche wieder normal. Der Uberman passe nicht mehr zu seinem Lebensstil, sagt er. In Amsterdam hat er ein Unternehmen gegründet, nebenher arbeitet er als Schauspieler. Es ist ihm wichtig, flexibel zu sein, spontan. Dass er irgendwann wieder in den Uberman wechselt, schließt er aber nicht aus. „Du kannst etwas zum Laufen bringen, das sich unmöglich anhört“, sagt er. „Es ist eine Herausforderung und ich habe Glücksgefühle, wenn ich sie meistere. Euphorie.“ Im Moment aber habe er überhaupt keine Zeit, sich über Effizienzsteigerungen Gedanken zu machen. „Gerade bin ich einfach glücklich so, wie es läuft.“ Ⅲ
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Vorsatz! Text. Sophie Anfang
Weniger Rauchen, weniger Kater, dafür mehr Sport: typische Vorsätze am 31. Dezember. Im Januar stellst du schnell fest, dass die Schnürsenkel deiner Joggingschuhe gerissen sind. Ade gute Absicht. Doch damit ist jetzt Schluss. Nieder mit dem Selbstbetrug! Warum große Ziele anstreben und sich selbst enttäuschen? EGO zeigt dir, wie du jeden Monat einen Vorsatz umsetzen kannst – mit wenig Einsatz
JANUAR. Ein besserer Freund sein. Speichere alle Geburtstage ins Handy ein. Mit Alarm-Funktion. Auf Facebook ist kein Verlass und nichts ist peinlicher, als den Ehrentag eines guten Freundes zu vergessen.
MAI. Mehr Sport machen. Um fitter zu sein, gibt es mehrere Möglichkeiten: #1 Gehe jeden Morgen zu spät aus dem Haus. Bringt zumindest einen Sprint zum Bus, #2 Räume deine Tasche nicht mehr aus. Ist besser als Gewichtheben, #3 Der Einmal-SitUp: Rolle dich morgens nicht aus dem Bett, sondern richte dich aus der Rückenlage ins Sitzen auf. So kommst du locker auf 365 Sit-Ups im Jahr.
FEBRUAR. Sparsamer sein.
MÄRZ. Ordentlicher sein.
APRIL. Besser aussehen.
Leere Läden, überall Rabatte und Restposten. Bedeutet? Es gibt keinen besseren Zeitpunkt, um seine Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Die Sachen sind billiger und passen sogar in die Weihnachtszeit. Wenn du vor dem Einkauf dein Kleingeld zur Bank und dein Leergut vom Silvesterabend zur Pfandrückgabe bringst, kannst du dir den Sammel-Einkauf sogar locker leisten.
Kaufe dir eine große Kiste. Warte auf den Tag, an dem der Müll abgeholt wird. Schmeiße alles rein, was dich schon immer genervt hat. Ab in die Tonne damit. Bis du dir überlegt hast, ob du die Sachen doch behalten willst, haben die Müllmänner den Kram schon abgeholt. Trennungsschwache übergeben die Kiste am besten persönlich.
Ein Regenschirm. Unterschätztes Objekt, doch: Wer es hat, wird nicht mehr nass. Und sieht nicht mehr aus wie ein nasser Hund. Die einfache Art, gut auszusehen.
JUNI. Besser ernähren.
AUGUST. Weniger trinken.
Natürlich kannst du deine Ernährung umstellen. Du kannst ja zum Beispiel statt Hellem Pils trinken.
Weil du den Vorsatz, weniger zu trinken, ohnehin nicht einhältst, ist es sinnvoller, einfach einen Vorrat an guten Alkoholika anzulegen. Dann bringst du auf die nächste WG-Party nicht wieder den Tankstellen-Fusel mit, der alle komplett aus der Bahn wirft. Kann dich im Notfall vor Bier aus Plastikflaschen bewahren: ein kleiner Korkenzieher für unterwegs.
JULI. Der Natur etwas Gutes tun. Ein Kaktus ist grün, er ist pflegeleicht und täuscht einen grünen Daumen vor, den du nicht hast. Plus: Er ist gut für die persönliche CO2-Bilanz. OKTOBER. Organisierter sein.
SEPTEMBER. Weniger gestresst sein.
Schreibe wieder in Hefte. Dann suchst du nie mehr verzweifelt nach deinen Vorlesungs-Notizen, um für die Prüfung lernen zu können.
Trainiere einen grimmigen Gesichtsausdruck vor dem Spiegel. Dann bekommst du weniger Aufgaben zugeteilt und hast mehr Zeit für dich.
NOVEMBER. Haushalt besser schmeißen. Besorge dir eine Spülmaschine: Einmal angeschlossen, befreit sie dich von dreckigem Geschirr und ist gut für die Stimmung in der WG. Und wenn du weniger Zeit mit dem Spülen verbringst, hast du theoretisch sogar Zeit, die vertrockneten Essensreste im Kühlschrank wegzuputzen. Das wäre dann aber fast schon zu viel Vorsatz für einen Monat.
DEZEMBER. Gesünder sein. Ab ins Bett! Sex stärkt deine Abwehrkräfte – und spart dir Heizkosten.
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