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Evguen\u00EF Chiriayev \u2013\u00A0das Portr\u00E4t

Der Mann mit den flinken Händen

Evguenï Chiriayev ist getrieben vom Ehrgeiz, mit dem EHC Olten in die National League aufzusteigen. Der ukrainisch-schweizerische Doppelbürger fühlt sich mit seinen 29 Jahren im besten Alter als Eishockey-Profi.

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Elegant und locker-leicht sieht das aus, wenn er Anlauf nimmt, das Tempo verschärft, mit erhobenem Kopf in die gegnerische Zone kurvt und bei aller Geschwindigkeit den Puck unter Kontrolle hält. Die Nummer 18 fällt mit technischer Fertigkeit auf, schnellen Händen, bemerkenswerter Spielintelligenz und kühlem Blut im Abschluss: Evguenï Chiriayev, 29, Center mit Vertrag bis 2020.

In Olten fühlt er sich bestens aufgehoben, er spürt hohe Wertschätzung im Team, Verein und beim Publikum. Und liebend gerne würde er sich für das Vertrauen revanchieren. Wie? «Mit dem Aufstieg», sagt er, «ja, es ist mein Ehrgeiz, mit dem EHCO in der National League zu spielen.» Allzuviel Zeit möchte er nicht mehr verstreichen lassen, um ans Ziel zu gelangen. Idealerweise, sagt er mit einem Lächeln, wären die Oltner ab nächster Saison in der Beletage des Schweizer Eishockey vertreten: «So schnell wie möglich soll das realisiert werden.»

Dazu braucht es einen Chiriayev in Bestform, es braucht seine Tore und Vorlagen, es braucht seine Präsenz. Erfüllt er die Erwartungen und trägt er einen markanten Teil dazu bei, um mit den Powermäusen in absehbarer Zeit die Swiss League nach oben zu verlassen, wäre das für ihn auch eine persönliche Genugtuung. Denn die Geschichte des Evguenï Chiriayev ist auch die eines Spielers, der in seiner Karriere schon viel erlebt hat, auch einige Rückschläge und Frustmomente.

Der berühmte Vater

Rückblende. Am 3. August 1989 kommt Evguenï in Kiew zur Welt, die heutige Hauptstadt der Ukraine ist damals noch Teil der Sowjetunion. Im selben Jahr wird sein Heimatland Eishockey-Weltmeister – mit Evguenïs Vater Valeri als einer der Verteidiger. Nach dem Zerfall der Sowjetunion zogen die Chiriayevs in die Schweiz, die Offerte des EHC Biel gab den Ausschlag. Valeri demonstrierte sein Können für die Seeländer, aber nicht nur: La Chaux-de-Fonds, Davos, wieder La Chaux-de-Fonds, Zug, Bern, Langnau, Servette, erneut Biel und schliesslich zum dritten Mal La Chaux-de-Fonds waren die Stationen auf der Tour de Suisse.

Evguenï wuchs mit dem Eishockey auf, mit einem Vater, der seine Ausbildung in der Schule von Lada Toljatti genossen hatte und der einen berühmten Namen trug. Es gab eine Phase, in der sich der kleine Chiriayev für Fussball interessierte, und wenn er mit Kollegen kickte, stellte er sich meistens ins Tor. Bis sein Vater ihm zu verstehen gab, dass die Rolle des Goalie nichts für ihn war.

Eishockey hatte aber ohnehin einen höheren Stellenwert für Evguenï, der auch bereit war, einiges an Aufwand auf sich zu nehmen. Als sich die Familie in Neuenburg niederliess, fuhr er als Junior jeden Abend mit dem Zug hoch nach La Chaux-de-Fonds, trainierte ab 19.30 Uhr, reiste mit der Bahn wieder 45 Minuten retour und mit dem Velosolex nach Hause. Ins Bett kam er meistens nach Mitternacht.

Es kam auch vor, dass der Kondukteur ihn am Bahnhof Neuenburg wecken musste, weil er vor lauter Müdigkeit in seinem Abteil eingeschlafen war.

Das Angebot in jungen Jahren

Valeri war ein Verteidiger, ein unerschrockener Haudegen; Evguenï fand seine Position indes im Angriff. Gleichwohl blieb der Vater sein erklärtes Vorbild, und er, der Weltmeister von 1989, sollte eines Tages stolz auf seinen Sohn sein. Evguenï hatte sich das in jungen Jahren fest vorgenommen. Er wollte als Profi den Durchbruch schaffen, zuvor aber die Handelsschule abschliessen. «Mit 14 Jahren bekam ich ein Angebot eines Clubs aus den USA», erzählt Evguenï, «aber ich lehnte es ab, weil es mir wichtig war, eine Absicherung zu haben.» Als er das Handelsdiplom erworben hatte, fühlte er sich bereit für einen Weg als Berufs-Eishockeyaner.

Und wie konnte er zu jener Zeit, als aufstrebendes 19-jähriges Talent und Schweizer U-20-Nationalspieler, einem Lockruf aus dem Süden des Landes widerstehen? 2009 rief der HC Lugano, bei dem damals Spieler wie Kevin Romy, Raffaele Sannitz oder der NHL-erprobte Randy Robitaille unter Vertrag standen, um nur einige Namen zu nennen. Der charismatische Trainer John Sletvoll und Sportchef Jörg Eberle gaben Evguenï skizzierten Chiriayev ihre Ideen. Das Pech war aber, dass just diese Exponenten nicht mehr lange im Amt waren.

Die Neuverpflichtung aus La Chaux-de- Fonds musste sich mit dem neuen Coach Kent Johansson anfreunden oder besser: hätte sich anfreunden müssen. Johansson fand für Chiriayev keine Verwendung, er sagt ihm: «Du bist zu klein und nicht mein Spielertyp.» Der Stürmer hatte zwar einen Zweijahresvertrag unterschrieben, sass aber nur auf der Bank und wurde wieder zu La Chaux-de-Fonds abgeschoben.

Die Tour durch die Schweiz

Eines Abends, nach einem Match in Visp, erhielt er einen Anruf aus Lugano. Er müsse am anderen Tag nach Zürich fahren, wegen zahlreicher Verletzten müsse er gegen den ZSC zur Verfügung stehen. Chiriayev fuhr via Hochjura mit seinem Auto nach Zürich. Und was passierte? Nichts. Keine Sekunde wurde er eingesetzt. Nach der Partie sollte er ins Tessin reisen, war aber so entnervt und verwirrt, dass er die falsche Autobahn erwischte, zunächst Richtung Osten fuhr und zu allem Übel auch noch geblitzt wurde. Als er in den Tagen danach mit den Luganesi trainierte, musste er als gelernter Stürmer die Aufgaben eines Verteidigers übernehmen.

Für den schweizerisch-ukrainischen Doppelbürger Chiriayev war die Zeit in Lugano von einigem Frust geprägt. Aber die Lust an seinem Sport liess er sich deswegen nicht nehmen. Vom Süden wechselte er in den Westen, von Lugano zum HC Ajoie in die Swiss League, dann weiter zum EHC Basel, 2012/13 stieg er mit dem HC Lausanne in die National League auf. Es folgten Abstecher nach Martigny zu Red Ice, ins Emmental zu den SCL Tigers und in die Leventina zu Ambri-Piotta, bevor er im Oktober 2017 seine Reise quer durch die Schweiz fortsetzte – und beim EHC Olten unterschrieb. Das Kleinholz ist eine Halle, die er als Gast stets gerne besuchte: «Es herrschte immer eine besondere Stimmung.»

Inzwischen hat er seinen Vertrag verlängert, am 18. Januar wurde das vor der Partie gegen Ajoie bekannt gegeben. Das Publikum reagierte auf die Mitteilung mit Applaus, der Chiriayev nicht entging. Der Wohlfühlfaktor ist hoch, was das Berufliche angeht, aber auch das Private. Früher verbrachte er Nachmittage vor der Spielkonsole, jetzt kümmert er sich um seine kleine Familie. Mit seiner Neuenburger Frau hat er eine Tochter - Romy ist 2017 zur Welt gekommen. Die Freizeit verbringen die drei regelmässig bei einem Stadtbummel, sei es in Olten, Basel, Luzern, Zürich oder Aarau: «Wir wohnen so zentral in der Schweiz, dass keine Distanz zu gross ist.»

Er ist zu einem Leader gereift, der nicht nur mit seiner Kufen- und Stocktechnik gefällt, sondern auch mit seiner Vielsprachigkeit: Chiriayev spricht Deutsch, Französisch, Russisch, Englisch und versteht Italienisch. Aber genügsam werden, das kommt nicht infrage. Dabei hilft ihm sein Hang zur Selbstkritik: «Wenn ich einmal zwei Tore erzielt habe, ist das zwar okay, aber dann frage ich mich: Habe ich die Gelegenheit ausgelassen, ein drittes zu erzielen?»

Der Traum von einer Bar

Und dann wäre ja noch sein Vater, der inzwischen in Russland als Sportchef in einer Talentschmiede arbeitet. Mit ihm telefoniert

er regelmässig – und von ihm bekommt er auch kritische Töne zu hören. «Er ist selten zufrieden», sagt Evguenï, «wenn es um Eishockey geht, ist er streng mit mir, das war er immer. Aber ich kann damit umgehen, und es hat mich auch robust gemacht. Mich bringt nichts so schnell aus dem Gleichgewicht.» Wenn Evguenï erklären soll, was das typisch Schweizerische an ihm ist, fällt ihm als Erstes ein: die Pünktlichkeit. Er findet es respektlos, jemanden warten zu lassen und trifft darum meistens fünf Minuten vorher am verabredeten Ort ein.

Eine Frage noch zum Schluss: Was machen Sie in zehn Jahren, Evguenï Chiriayev? «Ich habe den Traum, eine Bar aufzumachen, irgendwo in der Region Neuenburg.» Er sähe sich nicht bloss als Geschäftsführer, sondern als Mann hinter dem Tresen. Aber bis dahin wollen ihm die flinken Hände noch zu manchem Erfolg als Eishockey-Profi verhelfen. Wie sagt er doch? «Ich bin 29 und im besten Alter.»

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