A conservator pleads for the fugitive

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ZEITSCHRIFT FÜR KONSERVIERUNG UND RESTAURIERUNG

NO 6 Kunst auf Reisen Wie Restauratoren und Kuratoren gemeinsam Sammlungsumzüge meistern

2019

ZUKUNFT WISSENSCHAFT

STUDIE Wie wirkt sich freier Eintritt in Museen aus?

SCHENKUNG Das Museum Wiesbaden ist jetzt Jugendstilzentrum

PORTRÄT Elisabetta Bosetti forscht über Straßenkunst


INHALT

TITELTHEMA: ART HANDLING 10

Umzug, Flächentausch, Restaurierungsstraße, Werbekampagne Der Neubau des Berliner Stadtschlosses bedeutet für den Museumsstandort Dahlem den Umbau zum Forschungscampus

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Objektivierteres Transportmonitoring – ein Fallbericht Mit den Folgen von Transportvorgängen auf Gemäldeoberflächen beschäftigt sich ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Kooperationsprojekt

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Kostbare Streifen hinter Glas Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt das geschredderte Bild „Love is in the Bin“ des Street-Art-Künstlers Banksy. Das Werk ist jetzt gut gesichert

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Eine logistische Meisterleistung Das Musée d’Art moderne de la Ville de Paris ist zu Gast in der Kunsthalle Würth (Schwäbisch Hall). RESTAURO sprach dazu mit Sylvia Weber, Geschäftsbereichsleiterin Kunst und Kultur in der Würth-Gruppe

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Bis die Sonne wieder aufgeht Ende Juni 2019 wurden Teile der Dreifaltigkeitsgruppe auf dem Linzer Hauptplatz abgenommen. Die Steinsäule selbst wird aktuell restauriert

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Seidensamt fürs Schlafgemach und mehr Die Prachträume im Residenzschloss zu Dresden sind ab September 2019 wieder für Besucher geöffnet. Modernste Vitrinen sorgen für eine gelungene Synthese mit den historisch rekonstruierten Räumen

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Der richtige Blickwinkel Die Stabsstelle Bestandserhaltung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover entwickelte neue Buchwiegen aus Metall

Das Musée d’Art moderne de la Ville de Paris ist zu Gast in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall

Zur Konservierung und Restaurierung eines Gemäldes aus dem Umkreis von Peter Paul Rubens

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Wiesbaden ist jetzt Jugendstilzentrum Ferdinand Wolfgang Neess hat seine gesamte Jugendstil-Sammlung dem Museum Wiesbaden vermacht. Seit Ende Juni 2019 ist sie dort im umgebauten Südflügel zu sehen

GEMÄLDE Bei den Holzkirchen der Maramures ist dringender Konservierungsbedarf geboten

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Die Rückkehr der „Venus im Pelz“ in die Bildergalerie von Sanssouci Zur Konservierung und Restaurierung eines Gemäldes aus dem Umkreis von Peter Paul Rubens

HOLZ 46

Welterbe in Gefahr Bei den Holzkirchen in den Maramures (Rumänien) ist mittlerweile dringender Konservierungsbedarf geboten, um den unwiederbringlichen Verlust der geschützten Malereien zu verhindern

SERIE TEIL 2 : RESTAURIERUNGSZENTREN 50 Wiesbaden ist dank der Sammlung Ferdinand Wolfgang Neess zum Jugendstilzentrum aufgestiegen

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Nichts bleibt, wie es einmal war Nach dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln musste ein Restaurierungszentrum entstehen. Die Katastrophe brachte Neuerungen 6/2019

Fotos (v. o. n. u.): Wolfgang Pfauder, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam; Boris Frohberg; Museums Wiebaden / Bernd Fickert

SAMMLUNG


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Eine Konservatorin plädiert für das Flüchtige Elisabetta Bosetti lässt kein Werk zum Fetisch werden: Für das Projekt CAPuS forscht sie derzeit über Materialität und Ausdrucksformen von Straßenkunst

RUBRIKEN 6

KUNSTSTÜCK Eröffnung der James-Simon-Galerie in Berlin

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BLICKPUNKT Die diesjährigen Münchener FUTURE TALKS, dem interdisziplinären Forum über moderne Materialien und Konservierungstechnologien (11. bis 13. November 2019), widmen sich dem Thema „Surfaces“ Wie sich freier Eintritt in Museen auf die Besucherresonanz auswirkt – eine Studie des Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

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TERMINE Veranstaltungen Impressum Vorschau

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WAS BEWEGT? Friederike Leibe

Aquarellkasten Perlglanzpigmente

Titelmotiv

Foto: Banksy, Love is in the Bin, 2018, Privatsammlung; Staatsgalerie Stuttgart, © Banksy

Kostbare Streifen hinter Glas: Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt das während einer Kunstauktion geschredderte Bild „Love is in the Bin“ des Street-Art-Künstlers Banksy. Das Werk ist jetzt gut gesichert, um das Anfassen, Durchblättern oder Untersuchen zu verhindern. Lesen Sie weiter ab Seite 20.

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Eine Konservatorin plädiert für das Flüchtige Sie retuschierte Correggios Fresken und rettete ein schwerbeschädigtes Werk des CobraKünstlers Carl-Henning Pedersen. Doch so prominent die Namen – die Konservatorin Elisabetta Bosetti lässt kein Werk zum Fetisch werden. Vielleicht hat das mit ihrer Begeisterung für ephemere Kunst zu tun. Eine Begeisterung, die 2016 entstand, als sie an Christos Installation am Iseo Lago mitwirkte. Für das europäische Projekt CAPuS forscht Bosetti derzeit über Materialität und Ausdrucksformen von Straßenkunst – für sie der Inbegriff eines neuen gemeinsamen Kulturerbes

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Elisabetta Bosetti zögerte keine Sekunde, als 2 sie die Einladung erhielt, an Christos zweiwöchiger Installation „Floating Piers“ am Iseo Lago in Italien teilzunehmen. An die tausend Mitarbeiter montierten die mit gelbem Stoff bespannten Stege, die den See durchzogen und das Ufer mit den Inseln verbanden. Da die geländerlosen Stege zum Rand hin leicht abfielen, erlangte der Besucher den Eindruck, direkt auf dem Wasser zu laufen. Oder auf einem Wal, wie Christo selber anmerkte. „Christo war außerordentlich freundlich zu uns allen“, berichtet Bosetti. Er habe das Hauptquartier fast jeden späten Nachmittag besucht, nachdem ihr Team mit dem Boot von der Arbeitsschicht zurückkam. Geduldig habe er für Selfies mit seinen Fans posiert. Sie selber habe auch ein Erinnerungsbild ergattert, freut sich Bosetti. „Für mich zählt diese temporäre Installation zu den bemerkenswertesten in der zeitgenössischen Kunst“, resümiert die Italienerin. „Sie zeigt, wie Kunst einen Raum, eine Situation, eine Umgebung oder sogar eine Landschaft kreiert oder transformiert“. Auch wenn die Floating Piers keine physischen Spuren hinterließen, so anderen Status Restauratoren oder Konservatohätten sie die Menschen intellektuell und emotiren aus dänischer Sicht hatten. Zumindest in den 1990er-Jahren hätten viele Dänen den Beruf onal nachhaltig berührt. „Ephemere Kunst förnoch nicht so recht einordnen können. „Erdert einen inneren Prozess, der frei ist von jeglicher Bindung an ein spezifisches, vergängliches schwerend kam hinzu, dass das dänische Wort Medium“. für Konservatorin und Tierpräparatorin identisch Kunstwerke zu konservieren, grenze hingegen ist – das führte oft zu Irritationen.“ Insgesamt oft an Fetischismus, bemängelt Bosetti. „Wir habe sie den „Zusammenprall der Kulturen“ jeneigen dazu, dem Objekt einen kultartigen Stadoch meist als Bereicherung empfunden. Vor altus zuzugestehen und versuchen, das Material lem liege ihr die problemlösungsorientierte Art, für immer zu bewahren, was grundsätzlich eider Gemeinschaftssinn und die Solidarität der Dänen. nen Riesenwiderspruch in sich selbst darstellt“. Der Entschluss, nach Kopenhagen zu gehen, Sie berührt damit ein vieldiskutiertes Dilemma reifte in ihr, nachdem sie auf einem Mailänder in der Konservierung von vor allem zeitgenössiSymposium die Präsentation eines dänischen scher Kunst: „Die Materialien in den KunstwerRestaurators über die Arbeit mit zeitgenössiken sind anfällig für den Zahn der Zeit. Es wäre weise, das im Kopf zu behalten, wenn wir konscher Kunst verfolgt hatte. „Die mir vertraute italienische Methodik war so weitaus dogmatiservieren.“ In Italien, das auf eine jahrhundertelange Tradischer“, erkannte Bosetti. Ihre Neugierde war geweckt: Nachdem sie bislang vor allem an alter tion des Erhalts von Kunst- und Kulturgütern zuWandmalerei gearbeitet hatte – etwa an den rückblicke, sei ihre Profession hoch angesehen. Fresken Correggios in der Kirche San Giovanni Bald nach ihrem Wechsel nach Kopenhagen Battista in Parma oder an denen der Giottomerkte Elisabetta Bosetti, welchen grundsätzlich 6/2019

1 Die grosse Leidenschaft der ausgebildeten Fresko-Restauratorin Elisabetta Bosetti (siehe Foto 2) gilt dem spontanen Muralismo der Straßen 2 Rußentfernung an einem Gemälde von Leif Sylvester

ABSTRACT A curator pleads for the fugitive She retouched Correggio's frescoes and saved a severely damaged work by the Cobra artist Carl-Henning Pedersen. But as prominent as the names may be – the curator Elisabetta Bosetti does not let a work become a fetish. Perhaps this has something to do with her enthusiasm for ephemeral art. An enthusiasm that arose in 2016 when she participated in Christo's installation at Iseo Lago.

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Fotos: Elisabetta Bosetti © IMMART (1); Urban Explorer (3, 4)

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Schule in der Mailänder Kirche Santo Eustorgio – drängte es sie, im Ausland zeitgenössisches Terrain zu erkunden. Nach Dänemark zog die Restauratorin 1991. Dort war sie für diverse private und staatliche Konservierungsstudios tätig und studierte in Kopenhagen Kunstgeschichte sowie Projektmanagement. Jedes Werk, darauf legt Bosetti Wert, sei für sie einzigartig und nicht wiederholbar. Deshalb fixiere sie sich nicht auf eine bestimmte Epoche, betont die Restauratorin: „Ich mag die Herausforderung, die Variationsbreite der Aufgaben und das Privileg, exquisiter, problematischer und aufregender Kunst sehr nah zu kommen.“ Dazu zählt sie auch das Gemälde „Tænksom Fugl“ von Carl-Henning Pedersen. Bei einem Diebstahl hatte es schwere Schäden davongetragen. Es war nicht nur ernsthaft verzerrt, sondern zudem von einem über siebzig Zentimeter langen Schnitt entstellt, wobei sich die Farbschicht an vielen Stellen von der Leinwand löste. Die Reparatur geriet zu einer echten Herausforderung. Vor allem die Behandlung des Risses bereitete Bosetti einiges an Kopfzerbrechen. Eine einfache Laminierung schloss sie aus, da diese den Originalausdruck und die Genese des Gemäldes komplett verfremdet hätte. Entsprechend der Therorie des Kunsthistorikers Cesare Brandis ist sie davon überzeugt, einem Werk bei der Konservierung erst dann Respekt zu zollen, wenn sie es als Einheit von Materialien und intellektuellem Prozess begreift. „Während des langwierigen Restaurierungsprozesses hatte ich regelrechte Albträume,“ erinnert sich die Expertin. Doch mit viel Geduld und Können verwandelte sie die vermeintliche Mission Impossible in ein Happy End: „Tænksom Fugl“ erscheint heute unberührt. Die besondere Leidenschaft der ausgebildeten Fresko-Restauratorin gilt allerdings dem spontanen Muralismo der Straßen. Daher unterstützt sie neben ihrer Arbeit für das Atelier MaleriKonservering das europäische Projekt CAPuS. Bosetti hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Kunstwerke in Kopenhagen, die unter die Kategorie „urbane Kunst“ oder Straßenkunst fallen, zu bestimmen und zu dokumentieren. CAPuS begleitete auch das Straßenkunstprojekt „Raining Poetry Nørrebro“ in Kopenhagen, das von IMMART (International Migration Meets the Arts) organisierte wurde. Damit fand 2018 erstmals die „Poesie des Regens“ in Europa 6/2019

statt – nach Stationen in den USA, Kanada, Aus- 5 tralien und Neuseeland. Raining Poetry Nørrebro bot CAPuS die Gelegenheit, ein hochgradig ephemeres Straßenkunstprojekt von Anfang an zu dokumentieren. So sprühten die Veranstalter die Gedichte von unbekannten Poeten – aus insgesamt neunzehn Nationen und in fünfzehn Sprachen – auf die Straßen. Alle Gedichte hatten den Regen oder die Dürre zum Thema. Eine mittels 6 Nanotechnologie entwickelte unsichtbare Spezialglasur ließ die schablonierten Worte erst dann auf dem Asphalt erscheinen, wenn der Regen einsetzte. Doch die Poesie war flüchtig: Nach sechs bis acht Wochen zersetzte sich die Farbe, ohne irgendwelche Rückstände zu hinterlassen. Eine von CAPuS aufgebaute umfassende Datenbank zu den Materialien und Techniken soll eine neue Generation von Restauratoren für die 7 Straßenkunst und Urban Art sensibilisieren, so Bosetti. „Es ist wichtig, die Mechanismen zu studieren und den der Straßenkunst innewohnenden Widerspruch zu begreifen, der darin liegt, etwas erhalten zu wollen, das vergänglich gedacht ist.“ Natürlich sei da auch das Dilemma von Legalität und Illegalität – etwa, wenn es um das Copyright eines illegalen Werks gehe. Street Art ist nach Elisabetta Bosettis Überzeugung eine der spontansten und transgressivsten künstlerischen Ausdrucksformen unserer Zeit. Es sei immer überraschend, zu welcher Zeit, auf welcher Wand, Oberfläche oder in welchem Stadtgebiet sich ein Künstler entscheide, seine Arbeit zu hinterlassen. „Grenzen oder na3/4 tionaler Besitz existieren nicht in dieser künstleElisabetta Bosetti unterstützt das rischen Sphäre – die Städte der Welt sind verStraßenkunstprojekt CAPuS, in deseint durch das Werk von Künstlern, deren Idensen Rahmen 2018 Gedichte zum tität oft unbekannt ist“. Banksy und Blu bildeten Thema Regen oder Dürre auf den die prominenten Ausnahmen. Asphalt aufgebracht wurden. Eine unsichtbare Spezialglasur ließ die Elisabetta Bosetti beklagt die Tendenz, kultuschablonierten Worte erst dann errelles Erbe als etwas Statisches zu begreifen, scheinen, wenn der Regen einsetzdas der Vergangenheit angehöre. Wenn die Strate. Nach sechs bis acht Wochen zerßenkunst Teil der soziokulturellen Aktivitäten sosetzte sich dann die Farbe zialschwacher Viertel werde, könne diese erheb5/6 lich zur ästhetischen und historischen WiederGrosse Herausforderung: die Bearbelebung der Plätze beitragen. Straßenkunst beitung bzw. Retusche des siebzig und urbane Kunst, so ihr Credo, seien wichtiger Zentimeter langen Schnittes am Bestandteil des allgemeinen Kulturerbes. Sie Gemälde „Tænksom Fugl“ des wirke ideell nach, obwohl sie materiell vergängCobra-Künstlers Carl-Henning Pedersen lich sei. Und das werfe spannende Fragen auf, auch und gerade an die Zunft der Restauratoren 7 und Konservatoren. Sorgfältiges Herausnehmen eines Dr. Inge Pett

Gemäldes aus dem Originalrahmen vor der Restaurierung

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