08. 11. 2013 #31
er bewegt tausende er rettet Lebensmittel Sein Budget?
08. 11. 2013 #31
Raphael Fellmer und die neue W채hrung des Engagements
Editorial
Besser billig bleiben Keine Frage: So konsequent geldlos glücklich wie es der Titelheld dieser Ausgabe vorlebt, lässt sich nicht jede Form von Bürgerengagement gestalten. Daraus lernen lässt sich allerdings auf jeden Fall. Die wichtige Botschaft lautet: Die allenthalben und zu recht geforderte Professionalität ist nicht automatisch gleichzusetzen mit Hauptamtlichkeit. Allzu oft folgen zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen und deren Förderer einem eingeübten Ritual: Wir richten zuerst ein Büro ein, schaffen mit mühsam akquirierten Fördergeldern eine hauptamtliche Projektleitung... und die wird es dann schon richten. Wer stur diesem Muster folgt, beraubt sich einiger Chancen und begibt sich bisweilen in ernste Gefahr. Aus vier Gründen. Erstens: Wer einen Apparat aufbaut, will ihn zumeist auch aufrecht erhalten. Das lenkt vom Wesentlichen ab. Projekte werden nicht mehr nur nach ihrer Sinnhaftigkeit in Angriff genommen, sondern dann, wenn sich darüber ein Teil der Infrastruktur finanzieren lässt.
Jede finanzierte Struktur braucht Magagement - und sei es nur für die Büroorganisation oder die Personalbuchhaltung. Hinzu kommen Berichte an Förderer und das Schreiben und Verhandeln von Anträgen. Diese Zeit geht der inhaltlichen Arbeit verloren. Und, was noch schlimmer ist, die Zwänge gehen auf Kosten der Kreativität und der Freude. Wer sich um das eigene Überleben kümmern muss, hat keinen freien Blick mehr für Vision und Mission. Zweitens: Wer sagt eigentlich, dass eine eigene hauptamtliche Mannschaft leistungsfähiger ist? Sie ist zumeist prekär finanziert, arbeitet unter besetzt und unterbezahlt am Limit und muss als eierlegende Wollmilchsau alles machen – oft mehr schlecht als recht. Wenn es stattdessen gelingt, kleinere Arbeitspakete auf ein rein ehrenamtliches Team aus nach Bedarf eingesetzten Spezialisten zu verteilen, kann das nicht nur kostensparend und befreiend wirken, sondern auch die Qualität verbessern. Ehrenamtlichkeit kann professioneller sein als Hauptamtlichkeit.
Editorial
Drittens: Geld macht abhängig – auch und gerade im bürgerschaftlichen Engagement. Finanziers fordern Rechenschaft und Einfluss. Kleine Fehler werden zum großen Problem, was wiederum die Experimentierfreude hemmt. Querdenker werden stromlinenförmig.
Erfolgreich und zukunftsfest werden schon bald nur noch Organisationen arbeiten, die in der Lage sind, aus diesen Möglichkeiten einer neuen Bürgergesellschaft den für sie passenden Strauß zusammen zu binden.
Es spricht also einiges dafür, auf dem Weg zur Weltrettung klein zu starten und schlank zu bleiben. Der geniale Sozialhelden-Vordenker Raul Krauthausen hat es mir mal mit folgenden Worten erklärt: „Bevor ich irgendwas anschaffe oder meine Organisation vergrößere, will ich erst mal das Problem haben, das diese Maßnahme völlig unausweichlich macht.“ Diesem Gedanken widmen wir die aktuelle Ausgabe. Lässt sich auch mit wenig viel bewegen? Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Uwe Amrhein ist Herausgeber von Enter. Diesen Beitrag kommentieren
1
Titelfoto: Raphael Fellmer
Viertens: Professionalität mit Geldfluss und Hauptamtlichkeit zu verwechseln, verleitet dazu, intelligentere Kooperationsformen zu ignorieren. Genannt seien hier Open Source- Entwicklungen, Pro Bono-Leistungen aus der Wirtschaft, Beteiligungsmöglichkeiten für Freiwillige an Konzeptions- und Leitungsaufgaben, Crowdsourcing, Zusammenarbeit mit anderen Akteuren, die am gleichen Ziel oder mit ähnlichen Methoden arbeiten, das Teilen von Ressourcen...
Weltbeweger
Weltbeweger
2
Der Berliner Büchertisch ist längst eine Institution in Kreuzberg und darüber hinaus. Jeder kann Bücher abgeben, größere Mengen werden abgeholt. Die inzwischen über 40 Mitarbeiter, die vorher keine Beschäftigung hatten, sortieren die Bücher, reichen einige an Bibliotheken, Schulen und Jugendtreffs weiter, andere werden on- und offline verkauft. Jedes Kind, das den Buchladen am Mehringdamm besucht, bekommt ein Buch geschenkt. http://weltbeweger.de/toro/ resource/html#!entity.649 www.berliner-buechertisch.de
Diesen Beitrag kommentieren 3
Foto: Berliner Büchertisch
Weltbeweger
News
News
Respekt!
Foto: imago
Der Schauspieler Ralf Richter („Das Boot“, „Bang Boom Bang“) will in Köln ein Obdachlosenhotel eröffnen. Das Haus soll Vier-Sterne-Niveau haben und eine Alternative zu den herkömmlichen NotUnterkünften sein. Das „7 Sterne“ soll von Obdachlosen gemanagt werden, der Preis bei maximal 15 Euro pro Nacht liegen. Ärzte und Jobvermittler sind Teil des Konzepts, für das es nun ans Spendensammeln geht. Diesen Beitrag kommentieren
Krisen-Kommunikation
Die Geiselnahme in einem Einkaufszentrum in Nairobi inspirierte Programmierer zu einem besonderen Notfallservice. Damit Familie, Freunde und Kollegen erfahren, ob es einem im Fall eines Anschlags gut geht, richtet man über die Website „Ping“ eine Liste mit Telefonnummern ein, im Ernstfall reicht dann eine SMS an eine spezielle Nummer, um Entwarnung zu geben. Ein Service, der hoffentlich selten zur Anwendung kommt. http://ping.ushahidi.com
4
4
Diesen Beitrag kommentieren
News
Buch-Tipp
Etwas tut sich in unseren Städten. Poller tragen plötzlich Strickmützen, Gemüse sprießt auf dem Grünstreifen, Protestcamps etablieren sich auf zentralen Plätzen. Für Hanno Rauterberg, Feuilletonist bei der ZEIT, sind dies die äußeren Zeichen dafür, dass das Leben, das lange aus der Stadt vertrieben wurde, mit Macht zurückkehrt. Der schmale Band ist eine spannende Reise durch das „urbane Leben in der Digitalmoderne“, das mit Kreativität und Gemeinsinn die Zukunft der Stadt gestalten wird. Hanno Rauterberg, Wir sind die Stadt!, Suhrkamp, 160 Seiten, 12,00 Euro
Diesen Beitrag kommentieren
Hellersdorf hilft
Der Berliner Bezirk Hellersdorf sorgte für Negativ-Schlagzeilen, als Anwohner und rechte Stimmungsmacher gegen eine neue Flüchtlingsunterkunft mobilisierten. Die Bürgerinitiative „Hellersdorf hilft“ wollte das nicht mit ansehen, brachte die tolerante Mehrheit zusammen, organisierte Hilfspakete, Willkommensaktionen und inzwischen Sprachkurse für die Flüchtlinge. Jetzt wurden sie mit dem „Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus“ des Förderkreises „Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.“ ausgezeichnet.
Diesen Beitrag kommentieren 5
Foto: imago
http://hellersdorfhilft.wordpress.com/
Titel
6
Titel
Die No-BudgetRevolution
Vergessen wir für einen Moment vertraute Vokabeln wie Kostenplan, Fundraising oder Planstelle. Stellen
wir uns ein Projekt vor, das 1.200 Freiwillige koordiniert, jeden Monat viele Tonnen Lebensmittel rettet und ohne einen Cent auskommt. Gibt’s nicht? Raphael Fellmer ist seit knapp vier Jahren im Geldstreik und macht vor, wie man die Welt ohne Fördermittel, Sponsoring und Verwendungsnachweise verändert.
7
Alle Fotos Raphael Fellmer
Text: Henrik Flor
Titel
In der Pacelliallee im noblen Berliner Dahlem reiht sich Villa an Villa. Weitläufige Gärten sind von mannshohen Zäunen umgeben, Kameras überwachen, wer kommt und geht. Wer hier im Berliner Südwesten wohnt, der hat es zu etwas gebracht – vor allem zu Geld. Ausgerechnet in der hauptstädtischen Wohlstandsblase wohnt Raphael Fellmer, ein Überzeugungstäter, der sich seit 2010 im Geldstreik befindet. Er verdient kein Geld, gibt keines aus und ist rundum glücklich. Die kleine Wohnung, die der 30-Jährige mit seiner Freundin Nieves und der kleinen Tochter kostenlos bewohnt, ist Teil des Martin-Niemöller-Hauses. Der in die Jahre gekommene Backsteinbau beherbergt an die 16 Initiativen wie Amnesty oder Ak tion Sühnezeichen. Damit Raphael Fellmer hier kostenlos wohnen kann, kümmert er sich um den Garten, macht Bürodienst im Friedenszentrum und organisiert Veranstaltungen. Das WG-Wohnzimmer ist gleichzeitig Wohnung und Arbeitsraum für die 8
Lebensmittelretter-Initiativen des Geldverweigerers. Von hier aus steuert er mehrere Online-Plattformen, die Lebensmittel vor der Mülltonne retten und jede Menge Leute zum Nachdenken darüber bringen, wie man gesünder, ökologischer und fairer leben kann. Die Stühle in dem etwas anderen Büro sind Second Hand vom Nachbarn, das Besteck und Geschirr hat Raphael Fellmer aus diversen Mülltonnen geborgen, die Regale kamen kostenlos über Ebay-Kleinanzeigen, der Laptop stammt von einem Freund. Raphael Fellmer lebt von dem, was die Überflussgesellschaft zu viel hat – und das ist eine ganze Menge.
Ohne Geld um die Welt Alles begann mit der Einladung zu einer Hochzeit in Mexiko. Raphael Fellmer fand, er sei schon genug in seinem Leben geflogen und habe einen miserablen ökologischen Fußabdruck. Zusammen mit zwei Freunden machte er sich also ganz und gar ohne Geld auf die Reise nach Mexiko. Sie trampten runter bis Marokko, wurden von Fremden zum Essen und Übernach-
Titel
ten eingeladen, erlebten überall Hilfsbereitschaft. Ein kleines Boot schiffte sie hinüber zu den Kanaren, dort machten sie Station in einem der Häuser, die nach der Immobilienkrise leerstanden und von Menschen ohne Bleibe besetzt wurden. In Müllcontainern fanden sie Obst, Gemüse und andere Lebensmittel und kochten für das ganze Haus. Schließlich fanden sie eine Segelyacht, die nach Brasilien übersetzen wollte und konnten kostenlos mitfahren, dafür mussten sie kochen, putzen, Wache halten. Fellmer: „Es war eine einzigartige Zeit, und wir fragten uns, warum wir nicht immer so leben konnten.“ In Recife, Brasilien, angekommen, verfassten die Freunde ein erstes Manifest zum Leben ohne Geld. Per Anhalter ging es dann weiter durch Süd- und Mittelamerika bis nach Mexiko-Cit y. Inzwischen ist seine schwangere Freundin Nieves mit dabei. Sie schlafen mal hier, mal da, bekommen Lebensmittelsreste auf den vielen Märkten und von Restaurants der Stadt. Sie sprechen die Händler direkt an und vereinbaren zum ersten Mal feste Abhol-
zeiten bei den einzelnen Geschäften – das Grundprinzip für die späteren Lebensmittelretter-Aktionen war geboren. Schließlich ging es über die USA zurück nach Europa – mit dem Flieger und gegen Geld – weil es nicht anders ging. Nach dem Trip war nichts mehr wie vorher. Raphael Fellmer beschloss, nie wieder Geldsorgen zu haben.
Mülltonnen im Schutz der Dunkelheit durchsuchen Zurück in Berlin fand sich zuerst eine Wohnung bei den Eltern von Freunden. Kinderkleidung für den Nachwuchs schenkten und verliehen Bekannte. Die Lebensmittel schließlich kamen von Edeka, später ausschließlich von BioLäden – aus der Mülltonne. Raphael: „Ich wollte zeigen, wie man eine ganze Familie mit dem versorgen kann, was in Hülle und Fülle vorhanden ist, aber als wertlos angesehen wird.“ Aber auch die Essensbeschaffung ohne Geld hatte ihren Preis: 3-4 Mal die Woche ging Raphael „Lebensmittel retten“, wie er es nennt. Um nicht 9
Titel
erwischt zu werden, im Schutze der Dunkelheit. Mit Stirnlampe räumte er eine übel riechende Mülltonne nach der anderen aus, suchte nach Essbarem und wurde immer fündig. Bis zu drei Stunden war er für eine Tour unterwegs, etliche Kilometer mit dem Rad gestrampelt, kam oft erst mitten in der Nacht nach Hause. Am nächsten Tag hat er sortiert, weggeschnitten, neu verpackt und die Lebensmittel an Freunde, Nachbarn, Netzwerke weitergegeben. Das alles war konsequent, aber auch kräftezehrend und nicht besonders effizient. Er schrieb also die wichtigsten Bio-Ketten in Berlin an, um eine geordnete Abholung von Lebensmitteln vorzuschlagen. Angebissen hat nur eine, die Bio Company. Dort bekam er gleich einen Termin beim Chef. Dem war völlig klar, dass es in Sachen Müllvermeidung und -trennung noch einiges zu tun gab. Vor allem war er offen für neue Ideen. Mit Raphael vereinbarte er feste Abholtermine. Ganz nebenbei entwickelte Raphael ein Mülltrennungskonzept, das
10
den Restmüll des Unternehmens mit 30 Filialen in Berlin, Potsdam und Hamburg auf einen Schlag halbierte.
Essen teilen: digital und ganz real Die Lebensmittel verteilte er nach wie vor in seinem Netzwerk – immer per Hand, täglich kamen bis zu zehn Abholer zu ihm, um Lebensmittel einzusammeln. Zusammen mit einem Freund kam ihm die Idee, eine Verteilungsplattform auf die Beine zu stellen, die dezentraler und effizienter arbeitet, mehr Leute aktiv einbindet. Schnell bekamen sie mit, dass eine solche Plattform im Aufbau war: www.foodsharing.de. Ob Privatmensch, Händler, Geschäft oder Restaurant – jeder kann hier Lebensmittel, die zu Essenskörben zusammengefasst werden, kostenlos anbieten. Registrierte Nutzer holen diese dann ab. Das System will eine Lücke schließen. Auch kleinere Mengen, die die Tafel nicht abholt oder die zu ungünstigen Zeiten bereitgestellt werden, sollen vor der Mülltonne geret-
Titel
Raphael Fellmer Glücklich ohne Geld. Wie ich ohne einen Cent besser und ökologischer lebe November 2013 Redline Verlag Print: 14,99 Euro E-Book kostenlos u.a. bei Amazon.de 2.000 Exemplare der ersten Auflage werden in Umsonstläden bundesweit kostenlos verteilt
tet werden. Das Projekt will die Wertschätzung für Nahrungsmittel erhöhen, Kontakte untereinander ermöglichen und ganz konkret die Lebensmittelverschwendung reduzieren. Im Dezember 2012 gestartet, kamen schnell 10.000 Nutzer in ganz Deutschland zusammen. Das Manko für Raphael Fellmer: Der Verein, der hinter der Plattform steht, arbeitet nicht geldlos und auch nicht open source.
Nichts ausgeben und auf nichts verzichten Er steigt dennoch mit vollem Elan in das Projekt ein, koordiniert Freiwillige, entwickelt die Plattform weiter, beantwortet Presseanfragen. Das alles, ohne selbst Geld in die Hand zu nehmen. Wenn er ein Regal braucht, schreibt er jemanden an, der eines inseriert hat, erzählt seine Geschichte vom Geldstreik und fragt, ob er das Regal kostenlos haben kann – fast immer klappt es. Fellmer: „Im Prinzip sind ja alle Dinge, die man zum Leben braucht, schon vorhanden. Man muss
sich nur mit den Menschen verbinden, die zuviel haben.“ Wenn die Druckerpatrone alle ist, fährt er zu einem Refill-Laden, berichtet, was hinter dem Projekt Foodsharing steckt, und bekommt, wenn nicht beim ersten so doch beim zweiten Geschäft seine Patronen kostenlos aufgefüllt. Ein sehr effektiver Kanal für die Akquise von Pro-bono-Leistungen ist seine Crowd. 36.000 Fans gefällt „Foodsharing“ allein auf Facebook, seine Page hat immerhin 5.000 Fans. Ein Post genügte, um etwa den Anwalt zu finden, der für lau die Rechtsvereinbarung entwarf, die die Lebensmittelretter unterzeichnen müssen und die die Läden von jeglichen Ansprüchen befreit. Wenn Fellmer jemanden sucht, der mutmaßlich noch nicht in einem seiner Netzwerke unterwegs ist, bittet er die Fans, das Gesuch in die eigene Crowd zu spielen. Seine Erfahrung: „Wer einmal freiwillig etwas getan hat, macht es auch ein zweites Mal.“ Die Währung Anerkennung funktioniert.
11
Titel
Pro bono – hinterher haben alle mehr Fellmer ist sicher: „Man muss den Leuten die Chance geben, eine Sache zu unterstützen. Klar, es besteht immer die Option, alles mit Geld zu regeln, ohne den Nachbarn, Kollegen, Bekannten anzusprechen. Das ist oft der einfachere Weg, aber auch der kühlere.“ Pro bono ist also nicht nur ein Verfahren, um kostenlos an Leistungen zu kommen, es geht um eine neue Betriebstemperatur beim Miteinander. Gold wert war der zufällige Kontakt zu einem Programmierer, der ebenfalls Raphael heißt. Er hatte als gut bezahlter Informatiker gearbeitet, bis er aus dem System ausgestiegen ist, nun Sozialarbeit studiert und Projekte wie Foodsharing unterstützt. Als Foodsharing-Botschafter für Köln und das gesamte Netz koordiniert er dort die Freiwilligen und stellt die Abholer-Ausweise aus. Um die Prozesse zu vereinfachen, programmierte er eine Plattform mit einer Map, auf der Freiwillige, Abholstationen und 12
Verteilerpunkte verzeichnet sind. Es war genau die Art von Plattform, die Raphael Fellmer für das ganze Foodsharing-Projekt vorschwebte. Monatelang war Raphael mit dem Programmieren beschäftigt, und die beiden konzipierten zusammen eine neue Art der Lebensmittelrettung. Parallel schrieb Raphael an seinem Buch „Glücklich ohne Geld“. Am Ende stand die Website www.lebensmittelretten.de. Dort haben es Händler, Produzenten, Geschäfte und Kantinen noch leichter, Lebensmittel anzubieten. Die „Foodsaver“, also Abholer, können sich besser abstimmen und auch das Ausstellen der Ausweise, was vorher extrem aufwendig war, funktioniert nun über eine simple PDF-Vorlage. „Das Projekt ist zu 100 Prozent open source und funktioniert komplett geldfrei“ ,freut sich Raphael. Neben dem Programmierer haben sich auch Designer kostenlos gefunden, der Webspace kommt wie schon bei den anderen Projekten von einem grünen Hoster, der das Projekt unterstützt.
Titel
Wohnung gesucht Wegen der Sanierung des Martin-Niemöller-Hauses braucht Raphael Fellmer mit seiner Kleinfamilie bald eine neue Bleibe, in der er kostenlos wohnen kann. Gerne erledigt er im Gegenzug kleinere Arbeiten. Bitte Raphael Fellmer über eine seiner Webseiten kontaktieren.
Vernetzen und teilen Die Pläne für die Zukunft der KostenlosPlattform sind nicht eben bescheiden. Sie ist nicht weniger als die Blaupause für einen Marktplatz, auf dem nicht nur Lebensmittel, sondern auch Gebrauchsgegenstände, Räumlichkeiten und Wissen/Kenntnisse verschenkt, geteilt oder verliehen werden. „Wir möchten Schnittstellen zu den vielen anderen Netzwerken des Teilens aufbauen. Derzeit muss man jede regionale und überregionale Plattform einzeln durchsuchen und sich registrieren, wenn man etwas Bestimmtes braucht.“ Raphael Fellmers Vision: eine Meta-Suchmaschine wie die Flugbuchungs-Websites, die alle Angebote listen. Sein besonderer Bonus beim Akquirieren von Sachspenden und Unterstützern: Er selbst lebt radikal vor, was er propagiert und ist dazu der Typus Sympathieträger, dem kaum jemand etwas abschlagen kann. Ihm ist dabei vollkommen klar, dass er nicht komplett aus der Geldwelt aussteigen kann: „ Jeder
Schluck Leitungswasser, jede Mail, die ich verschicke oder die Straße, auf der ich laufe, hat einmal Geld gekostet.“ Aber er will zeigen, dass es jede Menge Möglichkeiten gibt, es anders zu machen, umzudenken. Was mit der internationalen Tausch- und Verschenk-Plattform im Großen geplant ist, macht Raphael Fellmer mit seinem Buch, was diese Tage erscheint, schon einmal vor. Auf der Website zum Buch (www.gluecklich-ohne-geld.de) sollen Leser das fertig gelesene Buch zum Verschenken oder Ausleihen inserieren können, umgekehrt können sich Interessenten vormerken lassen. Das Buch soll so auf die Reise geschickt werden. Jeder Leser trägt seinen Namen auf der letzten Seite ein. www.lebensmittelretten.de www.foodsharing.de http://de.forwardtherevolution.net Diesen Beitrag kommentieren
13
Titel
Intelligente Kooperationen
Für Ricarda Weller vom Berliner Patenschafts-Verein „Hand in Hand“ kam die Vision immer zuerst. Nur mit Begeisterung und Leidenschaft kann ein Projekt erfolgreich starten, alles andere findet sich dann. „Ich habe immer selbstständig gearbeitet und bin gar nicht auf die Idee gekommen, jemals staatliche Mittel zu beantragen.“ Stattdessen setzt sie auf intelligente Kooperationen. Das Vereinsbüro bekam sie für eine geringe Miete in den Räumen einer Kinderladenverwaltung. Die ersten Computer waren Firmenspenden. Richtig gut läuft die Zusammenarbeit mit dem Regent Hotel Berlin. In dessen Küche können die Kinder Backnachmittage machen, oder Patenkinder schnuppern als Praktikanten ins Hotelgewerbe. Solche Kooperationen und andere No-Budget-Ideen reicht Ricarda Weller bereitwillig im Netzwerk Berliner Kinderpatenschaften weiter. Irgendwas muss sie richtig gemacht haben, wenn sie sagt: „Ich war noch nie so glücklich.“
Fotos : Hand in Hand
www.handinhand-patenschaft.de
14
Fotos :max Bryan
Titel
Mit Laptop und Cam auf der StraSSe
Max Bryan dürfte der bekannteste Wohnungslose Deutschlands sein. Es begann damit, dass 2010 Vitali Klitschko an seinem Schlafplatz im Hamburger Hafen vorbeijoggte. Max Bryan, großer Boxfan, bat ihn um ein gemeinsames Foto und kam mit ihm ins Gespräch. Das Foto landete später in diversen Zeitungen. Für den 37-Jährigen war es der Moment, wieder nach vorne zu schauen und mit dem Bloggen anzufangen. Sein Tagebuch aus dem Leben eines Wohnungslosen erreicht viele Menschen. Parallel macht er Video-Interviews mit Obdachlosen. Er will Barrieren einreißen und es den Leuten mit Wohnung leichter machen, Wohnungslosen zu helfen. Als Wohnungsloser mit Laptop, Surfstick und Digitalkamera war er für viele ein ungewohnter Anblick. Gut ein Jahr später setzte er sich auf ein Rad und ist solange durch Deutschland gefahren, bis ihm jemand eine Wohnung vermittelte. Nach vier Monaten hatte er Erfolg, er fand eine Unterkunft in der Nähe von Bad Nauheim auf einem alternativen Hof und hat einen Buchvertrag bekommen. Aktuell ist er wieder in Hamburg und begleitet Protestaktionen gegen steigende Mieten und Leerstand – natürlich mit Kamera und Laptop. https://www.facebook.com/pages/Max-Bryan/161102710574227
15
Titel
Frag die Crowd!
Gerade hat er 1.435 Euro auf einer Crowdfunding-Plattform gesammelt, um sein „Unreal Estate House“ winterfest zu machen. Das mobile Heim ist gerade einmal 6 qm groß, bietet aber die gleiche Ausstattung wie eine gewöhnliche Wohnung. Van Bo Le Mentzel: „Es ist ein Haus für bürgerschaftlich Engagierte und Ehrenamtliche, Stadtnomaden und Flüchtlinge, Kulturarbeiter und Menschen mit Visionen.“ Bekannt geworden ist er mit Bauplänen für sog. HartzIV-Möbel. Sie stammen größtenteils aus seiner Crowd – das sind rund 24.000 Menschen auf Facebook und anderen Kanälen. Man bekommt sie kostenlos im Tausch gegen eine Geschichte, warum man Möbel selbst bauen will. Geld ist für Van Bo Le Mentzel ein Motivationskiller. Die echte Währung: Anerkennung und Karma. Deshalb bekommt jeder, der für sein mobiles Haus einen Euro gegeben hat, direkt einen „Karma-Deal“. Wer 50 Euro gibt, darf einen Tag im Haus wohnen. Wann immer ein neues Projekt wie die fair produzierten „Karma-Chucks“ ansteht, fragt er einfach seine Crowd und treibt die Idee mit dem, was zurückkommt, voran. Mit der Devise „einfach machen“ tritt er den Beweis an, dass Visionen auch auf 6 qm Platz haben. http://hartzivmoebel.blogspot.de/
16
Titel
Erst einmal ohne Geld planen
Raul Krauthausen vom Verein Sozialhelden: „Seit gut drei Jahren haben wir ein festes Büro bei ImmobilienScout 24 am Ostbahnhof. In den Jahren zuvor mussten wir öfters schauen, wie wir uns treffen, um an den Projekten „Pfandtastisch Helfen“ und Wheelmap.org zu arbeiten. Wir haben alles mögliche ausprobiert, aber Waschsalons und der S-Bahn-Ring sind auf Dauer unbequem, es gab keine Kantine, Toiletten und Strom für unsere Laptops. Irgendwann hatten wir dann die Idee, uns mal bei IKEA zu treffen, weil da die Logistik vorhanden war, aber auch da natürlich immer mit der Gefahr, dass wir freundlich hinaus gebeten werden.
www.sozialhelden.de
17
Fotos : Sozialhelden
Wir haben uns oft gefragt: Wo finden wir das, was wir benötigen, für umme? Und was wir brauchten war: ein Dach, Sitzgelegenheiten und ein inspirierendes Umfeld. Dann haben wir es einfach in verschiedenen Gesprächen erwähnt, ohne dass es das Gesprächsanliegen war. Vielleicht hat das dabei geholfen, dass wir nicht als Bittsteller aufgetreten sind und sich die andere Seite verpflichtet gefühlt hat, jetzt ja oder nein zu sagen. Beide Seiten sind weniger unter Druck. Unsere neuen Projekte planen wir weiterhin so, dass es eine Lösung gibt, die wir selbst umsetzen könnten und wenn es dann Geld oder auch ein Produktionsangebot gibt, erleichtert es natürlich das Arbeiten, aber es ist keine Voraussetzung.“
openTransfer CAMP München
#otc München
Fotos: Florian Hammerich
Mann nennt es Projekttransfer, Verbreitung oder Skalierung, wenn eine gute Idee die Runde macht. Nach Berlin und Köln trafen sich am 12. Oktober 130 Projektmacher, Innovatoren und Sozialunternehmer in München auf dem openTransfer Camp um sich über genau dieses Thema austauschen, sich Diesen Beitrag zu vernetzen, Kooperationen zu beginnen. Eine ausführliche kommentieren Dokumentation gibt es hier.
18
openTransfer CAMP M체nchen
Schon am 23. November findet das n채chste openTransfer Camp in Berlin statt. Infos und Anmeldung auf: www.opentransfer.de/event/otc12-berlin 19
openTransfer CAMP M端nchen
20
openTransfer CAMP München
Simon Schnetzer („Junge Deutsche“) erklärte in seiner Session, wie man per Fahrrad ein Projekt verbreitet
21
openTransfer CAMP München
Gastgeber des Camps war die Social Entrepreneurship Akademie. Das Strascheg Center wurde beim Mittag zur Kontaktbörse für Projektmacher
22
openTransfer CAMP M端nchen
23
openTransfer CAMP M端nchen
24
Bei 30 Themen auf dem Sessionplan fiel die Entscheidung nicht leicht
openTransfer CAMP M端nchen
25
23. November 2013 Berlin
Beim openTransfer CAMP kommen soziale Innovatoren und Macher erfolgreicher Bürgerideen aus ganz Deutschland zusammen. In Diskussionen, Workshops und dem Ideen-Lab geht es um die Frage, wie eine gute Idee groß wird.
Jetzt kostenlos anmelden! opentransfer-camp.mixxt.de | #otc13
Jetzt auch als App Mit zus채tzlichen Videos und Audio-Interviews Holen Sie sich die Enter-App gratis f체r: iPad, iPhone und Android
28
28
Agenda
TIPPS & TERMINE W
e
b
-
T
i
pp
Wieder einmal beweist der Guardian, dass in Sachen Infografik niemand der englischen Zeitung das Wasser reichen kann. Wie hier die NSA-Affäre in Grafiken, Experten-Statements und Dokumenten entwirrt wird, beeindruckt. www.theguardian.com/world/interactive/2013/nov/01/ snowden-nsa-files-surveillance-revelationsdecoded#section/1
W
ett
b
ewe
r
b
Beim Programm Think Big (Telefónica Germany und Deutsche Kinder- und Jugendstiftung) bewerben sich Jugendliche und Erwachsene im Alter von 14 bis 25 Jahren mit ihren Projekten. Letztes Jahr bekamen über 500 Initiativen die 400-Euro-Förderung sowie Coachings. www.think-big.org
M o biles
E ngagement
Betterplace hat eine mobile Website entwickelt, auf der man Geld und Zeit spenden kann. Auf einer Map werden Projekte und Organisationen in der Nähe angezeigt, bei denen man sich engagieren oder für die man spenden kann. Die Zeitspenden basieren auf der Freiwilligendatenbank der Aktion Mensch. www.betterplacemobile.de
29
www.entermagazin.de
Impressum Herausgeber: Uwe Amrhein Redaktion: Henrik Flor Gestaltung: Simone Schubert, www.derzweiteblick.org PropststraĂ&#x;e 1 10178 Berlin Telefon +49 / 30 - 30 88 16 66 Telefax +49 / 30 - 30 88 16 70 redaktion@entermagazin.de www.entermagazin.de Enter erscheint in Kooperation mit der Stiftung BĂźrgermut und dem Engagement-Netzwerk www.weltbeweger.de.