Au sgabe Nr. 6, WiSe 2013 /1
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ISSN 2193- 1224
Hausarbeiten, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten – Studierende ARBEITEN Beiträge unter anderem:
Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa Räume, Grenzen, Narrative. Die mediale Verfestigung der europäischen Außengrenze In welchen Wirtschaftsbereichen sind die Arbeitnehmer am längsten unterwegs? Power to the people – Doing more with less. und viele mehr ...
Josephine Kellert
in Kooperation mit
ein Projekt der Geowerkstatt Leipzig e.V.
Willkommen! Hallo liebe Studierende und willkommen zur 6. Ausgabe! Ihr wart mal wieder gefragt, uns Artikel, Forschungsarbeiten und Berichte rund um unser liebstes Thema einzureichen: die Geographie.
Die GeoWerkstatt stellt für euch einen Erasmusbericht über Teneriffa und einen Summer-School-Artikel im Rahmen des "Go-East-Programms" bereit.
So findet ihr in der Rubrik Geographisches beispielsweise einen Beitrag zum Thema der Europäischen Grenzpolitik unter Betrachtung der Konstruktion und Wahrnehmung von Raum.
Sicherlich ist jedem Geographiestudierenden auch schon folgende Frage gestellt worden, die Sprach(r)ohr für euch noch einmal aufgreift:
Und ...äh... was macht man dann mit Geographie?
Auf Seite 62 erfahrt ihr, warum diese Ausgabe tote Hose in GeoPraktisch ist.
Und auch in der nächsten Ausgabe werdet ihr über spannende Themen lesen, die von Studierenden eingereicht wurden. Bis dahin wünscht entgrenzt viel Spaß beim Lesen und viel Erfolg für das laufende Semester!
Josephine Kellert
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Gesamteditorial | entgrenzt 6/2013
Ge sa m tin ha lt S. 5
Geographisches
Räume, Grenzen, Narrative. Die mediale Verfestigung der europäischen Außengrenze Manuel Marx:
S. 14
Tobias Ebert:
S. 26
Katja Thiele, Greta Ertelt, Nelly Grotefendt & Christiane Uhlig:
S. 35
Call for Papers – Ausgabe Nr. 8, WiSe 2014/15
S. 38
In welchen Wirtschaftsbereichen sind die Arbeitnehmer am längsten unterwegs? Eine deutschlandweite Untersuchung von Berufspendeldistanzen in Abhängigkeit von raum- und qualifikationsstrukturellen Branchenmerkmalen Power to the people – Doing more with less. Auswirkungen des staatlichen Sparpakets in Großbritannien auf die lokale Jugendsozialarbeit am Beispiel von London-Islington
GeoWerkstatt Silke Kellig & Marcus Hübscher:
Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa
S. 48
Sophie Großmann:
S. 51
Benjamin Prager:
S. 56
Nicolas Caspari & Alexander Groos:
S. 59 S. 60
S. 62
Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss? Ja! – Ein studentischer Erfahrungsbericht zum Arbeitskreistreffen Geoarchäologie 2013 in Cottbus „Von der Puszta in die Karpaten – Kulturlandschaften im Umbruch“. Herausforderungen und Ansätze nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa Dürfen wir vorstellen? Das DiaForum
Sprach(r)ohr Susanne Knorr:
Geographie – „… und was macht man dann damit?“
Manuel Herzog & Markus Maaßen:
Schon mal drüber nachge(o)dacht!?
GeoPraktisch
Prärie auf weiter Flur
S. 64 S. 65
entgrenzt machen, aber wie?
S. 68
Impressum
Nachwuchs für die kommende Ausgabe!?
entgrenzt 6/2013 | Gesamtinhalt
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G e o gr a p h i s c h e s Sechs Uhr morgens: ... ... der Wecker klingelt. Muss früh raus, das Editorial für Ausgabe sechs schreiben. Ideen: Mangelware. Ich schlage die Zeitung auf, mache mir ein Sechs-Minuten-Ei und einen Kaffee. Währenddessen verkündet das Radio, die Sechs-Tage-Woche sei längst deutscher Alltag. Hm. Auf Seite sechs steht was von der kleinsten vollkommenen Zahl. Versteh ich nicht. Liegt aber vielleicht auch am Sixpack von gestern. Egal, aus Einstein mit seiner sechs in Mathe ist ja schließlich auch noch was geworden. Im Brotkorb liegt was Sechsbeiniges. Was Sechsstelliges wäre mir lieber. Also weiter zu den Lottozahlen: leider kein Sechser und auch die Inspiration lässt weiter auf sich warten. Na was soll’s. Gott hat für die Schöpfung schließlich auch nicht weniger als sechs Tage gebraucht… In der sechsten Ausgabe erwarten Euch in der Rubrik Geographisches … nein nicht sechs, sondern drei studentische Beiträge. Anders als in den vorangegangenen Ausgaben folgen sie keinem einheitlichen Thema, sondern sind das Ergebnis eines offenen Calls. Das Ergebnis: ein kleiner Streifzug durch die Vielfalt der Geographie. Qualitative Sozialforschung trifft auf Regressionsanalyse, politische Geographie auf Verkehrs- und Stadtgeographie. Ob Grenzen, Räume oder Diskurse, ob kontinentale, regionale oder Quartiersebene: Space matters! Nur die physischen Geographen waren anscheinend gerade mal alle wieder im Feld… Der erste Beitrag stammt von Manuel Marx von der FU Berlin. Am Beispiel der Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX verdeutlicht er, wie Diskurse geostrategische Raumvorstellungen erzeugen. Erst diese „Wirund-die-Anderen“-Rhetorik ermöglicht die Art rigider Grenzschutzpolitik, deren dramatische Folgen uns allen erst kürzlich schmerzlich vor Augen geführt wurden. Tobias Ebert (Uni Marburg) gewährt uns daraufhin einen Eindruck von den Zusammen-
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hängen zwischen Pendeldistanzen und Ausbildungsniveaus deutscher ArbeitnehmerInnen. Mit guten Nachrichten für euch: zwar steigt generell mit zunehmendem Qualifikationsniveau der Zeitaufwand fürs Berufspendeln, doch gerade bei den Graduierten lassen sich Ausnahmen von dieser Regel erkennen. Katja Thiele, Greta Ertelt, Nelly Grotefendt und Christiane Uhlig, alle MA Geographie der Großstadt an der HU Berlin, präsentieren euch abschließend die Ergebnisse eines empirischen Projekts, das im Rahmen einer stadtgeographischen Exkursion nach London entstand. Sie untersuchen am Beispiel von London-Islington, welche Folgen die Verschiebung weg von wohlfahrtsstaatlichen Prioritäten hin zu wirtschaftlichen Belangen auf lokale Jugendsozialarbeit hat. Viel Spaß beim Lesen! Ingo Haltermann, Redaktion Geographisches
Geographisches | entgrenzt 6/2013
Manuel Marx (FU Berlin)
Räume, Grenzen, Narrative Die mediale Verfestigung der europäischen Außengrenze Grenzen sind mehr als die geographischen Ränder einer politischen Einheit. Sie sind genauso ein Zeichen dafür, dass das, was eingegrenzt wird, nach außen als in sich einheitlich wirken soll. Erst wenn man aufhört Räume und Grenzen als natürlich gegeben zu denken, werden die Prozesse deutlich, die zu einer abschottenden Wirkung der Außengrenze führen. In der Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die EUGrenzschutzagentur FRONTEX beleuchtet der vorliegende Artikel, wie geostrategische Raumvorstellungen diskursiv erzeugt werden. Durch die Verkopplung von Kultur und Territorium wird ein vermeintlich homogenes von außen bedrohtes Europa konstruiert. In dieser Hinsicht verstärkt die Berichterstattung durch die Transformation des europäischen Raums in eine gated community die Präsenz und Durchsetzungskraft der europäischen Abschottung. 1 FRONTEX und der Schutz der europäischen Außengrenze
Für die Entstehung einer territorial verfassten und abgegrenzten politischen Einheit bedarf es sowohl der inneren Vereinheitlichung des Territoriums als auch einer Abgrenzung nach außen (Krause 2009: 251). Mit dem Ziel der politischen Integration hat sich die europäische Grenzsicherungspolitik zu einem vergemeinschafteten Politikfeld entwickelt, das zunehmend an Aufmerksamkeit innerhalb der politischen Agenda gewinnt (Eigmüller 2007: 82). Mit dem Schengenabkommen wurde die Außengrenze eine praktische Realität. Ihre Sicherung wurde auf europäischem Niveau zu einer immer zentraleren Aufgabe, auch wenn die formale Hoheit weiter bei den Mitgliedsstaaten der Union liegt (Kasparek 2008). Insbesondere als die Osterweiterung der Europäischen Union Kontur annahm, wurde den Verantwortlichen bewusst, dass die Grenzschutzfähigkeiten der osteuropäischen Beitrittskandidaten nicht der Sicherung gegenüber unerwünschten Migrationsprozessen genügen würden und substanzielle Unterstützung zum
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Schutz der europäischen Außengrenze nötig sei (Monar 2006: 194). Das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stärker werdende Bedürfnis nach innerer Sicherheit vereinfachte die Gründung der Grenzschutzagentur FRONTEX (Agentur für die operative Zusammenarbeit an den EU-Außengrenzen, abgeleitet aus dem Französischen frontières extérieures) (Bermejo 2009: 216; Jorry 2007: 7). Sie nahm ihre Arbeit am 1. Mai 2005 in Warschau auf. Die Agentur bündelt seitdem verschiedene Projekte zur Grenzsicherung. Trotz ihrer geringen Kompetenzen hinsichtlich der direkten Durchführung von Grenzkontrollen fungiert FRONTEX zuweilen als Zentrale eines Netzwerks aus nationalen Experten. Die Agentur verleiht so der inneren Sicherheit und dem Schutz der Außengrenze einen institutionellen Rahmen zur Aufgabenerfüllung und wurde zu einem wichtigen Element eines vereinheitlichten Grenzschutzes (Möllers 2010). So entwickelte sich ein ursprünglich peripherer Politikbereich, zu einem weitgehend vergemeinschafteten Politikfeld, indem die heutige EU sowohl in der Gesetzgebung als auch in der administrativen Umsetzung gemeinsamer Grenzsicherungspolitik essenzielle Aufgaben wahrnimmt (Eigmüller 2007; Pollak/Slominski 2009). Die Institutionalisierung gilt dabei als Voraussetzung für die Verwirklichung des freien Binnenmarktes sowie als Garant der inneren Sicherheit. Durch die geschaffene Möglichkeit grenzüberschreitende Prozesse zu steuern und zu kontrollieren, ist die heutige Ausgestaltung der Grenzsicherungspolitik zugleich Voraussetzung für die zukünftige europäische Integration (Eigmüller 2007). Vor diesem Hintergrund richtet sich das Untersuchungsinteresse der Arbeit auf die medial vermittelten Charakteristika der europäischen Außengrenze innerhalb der Berichterstattung über FRONTEX. In diesem Zusammenhang liegt der Fokus auf der Frage, wie Räume im Diskurs um Grenzziehungsprozesse konstituiert und mit Bedeutungen aufgeladen werden.
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2 Die soziale Konstruktion der europäischen Grenze
Erst mit der räumlichen und sozialen Abgrenzung zu anderen entsteht ein Subjekt, welches sich mit dieser Grenze definiert und identifiziert (Strüver 2005: 150). Jene Verräumlichungen führen dazu, dass sie „die soziale Welt in vermeintlich homogene Einheiten einteilen und damit Freund- und Feindbilder etablieren, die auf den unterschiedlichsten Maßstabsebenen handlungsrelevant werden“ (Glasze/Mattisek 2009: 16). Menschen, die sich in einem Territorium zu einer politischen Einheit, zum Beispiel einem Staat, zusammenschließen, müssen ihr Zusammenleben aneinander anpassen und sich gleichzeitig gegenüber Menschen außerhalb des jeweiligen Territoriums abgrenzen. Grenzen sind Zeichen staatlicher Souveränität und Mittel zur Aufrechterhaltung der Kontrolle grenzüberschreitenden Personen- und Warenverkehrs. Infolgedessen sind sie mehr als eingefrorene Grenzlinien auf geographischen Karten, die einen Gebietsanspruch markieren. Vielmehr werden sie durch Sprache und Symbole konstruiert, die auf eine identitätsbildende Unterscheidung zwischen Innen und Außen einwirken (Anderson 2006; Dalby 1991; Newman 2003; Paasi 2005). Als soziale, kulturelle und politische Konstrukte prägen sie die räumlichen und sozialen Ordnungsvorstellungen weit über die Grenzregionen hinaus. Wie eine Grenze gestaltet wird, hängt indes stark davon ab, wie das Verhältnis zu denjenigen auf der anderen Seite wahrgenommen wird und welche Probleme darin gesehen werden. Erst die Abkehr von einer essentialistischen Betrachtung natürlich gegebener Grenzen verdeutlicht die abschottende Wirkung der Außengrenze in Form von Inklusion und Exklusion (Newman 2003: 277). Die Strukturierung zwischen Drinnen und Draußen, Zentrum und Peripherie fokussiert sich auf die Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem. Durch die symbolische und kulturelle Homogenisierung einer europäischen Gemeinschaft wird die Angst und Furcht vor dem Fremden stilisiert und das Verhältnis zwischen Innen und Außen kreiert (Anderson 2006: 135; Paasi 2005: 18). Mit dieser Unterscheidung wird die eigene Identität konstruiert und die Komplexität und soziale Vielfalt der Gesellschaft auf überschaubare Kategorien reduziert, wodurch die Grenze selbst zum Produzenten einer so-
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zialen Ordnung wird (Eigmüller 2007: 83; Tonra 2010: 63). Die europäische Integration schafft diese Identitätskonstruktion nicht ab. Vielmehr entsteht nun neben einer nationalstaatlichen eine weitere Identitätskategorie. Die Bedeutung der komplementären Einteilung in unser Raum und deren Raum basiert dabei weiterhin auf der identitätsstiftenden Dichotomisierung des Eigenen und des Anderen. Mit der Etablierung eines gemeinsamen Grenzregimes auf europäischer Ebene sowie einer vermeintlich europäischen Identität ist die Frage nach territorialer Inklusion und Exklusion komplexer geworden (Newman 2003: 284). In diesem theoretischen Kontext steht der Analysefokus der vorliegenden Untersuchung. Einhergehend mit den sozialkonstruktivistischen Überlegungen hinsichtlich grenzbezogener Inklusion und Exklusion ergeben sich für humangeographische Forschungen neue Perspektiven auf den europäischen Raum. 3 Ausgangspunkt geopolitischer Raumbilder
Wie lässt sich nun verstehen, dass die Grenzziehung Europas in verschiedenen historischen Kontexten sehr unterschiedlich abläuft und dabei die Identität Europas differierend bestimmt wird? Durch eine Offenlegung von räumlichen Ordnungsvorstellungen gelingt es, die gesellschaftliche Produktion spezifischer Wahrheiten und räumlicher Wirklichkeiten zu konzeptionalisieren. Auf der Grundlage dieser Gedanken will der vorliegende Artikel Regelmäßigkeiten hinsichtlich der Argumentationsstrukturen und Kontextualisierungen innerhalb des medial vermittelten Bildes über FRONTEX aufdecken. Die theoretische Auseinandersetzung mit der Frage, wie Räume wahrgenommen, projiziert und konstruiert werden, erfährt seit einigen Jahrzehnten starke Aufmerksamkeit aus den sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Insbesondere im Bereich der Politischen Geographie werden diese Gedanken, die der Raumkonstitution zugrunde liegen, aufgegriffen. Der Forschungsansatz der Critical Geopolitics bietet bei der Theoretisierung der gesellschaftlichen Produktion von Raum das konzeptionelle und methodische Rüstzeug, geopolitische Ordnungsvorstellungen als sprachliche Konstruktionen mit territorialen Semantiken und Repräsentationsweisen aufzudecken (Dodds/Sidaway 1994; Gregory 1994;
Räume, Grenzen, Narrative | entgrenzt 6/2013
Müller 2008; Ó Tuathail 1996). Raum ist hierbei nicht a priori durch seine physische Existenz von Bedeutung, sondern erhält diese erst durch Zuschreibungen aus Gesellschaft und Politik (Newman 1999: 13; Reuber et al. 2005: 16). Die sprachliche Konstruktion geographischer Raumbedeutungen und deren Instrumentalisierung bezieht sich unmittelbar auf den linguistic turn der Sozialwissenschaften (Reuber/Wolkersdorfer 2001: 6). Auch scheinbar objektiv wirkliche Grenzen zwischen Ländern und Regionen sind ein Produkt sprachlicher Zuordnungen. Diese territorialen Muster und Regeln, denen die Prozesse der raumwirksamen Beschreibung und Interpretation folgen, durch die Wirklichkeit konstruiert wird, bilden Diskurse. Sie „konstituieren sich aus Komplexen primär sprachlicher und kommunikativer Handlungen auf einen Gegenstand hin, die eine konkrete Leseart des Gegenstandes zu fixieren suchen“ (Brand 2012: 221). Der Blick auf Diskurse gibt demnach Einblick in die Prozesse der Bedeutungsschaffung, die im Kern mittels sprachlicher Bedeutungszuweisungen intersubjektiven Konsens in Form geteilter Bedeutungsgehalte generieren. Sprache prägt demzufolge unsere räumlichen Ordnungsvorstellungen und ist in dieser Hinsicht ein Mittel, welches es Akteuren erlaubt, räumliche Assoziationen und Konnotationen zu etablieren (Mattisek/Reuber 2004: 231). Ansätze der Kritischen Diskursanalyse greifen die Gedanken unmittelbar auf, indem sie Sprache als „[…] an integral element of the material social process“ (Fairclough 2001: 122) verstehen. Vor diesem Hintergrund trägt eine diskursanalytische Forschungsperspektive dazu bei, Ordnungsvorstellungen aufzudecken, in denen tradierte Deutungsmuster und Sinnstrukturen reproduziert und neu geschaffen werden. Die Analyse intentionaler Sprachakte bietet insofern die Möglichkeit, vermeintlich feststehende Wahrheiten zu hinterfragen (Jäger 2009). Bei der gegenseitigen Verschränkung von Räumlichkeit und Identität sowie der Etablierung spezifischer Raumwahrnehmungen spielt die Berichterstattung über die europäische Grenzschutzagentur für die öffentliche Wahrnehmung eine erhebliche Rolle. Nicht nur die Grenze zwischen Räumen, sondern auch deren Eigenschaften werden sprachlich manifestiert. Spezifische Regionen werden durch Worte als Risikoraum, also als territoriale Bedrohung definiert, mit der die
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Forderung nach mehr Sicherheit einhergeht (Belina 2010). Forschungsansätze der securitization theory untersuchen diese Sicherheitswahrnehmungen auf Basis von Sprechakten. Vor diesem Hintergrund bezieht sich eine Versicherheitlichung auf die Summe der Darstellungen eines Sachverhaltes in Form einer Gefahr für die militärische, politische, wirtschaftliche, ökologische oder gesellschaftliche Sicherheit eines Kollektivs (Buzan et al. 1998: 4). Die vermeintlichen Bedrohungspotenziale führen zu einer spezifischen Sicherheitswahrnehmung, die eine generelle Objektivität räumlicher Ordnungsvorstellungen unterstellt. Aus dieser Sicht dient die territoriale Begründungsrhetorik des Sicherheitsdiskurses dazu, die gesellschaftliche Wahrnehmung durch die Skizzierung existenzieller Bedrohungen zu strukturieren (Reuber et al. 2005: 14). 4 Massenmedien als Realitätskonstrukteure
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (Luhmann 2009: 9). Gegenwärtig kommt keine Form der Konstruktion von intersubjektiven Bedeutungsgehalten ohne die Massenmedien aus. Sie stellen eine öffentliche Wissensform innerhalb der gesellschaftlichen Diskussion zur Verfügung und wirken als Informationsinstrument auf die politische und öffentliche Meinungsbildung ein (Krause 2009: 86; Marxhausen 2010: 95). Medialität ist insofern ein konstituives Element von gesellschaftlichen Diskursen. Wenn in den Medien von Bedrohungen berichtet wird, beeinflusst dies unweigerlich unsere Wahrnehmung von Sicherheit. Daher nimmt die Berichterstattung in den Medien für die europäische Sicherheitswahrnehmung sowie die Versicherheitlichung und Reproduktion eines imaginativen Territoriums eine zentrale Bedeutung ein (Anderson 2006: 135; Buzan et al. 1998: 124). Die in den Massenmedien publizierten Texte strukturieren das menschliche Deuten und führen mittels Verbreitung und Verfestigung raumwirksamer Deutungsmuster zu einer gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion (Keller 2003: 212). Um den Sicherheitsdiskurs an der europäischen Außengrenze nachzuvollziehen, lohnt deshalb ein, wenn auch hochgradig selektiver Blick in die Presse. Mit einer aktuellen Auflage von knapp 500.000 Exemplaren zählt die Frankfurter All-
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gemeine Zeitung (FAZ) zu den größten Tages- verglichen. Der zur Feinanalyse herangezoge-
zeitungen in Deutschland (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. 2011). Sie gilt als das überregionale Leitorgan einer konservativen Mitte, das sowohl konservative als auch liberalere Positionen innerhalb des politischen Spektrums vertritt (Jäger/Jäger 2007: 142). Mit der klaren Positionierung und ihren vielfach relevanten Debatten und Bewertungen ist die FAZ in besonderer Weise zur Offenlegung der räumlichen Ordnungsvorstellungen mit Bezug zur europäischen Außengrenze geeignet. In der FAZ sind zwischen der Gründung von FRONTEX am 1. Januar 2005 und dem Abschluss des Recherchezeitraums der vorliegenden Analyse am 1. Mai 2011 72 Artikel zur Grenzschutzbehörde erschienen. 5 Kritische Diskursanalyse als methodischer Werkzeugkasten
Die konkrete Vorgehensweise der Untersuchung lässt sich in Anlehnung an Jäger in drei übergeordnete Phasen einteilen (Jäger 2009: 190–194): Auf Grundlage einer Stichwortsuche im elektronischen Datenbankinformationssystem des Pressearchivs der FAZ erfolgt die Zusammenstellung des Datenmaterials. Für die Datenanalyse liegen nach der Stichwortsuche alle Zeitungsartikel vor, die sich im Analysezeitraum mit der europäischen Grenzschutzagentur beschäftigten. Nach der Zusammenstellung des Datenkorpus erfolgt die eigentliche Datenanalyse. Alle zusammengetragenen Artikel des verdichteten Samples werden in mehreren Durchgängen mit Hilfe eines softwaregestützten qualitativen Auswertungsverfahrens durch den Prozess der interpretativen hermeneutischen Textauslegung analysiert (Keller 2011: 72). Hierfür wird innerhalb der Strukturanalyse die inhaltliche Erfassung des Diskursstrangs herausgearbeitet, um konkrete Themen bzw. Unterthemen der Berichterstattung offenzulegen (Jäger 2009: 192). Um einen interpretativen Zugang zu dem gewonnenen Datenmaterial zu schaffen, orientiert sich die Analyse im Rahmen der Strukturanalyse an der Kodierstrategie der grounded theory (Strauss/Corbin 1996). Während des Analyseschrittes werden die Zeitungsartikel durch eine gründliche Untersuchung in ihre einzelnen Teile aufgebrochen und auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hin
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ne Zeitungsartikel wird im Anschluss auf die sprachlich-rhetorischen Mittel sowie inhaltlich-ideologischen Aussagen des Autors analysiert. Abschließend werden alle bisher erzielten Ergebnisse der Struktur- und Feinanalyse zusammenfassend reflektiert. Erst die integrierende Interpretation ermöglicht die Frage zu beantworten, welchen Beitrag die FAZ bei der medialen Konstruktion geostrategischer Raumbilder durch ihre Berichterstattung über FRONTEX generiert. 6 Die räumlichen Ordnungsvorstellungen der Berichterstattung
Wie skizziert wurde, konstruiert Sprache in gesellschaftlichen Praktiken den Bedeutungsgehalt der raumwirksamen Argumentationsstrukturen und Kontextualisierungen. Zeitungsartikel zu einem Thema hinsichtlich ihrer sprachlichen Struktur zu untersuchen, kann also Rückschlüsse darüber liefen, wie Räume dargestellt und konstruiert werden (Marxhausen 2010: 135ff.). Der Berichterstattung der FAZ wird vor diesem Hintergrund eine akzeptanzsteigernde Wirkung räumlicher Ordnungsvorstellungen in einer Gesellschaft unterstellt. Um die raumwirksamen Deutungsmuster herauszuarbeiten, werden innerhalb der Strukturanalyse des Datenmaterials jedem Textabschnitt der Berichterstattung inhaltliche Schlagwörter (Codes), zugeordnet. In den 72 herangezogenen Beiträgen konnten 70 unterschiedliche Codes identifiziert werden. Hierbei verweisen bereits die Codehäufigkeiten auf die Dominanz beziehungsweise Marginalität einzelner Begrifflichkeiten. So wird der europäische Grenzschutz in der Berichterstattung immer wieder in Verbindung mit der Mittelmeerregion gebracht, wohingegen dem Schutz der osteuropäischen Landgrenze nur eine geringe Bedeutung zugemessen wird. In den 72 untersuchten Beiträgen tauchen lediglich fünfmal die Bezeichnung Ostgrenze und achtmal südöstliche Grenze auf, obwohl nach Angaben von FRONTEX an der südosteuropäischen Landgrenze im Jahr 2010 der größte Anteil illegaler Grenzübertritte festgestellt wurde (FRONTEX 2011: 15). Die Bezeichnung Mittelmeer taucht hingegen 19mal, Lampedusa sowie Malta 15-mal und Nordafrika zwölf mal auf. Somit wird ein unmittelbarer geographi-
Räume, Grenzen, Narrative | entgrenzt 6/2013
scher Zusammenhang bei den Herausforderungen des europäischen Grenzschutzes hergestellt. Dies verdeutlichen insbesondere die 52 herausgearbeiteten Bezeichnungen Afrika sowie 39 Textpassagen, in denen die Etablierung von Pufferzonen angesprochen wird. Diese Textsegmente verdeutlichen, welche „Räume des Risikos“ (Belina 2010: 189) an der Außengrenze als potenzielle Gefahr für das europäische Territorium angesehen werden und für dessen Schutz von zentraler Bedeutung erscheinen. Insbesondere von Afrika muss sich Europa anscheinend abschotten. Solche räumlichen Stereotype im Umgang mit potenziellen Sicherheitsrisiken tragen zu einer gesellschaftlichen Wahrnehmung bei, die zunehmende Militarisierung und Abschottung gegenüber den nordafrikanischen Staaten als angemessene Antwort zur Herstellung europäischer Sicherheit erscheinen lässt. Doch welche Gefahren lauern auf der anderen Seite der Grenze? Obwohl in der Realität selten eine einzige ursächliche Bedingung ein Phänomen produziert, verweist die Berichterstattung überwiegend auf konkrete Ereignisse, die zur Versicherheitlichung des europäischen Grenzschutzes beitragen. So taucht im Datenkorpus 42-mal illegale Einwanderung als dringliches Problem auf. Weiterhin verdeutlichen die Zeitungsartikel, welche Bedingungen als entscheidend für die Sicherheit in Europa angesehen werden. Die Codierung und die anschließende Verknüpfung lässt zwei kontextuale Bedingungen deutlich werden, innerhalb derer die Handlungsstrategien zur Aufrechterhaltung europäischer Sicherheit stattfinden (Strauss/Corbin 1996: 80). Zum einen verweist die Berichterstattung in 22 Bezeichnungen auf den Kontext der europäischen Integration, der die Grenzsicherungspolitik vor steigende Herausforderungen stellt. Um die prosperierende Kernzone Europas von externen Störungen abzuschirmen, ergeben sich daraus Forderungen nach einer tieferen Integration der europäischen Grenzsicherungspolitik. Zum anderen taucht mit sechs Codings das Thema Wohlstandsgefälle zwischen der EU und den außereuropäischen Staaten im Datenkorpus auf. Mit Betonung eines vorhandenen Wohlstandsgefälles verstärkt die Berichterstattung die Ansicht, Drittstaaten in das europäische Grenzregime einzubinden. In Form von Kooperation und finanzieller Unterstützung werden die Anrainerstaaten in die Verwirklichung europäischer Sicherheitsvor-
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stellungen eingebunden (Eigmüller 2007: 77). Die geäußerten Handlungsstrategien werden durch sogenannte intervenierende Bedingungen gefördert oder erschwert (Strauss/ Corbin 1996: 82). Hierbei verweist die Berichterstattung mit 34 Textsegmenten insbesondere auf einen mangelnden Grenzschutz der europäischen Grenzschutzagentur. Neben den fehlenden personellen Ressourcen überwiegt die unzureichende technische Ausrüstung von FRONTEX als größte Handlungsblockade für einen effektiven Grenzschutz. Weiterhin intensiviert die organisierte Kriminalität (31 Codings) in Form von Waren- und Menschenschmuggel die Relevanz für den Schutz der europäischen Außengrenze. Die Darstellung unkontrollierter Immigration als Schleuserkriminalität, Menschenhandel und sogar Terrorismus zeichnet ein Bild, das auf diffuse Weise irreguläre Migration mit den Machenschaften organisierter Kriminalität und mafiöser Netzwerke in Verbindung bringt (Krause 2009: 326). Im Ergebnis trägt die Berichterstattung zur Wahrnehmung geographischer Risikoräume bei, die in den Schutz der Außengrenze einbezogen werden, indem sie aktiv zum Grenzschutz beitragen sollen und im Sinne eines Verursacherprinzips für vermeintliche Lücken im Sicherheitssystem zur Verantwortung gezogen werden (Belina 2010: 189ff.; Eigmüller 2007: 80). Insgesamt betont die FAZ in Ihren Beiträgen die handlungsorientierten Herausforderungen zum Schutz einer undurchlässigen europäischen Außengrenze. Eine kritische Auseinandersetzung mit den operativen Tätigkeiten der europäischen Grenzschutzbehörde spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. So berichtet die FAZ über den gesamten Zeitraum deutlich seltener von Flüchtlingsdramen oder den zum Teil menschenunwürdigen Verhältnissen in Flüchtlingslagern. 7 Das metaphorische Mauerwerk der Begründungsrhetorik
Deutungsmuster entstehen auch aus den sprachlich-rhetorischen Mitteln der Autoren. So mancher Artikel im politischen Feuilleton nimmt Rekurs auf die Argumentationslogiken geostrategischer Raumvorstellungen. Der Artikel Schengen darf nicht gefährdet werden liefert dazu besonders verdichtete und klar herauszuarbeitende Aussagen. Der ausgewählte Artikel von Nikolas Busse erschien als Kommentar in der Freitagsausga-
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be der FAZ am 29. April 2011 auf Seite eins. Innerhalb eines solchen Meinungsbeitrags hat der Journalist sowohl die Pflicht zu einer klaren Positionierung als auch die Verpflichtung, Orientierung für den Leser zu geben (Bröder 1976: 65). Ein Kommentar erläutert die Wichtigkeit des Themas, interpretiert die Bedeutung und macht mit Zusammenhängen vertraut (Lüger 1995: 126). Somit dient er unmittelbar der Meinungsbildung der Leser. Dies erhöht die potenziell manipulative Macht des Kommentars, wodurch er zur Offenlegung der Raumwahrnehmungen und Ordnungsvorstellungen besonders interessant ist. Inhaltlich sensibilisiert Nikolas Busse im Rückgriff auf die Umbrüche in Nordafrika und der daraus folgenden Flüchtlingssituation seine Leser für die Notwendigkeit einer gesicherten europäischen Außengrenze. Aus seinen Gedanken über die negativen Auswirkungen auf den Schengenraum leitet er zu den damit verbundenen Folgen für ein vereintes Europa über. Der Autor zeigt schließlich, die aus seiner Sicht einzig mögliche Handlungsoption der EU auf: Durch die operative, technische und personelle Stärkung sowie die Ausweitung des Einsatzgebietes der europäischen Grenzschutzagentur soll die EU sich massiv von den außereuropäischen Risiken abschotten. Der Artikel schließt mit der Schlussfolgerung, dass es weder im Interesse der EU noch im Interesse der Herkunftsländer sei, die Wanderungsbewegungen nicht konsequent und mit aller Härte zu unterbinden. Wie bei Zeitungskommentaren üblich, dominiert in sprachlicher Hinsicht bei der argumentativen Themenentfaltung das Prinzip der abhängigen Verknüpfung, der Subordination von Satzteilen (Brinker 2010: 69ff.). Dies zeigt sich beispielsweise an der konsekutiven Satzverknüpfung „Wenn das Vertrauen in die Spielregeln des Schengen-Systems einmal verloren ist, dann wird man in Europa viel schneller wieder Schlagbäume sehen“. Eine weitere wichtige Art der Verbindung von Haupt- und Gliedsatz stellen für den Autor die kausalen Satzverknüpfungen dar: „Nur wenn FRONTEX in tunesischen Gewässern operieren darf, kann verhindert werden, dass aus diesem Land überhaupt Boote nach Europa abfahren“ oder „Dass die Italiener den Migranten das Tor nach Europa öffnen, war genau das falsche Signal an alle diejenigen, die in Afrika auf gepackten Koffern sitzen“. Wesentlich für die Argumentation des Au-
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tors sind der hergestellte Zusammenhang zwischen These, Argumenten und Schlussregel, sowie die Einordnung in den Kontext der nordafrikanischen Umbrüche, durch die der argumentative Aufbau gestützt wird. Die gesamte argumentative Themenentfaltung basiert auf einer identitäts- und raumbezogenen Auffassung europäischer Bedrohungswahrnehmungen. Diese implizit vorhandene Wertbasis des Autors setzt die subjektive Ordnung der im Kommentar verbreiteten Meinung als objektiv gültig. Die außersprachlichen Sinnzusammenhänge bei der Verkettung inhaltlicher Zusammenhänge sind eine auffällige Argumentationsform (Brinker 2010: 47). So tauchen im Kommentar zahlreiche implizite Bedingungen für die Interpretierbarkeit des Kontexts durch den Leser auf (Präsuppositionen). Der Autor setzt für seine Leser gedankliche Zwischenschritte voraus, die auf eine vorhandene Existenz Europas anspielen: „Eine wirkliche Massenflucht hat Europa das letzte Mal in den neunziger Jahren erlebt“, „größten Fortschritt Europas“, „Europa kann nicht die Armen aus aller Welt aufnehmen“. Infolge eines solchen Argumentationsverfahrens wird die Existenz einer klar abgrenzbaren Entität in Form eines geographischen Europas durch den Autor generiert und die Welt dichotomisierend in ein wir und ein sie aufgeteilt (Agnew 1998: 51; Hettlage/Deger 2007: 9). Mittels des Nebensatzes „dass aus diesem Land überhaupt Boote nach Europa abfahren“ wird der vorangestellte Hauptsatz „Nur wenn FRONTEX in tunesischen Gewässern operieren darf, kann verhindert werden“ als unabdingbare Voraussetzung zum Schutz der Außengrenze angesehen. Eine klare Abgrenzung Europas und einer europäischen Identität wird infolgedessen durch den Autor vorausgesetzt, mit der er zugleich Risikoräume entlang der Außengrenze schafft, die in erster Linie als Bedrohung wahrgenommen werden. Die gebrauchten Modalverben können (dreimal), sollen (dreimal), dürfen (zweimal) und wollen (einmal) verdeutlichen hierbei den normativen Anspruch des Autors. Dabei verweist in erster Linie das final verwendete sollen auf die Intentionalität des Textes. Der fast durchgehende Gebrauch des Indikativs im Präsens in der grammatikalischen Struktur unterstellt, dass die Behauptungen in einer Art Gesetzmäßigkeit allgemeingültig sind (Marxhausen 2010: 278).
Räume, Grenzen, Narrative | entgrenzt 6/2013
Weiterhin verrät Busses Metaphorik viel über die zugrundeliegenden Deutungsmuster. Metaphern bieten die Möglichkeit, komplexe Phänomene in bildlichen Erläuterungen in bekannte und einfache Zusammenhänge zu übertragen und zu veranschaulichen. Aus linguistischer Perspektive dient das Stilmittel in erster Linie zur Dramatisierung beziehungsweise Über- und Untertreibung. Auf Grund der kognitiven Strukturierung prägen sie Inhalt und Konzeption des Diskursfragments (Niehr/Böke 2003: 330). Die metaphorischen Ausdrücke Migrantenansturm, Migrationsdruck und Exodus strukturieren den Themenkomplex Migration für den Leser kognitiv vor. Der Text aktiviert durch die Ausdrücke sowohl Naturphänomene, als auch technische und religiöse Konzepte, die als semantische Implikationen die Wahrnehmung von Zuwanderungsprozessen prägen. Dem Leser erscheint Migration als potenziell gefährliche Naturkraft, die unter dem quantitativen Gesichtspunkt ein Problem für die europäische Sicherheit und Wohlfahrt ist. Zuwanderung sieht der Autor durch die genutzten Metaphern als kontinuierlich stattfindende Massenbewegung an, wodurch Migrationsbewegungen zu einem dauerhaft gesellschaftlichen Problem stilisiert werden. Weiterhin verniedlicht der metaphorische Ausdruck „auf gepackten Koffern sitzen“ die humanitäre Notlage ganzer Bevölkerungsgruppen, wodurch die Realität der Lebensumstände in den betroffenen Regionen verhöhnt wird. Diese Bedrohungsszenarien über außereuropäische Bevölkerungsgruppen unterstützen die allmähliche Aufrüstung der europäischen Außengrenze (Eder 2007: 328ff.). Die Zuwanderung aus Nordafrika wird als emotional besetztes Thema europäischer Sicherheit konstruiert, durch die abschottende Gegenmaßnahmen als rational und legitim angesehen werden. Mittels raumwirksamer Risikoallokationen skizziert der Autor auf diese Weise eine Versicherheitlichung des EU-Grenzregimes, die zur allmählichen Aufrüstung von FRONTEX und zur strikten Grenzziehung am Rand der EU beiträgt. Die Argumentation des Autors zielt somit über die Wahrnehmung der Immigranten als wirtschaftliche Belastungen für die europäische Gesellschaft auf die Exklusion außereuropäischer Bevölkerungsgruppen ab, wodurch der Charakter einer militärischen Verteidigungslinie intensiviert wird (Bermejo 2009: 209).
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8 Die Verbreitung und Verfestigung der europäischen Außengrenze
Ausgangspunkt der diskurstheoretisch inspirierten Untersuchung war die Frage nach den dominanten raumwirksamen Repräsentationen innerhalb der FAZ-Berichterstattung über FRONTEX. Es konnte gezeigt werden, dass die scheinbare Objektivität nicht mehr als eine geopolitische Vorstellung ist. Aufbauend auf den sozialkonstruktivistischen Annahmen der Critical Geopolitics konnte in der Berichterstattung eine räumliche Kategorisierung festgestellt werden, die durch ihre gesellschaftliche Heterogenisierung mit einem quasi-natürlichen Status versehen wird. Die Berichterstattung zeichnet eine geodeterministische Landkarte, der räumliche Repräsentationen des Eigenen und des Fremden zu Grunde liegen. Durch die stereotypisierte sprachliche Verfestigung von potenziellen Risikoräumen entstehen vereinfachte Raumbilder, die infolge ihrer ständigen Wiederholung die Wahrnehmung der Leser prägen. In Form einer kognitiven Kartierung und Stigmatisierung von Risikoräumen führt die Berichterstattung über FRONTEX somit zu einer räumlichen Versicherheitlichung des europäischen Grenzregimes. Diese vereinfachten Geographien führen letztendlich zu der Etablierung eines europäischen Containerraums. Europa wird zu einer gated community, mittels der ein sozial und ethnisch äußerst homogenes Territorium unterstellt wird (Davis 1990: 288). Die Berichterstattung trägt in dieser Hinsicht zu der Wahrnehmung einer pseudohomogenen Einheit auf europäischer Ebene bei, die durch Sicherheitseinrichtungen und Absperrungen von einem potenziell bedrohlichen Außen separiert wird. Die herausgearbeiteten Deutungsmuster und Raumbilder eines versicherheitlichten europäischen Grenzregimes legen ein stereotypisiertes Raumverständnis nahe, das nicht fähig ist, die Vielfältigkeit des europäischen und außereuropäischen Raums abzubilden. Vielmehr zielt die Berichterstattung der FAZ auf die Etablierung einer eigenständigen Entität Europas, die im Ergebnis als Rahmenbedingung in die zukünftige Ausgestaltung der europäischen Grenzziehung eingeht. Der geschaffene Raum ist durch den Einsatz von Kameras, Wachpersonal, Überwachungssystemen und anderen Sicherheitseinrichtungen militarisiert und reguliert den Zugang zum abgeschotteten Ge-
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biet. Die Analogie zu geschlossenen Wohnanlagen in südamerikanischen Großstädten, die ihre Grenze kontrollieren, überwachen und verwalten, liegt nicht fern. Die kritisch-konstruktivistische Perspektive ermöglicht dabei die raumbezogenen Aspekte zu hinterfragen, um die Kontingenz unseres Denkens aufzuzeigen und die räumliche Realität, mit der wir selbstverständlich umgehen, als Ergebnis eines komplexen sozialen Konstruktionsprozesses offenzulegen. Quellenverzeichnis
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Räume, Grenzen, Narrative | entgrenzt 6/2013
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Tobias Ebert (Philipps-Universität Marburg)
In welchen Wirtschaftsbereichen sind die Arbeitnehmer am längsten unterwegs? Eine deutschlandweite Untersuchung von Berufspendeldistanzen in Abhängigkeit von raum- und qualifikationsstrukturellen Branchenmerkmalen Basierend auf den theoretischen Annahmen der Co-Location-Hypothese und der Darstellung des aktuellen empirischen Wissenstands wurde ein Datensatz mit mehr als 2,65 Mio. Pendelrelationen auf Kreisebene erzeugt und mit Informationen hinsichtlich der raum- und qualifikationsstrukturellen Zusammensetzung von 21 9 deutschen Branchengruppen ergänzt. Mittels der Anwendung einer generalisierten ordinalen Regression wird aufgezeigt, dass dekonzentrierte Branchen im Durchschnitt geringere Pendelzeiten besitzen. Weiterhin erlauben die Ergebnisse eine Differenzierung der Feststellung, nach welcher mit einem höherem Ausbildungsniveau zeitintensivere Pendeldistanzen einhergehen. 1 Einleitung
„Wir mussten uns Gedanken darüber machen, ob wir es wagen sollten weiterzuziehen und ein komplett neues soziales Umfeld aufzubauen. […] Oder aber wir sagen: Nein, wir nutzen lieber unser stabiles Umfeld und die Unterstützung unserer Verwandten, bleiben also, und nehmen es in Kauf zu pendeln (männlich, 38 Jahre)“ (Röß 2011: 17). Prozesse der Globalisierung führen dazu, dass Geld-, Waren-, und Kommunikationsströme immer schneller zirkulieren, neue Märkte erschlossen und alte Standorte aufgegeben werden. Der sektorale Wandel hin zu einer wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft stellt sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer vor immer neue Herausforderungen. Zahlreiche Studien (Sennett 2000, Boltanski/Chiapello 2003) verdeutlichen, dass die globale Mobilität immer weiter zunimmt und die Bereitschaft zur Überbrückung räumlicher Distanzen heute ein zentrales Merkmal des Anforderungsprofils zahlreicher Berufsgruppen ist (Ruppenthal 2010: 5f.). Immer mehr Personen stehen im Laufe ihrer Erwerbsbiografie
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vor ähnlichen Entscheidungen, wie das einleitende Zitat impliziert (Ruppenthal et al. 2006: 87–90). Insgesamt wurden im Jahre 2002 in Deutschland mehr als 250 Mrd. Kilometer an Pendelstrecke für Berufs- und Ausbildungszwecke zurückgelegt (BMVBW 2004: 228f.) und der Anteil der Fernpendler, die Entfernungen von mehr als 50 km zwischen Wohnund Arbeitsort zurücklegen müssen, steigt an (Statistisches Bundesamt 2005: 58). „Die Determinanten der zunehmenden räumlichen Trennung von Wohnen und Arbeiten wurden während der letzten Jahrzehnte im In- und Ausland detailliert untersucht. Die thematische Spannbreite dieser Arbeiten erweist sich als vielschichtig, nicht zuletzt, weil sich Studien zum Berufsverkehr generell im Überschneidungsbereich zahlreicher Fachrichtungen befinden“ (Guth et al. 2010: 3). Obwohl sich demnach verschiedenste Disziplinen intensiv mit der Thematik des Berufspendelns befassen, existieren noch zahlreiche Wissenslücken. So wird innerhalb der raumwissenschaftlichen Forschung darauf hingewiesen, dass eine differenzierte Betrachtung des Berufsverkehrs auf Branchenebene wertvolle Erkenntnisse liefern kann (Siedentop 2007: 113). Für den deutschen Raum fehlen umfassende Studien zur Analyse von Pendeldistanzen auf Branchenebene nahezu gänzlich. Der vorliegende Artikel unternimmt einen ersten Schritt in diese Richtung, indem die Frage aufgeworfen wird, welche Einflüsse die räumliche Verortung sowie die qualifikationsstrukturelle Zusammensetzung der Belegschaft eines Wirtschaftsbereichs auf die Ausprägung der zeitlichen Pendeldistanzen in Deutschland besitzen. Dazu werden über 2,65 Mio. Pendelrelationen auf Kreisebene in Beziehung zu raum- und qualifikationsstrukturellen Eigenschaften von 219 verschiedenen Branchen gesetzt.
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2 Definitorischer und theoretischer Betrachtungsrahmen
Der weitere Verlauf dieses Artikels folgt der Maßgabe, dass die unterwegs verbrachte Zeit und nicht die zurückgelegten Kilometer die Aufwendungen und Belastungen des Berufspendelns wesentlich wirklichkeitsnäher darstellen (Eckey et al. 2007: 9). Aus diesem Grund ist im Folgenden, wenn von (Berufs)Pendeldistanz gesprochen wird, stets die zeitliche Entfernung zwischen zwei Standorten gemeint und die Begriffe Pendeldistanz und Pendelzeit werden entsprechend synonym verwendet. Um die Standortwahl von Wohnort und Arbeitsplatz und somit die resultierenden Pendeldistanzen zu erklären, existieren eine Reihe verschiedener Theorien und Modelle. Zwei zentrale Ansätze, die in diesem Kontext zu nennen sind, stellen die Pendeltoleranzschwellentheorie sowie die Rationale Optimierungstheorie dar. Erstere geht davon aus, dass zeitliche Belastungen durch den Berufsverkehr als unproblematisch wahrgenommen werden, solange eine kritische Zeitschwelle nicht erreicht wird. Erst deren Überschreitung führt zur Wahl eines näheren Wohn- oder Arbeitsstandortes (Einig/Pütz 2007: 77, Getis 1969; van Ommeren et al. 1997). Die Rationale Optimierungstheorie hingegen betrachtet Standortent-
scheidungen als Resultat eines Optimierungsverhaltens, bei dem eine Gewinn- bzw. Nutzenmaximierung angestrebt wird. Hinsichtlich der Verteilung der Arbeitsplätze wird von einer Konzentration im Agglomerationskern ausgegangen und Standortentscheider wählen weiter auseinanderliegende Standorte, solange der entstehende Pendelaufwand den höheren Wohnnutzen nicht übersteigt (Bathelt/Glückler 2003: 24, Einig/Pütz 2007: 73f., Siedentop 2007: 105). Die Co-Location-Hypothese, die zahlreiche Implikationen für den weiteren Fortgang dieses Beitrages besitzt, hält die Annahme der monozentrischen Verteilung der Arbeitsplätze, wie sie in der Rationalen Optimierungstheorie unterstellt wird, für nicht mehr zeitgemäß. Neben der Verlagerung von Wohnstandorten in den suburbanen Raum, fand in der Vergangenheit ebenso eine fortschreitende Dekonzentration von ökonomischen Aktivitäten statt. Die negativen Folgen ökonomischer Konzentration in den Kernstädten, wie z.B. hohe Bodenpreise und eine steigende Verkehrsbelastung, haben dazu geführt, dass in den Industriestaaten der nördlichen Hemisphäre ein neuer suburbaner Arbeitsmarkt entstand. Dies bedingt letztlich, dass Arbeitnehmer zwischen verschiedenen Arbeitsstandorten in Umland und Kernstadt wählen kön-
Abb. 1: Übersicht zu empirisch belegten Determinanten von Pendeldistanzen (Quelle: eigene Darstellung).
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Abb. 2: Durchschnittliche Pendeldistanzen nach Alter; differenziert nach Beschäftigungsverhältnis und Qualifikationsniveau (Quelle: Papanikolaou 2006: 18).
nen (Siedentop 2007: 105). Auch die Co-Location-Hypothese unterstellt ein rationales Handeln, zieht allerdings den zeitlich bemessenen Pendelaufwand als determinierenden Faktor heran. „Die Standortwahl der Haushalte ist demzufolge auf eine Minimierung der Pendelkosten in Form des Zeitaufwands ausgerichtet“ (Schulze 2009: 6). Dieses zeitliche Minimierungsstreben findet darin Ausdruck, dass Berufswege auf den zeitaufwändigsten Pendelrelationen, also den staugefährdeten Verbindungen innerhalb der großen Städte und den radialen Verbindungen zwischen Umland und Kernstadt, gemieden werden. Stattdessen erfahren tangentiale Pendelwege, bei denen Wohn- und Arbeitsort außerhalb der städtischen Zentren liegen, eine erhöhte Nachfrage (Einig/Pütz 2007: 74, Siedentop 2007: 105). Da der suburbane Raum gegenüber den urbanen Zentren eine überproportional hohe Reisegeschwindigkeit vorweisen kann (BMVBS/BBR 2007: 14), ermöglichen tangentiale Verbindungen auch bei längeren Wegen kürzere Pendelzeiten. Der Umzug ins Umland zielt also weniger auf die Reduzierung der räumlichen Distanz, sondern auf die Verringerung bzw. Stabilisierung der zeitlichen Belastung ab (Einig/Pütz 2007: 74, Siedentop 2007: 105).
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3 Empirischer Wissensstand zur Erklärung von Pendeldistanzen
Es existieren im In- und Ausland zahlreiche Untersuchungen, die die Beziehung zwischen der Ausprägung von Berufspendeldistanzen und verschiedenen Merkmalen auf Mikro- und Makroebene analysieren. In Abb. 1 sind die Ergebnisse einiger Studien zu Einflussfaktoren auf Pendeldistanzen schematisch dargestellt. Die hervorgehobenen Kriterien Persönliche Qualifikation sowie Raumstruktur werden hierbei aufgrund ihrer Relevanz für die folgende Ableitung der Forschungshypothesen explizit erläutert. Um einen möglichst engen Bezug der empirischen Befunde zur späteren Untersuchung zu gewährleisten, wurde weitestgehend eine Fokussierung der Ergebnisse auf den deutschen Raum vorgenommen. 3.1 Das persönliche Ausbildungsniveau als Einflussgröße der Mikroebene
Verschiedene Studien sowie auch Abb. 2 zeigen auf, dass mit einem höheren persönlichen Ausbildungsniveau größere durchschnittliche Pendeldistanzen einhergehen. (Haas/Hamann 2008, Papanikolaou 2006, Statistisches Bundesamt 2005). Neben einer bei Hochqualifi-
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zierten generell höheren Bereitschaft zu beruflicher Mobilität, sind in diesem Kontext aber auch raumstrukturelle Parameter zu beachten. Wie Haas/Hamann (2008) darlegen, pendeln Hochqualifizierte relativ stärker in Kernstädte ein, da dort eine höhere Nachfrage nach entsprechenden Arbeitskräften besteht. Die CoLocation-Hypothese besagt, dass die zeitaufwändigsten Pendelwege jene vom Umland in die Kernstädte sind. Diese These wird in Kapitel 3.2 empirisch untermauert. Wird nun davon ausgegangen, dass aufgrund der vornehmlichen Verortung ihrer Arbeitsstätten im innerstädtischen Bereich diese Form der Pendelverflechtung überproportional oft bei Hochqualifizierten vorzufinden ist, so kann dies eine mögliche Teilerklärung für die im Mittel höheren Pendeldistanzen von gut ausgebildeten Personen sein.
tersuchung besitzen insbesondere raumstrukturelle Parameter einen bedeutsamen Stellenwert. Wie Abb. 3 zeigt, stellt Deutschland in Bezug auf den Pendelverkehr keinen homogenen Raum dar. Während hohe Pendeldistanzen in den strukturschwachen Regionen Deutschlands auf einen arbeitsmarktinduzierten Mobilitätsdruck zurückzuführen sind (Winkelmann 2010: 42), fokussieren Untersuchungen von Pendeldistanzen um Agglomerationsräume primär die Auswirkungen von Suburbanisierungsprozessen auf den Berufsverkehr (Einig/Pütz 2007, Siedentop 2007, Guth et al. 2009). Verschiedene Untersuchungen kommen für den deutschen Raum übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Kernstadtbereiche als die wichtigsten Arbeitsplatzzentren fungieren und die radial gerichteten Pendelströme vom Umland in die Kernstädte hinein nach wie vor die 3.2 Raumstrukturelle Einflüsse als Determinanten der längsten Relationen darstellen (Einig/Pütz Makroebene 2007; Papanikolaou 2006; Schulze, 2009; Winkelmann 2008). Jedoch ist „wie in andeHinsichtlich des weiteren Fortgangs dieser Un- ren westlichen Industriestaaten auch in der
Abb. 3: Struktur und Entwicklung der Pendeldistanzen in Deutschland (Quelle: BBSR 2007).
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Bundesrepublik seit den 1970er Jahren ein räumlicher Dekonzentrationstrend der Beschäftigung feststellbar. [...] Neben den suburbanen Räumen konnten auch ländliche Gebiete in erheblichem Umfang Beschäftigungsgewinne erzielen, während die Kernstädte der Agglomerationen deutliche Arbeitsplatzverluste erlitten“ (Siedentop 2007: 113). Unter Berufung auf die Co-Location-Hypothese, müsste dieser Prozess einen dämpfenden Einfluss auf die Entwicklung der Pendeldistanzen nach sich ziehen. Wie bereits angeklungen, zeigen zahlreiche Untersuchungen jedoch auf (bspw. Statistisches Bundesamt 2005), dass in der Vergangenheit die durchschnittliche Pendeldistanz sogar angestiegen ist. Diese Feststellung, die auf den ersten Blick der Co-Location-Hypothese zuwiderläuft, reicht allerdings nicht aus um diese zu falsifizieren, da es durchaus möglich ist, dass ein distanzmindernder Effekt der Beschäftigungssuburbanisierung von distanzsteigernden sozioökonomischen und demographischen Faktoren überlagert wurde (Siedentop 2007: 106). In einer umfassenden Untersuchung zur Evidenz und Haltbarkeit der Co-Location-Hypothese in Deutschland kommt Siedentop (2007: 121) zu dem Ergebnis, dass diese weder bestätigt noch eindeutig widerlegt werden kann. Er weist zudem auf die Problematik hin, dass bis dato für den deutschen Raum keine umfassenden Studien vorliegen, die Berufspendeldistanzen auf Basis von Branchen unterscheiden. Dies wiegt schwer „angesichts zahlreicher Hinweise, dass sich die Wirkungen von Dezentralisierungsprozessen der Arbeitsplätze auf Berufstätige in verschiedenen Wirtschaftsbereichen unterscheiden“ (Siedentop 2007: 113). Ott/Gerlinger (1992) differenzieren den deutschen Pendelverkehr zwischen 1950 und 1987 zwar nach Wirtschaftsbereichen, allerdings werden lediglich die Berufsein- und auspendlerquoten für bis zu zehn sehr grob abgegrenzte Wirtschaftssektoren betrachtet (Ott/Gerlinger 1992: 88–94). So bieten diese Befunde für die hier aufgeworfene Fragestellung sowie die Entwicklung eines Forschungsdesigns nur einen geringen Mehrwert. Die größte thematische Ähnlichkeit zu der vorliegenden Untersuchung besitzt wohl der Beitrag von Crane/Chatman (2004), in dem der Zusammenhang zwischen Beschäftigungssuburbanisierung und der Pendeldistanzentwicklung für sieben verschiedene Wirtschaftsbereiche in US-Regionen analysiert
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wird. Die Autoren gelangen zu dem Ergebnis, dass mit zunehmender ökonomischer Suburbanisierung im Durchschnitt kürzere Pendeldistanzen einhergehen. Allerdings zeigt sich auch, dass zwischen den Wirtschaftssektoren ausgeprägte Unterschiede in der Stärke und in der Wirkungsrichtung des Zusammenhangs bestehen. Während bspw. in der Bauindustrie sowie im Großhandel und dem Dienstleistungsbereich die Pendeldistanzen mit zunehmender Dekonzentration zurückgingen, wurden im produzierenden Gewerbe und im Finanzbereich steigende Pendelzeiten festgestellt (Crane/Chatman 2004: 320 ff). 4 Ableitung der Forschungshypothesen
Die Kombination der beiden Feststellungen wonach a) das Ausbildungsniveau des Arbeitnehmers signifikanten Einfluss auf die zurückgelegte Pendeldistanz besitzt und b) sich Branchenbelegschaften hinsichtlich der Zusammensetzung nach Qualifikationsniveau unterscheiden, führt uns zur ersten Forschungshypothese: H1: Wissensintensive Branchen, deren Belegschaft einen hohen Anteil von hochqualifizierten Arbeitskräften aufweist, besitzen im Durchschnitt längere Pendeldistanzen. Die zweite Hypothese kombiniert die Annahme, wonach die radialen, innenstadtgerichteten Pendelbeziehungen die zeitintensivsten sind, mit dem Befund, dass die Dekonzentration der Branchen unterschiedlich weit fortgeschritten ist (Haas/Südekum 2005; Einig/Zaspel 2006). H2: Wirtschaftsbereiche, die durch einen hohen Anteil von Beschäftigung außerhalb des Kernstadtbereichs gekennzeichnet sind, weisen durchschnittlich kürzere Pendeldistanzen auf, als solche, die sich stark in innerstädtischen Bereichen konzentrieren. 5 Datengrundlage und Methodik 5.1 Aufbau des Datensatzes und Deskription der Variablen
Die Hauptdatengrundlage dieses Beitrags bildet die schwach anonymisierte Stichprobe der Integrierten Erwerbsbiografien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Version 1975–2008 (Dorner et al. 2012: 8). Aus dieser wurde für die Jahre 2003–2008 ein Querschnittsdatensatz mit 2.652.852 Erwerbs-
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Tab. 1: Statistische Eigenschaften der Brancheneigenschaften als metrische Regressoren (Quelle: eigene Darstellung).
biographieabschnitten von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erzeugt. Der so entstandene Datensatz enthält die Angaben, in welcher von insgesamt 219 Branchen (dreistellige Klassifikation der Wirtschaftszweige nach Statistisches Bundesamt 2003) eine Person beschäftigt war, sowie in welchem Kreis bzw. welcher kreisfreien Stadt sich jeweils der Wohn- und Arbeitsort befanden. Gemäß Tabelle 1 wurde zur Charakterisierung der einzelnen Branchen diese Datengrundlage anschließend mit Informationen zur Qualifikationsstruktur der Branchenbelegschaft und dem jeweiligen Anteil der Beschäftigten in den vier zusammengefassten Kreistypen (nach BBSR 2011) ergänzt. Diese Brancheneigenschaften gehen schließlich als metrische Regressoren in die durchzuführende Regressionsanalyse ein. Als Zielvariable wurden aus den Angaben zum Wohn- und Arbeitskreis einer Person, gemäß Tabelle 2, fünf verschiedene Entfernungskategorien definiert. Die Zuweisung einer Pendelrelation in eine der Distanzklassifikationen ergibt sich, basierend auf Daten des OpenStreetMap-Projektes, als Schätzung der PkwFahrtzeit im unbelasteten Straßennetz zwischen den jeweils geographisch zentralsten Gemeinden zweier Kreise. Aufgrund von Verzerrungsrisiken durch multilokale Haushaltsstrukturen werden hierbei, analog zu Eckey et
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al. (2007), Relationen, deren Distanz auf größer als 120 Minuten approximiert wurden, als unrealistisch angesehen und aus der Betrachtung ausgeschlossen. Weiterhin ist zu beachten, dass allen Personen, deren Wohn- und Arbeitsort sich innerhalb desselben Kreises befinden, also Binnenpendlern (Guth et al. 2010: 5), keine Pendelzeit zugewiesen werden kann. Entgegen anderer Ansätze, die Binnenpendler entweder ganz ausschließen (Winkelmann 2008; Papanikolaou 2006) oder ihnen Werte in Abhängigkeit der Kreisgröße zuweisen (Einig/Pütz 2007, Eckey et al. 2007), sollen diese hier als eigene homogene Gruppe aufgefasst werden, denen pauschal eine geringere Pendelzeit unterstellt wird als jedem Pendler, der auf seinem Berufsweg Kreisgrenzen überschreitet. Diese in der Datenstruktur bedingte Annahme ist für die Realität sicherlich nicht immer haltbar und führt zudem dazu, dass rund zwei Drittel aller Datenzeilen nicht näher differenziert werden können. Weiterhin ist davon auszugehen, dass die Pendeldauer durchschnittlich überschätzt wird, da prinzipiell von einer größeren Wahrscheinlichkeit auszugehen ist, dass von einer Gemeinde in eine nahegelegene Gemeinde des Nachbarkreises gependelt wird, als von einer Gemeinde in eine weiter entfernte Gemeinde ebendieses Nachbarkreises. Auch die Schätzung der Pendelzeiten zwischen den Kreisen
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Tab. 2: Verteilung der Datenzeilen auf die Kategorien der Zielvariablen (Quelle: eigene Darstellung).
Tab. 3: Verteilung der Datenzeilen auf die Kategorien der individuellen Bildungsklasse (Quelle: eigene Darstellung).
mittels der zentralsten Gemeinde birgt Potenzial für Ungenauigkeiten, da der geographische Schwerpunkt keinen Bezug zur Verteilung der Bevölkerung und der Wirtschaftskraft in den Kreisen besitzt. Entsprechend gilt auch hier, analog zu anderen Untersuchungen, die den Pendelverkehr auf Kreisebene untersuchen (bspw. Eckey et al. 2007), dass die ermittelten Werte es ermöglichen, Aussagen über die Verhältnismäßigkeit zwischen Pendelrelationen zu treffen, nicht aber die in der Realität auftretenden Pendelzeiten abzubilden. Zusätzlich zu den Brancheneigenschaften soll mit dem persönlichen Bildungsgrad ein bereits empirisch untersuchter Regressor zur Evaluierung der Tragfähigkeit des aufgestellten Modells einfließen. Dieser wurde, analog zur qualifikationsstrukturellen Zusammensetzung auf Branchenebene, in drei Klassen kategorisiert und jeweils binär codiert (siehe Tabelle 3). Zusätzlich sollen mögliche Interaktionsbeziehungen zwischen den Qualifikationsmerkmalen der Branchen- und Individualebene überprüft werden. Hierbei ergab sich lediglich für die multiplikative Verknüpfung zwischen
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dem Abiturientenanteil an der Belegschaft einer Branche und dem individuellen Bildungsmerkmal des Hochschulabschlusses ein signifikantes Ergebnis. Dieser Parameter geht nun im Folgenden als weitere unabhängige Variable high_bk mit in das Regressionsmodell ein. Da es sich für eine Interpretation der Ergebnisse als förderlich erweisen wird, die einzelnen Raumkategorien in den Regressionsergebnissen hinsichtlich der Stärke ihres Zusammenhangs differenzieren zu können, wurde für das Variablenset der räumlichen Brancheneigenschaften eine Standardisierung zu den Variablen raumkat_1s bis raumkat_4s vorgenommen. 5.2 Spezifikation eines geeigneten Analyseverfahrens
Da der Zielvariablen Distanzklasse geordnete Kategorien zugrunde liegen und die Zugehörigkeit zu einer höheren Klasse damit einhergeht, dass für die jeweilige Person eine größere Pendeldistanz angenommen wird, erfüllt die Zielvariable die Voraussetzungen einer ordinalen Skalierung (Bortz/Schuster 2010: 18). Besitzt die abhängige Variable mehrere Kate-
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Abb. 4: Mathematische Formel zur Beschreibung eines generalisierten ordinalen Regressionsmodells (Quelle: Williams 2006: 60).
gorien (in diesem Fall sind es fünf), so gleicht die Regression einer Serie binärer Regressionen, bei der zuerst Kategorie 1 zu den Kategorien 2, 3, 4 und 5 kontrastiert wird und darauffolgend die Kategorien 1 und 2 den Kategorien 3, 4 und 5 gegenübergestellt werden. Dieser Prozess wird fortgeführt bis sich letztlich die Kategorien 1, 2, 3 und 4 der Kategorie 5 gegenübersehen (Williams 2006: 59). „Das Modell lässt sich motivieren durch die Annahme einer latenten (unbeobachteten) Variable, die hinter den beobachteten Kategorien steht. Das Überschreiten einer Schwelle auf dem latenten Kontinuum drückt sich durch eine beobachtbare Kategorie der Zielvariablen aus“ (Fahrmeir et al. 2009: 242). Für die Analyse selbst wurde mittels des STATA-Moduls gologit2 auf die Sonderform des generalisierten ordinalen Regressionsmodels zurückgegriffen, da dieses Vorgehen es ermöglicht, dass für die Teilregressionen der einzelnen Klassenübergänge jeweils ein eigener Regressionskoeffizient (β-Faktor) gebildet wird. Mathematisch drückt sich das in folgender Formel aus, in der beispielhaft der β-Faktor für X3 unterschiedliche Werte annehmen kann. 6 Darstellung und Auswertung der Ergebnisse 6.1 Vorstellung der Analyseergebnisse
Tabelle 4 gibt die Ergebnisse der durchgeführten generalisierten ordinalen Regression wieder. Da bei allen Variablen für die einzelnen Klassenübergänge verschiedene Koeffizienten auftreten, kann allgemein festgestellt werden, dass sich die Eigenschaften der Wirtschaftszweige in verschiedenen Distanzbereichen unterschiedlich auswirken und entsprechend kein lineares Abhängigkeitsverhältnis zwischen Berufspendeldistanzen und Branchenmerkmalen besteht. Die Regressionsergebnisse lassen Rückschlüsse darüber zu, inwiefern eine Branchenoder Personeneigenschaft damit in Verbindung steht, welcher Distanzklasse eine Daten-
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zeile zugeordnet wird. Die einzelnen Variablen sind jeweils in Bezug zu ihrer Referenzkategorie zu interpretieren, also zu dem Merkmal einer Variablengruppe, das nicht in das Modell eingebunden wurde. Für die räumlichen Variablen ist dies der Anteil der Beschäftigten in Kernstädten, für die qualifikationsstrukturelle Zusammensetzung einer Branche der Belegschaftsanteil ohne Abitur, sowie auf der individuellen Bildungsebene das persönliche Bildungsmerkmal ohne Abitur. Für den Anteil von F&E-Beschäftigten in einer Branche kann aufgrund des Fehlens einer expliziten Referenzkategorie der Anteil der Belegschaft als Referenz gelten, der nicht in F&E beschäftigt ist. Ein positives Vorzeichen impliziert, dass bei einer hohen Ausprägung des jeweiligen Faktors eine höhere Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass die entsprechende Datenzeile einer höheren Distanzklasse zugeordnet wird, während ein negativer Wert entsprechend das Gegenteil besagt. Über die zusätzlich eingebundenen Variablen der Personenebene kann eine Überprüfung der Sinnhaftigkeit der durchgeführten Analyse erfolgen. So zeigt sich, dass Personen mit Abitur bzw. mit Hochschulabschluss, aufgrund der durchgängig positiven Vorzeichen, stets eine größere Wahrscheinlichkeit besitzen, einer höheren Distanzklasse anzugehören als die Referenzkategorie der Personen ohne Abitur. Dabei ist die höchste Wahrscheinlichkeit für einen Klassenwechsel stets bei den Akademikern zu finden. Diese Feststellungen decken sich mit empirischen Befunden anderweitiger Untersuchungen zum Einfluss des individuellen Bildungsgrades auf Pendeldistanzen und unterstreichen damit die Tragfähigkeit des aufgestellten Modells.
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Tab. 4: Darstellung der Koeffizienten und Signifikanzen des teilstandardisierten Modells (Quelle: eigene Darstellung).
6.2 Beantwortung der Forschungshypothesen und Ergebnisinterpretation 6.2.1 Interpretation der Ergebnisse der qualifikationsstrukturellen Brancheneigenschaften
Die erste Hypothese, wonach Branchen mit einem hohen Anteil von hochqualifizierten Arbeitskräften im Schnitt längere Pendeldistanzen aufweisen, lässt sich nur teilweise verifizieren. Die Richtung des Einflusses, der durch den Anteil der F&E-Beschäftigten sowie der Personen mit Abitur an der Gesamtbelegschaft ausgeübt wird, ist als hypothesenkonform zu werten. Für diese Faktoren ist weitestgehend ein positiver Koeffizient zu verzeichnen. Er verdeutlicht, dass wissensintensivere Branchen eine größere Wahrscheinlichkeit für zeitintensive Pendeldistanzen besitzen. Zudem ist für beide Faktoren festzustellen, dass der Wert des Koeffizienten von Klassensprung zu Klassensprung signifikant abnimmt, ehe für den letzten Übergang gar die Vorzeichen wechseln. Dies kann letztlich dahingehend interpretiert werden, dass Personen bereit sind, einen gewissen zeitlichen Aufwand in Kauf zu nehmen, um in einer Branche arbeiten zu können, die
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ihnen einen angemessenen Arbeitsplatz bieten kann. Diese Bereitschaft sinkt aber mit zunehmender Distanz und der Vorzeichenwechsel der fünften Distanzkategorie legt nahe, dass im Spektrum zwischen 80 und 120 Minuten offensichtlich eine Pendeltoleranzschwelle überschritten wird, bei der diese Bereitschaft nicht mehr gegeben ist. Nicht hypothesenkonform ist hingegen das Ergebnis für den Anteil der Hochschulabsolventen an der Branchenbelegschaft. So wird festgestellt, dass ein hohes Maß an Graduierten in einer Branche das Auftreten von zeitintensiven Pendelrelationen unwahrscheinlicher macht. Auf den ersten Blick scheint es unvereinbar, dass auf einer individuellen Ebene Personen mit Hochschulabschluss stets die größte Wahrscheinlichkeit besitzen, einer hohen Distanzklasse anzugehören, gleichzeitig aber für diejenigen Branchen, die viele Hochschulabsolventen beschäftigen, geringe zeitliche Pendelaufwendungen festzustellen sind. Einen Hinweis für eine Auflösung dieses scheinbaren Konflikts, vermag der eingebundene Interaktionsterm high_bk3 zu liefern. Dieser stellt für Graduierte, die in Branchen mit einem hohen Anteil von Abiturienten beschäftigt sind, eine geringere Wahrscheinlich-
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keit für zeitintensive Pendelrelationen fest. Der ermittelte Einfluss auf der individuellen Ebene muss also durch Personen bedingt sein, die zwar einen Hochschulabschluss besitzen, allerdings in Branchen beschäftigt sind, in denen dies, neben ihnen, nur für einen vergleichsweise geringen Anteil der Belegschaft zutrifft. Als Erklärung hierfür kann angeführt werden, dass hochqualifizierte Arbeitsplätze vielfach in den Verdichtungsräumen angesiedelt sind. So lässt sich vermuten, dass Personen mit einem hohen Bildungsgrad und einer Beschäftigung in wissensintensiven Branchen tendenziell einen Wohnort im näheren Umfeld besitzen. Dies mag darin begründet liegen, dass diese Personen eine höher ausgeprägte Bereitschaft zur residenziellen Mobilität besitzen (Ruppenthal/Lück 2009: 3), sie eine höhere Affinität für urbane Lebensformen aufweisen und auch finanziell in der Lage sind, den entsprechenden Wohnraum nachzufragen. Anders stellt sich die Ausgangslage für Akademiker da, die Arbeitsplätze in weniger wissensintensiven Branchen belegen. Diese Branchen sind oftmals dispers außerhalb der großen Verdichtungsräume verteilt. Um eine dem persönlichen Bildungsniveau adäquate Beschäftigungsmöglichkeit wahrnehmen zu können, müssen die betreffenden Personen entsprechend größere Distanzen überbrücken. So kann in Bezug auf die bisher pauschale Feststellung, nach der mit einem höheren Bildungsgrad tendenziell höhere Pendeldistanzen einhergehen, erstmals eine Differenzierung vorgenommen werden 6.2.2 Interpretation der Ergebnisse der räumlichen Brancheneigenschaften
Zur Überprüfung der aufgeworfenen zweiten Forschungsfrage ist für den Anteil der Arbeitnehmer im verdichteten Umland bzw. im ländlichen Raum jeweils ein durchgängig hochsignifikanter Zusammenhang festzustellen, während für Arbeitnehmer im ländlichen Umland in den letzten beiden Klassenübergängen kein statistisch nachweisbares Ergebnis gefunden werden kann. Alle drei Variablen weisen in ihrem signifikanten Bereich stets negative Vorzeichen auf. Im Vergleich zur Referenzkategorie, die die Beschäftigten einer Branche in Kernstädten wiedergibt, bedingt ein höherer Anteil in einer beliebigen anderen Raumkategorie immer eine geringere Wahrscheinlichkeit, dass die entsprechende Person
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einer höheren Distanzklasse zugeordnet werden kann. Aus dieser Feststellung lässt sich eine generelle und eindeutige Verifizierung der zweiten Hypothese ableiten, wonach Wirtschaftsbereiche, die durch einen hohen Anteil von Beschäftigung im Kernstadtbereich gekennzeichnet sind, durchschnittlich höhere Pendeldistanzen aufweisen. Entsprechend besitzen die Variablen der zweiten und vierten Raumkategorie einen durchgängig hochsignifikanten negativen Koeffizienten. Wirtschaftsbereiche mit einem hohen Anteil von Beschäftigten im verdichteten Umland und im ländlichen Raum verzeichnen also vergleichsweise geringe Pendeldistanzen. Zusätzlich wächst für die Raumkategorie des verdichteten Umlands in den letzten beiden Klassenübergängen der Koeffizient nochmals an und stellt hier jeweils den signifikant stärksten Parameter dar. Werden diese Feststellungen nun in Kontext zu den Annahmen der Co-Location-Hypothese gesetzt, so ist festzustellen, dass das suburbane Zielgebiet der angenommenen Beschäftigungsverlagerung, am ehesten durch eben diese zweite Raumkategorie repräsentiert wird. Offensichtlich besitzen Branchen, die in hohem Maße im verdichteten Umland der Städte angesiedelt sind, die geringste Wahrscheinlichkeit, dass ihre Mitarbeiter einer der höchsten Distanzklassen zugeordnet werden. Auf dieser Basis kann also eine vorsichtige Stützung der Co-Location-Hypothese abgeleitet werden, wenngleich für eine eindeutige Evaluierung ihrer Haltbarkeit eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Dekonzentration und der Entwicklung der Pendeldistanzen im Zeitverlauf vonnöten wäre. In Bezug auf eine Verknüpfung der Analyseergebnisse mit den Grundannahmen der Co-Location-Hypothese ist zudem anzumerken, dass diese in ihrer Argumentation auch die höhere Effizienz der Verkehrsinfrastruktur im suburbanen Raum mit einbezieht. Jedoch beruht die Ermittlung der zeitlichen Entfernungen hier auf dem unbelasteten Straßennetz und kann somit die Anfälligkeit für Verzögerungen oder Überlastungen nicht abbilden. Gleichzeitig sind lediglich die Fahrzeiten des motorisierten Individualverkehrs dargestellt und öffentliche Verkehrsmittel bleiben unberücksichtigt.
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7 Fazit
Ein Überblick über die theoretischen Zugänge und bisherigen empirischen Erkenntnisse zur Erklärung von Berufspendeldistanzen offenbarte, dass nach wie vor unbeantwortete Fragestellungen existieren. Der vorliegende Artikel konnte hierbei in die identifizierte Forschungslücke vorstoßen, für die im deutschen Raum noch keine umfassende Unterscheidung von Pendelstrukturen auf Branchenebene erfolgte. So wurde aufgezeigt, dass dekonzentrierte Branchen, die einen bedeutenden Anteil ihrer Wirtschaftsleistung außerhalb der Kernstädte erbringen, stets eine geringere Wahrscheinlichkeit dafür aufweisen, dass ihre Mitarbeiter einer hohen Distanzklasse zuzurechnen sind. Eine detaillierte Betrachtung lieferte zusätzlich Hinweise für eine vorsichtige Bekräftigung der Grundannahmen der Co-Location-Hypothese: Branchen, die vorwiegend in der suburbanen Raumkategorie des verdichteten Umlands angesiedelt sind, besitzen eine besonders geringe Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von zeitintensiven Pendelrelationen. Weiterhin ist zu konstatieren, dass wissensintensive Branchen mit einem hohen Belegschaftsanteil von F&E-Beschäftigten und Personen mit Abitur, tendenziell eine höhere Wahrscheinlichkeit für zeitintensive Pendelrelationen aufweisen. Ein gänzlich nicht hypothesenkonformes Ergebnis konnte für den Anteil der Graduierten in einer Branche ermittelt werden, was sich dadurch erklären lässt, dass bezüglich von Pendeldistanzen offensichtlich verschiedene Arten von Akademikern zu unterscheiden sind. Als beispielhaftes Anwendungsfeld können die ermittelten Ergebnisse arbeitsmarktpolitisch für eine genauere Identifizierung der Branchen und Personengruppen, die nur eine geringe berufliche Mobilität aufweisen, genutzt werden, um so Hinweise darauf zu geben, wodurch Anreize zu einer höheren beruflichen Mobilität noch Potenziale für einen verstärkten regionalen Ausgleich oder eine erhöhte Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt liegen. So breit, wie sich das Spektrum der Disziplinen, die sich mit der Thematik des Berufspendelns befassen, präsentiert, so vielfältig sind jedoch auch die möglichen Handlungsimplikationen, die sich aus der durchgeführten Analyse ableiten lassen. Daher soll an dieser Stelle nicht versäumt werden, darauf hinzuweisen, dass aus gesundheitswirtschaftlicher
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Sicht, Pendler ein deutlich erhöhtes Risiko für psychosomatische Beschwerden besitzen (Rapp 2003). In diesem Kontext könnten die Resultate auch zur Beantwortung der Fragestellung dienen, welche Zielgruppen und Multiplikatoren, wie bspw. Branchenverbände, besonders für die Thematik sensibilisiert werden sollten. Neben den aufgezeigten Handlungsimplikationen lassen sich die Ergebnisse auch als Anstoß für weiterführende Forschungsarbeiten verstehen. Eine Analyse des Zusammenhangs zwischen Brancheneigenschaften und Pendeldistanzen im Zeitverlauf stellt hierbei ein lohnenswertes Ziel dar. So könnte es insbesondere vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Endes der dynamischen Beschäftigungssuburbanisierung bzw. einer Renaissance der Städte (Einig/Zaspel 2008) aufschlussreich sein, über eine Querschnittsbetrachtung hinauszugehen und mittels einer Paneldatenanalyse zu untersuchen, inwiefern sich Änderungen in der räumlichen Konzentration einer Branche über die Zeit auf die beobachtbaren Pendeldistanzen niederschlagen. Literaturverzeichnis
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Katja Thiele, Greta Ertelt, Nelly Grotefendt & Christiane Uhlig (alle Humboldt-Universität zu Berlin)
Power to the people – Doing more with less Auswirkungen des staatlichen Sparpakets in Großbritannien auf die lokale Jugendsozialarbeit am Beispiel von London-Islington Dieser Artikel ist im Rahmen einer zweiwöchigen Exkursion nach London entstanden. Die Exkursion fand im Anschluss an die Olympischen Spiele 201 2 statt, war Teil des Masterstudiums der Humangeographie und diente der inhaltlichen Auseinandersetzung mit komplexen stadtgeographischen Themen. Die Studierenden übernahmen eigenverantwortlich die Projektorganisation in Gruppen, die Erarbeitung der Themen und des methodischen Designs sowie die Leitung der Empirie vor Ort. Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Frage nach den Auswirkungen staatlicher Kürzungen auf die Gewährleistung von Sozialleistungen auf lokaler Ebene in London-Islington. 1 Einleitung: Empowerment durch Kürzungen?
Die globale Banken- und Finanzkrise, die 2007 als Immobilienkrise in den USA begann, wirkte sich in den folgenden Jahren in ganz Europa negativ auf die nationalen Haushalte aus und führte in Großbritannien sogar zum größten Staatsdefizit seit dem Zweiten Weltkrieg. Laut der britischen Regierung sei dieses ebenfalls auf einen hohen Anteil an öffentlichen Ausgaben zurückzuführen, die in Zeiten der Krise nicht länger zu halten seien (Her Majesty's Treasury 2012: 11). Vor diesem Hintergrund müssen auch die aktuellen radikalen Sparmaßnahmen der britischen Regierung betrachtet werden, die zur Senkung staatlicher Zuschüsse auf das niedrigste Niveau seit 1945 führten (Her Majesty’s Treasury 2010). Konkret geht es um die Streichung von Sozialausgaben in Höhe von 20,3 Milliarden Pfund – einschließlich des Wegfalls von je 500.000 Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft. Am stärksten treffen die staatlichen Einsparungen jedoch die sozial schwächsten Bürger_innen (Ferguson 2012: 21). Peck et al. (2009) zufolge startet die ak-
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tuelle (britische) Stadtentwicklung damit in eine neue Phase neoliberaler Politik: „Under these conditions, cities have become the incubators for, and generative nodes within, the reproduction of neoliberalism as a ‘living’ institutional regime“ (Peck et al. 2009: 65). Zu den Mechanismen dieser neoliberalen (Stadt‑)Politik gehöre eine Verlagerung (wohlfahrts-)staatlicher Versorgungsleistungen auf die individuelle Verantwortung der Empfänger_innen und das Outsourcen von Leistungen auf privatwirtschaftliche Akteur_innen (Ferguson 2012: 27f.). Privatisierung bildet auch das Kernstück der britischen Regierungsstrategie zur Senkung der Staatsschulden. Begleitet wird diese Politik von dem groß angelegten Big-Society-Programm der Regierung, das durch die britische Tageszeitung The Independent wie folgt zusammengefasst wurde: „[…] It [the state] should be smaller and smarter. Growth in the power of our state has produced diminishing returns in the quality of public services, portrays citizens as passive recipients of centralised benefaction, and is unaffordable.” (Rajan 2010). Die Grundidee dahinter: Weniger staatliche Einflussnahme soll zu weniger staatlichen Ausgaben und zu einer stärkeren Gesellschaft führen. Die Rücknahme des Staates aus sozialen Verantwortungsbereichen wird durch den Slogan „take power away from politicians and give it to the people“ (Ferguson 2012: 25) und die damit verbundene Idee der Stärkung der lokalen Ebene versucht zu legitimieren. Nach dem Motto „You can do more with less“ (Watt 2010) sollen ehrenamtliche Organisationen, gemeinnützige und private Unternehmen als (neue) Träger_innen des Sozialwesens eintreten und damit die Gesellschaft von unten stärken (Becker 2011). Die empirische Untersuchung dieses For-
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schungsprojektes konzentrierte sich auf die Analyse der aktuellen Dynamiken im Bereich der Sozialarbeit im Londoner Stadtteil Islington. Da im Diskurs um die Wiederherstellung einer tragfähigen Gesellschaft vor allem Jugendlichen eine besondere Rolle zugeschrieben wird, lag der Fokus auf Einrichtungen und Organisationen der Jugendarbeit, sowie auf deren Angebot, Qualität und der Rolle ehrenamtlichen Engagements innerhalb dieser. Hierbei galt es stets den Zusammenhang der Kürzungspolitik und deren Folgen nicht aus den Augen zu verlieren. Es ging jedoch weniger darum, repräsentative Schlussfolgerungen zu generieren, als vielmehr anhand eines exemplarischen Beispiels in eine Diskussion zu den Möglichkeiten der lokalen Jugendsozialarbeit in Zeiten staatlicher Kürzungen zu treten. 2 Wohlfahrtsstaatliche Perspektive und räumlicher Blick
Den Blick auf Deutschland gerichtet, lässt sich feststellen, dass dem deutschen Sozialstaat, angesichts der sich auch hier vollziehenden rapiden Veränderungen im Zeichen der Neoliberalisierung und der aktuellen Krisendynamik, eine Welle der Kritik entgegenschlägt, die sich gegen den Umbau der Sozialmechanismen und den langsamen Rückzug des Staates aus der sozialen Verantwortung richtet. Das Soziale wird zunehmend dem Ökonomischen untergeordnet. Durch ein Öffnen der sozialstaatlichen Grundsätze für die Mechanismen des Weltmarkts wird die Verschiebung von wohlfahrtsstaatlichen Prioritäten zugunsten internationaler Konkurrenzfähigkeit Deutschlands nach außen manifestiert (Butterwegge 2010: 49ff.). Nach innen wiederum „überträgt er [(der Sozialstaat)] die Marktmechanismen und Gestaltungsprinzipien der Leistungskonkurrenz […] auf seine eigenen Organisationsstrukturen“ (ebd.: 60f.). In der Geschichte der britischen Wohlfahrt, die bereits seit den 1980er Jahren von kontinuierlichen Leistungskürzungen durch liberalkonservative Politik geprägt ist (Schmid 2010: 198), spielt(e) das Prinzip der Selbsthilfe anstelle von umfangreichen sozialstaatlichen Leistungen hingegen bereits in den frühen 1940er Jahren eine viel stärkere Rolle (ebd. 186f.). Auch die Privatisierung öffentlicher Aufgaben und die Übertragung des Grundsatzes der Eigenverantwortlichkeit von Akteur_innen des ökonomischen Marktes auf die Rolle der Individuen im Staat sind in der Ent-
wicklung des britischen Sozialsystems deutlich ausgeprägter angelegt als in Deutschland (Baek 2010: 345). Darüber hinaus unterscheiden sich die Reaktionen auf staatliche Regulierungen, die in Großbritannien wiederum auf eine historisch gewachsene Akzeptanz der Selbsthilfe als grundlegendes Element der Sozialhilfe zurückzuführen sind. Der Wohlfahrtsstaat in Großbritannien wurde „niemals durch einen derart tiefgreifenden gesellschaftlichen Konsens getragen […]“ (Schmid 2010: 201), wie es für den Sozialstaat in Deutschland der Fall ist. Trotz der unterschiedlichen Grundlegung wohlfahrtsstaatlicher Systeme erscheint es uns interessant, aus einer deutschen wohlfahrtsstaatlichen Perspektive heraus einen Blick nach Großbritannien zu werfen, da sich im Kontext der aktuellen Krise(n) ähnliche Tendenzen der politischen Regulierung erkennen lassen. Von dieser Beobachtung ausgehend, soll es in diesem Artikel darum gehen, die Reaktionen und Strategien auf die Folgen zunehmender neoliberaler Modernisierung in Form sozialer Polarisierung, Herausbildung oder Verfestigung lokaler Armutsstrukturen, Marginalisierung und sozialräumliche Segregation auf kleinräumlicher Ebene zu untersuchen. Wie wird auf lokaler Ebene mit staatlichen Kürzungen umgegangen? Welche Strategien werden entwickelt und in welchem Zusammenhang stehen diese Entwicklungen zu allgemeinen Tendenzen städtischer Politik und Regulierungen? 3 Sozialräumliche Kontexte der Jugendsozialarbeit in London-Islington
Die Wahl für den Bezirk Islington als Untersuchungsgebiet ergab sich auf Basis von Rechercheergebnissen, die den Bezirk als eines der ärmsten Gebiete Englands und Londons ausweisen. In einem Bericht der staatlichen Islington Fairness Commission (2008) wird dafür auf den multiple-deprivation-index von 2007 verwiesen (Greater London Authority Data Management and Analysis Group 2008; The Islington Fairness Commission 2008; Greater London Authority Intelligence Unit 2011a; Greater London Authority 2011: 9). Ein Bericht von 2011 zeigt zudem, dass die Verteilung von Wohlstand in Islington äußerst ungleich ist. „It has become a cliché to say that there are two Islingtons, but it is true, and it matters. Islington is home to some of
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the wealthiest people in the country [… and] also home to real poverty and deprivation” (The Islington Fairness Commission 2011ff.). Die wohlhabendsten 20 % der Haushalte verzeichnen ein jährliches Einkommen von über 60.000 £, während die ärmsten 20 % der Haushalte über weniger als 15.000 £ im Jahr verfügen. Mehr als 8.000 Einwohner_innen verfügen sogar nur über ein Einkommen unter 10.000 £ jährlich – einschließlich staatlicher Zuwendungen (ebd.). Die finanzielle Armut wird begleitet von einer hohen Arbeitslosigkeit, wobei insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit mit 20 % weit über dem Wert anderer Bezirke liegt (ebd.). 2011 weist Islington außerdem die zweithöchste Kinderarmutsrate Englands auf (ebd.). 40–50 % der Kinder in Islington leben damit in Armut und haben nicht die gleichen Lebenschancen wie Kinder in anderen Bezirken (Greater London Authority Intelligence Unit 2011b: 3). Der lokalen Jugendarbeit kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle für die soziale Integration von Kindern und Jugendlichen zu. Im Jahr 2010 verabschiedete die damals neu gewählte britische Regierung unter David Cameron einen Fünfjahresplan, der die Reduzierung der britischen Staatsschulden durch ein umfassendes Paket an Haushaltskürzungen vorsieht. Laut Informationen des Guardian ist der derzeitige Finanzminister George Osborne bereits zu einer Ausweitung der Haushaltskürzungen um weitere zwei Jahre gedrängt worden (The Guardian, 19.7.2012). Insgesamt wird von einem Wegfall von ungefähr 911 Millionen £ im Bereich des freiwilligen und öffentlichen Sektors ausgegangen (NCVO 2011: 5). Die Londoner Stadtbezirke sind hierbei in unterschiedlich starkem Ausmaß von den Kürzungen betroffen, im Durchschnitt müssen sie jedoch schon im ersten Jahr mit rund 9 % weniger öffentlichen Geldern rechnen (NCVO 2011: 14). Die BBC berichtete Ende des Jahres 2011, dass von 7.000 britischen Sozialarbeiter_innen im Jugendbereich bis zu 3.000 ihren Job verlieren würden und bis Ende 2011 20 % der Jugendeinrichtungen schließen müssten (BBC News UK, 25.10.2011). Von den Kürzungen sind die sozial schwachen Gebiete im Norden und Osten der Stadt – Hackney, Tower Hamlets, Newham und Islington – besonders betroffen. In Islington bedeuten sie 39 Millionen £ weniger staatliche Zuschüsse in der Periode 2011/12 und zusätzlich 13 Millionen £ weniger im Jahr 2012/13 (Is-
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lington Borough Council 2012). Gemessen am reinen Wert gekürzter Geldmittel, fallen die Sparmaßnahmen in Islington damit im stadtweiten Vergleich sogar am höchsten aus. Auf die, aus finanzieller Sicht notwendige, Reduzierung der Sozialausgaben wird mit einer kurzfristigen Erhöhung der Mittel für den freiwilligen Sektor reagiert, in der Hoffnung die Effekte der Kürzungen zu kompensieren (Islington Borough Council 2012). 4 Fragestellungen und Methodendesign
Aufbauend auf den vorangegangenen Darstellungen wurde die Frage gestellt, wie in Zeiten der Kürzung staatlicher Finanzierung soziale Dienstleistungen gewährleistet werden können. Für die empirische Untersuchung wurde die Vorannahme getroffen, dass die britische (Sozial‑)Politik von einer zunehmenden Neoliberalisierung – d. h. durch die strukturelle Rücknahme des Staates aus sozialen Bereichen und die Organisation der Sozialpolitik nach ökonomischen Prinzipien – geprägt ist. Daran anknüpfend wurde untersucht, wie sich die im Sparpaket 2010 verabschiedeten Kürzungen auf den Bestand und die Qualität der sozialen Einrichtungen für Jugendliche im Londoner Stadtteil Islington auswirken und inwiefern in diesem Zusammenhang von sozialräumlicher Ungerechtigkeit gesprochen werden kann. Dabei werden folgende Thesen verfolgt: 1. Die Kürzungen stehen im Zeichen einer Big Society-Politik. Die Folgen der Kürzungen stehen jedoch im Widerspruch zur beschriebenen Rhetorik. 2. Die neoliberale Stadtpolitik und ihr begleitender Diskurs (Big Society) tragen nicht zu einer Verbesserung der Situation bei, sondern sind der politische Mechanismus, durch den sozialräumliche Ungleichheiten durch die Londoner Stadtpolitik legitimiert und reproduziert werden. Sowohl die theoretische Lektüre als auch die Reaktion des Councils in Islington legen nahe, dass sich die lokale Politik im Umgang mit den Kürzungen dabei auf zwei Strategien konzentriert: den Ausbau ehrenamtlicher Strukturen in der Jugendsozialarbeit und die Einbeziehung privatwirtschaftlicher Träger_innen. Forschungsleitende Fragen für die empirische Untersuchung waren daher: Inwiefern hat sich das Angebot und die Qualität der Angebote von sozialen Einrichtungen durch die Kürzungen verändert und welche Effekte ha-
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ben eventuelle Veränderungen des Angebots für deren Zielgruppen mit sich gebracht? Mit Hilfe von leitfadengestützten Experteninterviews wurden verschiedene Perspektiven von Akteur_innen im Bereich der Jugendsozialarbeit erhoben. Die Auswahl der Interviewpartner_innen erfolgte durch ihren thematischen Bezug und die räumliche Eingrenzung der Forschungsfrage auf den Bezirk Islington. Zu den Interviewten gehörten einerseits Lokalpolitiker_innen, die sich im Rahmen politischer Gremienarbeit für die Interessen von Jugendlichen einsetzen sowie andererseits Sozialarbeiter_innen, freiwillige Mitarbeiter_innen und Vertreter_innen von Institutionen und Organisationen mit unterschiedlichen Leitbildern, die in der untenstehenden Tabelle kurz dargestellt sind. Um die verschiedenen Perspektiven abschließend zusammenzubringen und Fragen, die sich im Rahmen der Interviews ergeben haben, gemeinsam zu diskutieren, wurde ergänzend eine Podiumsdiskussion durchgeführt. 5 Ergebnisse der empirischen Erhebungen vor Ort
Die Analyse der Interviews sowie der Podiumsdiskussion ließ schon während der ersten Sichtung der Ergebnisse unterschiedliche Perspektiven auf das Untersuchungsfeld erkennen. Im Laufe der Auswertung der Empirie zeichneten sich zwei Aspekte als besonders prägnant ab. (1) Die sozialen Herausforderun-
gen im Bezirk und die sich daraus ergebenen Anforderungen an die Jugendarbeit vor Ort (siehe Kapitel 5.1). (2) Die Umstrukturierungen der Jugendarbeit im Zeichen der Big-Society sowie, damit einhergehend, der lokale Umgang mit staatlichen Kürzungen und die Frage nach der Messbarkeit guter Jugendsozialarbeit (siehe Kapitel 5.2). 5.1 Herausforderungen der lokalen Jugendarbeit
Islington wird wiederholt als Gebiet beschrieben, in dem Häuserblöcke des sozialen Wohnungsbaus direkt an deutlich wohlhabendere Straßenzüge grenzen. Auch die beiden in der Jugendarbeit arbeitenden Interviewpartner Franklin und Hamilton stellen in diesem Kontext die sozio-ökonomische Spaltung des Bezirks als bedeutenden Faktor für die tägliche Praxis heraus. Neben der höchsten Kinderarmutsrate Londons herrsche eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und der Qualifizierungsgrad der jungen Generation sei gering. In vielen Familien mit einer sich seit Generationen verfestigten Arbeitslosigkeit bilde sich darüber hinaus eine Arbeitslethargie aus. Als zusätzliche Herausforderungen werden die engen Wohnverhältnisse (Rob Hamilton; Richard Franklin) sowie die Gewährleistung von zugänglichen Freiflächen für Kinder und Jugendliche in ausreichendem Maße (Wendy Bristow) dargestellt. Das Leben vieler Jugendlicher spiele sich auf der Straße ab, wobei hier Gang-Strukturen
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ein besonderes Problem darstellen (RF, RH). Oft werde eine Gangzugehörigkeit schon in der zweiten Generation weitergegeben. In den letzten Jahren habe sich das Problem verschlimmert, und das Phänomen der post-codegangs sei aufgetreten, wobei die Gangs über ein eng abgestecktes Territorium, verfügen, das ihren Mitgliedern das Begehen des weiteren Umfelds verwehre (RH). Innerhalb dieser Territorien bieten die Gangs den Jugendlichen Identifikation und Rückhalt und repräsentieren deren Familie, Freundes- und Unterstützungsnetz. Dem gegenüber stünden jedoch Probleme wie Drogenhandel, Kleinkriminalität, Messerstechereien sowie der soziale Druck auf die mehrheitlich männlichen Jugendlichen (RH, RF). Die Situation sei für Jugendarbeiter_innen gefährlich und lediglich ältere Jugendarbeiter_innen würden genügend Respekt und Sicherheit erhalten (RF). Aus der territorialen Struktur der Gangs ergebe sich außerdem die Anforderung, die räumlichen Begrenzungen und Aktionsräume der jeweiligen Gangs auch in der Jugendarbeit zu beachten, anstatt Zentren zu bilden, wie es bisher von der Politik betrieben wird. Diese könnten nur die Menschen in direkter Umgebung erreichen, wobei die Mitglieder der Gangs teilweise selbst am Betreten eines direkt an ihr Wohngebiet angrenzenden Zentrums gehindert werden, wenn sich dieses im Territorium einer anderen Gang befindet (ebd.). Gute Jugendarbeit bedeute, Jugendlichen eine langfristige Zukunft zu geben (WB). Bezüglich der Anforderungen an eine Jugendarbeit, die dieses Ziel erreichen kann, verweist Hamilton daher auf die Notwendigkeit des Aufbaus einer persönlichen Beziehung zu den Jugendlichen. Dies sei die einzige Möglichkeit, um mit den Jugendlichen erfolgreich an ihrer Zukunft zu arbeiten (RH). „It is not done enough to reach children not in youth projects” (ebd.). Mit ihrer Spezialisierung auf besonders benachteiligte Kinder und Jugendliche zeugt hier insbesondere die Arbeit von Prospex von der Anerkennung derjenigen Kinder und Jugendlichen, die als „3rd generation of the same pattern” (RF) eingestuft werden. Das Bedürfnis eine informelle Alternative zu den „big authority figures“ (ebd.) wie Schulen und Sozialeinrichtungen zu bieten, die auch von den Eltern als Anlaufstelle genutzt werden könne (RF, WB), rückt hier besonders in den Vordergrund. Gleichermaßen wichtig scheint den Be-
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teiligten in diesem Zusammenhang zu sein, dass sich die dortigen Mitarbeiter_innen mit den sozialen Hintergründen und Interdependenzen im Bezirk auskennen und Zeit vor Ort verbringen (WB). „External agencies wouldn’t have the internal background to make social youth work more sustainable“ (ebd.). 5.2 Umstrukturierungen der Jugendarbeit im Zeichen der Big-Society 5.2.1 „Cuts force a reassessment of the nature and value of youth work”
Entgegen der Annahme, dass die Haushaltskürzungen im freiwilligen und öffentlichen Sektor zu einer Verschlechterung des Angebots und der Qualität der lokalen Jugendarbeit führen, wurde im Rahmen der durchgeführten Interviews deutlich, dass die Kürzungen keine ausschließlich negativen Auswirkungen für die Beteiligten hervorgebracht haben. Vielmehr wurde ausgiebig darüber diskutiert, dass die aktuelle britische Politik zwar bisher nicht zur direkten Schließung von Einrichtungen, doch aber zu einer umfassenden Umstrukturierung der Mittelvergabe im öffentlichen Sektor und der Organisation der Jugendarbeit in London-Islington geführt hat, die sowohl Risiken als auch Chancen birgt. Die aktuelle Kürzungspolitik müsse vor dem Hintergrund eines kontinuierlichen Prozesses der Veränderung des Systems der Jugendsozialarbeit über die letzten Jahrzehnte diskutiert werden. Die durch die aktuelle Regierung unter Cameron beschlossenen Kürzungen würden nur eine Zäsur darstellen, deren spezifische Folgen bisher schwer abzuschätzen seien. Nicht zu negieren sei allerdings, dass die Kürzungen einen großen Einschnitt für die Budgets der lokalpolitischen Institutionen und der sozialen Einrichtungen bedeuten. Gleichzeitig machte Williams klar, dass hier weniger die Frage im Fokus stehe wie hoch die Kürzungen ausfallen, sondern inwiefern sich die Jugendarbeit selbst verändert und wie und durch wen deren Angebot sichergestellt werden kann. „But it‘s more complicated in fact. It’s not only about services being cut, it’s about services changing and who delivers them” (Gethyn Williams). Fast alle interviewten Akteur_innen beschreiben in diesem Zusammenhang eine Veränderung ihrer Arbeit. „The large cuts that lo-
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cal authorities had to go through have forced everybody to look at what they spend their money on” (RH). Donovan Chamberlayne beschrieb diesbezüglich, dass die sozialpolitischen Begleitumstände „[…] led to a reassessment and quite a radical shift in how we operate and provide services” (DC). Dieser Standpunkt wurde von George Allan mit folgender Aussage resümiert: „Cuts force a reassessment of the nature and value of youth work” (GA). Aus der lokalpolitischen Perspektive heraus ist es laut Chamberlayne zwar bisher nicht zum Ausfall oder zur Einstellung existierender Angebote und Leistungen gekommen, gleichzeitig spricht er jedoch immer wieder von einer Veränderung der Jugendarbeit hinsichtlich ihrer Art und Weise sie durchzuführen. Dies bezieht sich in erster Linie auf die direkte Sorge der betroffenen Einrichtungen, durch die Kürzungen nicht das gesamte Angebot aufrecht erhalten zu können und die damit verbundene Suche nach alternativen Finanzierungsquellen und Förderungskonzepten. Auch Allan betont die Notwendigkeit neue Quellen zur Förderung von Projekten zu gewinnen, wobei er insbesondere für die generationsübergreifende Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteur_innen einerseits und privatwirtschaftlichen Engagements andererseits plädiert (GA). Die Umstrukturierungen des Systems der Jugendarbeit führen so – ganz im Zeichen der Big‑Society‑Politik – zu einer stärkeren Unabhängigkeit der Einrichtungen und Organisationen von staatlichen Finanzierungsmodalitäten und deren Kontrollen (GW). Damit wird zwar Verantwortung auf die lokal arbeitenden Akteur_innen übertragen und ihr Handlungsspielraum in der alltäglichen Praxis erhöht. Andererseits wird die Verantwortung durch die Integration neuer Akteur_innen dezentralisiert und auf mehrere Instanzen (Schulen, Familie, Jugendorganisationen, Polizei, Lokalpolitik, private Investor_innen) verteilt. Gerade in Zeiten finanzieller Engpässe sei die Jugendarbeit damit stärker denn je auf ehrenamtliche Arbeit von Freiwilligen, die ohnehin eine tragende Rolle im britischen System spielen, angewiesen. Die Finanzierung der Jugendarbeit stellt laut Williams eine ständige Herausforderung dar, die inzwischen wie „salami slicing” funktioniere. „You have to take a little bit from the health budget, […] a little bit from social care and a little bit from something else” (GW). Vor diesem Hintergrund hätten es vor allem die lokal zuständigen Behörden
schwer, neue Wege zur Finanzierung abseits staatlicher Unterstützung zu finden (ebd.). Während Williams zu dem Schluss kommt, dass die Kürzungen den positiven Effekt mit sich bringen, dass sie die jeweiligen Einrichtungen und Organisationen dazu zwingen über die Effizienz der geleisteten Arbeit zu reflektieren und das vorhandene Kapital bewusster einzusetzen, weist Franklin darauf hin, dass davon nicht alle Einrichtungen gleichermaßen profitieren würden (GW; RF). Die Veränderungen in der Organisation (Erhöhung des bürokratischen Aufwandes, Standardisierung der Leistungen, Ergebnisorientierung, etc.) und die zunehmende Effizienzorientierung der Jugendarbeit stünden in einem starken Spannungsverhältnis zu den finanziellen und personellen Möglichkeiten, die den Einrichtungen zur Verfügung stehen. Die Neuorientierung der Jugendpolitik bedeute für viele Einrichtungen nicht nur einen höheren bürokratischen Aufwand (dem besonders kleine Einrichtungen nicht immer gewachsen sind), sondern die steigende Anzahl an Freiwilligen bedeute auch ein hohes Maß an zusätzlich notwendiger Unterstützung und Ausbildung durch fest angestelltes, qualifiziertes Personal. Nur so könne qualitativ hochwertige und langfristig angelegte Jugendarbeit geleistet werden (RF). Bezogen auf das Einwerben anderer Fördermittel äußert sich Franklin ebenfalls skeptisch. Prospex beispielsweise habe in den letzten Jahren große Verluste hinnehmen müssen und es sei zunehmend schwerer an finanzielle Förderung aus anderen Quellen zu gelangen. Die Einrichtungen seien dadurch gezwungen sich in neue Partnerschaften mit privatwirtschaftlichen Akteur_innen zu begeben. Das beinhaltet nach Allan für einzelne Projekte zwar neue Möglichkeiten eine bessere Förderung zu erhalten, bedeute aber für einige Einrichtungen wiederum den Verlust der Unabhängigkeit der Förderung von den Interessen der Förderer_innen (GA). Dieser Prozess würde die Einrichtungen außerdem immer stärker in die Rolle eines wirtschaftenden Unternehmens zwingen, das den Nutzen von individuellen Leistungen gegenüber ihren Kosten abwägen muss (RF) und somit tendenziell Einsparungen in der Quantität oder Qualität vornehmen muss. Dienstleistungen der Jugendarbeit werden dadurch in marktförmig erbrachte Dienstleistungen außerhalb der staatlichen Sozialpolitik übersetzt. So zeigt das Beispiel des Peel Institutes, dass die Einrich-
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tung zwar zeitweise sogar mehr staatliche Förderung erhielt, die Gelder jedoch viel stärker an vorgegebene Ziele gebunden sind. Darüber hinaus scheint sich der Konkurrenzdruck unter den Einrichtungen zu erhöhen. Das kann positiv sein für diejenigen, die die Standards erfüllen können, bedeutet aber in der Praxis, dass häufig dieselben Einrichtungen Förderungen erhalten (RH) und sich damit die Landschaft der Jugendsozialarbeit auf lange Sicht ausdünnen könnte. 5.2.2 Lässt sich gute Jugendarbeit messen?
Ein Zusammenhang zwischen der Reorganisation der lokalen Jugendarbeit und dem Programm der Big-Society-Agenda wird insofern gesehen, dass die Verlagerung politischer Verantwortung auf die lokale Ebene durch die Rhetorik der Stärkung der Community begleitet wird. Eine Politik der Big-Society, wie sie durch Cameron propagiert wird, sei zwar begrüßenswert, weil sie theoretisch zur Stärkung der Community und der lokalen Jugendarbeit führen könne, habe jedoch wenig mit der tatsächlichen Realität zu tun (RF). Immer wieder wurden diesbezüglich auch die Jugendarbeit und ihre Rolle selbst zur Diskussion gestellt. Was soll gute Jugendarbeit für wen leisten können und wie kann nachgewiesen werden, dass diese zum gewünschten Ergebnis führt? Grundsätzlich bestehe das Konzept der Jugendarbeit für die Beteiligten in der Begleitung von jungen Menschen durch Abschnitte ihres Lebens im Übergang zum Erwachsensein. Auf einer möglichst freiwilligen Basis solle Jugendarbeit dazu dienen „to help create effective and fully rounded individuals who are able to function in society, to take the opportunities that life today presents“ (GA). Die aktuelle Praxis habe sich aber in den letzten Jahren von diesem ursprünglichen Konzept entfernt. Die Vorstellungen derjenigen, die die Ressourcen bereitstellen, gehen nicht unbedingt konform mit den Attributen anhand derer die Ergebnisse der durchgeführten Arbeit aus Sicht der Jugendarbeiter_innen gemessen werden (GW). Rückblickend sei es zu einer Verschiebung des Arbeitsfokus gekommen, weg von der Arbeit mit jungen Menschen, hin zu dem ständigen Druck für soziale Einrichtungen immer neue Gründe für eine Finanzierung von Projekten zu finden. „Over the last ten […] years we've forgotten why we do that. We've forgotten why youth work is just a great thing
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for young people to have and we've become more and more concerned about how we justify funding for it“ (GW). Hamilton beschreibt dies sogar als eine Art Kampf um die Legitimation der eigenen Arbeit (RH). Aufgrund der Ergebnis-Orientierung tendieren viele Einrichtungen deshalb mittlerweile zur Finanzierung von kurzfristigen Projekten, mit denen ein klar messbares Endergebnis anvisiert werden könne. Dies stehe jedoch im Gegensatz zur Langzeitbegleitung junger Menschen. „Elected members of the government do not understand how to measure what is success and what not. This is because most of the outcome is soft […] other than addiction rates and so on“ (GA). Resümierend werden zwei sich konträr gegenüberstehende Verständnisse deutlich: Auf der einen Seite steht die Idee einer freiwilligen Kontaktaufnahme seitens der Jugendlichen, die zu einer langfristigen Beziehung wächst und die Jugendlichen bei der Gestaltung ihres Lebens unterstützt. Auf der anderen Seite steht der politische Versuch durch die Implementierung von verschiedenen Programmen direkt in das Leben der Jugendlichen einzugreifen und so langfristig größere gesellschaftliche Probleme zu lösen. In der Praxis werden dadurch allerdings zwei Problematiken hervorgerufen: (1) Die Tendenz einer top-down-Implementierung und outcome-orientierten Überprüfung der Jugendarbeit und (2) der damit verbundene Trend zur Förderung von kurzfristigen Projekten, deren Effektivität und Nachhaltigkeit fragwürdig zu sein scheint. 6 Zusammenfassung
Mit dem Bezug auf einen spezifischen Stadtteil wurde die Frage gestellt, inwieweit die durch das Leitbild der Big Society legitimierte Kürzung staatlicher Förderung im Bereich der Jugendarbeit eine Stärkung der lokalpolitischen Ebene erzielen kann. Im Fokus stand die Frage nach den konkreten Auswirkungen der Sparpolitik auf soziale Einrichtungen und ihre Mitarbeiter_innen im sozial schwächeren Londoner Stadtteil Islington. Entgegen der Erwartung, dass die britische Sparpolitik eine bedeutende negative Zäsur für die lokale Jugendarbeit darstellt, erwiesen sich die Effekte als wesentlich komplexer. Der Trend zur Ökonomisierung der britischen Sozialpolitik, wirkt sich in zweierlei Hinsicht auf die lokale Jugendarbeit aus: (1) Durch die Re-
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duzierung der Budgets und des damit einhergehenden finanziellen Drucks kommt es dazu, dass die Jugendarbeit immer häufiger an Kriterien der Effizienz und des (nur schwer messbaren) Erfolges gemessen wird. Das kann einerseits die Chance bieten die Arbeit effektiver zu gestalten, andererseits bedeutet es den Eintritt in ein Wettbewerbsverhältnis zu anderen Einrichtungen, wobei sich eine gewisse wirtschaftliche Professionalität als vorteilhaft erweist. Immer mehr Einrichtungen und Projekte sind zusätzlich auf privatwirtschaftliche Kooperationen angewiesen. Diese Verschiebung bedeutet für viele Einrichtungen jedoch einen Verlust ihrer finanziellen Unabhängigkeit. Die knappe Finanzierung der Projekte führt außerdem zu einem Rückgang der bezahlten Stellen. Die Jugendarbeit in Islington scheint zwar bis zum Untersuchungszeitpunkt nicht so stark von den Kürzungen betroffen zu sein, dass die Quantität des Angebots bereits eingeschränkt werden musste. Die Qualität leidet jedoch insofern unter den Kürzungen, dass die steigende Anzahl an Freiwilligen ein hohes Maß an bürokratischem Mehraufwand für die Einrichtungen bedeutet und die Freiwilligen den Anforderungen an professionelle Jugendarbeit nicht ohne zusätzliche Unterstützung durch fest angestellte, professionelle Jugendarbeiter_innen gerecht werden. (2) Ein interessantes Ergebnis der Untersuchung ist auch, dass es sich bei den Kürzungen in der Wahrnehmung der Akteur_innen eben nicht um einen großen Einschnitt handelt, sondern diese vielmehr als Teil einer kontinuierlichen Politik des Sparens in der (Jugend-)Sozialarbeit eingestuft wurden, die zu langfristigen Umstrukturierungen führt. Das wiederum erscheint aus der Spezifik des britischen Wohlfahrtssystems konsistent. Die britische Sozialpolitik ist einerseits durch eine lange Tradition staatlicher Kürzungen geprägt, in der Eigenverantwortung und die privatwirtschaftliche Organisation von Hilfeleistungen eine große Rolle spielen. Andererseits kann nicht von einer gleichbedeutenden Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates im Vergleich zu Deutschland ausgegangen werden, sodass hier ein unterschiedliches Verständnis von Staat zu Tage tritt und mildere Reaktionen auf den Abbau sozialstaatlicher Leistungen innerhalb der Jugendsozialarbeit nur folgerichtig sind. Dass diese Entwicklung zusätzlich im Zusammenhang mit der von Cameron initiierten Big Society Rhetorik steht, ließ sich ebenfalls durch die Aus-
sagen der interviewten Akteur_innen bestätigen, wenn sich auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschätzen lässt, wie sich die skizzierten Tendenzen weiterentwickeln werden. Die Zukunft der Landschaft der Sozialeinrichtungen in Islington scheint insbesondere von den lokalpolitischen Entscheidungen bezüglich des Umgangs mit den Kürzungen und der Anpassungsfähigkeit der Jugendeinrichtungen selbst abzuhängen. Literaturverzeichnis
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Call for Papers – Ausgabe Nr. 8, Wintersemester 2014/15 Du denkst, es steht schon alles überall geschrieben? Die Forschungsfelder der Geographie sind alle längst hinreichend beackert? Studierende hätten nichts zu wissenschaftlichen Debatten beizutragen? Weit gefehlt! Wo ist euer Selbstbewusstsein? Wissenschaft ist ein Prozess. Jeden Tag werden neue Erkenntnisse gewonnen, Ideen geboren und Forschungsarbeiten vorangetrieben. Und das nicht nur von ProfessorInnen und DoktorandInnen, sondern auch von Studierenden. Kleine empirische Arbeiten entstehen bereits im Rahmen von Haus- und Abschlussarbeiten. Mit Hilfe von Experteninterviews, eigenen Messungen oder Beobachtungen werden Überlegungen weiterentwickelt und verworfen. Wissenschaftliches Wissen entsteht – auch durch euch – täglich neu. Wenn ihr dieses Material nicht in virtuellen Ordnern und in den Schubladen der DozentInnen verstauben lassen wollt, ist entgrenzt der richtige Ort, bereits getane Arbeit weiterzuentwickeln. Ihr könnt kurze Fachartikel verfassen („Geographisches“), über Erlebnisse und Erfahrungen berichten („Geowerkstatt“), eure Meinung im „Sprach(r)ohr“ zur Diskussion stellen oder uns mit praktischen Tipps und Veranstaltungshinweisen versorgen („GeoPraktisch“). Wir sind offen für neue Einblicke, verrückte Ideen, solide Ausarbeitungen und provokante Thesen. entgrenzt soll kein statisches Konstrukt sein, sondern ein Medium, das von einem dynamischen Austausch lebt. Wir wollen dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Stimme geben – eure Stimme. Also sendet eure Beitragsideen an unsere E-Mail-Adresse: kontakt@ entgrenzt.de. Info zur Beitragseinreichung: Für jede Rubrik laufen gesonderte Calls – Aufrufe zur Einreichung von Beiträgen. Innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten können Studierende Aufsätze zum Leitthema in der Rubrik „Geographisches“ einreichen. Die Beiträge werden bezüglich ihrer wissenschaftlichen Qualität von fachlich versierten MentorInnen begutachtet. Artikel für die anderen Rubriken sind jederzeit willkommen.
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Geographisches Mit der Offenhaltung des Leitthemas für die Rubrik Geographisches hat entgrenzt bisher gute Erfahrungen gemacht und möchte dieses Konzept weiter führen. Dabei bekommen wir Beiträge aus ganz verschiedenen Richtungen der Geographie und wieder zeigt sich, dass der Geographie der Plural ganz gut steht: Geographie(n) der Moral, Gewalt, Großstädte, der Drogen, über Männer und Frauen, Pflanzen, Ozeane, Gletscher, vielleicht sogar über zwischenstaatliche Abhörmethoden etc. Die Liste kann scheinbar endlos weitergeführt werden. Ob über Strukturen in Baumringen oder gesellschaftliche globale Verflechtungen, jeder Maßstab kann betrachtet werden, dabei Neues zu Tage führen und auf klitzekleine Details oder komplexe Verknüpfungen eingehen. Die Nischen, in die sich Geographen und Geographinnen hineinfuchsen, wollen in der 8. Ausgabe von entgrenzt aus dem Schattendasein in das Rampenlicht gestellt werden. Es sind keine Grenzen gesetzt dahingehend, ob es Beiträge zu Theorien, Kontroversen oder Methoden sind. Schickt uns ein Abstract (max. eine Seite) bis zum 15.12.2013 an kontakt@ entgrenzt.de, in dem das Thema, die Argumentation, der methodische Zugang und das Fazit des geplanten Artikels deutlich werden. Weitere Informationen zum Begutachtungsprozess und die Richtlinen für AutorInnen findet Ihr unter www.entgrenzt.de/werde-autoringeographisches/. Wir sind gespannt, welche Geographien Eurer Kreativität entspringen. Euer entgrenzt Team
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GeoWerkstatt S. 38
Silke Kellig & Marcus Hübscher:
S. 48
Sophie Großmann:
S. 51
Benjamin Prager:
S. 56
Nicolas Caspari & Alexander Groos:
Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa
Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss? Ja! – Ein studentischer Erfahrungsbericht zum Arbeitskreistreffen Geoarchäologie 2013 in Cottbus „Von der Puszta in die Karpaten – Kulturlandschaften im Umbruch“. Herausforderungen und Ansätze nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa Dürfen wir vorstellen? Das DiaForum
Die Rubrik GeoWerkstatt ist der Werkzeugkasten, aus dem man sich bedienen und inspirieren lassen kann. In diesem Teil werden Ereignis- und Erlebnisberichte über besonders informative oder unkonventionelle Exkursionen, Sommerakademien, Workshops, Arbeitsgemeinschaften, Lehrveranstaltungen und studentische Projekte veröffentlicht. Artikel zu diesen Themen bis maximal zwei Seiten nehmen wir gerne jederzeit von Einzelpersonen oder Autorenkollektiven entgegen und publizieren sie nach redaktioneller Prüfung in der nächsten Ausgabe von entgrenzt.
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GeoWerkstatt | entgrenzt 6/2013
Editorial Nun schon zum sechsten Mal präsentieren wir euch in der Rubrik Geowerkstatt gemachte und erlebte Geographie aus Universität, Studium, Lehre und Praxis. Dieses Mal illustrieren gleich vier Erfahrungsberichte aus studentischer Perspektive Chancen und Risiken unterschiedlicher universitärer (Bildungs-)Angebote jenseits des gewöhnlichen studentischen Alltags – namentlich eine wissenschaftliche Fachtagung, eine besondere Sommerschule, ein ERASMUS-Jahr auf Teneriffa und eine Präsentationsform für studentische Reisen, Praktika und Auslandsaufenthalte. Die Beiträge skizzieren persönliche Gewinne und Lernerfahrungen, aber auch diverse Schwierigkeiten für StudentInnen, die über das Absolvieren normaler Studienkurse hinaus geographische Herausforderungen suchen. Zunächst stellt sich Sophie Großmann die Frage, ob StudentInnen auch schon vor ihrem Abschluss – und somit mit vermeintlich noch eher geringer inhaltlicher Expertise – eine wissenschaftliche Fachtagung besuchen sollten. Sie beschreibt die wohl von vielen erlebten Berührungsängste und Unsicherheiten, die aufkommen mögen, wenn man als StudentIn auf einer Tagung nebst DoktorInnen und ProfessorInnen an Vorträgen und Diskussionen teilnehmen möchte. Großmanns Beitrag ist letztlich aber ein Plädoyer dafür, diese Berührungsängste zu überwinden und es sich nicht nehmen zu lassen, auch schon während der studentischen Ausbildungsphase die lehrreiche Erfahrung eines Tagungsbesuches zu machen. So beschreibt die Autorin ihre überwiegend positiven Erlebnisse auf einer Tagung des Arbeitskreises Geoarchäologie in Cottbus, wobei sie aber auch die Schwierigkeiten erwähnt, sich als StudentIn in der Tagungsgemeinschaft zu positionieren. Benjamin Prager wiederum nahm im Juli 2013 am Go-East-Summer-School-Programm teil und reiste in diesem Rahmen zwei Wochen durch Rumänien. Hierbei konnte der Autor zahlreiche Eindrücke gewinnen und skizziert in seinem Beitrag gegenwärtig relevante Handlungsfelder, -strategien und Probleme im Schnittfeld von Stadtentwicklung, Kulturpolitik, ländlichem Raum und Tourismus. Mit Blick auf die ländlichen Räume Rumäniens berichtet Benjamin Prager u. a. über den schwierigen Spagat zwischen den Bemühungen zum Erhalt historischer Kulturlandschaften und an-
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dererseits dem Ziel wirtschaftlicher Entwicklung im ländlichen Raum. Dieses Spannungsfeld, so der Autor, konnte durch das Konzept der Sommerschule auch besonders anschaulich vermittelt werden. Des Weiteren berichten Silke Kellig und Marcus Hübscher von einem vollen Jahr ERASMUS-Aufenthalt auf der spanischen Insel Teneriffa. Die Autoren erzählen von reichhaltigen Erfahrungen mit Land und Leuten und zeigen, wie ein Studienaustauschjahr sowohl wertvolle zwischenmenschliche Erlebnisse als auch einen beachtlichen geographischen Wissenszuwachs mit sich bringen kann. Wie gut, dass in dieser Ausgabe Nicolas Caspari und Alexander Groos erläutern, wie Studierende ihre ganz persönlichen Eindrücke und Bilder von Reisen, Praktika und Auslandsaufenthalten einem breiten geographisch interessierten Publikum zur Verfügung stellen können – mit der Durchführung eines DiaForums. Vielleicht auch eine Idee für unsere AutorInnen Benjamin Prager, Silke Kellig, Marcus Hübscher und für dich?! Wir hoffen, die Beiträge in der Geowerkstatt inspirieren den einen oder anderen von euch in Bezug auf das eigene Geographiestudium und wünschen in jedem Falle eine spannende Lektüre! Jan Winkler & Franziska Bader
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Welcome to Paradise! ERASMUS auf Teneriffa Silke Kellig & Marcus Hübscher (Universität Leipzig)
Studieren, wo andere Urlaub machen. Subtropisches Klima, Sonne, Strand, Palmen und Meer für ein ganzes Jahr, während man gleichzeitig die spanische Mentalität genießen, die Sprache lernen und einzigartige Erfahrungen sammeln kann. Das klingt eigentlich nach den perfekten Zutaten für einen gelungenen Auslandsaufenthalt. Nachdem wir erfuhren, dass unser Institut für Geographie in Leipzig eine Partnerinstitution in Spanien hat, waren es genau diese Gedanken, die uns bewegten, Teneriffa als Studienort zu wählen. Was gilt es zu erwarten von der Uni im Ozean?
ERASMUS in Spanien? – ¡Si claro! Studieren auf Teneriffa? – Gibt’s da eine Uni? Da keiner von uns beiden die Insel vorher schon einmal besucht hatte, waren unsere Erwartungen stark durch Urlaubserzählungen anderer und Reisekatalogbeschreibungen geprägt. Mildes Klima und atemberaubende Landschaften ziehen jährlich Millionen von Touristen an. Wir vermuteten also mehr oder weniger im Massentourismus zu leben, zwischen renovierungsbedürftigen Hotels, Luxus-Resorts und Menschen aller Nationalitäten. Auch was die Qualität der Universität und ihr Fächerangebot betrifft, konnten wir uns im Voraus nur ein ungefähres Bild machen. Das Kanarische Archipel ist vulkanischen Ursprungs. Das erklärt, warum ein Studienaufenthalt für Physische Geographen besonders interessant ist. Wir beide sind jedoch Humangeographen und waren daher erfreut festzustellen, dass auch Fächer zur Geographie des Tourismus und der Umweltplanung vertreten waren. Und nachdem ein paar Papiere ausgefüllt, der Flug ge-
bucht und sich von Familie und Freunden tränenreich verabschiedet wurde, ging es auch schon los ins gemeinsame Abenteuer... Leben auf der Insel oder ¡Wir verstehen nur Spanisch!
Allgemein wird behauptet, dass man im Ausland vor allem sich selbst besser kennenlernt. Was also fanden wir über uns heraus? Wir stellten erschrocken fest, dass wir dem deutschen Stereotypen ziemlich genau entsprechen. Nach zahlreichen Diskussionen mit unseren jeweiligen neuen Mitbewohnern und leidenschaftlichen Plädoyers, mussten wir uns geschlagen geben: ¡Ustedes son muy alemán! Und wir waren wirklich deutsch: 30 Minuten in Spanien zu spät zu kommen, ist pünktlich; Pläne für den kommenden Tag zu machen, ist unspontan! Selbst hispanisierte Deutsche erkennt man an ihren Outdoorjacken – von ihren Rucksäcken und Socken in Sandalen ganz zu schweigen. Wer sich bisher gut tarnen konnte, wird spätestens vor den Müllcontainern entlarvt: hier gilt – wer nur über die Mülltrennung nachdenkt – als deutsch! Auf Teneriffa hatte man uns also mit Leichtigkeit entlarvt. Aber wer waren die anderen? Was ist es, dieses Kanarische? Natürlich ist es das gute Essen und die Gewohnheit, mittags eine Siesta einzulegen. Daran hält sich sogar die Mehrzahl der Geschäfte. Es ist das ungeschriebene Gesetz, dass sich das Leben in den Bars abspielt, dort, wo die Welt noch in Ordnung ist und der cafecito nur 80 Cent kostet. Es ist das unbeschwerte Lebensgefühl, denn Entspannen kann man an den schwarzen Stränden nicht nur im Sommer, sondern zu jeder Jahreszeit. Es ist der Weihnachtsbaumschmuck an den Palmen und die heißeste Zeit des Jahres, wenn im Februar Menschenmassen aus aller Welt herbeiströmen, um den zweitgrößten und zweitschönsten Karneval der Welt in Santa Cruz zu erleben. Im Umgang mit Geld gilt: die sicherste Anlage ist der eigene
Abb. 1: Las Teresitas. Künstlich aufgeschütteter Strand für die heimische Bevölkerung aus Sahara-Sand. (Quelle: Hübscher 2013)
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GeoWerkstatt | entgrenzt 6/2013
Abb. 2: La Montaña Blanca – Zwischenetappe zum Teide (Quelle: Kellig 2013)
Abb. 3: Schneebedeckter Teide im Februar (Quelle: Kellig 2013)
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Körper. In Zeiten wirtschaftlicher Ungewissheiten investiert man lieber in Kleidung, Schmuck, Fitnesscenter und Make-up – die goldene Regel gilt bis ins hohe Alter. Wer sich diese Prinzipien verinnerlicht, befindet sich bereits im fortgeschrittenem Stadium der Hispanisierung. Aber kann man auch aus dem Schubladendenken ausbrechen, das den Deutschen so oft vorgeworfen wird? Das ERASMUS-Programm kann in dieser Hinsicht zum Sprungbrett oder Hindernis werden. Wer sich am Anfang zu sehr auf andere Austauschstudenten einschoss und verpasste, Kontakte zu den Kanariern zu suchen, hatte zumindest im sprachlichen Lern- und Akkulturationsprozess deutliche Nachteile. Dem gingen wir von Anfang an konsequent aus dem Weg. Wir entschieden uns bewusst dafür, nicht zusammen, sondern in unterschiedliche spanischsprachige WGs zu ziehen. Spanische Freundeskreise waren somit schnell aufgebaut. In unseren Multikulti-Wohngemeinschaften lebten wir die von den Kanariern proklamierte Tri-Kontinentalität: wir wohnten mit jungen Menschen aus Brasilien, Uruguay, Gambia und Teneriffa zusammen. In den unzähligen Abendessen, den cenas, wurde offiziell ab 21 Uhr bis spät nach Mitternacht gespeist. Obligatorisch dabei: die mit Sangria gefüllten Wäschekübel! Später wurde auf den Dachterrassen der Wohnungen das Leben in vollen Zügen genossen und (fast) rund um die Uhr Spanisch gesprochen. Die WG wurde zur familia.
Trikontinentalität ahoi!
Die Insulaner verstehen sich als eigenständiges europäisches Völkchen. Man bezeichnet sich stolz als Canarios – nicht als Spanier. Festlandspanien wird leicht belächelt und lediglich als península (Halbinsel) bezeichnet. Sogar das auf den Kanaren gesprochene Spanisch hebt sich deutlich vom Festland ab: es ist langsamer, wer lispelt (so, wie die von der Halbinsel), wird schief angeguckt. Wie die Südamerikaner verzichtet man auf die ihrVerbform und das „s“ an Wortenden wird aus Bequemlichkeit einfach gehaucht. Trotz intensiver sprachlicher Vorbereitung mussten wir Spanisch vor Ort also neu erlernen. Und am Ende des Jahres wird uns von unseren Freunden bestätigt, einen nicht-identifizierbaren Dialekt zu besitzen, mit einem Mix der Eigenheiten aus Standardspanisch, dem melodischen Dialekt der Kanaren und deutlichen Einflüssen aus dem Süden Amerikas. Aus ihrer Sicht bilden die kanarischen Inseln den Mittelpunkt zwischen Europa, Afrika und Amerika – bis heute sind die Einflüsse aus diesen Erdteilen, z. B. in der Bevölkerungszusammensetzung sichtbar. Während des Imperialismus war das Archipel wichtiger Umschlagplatz. Viele Inselbewohner wanderten nach Lateinamerika aus und gründeten Städte, wie beispielsweise die Hauptstadt Uruguays, Montevideo. Heutzutage ist eine Umkehrung dieses Wanderungsstroms zu beobachten: Nachfahren der emigrierten Kanarier zieht es von Lateinamerika zurück auf die sieben Inseln des
Abb. 4: Blick auf San Cristóbal de La Laguna (Quelle: Hübscher 2013)
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ewigen Frühlings. Man bedient sich quasi eines Kunstgriffes: Wenn man schon in die EU immigrieren möchte, um nach einem besseren Leben zu streben, dann doch bitte auf die Kanarischen Inseln – entgegen jeglicher geopolitischer Gesetze fühlt man sich hier Lateinamerika in Kultur und Lebensform näher als den Europäern vom Festland. Zwischen Weltkulturerbe, Naturwundern und den Herausforderungen des neuzeitlichen Fremdenverkehrs
Nachdem wir auf sozio-kultureller Ebene angekommen waren, konnten wir uns mit vollem Einsatz der Erkundung der Insel widmen. Wir waren begeistert! Entgegen unseren Vorstellungen wohnten wir nicht mitten im Massentourismus, sondern im Herzen der Metropolregion San Cristóbal de La Laguna – Santa Cruz, einem Ballungsraum mit knapp einer halben Million Menschen – pulsierend, spanisch, und ohne Touristen! Da weder La Laguna in den Bergen, noch die Hafen- und Industriestadt Santa Cruz lange Sandstrände zu bieten haben, verirren sich hierher höchstens ein paar Tagestouristen. Dabei hat gerade das historische La Laguna aus geographischer Sicht viel zu bieten: Das Zentrum wurde als erste europäische Stadt ohne Befestigungsanlage geplant, ist architektonisch seit 500 Jahren unverändert und formte später das Stadtmodell, welches zum Exportschlager für die Neue Welt wurde: die Lateinamerikanische Stadt. Da verwundert es nicht, dass die Altstadt 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde.
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Der Inseltourismus konzentriert sich räumlich tatsächlich auf zwei Gebiete. Eines davon bildet Puerto de la Cruz im Norden, das dank seiner Hochhausskyline als die „kleine Schwester Manhattans“ betrachtet werden kann. Als erster Ort des neuzeitlichen Massentourismuses versucht man mittlerweile, 60 Jahre nach dem ersten Boom, auf neue Zugpferde der Branche wie Luxus-, Gesundheits-, und Seniorentourismus umzusteigen. Mit der Eröffnung des internationalen Südflughafens hat der Fremdenverkehr auch im Süden der Insel Einzug gehalten und sich ein Städteband entwickelt, dass heute zu den wichtigsten und am besten organisierten Tourismusdestinationen der Welt gehört, die Costa Adeje. Besonders interessant ist, dass sich mit dem Tourismus die geographische Organisation des Raumes tiefgründig verändert hat. Ehemals wurde dieser vertikal zur Nahrungsversorgung genutzt: Im Sommer betrieb man Landwirtschaft in etwas höheren Lagen, im Winter Fischfang am Meer. Während eines Jahres zog eine Familie also samt Tieren vom Meer in die Berge und zurück. Mit der Zeit bildeten sich so Siedlungen, die miteinander in Verbindung standen. Auch heute kann man diese Beziehung anhand der Namen noch erkennen: So zum Beispiel die Siedlungen Güímar in den Bergen und Puertito de Güímar (Häfchen von Güímar). Administrativ sind solche Orte zu einem Munizip (etwa Landkreis) zusammengefasst und stehen in der Regel in wirtschaftlicher Partnerschaft. Mit der Entwicklung der Küstenregionen (besonders im Süden) wurde
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Abb. 5: Nationalpark “Las Siete Cañadas del Teide” (Quelle: Hübscher 2012)
dieses historische Muster jedoch aufgebrochen und es fand eine Horizontalisierung oder Litoralisierung statt. Heute sind die Küstenstädte die Zentren sämtlicher wirtschaftlicher Tätigkeiten und das Hinterland sieht sich mit zahlreichen Strukturproblemen konfrontiert. Doch auch die kleinen Dörfer in den Bergen finden zunehmend ihre touristische Nische. Es wird auf Rural- und Vulkantourismus gesetzt. Obwohl sol y playa (Sonne und Strand) das unangefochtene Produkt des Fremdenverkehrs schlechthin ist, erkennt man immer mehr das touristische Potential der einzigartigen und faszinierenden Naturkulisse der Insel. Auf
kleinstem Raum finden sich hier grüne dschungelartige Nebelwälder, schroffe Täler und Schluchten, steile Felsklippen, farbenreiche Gesteinsaufschlüsse, mondlandschaftartige Felsformationen, scheinbar endlose Lavafelder und zahlreiche Vulkankegel. Und natürlich der Teide, UNESCO-Weltnaturerbe und mit 3.718 m der höchste Berg Spaniens. Man wirbt heutzutage mit dem Logo Tenerife – Disfruta de todo (engl. Enjoy it all). Ruhigen Gewissens behaupten wir, den Slogan wörtlich genommen zu haben: wir unternahmen wöchentlich Ausflüge, wanderten in allen Gebirgen der Insel, bestiegen den Teide, wir surften, beobach-
Abb. 6: Montañas de Anaga (Quelle: Hübscher 2013)
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teten mit dem Kanu Delphine und erholten uns von der Anstrengung an den unzähligen naturbelassenen schwarzen Stränden – oder am Playa de las Teresitas, einem in den 1970er Jahren mit Sahara-Sand künstlich aufgeschüttetem Strand nördlich von Santa Cruz (Abb. 1). Die Insel lebt also von ihrer Vielfalt und ihren Kontrasten. Dies gilt jedoch nicht nur für die landschaftlichen Eigenheiten (50 % der Inselfläche steht unter Naturschutz), sondern auch für die klimatischen Besonderheiten. Vor allem Teneriffa ist eine Insel der Mikroklimate. Das können insbesondere die Bewohner La
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Lagunas bezeugen, die durch die Kessellage der Stadt in 500 m Höhe meistens am extremen Ende des sonst recht beständigen Klimas sind. Im Winter ist es oft wolkenverhangen und mit 15 °C vergleichsweise kalt (v. a. weil die Wohnungen i. d. R. keine Heizungen haben). Im Sommer hingegen staut sich die heiße Luft und es fehlt die frische Meeresbrise. Aber der Ozean ist schließlich nicht weit entfernt und der sonnigste Ort des Tages laut Wetterbericht schnell gefunden und erreicht. Bis auf Wintersportler werden auf der Insel also alle Geschmäcker bedient und das mehr oder weniger ganzjährig. Wo sonst kann man
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Abb. 7: Anaga: Dschungelartige Loorbeerwälder und unberührte Natur in Teneriffas Norden (Quelle: Hübscher 2012)
sich im Februar am Strand bräunen mit Blick auf den schneebedeckten Teide? Nicht ohne Grund nannten die antiken Griechen die Kanaren die „Inseln des Paradieses“ – eine äußerst treffende Beschreibung, wie wir finden. Von Bologna, Tellerwäschern und der deutschen Bundeskanzlerin
Kennen wir nicht alle den Vorwurf, das neue deutsche Bachelor-Master-System sei verschult? An der Universität La Lagunas wurden wir eines Besseren belehrt: Feste Klassenzimmer, von Zimmer zu Zimmer rotierende Lehrer, Noten für die Anwesenheit, umfangreiche Hausaufgaben, Zwischenexamen als Vornoten und ein Stundenplan so dynamisch wie wir Deutschen – verschulter geht es selbst in unseren Schulen nicht zu! Schuld daran gibt man dem Bologna-Abkommen. Was sich seit Bologna aber sicher nicht geändert hat, ist das Verhältnis zwischen Studenten und Dozenten. Das Umfeld ist deutlich familiärer, obwohl die Universität mehr als 25.000 Studierende hat. Vielleicht liegt es daran, dass man den Professor duzt? Oder daran, dass sich die spanische Gesprächigkeit bis in den Unterrichtsraum ausweitet? Wir wurden jedenfalls von fast allen Professoren und Studenten mit offenen Ar-
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men und deutlichem Interesse empfangen: es gab unzählige Angebote für Hilfestellungen, Augen wurden zugedrückt und zahlreiche Extrawürste gebraten. Als ERASMUS-Studenten konnten wir aus dem Fächerangebot aller Fakultäten wählen und ergänzten so das aus unserer Sicht etwas magere humangeographische Angebot mit Modulen aus der Wirtschaftsfakultät und Tourismusschule. Optisch wurde uns das Lernen durch einen grünen, großräumigen und palmenreichen Campus versüßt. Auch an die verglaste Bibliothek mit Meeroder Bergblick könnte man sich gewöhnen. Und Zeit dazu hatten wir genug. Lernen für die Zwischenexamen, Texte lesen und Aufsätze schreiben – wir wurden hier schnell zu Stammgästen. In finanzieller Hinsicht haben wir jedoch festgestellt, wie gut und günstig wir eigentlich zu Hause studieren können. In Spanien wird jedes Fach einzeln bezahlt. Die Kosten summieren sich von „preiswerten“ Studiengängen wie der Geographie auf ca. 600 € pro Semester. Juristen und Mediziner müssen hingegen 2000 € hinlegen. Wer eine Prüfung nicht besteht, hat unendlich viele Wiederholungsversuche. Allerdings muss beim Zweitversuch bereits der doppelte Modulpreis gezahlt werden. Und das obwohl in den Zeiten der Krise auch
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Abb. 8: La Tarta (Die Torte) – Aufschluss verschiedener Aschelagen im Naturpark “Corona Forestal” (Quelle: Hübscher 2012)
der Universitätsabschluss keine Garantie auf Arbeit ist. Wer meint, von den wirtschaftlichen Turbulenzen des Festlandes bleiben ultraperiphere Regionen, wie die Kanaren verschont, irrt. Obwohl der Tourismus nach wie vor auf einem konstanten Allzeithoch verharrt, verbleiben mehr als 70 % aller Jugendlichen im Archipel ohne Job – seitdem sich die Konjunktur auf Talfahrt befindet, ist die Jugendarbeitslosigkeit in keiner anderen europäischen Region vergleichbar hoch. Physiognomisch bildet sich die Krise z. B. durch die sichtbar geplatzte Immobilienblase im Raum ab: unfertige Bauruinen und gähnender Leerstand prägen die Szenerie in den Städten. Dass es uns daheim vergleichsweise gut geht, merkt man erst, wenn man Good Old Germany verlässt. Die enormen Disparitäten zwischen den Mitgliedsstaaten in der EU heizen die Diskussion über die Deutschen und ihre hierzulande nur als „Angela“ bezeichnete Chefin an. Man schlussfolgert: unsere stabile wirtschaftliche Lage wird zum einen dem deutschen Fleiß und zum anderen Frau Merkel zugeschoben. Andererseits wirft man der Bundeskanzlerin, die gleichzeitig für die straffe Eurosparpolitik und die Austerität verantwortlich gemacht wird, mangelndes Einfühlungsvermögen für die Krisenstaaten und deutschen Neokolonialismus in
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der EU vor. Die Hassliebe gegenüber den Deutschen spiegelt sich selbst in den Migrationsströmen wider. Man regt sich zwar über die Ungerechtigkeiten auf, aber wer Deutsch kann, bucht den nächsten Flug nach Alemania – one-way. Alle anderen gehen nach London und versuchen trotz Uniabschluss sich vom Tellerwäscher nach oben zu arbeiten. Was bleibt?
Öffnet allein der Name „Universidad de La Laguna“ im Lebenslauf zukünftige Türen? Wir lebten und studierten hier im Paradies. Die Universität bietet für Austauschstudenten ein angemessenes Niveau, um auch mit gebrochenem Spanisch eine reelle Chance zu haben, gute Noten zu bekommen und sich Fachwissen aneignen zu können. Türen wurden bereits aufgestoßen, z. B. in Form von erfolgreichen Praktika-Bewerbungen. Erhalten bleibt uns in jedem Fall aber auch die gesammelte Lebenserfahrung. Wir haben uns im Ausland selbstständig und in fremder Sprache durchgeboxt, Erfolg gehabt und Freunde fürs Leben gefunden. Die zehn Monate haben uns geformt, den Horizont erweitert und die Identität gefestigt. Einflüsse aus anderen Kulturen und Mentalitäten haben
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Abb. 9: Blick auf das Tal von Las Mercedes (Quelle: Hübscher 2012)
Abb. 10: Hauptbibliothek der Universidad de la Laguna auf dem Campus Guajara (Quelle: Kellig 2013)
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Abb. 11: Santa Cruz de Tenerife – Auditorium und "las torres" (Quelle: Hübscher 2012)
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uns wachsen lassen. Ja, wir sind pünktlich, tragen unsere Outdoorjacken nach wie vor und sind pro Mülltrennung. Dennoch sehen wir heute viele Dinge gelassener und können über uns und unsere Landsfrauen und -männer schmunzeln. Das Zusammenspiel von erstklassigen Tourismusdestinationen, quasi unberührter Natur und authentischem spanischen Leben macht die Insel zu einem ganz besonderen Fleckchen Erde. Hier trifft man verschiedene Kulturen an und es gibt weit mehr zu erleben als nur Sonne, Strand und Meer. Alles in allem sind wir von Insel und Bewohnern begeistert und können unbezahlbare Erfahrungen unser Eigen nennen. Wir sind froh, uns die Extrazeit im Studium genommen zu haben, denn ein Semester wäre viel zu kurz gewesen. Die Zeit brauchten wir allein, um die Sprache zu erlernen und uns heimisch zu fühlen. Und dennoch, der Flug zurück auf die Insel ist quasi schon fast gebucht, ein Jahr scheint im Nachhinein nicht genug. Aber soll man nicht gehen, wenn es am schönsten ist?
OUTTAKES: Weitere Geschichten aus dem Spanischen Leben Im Kampf gegen die spanische Bürokratie
Außer Frage steht, dass ERASMUS es seinen Teilnehmern enorm vereinfacht, im Ausland zu studieren. Sämtliche Formulare stehen bereit, alle beteiligten Büros und Sekretariate sind gut abgesprochen, man ist auf den Ansturm der ERASMUS-Hundertschaften gut gewappnet. Soweit zur Theorie! Wer seine Nerven mal aufs Äußerste strapazieren möchte, dem können wir wärmstens empfehlen, sich in einen Papierkrieg mit der spanischen Bürokratie einzulassen. Da verzweifeln selbst gut organisierte Deutsche. Doch als erfahrene Spanien-Experten wissen wir es heute besser! Ob auf der Post, dem Polizeirevier oder beim Fleischer: die Kanarier ziehen Zettel! In einer Bank ist der Trick beispielsweise, zwischen der gezogenen Nummer 401 und der aktuell angezeigten 324, die Wartezeit korrekt auf 3,5 Stunden zu schätzen und zwischendurch einfach an den Strand zu fahren (selbst erprobtes Beispiel)! Oder, wie es eine unserer Mitbe-
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wohnerinnen tat, mit figurbetontem Leoparden-Outfit und übergroßer Sonnenbrille in die Bank zu marschieren, nach dem Chef zu fragen und anschließend das Schlüsselwort „Beschwerdeformular“ unauffällig fallen zu lassen – schon wird man für immer bevorzugt behandelt. Wer den konventionellen Weg geht, kann nur mit Ausdauer, enormer Gelassenheit, gekoppelt mit Sturheit zum Ziel kommen. Gemeinsam vereint?
Auch zwischen den Insulanern geht es nicht immer entspannt zu. Die autonome Region der Kanarischen Inseln besteht aus zwei Provinzen, die sich in ständigem Streit befinden. Sogar um die Hauptstadt. Deswegen wechselt der Sitz der Regierung alle vier Jahre zwischen Santa Cruz de Tenerife und Las Palmas de Gran Canaria. Und manchmal können jene Rivalitäten auch eskalieren. Die Zugehörigkeit zur Provinz war lange Zeit am Autokennzeichen erkennbar und zahlreiche Bekannte erzählten uns Geschichten über materielle Schäden und Benachteiligung bei der Vergabe von Knöllchen durch die Polizei, wenn man sich mit seinem Automobil auf die „falsche“ Seite traute. Die neuen Nummernschilder sind nun also anonym und tragen nur noch das Zeichen Spaniens. Ciao Bella!
Ein repräsentativer ERASMUS-Jahrgang auf Teneriffa setzt sich wie folgt zusammen: 50 % Deutsche, 40 % Italiener, 10 % Andere. Vielleicht waren sie eine Ausnahme, aber die italienische Nachbar-WG hinterließ einen bleibenden Eindruck. Sie fielen auf durch Krach, ciao bella, Fiesta bis morgens um 9 Uhr und ganzjähriger Abwesenheit im Unterricht. Die eigene Cannabis-Plantage auf der Dachterrasse inklusive permanenter MarihuanaWolken im Haus und der Dauergast „Polizei“ waren weitere Begleiterscheinungen. Sie haben jetzt eine Anklage von den Mietern unter sich wegen permanenter Ruhestörung am Hals. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass Italiener ohne spanische Vorkenntnisse auf die Insel kommen und sich trotzdem eigentlich doch ohne Probleme verständigen können.
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Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss? Ja! – Ein studentischer Erfahrungsbericht zum Arbeitskreistreffen Geoarchäologie 2013 in Cottbus Sophie Großmann (Leipzig)
Im vergangenen Jahr arbeitete ich als studentische Hilfskraft für die jährlich stattfindende Tagung des Arbeitskreises Geoarchäologie. Während meiner Betreuungsaufgaben, die Gäste zu versorgen und Tagungsmaterialen auszuhändigen, konnte ich beobachten, dass das Arbeitskreistreffen 2012 in Leipzig nicht nur von Professoren, Habilitanden und Doktoranden besucht wurde, sondern auch von einigen wenigen Bachelor- und Masterstudenten. Das verwunderte mich, war ich bislang davon ausgegangen, dass nur erfahrene Wissenschaftler mit verschiedensten Abschlüssen solche Tagungen besuchen würden. Ebenso war ich mir unsicher darüber, ob man als Bachelorstudent den Themen inhaltlich folgen könne. Eine Tagung besuchen vor dem Abschluss? – Undenkbar für mich. Bei meinen regelmäßigen Besuchen im Deutschen GeoForschungsZentrum (kurz: GFZ) in Potsdam, an dem ich mich für Vorbereitungen
auf meine Bachelorarbeit aufhielt, nahmen mich Kollegen zu einem Tagungsvortrag mit. Aus den anfänglichen Bedenken, die ich bereits während des Arbeitskreistreffens in 2012 hatte, wurde eine unglaublich interessante und aufschlussreiche Vortragserfahrung. Die Hemmschwelle als Studentin Fachvorträge zu besuchen, war damit gefallen. Ein paar Monate später entdeckte ich zufällig auf einer Internetseite, dass die diesjährige Tagung des AK Geoarchäologie in meiner Heimatstadt Cottbus stattfinden sollte. Ich fragte Kommilitonen, ob sie mich begleiten würden. Mit ein wenig Überzeugungsarbeit – denn ich war nicht die Einzige mit diesen Bedenken – nahmen vier Studenten der Universität Leipzig teil. Der ermäßigte Teilnehmerbetrag für Studierende von 40 € erschien uns angemessen. Am 02.05.2013 fuhren wir also nach Cottbus. Seit meiner Abiturzeugnisausgabe 2010 war ich nicht mehr an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU) gewesen. Ich freute mich nicht nur, zu Hause zu sein, sondern auch dass in meiner Heimatstadt eine solche Tagung ausgerichtet wird – vor allem weil Cottbus von Außenstehenden trotz des sorbischen Charmes oft unterschätzt wird. Mit unserer Ankunft und Anmeldung erhielten wir folgende Dinge: • Schildchen mit unseren Namen und
Abb. 1 : Gruppenbild Studenten Universität Leipzig (Quelle: Foto E. Schmaltz)
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unserer Institution, • einen Tagungs- beziehungsweise Exkursionsband, • einen USB-Stick mit Karten des Landes Brandenburg, • eine Ausgabe „Ausgrabungen im Niederlausitzer Braunkohlerevier 2008“ des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum sowie • einen Stift und Block, welche vom GFZ in Potsdam gesponsert wurden. Nach der Begrüßung durch Herrn Walther Christoph Zimmerli, Präsident der BTU, Herrn Klaus Freytag, Präsident des LBGR Brandenburg und Herrn Thomas Raab, Leiter des Lehrstuhls für Geopedologie und Landschaftsentwicklung, begannen die Vorträge. Jedes der Forschungsthemen wurde eine halbe Stunde vorgestellt. Die Themengebiete waren vielfältig. Diese reichten von Landschaftsrekonstruktionen, über die Erforschung von Siedlungsstrukturen, bis hin zu geophysikalischen und geochemischen Rekonstruktionen und Modellierungen. So unterschiedlich wie die Themengebiete waren auch die Untersuchungsstandorte. Diese erstreckten sich von der Lausitz bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aufgezeigt wurde mir dabei auch, wie breit gefächert die Arbeitsdisziplin Geoarchäologie ist: Einige Vortragende befanden sich mit ihren Arbeitstiteln sehr nah an der Archäologie, andere wiederum konzentrierten sich auf bodenchemische Zusammenhänge. So ging es am ersten Vortragstag um Untersuchungsgebiete in Deutschland: Vormittags wurden dazu Forschungsergebnisse zu Jägern und Sammlern im Kontext der Umweltbedingungen des Mesound Känozoikums vorgestellt. Gefolgt wurden diese von geoarchäologischen Untersuchungen in Mitteldeutschland und dem Rheinland. Im Anschluss an die Mittagspause wurde ein Vortrag zur Überwindung der Hauptwasserscheide im Mittelalter, der Fossa Carolina, gehalten. Ein weiterer Referent berichtete über den veränderten Landschaftswasserhaushalt der slawischen Siedler an der Mittelelbe und über die Methodik der Phosphatprospektion. Abends fand die übliche Mitgliederversammlung des Arbeitskreises Geoarchäologie statt, an der wir aber nicht teilnahmen. Stattdessen zeigte ich meinen Kommilitonen die Altstadt von Cottbus – ein geeignetes Kontrastprogramm vom vielen Sitzen und Zuhören. Die
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sich anschließende Abendveranstaltung fand im Informations-, Kommunikations-, und Mediencenter der BTU (kurz: IKMZ) statt. Am nächsten Tag handelten die ersten Vorträge von geoarchäologischen Untersuchungen in der Region der Niederlausitz. Dadurch konnte ich einen guten Einblick in die Vergangenheit meiner Heimat gewinnen. Es folgten Vorträge zur Landschaftsentwicklung und -rekonstruktion in Osteuropa und Italien. Nach der Mittagspause wurden neue Ansätze über die römerzeitlichen Siedlungsstrukturen, die Feuer- und Landnutzungsgeschichte in Österreich, geoelektrische Erkundungen des Tempelareals von Baalbek und die holozäne Küstenentwicklung im Zusammenhang mit der anthropogenen Landnutzung im Peloponnes vorgestellt. Die letzten Vorträge dieses Tages beschäftigten sich mit dem Landschaftswandel in den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Levante sowie der Vorstellung erster Ergebnisse zur geoarchäologischen Prospektion
Abb. 2 : Außenansicht IKMZ (Quelle: Foto C. Kertscher)
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Abb. 3 : Treppenaufgang im IKMZ (Quelle: Foto C. Kertscher)
des minoischen Hafens von Aktrotiri/Santorin. Mit Abschluss dieser langen Vortragsreihe wurden wir gegen 17 Uhr mit Bussen zur Slawenburg Raddusch gefahren. Dort gab es eine Führung durch die Ausstellung „Archäologie in der Niederlausitz“ und „Vogelzug – Bronzezeit aus der Vogelperspektive“ sowie ein Abendbrot und viele gemeinsame Rückblicke und Diskussionen zu den Vorträgen der bisherigen Tagung. Um ehrlich zu sein, empfand ich diesen Tag dennoch als sehr herausfordernd. Das Stillsitzen und konzentrierte Zuhören ging auf Dauer zu Lasten der Aufnahmefähigkeit. Mein persönliches Highlight war die am Tag darauf mit Offroad-Kleintransportern organisierte Fahrt der Firma Vattenfall Europe Mining AG durch den Tagebau Jänschwalde. Die Abtragung der quartären Deckschichten durch den Tagebau-Bagger ermöglicht hier heute noch den Einblick in die Sedimente der späten Saale-Kaltzeit und der Eem-Warmzeit, zu welcher sich an dieser Stelle ein See befand. Der Geruch von Algen lag in den Aufschlüssen nach tausenden von Jahren immer noch in der Luft. Der Wechsel in den Profilen
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zwischen den limnischen und terrestrischen Sedimentationen, sowie der Wechsel der glazialen Serien waren unglaublich eindrucksvoll. Die Dünen, welche im Vorland des Gletschers abgelagert wurden, erinnern eher an einen Sandstrand am Urlaubsort als an einen Tagebau in Südbrandenburg. Bei dieser Morphologie schlug mein physisches Geographenherz höher. Auch archäologisch gab es einiges zu bestaunen, z. B. die im Durchmesser mehrere Meter breiten Holzkohlemeiler, deren Mauern in die Erde gebrannt waren. Für mich ist es immer noch beeindruckend, wie deutlich die Spuren unserer Vorfahren im Boden heute noch zu lesen sind. Danach ging es zum Eisenhüttenwerk in Peitz, von wo aus wir abschließend zum Tagebauvorfeld Cottbus-Nord fuhren. Auf dem Weg zurück nach Cottbus hielten wir auf einem großen Parkplatz, auf dem sich Herr Thomas Raab mit einer Runde Bier von uns verabschiedete. Mein Resümee nach diesen drei Tagen ist positiv. Der Besuch einer solchen Tagung vermittelt nicht nur ein vertieftes Wissen über bestimmte Fachinhalte. Zudem war für mich beeindruckend, wie facettenreich eine Diszi-
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plin sein kann und über welches umfangreiche Wissen man für derartige Untersuchungen verfügen muss. Einerseits ist hierbei die Archäologie zu nennen, welche sich mit dem Menschen und seinen Lebensweisen beschäftigt. Auf der anderen Seite steht die reine geochemische oder physikalische Analytik der erhobenen Daten. Eine solche Tagung zeigt, dass man in der Forschung gezwungen ist, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Meine anfänglichen Bedenken, dass so manches Thema mein Wissen oder meine Vorstellungskraft komplett übersteigen könne, blieben aus. Zwar gab es ein paar wenige Vorträge, auf die Diskussionen folgten, bei denen mir oft das Fachwissen fehlte, doch auch dies empfinde ich jetzt im Nachhinein als Lernangebot. Was mich jedoch insgesamt nicht wirklich überraschte war, dass wir in unserer studentischen Gruppe blieben. Zu uns gesellte sich ein weiterer Student, der mit seinem Dozenten aus Bayreuth angereist war. Außer den uns bekannten Professoren und Mitarbeitern unserer Heimatinstitution sprach uns niemand an oder interessierte sich für die Beweggründe unserer Teilnahme. Ein wenig hatte ich sogar das Gefühl, dass die meisten es komisch fanden, dass sich Studenten auf einer solchen Fachtagung herumtrieben. Hier lässt sich nur schwerlich spekulieren, woran das liegen könnte. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass so mancher fernab dieser universitären Hierarchien es toll fand, dass sich junge Menschen für ihre Arbeit und für diese Disziplin interessieren. Ein guter Nebeneffekt ist zudem, dass man durch Tagungsbesuche in Städte oder an Orte kommt, die man im Alltäglichen nie aufgesucht hätte. Durch die angebotenen Exkursionen besuchte ich Standorte, die mir wahrscheinlich sonst verwehrt geblieben wären. Zurückblickend kann ich sagen, dass ich viel in diesen drei Tagen mitgenommen habe, sowohl fachlich als auch persönlich. So hatte ich das Glück die geoarchäologische Vergangenheit meiner Heimat besser kennen und verstehen zu lernen. UND: Ich würde jederzeit wieder eine Tagung während und über meine Studienzeit hinaus besuchen, da ich die anfänglichen Berührungsängste abbauen konnte. Daher empfehle ich jedem, insbesondere den studentischen Lesern von entgrenzt, die Teilnahme an Tagungen jedweder Form und Thematik.
„Von der Puszta in die Karpaten – Kulturlandschaften im Umbruch“ Herausforderungen und Ansätze nachhaltiger Raumplanung in Südosteuropa Ein Erfahrungsbericht von Benjamin Prager (Universität Leipzig)
Rumänien und Ungarn: zwei Länder, über deren Geschichte und Naturraum ich bis zur Teilnahme an der Sommerschule „Von der Puszta in die Karpaten – Kulturlandschaften im Umbruch“ im Sommer dieses Jahres nicht mehr als ein paar Schlagworte, wie „Reitervolk“, „Karpaten“ und „unbeschreibliche Kulturlandschaft“ wusste. Das Ziel der Sommerschule bestand darin, die Gegensätze der räumlichen Entwicklung Rumäniens, insbesondere Siebenbürgens, zwischen Globalisierung und Erhaltung der traditionellen Kulturlandschaft aufzuzeigen. Mit einem erfolgreichen Antrag für ein DAAD-Stipendium im GoEast-Summer-School-Programm ging es am 14.07.2013 los. Reisestartpunkt war der Budapester Keleti. Dort traf ich auf eine Gruppe von Studenten verschiedener Fachrichtungen. Der Mix aus Agrarwissenschaftlern, Landschaftsplanern bis hin zu Geographen sollte sich während der gesamten Reise als durchaus positiv bemerkbar machen, da damit diverse Problematiken in den Diskussionen aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden konnten. Unsere Route führte uns für die ersten drei Tage nach Poroszló, einem idyllischen Dorf am Theiss-See. Nach einer kleinen Ortsbege-
Abb. 1: Poroszló (Quelle: Prager 2013)
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Abb. 2: Hortobágy-Nationalpark (Quelle: Prager 2013)
Abb. 3: Cluj (Quelle: Prager 2013)
Abb. 4: Manastur (Quelle: Prager 2013)
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hung, inklusive Anbaden, widmeten wir uns durch Vorträge und Diskussionsrunden der Entwicklung des Theiss-Sees, inklusive dem Hortobágy-Nationalpark als Tourismus- und Naturschutzgebiet. Bei einer Seerundfahrt sowie bei einem Besuch des Nationalparks und Ökozentrums in Poroszló erfuhren wir, dass es sich bei der vor uns liegenden Gras- und Seenlandschaft um eines der größten Flora- und Fauna-Habitate Europas handelte. Weitere Gespräche mit dem Bürgermeister von Poroszló und Mitarbeitern des Nationalparks zeigten sowohl zukünftige Pläne, als auch Missstände in der Region auf. Es wurde sichtbar, dass der erfolgreiche Aufbau der Touristenregion jedoch durch den Mangel an Absprachen zwischen den diversen Anrainergemeinden und den politischen Ämtern stark beeinträchtigt wird. Im Laufe der Reise wurde mir immer häufiger bewusst, dass dies kein seltenes Phänomen in Ungarn und Rumänien darstellt. Am vierten Tag unserer Reise verlagerten wir unseren Standort nach Cluj und konzentrierten uns auf das Thema Stadtentwicklung. Der erste Eindruck von der Stadt war zunächst sehr quirlig, lebendig und geprägt von einem heillosen Durcheinander. Durch Vorträge der Agenţia de Dezvoltare Regională Nord Vest, und Planwerk, einer deutsch-rumänischen NGO, diskutierten wir Lösungen für die langfristige Stadtentwicklung von Cluj. Das bauliche Erbe zwischen Verfall von historischer Bausubstanz, großflächigen Industriebrachen und sozialistischer Überprägung durch Großwohnsiedlungen wurde dabei insbesondere thematisiert. Die Ausprägungen der damit einhergehenden Prozesse konnte an unzähligen Stellen in der Stadt beobachtet werden. Besonders hervorzuheben sind dabei die Suburbanisierungsprozesse, die nicht nur Verkehrsprobleme, sondern auch den Mangel an Grün- und Erholungsflächen weiter verschärfen. Die Innenstadt, die Großwohnsiedlung Mănăştur sowie die Vorort-Gemeinde Floreşti bilden Paradebeispiele für diese Entwicklungen. Entspannung gegenüber der Flut von Informationen und Eindrücken bot das vielfältige Nachtleben und Kulturprogramm von Cluj. Dabei spürte man förmlich den Wunsch nach dem Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2020“. Es schien als sei dies das größte Potenzial für die zukünftige Entwicklung der Stadt. Cluj blieb mir so als faszinierende Stadt zwischen stilisierten Visionen und teilweise problematischer Realität in Erinnerung.
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Unsere weitere Route in Siebenbürgen führte uns in die ungarischen Dörfer Sâncraiu und Rimetea. Beide stark ländlich geprägten Orte versuchen sich anhand ihrer „natürlichen“ Ressourcen als Tourismusstandorte zu etablieren, wobei sie für die öffentliche Verwaltung als positive Entwicklungsbeispiele in Siebenbürgen dienen. Sâncraiu setzt dabei auf seine traditionellen Bräuche, wie Tischler- und andere Holzhandwerke und versucht dies durch gezielten, sanften Tourismus für Wanderer und Angler zu ergänzen. Die Bewahrung der traditionellen Kultur sowie Landschaftspflege stehen dabei als wichtigste Ziele im Vordergrund. Rimetea hingegen setzt stärker auf seine Lage am Seklerstein. Durch die erhaltene traditionelle sächsisch-deutsche Bauweise der Wohnhäuser erhofft sich die Gemeinde Touristen anzulocken, da der Tourismus hier als wichtigste Einnahmequelle fungiert, während in Sâncraiu dieser nur eine Nebeneinkunft darstellt. Ein Vergleich der beiden Dörfer zeigt, dass vor allem der Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft in Sâncraiu sehr viel stärker ausgeprägt scheint, während in Rimetea deutliche Differenzen zwischen dem Transylvania Trust – dem Finanzier der baulichen Erhaltung – und der Gemeinde sichtbar wurden. In diesen landschaftlich wohl reizvollsten Punkten der Tour kamen mir oft Zweifel über den längerfristigen Erfolg des Tourismus und somit auch der gesamten Entwicklung der Region. Dabei blieben mir insbesondere die Bedenken eines Mitarbeiters des Trusts im Gedächtnis hängen, dass der Tourismus in der Region sich zu einem beast of tourism entwickeln könne. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn die durch den Tourismus auftretenden Entwicklungsprozesse bisherige Fortschritte in der Gemeinde, durch z. B. persönliche Vorteilsnahme wohlhabender Bevölkerung, geschluckt oder zerstört werden. Dies schien mir gerade für Rimetea als eine nicht ganz unrealistische Prognose. Als Kontrastprogramm zu den ländlichen Regionen diente ein Besuch in Sibiu. Die „Europäische Kulturhauptstadt 2007“ besitzt ähnliche Probleme wie Cluj, hat jedoch – bedingt durch einen engagierten Bürgermeister und eine straffe Verwaltung – ihre Probleme deutlich effektiver bekämpfen können. Laut der deutsch-rumänischen Heritas-NGO, die wir für einen Vortrag besuchten, wurden zahlreiche Entwicklungen mit dem Erhalt des Titels „Europäische Kulturhauptstadt“ angestoßen. Ne-
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Abb. 5: Floresti (Quelle: Prager 2013)
Abb. 6 Sâncraiu (Quelle: Prager 2013)
Abb. 7 Rimetea (Quelle: Prager 2013)
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Abb. 8 Seklerstein (Quelle: Prager 2013)
Abb. 9 Sibiu 1 (Quelle: Prager 2013)
Abb. 10 Sibiu 2 (Quelle: Prager 2013)
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ben Touristen werden sehr viele Investoren angelockt, welche in der gut organisierten Verwaltung eine Anlaufstelle finden. Nicht zuletzt wird die Stadt durch das breitgefächerte Kulturprogramm, inklusive jährlichem Imagebranding, aufgewertet und stellt damit einen Gegenentwurf zu den beschriebenen Szenarien in den siebenbürgischen Städten dar. Nicht mehr verwunderlich erschien mir die Tatsache, dass die Stadt Cluj ebenso Titelambitionen verfolgt, um den Entwicklungsabstand aufholen zu können. Unsere letzte größere Station der Sommerschule bildete das unter Weltkulturerbe gestellte Dorf Viscri. Das Dorf und seine typisch sächsisch-deutsche Bausubstanz wird mit Hilfe des Mihai Eminescu Trust und des UNESCO-Titels erhalten. Zeitgleich gilt Viscri als Beispiel für eine erfolgreiche Integration der Roma-Bevölkerung in die Dorfgemeinschaft und -entwicklung. Getragen wird diese vor allem durch eine sehr engagierte Gemeinderätin, die sich insbesondere für die Gleichbehandlung der Roma innerhalb des Dorfes einsetzt. Primäres Ziel der Gemeindearbeit ist es, jedem Bewohner eine Arbeit zu geben, die auch dem gesamten Dorf zugutekommt und gleichzeitig den strengen Anforderungen des Trusts und des Weltkulturerbe-Titels gerecht wird. Bereits jetzt können erste Fortschritte verzeichnet werden: der Ort ist zusehends ein Touristenmagnet. Als krasser Kontrast zu den bisherigen Standorten birgt das Konzept der gleichen Teilhabe aller Bewohner aus meiner persönlichen Perspektive das Potential für eine weitere positive Entwicklung des Dorfes. Bei dem anschließenden Besuch der ADEPT-Stiftung im Nachbardorf wurde mir erneut deutlich, dass die finanzielle Förderung der Kulturlandschaftspflege, wie auch schon an anderen Orten, wenig langfristige Ziele und Hilfestellungen zu endogenen Entwicklungen bereithält. Im Allgemeinen lässt sich festhalten, dass die besuchten Regionen und Standorte, mit der Ausnahme Viscri, über wenig bottom-up-Programme verfügen, welches innerhalb der Gruppe die wohl kontroverseste Diskussion auslöste: Wie schafft man den Spagat zwischen dem Erhalt der Kulturlandschaft einerseits und der (wirtschaftlichen) Aufwertung der sehr ländlich geprägten, strukturschwachen Räume anderseits? – Eine Frage, die auf mich persönlich die größte Nachwirkung der Sommerschule hatte und auf die es nur schwerlich Antworten gibt.
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Nach dem eher touristischen Besuch der Stadt Sighişoara, führte uns unsere Reise noch ein letztes Mal nach Cluj zurück. Hier angekommen, wurden die gesammelten Eindrücke und fachlichen Inhalte in verschiedenen Arbeitsgruppen thematisch aufgearbeitet und anschließend allen Teilnehmern vorgestellt. Dabei entstanden weitere Diskussionen, die zum Nach- und Weiterdenken anregten. Mein persönliches Fazit dieser Reise fällt trotz positiver Erlebnisse und Erfahrungen dennoch etwas gespalten aus. Einerseits hat mich die Vielfältigkeit der Natur- und Kulturlandschaft besonders beeindruckt. Zudem war die Stimmung und das Verständnis der Teilnehmer zueinander harmonisch. Betrachte ich die Reise von der inhaltlichen Seite, so habe ich andererseits auch viele, z. T. schwerwiegende Entwicklungsprobleme beobachten können. Was mich somit etwas verstimmt auf die Route zurückblicken lässt, ist die Tatsache, wie in vielen Fällen diese Probleme gelöst werden. Dies geschieht vor allem durch internationale Fördermittel, welche damit meiner Meinung nach oft die Ansätze der Selbsthilfe im Keim ersticken bzw. gar nicht erst entstehen lassen. Es bleibt also weiterhin spannend, wie sich insbesondere die ländlichen Räume der beiden Länder auch in Zukunft entwickeln werden. Zurückblickend steht damit für mich nicht nur fest, dass ich mindestens noch einmal wiederkomme, um viele weitere spannende Orte, vor allem in Rumänien, zu entdecken. Auch kann positiv resümiert werden, dass das GoEast-Summer-School-Programm mehr als empfehlenswert ist. Mit der Teilnahme an der Summer School ging für mich mehr als nur die thematische Aufarbeitung einer Region und ihrer ganz eigenen Entwicklungspfade einher, sondern auch die einmalige Möglichkeit mit einer fremden Kultur in Kontakt zu treten, Studenten verschiedener Fachrichtungen zu begegnen und auch für mich Unbekanntes zu entdecken.
Abb. 11 Viscri (Quelle: Prager 2013)
Abb. 12 Köhler bei Viscri (Quelle: Prager 2013)
Abb. 13 Sighisoara (Quelle: Prager 2013)
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Dürfen wir vorstellen? Das DiaForum Nicolas Caspari & Alexander Groos (beide Philipps-Universität Marburg)
Viele von uns haben die Situation schon erlebt: Man kommt von einer Reise aus einem fremden Land zurück, mit vielen neuen Eindrücken und Bildern im Gepäck, die man gerne mit Freunden und Verwandten teilen würde. Doch schnell hält der Alltag wieder Einzug und die Bilder geraten in Vergessenheit. Für einen Fotoabend mit Freunden lässt sich wie immer nicht der richtige Termin finden und außerdem ist es ja auch irgendwie mühselig, so einen großen Aufwand in die Aufbereitung der Fotos zu stecken, wenn sie doch nur von so wenigen Leute gesehen werden. Seit einigen Jahren existiert aus diesem Grund an unserem Fachbereich Geographie in Marburg das DiaForum. Ungefähr ein Mal im Monat finden sich 80 bis 100 Studierende, DozentInnen und Interessierte im Großen Hörsaal unseres Fachbereichs zusammen, um sich von studentischen ReferentInnen mit auf ihre Reise in ferne Länder und fremde Kulturen nehmen zu lassen. Was ist ein DiaForum?
Als OrganisatorInnen des DiaForums bieten wir Studierenden aller Fachbereiche eine Plattform, um während eines bis zu anderthalbstündigen Diavortrages die Erlebnisse von Reisen, Praktika und Auslandsaufenthalten mit Freunden und Interessierten zu teilen – und gleich nebenbei noch das Referieren vor großem Publikum zu üben. Wir kümmern uns dabei um alles Organisatorische, so dass sich die ReferentInnen ganz auf ihren Vortrag konzentrieren können. Im Vordergrund des Vortrags stehen dabei stets die persönlichen, authentischen Erlebnisse und Erfahrungen der ReferentInnen – getragen wird der Vortrag von den selbst geschossenen Fotos. Damit der Vortrag für alle Beteiligten ein schönes Erlebnis wird, unterstützen wir die ReferentInnen schon während den Vorbereitungen für den Vortrag, z. B. mit hilfreichen Tipps in Form eines Leitfadens oder konstruktiver Kritik während eines Probevortrags. Initiiert und ins Leben gerufen wurde das DiaForum von GeographInnen – auch wenn inzwischen viele der Vorträge von Studieren-
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den anderer Fachbereiche gehalten werden. Aus diesem Grund achten wir bei den Vorträgen auch darauf, dass die behandelten Themen einen geographischen Rahmen erhalten, z. B. durch den Einsatz von Karten oder der Beleuchtung kultureller und politischer Aspekte. Einmal im Jahr, zu Beginn der Weihnachtszeit, organisiert das DiaForum-Team ebenfalls den GeoKalender, der sich einer großen Beliebtheit am Fachbereich erfreut. Zunächst gibt es einen Fotowettbewerb mit anschließender Onlineabstimmung. Die Gewinnerbilder werden dann gedruckt und kurz vor Weihnachten in der Fachbereichsbibliothek verkauft. Wie organisiere ich ein DiaForum?
Eigentlich ist es kein Hexenwerk, ein DiaForum auf die Beine zu stellen und zu organisieren – damit ihr euch jedoch besser vorstellen könnt, was hinter der Arbeit an einem DiaForum steckt, stellen wir euch kurz einige Dinge vor, mit denen wir uns beschäftigen. Ein Großteil unserer Arbeit geschieht im Vorfeld der Vorträge. Zunächst beantragen wir einen Hörsaal über das Dekanat unseres Fachbereiches. Außerdem nehmen wir Kontakt mit potenziellen ReferentInnen auf – diese haben wir entweder persönlich angesprochen oder sie haben sich initiativ bei uns per E-Mail gemeldet. Nachdem das Thema und das Vortragsdatum abgeklärt wurden, stellen wir den ReferentInnen unseren „Leitfaden für einen gelungenen Vortrag“ zur Verfügung, den wir aus den Erfahrungen vieler vorheriger Vorträge zusammengestellt haben. Eine Woche vor dem Vortrag wird dann noch ein kurzer Probevortrag abgehalten, bei dem die Technik getestet und die ReferentInnen den geplanten Ablauf des Vortrages vorstellen können. So können wir möglicherweise noch einmal hilfreiche Tipps für einen gelungenen Vortrag geben. Ebenfalls sehr wichtig für unsere Arbeit ist die Werbung. Wir erstellen Poster und Flyer, die wir in der Stadt verteilen, z. B. an schwarzen Brettern der Uni oder in Outdoorläden. Über unsere Internetseite können sich Interessierte mit ihrer E-Mailadresse auch für einen Newsletter eintragen, über den wir dann Vorträge und Aktionen ankündigen. Über die Jahre hinweg haben sich in unserem Team durchschnittlich vier Mitglieder
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gleichzeitig engagiert – mal waren es weniger, im Moment sind wir sogar zu acht. Eine Verteilung von Zuständigkeiten (z. B. Gestaltung von Werbung, Newsletterversendung, Vortragsbetreuung) macht die Verantwortlichkeiten klar und verteilt Arbeit gleichmäßig auf die Schultern aller. Die Kommunikation läuft dabei größtenteils per E-Mail – über einen Mailverteiler. Gelegentliche Treffen sorgen dafür, dass der Austausch untereinander und die Freundschaften nicht zu kurz kommen. Gegründet wurde das DiaForum als Teil des Nachwuchsforums der Marburger Geographischen Gesellschaft. Durch diese Einbettung des DiaForums in den Verein ergeben sich einige Vorteile. So kann das DiaForum beispielsweise Spenden annehmen. Ebenso wird die Kontoführung für uns übernommen und wir besitzen eine breitere Werbeplattform. Doch das DiaForum steht nicht still. Unermüdlich arbeiten wir daran, die Qualität der Vorträge zu verbessern, die Organisation zu erleichtern und neue Ideen umzusetzen. So haben wir z. B. vor Kurzem ein DiaWiki aufgesetzt, in dem für die nachfolgenden DiaForumGenerationen und alle Interessierten das Wissen rund um das DiaForum festgehalten wird. Ebenso konnten wir mit Hilfe der Informatikstudenten in unserem Team ein ContentManagement-System (CMS) erstellen, das die Wartung der Internetseite, das Versenden von Newslettern, sowie die Mitgliederverwaltung erleichtert.
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Selbst Interesse, ein DiaForum zu gründen?
Als Mitglieder des DiaForums sind wir davon überzeugt, dass das DiaForum dazu beiträgt Horizonte zu erweitern, interkulturelles Verständnis und Austausch zu fördern und Interesse an der Vielfalt unseres Planeten zu wecken. Aus diesem Grund hoffen wir, euch durch den Einblick in unsere Arbeit dazu angeregt zu haben, ein eigenes DiaForum auf die Beine zu stellen ... denn eigentlich ist es ja nicht schwer! Gerne unterstützen wir euch bei den ersten Schritten, um die Anfänge zu erleichtern. So können wir z. B. unsere Werbematerialien – wie Flyer- und Postervorlagen – zur Verfügung stellen. Ebenso könnt ihr weitere Informationen rund um das DiaForum unserem DiaWiki entnehmen. Bei Bedarf stellen wir auch unser CMS zur Verwaltung der Internetseite bereit. Falls weitere Fragen bestehen, könnt ihr uns gerne per E-Mail kontaktieren. Schreibt uns doch mal! Kontakt: post@diaforum.org www.diaforum.org
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Spra ch(r) ohr S. 59
Susanne Knorr:
S. 60
Manuel Herzog & Markus Maaßen:
Geographie - „… und was macht man dann damit?“ Schon mal drüber nachge(o)dacht!?
Die Rubrik Sprach(r)ohr versteht sich als Ort des Debattierens und des Meinungsaustausches. Das Sprach(r)ohr wurde erdacht, um als Forum kontroverser Diskussionen geographischer Fragestellungen und studentischer Belange zu dienen. Hier werden Fragen aufgeworfen, Ideen sowie Kritik geäußert und natürlich diskutiert. Das Sprach(r)ohr soll die Meinungen Studierender im deutschsprachigen Raum hörbar machen und dadurch vernetzend wirken. Fühl dich frei, dich einzubringen und nutze das Sprach(r)ohr, um Belange verschiedenster Art überregional zu diskutieren.
Editorial Wir von der entgrenzt-Rubrik Sprach(r)ohr stellen jetzt einmal eine vage These auf: Jede/r (angehende) GeographIn hat sich im Leben schon einmal fragen lassen müssen: „Geographie? … Hmm?! ... Und was macht man dann damit?“ … Ja, wir sehen es quasi vor uns, wie ihr euch erinnert, diese existenzielle Frage gestellt bekommen zu haben. Hoffentlich wusstet ihr sofort, wie ihr mit dieser Frage umgehen solltet! … Na, wie war es? Gab es Zweifel? … Wenn ja, dann ein Tipp von uns für diejenigen unter euch, die noch nach einer fundierten Antwort suchen: der Artikel von Susanne Knorr. Nach einem kurzen Problemaufriss zeigt die AutorIn Mittel und Wege auf, auf ahnungslose Nachfragen nach dem Sinn und Unsinn des Geographiestudiums überwältigende Antworten zu finden. Einer nicht minder existenziellen Frage für Geographiestudierende widmet sich der AK Nachhaltigkeit von der Bundesfachschaftenta-
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gung im Mai 2013 in Berlin. So rufen Marcus und Manuel in ihrem Artikel „Schon mal drüber nachge(o)dacht?“ dazu auf, den Nachhaltigkeitsgedanken zu verbreiten. Darüber hinaus liefern die beiden Autoren erste Punkte einer Checkliste zur Nachhaltigkeit an Geographieinstituten. Also viel Spaß beim Lesen und nutzt das Sprach(r)ohr und meldet euch zu Wort! Kristine Arndt, Anne Reinhardt und Henrike Wilhelm
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Geographie „... und was macht man dann damit?“ Susanne Knorr
Ein Jurist wird Anwalt oder Richter, ein Mediziner Arzt und ein Maschinenbauer Ingenieur. Doch was werden Geographen? Und was antwortet man den erstaunten Gesichtern auf die ahnungslosen Nachfragen sobald man erklärt hat, dass man Geographie studiert? Die Frage „...Und, was macht man dann damit?“ begleitet Geographiestudierende durchs Studium wie ein roter Faden. Das Stadt-Land-Fluss-Image der Schulgeographie hat zur Folge, dass sich die breite Öffentlichkeit unter dem Studienfach eine Fortsetzung dessen vorstellt. Verständlich ist die daraus resultierende Frage, wem dieses Wissen nütze. Anders als im Schulfach beschäftigen sich Geographiestudierende nicht mit dem Auswendiglernen von Hauptstädten und Flüssen, sondern mit einer Vielzahl verschiedenster Themen und Methoden. Das Fach ist so breit aufgestellt, dass es Sinn macht, sich während der ersten Semester einen Überblick über die große Auswahl zu verschaffen. Dabei ist es wichtig sich nicht zu verzetteln, sondern einzusortieren und Lieblingsthemen zu wählen. Vor dem Ende des Bachelors sollte man Präferenzen gebildet haben, um sich für einen passenden Master bewerben zu können. Von außen erscheint diese große Breite eher wie Profillosigkeit des Faches. Dabei ist die Kernkompetenz der Geographie eine systemische Denkweise mit Raumbezug und Methodenreichtum. Sie verbindet Geistes- und Naturwissenschaften. Ihre Aufgaben sind beispielsweise das Lösen von interdisziplinären systemischen Problemstellungen und die Untersuchung der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Die Geographie vernetzt in vielerlei Hinsicht. Vernetzung ist auch auf dem Weg ins Berufsleben hilfreich. Ob HiWi-Job, Werkstudentenvertrag, Praktikum oder fachbezogener Nebenjob: viele Chancen eröffnen sich durch Kontakte mit bereits im Beruf stehenden Geographen und Absolventen. Bestenfalls hat man auch schon während des Bachelors ein Praktikum absolviert. Hilfreich bei der Suche nach dem richtigen Praktikum sind Praktikumsbörsen sowie Praktikumsinitiativen oder Prakti-
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kumsdateien. Den Kontakt mit Ehemaligen stellen beispielsweise Alumninetzwerke oder Vortragsreihen mit Absolventen her. Eine frühzeitige Spezialisierung ist in vielerlei Hinsicht ratsam und möglich. Mit Praktika, Masterstudienwahl und Kombination der Nebenfächer kann ein einzigartiges Profil erstellt werden, das ideal auf die jeweiligen Stärken abgestimmt ist. Und dann ist der Zeitpunkt gekommen. Die Bachelor- oder Masterarbeit ist angemeldet, man steckt über beide Ohren in der jeweiligen Thematik und plötzlich geht alles ganz schnell. Wer clever ist, kann mit einer externen Master-/Bachelorarbeit den Sprung ins Berufsleben schaffen. Viele Abschlussarbeiten werden von verschiedenen Forschungseinrichtungen, Behörden oder Unternehmen ausgeschrieben. Manchmal kann man damit auch seinen Kontostand erhöhen. Die Wahl des Themas der Abschlussarbeit ist durchaus von großer Bedeutung. Es ist das letzte große Thema, in das man sich intensiv einarbeitet, bevor man ins Berufsleben startet. Sich schon vor oder während der Abschlussarbeit nach Jobangeboten umzusehen macht in vielerlei Hinsicht Sinn. Auch hier gibt es Unterstützung: Newsletter mit Stellenausschreibungen, Hochschulmessen, Fachzeitschriften, einschlägige Internetplattformen und Workshops. Die Konfrontation mit der Konkurrenz ist unvermeidbar. Doch es lohnt sich, über seinen Schatten zu springen und sich nicht entmutigen zu lassen. Denn Geographen müssen sich nicht verstecken. Sie können einiges. Sie sind methodenreich und interdisziplinär aufgestellt. Sie denken vernetzter und haben immer das große Ganze im Blick. Die immer wiederkehrende Frage, die durch die falsch vermutete Profillosigkeit der Geographie ausgelöst wird, beantwortet man also am besten individuell. Mit den eigenen Stärken, Schwerpunkten und Zielen.
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Schon mal drüber nachge(o)dacht!? Manuel Herzog (LMU München) & Markus Maaßen (RWTH Aachen)
Bundesfachschaftentagung in Freiburg vom 17. bis 20. Mai 2013. Pfingstmontag, 9:00 Uhr. Eine weitere Bundesfachschaftentagung geht zu Ende. Am Frühstückstisch stehen den angehenden Geographinnen und Geographen die anstrengenden vergangenen Tage ins Gesicht geschrieben. Dennoch dominiert ein Gefühl der Einigkeit und Zufriedenheit den Speisesaal. Und zufrieden zu sein, mit dem Geleisteten, dazu haben alle reichlich Anlass. Am Vortag beschließen die vertretenen Fachschaften die Nachhaltigkeit in der Vereinssatzung zu verankern. Bei allen Veranstaltungen des GeoDACH wird nun noch mehr auf einen ressourcenschonenden Ablauf geachtet werden. So wird die künftig vegetarische Verpflegung weitgehend aus biologisch und regional oder fair erzeugten Produkten bestehen und das Müllaufkommen weiter reduziert werden. Das Plenum entschließt sich außerdem für ökostrombetriebene Webserver. Dank regenerativer Energien wird www.geodach.org in Zukunft auf den Bildschirmen im rechten Licht erscheinen. Doch damit nicht genug. Der schon totgesagte Arbeitskreis Nachhaltigkeit erwacht in Freiburg zu neuem Leben und blüht richtig auf. Die Teilnehmer entwerfen in Anlehnung an den Vereinsnamen einen neuen Slogan. Künftig wird sich der Betrachter fragen: „schon mal drüber nachge(o)dacht?!“ Ein entsprechendes Logo wird bis zur nächsten BuFaTa in Bochum designt und soll ab dann GeoDACH-weit alle Plakate, Aufkleber, Projekte und Initiativen der Geo-Fachschaften zieren, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen. Während des Geographiestudiums gewinnen wir einen Einblick in vielfältigste Themenbereiche und lernen komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Die Problematik des anthropogen verursachten Klimawandels haben wir alle verinnerlicht. Der AK „nachge(o)dacht“ will mit seiner Arbeit dazu beitragen, die klaffende Lücke zwischen unserem Wissen und unserem Handeln zu schließen. Wir wollen besonders auf Problemfelder hinweisen, die im Alltag gerne mal untergehen. Macht beispielsweise der „Fairkauf“ von Kaffee in der Fachschaft noch Sinn, wenn der
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dabei anfallende Abfall nicht mal vernünftig getrennt wird? Und so entwickelt der nun frisch getaufte AK „nachge(o)dacht“ an diesem Pfingstwochenende eine Checkliste. Sie dient den Fachschaften als sehr konkrete Hilfestellung, um Defizite in den eigenen Räumlichkeiten und am jeweiligen Institut aufzudecken und den ökologischen Fußabdruck zu minimieren. Das Dokument zeigt kurz und prägnant wichtige Stellschrauben auf und liefert Ideen zur Verbesserung. Die Checkliste gibt keine absoluten Antworten, sondern regt euch an, alle Abläufe in der Fachschaft/am Institut selbst zu bewerten und gegebenenfalls zu ändern. Nach und nach bereitgestellte Hintergrundinformationen werden euch dabei helfen (Link siehe unten). Um euch auch bei der Verbreitung des Nachhaltigkeitsgedankens am Institut zu unterstützen, stellen wir auch ein Dokument mit Inspirationen zur Öffentlichkeitsarbeit online. Es würde uns freuen, wenn ihr alle eure nachhaltigen Aktionen mit unserem neuen Slogan und dem entsprechenden Logo ausstattet. Denn was könnte bei diesem Thema passender sein, als die Frage: „schon mal drüber nachge(o)dacht?“ Für uns alle gibt es also noch viel zu tun. Schaut am besten gleich mal nach, was wir schon alles hochgeladen haben und macht euren Campus grün! Checkliste: https://docs.google.com/file/ d/0B7Xcl2YzHSEEVi1IU0tNVnRxSjQ/ edit?usp= sharing Kontakt: markus.maassen1@rwth-aachen.de
Sprach(r)ohr | entgrenzt 6/2013
G e o Pra k t i sch GeoPraktisch ist eine Rubrik, die sich auf die Praxis bezieht. Hier werden Hinweise zum Studienalltag und wissenschaftlichen Arbeiten gegeben, Interviews mit PraktikerInnen aus geographischen Berufsfeldern vorgestellt, und Termine zu interessanten, geographischen Veranstaltungen gelistet. Damit erhalten die LeserInnen neue Anregungen und einen Überblick über ihre eigenen Fachgrenzen hinaus. Prärie auf weiter Flur, Ebbe bis zum Horizont, ein Tunnel ohne Hoffnungsschimmer: Lauter wirres Zeug, das wir hier wieder schreiben? Kein Wunder, denn wir sind verwirrt, dass wir euch dieses Mal keine Interviews, Erfahrungsberichte oder Kontroversen zum Lesen geben können. Wir könnten an dieser Stelle noch viele weitere Idiome wahllos miteinander kombinieren, doch die zuvor angeführten beschreiben die Situation in der Rubrik Geopraktisches der 6. Ausgabe von engrenzt schon recht gut: Der Begriff Prärie umfasst das Ausmaß der leeren Seiten, gleichzusetzen mit der Größe des nordamerikanischen eher kargen Landschaftstyps, der sich von Mexiko bis nach Kanada erstreckt, und kann als Synonym der Wichtigkeit der Rubrik gelten, während der geringe Niederschlag vergleichbar ist mit den wenigen Zeilen, die sich an dieser Stelle über die Seiten ergießen. Dabei ist Geopraktisch die Rubrik, die euch einen Einblick in die Berufswelt der GeographInnen gibt, Themen beleuchtet, die neben dem Studium relevant sind und über anstehende Tagungen und Workshops informiert. Die Bandbreite der Themen ist vielfältig: GeographInnen in der Statistik, die Verwendung von Geoinformationssystemen in der Schule oder Probleme und Krisen im Studium. In Erfahrungsberichten schilderten Betroffene die psychischen Grenzen der Belastbarkeit und ein Interview mit der psychosozialen Beratung erläutertet, dass dies keine Einzelfälle sind (entgrenzt Ausgabe 2). Des Weiteren gab es bereits diverse Interviews: eines mit einer Study Career Managerin und ein weiteres mit Regionalmanager Matthias Wagner. Was das ist, was er macht und wie man zu so einem Beruf kommt, könnt ihr in der 3. entgrenzt lesen. Welchen Fragen wir noch nachgegangen sind, könnt ihr auf
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www. entgrenzt.de nachlesen. Doch trotz der vielen spannenden Themen, über die wir bereits berichtet haben und die der vielen weiteren, die sicher auch berichtenswert sind, bleibt Geopraktisch in dieser Ausgabe leider frei von Inhalten. Denn wir erleben nun auch intern den viel zitierten demographischen Wandel. Die Alten werden immer mehr, immer älter und „sterben“ schließlich weg. In unserem Fall bedeutet dies: die zuvor aktiven RedakteurInnen entwachsen dem Studierendendasein und schlagen in ihrem Berufsleben neue Wege ein. Am Sockel bleibt eine scheinbar überforderte Jugend, die, so eingebunden in die Umstrukturierungen des Bildungssystems, kaum Zeit findet, die frei werdenden Aufgaben zu übernehmen. Zwar können wir diese Strukturen nicht total ummodeln, aber in Geopraktisch bieten wir Euch ein Forum, in dem entsprechende Themen offen ausgesprochen und kritisiert werden können. Damit das weiter passieren kann, braucht es Eure Unterstützung. Es gibt große Hoffnung, dass die 7. Ausgabe wieder interessante Fragen aufwirft, doch sollte und kann dies nicht eine One-Person-Show werden. Wenn ihr also Lust habt, Interviews zu führen, gerne redaktionell arbeitet, Ideen nachgehen wollt, die GeographInnen interessieren oder auch einfach noch Fragen zu entgrenzt, Geopraktisch oder generelles Interesse habt, bei entgrenzt mitzumachen, dann schreibt uns eine E-Mail an kontakt@ entgrenzt.de. Wir freuen uns auf dich und deine Unterstützung dabei, die Prärie in blühende Landschaften zu verwandeln. Das entgrenzt-Team
P.S.: An dieser Stelle danken wir ganz herzlich Frank Meyer und Franziska Bader.
GeoPraktisch | entgrenzt 6/2013
entgrenzt 6/2013 | GeoPraktisch
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entgrenzt machen, aber wie? Die MitarbeiterInnen von entgrenzt
entgrenzt ist ein offenes Medium und lebt vom
Mitmachen. So konnte die sechste Ausgabe von entgrenzt nur durch viele HelferInnen und MitarbeiterInnen entstehen. Was anfangs durch sieben StudentInnen der Leipziger Geographie angestoßen wurde, wird mittlerweile durch viele ständige MitarbeiterInnen geleistet. Die MitarbeiterInnen arbeiten u. a. aus Leipzig, München, Frankfurt und Essen an entgrenzt mit. Danke an alle HelferInnen der sechsten Ausgabe von entgrenzt: Kristine Arndt (Leipzig), Franziska Bader (Leipzig), Frank Feuerbach (Leipzig), Kevin Gebhardt (Leipzig), Ingo Haltermann (Essen/Münster), Marco Holzheu (Leipzig), Thomas Kandler (Leipzig), Josephine Kellert (Leipzig), Jörg Kosinski (Leipzig), Robert Kul (Leipzig), Frank Meyer (Leipzig), Helge Piepenburg (Freiburg), Anne Reinhardt (München), Florian Steiner (Frankfurt am Main), Cosima Werner (Uni Erlangen), Henrike Wilhelm (Hannover), Jan Winkler (Erlangen), Annika Zeddel (Erlangen) Die Mitarbeit bei entgrenzt
Auch eine Onlinezeitschrift entsteht nicht von allein. Im Hintergrund arbeiten bei entgrenzt viele pfiffige Köpfe und fleißige Hände, damit die Website, das Layout und natürlich die Inhalte entstehen und in die richtige Form gebracht werden können. Wir sind ein fröhliches Team aus GeographInnen, SoziologInnen, KulturwissenschaftlerInnen und Technikfreaks, in dem neue HelferInnen, egal aus welcher Fachrichtung, jederzeit herzlich aufgenommen werden. Wenn du dich also ausprobieren willst, bieten dir unsere Redaktionsbereiche, die PR und Technik viele Möglichkeiten dazu. Wir arbeiten weitestgehend dezentral, um dem Ziel der Vernetzung von Studierenden einen Schritt näher zu kommen. Der Umgang mit unserem entgrenzt-Wiki, E-Mail und Skype ist daher zentral in unserer Arbeitsweise. Solltest du also nicht an unserem Stammsitz in Leipzig sein, lass dich nicht entmutigen. Unsere HelferInnen sitzen auch an anderen Studienorten. Die Aufgaben reichen von kleinen Hilfsleistungen, Tipps und Recherchen, zu möglichen Beiträgen, bis hin zu umfangreiche-
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ren Arbeiten wie dem aktiven stetigen Mitwirken innerhalb eines Verantwortungsbereichs. Wieviel Zeit du bei uns einbringst, entscheidest du allein. Außerdem ist Motivation und Abstimmung im Team wichtig, der Rest ist Learning by Doing. Es gibt keine Mindest-Semesterzahl und die Arbeit ist ehrenamtlich. Hast du Interesse an der Mitarbeit bei entgrenzt? Dann schreib uns eine E-Mail an kontakt@ entgrenzt.de. Oder besuche unsere Website www. entgrenzt.de für aktuelle Mitarbeitsgesuche. UnterstützerInnen
entgrenzt hätte nicht ohne unsere Unterstütze-
rInnen entstehen können. Wir bedanken uns bei der GeoWerkstatt Leipzig e.V. für die Unterstützung und den Rahmen, der entgrenzt damit ein zu Hause gibt. Ein herzlicher Dank geht an das Kuratorium, das uns bei der Diskussion des Konzeptes und dessen Weiterentwicklung mit viel Erfahrung zur Seite stand und bei Fragen zur Erstellung einer Zeitschrift half: Dr. Ute Wardenga (Leibniz-Institut für Länderkunde), Prof. Dr. Otti Margraf (LeibnizInstitut für Länderkunde und Geographische Gesellschaft zu Leipzig), Prof. Dr. Vera Denzer (Institut für Geographie, Universität Leipzig), Dr. Annett Krüger (GeoWerkstatt Leipzig e.V. und Institut für Geographie, Universität Leipzig), Prof. Dr. Dieter Rink (Helmholtzzentrum für Umweltforschung, Leipzig) und Nico Nettelmann & Peter Voss (GeoDACH-Entsandte). Mentoren aus Wissenschaft und Lehre haben die Beiträge für die Rubrik Geographisches gewissenhaft und aus professioneller Perspektive unter die Lupe genommen und die AutorInnen im Review-Prozess begleitet: Damit haben wir Beiträge mit Qualität gewonnen und unsere AutorInnen durften sich auf die Probe stellen. Wir danken allen Gutachtern dafür. Danke auch an die AutorInnen der verschiedenen Rubriken. Ihr habt euch getraut und diese Zeitschrift mit lesenswerten Inhalten gefüllt! Ganz besonderer Dank gilt GeoDACH, der Vertretung deutschsprachiger GeographieStudierender. GeoDACH versteht sich als Organ zur Vernetzung sowie als Diskussionsplattform. Die Kooperation von entgrenzt und GeoDACH ist uns besonders wichtig, weil zur Diskussion und Vernetzung ein Medium benö-
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tigt wird, das frei mitgestaltet werden kann und die Diskussion befördert. Durch die Zusammenarbeit mit GeoDACH werden diskutable Inhalte aus den Arbeitskreisen für Studierende sichtbar.
Nachwuchs für die kommenden Ausgaben!? entgrenzt – die studentische geographische On-
line-Zeitschrift von Studierenden für Studierende sucht Nachwuchs. Altgediente MitarbeiterInnen entwachsen dem studentischen Dasein und widmen sich neuen Aufgaben. Die alten Aufgaben hingegen bleiben, und hier kommt ihr ins Spiel! Habt ihr Lust am Umgang mit Sprache, am Layouten, Tüfteln, Netzwerken oder Promoten? Wolltet ihr schon immer etwas gestalten, euch einbringen oder einfach mal was ausprobieren? Bei entgrenzt seid ihr mit euren Fähigkeiten, eurer Kreativität und eurem Enthusiasmus herzlich willkommen, denn wir suchen Nachwuchs in allen Rubriken und Sparten, von der Redaktion, der PR, dem Layout bis hin zu technischen Fragen. Ob GeoWerkstatt, Sprach(r)ohr, GeoPraktisch oder Geographisches, wir freuen uns über neue MitarbeiterInnen. Die redaktionellen Aufgaben in den vier entgrenzt Rubriken Geographisches, GeoWerkstatt, Sprach(r)ohr und GeoPraktisch ähneln sich stark. Dazu gehören: • • • • • •
Formulierung von Calls und Editorials Verhandlung der eingereichten Abstracts Kontakt zu AutorInnen Ideen für Gastbeiträge und deren Einwerbung Lektorieren der Beiträge Lauscher für potenzielle Beiträge aufstellen
buch-Tellerrand hinausgehen. Redaktionelle MitarbeiterInnen, die sich in der "GeographieLandschaft" besonders gut auskennen, können uns besonders unterstützen. Die Rubrik Sprach(r)ohr ist der Ort des Debattierens in entgrenzt. Hier wird unter anderem aus den Fachschaften, von der Bundesfachschaftentagung und anderen studentischen Initiativen berichtet. Der stetige Kontakt zu dem Verein Geo-DACH und der Besuch der BuFaTa gehören zu den weiteren Aufgaben der Sprach(r)ohr-Redaktion. Wer sich hier einbringen möchte, lernt die vielen Initiativen kennen, die Studierende auf freiwilliger Basis veranstalten. Bei GeoPraktisch steht hingegen die wohl am häufigsten an GeographInnen gerichtete Frage im Mittelpunkt: "Was macht man mit diesem Studium?" Hier berichten Berufstätige von ihren Jobs, ihren Werdegängen und Aufgaben. Folglich suchen wir für dieses Ressort nach Personen, die Lust haben, neben grundsätzlichen redaktionellen Aufgaben z. B. auch das Führen von Interviews zu übernehmen. Da entgrenzt dezentral arbeitet, d. h. alle Geographiestudierenden im ganzen deutschsprachigen Raum sich angesprochen fühlen dürfen, ist eigenständiges Arbeiten und EMail-Kommunikation bei uns unumgänglich. Dafür bieten wir Euch die Möglichkeit sich mit neuen und eigenen Ideen bei entgrenzt einzubringen um die Dynamik beizubehalten. Ihr werdet dabei die Geographie von einer anderen Seite erleben. Und wenn Ihr immer noch unschlüssig seid, dann weisen wir schon einmal auf das Workshoptreffen am 13. Dezember in Erlangen hin, zum dem alle herzlich eingeladen sind. Wir werden mit euch Workshops zum redaktionellen Arbeiten bei entgrenzt veranstalten. Fragen? Interesse?
Dann meldet Euch unter kontakt@ entgrenzt.de. Wir freuen uns auch euch. Euer entgrenzt-TeIn der Rubrik Geographisches, in der Studie- am rende eigene wissenschaftliche Arbeiten veröffentlichen können, kommt zudem noch der Für Technik, PR und Layout Kontakt zu potenziellen GutachterInnen sowie die Vermittlung zwischen AutorInnen und Entsprechende Calls findet Ihr in Kürze auf GutachterInnen hinzu. unserer Facebook-Seite unter Beiträge aus der GeoWerkstatt widmen sich Tagungen, Exkursionen und anderen Veran- www.facebook.com/entgrenzt staltungen, die meist außerhalb des muffigen Euer entgrenzt-Team Seminarraums stattfinden und über den Lehr-
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permanente Calls GeoWerkstatt
GeoPraktisch
In der Rubrik GeoWerkstatt suchen wir Menschen und Konzepte, die sich auf eine inspirierende, ausgefallene oder unkonventionelle Weise der Vermittlung von Inhalten widmen. Wenn du beispielsweise in den Genuss eines neuartigen Seminarkonzeptes gekommen bist oder ein solches entwickelt hast, schreib uns einige Zeilen darüber. Wenn du auf Workshops aufmerksam geworden bist, die didaktisches Neuland vermitteln, teile diese Informationen mit uns. Oder hast du vielleicht eine einzigartige Veranstaltung erlebt, dann berichte uns und unseren Lesern darüber. Texte zu diesen Themen bis maximal zwei Seiten nehmen wir jederzeit entgegen und publizieren sie nach redaktioneller Prüfung in der nächsten Ausgabe von entgrenzt. Wir freuen uns auf deine Beiträge an kontakt@ entgrenzt.de!
Ihr seid TutorInnen und verfasst regelmäßig Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten für andere Studierende? Ihr habt Hinweise zu zukünftigen, interessanten Veranstaltungen (Kolloquien, Tagungen, Seminare, Sommerschulen, etc.) an euren oder anderen Instituten? Ihr wollt uns von eurem spannenden Praktikum berichten? Ihr verfügt über Erfahrungen mit einem noch unbekannten Arbeitsbereich in der Geographie? Ihr habt weitere Tipps rund ums Geographiestudium? Dann teilt eure Eindrücke, Hinweise und Anregungen mit uns in der Rubrik GeoPraktisch! Einreichungen von max. zwei Seiten nehmen wir jederzeit entgegen und publizieren sie nach redaktioneller Prüfung in der nächsten Ausgabe von entgrenzt. Wir freuen uns auf euren Beitrag an kontakt@ entgrenzt.de!
Sprach(r)ohr In der Rubrik Sprach(r)ohr suchen wir Menschen, die ihre Meinungen in Aussagen formulieren wollen! Ihr habt Anregungen, Kritik oder möchtet euch generell zur akademischen Geographie äußern? Sei es zur Qualität des Studiums, der Lehre, oder zur Situation der Studierenden. Sei es zu ethischen, organisatorischen oder politischen Fragen eures Studiums oder zu inhaltlichen Ausrichtungen. Schreibt offen oder anonym! Wir wollen euch hören und zuhören! Fragt euch: Was interessiert nicht nur mich, sondern auch meine KommilitonInnen weit entfernt an anderen geographischen Instituten? Bildet Autorenkollektive und organisiert eure Meinungen. Nutzt entgrenzt als Medium des Redens und Zuhörens. Tretet miteinander in Austausch; lasst die Beiträge nicht im Vakuum der Teilnahmslosigkeit verhallen. Das Sprach(r)ohr ist die Essenz von entgrenzt: Ein Ort, an dem ihr zusammenfindet und euren Positionen Gehör verschafft. Es werden kurze Beiträge von maximal 4.000 Zeichen inkl. Leerzeichen gesucht. Wir freuen uns über eure Beiträge an kontakt@ entgrenzt.de!
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Vorschau entgrenzt Ausgabe Nr. 7, SoSe 2014 Etwa 24.000 Geographie-Studierende gibt es alleine in Deutschland. Wenn wir annehmen, dass jeder/jede von Ihnen pro Semester vier wissenschaftliche Arbeiten schreibt, dann kommen wir auf 192.000 studentische geographische Arbeiten im Jahr. Alle Seiten aneinander gelegt, ergibt das eine Strecke von Hamburg bis nach München. Was passiert mit all dieser Denkarbeit? Ihr wisst es selber: in der Regel – nichts! Was für eine unglaubliche Verschwendung. Daher präsentieren wir auch in der kommenden Ausgabe einige dieser Arbeiten. Die nächste Ausgabe von entgrenzt wird am 1. Mai 2014 erscheinen.
Impressum entgrenzt ist ein Projekt der GeoWerkstatt Leipzig e.V.
in Kooperation mit GeoDACH.
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