EvB-Dokumentation #03/September 2009/CHF 6.–
UMDEnKEN ODER SCHÖN FÄRBEN Führt der Green New Deal aus der Krise?
2 Umdenken oder schönfärben
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« Laisser vivre » statt « laisser faire » Idee und Ziel des Green New Deal ist es, die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise nicht isoliert zu betrachten, sondern als Teil einer Multikrise zu begreifen, welche auf verschiedenen Ebenen mit diversen Massnahmen angegangen werden muss. Und zwar umgehend. Denn Energie-, Klima-, Wasser- und Nahrungskrisen haben ein ökologisches, soziales wie auch wirtschaftliches Zerstörungspotenzial, welches die aktuelle Krise weit zu übertreffen droht. Der Green New Deal seinerseits hat das Potenzial, politische Mehrheiten zu finden. Denn die Gesellschaft verlangt immer deutlicher nach grünen Rezepten gegen die Krise. Diese Chance kann und muss gepackt werden. Gleichzeitig müssen Begriff und Stossrichtung des Green New Deal aber vor inhaltlicher Verwässerung geschützt werden. Wie der Name sagt, geht es dabei primär um Investitionen in echte Nachhaltigkeit. Da auch das Konzept der Nachhaltigkeit nicht nur breite Akzeptanz, sondern fast ebenso viel Verwässerung erfahren hat, hier zur Erinnerung die Urdefinition von Nachhaltigkeit1: Sie bezeichnet eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der jetzigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Dazu müssen ökologische Grenzen eingehalten werden. Innerhalb dieser Grenzen ist es Aufgabe der Wirtschaft, unsere Bedürfnisse möglichst gut zu erfüllen – inklusive immaterieller Wünsche wie dem nach Lebensqualität. Die Gerechtigkeitsfrage stellt sich dabei aber nicht nur zwischen der heutigen und der kommenden Generation. Auch innerhalb einer Generation sind die Bedürfnisse der Mitmenschen zu respektieren und die soziale Gerechtigkeit voranzutreiben. Die Multikrise bewirkt jedoch das genaue Gegenteil: Die Welt wird noch ungerechter und die Verantwortung, die unsere Generation für die nachfolgende und die Industriestaaten für die Entwicklungsländer haben, steht zur Disposition.
1 Gemäss dem BrundtlandBericht, «Our Common Future», von 1987
Mit seinem Mix aus wirtschafts-, umwelt- und sozialpolitischen Massnahmen reagiert der Green New Deal umfassend und pragmatisch auf diese so akute wie komplexe «Verantwortungskrise». Und kann so einen substan-
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Impressum
ziellen Beitrag für eine wahrhaft nachhaltige Entwicklung leisten. Entsprechend wichtig ist es, dass dieser Lösungsansatz mit der Erklärung von Bern (EvB) nun auch in der Schweiz eine gewichtige zivilgesellschaftliche Stimme hat. Denn es geht um nichts Geringeres, als dem entfesselten und von der Finanzkrise «gekrönten» Egoismus ein Ende zu setzen und eine Zeit der Kooperation und Verantwortung einzuleiten. Der Green New Deal hilft, die unselige Laisser-faire-Ära zu überwinden und eine neue Laisser-vivre-Epoche zu beginnen.
Auflage 23 000 Herausgeberin Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12 Postfach, 8026 Zürich T 044 277 70 00 F 044 277 70 01 info@evb.ch, www.evb.ch
Bastien Girod, Nationalrat, Grüne Partei
Inhalt
EvB-Dokumentation «Umdenken oder schönfärben – Führt der Green New Deal aus der Krise?» 03/ September 2009, CHF 6.–
Der Green New Deal: Grün und gerecht?
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Die globale Krise
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Grün ist die Hoffnung auf einen Politikwechsel
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Fast eine kleine Revolution: Roosevelts New Deal
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Die Konzepte des Green New Deal: Des Rätsels Lösung?
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«Für ideologische Grabenkämpfe haben wir keine Zeit mehr»
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Eine zündende Idee – mit einigen Fragezeichen
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Eine andere Landwirtschaft ist notwendig
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Mit Steuern steuern
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Handlungsbedarf in der Handelspolitik
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Kein Umweltschutz ohne Armutsbekämpfung
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Grüne Tupfen, rote Spritzer und blinde Flecken
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Texte Roland Fischer Thomas Braunschweig (EvB) Oliver Classen (EvB) Christine Eberlein (EvB) Olivier Longchamps (EvB) François Meienberg (EvB) Andreas Missbach (EvB) KRISEN Green New Deal
EvB-Ansätze
Redaktion Susanne Rudolf Konzept und Gestaltung c.p.a. Clerici Partner AG, Zürich Druck ROPRESS Genossenschaft, Zürich. Gedruckt mit Biofarben auf Cyclus Print, 100 % Altpapier. Das EvB-Magazin inkl. Dokumentation erscheint 5- bis 6-mal jährlich. EvB-Mitgliederbeitrag: Fr. 60.– pro Kalenderjahr. Spendenkonto: 80-8885-4
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Marion Nitsch
Der Green New Deal: Grün und gerecht? Auch wenn an der Börse wieder kräftig Gewinn gemacht wird, die gegenwärtige Krise ist noch längst nicht ausgestanden. Das wahre Ausmass der Risiken eines «mit fossilen Energieträgern befeuerten dynamischen Modells eines deregulierten Kapitalismus» (Elmar Altvater) zeigt sich erst, wenn man die aktuellen Krisen als ein von Wechselwirkungen geprägtes System begreift. Die beigelegte Grafik visualisiert dieses düstere Szenario. Zum Glück gibt es aber auch eine Rückseite, auf der wir kühn ein alternatives Produktions- und Entwicklungsmodell skizzieren. Unsere Auseinandersetzung mit dem weit herum propagierten Green New Deal (GND), dem wir diese Dokumentation widmen, wurde dort in ein Bild gebannt. Dass die EvB einen solchen globalen Rettungsplan für dringend notwendig erachtet, sei hier vorweggenommen. Woher er kommt, was er ist, warum es ihn braucht und wie weit wir damit auf dem Weg zu einer lebenswerte ren Welt kommen, lesen Sie auf den folgenden Seiten. Sie erfahren dabei auch, wie wir den GND aus entwicklungspolitischer Perspektive beurteilen. Dazu konfrontieren wir die Hauptforderungen des neuen Trendkonzepts im dritten Teil dieser Broschüre mit den Erkenntnissen aus unseren Arbeitsschwerpunkten. Wir zeigen, wo seine Stärken liegen und weisen auf seine blinden Flecken im Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit hin – dem Kernanliegen der EvB. Damit aus der im GND zum Ausdruck kommenden Aufbruchstimmung mehr wird als eine Vision in Krisenzeiten, sind wir alle gefordert. Und eines ist klar: Alle Massnahmen und Reformschritte eines Green New Deal führen in die Sackgasse, wenn wir weiter versuchen, unsere Lebensqualität vorwiegend über materiellen Konsum zu steigern. Thomas Braunschweig
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Krisen
«Dieselbe Regel des selbstzerstörerischen Finanzkalküls beherrscht jeden Lebenslauf. Wir zerstören die Schönheit der Landschaft, weil die Pracht der Natur, da niemandes Eigentum, keinerlei ökonomischen Wert hat. Wir wären fähig, die Sonne und die Sterne abzuschalten, weil John Maynard Keynes sie keine Dividende ausschütten.»
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Die globale Krise
KRISEN
Olivier Longchamps _ Die Welt steckt in einer globalen Krise. Die 2007 ausgebrochene Finanzkrise hat sich zu einer Wirtschaftskrise ausgeweitet. Und mit ihr gehen eine Ernährungskrise, eine Energiekrise und eine Klimakrise einher. Ursache all dieser Probleme sind die Widersprüche unseres Wirtschaftsmodells, das auf fossilen Energien, intensiver Nutzung von Ressourcen und auf deren Zuteilung durch die Marktkräfte beruht.
Auf der internationalen Agenda steht die Wirtschaftskrise an oberster Stelle. Mit gutem Grund, denn zwischen dem letzten Quartal 2008 und Februar 2009 ist das weltweite Wirtschaftswachstum aufs Jahr hochgerechnet um 40 Prozent gesunken.1 Die Zahl der Arbeitslosen wiederum dürfte bis 2010 um 50 bis 100 Millionen, diejenige der Armen um bis zu 103 Millionen steigen.2 Die Rezession – die schwerste seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges – trifft die hochentwickelten Länder hart. Doch die Krise verschont die Länder des Südens nicht; dort drohen die Folgen sogar noch dramatischer auszufallen. Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sind Auslandinvestitionen in Entwicklungsländern im Vergleich zu 2008 bereits um 32 Prozent gesunken. Die 71 ärmsten Länder der Welt haben 25 Prozent weniger öffentliche Entwicklungshilfe erhalten. Parallel dazu sind die Importe dieser Länder gestiegen und die Exporte gesunken. Die Welternährungsorganisation FAO befürchtet «auch nach dem Abebben der weltweiten Rezession langfristig negative Folgen». Angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit und sinkender Einkommen verlegen sich die Menschen darauf, ihre einzigen Ressourcen – etwa ihr Vieh – zu verkaufen. Sie setzen auf Kredite oder schränken ihre Ausgaben für Gesun dheit und Bildung ein, was langfristig die negativen Folgen der Krise noch verstärken wird.
Von der Finanzkrise zur Wirtschaftskrise Ihren Anfang nahm die Finanzkrise im Sommer 2007. Damals brach der US-amerikanische Markt für risikobehaftete Immobilienkredite, soge-
nannte Subprimes, zusammen. Worum ging es? Die Finanzinstitute hatten ein hochkomplexes – und höchst profitables – Instrument gefunden, um im grossen Stil Hypothekarkredite an Haushalte mit niedrigem Einkommen zu vergeben und sich mit dem Verkauf dieser Schuldforderungen der damit verbundenen Risiken zu entledigen. Die Sache funktionierte – zumindest in der Theorie. Wer Glück hatte, baute sich ein Haus und verkaufte es zu einem Preis, der den Kredit samt Zinsen überstieg. Das führte in den USA zu einem nie da gewesenen Immobilienboom. 2006 waren 40 Prozent der Neuhypotheken Subprimes. Doch schliesslich platzte die Spekulationsblase: Da der wachsende Schuldendienst für Hypotheken die Mittel ihrer Schuldner überstieg, pfändeten immer mehr Kreditgeber die Häuser und verkauften sie. In der Folge brachen die Immobilienpreise ein. Niemand wollte mehr Subprimes. Doch indem Schulden verbrieft wurden, gelang es, die toxischen Hypothekarpapiere zu zerstückeln und unterschiedlichsten Finanzprodukten beizumischen. Niemand wusste, welche Wertpapiere vergiftet waren. Der Rest ist bekannt: Fonds, die in US-Immobilien investierten, wurden geschlossen, es folgte der Vertrauensverlust in die Finanzinstitute, die Bankund anschliessend die Börsenkrise. Als die Banken einander keine Kredite mehr gewährten und die Zinssätze stiegen, brach auch der Konsum der zunehmend zahlungsunfähigen amerikanischen Haushalte ein. Die Folge: Rückgang des Konsums, Rückgang der Investitionen, Rückgang der Verkäufe – der Kreis hatte sich geschlossen. Die Finanzkrise war in der Realwirtschaft angekommen, und die weltweite Rezession setzte ein.
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Von den Ursachen der Finanzkrise Die Subprime-Krise ist kein Einzelfall. Die Internetblase (2000 – 2002), die asiatische Währungs- und Finanzblase (1997), die japanische Finanzblase (1990) und – 1987 – der Zusammenbruch des amerikanischen Börsenmarkts gingen ihr voraus. Wiederholt sich ein Zwischenfall in immer kürzeren Intervallen, stellt sich die Frage nach den strukturellen Ursachen. Diese liegen in erster Linie im Modell des Finanzkapitalismus, das sich seit den 1970er-Jahren durchsetzen konnte: Deregulierung, Privatisierung und Liberali sierung. Seither sind nach und nach sämtliche Barrieren niedergerissen worden, welche die negativen sozialen Folgen heftiger Erschütterungen des Kapitalismus abfedern sollten. Profiteure der Entwicklung waren die Kapitaleigner. Anzeichen für die wachsende Diskrepanz zwischen der produktiven Wirtschaft und dem Finanzsektor gab es seit Langem: 1979 überstiegen die Börsentransaktionen das Volumen des internationalen Handels um das 6-fache, 1987 war es bereits das 20-fache. Richtig los ging es nach der Jahrtausendwende mit dem Boom der Finanzderivate. Diese wuchsen innerhalb weniger Jahre um das 150-fache: Weltweit überstieg ihr Gesamtvolumen Ende 2008 eine Million Milliarden Dollar. Dies ist gleichbedeutend mit der Weltproduktion von 20 Jahren.3 Wachsende Ungleichheit ist eine weitere Folge dieses Wirtschaftsmodells, das kurzfristigem Profit den Vorrang gibt und öffentliche Ausgaben oder Investitionen als Kostenfaktoren betrachtet, die es zu minimieren gilt. Dazu kommt das steigende Gewicht des Privatkonsums in der Wirtschaft. 2007 lag dessen Anteil am amerikanischen
BIP (Bruttoinlandprodukt) bei 70 Prozent. Dieser Konsum beruht indes weniger auf Einkommenssteigerungen als auf Verschuldung – ablesbar an der negativen Sparquote. Die negative Quote wiederum hängt weniger vom Konsumwachstum als vom relativen Sinken der Löhne ab – gemessen am Preis einiger Güter und Dienstleistungen (wie etwa Krankenkassenprämien oder Mieten). Mit der Einführung des neoliberalen Wirtschaftsmodells wurde der Staat zurückgebunden, und Reichtümer wurden von unten nach oben umverteilt. Dies stärkte die Vormachtstellung des Modells – garantierte es doch astronomische Profitraten im Finanzsektor. Anderseits wurde das Modell auch anfälliger, denn mit dem Verschwinden aller konjunkturellen Puffer und der zunehmenden Aufhebung der internationalen Handelsbarrieren wuchs das Risiko, dass aus einer lokalen Finanzkrise eine grosse Weltwirtschaftskrise würde. Und genau das ist eingetreten.
«Sie hungern, weil sie zu arm sind» – die Ernährungskrise Im Norden hat die Finanzkrise mit einem Schlag die Grenzen unseres Wirtschaftsmodells sichtbar gemacht. Die Länder des Südens leiden hingegen seit Langem unter den zerstörerischen Folgen des Systems, das auf dem intensiven Konsum von billiger Energie und natürlichen Ressourcen basiert und deren Zuteilung in erster Linie von der Logik der Finanzmärkte diktiert wird. Bereits die explosionsartige Zunahme des Anbaus von Agrotreibstoffen hatte eine Steigerung der Nahrungsmittelpreise bewirkt. Unerschwinglich aber wurden Lebensmittel für die ärmsten Bevölkerungen mit dem Zusammenbruch der Börsen und der darauf folgenden Spekulation auf Agrarrohstoffen. In Sri Lanka, wo der grosse Teil der Bevölkerung ihr Einkommen hauptsächlich zum Kauf von Nahrungsmitteln einsetzen muss, ist der Preis für eine Tonne Weizen zwischen Juni 2007 und Anfang 2008 von 400 auf 700 Dollar gestiegen. Und bis März 2009 ist er nur gerade auf 600 Dollar gesunken.4 Heute setzt die Weltwirtschaftskrise genau jenen Bevölkerungsgruppen zu, die sich am wenigsten vor Preisschwankungen schützen können – mit katastrophalen Folgen. Im Juni informierte die Welternährungsorganisation (FAO), dass «erstmals
1 Third World Network: Third World Economics: Trends & Analysis, Nr. 450, Juni 2009, S. 4. 2 UN-DESA: World Economic Situation and Prospects 2009. Update as of mid2009. 3 «Manière de voir». In: Le Monde diplomatique, Nr. 102, Dezember 2008/ Januar 2009, S. 41. 4 Alternatives économiques, Nr. 282, Juli/August 2009, S. 26.
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in der Geschichte des Planeten die Zahl der Hunger leidenden Menschen die Milliardengrenze überstiegen hat». Im Wesentlichen ist diese dramatische Zunahme nicht auf den Mangel an Nahrungsmitteln, sondern auf die Ungleichheit des Reichtums zurückzuführen. Für Olivier De Schutter, den UN-Sonderbeauftragten für das Recht auf Nahrung, «leidet weltweit eine Milliarde Menschen Hunger, weil sie zu arm sind» und «nicht, weil nicht genügend produziert wird, um sie zu ernähren».5 Mit der Wirtschaftskrise sind die Rohstoffpreise zwar gesunken. Doch nach dem allgemeinen Börsentief von 2008 ist kein Ende der Spekulation auf Agrarprodukte in Sicht. Gemäss den Berechnungen der Zeitschrift «Alternatives économiques» ist der Anteil der Nichthändler bei Transaktionen auf dem Mais-Markt zwischen 2005 und 2008 von 17 auf 43 Prozent und auf dem Weizen-Markt von 28 auf 42 Prozent gestiegen.6 Jüngste Form dieser Spekulation: Zahlreiche nördliche Finanzakteure kaufen oder pachten Ackerland im Süden.
Energie- und Klimakrise – ein Zwillingspaar
5 Le Temps, 2. Juli 2009, S. 11. 6 «Quand le Sud vend sa terre». In: Alternatives économiques, Nr. 281, Juni 2009, S. 38.
Zwischen März 2007 und Juli 2008 verdoppelte sich der Erdölpreis in den USA. Diese entfes selte Spekulation belastete das Einkommen der Haushalte und beschleunigte ohne Zweifel den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Sie widerspiegelt aber in erster Linie die starke Abhängigkeit unseres Wirtschaftsmodells vom intensiven Energieverbrauch, namentlich von Erdöl mit seinen
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zur Neige gehenden Vorräten. Heute liegt die Maximalförderung von Erdöl bei rund 85 Millionen Barrel pro Tag. Selbst Christophe de Margerie, CEO des Ölkonzerns Total, glaubt nicht an eine Förderleistung von über 100 Millionen Barrel, obwohl es im Jahr 2030 zur Deckung der Nachfrage 116 Millionen Barrel brauchen würde. Bei der Energiekrise kommen noch andere Faktoren zum Tragen. Inzwischen ist klar, dass der intensive Verbrauch von fossiler Energie in hohem Masse für die Klimaerwärmung verantwortlich ist. Und dies wirkt sich auf andere Bereiche aus: Die Zunahme der CO2-Emissionen beschleunigt die Klimaerwärmung, dies steigert die Trockenheit, was wiederum die Wasserkrise verstärkt und die Wetterkatastrophen vervielfacht. Und dadurch verschlimmert sich die Ernährungskrise. Auch hier sind die Länder des Südens als Erste betroffen. Gemäss der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) würde beispielsweise eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur um 2°C dazu führen, dass das Klima in Uganda nicht mehr geeignet wäre für den Kaffeeanbau; gerade dieser Wirtschaftssektor aber ist für das Land von höchster Bedeutung. Die von der ILO in den nächsten Jahren erwarteten 50 Millionen Klimaflüchtlinge zeigen das Ausmass der sozialen Folgen der Klimakrise.
Grüner Kapitalismus oder demokratischer Bruch? Wiederholen wir: Die Menschheit steckt in einer weltweiten Krise. Indem wir die Krisen und ihre Wechselwirkungen skizziert haben, fragen wir gleichzeitig, wie wir unser Wirtschaftsmodell gesamtheitlich reformieren können, ohne nur einen Teilsektor zu berücksichtigen. Es ist falsch zu glauben, die Krise unserer modernen Produktionsweise kündige deren «natürliches» Ende an. Der Kapitalismus hat sich schon oft als anpassungsfähiges System erwiesen. Auch ökologische Forderungen kann er bis zu einem gewissen Punkt absorbieren, wie das Beispiel des aufgekommenen CO2-Emissionshandels zeigt. Bedingung dafür ist, dass weder Profit noch Marktlogik in Frage gestellt werden. Aber das System funktioniert nur für diejenigen, die Zugang zum Markt haben. Sobald eine Person keine Ressourcen oder Mittel hat, etwas zu kaufen, werden seine Bedürfnisse ignoriert. Fair ist das nicht. Um die Zuteilung von Ressourcen (zur Deckung der Grundbedürfnisse) gerechter und demokratisch zu gestalten, müssen wir beharrlich an einem anderen Wirtschaftsmodell arbeiten. Ein Jahrhundertwerk – lassen wir uns nicht allzu lange Zeit, es anzupacken!
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Green NEW DEAL
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Grün ist die Hoffnung auf einen Politikwechsel
GREEN NEW DEAL
Oliver Classen_Ob in Parteiprogrammen, auf Youtube oder am Stammtisch: Der Green New Deal (GND) ist in aller Munde. So populär dieser Begriff inzwischen ist, so unterschiedlich wird er interpretiert und instrumentalisiert. Kein Wunder, steckt dahinter doch nichts Geringeres als die Suche nach einer politischen Weltrettungsformel, die echte Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit bringen soll.
Wer früher für den ökologisch-sozialen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft warb, propagiert heute einen Green New Deal. Am ausgiebigsten bedienen sich Europas grüne Parteien dieses schillernden Anglizismus, der erstmals anno 2000 im US-Nachrichtenmagazin «Time» auftauchte. Im April 2007 – also immer noch anderthalb Jahre vor dem eigentlichen Ausbruch der Krise – forderte Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman in der «New York Times» einen GND. Er skizzierte damit «ein grünes Amerika, das die Welt ins 21. Jahrhundert führen kann», und hielt fest: «Wer einer Idee einen Namen zu geben vermag, prägt auch ihren Inhalt und Impact.» Dieser Artikel popularisierte nicht nur eine neue Metapher für progressive Politik, sondern stellte zugleich auch die Frage nach deren Substanz und Wirkung. Erkannt und genutzt wurde das programmatische GND-Potenzial bezeichnenderweise zunächst von zivilgesellschaftlichen Kräften in Grossbritannien und den USA. Diese haben intellektuelle Vorarbeit geleistet und politisches Fleisch an den rhetorischen Knochen gebracht. Seit Frühling 2009 ist der ums Attribut «global» erweiterte Begriff fester Bestandteil des offiziellen Uno-Vokabulars und spätestens seitdem in sozialund christlichdemokratischen Wahlkampfreden präsent. Mit der Resonanz und Akzeptanz des GND als allgemeines Antikrisenrezept ist naturgemäss auch der Wasseranteil dieses ursprünglich hochprozentigen Gedankengebräus gestiegen. Ungeachtet aller Verharmlosungen und Verfälschungen gehts im Kern aber nach wie vor um einen gesell-
schaftlichen Wertewandel, der den – wie die Multikrise zeigt – national wie global existenziell notwendigen Politikwechsel vorantreiben soll. Als Projektionsfläche für Zukunftshoffnungen hat sich der GND schon bewährt. Ob das von ganz links bis halb rechts zitierte Generalkonzept, wie sein Vorbild in den krisengeschüttelten USA der 30er-Jahre, auch zur Epochenchiffre des frühen 21. Jahrhunderts wird, bleibt abzuwarten. Zu wünschen ist es dem GND – denn das würde bedeuten, dass er tatsächlich Wirkung entfaltet.
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Fast eine kleine Revolution:
Roosevelts New Deal Andreas Missbach _ Bereits
als nominierter Präsidentschaftskandidat versprach Franklin D. Roosevelt mitten in der grossen Depression «die Karten neu zu verteilen» («a new deal for the American people»). Und er hielt sein Versprechen: Der New Deal half die Krise zu überwinden und legte die Grundlagen für die Mittelschichtsgesellschaft der Nachkriegszeit.
Als Roosevelt 1933 an die Macht kam, lag die USamerikanische Wirtschaft am Boden. Die Indus trieproduktion hatte sich seit dem Börsencrash von 1929 halbiert. Ungefähr ein Viertel der Arbeitskräfte hatte keinen Job – genaue Angaben existieren nicht, da die Arbeitslosigkeit noch nicht statistisch erfasst wurde. Wie heute waren dem Crash Boomjahre mit massloser Verschuldung und enthemmter Spekulation vorausgegangen.
Stimulierungs- und Transformationsprogramm Der New Deal zielte direkt auf die Ursachen der Krise. Roosevelt führte die Überwachung der Börsen ein und trennte per Gesetz das spekulative Investmentbanking vom gewöhnlichen Bankgeschäft mit Privat- und Firmenkunden. Dieses System der Trennung wurde nach jahrelangem Lobbying der Finanzbranche 1999 unter Bill Clinton aufgehoben – mit verheerenden Folgen, wie die Finanzkrise zeigt. Um die Wirtschaft anzukurbeln und um gegen die Arbeitslosigkeit vorzugehen, investierte der Staat massiv in die öffentliche Infrastruktur: Der New Deal hinterliess 122 000 öffentliche Gebäude, 1 Million Kilometer Strassen, 40 000 Schulen, 8000 Schwimmbäder und über 2 Millionen öffentliche Toiletten. Zeitweise beschäftigte der Staat so direkt mehrere Millionen Menschen. Der New Deal beinhaltete auch grundlegende Reformen. Roosevelt schuf ein progressives Steuersystem mit niedrigen Sätzen für Arme und hohen Sätzen für Reiche. Gewerkschaften wurden gestärkt und gefördert sowie eine staatliche Rente und eine Arbeitslosenversicherung eingeführt.
Umkämpfte Interpretation Die Wirkung des New Deal ist bis heute umstritten. Dies ist auch mit der Opposition konservativer Republikaner zu erklären, die schon immer gegen die Rolle des Staates beim Schutz der sozial Schwachen, bei der Kontrolle und Lenkung der Wirtschaft sowie gegen die Umverteilung durch Steuern gekämpft haben. Als 1937 die Staatsausgaben reduziert wurden, um die Verschuldung zu begrenzen, führte dies prompt zu einem erneuten Aufflammen der Depression. Definitiv besiegt war die Arbeitslosigkeit erst mit dem Beginn der Kriegswirtschaft in den 40er-Jahren. Es ist hingegen unbestritten, dass der New Deal Millionen von Menschen Hoffnung gab und sie aus der bitteren Armut führte. Ebenso klar ist, dass die staatliche Regulierung und ein ausgebauter Sozialstaat den Nachkriegsaufschwung entscheidend prägten. Dieser brachte für die Mehrheit der Bevölkerung zum ersten Mal Wohlstand – mit Ausnahme der Schwarzen, die weiterhin ausgegrenzt blieben. Die Steuerreformen des New Deal wirkten lange nach; verfügte die reichste Elite (0,1 Prozent der Bevölkerung) 1929 über mehr als 20 Prozent der Vermögen, waren es Mitte der 50er-Jahre nur noch 10 Prozent. Der New Deal sorgte in den USA durch die progressive Besteuerung von Einkommen, Erbschaften und Unternehmensgewinnen für mehr Ausgleich.
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Die Konzepte des Green New Deal:
Des Rätsels Lösung? Roland Fischer_Die
Krise als Chance? Das Credo klingt derzeit reichlich abgedroschen, geradezu zynisch. Doch genau darauf hofft eine Reihe von politischen und wirtschaftlichen Vordenkern. Dabei ignorieren sie die Probleme nicht, mit denen sich die Welt konfrontiert sieht, im Gegenteil, sie umarmen sie regelrecht. Sie verstehen die diversen Krisenherde als Aufforderung, entschieden Gegensteuer zu geben. Und das Ausmass der Misere als Gelegenheit, dies nicht auf die herkömmliche, kurzsichtige Weise zu tun.
Den Anstoss zum grossen Notfallplan für die Welt lieferte die Wirtschaft. Als klar wurde, dass diese im grössten Schlamassel seit 80 Jahren steckt, begann man sich nach Rettungsszenarien umzusehen, und fand historische Vorbilder: Mit dem New Deal hatte Präsident Roosevelt Mitte der 30er-Jahre die serbelnde US-Wirtschaft wieder zum Laufen gebracht. Also lag es auf der Hand: Ein neuer New Deal musste her. Nur diesmal durfte der Fokus nicht allein auf der weltweiten Rezession und ihren Auswirkungen liegen. Der staatliche Kraftakt soll auch gleich noch ein Ausweg aus den anderen schwelenden Krisen aufzeigen. Ein Green New Deal also. Das erste Mal erwähnt wurde die Idee eines aktualisierten New Deal Anfang 2007. Entscheidend an Fahrt gewann sie aber erst, als sich unter dem Namen Green New Deal Group (GND Group) ein illustres britisches Expertenteam aus Öko nomie, Politik, Journalismus und Nichtregierungsorganisationen (NGO) formierte. Mitte 2008 veröffentlichte die Gruppe einen Bericht, der Aufmerksamkeit über Wirtschaftskreise hinaus erregte. Seither geistert der Begriff Green New Deal durch Medien und politische Wahlprogramme, Barack Obama und verschiedenste NGO haben ihn sich auf die Fahne geschrieben. Und auch die Grünen nennen das Zauberwort bei jeder Gelegenheit. Doch was genau verbirgt sich dahinter?
Das Grundkonzept des Green New Deal Die Wirtschaft ist schwer angeschlagen, sie ruft selbst nach dem Staat, um wieder auf die Beine zu kommen. Das kann man beklagen und für charakterlos halten. Man kann es aber auch be-
grüssen, denn es bietet dem demokratischen Gemeinwesen – also uns allen – lange nicht da gewesene Möglichkeiten zur Einmischung. Indem Staatshilfe an Bedingungen (oder richtig gesetzte Anreize) geknüpft wird, argumentieren die Befürworter eines GND, kann man nicht nur dafür sorgen, dass sich eine solche Krise nicht wiederholt, sondern im gleichen Zug die ökologischen Gefahren entschärfen, denen sich die Welt gegenübersieht. Zwei Fliegen mit einer Klappe also, und entsprechend schlagen die britischen Experten auch eine Doppelstrategie vor: So fordern sie die Neuordnung des Finanzsystems. Strengere Regulierungen sollen dafür sorgen, dass der Finanzsektor wieder «zum Diener, nicht Meister der Weltwirtschaft» wird, wie es im Bericht heisst. Dazu schlägt die Gruppe eine ganze Reihe von Massnahmen auf nationaler und internationaler Ebene vor. Grossbanken sollen aufgebrochen und zu kleineren Instituten umgruppiert werden – die Initianten wollen keine Finanzakteure mehr sehen, die «zu gross, um zu scheitern» sind und bei der Rettung Unmengen von Steuergeldern verschlingen. Die Kontrolle des Kapitalflusses soll zudem viel rigoroser werden, und auch bei den Zinssätzen sollen die Regierungen stärker mitreden können. Schliesslich sollen all die «exotischen Finanzprodukte» wie Derivate, die in den letzten Jahrzehnten einen ungeahnten Boom erlebt haben, einer strengen Überprüfung unterzogen werden. Mithilfe dieser Richtlinien sollen in Zukunft auch ökologisch nicht nachhaltige Spekulationen verhindert werden. Kurz: Geldvermehrung ist
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nichts Verkehrtes, aber sie soll in Zukunft Rücksicht nehmen auf ökonomische Stabilität, soziale Gerechtigkeit und die Umwelt. Zum eigentlichen «Green» Deal wird die Neuordnung des Finanzsystems indessen durch den zweiten Teil der Strategie. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, muss der Staat Geld einschiessen. Hier sind die Möglichkeiten zur Einflussnahme am grössten, und entsprechend klar ist auch die Kernforderung der GND-Gruppe: Keine Unterstützung jener Industrien, die uns in die Klima misere geführt haben. Mit den Konjunkturprogrammen sollen vielmehr gezielt Wirtschaftszweige gefördert werden, die Auswege aus der fossilen Gesellschaft eröffnen. Das soll durch direkte Finanzspritzen (beispielsweise für Energieeffizienz-Massnahmen) erreicht werden sowie indirekt, indem die Treibstoffpreise stark erhöht werden. Die GND-Gruppe spricht von einem «Krieg gegen den Klimawandel», der gerade durch die nötigen Restriktionen ähnliche Energien freisetzen könnte wie die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Längerfristig sollen so Volkswirtschaften entstehen, die, statt sich auf die Steigerung des privaten Konsums zu stützen, mit gezielten Investitionen selber zum Motor der notwendigen ökologischen Umwälzung werden.
Der GND: nur grüne Konjunkturpolitik? Gegen diese zentrale Forderung wird wohl nur die Erdöl- und Autolobby opponieren, doch so schlüssig der GND-Plan klingt: Ein Dogma bleibt unhinterfragt. Ziel des Green New Deal ist letztlich, den Wirtschaftsmotor wieder zu beschleunigen. Darin unterscheidet sich das Alternativkonzept nicht von gängiger Konjunkturpolitik. Eine gesunde Wirtschaft ist eine wachsende – auch für die britischen GND-Pioniere. Ob wir das Klimaproblem wirklich in den Griff bekommen, ohne diesen heiss laufenden Motor zu bremsen – an diese Gretchenfrage der Krisenproblematik trauen sich die Autoren des Berichtes nicht heran. Stattdessen verbreiten sie Optimismus, indem sie mitunter etwas gar grob vereinfachen, zum Beispiel, wenn sie behaupten, dass die Kreditblase, die der Wirtschaftskrise zugrunde lag, hauptverantwortlich dafür gewesen sei, dass wir auch in Umweltbelangen «über unsere Verhältnisse» gelebt haben: Weil wir Konsumenten so leicht an Geld gekommen seien, hätten wir so grosse Autos gefahren und so grosse Häuser gebaut. Dieser Logik folgend bekäme man, wenn man den frivolen Machenschaften der Banker und Börsianer
Grenzen setzen würde, fast automatisch auch alle Umweltprobleme in den Griff. Doch in eine Klimakrise sind wir nicht nur geraten, weil wir auf zu grossem Fuss leben, sondern vor allem, weil der Wirtschaftsmotor mit fossiler Energie angetrieben wird. Und zwar weltweit. Vonnöten ist ein entsprechend radikaler Umbau der Weltwirtschaft. Dafür plädieren auch die Experten der GND-Gruppe – wenn auch vor allem aus einem anderen Grund: Vieles deutet darauf hin, dass die Ölvorräte nicht mehr lange vorhalten. Deshalb spricht der Bericht zu Recht von drei eng miteinander verzahnten Notständen, die uns zum Handeln zwingen: die Wirtschafts-, die Klima- und die sich anbahnende Ölkrise. Alle drei sind eng miteinander verwoben, also muss das für die Lösungsansätze auch gelten. Obwohl er diese Interdependenzen aufzeigt, beschränkt sich der GND im Wesentlichen auf einen ökonomischen Schlachtplan für Grossbritannien. Die globale Perspektive wird genauso ausgeklammert wie soziale Aspekte und Verteilungsfragen: Müssen alle Staaten gleich stark zu-
Worauf wir uns beziehen: «A Green New Deal», herausgegeben von der Green New Deal Group, erschienen im Juli 2008, 44 Seiten, Englisch Gratisdownload auf www.greennewdealgroup.org «Global Green New Deal – Policy Brief», herausgegeben von der UNEP (Umweltprogramm der Vereinten Nationen), erschienen im April 2009, 29 Seiten, Englisch Gratisdownload auf www.unep.org/publications
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rückstecken, oder haben die Entwicklungsländer ein moralisches Recht, in Sachen Klimaschuld zu den Industrienationen aufzuschliessen? Darf ihr ökologischer Fussabdruck noch wachsen, während unserer schrumpft?
Die Weiterentwicklung: Global Green New Deal Diesen Fragen nähert sich dafür ein anderer Report, den die Umweltbehörde der Vereinten Nationen (UNEP) im März dieses Jahres vorgelegt hat. Er trägt die Fokuserweiterung schon im Titel «Global Green New Deal». Die Ausgangslage erscheint hier noch etwas düsterer. Zu den drei Krisenkomplexen, welche die GND-Gruppe behandelt, kommen nun noch zwei weitere, die ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle aufweisen: Die Welt (vor allem die Entwicklungsländer) wird in den nächsten Jahren auch vermehrt mit Nahrungsmittel- und Wasserknappheit konfrontiert. Auch der UN-Bericht stellt all diese Krisen in einen grösseren Zusammenhang: Gemeinsamer Nenner sei eine «krasse Fehlleitung von Kapital». Viel Geld sei in Immobilien, fossile Energie und ausgefeilte Finanzinstrumente geflossen, wenig hingegen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz, öffentlichen Transport, nachhaltige Landwirtschaft und Wasserschutz. Wichtigstes Ziel ist aber auch hier, den Wirtschaftsmotor wieder anzuwerfen und ihn auf eine ökologisch nachhaltige Fahrt zu schicken.
Im Fokus: Entwicklungsländer Dazu kommt noch eine dritte Orientierungsmarke: Die Armutsbekämpfung als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für globale Nachhaltigkeit. Wie diese allerdings genau aussehen könnte, bleibt im Bericht vage. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass ein fairer und gerechter Global Green New Deal spezielle Unterstützung für arme Länder beinhalten muss. Der UN-Bericht schlägt ähnliche Massnahmen vor wie die GND-Gruppe. Dazu kommen Anre gungen, was auf internationaler Ebene passieren müsste – von Handelserleichterungen über die Ausweitung des CO2-Zertifikathandels bis zur Schaffung von Technologietransferbörsen. Einen wichtigen Aspekt stellt auch die Eliminierung «perverser» Subventionen in Industrieländern dar, vor allem im Bereich Landwirtschaft und Erdölförderung. Auch das zweite Standbein – «kluge» Konjunkturpakete zu schnüren – kennen wir schon von der GND-Gruppe. Beim Global Green New Deal wird indessen, wenn den früheren «falschen» Investitionen und Anreizen nun bessere gegen-
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übergestellt werden, nicht allein auf die Klimaverträglichkeit Wert gelegt. Es werden auch beträchtliche Investitionen gefordert, um weltweit eine nachhaltige Land- und Wasserwirtschaft zu ermöglichen, und diese sollen vor allem Entwicklungsländern zugute kommen. So soll global auf eine biologische Landwirtschaft hingewirkt werden, oder zumindest auf eine, die möglichst wenig negative Effekte auf Böden und Klima hat. Der Umgang mit Wasser soll effizienter werden, Verschmutzungen sollen verhindert, Leitungsverluste minimiert werden. Das alles kostet allerdings viel Geld – auf die Frage, wer diese Investitionen tätigen soll, hat der Bericht keine klare Antwort. Auch den UN-Bericht zeichnet ein weitgehend technischer Ansatz aus. Systemfragen, die über die Finanzmärkte hinausgehen, wirft er nicht auf. Es geht also auch hier vornehmlich um die akuten und nicht um die schleichenden sozialen Krisen, die schon lange einer Lösung harren. Immerhin fordert der Bericht ausdrücklich, dass gerade in Zeiten einer globalen Wirtschaftskrise die Gelder für Entwicklungshilfe auf keinen Fall zurückgehen dürfen. Sie seien im Gegenteil nach Möglichkeit aufzustocken und in den Aufbau nachhaltiger Infrastruktur zu lenken. So wäre es laut dem Bericht wünschenswert, einen Teil der Gelder aus den Konjunkturpaketen der Wirtschaftsgrossmächte nicht in die eigenen Ökonomien zu stecken, sondern in Entwicklungsländer fliessen zu lassen, um dort nachhaltige Landwirtschaftsstrukturen aufzubauen. Die UNEP ist sich allerdings selbst im Klaren, dass einige Forderungen kaum Platz haben auf den politischen Agenden, die in den wichtigen Gremien derzeit geschrieben werden. Deshalb wirft der Bericht zum Schluss die Frage auf, wer eine solche «neue Weltordnung» steuern könnte. Eine neue UN-Behörde? Eine unabhängige, supranationale Organisation? Die UNEP vertraut darauf, dass die ökonomischen Schwergewichte mit gutem Beispiel vorangehen und die «Begrünung» der Weltwirtschaft beispielsweise an den Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) zum zentralen Thema wird. Erste Schritte haben die Wirtschaftsmächte tatsächlich schon unternommen. Nach radikalem Umbau der Weltwirtschaft sieht, was bislang beschlossen worden ist, allerdings nicht aus.
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«Für ideologische Grabenkämpfe haben wir keine Zeit mehr» Krise hin, Konjunktur her: Radikale politische Entwürfe wie der Green New Deal (GND) provozieren immer Wertedebatten und stellen Glaubensfragen. Vieles dreht sich dabei um Ideen und Folgen von Wirtschaftswachstum – auch im Grundsatzgespräch von Oliver Classen mit Andreas Missbach.
von uns gefordert – ökonomisch weiter entwickeln, wächst auch ihr ökologischer Fussabdruck. Das ist das neue Dilemma der Entwicklungspolitik.
OC: Nach Lehrbuch verfolgt der Green New Deal das Doppelziel der Bewältigung von Wirtschaftsund Klimakrise. Andreas, wo bleibt da der für die EvB-Arbeit elementare Aspekt der globalen Gerechtigkeit? AM: Im Konzept des Green New Deal verschmelzen Ökonomie und Ökologie zu einem neuen Ganzen, das nicht nur unser aller Überleben, sondern auch mehr Gerechtigkeit ermöglichen soll. Die Klimakrise ist nämlich auch eine Gerechtigkeitskrise. Die Menschen in Entwicklungsländern hängen viel stärker von funktionierenden Ökosystemen ab als wir, dort sind deshalb schon heute die ersten Opfer des Klimawandels zu beklagen. Eine substanzielle Reduktion der Treibhausgase, die ja vor allem in den Industrieländern stattfinden muss, hätte also einen direkten Gerechtigkeitseffekt im Süden.
Wenn sich die von Wirtschafts- wie Klimakrise besonders hart getroffenen armen Länder aber – wie
In den Ländern des Südens geht es um die Deckung einer ganzen Reihe von Grundbedürfnissen – von ausreichender Nahrung über Gesundheit bis zu Bildung. Unsere Hauptaufgabe im Norden ist es zunächst einmal, im globalen CO2-Budget dafür Platz zu schaffen, denn ohne steigende Emissionen im Süden bleiben diese Ziele tatsächlich illusionär. In der Uno-Klimakonvention wird deshalb explizit auf die «gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung» aller Staaten und die zu erbringenden Vorleistungen der Industrieländer hingewiesen. Allerdings haben die Industrieländer seit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls ihre Verantwortung nicht wahrgenommen.
Trotzdem: Gewisse Grundannahmen bleiben im Green New Deal unhinterfragt, zum Beispiel die Doktrin des Wirtschaftswachstums. Politische Nebelbegriffe wie «nachhaltiges Wachstum» verschleiern letztlich doch nur den spätestens mit der Klimakrise offen ausgebrochenen Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie. Solange die Wirtschaft wächst, schrumpft die Natur: Alles andere ist Wunschdenken. Moment, so einfach ist das nicht. Richtig ist, dass die Zunahme des privaten Konsums in den letzten Jahren Hauptmotor der weltwirtschaftlichen Entwicklung war. Grob verkürzt: Ohne den Konsum auf Pump der US-Bevölkerung und dessen Finanzierung durch Chinas Exportwirtschaft hätte es keine so schnelle und umfassende Globalisierung gegeben. Das hat aber nur funktioniert,
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Entscheidend ist nicht die Frage des Wirtschaftswachstums, sondern des Energie- und Ressourcenverbrauchs – der muss runter.
weil der Anteil des Binnenkonsums am chinesischen Bruttoinlandprodukt gerade mal 30 Prozent beträgt. In den USA waren es vor dem aktuellen Crash über 70 Prozent. Im Vergleich dazu ist China eine Kriegswirtschaft...
... allerdings mit einer sprunghaft wachsenden Mittelschicht. Und dieser neue Mittelstand hat ähnliche Ansprüche wie seine amerikanischen und europäischen Vorbilder. Keine guten Vorzeichen für weniger Rohstoffverbrauch und mehr Klimaschutz. Pro Kopf der Bevölkerung gerechnet ist China gerade mal so «reich» wie Albanien. Auch die Pro-Kopf-Emissionen sind im Vergleich noch deutlich geringer. Es kann nicht sein, China und anderen Ländern jegliches Wachstum zu verbieten. Diese Entwicklung muss aber unbedingt auf möglichst ressourcenleichte, das Klima schonende und sozialverträgliche Weise geschehen. Genau dafür braucht es einen Green New Deal. Doch zurück zur Wachstumsfrage. Bisher war wirtschaftliches Wachstum tatsächlich an die Zunahme des Rohstoffverbrauchs, die Verbrennung fossiler Energieträger und damit an Emissionen gekoppelt. Das muss aber nicht so bleiben. Entscheidend ist nicht die Frage des Wirtschaftswachstums, sondern des Energie- und Ressourcenverbrauchs – der muss runter. Die Hauptherausforderung des GND besteht darin, in den entwickelten Ländern bis 2050 eine 80-prozentige Reduktion des CO2-Ausstosses herbeizuführen. Wie dieses Ziel mit einem Null- oder gar Negativwachstum erreicht werden soll, ist mir schleierhaft, denn wirtschaftliche Stagnation bedeutet ein Einfrieren auf dem heutigen Niveau der Ressourcen- und Energieverschleuderung. Und das kann ja niemand ernsthaft wollen. Und bevor du mir wieder ins Wort fällst, noch ein Beispiel für eine der vielen Chancen für wirk-
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lich nachhaltiges Wachstum, die der GND bietet. Schon mit den heute verfügbaren Technologien liesse sich der Energieverbrauch im Gebäude bereich, der fast die Hälfte unseres Gesamtenergiehaushaltes frisst, um 80 Prozent reduzieren. Dazu müssten ganze Stadtteile entweder planiert und nach Minergie-Standard neu gebaut oder aber grundsaniert werden. Es gibt also Wachstum, das zu weniger Ressourcenverbrauch führt.
Mag sein, aber viele kritische Zeitgenossen wollen jetzt die politische Notbremse ziehen. Ist die Wachstumsdoktrin nicht primär ein sozialpsychologisches Problem? Eine Kernkompetenz des Kapitalismus ist schliesslich die Schaffung von Bedürfnissen, wo keine sind. Warum blendet der GND diese Dimension aus? Weil Verzichtsforderungen nicht mehrheitsfähig sind? Aus der in Krisenzeiten boomenden Glücksforschung wissen wir: Wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind, bringt mehr materieller Wohlstand – und damit Ressourcenverbrauch – nicht mehr Wohlbefinden. Wirtschaftswachstum ist deshalb ein unsinniger Indikator fürs Wohlergehen einzelner Menschen oder ganzer Länder. Genauso sinnlos ist aber seine Verteufelung. Für solche ideologischen Grabenkämpfe haben wir schlicht keine Zeit mehr. Was wir brauchen, ist ein anderes, wirklich nachhaltiges Produktions- und Konsummodell; als politisches Programm, aber auch ganz lebenspraktisch. Ein ganz banaler, in der Summe aber substanzieller Alltagsbeitrag wäre etwa der Ressourcen sparende Einkauf auf dem Wochenmarkt statt im Supermarkt.
Kürzere Wege, keine Verpackung, mehr Bio: Das tönt einleuchtend, wird bei Coop und Migros aber kaum auf Begeisterung, geschweige denn Unterstützung stossen. Klar, auch dazu bräuchte es gezielte staatliche Eingriffe. Aber wenn wir den dafür nötigen Mentalitätswechsel bei der Konsumentin, aber auch beim Wähler nicht für möglich halten, bleibt uns nur noch die Flucht in den Zynismus oder das Warten auf eine Ökodiktatur.
Heisst das, du hältst einen GND für demokratisch durchsetzbar? Die Umsetzung einer solch umfassenden Umorientierung setzt politische Kämpfe auf allen Ebenen voraus. Eine Alternative zum demokratischen Prozess gibt es dafür nicht. Ich vertraue auf die Reife unseres politischen Systems, die Mobilisierbarkeit kritischer Menschen und die Tatsache, dass der Handlungsdruck weiter steigen wird.
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Eine zündende Idee – mit einigen Fragezeichen die Welt eine Bank, hättet ihr sie längst gerettet», hängte Greenpeace in Deutschland an die Fassade einer Skandalbank. Das Projekt Green New Deal (GND) will die Krise nutzen, um die Wirtschaft nachhaltig umzukrempeln. Die EvB findet bei der Auseinandersetzung mit diesen Ideen Anknüpfungspunkte wie Leerstellen.
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Andreas Missbach _ «Wäre
Die ersten Überlegungen für einen Green New Deal stammen aus dem internationalen Umfeld der Erklärung von Bern. Eine Mehrheit der Mitglieder der britischen Green-New-Deal-Gruppe sind mit Organisationen verbunden, mit denen wir schon für das Public Eye in Davos zusammenarbeiteten. Eine der wichtigsten Stimmen für einen GND in Deutschland ist ein alter Mitstreiter der EvB aus den ersten Tagen des internationalen Tax Justice Network. Die Idee, die Bewältigung der Wirtschaftskrise mit dem Umbau Richtung klimafreundliche Wirtschaft und Reformen für mehr Gerechtigkeit zu verbinden, mobilisiert. Dies zeigte sich in Britannien, als sich unter dem Banner «Green New Deal» ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Umweltund Entwicklungsorganisationen auf gemeinsame Forderungen einigte (www.putpeoplefirst.org.uk). Der Grund für diesen Erfolg liegt auf der Hand: Der GND ist keine ausgearbeitete Blaupause für eine andere Welt, sondern eher ein Set von Ideen und Überzeugungen, die je nach Standpunkt anders eingefärbt werden. Die Autoren und Autorinnen des Uno-Umweltprogramms packten beispielsweise eine gehörige Portion Realismus in ihren Bericht – Machtfragen werden dort so konsequent ausgeblendet, dass dies nur mit der jahrelang erfahrenen Machtlosigkeit einer kleinen UnoOrganisation erklärt werden kann. Auch die EvB hat nicht den Anspruch, ein einsatzbereites Programm für einen Green New Deal vorzulegen. In der Auseinandersetzung mit dem GND hat sich einerseits gezeigt, dass sich einzelne Arbeitsfelder der EvB wie die Ernährungssicherheit oder die Steuergerechtigkeit fast
nahtlos in die Reformüberlegungen einfügen lassen. Anderseits gibt es bei der konkreten Umsetzung eines GND im Süden und bei der Rolle und Regulierung des Welthandels – zentrale Themen für die EvB – grosse Lücken. Im folgenden Teil beleuchten wir mit dem EvB-Scheinwerfer diese Aspekte. Die Auswahl entspricht einigen unserer Arbeitsschwerpunkte. Wie die ersten Initianten und Initiantinnen des Green New Deal haben auch wir den Mut zur Lücke.
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Eine andere Landwirtschaft ist notwendig François Meienberg _ Weiterzumachen wie bisher, ist bei der Bewältigung der Ernährungskrise keine Option. Ein neuer Weltagrarbericht, auf den auch der Green New Deal (GND) Bezug nimmt, zeigt die notwendigen Veränderungen auf. Die Erklärung von Bern unterstützt die Zielsetzung des Berichtes mit eigenen Aktivitäten.
Vor wenigen Monaten publizierte die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO) die neue Rekordzahl: 1 020 000 000 Menschen werden bis Ende Jahr nicht genug zu essen haben. Neu ist diese Krise nicht, denn seit Jahren pendeln die Zahlen zwischen 800 und 900 Millionen Menschen. Doch sie hat sich in den letzten zwei Jahren nochmals verschärft – und dies, obwohl sich beim Welternährungsgipfel 1996 in Rom 186 Staaten das Ziel setzten, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Die Politik hat bislang versagt. Die Bewältigung der Ernährungskrise wird in den meisten Institutionen als reine Geldfrage angesehen. Doch Geld allein wird nicht ausreichen. Es braucht strukturelle Änderungen, die über simple Produktionssteigerungen hinausgehen. Produziert wird heute bereits genug – nur haben die Hungernden keinen Zugang dazu.
Der Weltagrarbericht In einem bisher einmaligen Ansatz haben sich unter der Schirmherrschaft von sechs UN-Organisationen 400 Wissenschaftler und Wissenschaft lerinnen zusammengetan und im Austausch mit Regierungen, Zivilgesellschaft und der Industrie einen Bericht verfasst (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development – IAASTD). Vor der Publikation im Jahr 2008 stiegen Agrokonzerne wie Syngenta aus, weil sie mit den Resultaten nicht einverstanden waren. Kein Wunder, denn die Experten sprechen eine klare Sprache: «Die Art und Weise, wie wir unsere Lebensmittel anbauen, muss radikal geändert werden. Nur so können wir den Armen und Hungernden besser dienen und sind der Herausfor-
derung des Bevölkerungswachstums und des Klimawandels gewachsen, ohne dabei gleichzeitig eine soziale Misere und einen Umweltkollaps heraufzubeschwören.» Der Bericht enthält folgende Kernaussagen: – Nicht die Steigerung der Produktivität um jeden Preis, sondern die reale Verfügbarkeit von Lebensmitteln und deren Produktionsmitteln vor Ort ist bei der Bekämpfung des Hungers entscheidend. – Kleinbäuerliche Strukturen sind die besten Garanten lokaler Ernährungssicherheit (85 % der weltweit bewirtschafteten Bauernhöfe sind kleiner als 2 Hektaren). Ihre Multifunktionalität (ökologische und soziale Leistungen) gilt es anzuerkennen und gezielt zu fördern. – Die Umteilung von Anbauflächen für Lebensmittel in Treibstoffflächen ist nicht vertretbar. – Geistige Eigentumsrechte auf Saatgut können die Forschung wie auch die Bauernrechte negativ beeinflussen. – Der Biolandbau soll gestärkt werden. Die Erkenntnisse des Weltagrarberichts finden auch Eingang in das Konzept des Global Green New Deal. Die EvB unterstützt das. Sie arbeitet seit Jahren in dieselbe Richtung, sei es mit der Arbeit gegen Patente auf Nutzpflanzen, mit der Kampagne gegen das Syngenta-Herbizid Paraquat oder mit der Dokumentation zu Agrotreibstoffen. Der Weltagrarbericht zeigt klar auf, dass, selbst wenn diese Projekte nicht direkt den Hungernden helfen sie notwendig sind, um einer Landwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen, welche die Menschheit langfristig ernähren kann.
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Mit Steuern steuern M i s s b a c h _ Zur Finanzierung seiner Beschäftigungsprogramme und seiner Sozialpolitik erhöhte Präsident Roosevelt in den 30er-Jahren die Steuern der reichsten US-Bürger und -Bürgerinnen markant. Progressive Steuern und der Kampf gegen Steueroasen sind auch für einen Green New Deal zentral: zur Finanzierung des Umbaus und für mehr Gerechtigkeit.
Andreas
Der New Deal veränderte die US-Gesellschaft entscheidend: Mittels Steuern kam es zu einer massiven Umverteilung von oben nach unten, ohne dass die privaten Eigentumsverhältnisse grund legend angetastet wurden. Roosevelt ging auch gegen die Steuerhinterziehung vor. Banktresore wurden versiegelt und durften erst im Beisein eines Vertreters des Internal Revenue Service (IRS), der US-Steuerbehörde, geöffnet werden. Roosevelt, selbst ein Mitglied der Elite, galt deshalb als Verräter seiner Klasse.
Den grünen Umbau finanzieren Nach Berechnungen der internationalen Energie-Agentur braucht es schon für eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2050 Investitionen in der Höhe von 50 000 Milliarden Franken. Das Geld dafür muss nicht unbedingt vom Staat stammen, aber ohne staatliche Förder- und Anschubprogramme werden sich zum jetzigen Zeitpunkt alternative Energien noch nicht durchsetzen können. Auch für einen Green New Deal ist es also notwendig, Steuerreformen für mehr Einnahmen durchzusetzen. Steuern können einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklungsfinanzierung und Armutsbekämpfung leisten (siehe EvB-Dokumentation von November 2008). Schliesslich sind ökologische Steuerreformen ein gutes Mittel, um die Ressourcen- und Energieverschleuderung finanziell unattraktiv zu machen. Die Finanzkrise bietet zudem neue Argumente für mehr Steuergerechtigkeit und eine stärkere Besteuerung der Reichen. In den USA wuchsen die verfügbaren Einkommen des reichsten Pro-
zents der Bevölkerung von 1979 bis 2005 um 200 Prozent, dies zu einem guten Teil dank Steuergeschenken. Untere und mittlere Einkommen nahmen nur unbedeutend zu – ähnlich wie in der Schweiz, wobei hier die Vermögen noch ungleicher verteilt sind als in den USA. Die Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner kritisierte und widersetzte sich der wachsenden Ungleichheit nicht, weil ihr «gefühlter Reichtum» durch die Verschuldung erhöht worden war. In Steueroasen parkiert und in Hedge-Funds angelegt, trugen die Vermögen der Reichen aber ebenso zur Destabilisierung des Systems bei wie die übermässige Verschuldung der breiten Bevölkerung. Mit einer progressiven Besteuerung von grossen Einkommen, Vermögen und Erbschaften könnten gewissermassen die Chips aus dem globalen Finanzkasino genommen und einem sinnvollen Zweck zugeführt werden.
Ein Finanzplatz hat ausgedient Die EvB kritisiert seit Langem, dass sich die Schweizer Banken auf die Beihilfe zur Steuerhinterziehung von Reichen aus aller Welt spezialisiert haben. Regierungen, die stärker in die Wirtschaft eingreifen wollen oder müssen, tolerieren Steuerhinterziehung nicht länger. Es kann also niemanden ernsthaft überraschen, dass der Finanzplatz gerade jetzt unter Druck kommt. Ein Ende der Förderung der Steuerflucht ist nun in Sichtweite. Aber von Banken, die innovative Modelle zur Finanzierung ressourcenschonender und energiesparender Produkte und Produktionsprozesse anbieten, sind wir noch weit entfernt.
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Handlungsbedarf in der Handelspolitik Thomas Braunschweig_Der
Green New Deal (GND) verlangt eine starke Regulierung der Finanzmärkte. Aus Sicht der EvB muss sich diese Einsicht auch bezüglich der bi- und multilateralen Handelsabkommen durchsetzen, die nach wie vor Deregulierungsforderungen enthalten. In solchen Abkommen muss dem Süden zudem mehr politischer Handlungsspielraum zugestanden werden.
Hauptursache der aktuellen Finanzkrise und der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise ist der de regulierte Finanzsektor. Dieser setzte falsche Anreize, was zu gravierenden Fehlallokationen von Kapital führte – riskante Finanzprodukte waren beispielsweise interessanter als Investitionen in erneuerbare Energien. Entsprechend fordert der Green New Deal eine dringende Re-Regulierung, so beispielsweise die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen, das heisst von Massnahmen zur Regulierung der Kapitalströme in und aus einem Land heraus. Für stark regulierte Finanzmärkte setzt sich die EvB schon seit Jahren ein. Insbesondere bei bilateralen und multilateralen Handelsverträgen kämpft sie gegen Deregulierungsbestrebungen, bei denen die Schweiz oftmals eine treibende Kraft ist. Regulierungsmassnahmen, wie sie der GND empfiehlt, müssen aus Sicht der EvB also unbedingt in bestehende Handelsabkommen und laufende Verhandlungen integriert werden. Doch es braucht mehr: Die EvB setzt sich deshalb dafür ein, dass den Entwicklungsländern im Rahmen von internationalen Handelsabkommen
mehr politischer Handlungsspielraum zugestanden wird. Nur so erhalten sie die Möglichkeit, mit geeigneten Bestimmungen und Regulierungen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten verstärkt auf die eigenen Entwicklungsbedürfnisse auszurichten. Exportsteuern auf Rohstoffe könnten beispielsweise die dringend notwendigen Mittel für Umweltschutzmassnahmen und Sozialausgaben generieren. Viele bilaterale Handelsverträge – auch schweizerische – verbieten jedoch Exportsteuern, und auch auf multilateraler Ebene versuchen Industrieländer dies zu verhindern. Ein grösserer politischer Handlungsspielraum für Entwicklungsländer würde somit zu Regulierungsbestrebungen führen, die über den Finanzsektor hinausgehen. Und dies wäre letztlich durchaus im Interesse des Nordens. Denn vieles deutet darauf hin, dass fehlende Regulierungen auf nationaler und internationaler Ebene auch anderen Krisen Vorschub geleistet haben. So führte die fehlende Berücksichtigung von Sozial- und Umweltkosten zu tiefen Preisen für fossile Energieträger und andere Rohstoffe und damit zu einem massiven Überkonsum. Sollen die immensen Herausforderungen unserer Zeit aber bewältigt werden, kommen wir nicht umhin, unser heutiges ressourcenintensives Produktions- und Konsummuster grundlegend zu hinterfragen und zu ändern. Massnahmen wie die Exportsteuer auf Rohstoffen hätten einen weiteren positiven Effekt, denn sie würden die Rohstoffe verteuern und damit zu einem verminderten Verbrauch führen – genau wie vom GND gefordert. Nebst einem «Green New Deal» braucht es also auch einen «Fair New Deal» – gerade im Handelsbereich.
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Kein Umweltschutz ohne Armutsbekämpfung Christine Eberlein _ Die
Förderung von Treibstoffen verursacht gigantische soziale und ökologische Schäden in den Ländern des Südens. Bei der Umsetzung eines Green New Deal (GND) muss es deshalb darum gehen, wirtschaftliche Entwicklung, die Nutzung fossiler Ressourcen und die Anstrengungen im Klimaschutz mit der Armutsbekämpfung und dem Recht der lokalen Bevölkerung auf Selbstbestimmung abzustimmen.
Klimaschutz, Wirtschaftsentwicklung, Selbstbestimmung und Armutsbekämpfung unter einen Hut zu bringen, ist in der Praxis schwierig, wie folgende Beispiele veranschaulichen. Zwischen April und Juni 2009 kam es in Peru zu Unruhen, als die indigene Bevölkerung gegen die Erschliessung ihres Landes protestierte. Zuvor hatte der Präsident ausländische Konzerne zur Erschliessung von Ölvorkommen eingeladen. Die Indigenen beschuldigten die Regierung, sie habe die lokale Bevölkerung nicht vorher in Gespräche einbezogen. Erst nachdem das Parlament zwei umstrittene Dekrete zur Ressourcennutzung aufgehoben hatte, entspannte sich die Situation. Die Regierung von Madagaskar schützt die aussergewöhnliche Artenvielfalt seiner Wälder bereits seit 2005 mit strengen Naturschutzgesetzen und einem restriktiven Nationalparkmodell. Der lokalen Bevölkerung ist der Zutritt zum Nationalpark verboten, und jegliche Nutzung wird mit harten Gefängnisstrafen geahndet. Doch die Betroffenen, die vorher vom und im Wald lebten, beklagen sich nun, dass sie ohne die Nutzung des Waldes verarmen und nicht mehr nach ihrer traditionellen Lebensweise leben können.
Ein Green New Deal muss dazu beitragen, ungerechte Strukturen zu beseitigen und Umweltpolitik mit Sozial- und Entwicklungspolitik zu verknüpfen.
Sei es Peru, Madagaskar oder ein anderes Land: Wenn man Wirtschaftsentwicklung, Klimaund Ressourcenschutz und Armutsbekämpfung anstrebt, führt dies zu Zielkonflikten der verschiedenen Interessengruppen. Der GND-Vorschlag der Uno-Umweltorganisation fordert deshalb, die betroffenen Menschen in Entscheidungen einzubeziehen. Sie sollen klare und einklagbare Landrechte erhalten. Dies reicht aus Sicht der EvB alleine noch nicht. Die EvB schlägt vor, den sogenannten «Multi-Stakeholder-Ansatz» verbindlich zu machen: Die Vertreter und Vertreterinnen der verschiedenen Interessengruppen müssen frühzeitig miteinander in Kontakt treten und sich vorab über ihre Ziele, Anliegen und Strategien einigen. Dies schliesst den Grundsatz der freien, rechtzei tigen und informierten Zustimmung («free prior informed consent») der betroffenen Bevölkerung ein. Bei aller Sorge um das Klima und die Umwelt: Für die EvB hat die Armutsbekämpfung im Süden weiterhin Priorität. Denn Armut verursacht einen Grossteil der Umweltprobleme und ist Folge ungerechter Strukturen. Ein GND muss deshalb dazu beitragen, ungerechte Strukturen zu beseitigen und die Umweltpolitik mit der Sozial- und Entwicklungspolitik zu verknüpfen. Der politische Dialog und die verbindliche Umsetzung von «Multi-Stakeholder-Initiativen» bedingen nicht nur ein Umdenken, sondern auch die Öffnung des politischen Handlungsspielraums zugunsten der Länder im Süden sowie den Aufbau von funktionsfähigen Institutionen. Nur so kann der Süden selbstbestimmt Armutsbekämpfung und Umweltschutz betreiben.
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Grüne Tupfen, rote Spritzer und blinde Flecken Thomas Braunschweig_ Gemessen
an den politischen Realitäten ist der Green New Deal (GND) ein starkes Stück. Die Forderung nach einem ökologischen Umbau der Wirtschaft ist progressiv und der Ruf nach einer Stärkung des Staates mutig. Ein erster Schritt ist gemacht, weitere müssen aber folgen. Mit ihrer kritischen Würdigung des GND möchte die Erklärung von Bern dazu beitragen.
1 Zu dieser Einsicht sind offenbar auch die britischen AutorInnen des GND gelangt. Wenige Monate nach Veröffentlichung des GNDPapiers haben sie einen zweiten Bericht mit dem Titel «Green Well Fair» nachgeschoben, der einen radikalen Umbau des britischen Wohlfahrtssystems skizziert.
Unterschiedlichste Gruppen und Organisationen sind mit ihren Vorstellungen, wie der aktuellen Vielfachkrise beizukommen ist, an die Öffentlichkeit getreten. So verschieden diese Entwürfe sind, sie bedienen sich alle des Begriffes Green New Deal. Entsprechend handelt es sich beim GND weniger um ein einheitliches und schlüssiges Konzept als um eine Ansammlung politischer Ideen, Vorschläge und Massnahmen mit variierender Tiefenschärfe. Dies und die vielen EvB-Federn, die an dieser Dokumentation mit geschrieben haben, erklären deren interne Meinungsvielfalt. Gemeinsam ist den GND-Programmen der Versuch, Wirtschafts- und Umweltkrisen mit einem ganzheitlichen Lösungsansatz zu bewältigen. Keine Frage: Die Verschränkung von Ökonomie und Ökologie ist ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Dieses Kernkonzept für eine bessere Zukunft hat aber noch eine dritte Dimension, die soziale. Genau hier hat der GND seinen grossen blinden Fleck.1 Zwar plädiert insbesondere die Uno für einen «fairen und gerechten» Global Green New Deal und schlägt diverse Unterstützungsmassnahmen für Entwicklungsländer vor. Der Ruf nach mehr Entwicklungshilfe und Investitionen in Wassersysteme und die landwirtschaftliche Produktivität tönt jedoch ziemlich zahnlos. Die EvB arbeitet – mit dieser Dokumentation wie auch im Kampagnenalltag – darauf hin, dass der GND mit derselben Entschlossenheit und Fantasie all jene sozialen Krisenherde angeht, die für die steigende Armut und globale Ungleichheit mitverantwortlich sind. Dazu braucht es radikale Rezepte gegen strukturelle Ungerechtigkeiten wie
unfaire Ressourcenverteilung, zementierte Machtverhältnisse oder fehlende Mitsprache. Mit Vorschlägen zur stärkeren Besteuerung von Konzernen, der Austrocknung von Steuer oasen oder der Förderung kleinbäuerlicher Betriebe sind erste Ansätze in Richtung mehr sozialer Gerechtigkeit erkennbar. Im Vergleich zu den vorgeschlagenen Mammutmassnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen und ökologischen Krisen sind diese aber nicht mehr als rote Spritzer auf grünem Papier. Konkret muss ein wirklich nachhaltiger GND auch Vorschläge für eine verstärkte Mitbestimmung marginalisierter Bevölkerungsteile bei Rohstoffförderung und Umweltschutz beinhalten sowie Massnahmen zur Demokratisierung globaler Institutionen vorschlagen. Und die Länder des Südens benötigen mehr politischen Handlungsspielraum, um eine selbstbestimmte Entwicklung einschlagen zu können. Darüber hinaus braucht es ein international verbindliches Regelwerk, das die soziale und ökologische Verantwortung global agierender Unternehmen festschreibt und ihren Einfluss auf demokratische Entscheidungsprozesse begrenzt.
Umdenken oder schönfärben Führt der Green New Deal aus der Krise?
Die Welt ist in Schieflage geraten. Die 2007 ausgebrochene Finanzkrise hat sich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise ausgeweitet, deren Ende noch nicht absehbar ist. Dazu kommen noch die Ernährungskrise sowie die Klima-, Wasser- und Energiekrise. Als globaler Rettungsplan wird weit herum der «Green New Deal» bemüht. Derzeit in aller Munde, fasst der Begriff Ideen zum ökologischen Umbau unserer Industriegesellschaft zusammen. Die Erklärung von Bern (EvB) untersucht in dieser Dokumentation, was an diesem Konzept dran ist, wo die Schwachpunkte liegen und inwiefern unsere Anliegen in den Green New Deal Eingang finden.