Pharmazeutische Forschung und Krankheiten des Südens «Eine Unterlassungssünde»

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V E R S

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D É V E L O P P E M E N T

HARMAZEUTISCHE FORSCHUNG SPUO L I D A I R E 199 ND KRANKHEITEN DES SÜDENS

EINE UNTERLASSUNGSSÜNDE

Dokumentation 01_2009/CHF 6.–


PHARMAZEUTISCHE FORSCHUNG UND KRANKHEITEN DES SÜDENS

EINE UNTERLASSUNGSSÜNDE Dokumentation 01_2009. Auflage 25’500

HERAUSGEBERIN Erklärung von Bern (EvB) Dienerstr. 12 CH-8004 Zürich Tel. +41 (0)44 277 70 00 Fax +41 (0)44 277 70 01 info@ evb.ch www.evb.ch

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EDITORIAL

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GESUNDHEIT: EIN AUSGEPRÄGTES NORD-SÜDGEFÄLLE

TEXTE Julien Reinhard, Leiter Teilbereich Gesundheit

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AKTUELLES VORGEHEN IM BEREICH DER PHARMAZEUTISCHEN INNOVATION

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ZWISCHEN REKORDGEWINN UND INNOVATIONSKRISE

MITARBEIT Christiane Droz (Lektorat), Sonja Evard, Didier Joris, Maurice Tschopp, Géraldine Viret, François Meienberg REDAKTION Susanne Rudolf GESTALTUNG Naila Maiorana, Lausanne DRUCK ROPRESS Genossenschaft, Zürich. Gedruckt mit Biofarben auf Cyclus Offset, 100% Altpapier. Das EvB-Magazin inkl. Dokumentation erscheint 5- bis 6-mal jährlich. EvB-Mitgliederbeitrag : CHF 60.– pro Kalenderjahr. Spendenkonto : 80-8885-4

Dieses Dossier wurde von der Fédération Genevoise de Coopération und den Genfer Behörden unterstützt

10 ÖFFENTLICHE FORSCHUNG: WISSENSCHAFT ODER PRIVATES GEWINNSTREBEN? 11 WENN DER MARKT ALLEIN BESTIMMT 13 KLINISCHE VERSUCHE: UNTERLIEFERANTEN UND OUTSOURCING AN ENTWICKLUNGSLÄNDER 14 VON DER PATENTDISKUSSION ZUR DEBATTE ÜBER DIE FORSCHUNG 16 DIE HERAUSFORDERUNGEN DES WHO-AKTIONSPLANS FÜR DIE FORSCHUNG 19 NEU ERWACHTES INTERESSE AN DEN KRANKHEITEN DES SÜDENS 20 EINE STIFTUNG SETZT SICH FÜR VERNACHLÄSSIGTE KRANKHEITEN EIN 22 NEUE F&E-MECHANISMEN 23 DIE INDUSTRIE SCHLÄGT EINEN FONDS FÜR VERNACHLÄSSIGTE KRANKHEITEN VOR 24 DIE SCHWEIZ UND DIE FORSCHUNG FÜR DEN SÜDEN 25 ANTENNA: WISSENSCHAFT IM DIENST TRADITIONELLEN WISSENS 26 DIE POSITION DER EVB

Alle Rechte bleiben vorbehalten. Ein Abdruck bedarf der ausdrücklichen vorherigen Zustimmung der Herausgeberin.

27 EITERFÜHRENDE INFORMATIONEN

Titelbild panos © Atul Loke

Das Thema „Gesundheit und Medikamente“ wird vor allem von der Déclaration de Berne (DB) in der Romandie bearbeitet. Damit auch die deutschsprachigen EvB-Mitglieder mehr über dieses spannende Thema erfahren, übernehmen wir die von Julien Reinhard zusammengestellte Dokumentation. Julien Reinhard war bis Ende 2008 der Leiter des Fachbereichs Gesundheit bei der DB.


Pharmaforschung für den Süden? D

ie Chagas-Krankheit ist eine in Mittel- und Südamerika vorkommende Infektionskrankheit, die durch Raubwanzenbisse übertragen wird. Die Patienten leiden an Fieber, Luftnot, Durchfall, Bauchschmerzen und Ödemen im Gesicht. Später folgen Herzbeschwerden, die zu einem plötzlichen Herztod führen können. 16–18 Millionen Menschen sind mit der Chagas-Krankheit infiziert und rund 10% davon sterben an der Krankheit, wobei Säuglinge und Kleinkinder besonders gefährdet sind. Das Unheil ist unbeschreiblich, doch Medikamente sind kaum vorhanden oder nicht zugänglich. Wie ist das möglich? Mit den WTO-Abkommen wurde doch weltweit unser Patentsystem verankert, welches die Innovation durch die Vergabe von Monopolen (und den damit einhergehenden grossen Gewinnmargen) fördern sollte. Doch das System hat versagt. Für die benachteiligte Bevölkerung des Südens – die keinen rentablen Markt darstellt – werden keine Medikamente für ihre spezifischen Bedürfnisse entwickelt. Und falls solche Medikamente existieren, sind die Preise der patentgeschützten Medikamente unerschwinglich. Das wirft für die Länder des Südens enorme Probleme auf, denn neben den bei uns gängigen Krankheiten wie Krebs oder Diabetes tragen sie noch die ungeheure Last der übertragbaren Krankheiten wie Aids, Malaria, Tuberkulose – oder eben Chagas. Das resultiert in Millionen von eigentlich vermeidbaren Todesfällen. Heute ist dieses Problem endlich erkannt. In der jüngeren Vergangenheit entstanden verschiedene Initiativen zur Förderung der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung (F&E) für Krankheiten der Länder des Südens. Die Staaten beginnen Ihre Verantwortung wahrzunehmen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spielt dabei eine wichtige Rolle: Dort wurde im Mai 2008 eine Strategie und einen Aktionsplan für eine bessere Berücksichtung der Entwicklungsländer im Bereich der F&E neuer Arzneimittel verabschiedet. Dabei wurde eine ganze Reihe von Vorschlägen vorgelegt, um nachhaltige Lösungen zu finden und die Finanzierung der F&E vom Preis der Medikamente abzukoppeln. Denn nur so werden die Medikamente erschwinglich. Jetzt geht es darum, dass die Staaten, inklusive der Schweiz, die Vorschläge konkret umsetzen. Für die Länder des Südens steht viel auf dem Spiel, doch auch die Schweiz könnte profitieren. Denn hier müsste die pharmazeutische F&E endlich auf die Gesundheitsbedürfnisse der Bevölkerung und nicht nur auf die Gewinnspanne der Aktionärinnen und Aktionäre ausgerichtet werden.

Julien Reinhard Leiter Fachbereich Gesundheit bei der Déclaration de Berne (DB) in Lausanne bis 2008


IN DEN LETZTEN ZEHN JAHREN WURDE DER UNGLEICHE ZUGANG DER BEVÖLKERUNG DES SÜDENS ZUM GESUNDHEITSWESEN WIEDER AUFS INTERNATIONALE TAPET GEBRACHT. ZU DEN SYMPTOMEN DIESES PROBLEMS ZÄHLEN DIE HIV/AIDS-KRISE, DER SKANDAL DER UNERSCHWINGLICHEN PREISE ANTIRETROVIRALER MEDIKAMENTE IN DEN LÄNDERN DES SÜDENS UND DIE FEHLENDE FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG (F&E) FÜR KRANKHEITEN, VON DENEN V.A. DIE ENTWICKLUNGSLÄNDER BETROFFEN SIND.

D

ie Gesundheit ist immer noch einer der deutlichsten Indikatoren für das Gefälle zwischen reichen und armen Ländern. In den Entwicklungsländern (Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen) machen übertragbare Krankheiten 44% der Krankheitslast aus, in den Ländern mit hohem Einkommen nur 6% (siehe Grafik S.5). Diese übertragbaren Krankheiten (Aids, Tuberkulose, Malaria, Lungenentzündung etc.) verursachen in den Ländern südlich der Sahara 70% der Todesfälle, in Süd- und Ostasien 30%, in Europa hingegen nur 5%. Gewisse übertragbare Krankheiten wie Aids oder Tuberkulose treten zwar auch in reichen Ländern auf, aber 90% der Patienten und Patientinnen leben in Ländern des Südens. Im Jahr 2007 starben in Afrika 1,5 Millionen Menschen an HIV/Aids. Mit 22 Millionen Virusträgern ist Afrika am stärksten von HIV/ Aids betroffen. Andere Krankheiten, wie z.B. die Schlafkrankheit in Afrika oder die Chagas-Krankheit in Süd- und Mittelamerika treten vor allem oder ausschliesslich in Entwicklungsländern auf. Diese Krankheiten führen jedes Jahr zu Hunderttausenden von Todes- und Invaliditätsfällen. Dazu kommen noch nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs oder Diabetes. Mit

Gesundheit: Ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle Dossier zusammengestellt von Julien Reinhard Fachbereich Gesundheit

Ausnahme der Länder in Afrika südlich der Sahara sind in Entwicklungsländern die meisten Todesfälle auf diese Krankheiten zurückzuführen (siehe Grafik rechts). So tragen die Länder des Südens eine „doppelte Last“: Sie sind nicht nur mit der Last der übertragbaren Krankheiten, sondern auch mit jener der nicht übertragbaren Krankheiten konfrontiert.

Nord-Süd-Gefälle im Gesundheitswesen Der Gegensatz zwischen den zur Verfügung stehenden Mitteln für das Gesundheitswesen in den Ländern des Norden und des Südens könnte nicht grösser sein: Die Länder des Südens stehen vor drastischen Gesundheitsproblemen, haben für diese aber nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung. So leben 2,7 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern – 43% der Weltbevölkerung – mit weniger als 2 Dollar pro Tag. In den meisten dieser Länder liegen die öffentlichen und privaten Ausgaben für die Gesundheit unter 300 Dollar pro Einwohner und Jahr. In 46 Ländern liegen sie sogar unter 100 Dollar. Viele Personen leiden und sterben an Krankheiten, für die es wirksame Therapien gibt. Nur können sie sich diese nicht leisten (z.B. für Aids). Oder sie sterben, weil – wie im Falle der Schlafkrankheit (siehe Seite 11) z.B. – aufgrund mangelnder kommerzieller Anreize keine neue wirksame und angepasste Behandlung entwickelt wird. In den Industrieländern werden die medizinischen Behandlungen jedes Jahr ausgefeilter, und die Gesundheitsausgaben steigen konstant. 2005 wurden in der Schweiz 53 Milliarden Franken ausgegeben, d.h 7000 Franken pro Einwohner. 60% davon wurden von der öffentlichen Hand finanziert. Diese allgemeine Feststellung bedarf noch einer weiteren Differenzierung, da es zwischen Entwicklungsländern und innerhalb ein und desselben Landes Unterschiede gibt. Zudem hängt die öffentliche Gesundheit nicht nur von den möglichen Behandlungen und der Qualität des Versorgungswesens ab, sondern auch von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren – wie z.B. Bildung, Wasserwirtschaft oder Abfallbeseitigung. Wir stehen vor einem Teufelskreis: Einerseits macht Armut die Menschen anfälliger für Krankheiten, andererseits verschärfen Krankheiten die Armut. Das Problem des Zugangs zu lebenswichtigen Medikamenten (insbesondere


Krankheitsvergleich in armen und reichen Ländern Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen

13%

43%

44%

85

13%

43%

Länder mit hohem Einkommen

13%

9%

43%

6%

44%

44%

85%

18000 16000 14000

Übertragbare, perinatale und mütterliche Krankheiten

12000

Nichtübertragbare Krankheiten

10000

Unfälle

8000 6000 4000 18000

2000

16000

Verteilung der Todesfälle nach Region 18000

0

16000

14000 12000

14000

10000

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10000

6000

8000

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6000

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4000

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© Schweizerisches Tropeninstitut

2000

Afrika südlich der Sahara

Süd- und Ostasien

betrifft nicht nur den Zugang zu existierenden Innovationen, sondern auch die zukünftige Ausrichtung der Forschung. In den letzten Jahrzehnten konnte man eine zunehmende Privatisierung des Gesundheitswesens beobachten. Die Ausrichtung der Forschung und der pharmazeutischen Entwicklungen wurde mehr und mehr dem Markt überlassen. Dieses F&E-Modell ist insbesondere für die armen Länder problematisch.

Lateinamerika

gegen HIV/Aids) hat dieses ausgeprägte Gefälle zwischen Norden und Süden offensichtlich gemacht. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass die öffentliche Gesundheit in den Entwicklungsländern wieder ins Zentrum internationaler Aktivitäten gerückt ist. Drei der acht Millenniumsziele aus dem Jahr 2000 betreffen Verbesserungen im Gesundheitswesen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie die Bevölkerung des Südens Zugang zum medizinischen Fortschritt erhält. Das

Europa

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Übertragbare, perinatale und mütterliche Krankheiten Nichtübertragbare Krankheiten Unfälle Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der WHO-Statistiken 2002


VOM FORSCHUNGS- UND ENTWICK-

LUNGSPROZESS

(F&E)

BIS

ZUR

MARKTREIFE EINES NEUEN MEDIKAMENTS IST ES EIN LANGER UND

Aktuelles Vorgehen im Bereich der pharmazeutischen Innovation

ABBILDUNG).

BEREICH

DER

GRUNDLAGENFOR-

SCHUNG BLEIBT DIE ÖFFENTLICHE HAND ZWAR EIN NOTWENDIGER PARTNER, DOCH BESTIMMT HEUTZUTAGE WEITGEHEND DIE PHARMAINDUSTRIE DEN GESAMTPROZESS.

schliesslich ausgewählten Stoffe werden dann am Menschen getestet. Diese klinischen Versuche sind der kostspieligste Teil des Entwicklungsverfahrens. Um letztlich als sicheres und wirksames Heilmittel zu gelten, müssen klar festgelegte Ziele erreicht werden. Zudem dürfen die Nebenwirkungen nicht in einem ungesunden Verhältnis zum erhofften Behandlungsergebnis stehen. Aufgrund der klinischen Versuche erhalten die entwickelten Medikamente die Zulassung der staatlichen Heilmittelüberwachungsstelle und sind danach zum Verkauf auf dem jeweiligen nationalen Markt freigegeben. In der Schweiz heisst die zuständige Stelle Swissmedic.

Entdeckung potenzieller Wirkstoffe - Identifizierung der Wirkstoffe - Optimierung und Synthetisierung neuer Moleküle

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UNTEN

STEHENDE

(SIEHE

ERT ER IM SCHNITT 15 JAHRE. IM

er Ausgangspunkt jeglicher Forschung bildet die Grundlagenforschung. In diesem Stadium geht es darum, biologische Mechanismen und Unregelmässigkeiten, die zu Krankheiten führen, zu verstehen. So können Krankheitskeime, wie z.B. ein Virus, identifiziert oder mögliche Ziele festgelegt werden, die einen Ansatzpunkt für eine mögliche Arzneimittel-Behandlung bilden könnten. Angewandte Forschung und Entwicklung beruht auf der Identifizierung von Wirkstoffen (pflanzlich, künstlich synthetisiert oder anhand gentechnischer Verfahren hergestellt). Die Wirkstoffe werden anhand ihrer Eigenschaften, Wirksamkeit und Nichtgiftigkeit ausgewählt. Die

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WEG

GEMÄSS INDUSTRIEANGABEN DAU-

D

Die wichtigsten Etappen der Medikamentenentwicklung

ANSPRUCHSVOLLER

Grundlagenforschung - Studien zu Krankheitsursachen - Festlegung möglicher Behandlungsziele

Vorklinische Entwicklungen Studien zur Formel, Dosierung, Stabilität, Aufnahmefähigkeit, Aktivität und Toxizität (ausgewählte Wirkstoffe werden häufig in diesem Stadium zum Patent angemeldet).


Wie viel kostet die Entwicklung eines neuen Medikaments? Grosse Pharmaunternehmen beziffern die Forschungs- und Entwicklungskosten auf 15 bis 20% des Umsatzes. Eine amerikanische Universitätsstudie von 2003, die grösstenteils von der Pharmaindustrie gesponsert wurde, gab die Summe von 800 Millionen Dollar für die Entwicklung eines neuen Medikaments an. Diese Zahl ist allerdings umstritten. Die Studie berücksichtigt nämlich nur die neuen chemischen Wirkstoffe, die vollständig von den Pharmaunternehmen entwickelt wurden. Die Hälfte der Kosten besteht aus „Opportunitätskosten des Kapitals“, d.h. aus den Einnahmen, die die Unternehmen erhalten würden, falls sie ihr Geld auf dem Kapitalmarkt investiert hätten. Zudem sind Steuervergünstigungen, die Unternehmen, welche in Forschung investieren, gewährt werden, nicht einbezogen. Ohne die Opportunitätskosten und unter Einbezug der Steuervergünstigungen belaufen sich die Kosten auf 250 Millionen Dollar pro Medikament. Dies ist wohl eine realistischere Zahl. Die amerikanische NGO „Public Citizen“ hat die Kosten auf rund 100 Millionen Dollar geschätzt. Das globale Bündnis für die Entwicklung von Medikamenten gegen Tuberkulose rechnet seinerseits mit Gesamtkosten von 115 bis 250 Millionen Dollar für ein solches Arzneimittel (inklusive der Kosten für abgebrochene Projekte).

www.cptech.org/ip/health/econ/rndcosts.html

Ein von der Pharmaindustrie beherrschter Prozess Die Pharmaunternehmen bestimmen den Entwicklungsprozess, da sie die Einzigen sind, die alle Stufen der Heilmittelentwicklung – von der ursprünglichen Auswahl der Wirkstoffe bis zur Produktion und dem Vertrieb – beherrschen. Das Beispiel von „Imitinib“ (Glivec®), einem lebensnotwendigen Arzneimittel gegen eine seltene Art der Leukämie (Blutkrebs), verdeutlicht, wie dominant die Industrie ist. Forscher der Universität von Pennsylvania (USA) haben den genetischen Fehler entdeckt, der zu dieser Krankheit führt. Darauf hat ein Forscher der „Oregon Health and Sciences University“ – eines hauptsächlich durch

die öffentliche Hand finanzierten Instituts – die Wirksamkeit eines durch Novartis entwickelten Moleküls entdeckt. Die Basler Firma hat später klinische Studien durchgeführt und das Medikament im Jahre 2001 als ihr eigenes patentiertes Produkt auf dem Markt eingeführt.

Patente garantieren saftige Gewinne Das jetzige System beruht auf gewinnorientierten Unternehmen. Die Erfindungspatente spielen dabei eine wesentliche Rolle, da Patentinhaber durch sie ein zeitweiliges geistiges Eigentumsrecht an den neuen Arzneimitteln erhalten – sofern diese als Erfindungen anerkannt

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werden. Während der Patentdauer (20 Jahre) besitzt der Patentbesitzer ein Herstellungs- und Vertriebsmonopol auf dem patentierten Medikament. Patente werden noch während der Entwicklungsphase angemeldet, um so etwaigen Mitbewerbern zuvorzukommen. Das Monopol dauert nach der Zulassung im Schnitt zwischen zwölf und vierzehn Jahren. Das Pharmaunternehmen kann somit während einigen Jahren sein Produkt konkurrenzlos (teuer) anbieten und so eine hohe Gewinnmarge erwirtschaften. Patente sind deshalb ein Ansporn für Unternehmen, um in Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu investieren.

Zulassung Durch die jeweiligen nationalen Heilmittelüberwachungsstellen

Klinische Entwicklung Klinische Studien am Menschen - 1. Phase: Überprüfung der Auswirkungen an einer kleinen Anzahl gesunder Menschen - 2. Phase: Testen der Wirksamkeit und Sicherheit an einer Anzahl Kranker mit unterschiedlicher Dosierung - 3. Phase: Testen der Wirksamkeit an einer grösseren Anzahl Kranker mit der gewählten Dosierung

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Kommerzialisierung Das Medikament wird den Patienten zur Verfügung gestellt

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Weitere Massnahmen - Überwachung des Medikaments, Feststellung unerwünschter Nebenwirkungen - 4. Phase bzw. Postmarketing-Studien: klinische Studien, um Langzeitwirkung und das Zusammenwirken mit anderen Medikamenten zu beobachten.


A

merikanische, europäische und schweizerische Konzerne beherrschen den Pharmamarkt. Der Jahresumsatz beträgt Dutzende Milliarden von Dollars und steigt weiterhin stark an. 2006 belief sich der Marktanteil der 10 grössten Konzerne auf 44% des weltweiten Arzneimittelabsatzes (siehe Tabelle S. 9). Die durchschnittliche Rentabilität betrug 19,6%. Roche z.B. hat 2007 einen Betriebsgewinn von 14,5 Milliarden Franken erwirtschaftet, oder anders gesagt, 22% seines Umsatzes. Die grossen Pharmaunternehmen verfügen über äusserst profitträchtige

Zwischen Rekordgewinn und Innovationskrise DIE PHARMAINDUSTRIE GEHÖRT ZU DEN PROFITTRÄCHTIGSTEN WIRTSCHAFTSBRANCHEN, DOCH DIE GROSSEN PHARMAUNTERNEHMEN LEIDEN UNTER EINER SCHWEREN INNOVATIONSKRISE. UMSO WICHTIGER WERDEN DESHALB DIE GEISTIGEN EIGENTUMSRECHTE AUF MEDIKAMENTE, DIE SIE VERSUCHEN ZU VERSTÄRKEN UND ZU VERLÄNGERN. ES STEHT VIEL AUF DEM SPIEL.

Hauptprodukte, auch Blockbuster genannt. Solche Medikamente, die bei ihrer Lancierung einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar pro Jahr versprechen, sind natürlich bei Investoren sehr beliebt.

Ein mächtiger Lobbyapparat Die florierende Pharmabranche hat einen mächtigen Lobbyapparat entwickelt, der von aktiven Verbänden getragen wird. Diese üben ihrerseits einen grossen Einfluss auf die Behörden aus. Dank dieser Lobby wurden die Rechte am geistigen Eigentum auf Medikamente (Patente) immer weiter ausgedehnt. Die Lobby hat auch eine wesentliche Rolle beim Abschluss des sogenannten „TRIPS-Abkommens“ im Jahre 1995 gespielt. Dieses Abkommen zwingt alle Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO), Patente auf Medikamente zu schützen (vgl. Artikel auf Seite 14). In der Schweiz ist es der Pharmalobby anlässlich der letzten Revision des Patentgesetzes im Jahre 2007 gelungen, einen weitergehenden Schutz der aus genetischen Sequenzen entstandenen Produkte zu erreichen – entgegen dem Willen der Wissenschaft, der Krankenkassen und Konsumenten. Im Moment versucht dieselbe Lobby, ihren Einfluss zu nutzen, um in den Freihandelsverträgen, welche die Schweiz mit vielen Entwicklungsländern abschliesst, eine Klausel zur Verstärkung der Rechte am geistigen Eigentum einzuschliessen (siehe auch EvB-Dokumentation „Liaisons dangereuses“ Juni 2008).

Innovationskrise Doch die Pharmaindustrie leidet an einer tief greifenden Innovationskrise. Seit den Neunzigerjahren sinkt die Anzahl der neu von der amerikanischen Heilmittelkontrollstelle (FDA) zugelassenen Medikamente kontinuierlich. Während 1996 noch 53 Wirkstoffe angemeldet wurden, belief sich die Anzahl im Jahr 2006 nur noch auf 22 (siehe Abbildung S.9), und dies obwohl die F&E-Ausgaben von 1995 bis 2006 von 15 auf 43 Milliarden Dollar angestiegen


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Anstieg der F&E-Ausgaben der grossen Pharmaunternehmen bei gleichzeitiger Abnahme der neuen Wirkstoffe in den USA von 1995 bis 2006 50000

60

50

40000 35000

40

30000 25000

30

20000 20

15000 10000

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5000

IFPMA auf internationaler Ebene, PhRMA in den

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USA, EFPLA in der Europäischen Union und Inter-

Anzahl neuer zugelassener Wirkstoffe

45000 F&E-Ausgaben (in Millionen Dollar)

sind. Nach Ablauf der Patentdauer der jetzigen Blockbusters könnte sich die Lage für Pharmaunternehmen, die keine neuen profitträchtigen Produkte entwickelt haben, noch verschärfen. Denn 2006 machten die neuen – in den letzten fünf Jahren auf den Markt gebrachten – Medikamente nur 16% des Umsatzes der zwanzig grössten Pharmaunternehmen aus. Es kann also damit gerechnet werden, dass die Pharmaindustrie mit einem ausgedehnten Patentschutz versuchen wird, ihre Position zu stärken und eine Verlängerung ihrer Monopole zu erreichen.

0 1995 1996 1997

1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004* 2005* 2006*

pharma in der Schweiz. F&E-Ausgaben der grossen Pharmaunternehmen

Der Norden dominiert den Pharmamarkt Die Industrieländer sind führend im Bereich der Forschung, und ihre Unternehmen beherrschen den Gesundheitsmarkt. Wegen der Komplexität des F&E-Prozesses, der hochstehende wissenschaftliche und industrielle Infrastrukturen voraussetzt, sind die Länder des Südens in diesem Bereich stark abhängig. Doch verfügen China, Indien, Kuba oder Brasilien ebenfalls über die nötigen Innovationskapazitäten, und einige dieser Länder haben eine dynamische Pharmabranche für „Generika“ entwickelt. Die indischen Generika-Unternehmen produzieren bereits mehr als die Hälfte der HIV/ Aids-Heilmittel, die in den Entwicklungsländern verkauft werden.

Neue zugelassene Wirkstoffe * *inkl. Medikamente aus biotechnischen Verfahren

Quelle: Pharma 2020 The vision: Which path will you take? PricewaterhouseCoopers 2007, S. 5

Die zehn grössten Pharmaunternehmen weltweit (2007)

Rang

Land

MedikamentenUmsatz (in Milliarden Dollar)

Marktanteil

1 Pfizer

USA

44,6

6,7 %

2 GlaxoSmithKline

UK

37,7

5,6 %

3 Novartis

CH

34,3

5,1 %

4 Sanofi-Aventis

F

33,6

5,0 %

5 AstraZeneca

UK

30,0

4,5 %

6 Johnson & Johnson

USA

29,0

4,3 %

7 Roche

CH

27,7

4,1 %

8 Merck & Co.

USA

27,3

4,1 %

9 Abbot

USA

19,2

2,9 %

USA

16,7

2,5 %

Gesellschaft

10 Lilly

Quelle: interpharma-IMS Health


10

Der Aufschwung der Biotechnologie In den letzten 25 Jahren hat die industrielle Anwendung der Biotechnologie (die Ressourcen lebender Organismen, wie Stoffe, Zellen, Gene, Enzyme usw., benutzt) einen nie da gewesenen Aufschwung genommen. Die mit biotechnischen Verfahren hergestellten Medikamente weisen einen immer grösseren Marktanteil auf. Es sind Hunderte Unternehmen entstanden, die sich im Bereich der medizinischen Biotechnik spezialisieren. Diese, häufig von Forschern der öffentlichen Hand gegründeten Unternehmen, konzentrieren sich auf einen oder mehrere Wirkstoffe, die sie patentiert haben und bis zur vorklinischen Phase weiterentwickeln. Für die folgenden Phasen und die Lancierung des Produkts schliessen sie eine Partnerschaft mit den Pharmakonzernen ab oder werden von diesen aufgekauft. Diese Biotech-Unternehmen erlauben es der Pharmaindustrie, einen immer grösseren Anteil ihrer Forschungstätigkeit auszulagern.

Öffentliche Forschung: Wissenschaft oder privates Gewinnstreben? Unternehmen und Unternehmergeist werden an Universitäten und öffentlichen Forschungsanstalten immer präsenter. Das Modell „Unternehmer-Forscher“, bei dem eine eigene Firma gründet wird, um die gewerblichen Anwendungen der Forschung zu verwerten, entstand mit dem Aufschwung der Biotechnologie in der USA. In den USA gehören Verträge zwischen Universitäten und der Industrie inzwischen zum Alltag. Im Juni 2008 hat Pfizer z.B. einen dreijährigen Forschungsvertrag mit der Universität von Pennsylvania für 15 Millionen Dollar angekündigt. In der Schweiz hat Merck-Serono, ein auf die Behandlung von Unfruchtbarkeit spezialisiertes Unternehmen, einen Lehrstuhl in Fortpflanzungsendokrinologie an den Universitäten Genf und Lausanne finanziert. In den letzten Jahren sind an Hochschulen und Universitäten in der Schweiz immer mehr Start-ups entstan-

den. Diese Unternehmen werden mit Hilfe von Privatkapital gegründet und haben den Zweck, eine gewerbliche Anwendung ihrer Forschung zu entwickeln. Angesichts der starken internationalen Konkurrenz bilden Universitäten einen wichtigen nationalen Standortfaktor. Sie produzieren das Wissen und sind Quelle der industriellen Innovation. Regierungen fördern die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Universitäten, öffentlichen Forschungsanstalten und der Wirtschaft. Die Botschaft des Bundesrats über die Ausbildung und die Forschung an das Parlament im Jahr 2007 bestätigt dies: „Der Bund investiert (…) in die freie Grundlagenforschung als unabdingbare Quelle für die erfolgreiche Weiterentwicklung des Denkplatzes Schweiz. (…) Ist die Grundlagenforschung zuallererst Ort der wissenschaftlichen Neugier, sol-

len die aus ihr hervorgehenden neuen Erkenntnisse künftig noch mehr als heute die Basis darstellen für nachgelagerte Entwicklungs- und Innovationsaktivitäten der Unternehmen.“ Dafür erhielten die öffentlichen Forschungsanstalten neue Mittel. Sie können Patente anmelden, und spezielle Technologietransferstellen sorgen für die kommerzielle Verwertung der Forschungsergebnisse. In der Schweiz nehmen die Eidgenössischen Hochschulen Zürich und Lausanne eine Pionierrolle bei der Einführung des Unternehmer-Forscher-Modells ein. Diese Situation schafft einen Interessenskonflikt zwischen privatem und öffentlichem Interesse und wirft Fragen bezüglich der Ausrichtung, Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit der wissenschaftlichen Forschung auf.


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DIE PHARMAUNTERNEHMEN SIND NICHT INTERESSIERT AN DER ERFORSCHUNG VON MEDIKAMENTEN, DIE FÜR MILLIONEN ARMER MENSCHEN NÜTZLICH WÄREN; DAFÜR ENTSTEHEN IMMER TEURERE UND UNNÖTIGERE MEDIKAMENTE. WENN FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG NEUER HEILMITTEL AN GEWINNORIENTIERTE UNTERNEHMEN AUSGELAGERT WIRD, HAT DIES SCHWERWIEGENDE KONSEQUENZEN FÜR DIE VOLKSGESUNDHEIT.

DIESE

KOMMERZIALISIERUNG DER GESUNDHEIT WEIST KLARE SCHWÄCHEN AUF. SIE IST JEDOCH DIE FOLGE EINER BEWUSST GEWÄHLTEN POLITIK.

Wenn der Markt allein bestimmt Vergessene Tropenkrankheiten Die Grenzen eines kommerziellen Gesundheitssystems zeigen sich deutlich bei den Krankheiten, die vor allem die Länder des Süden betreffen. Von den 1393 neu in den Jahren 1975 bis 1999 entwickelten Medikamenten betrafen nur 16 vernachlässigte Krankheiten des Südens (insgesamt also kaum 1,1%). Davon fielen 13 auf Tropenkrankheiten, wie Malaria oder Schlafkrankheit, und 3 auf Tuberkulose. Dabei tötet diese Krankheit jedes Jahr mehr als 1,5 Millionen Menschen. Es sind jedoch die Industrieländer, welche den Gesundheitsmarkt dominieren. 2007 machten Nordamerika, Europa und Japan 80% des auf 721 Milliarden Dollar geschätzten weltweiten Medikamentenumsatzes aus. Die Aussichten auf bedeutende Gewinne in diesen Märkten bestimmen die Ausrichtung der pharmazeutischen Forschung und nicht die Gesundheitsbedürfnisse der Benachteiligten in den Entwicklungsländern. Diese nicht vermögenden Bevölkerungsschichten stellen keinen genügend rentablen und attraktiven Markt für die F&E

der Pharmaindustrie dar, und daher werden diese Krankheiten kaum erforscht.

Unnötige Medikamente Die Ausrichtung der F&E auf profitable Märkte erklärt die Entwicklung von sogenannten „Lifestyle“-Medikamenten (gegen die männliche Impotenz, den Haarverlust beim Mann, Zellulitis usw.). Diese Medikamente decken nicht die gesundheitlichen Grundbedürfnisse. Häufig sind die „neu lancierten“ Medikamente nicht einmal wirksamer als die alten. Gemäss einer Beurteilung der Heilmittelkontrollstelle der USA (FDA), weisen nur 24 Prozent der zwischen 1989 und 2000 zugelassenen Medikamente Verbesserungen gegenüber den bereits verfügbaren Medikamenten auf. Die französische Zeitschrift „Prescrire“ hat diesen Befund 2005 gestützt. Von den in Frankreich 3096 zugelassenen Behandlungen (therapeutischen Indikationen) zwischen 1981 und 2004 wiesen nur 774 oder rund 25% therapeutische Vorzüge gegenüber den bereits vorhandenen Behandlungen auf. Diese Analyse zeigt deutlich, dass eine grosse Anzahl neuer Heilmittel den


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älteren ähnlich ist und keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen aufweist. Die Produkte werden von den Pharmaunternehmen nur auf den Markt gebracht, um ihren Mitbewerbern Marktanteile abzujagen. Dieses Phänomen verläuft Hand in Hand mit immer aufwendigeren Werbekampagnen, insbesondere bei Ärzten und Ärztinnen. Die grossen Pharmaunternehmen geben mehr für das Marketing (im Durchschnitt 25% des Gesamtumsatzes) als für die F&E neuer Medikamente aus (zwischen 15 und 20%). So gab z.B. Novartis 2007 11 Milliarden fürs Marketing und nur 6,5 Milliarden für F&E aus.

Teure und unzugängliche Medikamente Die Pharmaunternehmen schützen ihre neuen Medikamente durch Patente. Somit verfügen sie während mehrerer Jahre (zwischen zwölf und vierzehn Jahren) über ein Monopol, das es ihnen erlaubt, die getätigten Investitionen zurückzuerhalten und zudem noch saftige Profite einzustreichen. Die Finanzierung von Medikamenten mittels eines hohen Verkaufspreises ruft Probleme hervor. Unter dem Vorwand, dass die F&E-Kosten zunehmen, setzt die Industrie nämlich den Preis neuer Medikamente kontinuierlich herauf. Der Schweizer Preisüberwacher Rudolf Strahm hat in seinem Bericht 2007 festgestellt, dass der Durchschnittspreis eines neu auf den Markt gekommenen Medikaments das Dreifache des Durchschnittspreises eines im gleichen Jahr vom Markt genommenen Arzneimittels betrug. In der Schweiz kann beispielsweise eine lang andauernde Behandlung mit „Imatinib“ – einem lebensnotwendigen Medikament gegen eine seltene Form der Leukämie – 50 000 bis 100 000 Franken pro Patient und Jahr kosten. Diese Preisentwicklung bei neuen Medikamenten schlägt sich auch auf die Gesundheitskosten in der Schweiz nieder. Medikamente machen bereits 20% der Schweizer Gesundheitskosten aus. Das Problem verschärft sich in Entwick-

lungsländern, die nur über begrenzte Budgets für das Gesundheitswesen verfügen. Die Patienten sind meist nicht versichert und müssen die Medikamente aus der eigenen Tasche bezahlen. Der hohe Preis der neuen, lebensnotwendigen Medikamente behindert also den Zugang zu Behandlungen. So konnten z.B. die Standard-Medikamente gegen Aids erst grossflächig in den Entwicklungsländern eingesetzt werden, nachdem der Preis der patentierten Medikamente – mehr als 10 000 Dollar pro Jahr und Patient – aufgrund der Entstehung von Generika stark gesenkt wurde. Wenn neue Heilmittel für alle zugänglich sein sollen, können sie in den ärmsten Ländern nicht über den Verkaufspreis finanziert werden.

Die Vermehrung der Patente als Forschungshemmnis Patente sollten die Forschung eigentlich ankurbeln, doch in manchen Fällen können sie die F&E auch hemmen. Die Vielzahl an Patenten verhindert einen raschen und vollständigen Informationsaustausch zwischen den Forschern. Da ein bereits veröffentlichtes Detail nicht mehr patentiert werden darf, traut sich niemand, Informationen weiterzugeben. Zudem behindert das sogenannte Patentdickicht (patent thicket) Forschungsbereiche, die von patentierten Technologien abhängig sind, da der Zugang zu solchen Forschungsbereichen stark erschwert wird. Die F&E-Kosten – und damit natürlich auch die Endkosten – verteuern sich wegen der vielen für die Patentierung benötigten Schritte und wegen der Lizenzgebühren, die für die Benutzung patentierter Technologien zu zahlen sind. Das Problem hat sich mit der Einführung der Patente auf genetische Entdeckungen noch verstärkt. Dies ist besonders bei der SARS-Krise (Sars = schweres akutes Atemwegsyndrom) im Jahr 2003 ersichtlich geworden. Das tödliche Virus, das zuerst in Hongkong und Südchina auftrat, liess auf eine Ausdehnung des Epidemierisikos schliessen. Verschiedene Forscher haben damals die Fra-

panos © Sven Torfinn

ge gestellt, ob im Fall einer Epidemie die vielen Patentansprüche auf den verschiedenen Sequenzen des Viruserbgutes nicht eine möglichst schnelle Entwicklung von Diagnosetests, Impfmitteln und Medikamenten erschweren.

Wahrnehmung der öffentlichen Verantwortung Politik und Behörden sind mitschuldig an diesem Missstand. Sie haben ganz bewusst dem Markt die Verantwortung für die Entwicklung neuer Heilmittel übertragen. In Wirklichkeit spielen die Staaten aber noch immer eine wesentliche Rolle bei der F&E, sei es durch die Finanzierung der Forschung, die Reglementierung oder die Beteiligung an den Heilungskosten. Von den 2003 weltweit ausgegebenen 125,8 Milliarden für Forschung und Entwicklung finanzierte der öffentliche Sektor 44% davon, die Privatwirtschaft 48% und die gemeinnützige Privatwirtschaft (Stiftungen, philanthropische Gesellschaften) 8%. Bezieht man die Subventionen und andere steuerliche Anreize der Staaten zugunsten von forschenden Unternehmen mit ein, erreicht der Anteil der öffentlichen Hand sogar 60% und derjenige der Privatwirtschaft nur noch 32% (siehe die Grafiken S. 13). Die Staaten stehen in der Pflicht, die Ausrichtung und die Organisation der F&E wieder zu übernehmen, um den Bedürfnissen der Volksgesundheit zu genügen. Die neue, im Mai 2008 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) angenommene Rahmenregelung weist in diese Richtung.


Weltweite Verteilung der F&E-Ausgaben pro Sektor im Jahre 2003. 8%

48%

44%

Klinische Versuche: Unterlieferanten und Outsourcing an Entwicklungsländer Früher wurden neue Medikamente in klinischen Versuchen am Menschen durch öffentliche medizinische Anstalten (z.B. die Universitätskliniken) durchgeführt. Seit einigen Jahren vergeben die Pharmaunternehmen einen immer grösseren Anteil ihrer Versuche an spezialisierte Unternehmen, die sogenannten „Contract Research Organisations“ (CRO; auf Deutsch: Forschungsorganisationen unter Vertrag). Mit dem Auftreten dieser neuen Mitbewerber haben die öffentlichen Forschungsanstalten einen Grossteil ihres Spielraums gegenüber der Industrie eingebüsst. Zudem besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse klinischer Versuche, die von der Industrie finanziert werden, eher gefälscht werden als diejenigen von öffentlichen Anstalten. Die zunehmende Verlagerung der klinischen Versuche in ärmere Länder ist besorgniserregend. So stammten 2007 über die Hälfte aller angeworbenen Patienten für die klinischen Versuche der zwanzig grössten Pharmaunternehmen nicht aus den grossen Industrienationen (USA, Japan, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Kanada und Spanien). Trotz mangelnder Transparenz werden immer mehr Versuche am Menschen in osteuropäischen, asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern durchgeführt. Zahlreiche Zeugenaussagen bezeugen dabei schwere Mängel. So werden die Versuchspersonen nicht richtig aufgeklärt, und häufig stehen Infrastruktur und Personal nicht mehr für die normale Pflege zur Verfügung. Doch damit nicht genug: Getestet werden hauptsächlich Medikamente, die den Patienten im Norden zugutekommen sollen. Die Stimmen, die eine bessere Kontrolle der Versuche im Süden verlangen, häufen sich.

Weitere Informationen finden sich unter:

Ohne öffentliche Subventionen 8% an die Industrie

48%

8%

44%

Privatwirtschaft Öffentliche Hand Nicht gewinnorientierte Privatwirtschaft 32% 60%

8%

32%

60%

Mit den öffentlichen Subventionen an die Industrie

Shah Sonia, The body hunters: Testing New Drugs on the World’s poorest Patients. The New Press, 2006. A Better Pill. The risks of carrying out clinical drug trials in developing countries, WEMOS Fondation, Amsterdam, 2008, 26 Seiten.

Gewinnorientierte Privatwirtschaft Öffentliche Hand Nicht gewinnorientierte Privatwirtschaft

Quelle: Global Forum for Health Research, 2008


14

DAS WELTHANDELSORGANISATIONSABKOMMEN (WTO) VON 1995 HAT DEM, AUF PATENTEN BERUHENDEN F&E-MODELL MIT SEINER MARKTORIENTIERTEN

AUSRICHTUNG

ZUM

DURCHBRUCH VERHOLFEN. DIE HIV/ AIDS-KRANKHEIT UND DIE MANGELNDE ZU

FORSCHUNGSTÄTIGKEIT

KRANKHEITEN

HABEN

AUF

DES

SÜDENS

DRAMATISCHE

ART

UND WEISE GEZEIGT, DASS BENACHTEILIGTE GRUPPEN

BEVÖLKERUNGS-

KEINEN

ZUGANG

ZU

ARZNEIMITTELN HABEN. DIE NORDSÜD-DEBATTE WAR BEI DER WTO AUF DIE PATENTFRAGE AUSGERICHTET UND HAT SICH IN DER ZWISCHENZEIT

ZUR

WELTGESUNDHEITS-

ORGANISATION (WHO) VERSCHOBEN, WO DIE PHARMAZEUTISCHE FORSCHUNG IM MITTELPUNKT STEHT.

Von der Patentdiskussion zur Debatte über die Forschung

U

m die derzeitige Diskussion über Forschung und Zugang zu Medikamenten zu verstehen, muss man auf die Zeit der Inkraftsetzung des Abkommens über handelsbezogene Aspekte der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS) unter der Führung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahre 1995 zurückgehen. Dieses internationale Abkommen zwingt die Mitgliedsstaaten der WTO (also fast alle Staaten dieser Welt), Patente auf neue Medikamente zu vergeben. In vielen Staaten, wie z.B. in Indien oder Brasilien, war dies vorher nicht üblich. Das Abkommen stellt einen Sieg für die Grosspharmakonzerne im Norden dar, die Druck ausgeübt hatten, um dieses Abkommen durchzusetzen und jetzt ihre neuen Medikamente zu überhöhten Preisen an die vermögende Minderheit in den armen Ländern verkaufen können. Die Ausdehnung des Patentschutzes sollte dazu führen, die Entwicklungskosten für die neuen Medikamente schneller abzuschreiben und die F&E zu fördern. Das TRIPS-Abkommen ignoriert jedoch die besonderen Erfordernisse der öffentliche Gesundheit in den Ländern des Südens. Dafür hat es das auf Patenten basierende F&E-Modell der Pharmaunternehmen der ganzen Welt aufgezwungen.

Zugang zu neuen, patentierten Medikamenten Das Inkrafttreten des TRIPS-Abkommens fiel 1995 genau mit der Einführung der Dreifachtherapien in den Industrieländern zusammen. Dank dieser HIV/Aids-Behandlung, die mehrere Antiretroviralmittel miteinander verbindet, konnte die Lebensdauer und Lebensqualität der Patienten spürbar verbessert werden. Aufgrund der hohen Kosten (mehr als 10 000 Dollar pro Patient und Jahr) konnten die Länder des Südens diese Behandlungsmethode nicht einführen. Erst brasilianische und indische Generika (Brasilien und Indien kannten vor 1995 noch keine Medikamentenpatentierung) führten zu einem Preissturz, und so wurde die Behandlung für viele zugänglich. Dieses Beispiel zeigt, wie Patente und


insbesondere deren preissteigernde Wirkung den Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten blockieren können. Die politische Auseinandersetzung hat sich daraufhin um die Flexibilität innerhalb des TRIPS-Abkommens gedreht. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwiefern Staaten ohne Zustimmung des Patentinhabers Generika von patentierten Medikamenten herstellen oder importieren können. In diesem Fall spricht man von Zwangslizenzen. Indem die Rolle der Patente für die F&E hervorgehoben wurde, verteidigten Industrieländer und Pharmaindustrie den Patentschutz vehement. Die Klage der Pharmaunternehmen gegen die südafrikanische Regierung, welche die Produktion kostengünstiger Generika erleichtern wollte , ist zum Symbol dieser unnachgiebigen Haltung geworden. Sie wurde 2001 unter dem Druck der Öffentlichkeit zurückgezogen. Einige Monate später haben die Mitgliedsstaaten der WTO die Erklärung von Doha über das TRIPS-Abkommen und die öffentliche Gesundheit angenommen. Dieses gibt Staaten das Recht, Massnahmen zum Schutz der Gesundheit ihrer Bevölkerung zu ergreifen. Doch Spannungen bestehen weiterhin. Als Thailand Zwangslizenzen für patentierte Medikamente zur Bekämpfung von Krebs und Herzgefässkrankheiten erteilte, haben die Schweiz, die Europäische Union und die USA Druck auf Thailand ausgeübt, diese Politik abzuändern. Ebenso versuchen die Industrieländer auf dem Wege bilateraler Freihandelsverträge die Rechte am geistigen Eigentum in den Entwicklungsländern zugunsten ihrer Pharmaunternehmen zu stärken (siehe auch EvB-Dokumentation „Liaisons dangereuses“ Juni 2008).

Die Forschung ankurbeln Eine 2001 bei elf grossen Pharmaunternehmen durchgeführte Umfrage1 zeigt auf, wie wenig an Krankheiten wie Schlafkrankheit oder Tuberkulose, die besonders im Süden anzutreffen sind,

geforscht wird. Diese Situation stellt ein klares Marktversagen dar. Die betroffenen Menschen stellen keinen gewinnträchtigen Markt dar, wodurch Privatunternehmen nicht in die F&E dieser Krankheiten investieren. Um die Forschung und Entwicklung neuer Medikamente auf diesem vernachlässigten Feld zu fördern, sind in letzter Zeit verschiedene Initiativen entstanden (siehe S. 19). Im Mai 2003 hat die Generalversammlung der WHO den Ausschuss für Geistige Eigentumsrechte, Innovation und öffentliche Gesundheit, für die Analyse der Lage der Entwicklungsländer und ihres Zugangs zu Medikamenten und Forschung, geschaffen. Der Ausschuss stand unter dem Vorsitz der früheren Bundesrätin Ruth Dreifuss. Der Schlussbericht des Ausschusses von April 2006 zählt mehr als 200 Empfehlungen für einen verbesserten Zugang zu Medikamenten und eine bessere Übereinstimmung zwischen der pharmazeutischen Forschung und den Bedürfnissen der armen Länder auf. Die Meinung des Ausschusses zum Thema Patente ist klar und deutlich: „Patente sind weder relevant für die Förderung von F&E noch für die Lancierung neuer Produkte auf dem Markt, wenn, wie im Falle der Entwicklungsländer, die Kaufkraft schwach ist und Krankheiten vor allem die Armen treffen. In diesen Ländern müssen die meisten Armen ihre Medikamente mit ihrem geringen Einkommen selbst bezahlen … und man muss daher die Auswirkungen von Patenten und anderer Massnahmen auf den Preis für den Verbraucher sorgfältig berücksichtigen.“2 Im Mai 2006 hat die Generalversammlung der WHO auf Anregung Kenias und Brasiliens beschlossen, eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe zum Thema Volksgesundheit, Innovation und geistiges Eigentum (unter der englischen Abkürzung IGWG bekannt) zu bilden, mit dem Auftrag, eine Strategie und einen globalen Aktionsplan zu erarbeiten,

die „auf Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten ausgerichtet sind, die Krankheiten betreffen, die überproportional in Entwicklungsländern vorkommen. Auf der Grundlage der IGWG-Arbeiten hat die WHO-Generalversammlung im Mai 2008 einen weltweiten Aktionsplan zum Gesundheitswesen, zu Innovation und zum geistigen Eigentum angenommen, der eine ganze Reihe Vorschläge zugunsten der F&E in den Entwicklungsländern vorsieht (siehe S. 16). Die Entwicklung seit dem Unterschreiben des TRIPS-Abkommens im Jahr 1994 ist erstaunlich. Das TRIPS-Abkommen ging davon aus, dass die F&E dem Markt überlassen werden sollte. Heute sind wir an die Grenzen dieses Systems gestossen und die Staaten übernehmen wieder mehr Verantwortung, indem sie die Rahmenbedingungen für die F&E festlegen. Jetzt geht es darum, dauerhafte Lösungen für die Finanzierung zu finden und die neuen, notwendigen Medikamente der armen Bevölkerung im Süden zur Verfügung zu stellen.

1

Umfrage von Drug for Neglected Diseases

Working Group. 2

Öffentliche Gesundheit, Innovation und geistiges

Eigentum (auf Englisch). Bericht des Ausschusses für Eigentumsrechte, Innovation und öffentliche Gesundheit, Weltgesundheitsorganisation WHO, Genf, April 2006, S. 22.


16

DIE ZWISCHENSTAATLICHE WHO-ARBEITSGRUPPE ÜBER ÖFFENTLICHE GESUNDHEIT,

INNOVATION

UND

DAS GEISTIGE EIGENTUM (IGWG) HAT DARÜBER DISKUTIERT, WIE DIE PHARMAZEUTISCHE

FORSCHUNG

DEN BEDÜRFNISSEN DES GESUNDHEITSWESENS IN LÄNDERN DES SÜDENS

BESSER

ENTSPRECHEN

KANN. DIE ARBEITEN FÜHRTEN ZU

Die Herausforderungen des WHO-Aktionsplans für die Forschung Text von Christian Wagner-Ahlfs Herr Wagner-Ahlfs besitzt einen Doktortitel in Chemie und ist verantwortlich für Forschungs- und Entwicklungsfragen im Rahmen der BUKO Pharma Kampagne, einer im Bereich der Medikamentenfrage tätigen deutschen Nichtregierungsorganisation. Er hat unter anderem die Health Action International (HAI) bei den Verhandlungen der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe der WHO vertreten. HAI ist ein internationales, gemeinnütziges Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen, Forschern und Gesundheitsfachleuten aus mehr als siebzig Ländern. BUKO Pharma und die EvB sind beide Mitglieder der HAI.

EINER WELTWEITEN STRATEGIE UND EINEM AKTIONSPLAN, DER VON DER WHO-GENERALVERSAMMLUNG

IM

MAI 2008 EINSTIMMIG ANGENOMMEN WURDE. DAZU DIE MEINUNG EINES FACHMANNS.

D

er Verlauf der zwischenstaatlichen Arbeitsgruppe zur Arzneimittelversorgung ist ein wichtiger Schritt vorwärts, und zwar auf mehreren Ebenen. Damit wird zuerst einmal anerkannt, dass der Markt nicht alle Bedürfnisse der Weltbevölkerung abdeckt. Noch vor einigen Jahren wäre ein solches Eingeständnis undenkbar gewesen. Zweitens nehmen die Staaten dank dieses Prozesses ihre Verantwortung gegenüber

Die acht Punkte des globalen Aktionsplans

1

2

Die Forschungs- und Entwicklungsbedürfnisse (F&E) nach Prioritäten einteilen

Förderung der F&E

Ein Hauptpunkt der Diskussion betrifft die Frage, welche Krankheiten in das F&E-Programm einzuschliessen sind. Die Verbreitung von Krankheiten ist, je nach Weltgegend, ganz unterschiedlich. Krankheiten des Typus II, wie z.B. Aids, Malaria oder Tuberkulose, können zwar überall auftreten, betreffen aber vor allem Entwicklungsländer. Die Krankheiten des Typus III, wie die Chagas-Krankheit, das Dengue-Fieber oder die Schlafkrankheit, treten nur in den armen Tropenländern auf. Alle sind sich darüber einig, dass die beiden Typen in den Aktionsplan aufgenommen werden sollten. Unterschiede ergaben sich hingegen bei Krankheiten des Typus I wie Diabetes, Krebs oder Herzgefässkrankheiten, die weltweit auftreten und sowohl Arme wie auch Reiche betreffen. Die Pharmaunternehmen erwirtschaften ihre grössten Gewinne genau mit Medikamenten für diese Krankheiten. Daher lobbyieren sie bei Regierungen, um die Patente auf diesen profitträchtigen Medikamenten nicht anzutasten. Den Regierungen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens ist es aber gelungen, diese Krankheiten – unter denen auch ihre Bevölkerungen leiden – in den Aktionsplan als „spezifische Bedürfnisse der Entwicklungsländer bezüglich der Krankheiten des Typus I“ aufzunehmen.

Der Aktionsplan schlägt Mechanismen zur Förderung der F&E vor. So soll z.B. der Technologietransfer von den Universitäten zu den Unternehmen verbessert und die Unternehmen dazu angeregt werden, ihre Stoff-Bibliotheken gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung zu stellen, damit diese neue chemische Wirkstoffe identifizieren und zu Medikamenten weiterentwickeln können. Der letzte Punkt wird schwierig sein umzusetzen, da die Unternehmen diesen vertraulichen StoffBibliotheken grossen Wert beimessen und sie wie einen „Schatz“ hüten.


der stark von der öffentlichen Finanzierung abhängigen Forschung & Entwicklung (F&E) in der Pharmabranche wieder stärker wahr. Heutzutage finanziert die öffentliche Hand die F&E zu mehr als 50% und in manchen Bereichen, wie der Suche nach einem Impfstoff gegen den HIV-Aids-Virus, sogar zu fast 80 bis 90 Prozent. Trotzdem bestimmen die wirtschaftlichen Interessen fast vollständig die Ausrichtung der Forschungsprojekte. Und schliesslich wurde die Schlüsselrolle der WHO bekräftigt. In den letzten Jahren hatte die Organisation an politischem Einfluss verloren, hauptsächlich gegenüber reichen, wohltätigen Stiftungen, wie z.B. der Gates-Stiftung. Die Stärkung der WHO und ihrer Koordinationsrolle setzt ein klares Signal zugunsten der internationalen Demokratie.

Ein gemeinsamer Wille zu handeln Trotz der ideologischen und wirtschaftlichen Differenzen ist ein gemeinsamer Wille, zu handeln, erkennbar. Aufgrund der Empfehlungen der Arbeitsgruppe werden mehrere F&E-Pfade untersucht werden. Die Pharmaindustrie zeigt sich an „vorgezogenen Marktverpflichtungen“ (advanced market commitments) interessiert. Dieses Modell würde den Unternehmen feste Gewinne für die Entwicklung neuer Medikamente zugestehen. Zahlreiche Regierungen wollen eher „Public Private Partnerships“ eingehen. Einige Modelle, wie z.B. die Stiftung „Drugs for Neglected Diseases Initiative“ (siehe © Institut Tropical Suisse

3

5

Verstärkung und Verbesserung der Innovationsfähigkeit

Umgang mit geistigem Eigentum

Man ist sich darüber einig, dass die Innovationsfähigkeit und die F&E-Infrastrukturen in den Ländern des Südens, speziell für die „traditionelle Medizin – gemäss den nationalen Prioritäten und der Gesetzgebung“ –, gestärkt werden müssen. Doch handelt es sich hier um ein heikles Thema. Lokale Kenntnisse über Medizinpflanzen stellen für viele Entwicklungsländer ein wichtiges Gut dar. Das Risiko der Biopiraterie – d.h. die Aneignung des Wissens durch Konzerne und die nachfolgende Patentanmeldung – ist gross.

Es besteht ein grundlegender Konflikt zwischen dem öffentlichen Interesse, Zugang zu billigen Medikamenten zu haben, und den wirtschaftlichen Interessen, möglichst viel Profit dank Patent-Monopolen zu erwirtschaften. Der Aktionsplan sieht vor, die Länder des Südens darin zu unterstützen, eigene Schutzsysteme für das geistige Eigentum zu entwickeln.

4 Technologietransfer Indem Produktionskapazitäten für Arzneimittel in den Entwicklungsländern aufgebaut werden, verringert sich die Abhängigkeit von Importen. Eine grössere Anzahl von Herstellern wird mehr Wettbewerb nach sich ziehen, was wiederum zu tieferen Medikamentenpreisen führen dürfte. Indien, Brasilien oder Südafrika verfügen z.B. bereits heute über eine gewichtige nationale Produktion.


18

S. 20), weisen einen sehr interessanten Ansatz auf. Welches Modell sich durchsetzen wird, kann heute noch nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden. Doch der Zugang zu Medikamenten wird in der Zukunft ein klares Entscheidungskriterium bilden. Innovationen machen nur dann Sinn, wenn die Patienten tatsächlich profitieren können. Nichtregierungsorganisationen, wie HAI, KEI (S. 22), Ärzte ohne Grenzen, verlangen die Einführung neuer F&E-Modelle. Die neuen Modelle sollen auf einer anderen Finanzierung der F&E beruhen als durch das Produktionsmonopol und den Verkaufspreis der Medikamente. Sie schlagen z.B. ein Preismodell mit einer Belohnung vor, damit die Unternehmen ihre neuen Medikamente gleich als Generika entwickeln (siehe S. 22 und 23). Damit stellt sich eine wesentliche Frage: Sind die Regierungen bereit, die Kosten mitzutragen? Ein neuer, globaler, von den Regierungen gespeister F&E-Fonds könnte so geschaffen werden. Dieser,

6

vom Forschungsleiter der Novartis, Paul Herrling, eingebrachte Vorschlag, wird momentan von der internationalen Pharmalobby, der IFPMA (siehe S. 23), unterstützt. Die Vorschläge der Industrie stellen eine weitere Geldmaschine für die Privatwirtschaft dar. Unser Ansatz zielt in eine andere Richtung. Öffentliche Gelder sollten für die Entwicklung von Arzneimitteln als öffentliche Güter verwendet werden. Diese Heilmittel dürften dann überall in der Welt ohne Patentansprüche als Generika hergestellt werden. Die Umsetzung eines solchen Konzepts wird nicht von heute auf morgen erfolgen, sondern lang dauernde Debatten erfordern. Doch immer mehr Regierungen zeigen sich heute gegenüber neuen Konzepten ohne Patente und Handelsmonopol aufgeschlossen. Allerdings ist der WHO-Aktionsplan nicht bindend, sondern listet nur die möglichen Tätigkeiten auf. Wir müssen daher Druck ausüben, damit der Plan konkret umgesetzt wird.

7

Verbesserung der Verteilung und des Zugangs

Förderung dauerhafter Finanzierungsmechanismen

Die Regulierung des Pharmasektors ist für eine reibungslose Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten entscheidend. Dies betrifft die Qualitätsstandards für die Produktion, die Medikamentenpreise und die Qualitätskontrolle entlang der gesamten Verteilungskette.

Eine Schlüsselfrage: Die beste Strategie wird nur funktionieren, wenn die Regierungen sich auch finanziell engagieren. Ein aus 40 Regierungen bestehender „Thinktank“ zum Thema „Solidaritätsabgaben“ wurde geschaffen, um neue dauerhafte Finanzierungsmechanismen zu finden. Ein Vorschlag beinhaltet eine Abgabe von 0,005% auf dem Devisenhandel. Eine solche Abgabe würde den Markt nicht beeinflussen, aber eine riesige Menge Geld bereitstellen, die für die Finanzierung einer nicht gewinnorientierten F&E im Pharmabereich verwendet werden könnte. Einige Länder, wie z.B. Frankreich, haben bereits eine Abgabe auf jedem Flugbillett eingeführt, um so Gelder für die Gratisabgabe von Anti-Aids-Medikamenten an Entwicklungsländer zu erwirtschaften (Unitaid).

8 Weitere Begleitung

Ein Bericht zu den Fortschritten (progress report) über die Umsetzung der globalen Strategie und den Aktionsplan werden der WHO-Generalversammlung alle zwei Jahre vorgelegt.


19

SEIT DER ERKENNUNG DES PROBLEMS WERDEN WIEDER MEHR F&E-TÄTIGKEITEN FÜR NEUE MEDIKAMENTE, IMPFSTOFFE ODER DIAGNOSETESTS FÜR KRANKHEITEN, DIE VOR ALLEM DIE BENACHTEILIGTEN BEVÖLKERUNGSSCHICHTEN IN DEN LÄNDERN DES SÜDENS BETREFFEN, DURCHGEFÜHRT. ENDE 2004 ZÄHLTE MAN 63 PROJEKTE FÜR NEUE MEDIKAMENTE ZUR BEHANDLUNG VON TROPENKRANKHEITEN (U.A. MALARIA UND TUBERKULOSE). DIESER NEUE IMPULS STEHT IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ZUSTROM PRIVATER HILFSFONDS UND VERMEHRTER ÖFFENTLICHER MITTEL.

Neu erwachtes Interesse an Krankheiten des Südens D

ie Zunahme der Partnerschaften zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand (Public Private Partnerships - PPP) oder Partnerschaften für die Entwicklung eines Produkts (Product Development Partnerships - PDP) ist zweifelsohne die wichtigste Entwicklung der letzten Jahre. Diese Partnerschaften wurden geschaffen, um die F&E-Mängel der Industrie abzuhelfen. Im Jahr 2004 waren sie für 75% der neuen Medikamentenprojekte verantwortlich. Die PDP sind nicht gewinnorientierte Organisationen (häufig Stiftungen), die F&E-Projekte finanzieren und überwachen, indem sie Partnerschaften mit der öffentlichen Hand, Nichtregierungsorganisationen und der Privatwirtschaft eingehen. Die PDP sind spezialisiert auf der F&E von Medikamenten, Diagnosetests, Impfstoffen oder anderen Produkten, wie z.B. Mikrobioziden. Ihr Ziel ist es, der armen Bevölkerung Produkte zu einem erschwinglichen

© Fram Petit

Preis zur Verfügung zu stellen. Im Moment forschen rund 20 PDP an einer oder mehreren Krankheiten. Sie sind zum grössten Teil durch gemeinnützige und öffentliche Fonds finanziert. Hier nur einige Beispiele: Medicines for Malaria Venture (MMV), die Internationale Initiative gegen Aids (IAVI), das Weltbündnis für die Entwicklung von Anti-Tuberkulose-Mitteln, Drug for Neglected Diseases initiative (DNDi). Die grossen gemeinnützigen Stiftungen, wie z.B. die Bill-and-Melinda-GatesStiftung oder der Wellcome Trust, sind zu wichtigen Akteuren geworden. 2005 trug die Gates-Stiftung mit 714 Millionen Dollar zu 60% des Budgets der gesamten PDP bei. Ihr Einfluss auf die Ausrichtung der F&E über vernachlässigte Krankheiten entspricht ihren gewaltigen Ressourcen. Die grossen Pharmaunternehmen führen inzwischen auch einige Projekte zum Thema vernachlässigte Krankheiten durch


20

– manchmal in Partnerschaften mit dem öffentlichen Sektor. Mehrheitlich fokussieren sich diese Forschungen auf Malaria und Tuberkulose, für die es einen, wenn auch beschränkten Markt im Norden gibt. Einige Grossunternehmen haben spezialisierte Einheiten für die F&E vernachlässigter Krankheiten geschaffen. Novartis hat z.B. ein Forschungsinstitut über Tropenkrankheiten in Singapur geschaffen. Das Institut verfügt über ein jährliches Budget von 12 bis 15 Millionen Dollar und konzentriert sich auf die Tuberkulose und das DengueFieber. Der direkte wirtschaftliche Gewinn dieser F&E-Projekte steht nicht im Vordergrund. Die von den Medien stark beachteten Initiativen zielen vor allem darauf ab, dem Unternehmen in den Entwicklungsländern ein gutes Image zu verschaffen. Die

Unternehmen versäumen allerdings nicht, ihre Rechte am geistigen Eigentum auf diesen Produkten zu schützen.

In welche Richtung geht es in Zukunft? Es bleibt die Frage nach der Dauer dieses jäh entflammten Interesses an den vernachlässigten Krankheiten. Die Länder des Südens müssen langfristig neue Mittel für die F&E sichern können. Dies ist jedoch nicht die Perspektive der PDP, die an kurzfristigen, klar eingeschränkten Zielen interessiert sind. Daher bleiben die Staaten als Lenker und Anreizgeber gefragt. Andere Massnahmen, wie neue F&E-Mechanismen, sind zu entwickeln. Genau deshalb sind die im Rahmen der WHO geführten Diskussionen so interessant.

Eine Stiftung setzt sich für vernachlässigte Krankheiten ein DIE STIFTUNG „DRUG FOR NEGLECTED DISEASES INITIATIVE“ (DNDI) SETZT SICH FÜR DIE ENTWICKLUNG VON MEDIKAMENTEN GEGEN VERNACHLÄSSIGTE KRANKHEITEN DES SÜDENS EIN. SEIT IHRER GRÜNDUNG IM JAHR 2003 HAT SIE BEREITS ZWEI PATENTFREIE MEDIKAMENTE GEGEN MALARIA AUF DEN MARKT GEBRACHT. EIN NEUER ANSATZ FÜR DIE F&E? INTERVIEW MIT BERNARD PÉCOUL, ARZT UND LEITER DER DNDI.

Dr. med. Bernard Pécoul Geschäftsleiter

der DNDi

Wie ist die DNDi-Stiftung entstanden? Das Bedürfnis nach neuen, wirksamen Medikamenten für die vernachlässigten Krankheiten in den Entwicklungsländern war einer der Pfeiler der Kampagne von Ärzten ohne Grenzen (Médecins sans frontières, MSF) für den Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten. Im Oktober 1999 haben wir eine Expertenrunde zum Thema der mangelnden Forschung über diese Krankheiten veranstaltet. Als MSF den Friedensnobelpreis erhalten hatte, wurde das Geld für die Schaffung einer Arbeitsgruppe „Forschung“ eingesetzt. 2001 hat diese Gruppe einen Bericht mit dem Titel „Forschungspanne“ herausgegeben und darin unter anderem die Schaffung der DNDi vorgeschlagen. 2003 ist die Stiftung dann von mehreren öffentlichen Körperschaften gegründet worden (siehe Kasten S. 21).


Welches sind die Grundprinzipien Ihres F&E-Modells? Die Gesundheitsbedürfnisse der benachteiligten Bevölkerungen in den Ländern des Südens und die Verbesserung der Behandlung der vernachlässigten Krankheiten stehen im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Es geht darum, Medikamente gegen diese Krankheiten zu entwickeln, ohne Gewinne abzuschöpfen, um so „öffentliche Güter“, die den Ärmsten zugänglich sind, zu schaffen. Dieser Grundgedanke wird von allen Partnern, auch der Pharmaindustrie, getragen. Zudem spielen die Entwicklungsländer eine entscheidende Rolle während des gesamten Prozesses, vor allem bei der Festlegung der Bedürfnisse. Wir bemühen uns, einen Grossteil der F&E in den Entwicklungsländern durchzuführen. 60–70% unserer F&E-Arbeit erfolgt in diesen Ländern. Wir können jedoch nicht den gesamten Prozess im Süden durchführen, da bestimmte Stufen hoch entwickelte Technologien verlangen. Wie geht DNDi vor? DNDi betreibt keine Grundlagenforschung. Ansonsten folgen wir dem althergebrachten F&E-Pfad, von der Festlegung möglicher Wirkstoffe über die klinischen Versuche bis zum Zulassungsverfahren. Wir haben z.B. ein Medikamentenprojekt gegen die Schlafkrankheit lanciert. Nach dem Testen von über 500 Molekülen haben wir eins ausgewählt, das sich im Moment in der vorklinischen Phase befindet. Dieses Projekt könnte in ein oral einzunehmendes Medikament münden, um eine bestimmte Form der Krankheit zu behandeln. Die späteren klinischen Versuche müssen strengen ethischen Regeln in einem besonders schwierigen Umfeld genügen. Die von der Schlafkrankheit betroffenen Patienten leben in sehr abgelegenen Gebieten in Rwanda, der Demokratischen Republik Kongo und Uganda. Für uns ist die Oberhoheit der Staaten in der

F&E unabdingbar. Dies spiegelt sich in der Zusammensetzung der Leitung, der Finanzierung und in der Funktionsweise unserer Stiftung wider. Kurzfristig beruht der Erfolg der DNDi auf Projekten mit bereits bestehenden Medikamenten. Es handelt sich dabei um Medikamente, die ursprünglich für andere Krankheiten entwickelt wurden, aber auch gegen die vernachlässigten Krankheiten wirksam sind, oder um Medikamente, deren Weiterentwicklung aufgegeben wurde, oder um das neue Zusammensetzen verschiedener Medikamente mit festen Dosierungen. Wir haben bereits zwei neue Verbindungen mit fester Dosierung gegen die Malaria herausgebracht. Diese werden von der WHO empfohlen und erleichtern die Behandlung, indem die Anzahl einzunehmender Tabletten abnimmt. Ein anderes Beispiel für unser Vorgehen liefert die Schlafkrankheit. Die momen-

tan beste Behandlung besteht aus täglich viermal intravenösen Einspritzungen. Dies ist eine sehr mühsame und aufwendige Methode. Wir sind dabei, eine Behandlung zu entwickeln, die stattdessen zweimal täglich durch den Mund eingenommen werden könnte. Wie ist Ihre Politik gegenüber Patenten? Soweit möglich, sollen unsere Medikamente als „öffentliche Güter“ frei verfügbar sein, also patentfrei sein und geringe Kosten verursachen. Sollten wir gezwungen sein, ein Medikament zu patentieren, würden wir uns dennoch bemühen, es allen Patienten zugänglich zu machen.

Das Interview führte Julien Reihnard

Drug for Neglected Diseases initiative (DNDi) DNDi ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Genf. Sie wurde 2003 als Stiftung nach Schweizer Recht durch Ärzte ohne Grenzen (MSF), das Pasteur-Institut (Frankreich) und vier öffentliche Körperschaften aus Entwicklungsländern (die brasilianische Stiftung Osvaldo Cruz, den indischen Rat für medizinische Forschung, das Gesundheitsministerium Malaysias und das Kenianische Institut der medizinischen Forschung) gegründet. Die Hauptziele der DNDi: Patienten in einem Zeitraum von zehn Jahren sechs bis acht neue wirksame und sichere Medikamente gegen die am meisten vernachlässigten Krankheiten zur Verfügung zu stellen (Schlafkrankheit, Chagas-Krankheit, Leishmaniose u.a.). Diese Krankheiten befallen fast nur arme Menschen im Süden, und daher mangelt es an wirksamen Heilmitteln. Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, um ihre Forschungskapazi täten zu verstärken. Den Führungsanspruch der öffentlichen Hand in der F&E bestärken.

• •

Von den 250 Partnern der Stiftung entstammen 58% dem öffentlichen Sektor, 45% der nicht gewinnorientierten Privatwirtschaft und 7% sind Nichtregierungsorganisationen oder andere Stiftungen. Zudem werden Projekte der Stiftung mindestens zu 50% durch die öffentliche Hand finanziert. DNDi erhält ebenfalls private Zuwendungen (so z.B. 25 Millionen Euro durch MSF respektive Geld der Bill-undMelinda-Gates-Stiftung). Doch keiner der Spender darf mehr als 25% des Gesamtbudgets bestreiten, um die Unabhängigkeit der Stiftung nicht zu gefährden. www.dndi.org


22

DIE US-NICHTREGIERUNGSORGANISATION

„KNOWLEDGE

ECOLOGY

INTERNATIONAL“ (KEI) HAT MEHRERE VORSCHLÄGE VORGELEGT, UM INNOVATION MIT DEM ZUGANG ZU GESUNDHEIT IN EINKLANG ZU BRINGEN. DIESE VORSCHLÄGE WURDEN IM BERICHT DES AUSSCHUSSES FÜR EIGENTUMSRECHTE, INNOVATION UND ÖFFENTLICHE GESUNDHEIT DER WHO IM JAHR 2006 ERWÄHNT. SIE WERDEN IM RAHMEN DES WHO-AKTIONSPLANS NEU DISKUTIERT UND FÜR DIE PRAXIS VERFEINERT WERDEN. FÜR ZWEI DER VORSCHLÄGE BESTEHEN BEREITS KONKRETE IDEEN.

Patentgemeinschaften Eine Patentgemeinschaft (patent pool) ist ein Mechanismus, durch den Patente auf einer bestimmten Technologie, gehalten von verschiedenen Patentinhabern (Unternehmen, Universitäten, Forschungsinstitute), mit dem Ziel zusammengestellt werden, ein neues Produkt zu entwickeln. Die Bewirtschaftung der Rechte am geistigen Eigentum ist dabei zentralisiert. Solche Patentgemeinschaften heben die Schwierigkeiten auf, die mit der Vielzahl von Patenten auf einer Technologie einhergehen (siehe Seite 12), und sie erleichtern die Entwicklung, Herstellung und das Management. Häufig sind sie in Technikbereichen mit einheitlichen Normen, wie z.B. Radio oder DVDs, anzutreffen. Patentgemeinschaften für Patente auf medizinischen Technologien könnten nützlich sein, um Zusammensetzungen mit festen Dosierungen zu entwickeln und herzustellen. Es handelt sich hier um Medikamente, die in einer einzelnen Tablette mehrere, von verschiedenen Unternehmen patentierte Wirkstoffe enthalten. Solche Zusammensetzungen mit festen Dosierungen gibt es bereits für die HIV/ Aids- und Malaria-Behandlung. Für die Patienten wird die Behandlung dadurch angenehmer. Dieser Vorschlag bildet kein neues F&E-Modell, sondern ist eher ein

Neue F&EMechanismen

neues Managementmodell im Bereich des geistigen Eigentums. Im Juli 2008 hat der Verwaltungsratsausschuss der Unitaid1 dem Prinzip der Schaffung einer Patentgemeinschaft zugestimmt. Die Unitaid wird zu einem späteren Zeitpunkt diese Entscheidung von Fachleuten begutachten und genauer ausarbeiten lassen.

„Preise“ für medizinische Innovationen Anhand von „Preisen“ für die F&E innovativer Produkte soll ein neues Modell zur Erforschung neuer, innovativer medizinischer Produkte (Arzneimittel, Diagnosetests) gefördert werden. Damit sind Produkte gemeint, die den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen und einen therapeutischen Fortschritt darstellen. Als Dank für die Entwicklung eines innovativen Medikaments würde das ausgezeichnete Unternehmen oder Institut eine hohe Belohnung erhalten. Als Gegenleistung würde das Produkt zum öffentlichen, patentfreien Gut erklärt und könnte als Generikum hergestellt werden. Die Staaten und eventuell gemeinnützige, private Organisationen würden das System finanzieren. Im Gegensatz zum F&E-System, das auf Patenten beruht, ist in diesem Fall die Finanzierung der F&E vom Verkaufspreis abgekoppelt. Dadurch ist das Problem der unerschwinglichen Preise für neue Medikamente gelöst. Zudem würde nur die F&E von Produkten finanziert, die den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen und tatsächlich innovativ sind. 2008 haben Bolivien und Barbados die Einführung solcher Belohnungen vorgeschlagen, darunter u.a. einen Preis von 100 Millionen Dollar für die Entwicklung schneller Diagnosetests zur Erfassung von Tuberkulose. Diese zwei Länder verlangen, dass ihre Vorschläge im Rahmen der WHO im Jahr 2009 analysiert werden.

1

Unitaid ist eine zwischenstaatliche Organisation mit dem Zweck, Arzneimittel und Diagnosetests für

die Behandlung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose in den Entwicklungsländern zu kaufen. Die Organisation finanziert sich v.a. durch die nationalen Gebühren auf den Flugbilletten.


Vorschlag für ein internationales Abkommen über die medizinische F&E Bei diesem Vorschlag würden Staaten sich anhand eines Abkommens verpflichten, die medizinische F&E gemäss ihrem Bruttosozialprodukt zu unterstützen. Ein Teil dieser Investitionen müsste zwingend für Projekte gebraucht werden, die sich vornehmlich den vernachlässigten Krankheiten oder übertragbaren Krankheiten widmen, die alle Länder betreffen. Die Staaten wären ihrerseits frei in der Mittelwahl, mit der sie die F&E unterstützen wollen: Subventionierung der öffentlichen Forschung, Steuerrabatte für die in der F&E tätigen Unternehmen oder die Möglichkeit, Patente zu vergeben. Ein Staat, der seinen F&E-Pflichten nachkäme, könnte von seinen anderen wirtschaftlichen Pflichten (z.B. Patentierung von Medikamenten gemäss TRIPS-Abkommen) befreit werden. Die Investitionen in solche Forschungsprogramme würden in einem Anspruch auf ein „Credit“-System resultieren, wie dies beispielsweise bereits im Kyoto-Protokoll über das Klima der Fall ist. Staaten, die über das vorgeschriebene F&E-Programm hinausgehen, könnten diese zusätzlichen Kredite an „andere“ Staaten verkaufen. Dieser Abkommensvorschlag würde jeden Staat zwingen – gemäss seinen Möglichkeiten –, in die medizinische F&E zu investieren, und damit den starren und problematischen Rahmen der Finanzierung der F&E durch Patente zu verlassen, wie dies weltweit durch das TRIPS-Abkommen der WTO vorgeschrieben wird. Um diesen, durch die Zivilgesellschaft entwickelten Vorschlag umsetzen zu können, müssten die Staaten allerdings langwierige und schwierige Verhandlungen führen, da die Meinungen zum Thema „Schutz des geistigen Eigentums“ sehr stark voneinander abweichen.

Für weiterreichende Informationen www.keionline.org www.cptech.org /workingdrafts / rndtreaty.html www.unitaid.eu

Die Industrie schlägt einen Fond für vernachlässigte Krankheiten vor

DER FORSCHUNGSLEITER DER NOVARTIS, PAUL HERRLING, SCHLÄGT DIE SCHAFFUNG EINES F&E-FONDS FÜR VERNACHLÄSSIGTE KRANKHEITEN VOR. DIE IFPMA, DIE INTERNATIONALE LOBBY DER PHARMAINDUSTRIE, HAT DAZU EINEN MACHBARKEITSBERICHT HERAUSGEGEBEN.

Es ginge darum, einen F&E-Fonds für vernachlässigte Krankheiten zu schaffen, der von Pharmaunternehmen und Partnerschaften für die Entwicklung von Produkten (PDP) geleitet würde. Dieser Fonds würde durch die Zuwendung von Staaten und gemeinnützigen Organisationen (Welcome Trust, Bill and Melinda Gates Foundation u.a.), die im Verwaltungsrat vertreten sein würden, gespeist. Paul Herrling schätzt, dass es für die nächsten zehn Jahre Mittel in der Höhe von 6 bis 10 Milliarden Dollar braucht. Ein vom Verwaltungsrat ernanntes Expertengremium würde entscheiden, ob der Fonds die ihm vorgelegten F&E-Projekte über vernachlässigte Krankheiten finanziert. Das Gremium würde die Projekte überwachen und anhand der in der Industrie üblichen Kriterien (wissenschaftliche und technische Machbarkeit, medizinischer Bedarf, Zielprofil des Produkts) beschliessen, ob es zur nächsten Entwicklungsetappe zugelassen wird oder nicht. Kommerzielle Überlegungen würden hingegen nicht überprüft. Die Pharmaunternehmen, die für ein eigenes Projekt oder im Rahmen eines PDP

Zugang zu diesen Geldern wünschten, hätten die Möglichkeit, ihr geistiges Eigentum zu schützen. Dies geschieht allerdings nur dann, wenn die Produkte den Kunden im Süden zum Herstellungspreis zur Verfügung gestellt werden. Paul Herrling denkt, dieses Modell sei genug attraktiv für Pharmaunternehmen, da es die Rechte am geistigen Eigentum nicht bedroht. Ihm gemäss würde die F&E dank des Beitrags der Pharmaindustrie viel schneller zum Erfolg führen. Obwohl dieser Vorschlag noch verfeinert werden muss, sollte diese Lösung die Koordinierung und Überwachung der verschiedenen, heute verstreuten F&EProjekte über vernachlässigte Krankheiten verbessern. Dieser zentralistische Vorschlag organisiert den „neuen“ Markt der Zuwendungen der Staaten und wohltätigen Organisationen für vernachlässigte Krankheiten zugunsten der Industrie und der PDP. Es stellen sich jedoch einige Fragen; so zum Beispiel in Bezug auf eine demokratische und globale Gourveranz, auf die Rechte am geistigen Eigentum und an der Erstellung neuer F&E-Kapazitäten im Süden.


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Die Schweiz und die Forschung für den Süden DANK IHRER MEDIZINISCHEN FORSCHUNGSINSTITUTE UND DER PHARMAINDUSTRIE WÄRE DIE SCHWEIZ IN DER LAGE, SICH STÄRKER FÜR DIE FORSCHUNG

VERNACHLÄSSIGTER

KRANKHEITEN IN DEN LÄNDERN DES SÜDENS ZU ENGAGIEREN.

I

n der Schweiz geben die Unternehmen mehr Geld für die F&E aus als die öffentliche Hand (9,1 gegenüber 2,9 Milliarden über alle Forschungsgebiete hinweg). Während sich die Unternehmen auf ihre eigenen F&E-Tätigkeiten konzentrieren, finanziert die öffentliche Hand die Grundlagenforschung im Rahmen der Universitäten und Technischen Hochschulen. Der Gesundheitssektor bildet keine Ausnahme. 2004 haben die Pharmaunternehmen 3,5 Milliarden für

die F&E in der Schweiz ausgegeben. Im gleichen Jahr haben die Universitäten und die Technischen Hochschulen 470 Millionen Franken für die medizinische Forschung aufgewendet. Diese Lage widerspiegelt die Bedeutung der Pharmaindustrie und insbesondere der zwei Riesen Novartis und Roche. 2007 waren Medikamentexporte für einen Viertel aller Ausfuhren der Schweiz verantwortlich. Das erklärt, weshalb die Schweizer Regierung dem Schutz der Patente auf internationaler Ebene so viel (häufig zu viel) Gewicht beimisst.

Initiativen für den Süden Seit zehn Jahren vermehren sich die Initiativen zur Erforschung der Krankheiten des Südens in der Schweiz. Grossunternehmen wie Novartis mit seinem neuen Institut über die Tropenkrankheiten, aber auch kleine Biotech-Unternehmen, die mit Entwicklungspartnerschaften für Produkte

Die Schweiz und die WHO-Strategie Die Schweiz hat sich bei den Gesprächen der WHO über die Krankheiten des Südens konstruktiv verhalten. Sie hielt sich an die Linie des Berichts des Ausschusses für Eigentumsrechte, Innovation und Volksgesundheit. Dieser hatte unter dem Vorsitz von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss getagt. Hier der Standpunkt von Gaudenz Silberschmidt, dem Leiter der Abteilung für internationale Angelegenheiten im Bundesamt für Gesundheit (BAG), der die Schweiz bei diesen Verhandlungen vertreten hat: „Die Stärken der WHO-Strategie und des WHO-Aktionsplans beruhen auf einer breiten Gesamtschau. Die Strategie nimmt die weit angelegte Arbeit der Dreifuss-Kommission auf, die die Notwendigkeit von Massnahmen auf allen Ebenen (F&E, Technologietransfer, geistiges Eigentum, Finanzierung, Gesundheitssysteme) aufgezeigt hatte. Es ist zudem gelungen, das geistige Eigentum in die Strategie einzugliedern, als Anreiz für die Forschung, dabei aber auch die Systemmängel bei der Erforschung der vernachlässigten Krankheiten einzubeziehen. Bei der Umsetzung dieses Plans wird die Schweiz die Treffen der departementsübergreifenden Fachgruppe Gesundheit und geistiges Eigentum fortsetzen, um eine Liste der bereits in Angriff genommenen und der möglichen neuen Tätigkeiten zu erstellen und die nichtstaatlichen Akteure aufzufordern, sich an diesen Bemühungen zu beteiligen. Die Schweiz wird weiterhin das WHO-Sekretariat unterstützen und andere dazu ermuntern, eine ausdrückliche Umsetzung in Angriff zu nehmen. Das Gespräch mit Gaudenz Silberschmidt im Juli 2008 führte Julien Reihnard


(PDP) zusammenarbeiten, sind Beispiele dafür. Das in Basel ansässige Schweizer Tropeninstitut testet z.B. Wirkstoffe gegen Krankheiten des Südens. Das Schweizer Institut für Impfstoffe in Lausanne ist an der Erarbeitung eines Impfstoffes gegen HIV/Aids beteiligt. Das Global Health Institute, das 2006 an der ETH Lausanne gegründet wurde, arbeitet zu häufig vorkommenden, übertragbaren Krankheiten im Süden. Dazu kommen private, nicht gewinnorientierte Initiativen wie die Geneva Study Group on Noma, die von Forschern des Genfer Universitätsspitals ausging und die sich um ein besseres Verständnis der Ursachen der Noma-Krankheit bemüht. Die Krankheit kommt bei den Ärmsten in Afrika, Lateinamerika und Asien vor. Die Regierung ist an diesen Forschungsprojekten beteiligt, sei es als Geldgeber oder über die Entwicklungszusammenarbeit. Dazu gehört die bilaterale wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern des Südens, die Teilnahme an internationalen Initiativen wie Medicines for Malaria oder der European Development Countries Clinical Trial Platform, welche europäische Staaten und Länder südlich der Sahara zur Beschleunigung der Entwicklung von HIV/Aids-, Tuberkuloseund Malaria-Heilmittel zusammenführt.

Antenna: Wissenschaft im Dienst traditionellen Wissens Ein Grossteil der Bevölkerung der Länder des Südens greift bei der Behandlung von Krankheiten auf traditionelle Heilmittel zurück. Diese Feststellung veranlasste die Nichtregierungsorganisation „Antenna Technologies“ ihre wissenschaftliche Vorgehensweise in den Dienst dieser traditionellen Praktiken zu stellen. So untersuchte sie z.B. Malaria- Behandlungsmethoden in abgelegenen Gegenden von Afrika, in denen keine medikamentösen Behandlungen verfügbar sind. Die ForscherInnen von Antenna erfassten in einem isolierten Dorf in Mali gängige Rezepturen auf Pflanzenbasis, die sich bereits gegen die Malaria bewährt haben. Ziel war es, die Rezepte mit wissenschaftlichen Methoden zu bestätigen und verbesserte Rezepte zu entwickeln, die von der Dorfbevölkerung einfach genutzt werden können. Unter den Hunderten der verwendeten Rezepte konnten sechs Pflanzen identifiziert werden, deren Eigenschaften im Schweizerischen Tropeninstitut in Basel in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium von Mali untersucht wurden. Anhand verschiedener Anwendungskriterien (Verfügbarkeit, geringes Verwechslungsrisiko mit gefährlichen Pflanzen) wurde die Pflanze Argemone mexicana ausgewählt – ein Unkraut, das mit dem Mais aus Amerika importiert wurde und in allen tropischen Regionen wächst. Die vor Ort durchgeführten klinischen Studien ermöglichten es, aufzuzeigen, dass in isolierten Regionen Westafrikas mit hohen Malaria-Übertragungsraten Kräutertees auf der Basis von Argemone eine gute Erstlinienbehandlung gegen eine einfache Form der Malaria darstellen. Auf der Grundlage dieser Arbeiten konnte das Gesundheitsministerium von Mali ein in den Städten erhältliches „verbessertes traditionelles Arzneimittel“ entwickeln und in den Dörfern die Verwendung von Kräutertees fördern. In einer nächsten Phase wird Antenna untersuchen, ob die Wirkstoffe der Pflanze gegen Malaria auch in andern Pflanzenarten und in anderen Regionen zu finden sind, in denen die Krankheit grassiert. www.antenna.ch

Ungenügende Mittel Es ist schwierig, die Mittel abzuschätzen, die für die F&E der Krankheiten des Südens in der Schweiz aufgewendet werden. Marcel Tanner, Leiter des Schweizer Tropeninstituts, veranschlagt sie auf rund 50 Millionen Franken pro Jahr, wobei rund zwei Drittel aus der Privatwirtschaft stammen (Unternehmen und nicht gemeinnützige Organisationen). Angesichts des Ausmasses des Problems, des vorhandenen Know-hows und der Ressourcen könnten der Forschung über die Krankheiten des Südens sicherlich mehr Mittel zugesprochen werden. Der WHOAktionsplan wäre die Gelegenheit für die Schweiz, sich stärker für die Bekämpfung dieser Krankheiten einzusetzen.

© Forest & Kim Starr


D

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ie F&E für neue Arzneimittel, Behandlungen oder Präventionsprodukte – wie z.B. Diagnosemittel oder Impfstoffe – muss neu ausgerichtet werden, damit die benachteiligten Länder voll und ganz vom medizinischen Fortschritt profitieren können. Sie muss in erster Linie die Bedürfnisse der Bevölkerung des Südens berücksichtigen. Diese Aktivitäten stehen in Ergänzung zu politischen Massnahmen gegen Armut und kommen der öffentlichen Gesundheit (Ernährung, Trinkwasser, Hygiene, Gesundheitssystem, Prävention) zugute.

Die Position der EvB

In den letzten Jahren entstanden dank wohltätiger Stiftungen und öffentlich-privater Partnerschaften verschiedenste Projekte zur F&E von neuen Arzneimitteln gegen vernachlässigte Krankheiten des Südens. Diese kurzfristigen und auf Goodwill aufgebauten Initiativen genügen aber nicht. Es bedarf nachhaltiger Lösungen im Bereich der pharmazeutischen F&E für die Krankheiten des Südens. Staaten spielen im Gesundheitssystem eine entscheidende Rolle, insbesondere bei der Grundlagenforschung. Sie müssen ihre Lenkungsrolle im Bereich der F&E wieder wahrnehmen. Die Debatte der WHO im Rahmen der Strategie und des Aktionsplans für die Forschung zu Krankheiten in den Entwicklungsländern bietet hierzu Gelegenheit.

Wir fordern von der Schweiz:

1 2 3 4 5 6 7

Unterstützung der neuen Mechanismen für die pharmazeutische F&E, bei denen der Preis der Arzneimittel von der Finanzierung abgekoppelt ist und diese zu erschwinglichen Preisen verfügbar sind – als öffentliche Güter ohne Produktions- und Verkaufsmonopol.

Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit im Gesundheitsbereich, nicht nur zur Stärkung der Gesundheitssysteme, sondern auch zur Verbesserung der Kapazitäten der Länder des Südens in den Bereichen der pharmazeutischen F&E und Produktion.

Vermehrte Unterstützung von Initiativen und Projekten für die Erforschung von Krankheiten des Südens – inklusive nicht übertragbarer Krankheiten – unter Berücksichtigung des traditionellen Wissens.

Einführung neuer solidarischer Finanzierungsmechanismen (wie die Besteuerung von Finanztransaktionen oder Flugtickets) für die F&E von Krankheiten des Südens und die Gesundheitswesen in Entwicklungsländern.

Einhaltung der Rechte der Staaten zur vollen Ausschöpfung der vorhandenen Flexibilität im Rahmen des TRIPS-Abkommens (einschliesslich Zwangslizenzen), um so den Zugang zu Medikamenten zu erleichtern. Entwicklungsländern dürfen im Rahmen von Freihandelsabkommen keine, über das TRIPS-Abkommen hinausgehenden Rechte am geistigen Eigentum aufgezwungen werden.

Aktivitäten zur Stärkung der Rolle der WHO in der globalen Lenkung des Gesundheitswesens, insbesondere in Bezug auf Weichenstellungen für die Forschung auf internationaler Ebene.

Konsultierung der Schweizer Akteure und Akteurinnen im Rahmen der Strategie und des Aktionsplans der WHO zur F&E von Krankheiten in Ländern des Südens und Überlegungen für eine auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtete Forschung anregen.


Weiterführende Informationen: Angell Marcia, The Truth About the Drug Companies, How they deceive us and what to do about it, Random House, New York, 2005, XXVII, 319 S. Arzneimittelforschung, Plaidoyer für eine Wissenschaft im öffentlichen Interesse, Medico international / BUKO Pharma-Kampagne, Frankfurt-Bielefeld, 2008, 22 S.

Die Erklärung von Bern Die Erklärung von Bern (EvB) ist eine unabhängige entwicklungspolitische Organisation und wird weitgehend von ihren 20 000 Mitgliedern und Spenderinnen und Spendern getragen. Sie setzt sich bei Entscheidungsträgern der Schweizer Wirtschaft und Politik für die Beseitigung der ungerechten Beziehungen zwischen Norden und Süden ein. Sie engagiert sich für eine gerechte und menschenwürdige Globalisierung und betreibt Kampagnen-, Lobby- und Informationsarbeit in den Bereichen Wirtschaftsbeziehungen & Handelspolitik, geistiges Eigentum, Landwirtschaft, Biodiversität, Gesundheit und verantwortungsbewussten Konsum. www.evb.ch

Boschetti Pietro, Gobet Pierre, Hunkeler Josef, Muheinm Georges, Le prix des médicaments, L’industrie pharmaceutique suisse, Lausanne, Editions d’En Bas, 2006, 175 S. Henry David, Lexchin Joel, The pharmaceutical industry as a medicines provider, The Lancet, Vol. 360, 16 November 2002, S. 1590-95.

Antwort-Talon

Krimsky Sheldon, Science in the private interest, Has the lure of profits corrupted biomedical research? Rowman & Littlefield, Lanham, 2003, XVIII, 247 S.

Ich bestelle __ Exemplar(e) der Broschüre „Pharmazeutische Forschung und die Krankheiten des Süden: eine Unterlassungssünde“ Januar 2009, 28 S., 6 Fr. (exkl. Versandkosten)

Pignarre Philippe, Le grand secret de l’industrie pharmaceutique, La Découverte, Paris, 2003, 179 S.

Ich bestelle __ Exemplar(e) des Ratgebers „Saubere Renditen. Ökologisch und sozial verantwortungsvoll investieren“ , 2008, 34 Fr. oder 27.20 Fr. für EvB-Mitglieder (exkl. Versandkosten)

Prang H.P., éd., Drug Discovery and Development, Technology in Transitio Elsevier, 2006, London, XII, 346 S.

Bitte senden Sie mir _ Exemplar(e) des Kurzportraits „Globalisierung – Made in Switzerland“ (gratis) Ich trete der EvB bei (jährlicher Mitgliedsbeitrag: ab 60 Fr., inkl. Magazin „erklärung“)

Fatal Imbalance: The Crisis in Research and Development for Drugs for Neglected Diseases, Drugs for neglected diseases working group / Kampagne für den Zugang zu den unentbehrlichen Medikamenten der Ärzte ohne Grenzen, Genf, 2001, 29 S.

Bitte senden Sie mir 3 Probenummern des Magazins „erklärung!“ (gratis) Bitte senden Sie mir zusätzliche Informationen über die Arbeit der EvB

Santé publique, innovation et droits de propriété intellectuelle, Rapport de la Commission sur les Droits de Propriété intellectuelle, l’innovation et la Santé publique, Organisation Mondiale de la Santé, Genève, avril 2006, 239 pp. Disponible sur le site de l’OMS : www.who.int Nützliche Links: www.ladb.ch www.haiweb.ch www.keionline.org www.accessmed-msf.org www.bukopharma.de www.globalforumhealth.org www.who.int

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PHARMAZEUTISCHE FORSCHUNG UND KRANKHEITEN DES SÜDENS

EINE UNTERLASSUNGSSÜNDE

Wie funktioniert die Forschung und Entwicklung (F&E) neuer Medikamente? Welche Grenzen hat das marktbasierte F&E-Modell? Warum funktioniert es nicht für jene Krankheiten, die hauptsächlich die benachteiligtsten Bevölkerungsgruppen betreffen und verstärkt so die Krise des Gesundheitswesens in den Ländern des Südens? Welche nachhaltigen Lösungsvorschläge gibt es für dieses Problem? Wie kann die Entwicklung neuer bezahlbarer Medikamenten sichergestellt werden, die den Gesundheitsbedürfnissen der Entwicklungsländer gerecht wrid? Wie sieht die Position der Schweiz aus und was macht sie, um dieses Problem zu beheben? Die vorliegende Broschüre der Erklärung von Bern behandelt diese Fragen und erläutert die laufende Diskussion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über die pharmazeutische F&E zu Krankheiten, die Entwicklungsländer betreffen.


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