# 05 November_12
Audrey Gallet
das Magazin der ERklärung von bern
M e hr Tra n s
Ro h s t offe
p are n z im R o h
Schlagzeilen statt Stillschweigen Als die Erklärung von Bern im September 2011 das Buch «Rohstoff: das gefährlichste Ge schäft der Schweiz» lancierte, waren unsere Erwartungen zwar hoch, doch dass es für so viel Furore sorgen würde, haben selbst wir nicht zu hoffen gewagt. Dank glücklichem Timing und brisantem Inhalt hat das Buch eine Lawine von Berichten zum Rohstoffsektor ausgelöst und ist zu einem heiss diskutierten politischen Thema geworden.
Text_Oliver Classen, Urs Rybi, Marc Guéniat
Der Skandal ist, dass es kein Skandal ist: Dieser Grundbefund aus dem Rohstoffbuch fusst nicht zuletzt auf der medialen Ignoranz, mit der dieser Boom-Sektor vom Schweizer Journalismus für ihre Geheimniskrämerei jahrzehntelang faktisch belohnt wurde. Mit dem definitiven Abtauchen des skandalumwitterten Marc Rich verschwand Mitte der 90er-Jahre auch seine «Erbengemeinschaft» Glencore vom medialen Radar. Und die am Genfersee ansässigen Ölhändler wurden bis vor Kurzem überhaupt noch nicht wahr- und ernstgenommen. Gut recherchierte Berichte waF or ts e tz un g> >
erklärung!_05_2012
sto ffh a n del :
Auch die Schweiz soll Verantwor tung übernehmen.
2 __ Roh stoffe
>>Fortset zu ng vo n S eit e 1
ren ein rarer Rohstoff, was wir vor allem bei den aufwendigen Buchrecherchen spürten. Seit 2011 hat sich die Berichterstattung zum Rohstoffsektor allerdings radikal geändert: Im laufenden Jahr wurde in der Deutschschweizer Presse bereits über 1300-mal über Glencore berichtet, satte zehnmal häufiger als noch vor zehn Jahren. Und auch der, bis vor Kurzem noch völlig unbekannte, weltgrösste Ölhandelskonzern Vitol stand bis Oktober 2012 dreimal mehr im öffentlichen Rampenlicht als noch im gesamten Vorjahr. Basis und Auslöserin für diese mediale – und in der Folge dann auch politische – Aufmerksamkeitsexplosion für die lichtscheuen Rohstoffakteure waren die fundierten Fakten, die unser Buch erstmals versammelte und auf die sich viele Medienschaffende bis heute explizit beziehen. Wichtige Vorarbeit leistete die ökumenische Kampagne von Fastenopfer und Brot für Alle, die im März letzten Jahres schon zeigte, «wie Bergbauunternehmen den Kongo plündern». Auch Glencores Börsengang zwei Monate darauf sorgte für Schlagzeilen. Richtig lanciert wurde die Debatte um die Rohstoffhandelssupermacht Schweiz dann durch den Buchvorabdruck im deutschen Wochenblatt «Die Zeit» und ein veritables Dossier in der «Sonntagszeitung», das die Haupterkenntnisse unserer Recherchen auf vier Seiten zusammenfasste.
Danach entwickelte sich das über 400-seitige Werk zum Selbstläufer, so dass aktive Medien arbeit kaum mehr nötig war, reaktive dafür aber umso mehr. Diese bestand in der Erteilung von Auskünften und Statements, dem Versand unzähliger Rezensionsexemplare sowie vielen neuen Recherchen, die sich teils aus dem Buchstoff, teils durch Tagesaktualitäten oder externe Hinweise ergaben. Art und Qualität der zunehmend auch internationalen Berichterstattung über den Rohstoffplatz Schweiz wandelte sich im Laufe der Monate. Basierten die Rohstoffgeschichten zu Beginn meist fast vollständig auf unserem Buchmaterial, hat die Berichterstattung dank dem EvB-Bestseller markant zugenommen. Unser «wirtschaftspolitischer Krimi» (Deutschlandfunk) hat ein komplexes wie relevantes Thema nicht nur auf die Agenda gesetzt, sondern auch für die nun auf Hochtouren laufende politische Debatte den Informationsteppich gelegt. Mehr kann ein entwicklungspolitisches Buch nicht wollen. Die eigentliche Kampagne mit neuen und vertieften Recherchen sowie politischem Druck steht jedoch erst am Anfang. Es bleibt noch viel zu tun, bis Rohstoffgewinne gerecht verteilt werden.
Ein sauberer Rohstoffhandelsplatz Schweiz ist möglich – und nötig Wie war es möglich, dass ein Schweizer Wirtschaftssektor seit der Jahrtausendwende explosionsartig wachsen und weltweit führend werden konnte, von der Politik aber weitgehend unbeachtet blieb? Notabene eine Branche mit besonders ausgeprägtem Risikoprofil? Bei manchen Parlaments- und Regierungsmitgliedern dürfte
diese Frage in den letzten Monaten einiges Unbehagen ausgelöst haben. Auch wegen der Hilflosigkeit des Bundesrates im Parlament, die just am 19. September 2011, dem Erstverkaufstag unseres Rohstoffbuches, offenkundig wurde: Im Zusammenhang mit Sanktionen gegen Libyen um Auskunft zu den Aktivitäten von Schweizer
Imp ressu m erklärung! 5/2012 Auflage 22 500 Exemplare Herausgeberi n Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, info@evb.ch, www.evb.ch R eda ktion Susanne Rudolf, Angela Birrer G estaltung Clerici Partner Design, Zürich D r uck ROPRESS Genossenschaft, Zürich; gedruckt mit Biofarben auf Cyclus Print, 100% Altpapier, klimaneutraler Druck
« er k l ä r u n g ! » ers c h ei n t 4 - bis 5 -mal j ä h rli c h . M itglieder-beitrag: Fr. 60.– pro Kalenderjahr (inklusive Abonnement «erklärung!» und EvB-D okumentation). Postkonto 80-8885-4
erklärung!_05_2012
Ed i to __ 3
Ölhandelsfirmen gebeten, erklärte Bundesrat Johann Schneider-Ammann damals lapidar: «Der Handel über die in der Schweiz niedergelassenen Händler ist dem Bundesrat unbekannt. Er geht davon aus, dass Handel betrieben wird.» Wahrlich kein Ruhmesblatt für den Wirtschaftsmi nister der weltweit führenden Ölhandelsnation. Und ein Jahr später muss sich das Staatssekre tariat für Wirtschaft von der «Handelszeitung» ‹Naivität› vorwerfen lassen, weil Vitol unbemerkt und ungestört iranisches Öl kaufen konnte, was in den USA und der EU verboten wäre. Ist politisch also alles beim Alten geblieben? Definitiv nicht. Verbindliche Regeln sind zwar noch nicht greifbar; die Branche hat ihr Lobbying in Bundesbern in den letzten Wochen erst begonnen und prüft nun die Gründung eines nationalen Verbandes. Mittelfristig wird sie sich Mindeststandards und mehr Transparenz aber kaum verwehren können. Denn das politische Reputationsrisiko, auf welches selbst der Bundesrat in den letzten Monaten mehrfach verwiesen hat, ist inzwischen weitherum (an-)erkannt. Erfahrene Diplomaten und engagierte Verwaltungsangestellte schilderten uns ihre Sorge, dass es der Schweiz mit den Rohstoffkonzernen ähnlich wie mit den Banken ergehen könnte. Für politische Prophylaxe plädierte Mitte September auch der ehemalige Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty an einer Konferenz des Aussendepartementes (EDA) und konstatierte, dass die Zivilgesellschaft hier einmal mehr sensibler sei als Parlament und Regierung. Im vergangenen Jahr wurden von verschiedenen ParlamentarierInnen ein Dutzend Vorstösse zum Rohstoffplatz Schweiz eingereicht. Gleich zum Auftakt des Buchs forderte SP-Nationalrätin Hildegard Fässler in einem Postulat einen Grundlagenbericht vom Bundesrat. Dass sich die Regierung dazu bereit erklärte, war ein erster wichtiger Zwischenerfolg. Im März zog es der Nationalrat allerdings mit einer knappen Mehrheit von fünf Stimmen vor, weiter unwissend zu bleiben und lehnte das Postulat ab, was den Bundesrat freilich nicht daran hinderte, eine interdepartementale Rohstoffplattform mit der Erstellung eines verwaltungsinternen Reports zu beauftragen. Der unter der Leitung von Volkswirtschafts-, Finanzund Aussendepartement (zurzeit alle bürgerlich Fortsetzung>>
erklärung!_05_2012
Rohstofffundstücke
Susanne Rudolf
«Schweizerische Handelshäuser im Geschäft mit der Dritten Welt: die Kolonialherren aus der Schweiz» titelte die Erklärung von Bern in ihrer Dokumentation Nr. 5/1986. Bereits drei Jahre frü her hatte die EvB den Handel mit Nahrungsmit teln vertieft beleuchtet und konstatierte in der Dokumentation 1/1983: «Weizen: ein Drittel des Welthandels läuft via Schweiz». Die eklatanten Ungerechtigkeiten im weltweiten Rohstoffhandel beschäftigte die EvB schon damals. So kritisierte sie Nahrungsmittelspekulation und Warentermin geschäfte mit Baumwolle sowie das profitable Zusammenspiel mit dem Schweizer Finanzplatz. Rund ein Vierteljahrhundert später reifte in eini gen EvB-Köpfen der Gedanke, den Rohstoffhan del erneut gründlich zu untersuchen. Mit der Globalisierung massiv gestiegene Handelsströ me, neue Finanzierungsinstrumente und eine für Rohstofffirmen lukrative Steuergesetzgebung nährten den Verdacht, dass die Schweiz trotz des Niedergangs traditioneller Handelshäuser eine unregulierte Drehscheibe blieb. Ausgelöst durch ein substanzielles Legat nahmen wir Ende 2009 die Recherchen für ein Buchprojekt mit ungewissem Ausgang in Angriff. Rasch war klar, dass sich die Rohstoffdrehscheibe Schweiz schneller entwickelt hat, als vermutet. Dank Fi nanz-, Handels-, Recherche- und Medienexperti sen im Zürcher und Lausanner Team konnte das Buch «Rohstoff: das gefährlichste Geschäft der Schweiz» im September 2011 publiziert werden. Vom Erfolg waren wir selbst überrascht. «Die Ent hüllungen rufen Erstaunen hervor und geben zu denken», urteilte die nicht leicht zu überzeugende «Neue Zürcher Zeitung». Im Zentrum der zukünftigen Arbeit der EvB zum Rohstoffhandel bleibt die gerechte Verteilung der Rohstofferlöse. Denn es kann nicht angehen, dass ressourcenreiche Länder arm bleiben, während der Wirtschaftsstandort Schweiz auf ihre Kosten profitiert.
4 __ Roh stoffe
>>Fortset zu ng vo n S eit e 3
geführt) erstellte Bericht wird nächstens an den Bundesrat gehen. Unverständlich bis unverschämt ist, dass dieser seine Erkenntnisse nicht mit der Öffentlichkeit teilen will. Ein intrans parenter Bericht über diese intransparente Branche wäre eine allzu bittere Ironie des Schicksals für dieses Politikum. Flankiert wurde diese Regierungsinitiative von zahlreichen parlamentarischen Vorstössen zu Rohstoffthemen wie Korruption, Geldwäscherei, Konfliktmineralien, Sanktionen und Straflosigkeit. Und parallel dazu macht die Kampagne «Recht ohne Grenzen», an der die EvB massgeblich beteiligt ist, Druck für verbindliche Minimalstandards bezüglich Umwelt- und Menschenrechte bei Auslandgeschäften in sämtlichen Branchen. Auch international kam 2012 viel Bewegung in die Rohstoffpolitik. Zu seinem 10-jährigen Bestehen erhielt das einflussreiche Netzwerk Publish What You Pay das schönste aller möglichen Geburtstagsgeschenke: Die USA verabschiede‑ ten gegen alle Branchenwiderstände Gesetzesbestimmungen («Dodd-Frank»), die Rohstoffunternehmen zur Offenlegung aller Zahlungen an Regierungen verpflichten. Die EU wird bald ähnliche Regeln erlassen. Will sie sich nicht wieder wirtschaftspolitisch isolieren, muss die Schweiz ihren nicht unmassgeblichen Beitrag zum ent stehenden globalen Transparenz-Standard beitragen. Eine dieser Tage eingereichte, breit abgestützte Motion fordert genau dies. Umso mehr irritiert es, dass sich das EDA Anfang Oktober in der «Handelszeitung» plötzlich gegen verbindliche Regeln ausspricht und nur mehr auf das Freiwilligkeitsprinzip setzen will. Wird sich der Bundesrat tatsächlich eine solche Blösse geben und mit der Zahnbürste in der Hand zum Hausputz erscheinen?
panos pictures
___«Ein intransparenter Bericht über diese intransparente Branche wäre eine allzu bittere Ironie des Schicksals für dieses Politikum.»
Auf die Festlegung der Getreidepreise haben die eigentlichen ProduzentInnen kei ne n E i nfl uss .
140 120 Z a hl e n sagen mehr als W o r t e... 100 80
S NEW ore Glenc
Stichworte: «Rohstoffbranche» «Rohstoffbranche» & «Kritik»
140 120 100 2011/12
80 2010/11
2009/10
2008/09
2006/07
2007/08
2005/06
0
2004/05
20
Sprunghafter Anstieg der Medien‑ berichterstattung zur «Rohstoffbranche» 2003/04
2200-mal
40
2002/03
Deutschschweizer Presse bereits über über Glencore berichtet, mehr als im gesamten Jahrzehnt davor.
60
2001/02
2011/2012 wurde in der
60 40
Das Buch «Rohstoff: das ge fährlichste Geschäft der Schweiz» wurde insgesamt schon rund verkauft.
10 000-mal
20 0 03 02/ 03/0404/05 5/06 /07 08 0 06 07/ 08/09 9/10 0/11 /12 0 1 11
Rohstoff
erklärung!_05_2012
Roh s toff e __ 5
Korruption bei Glencore – der heisse Draht zum EU-Getreidemarkt In der Schweiz erhielt die Korruptionsaffäre um Glencore nur in einzelnen Medien ein Echo. Doch sie wirft ein grelles Licht auf die zweitgrösste Schweizer Firma und zeigt auf, wozu diese bereit ist, um sich auf dem angeblich freien Markt durchzusetzen. Am 27. Juni 2012 wurde die niederländische Tochtergesellschaft Glencore Grain Rotterdam BV mit einer Busse belegt sowie Mitarbeiter Aldo G. in erster Instanz für die Bestechung eines EUFunktionärs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Karel B., ein Angestellter der EU-Generaldirek tion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, war für die Festlegung der wöchentlichen offi ziellen An- und Verkaufspreise für Getreide zuständig. Von 1999 bis 2003 lieferte er vertrauliche Informationen an Glencore und erhielt dafür verschiedene materielle Gegenleistungen. Betroffen waren mindestens 15 Getreide-Auktionen im Umfang von 6,17 Millionen Euro. In Dutzenden von Fällen konnten die Verdachtsmomente nicht bewiesen werden. Doch bei Glencore und Aldo G. sowie bei einigen weiteren Einzelpersonen und Firmen halfen vor Gericht alle Ausflüchte nichts mehr. Gemäss dem Gericht erhielt Karel B. von Glencore unter anderem ein Mobiltelefon und die Kostenübernahme seiner «astronomischen» Telefonrechnungen: exakt 19 637.45 Euro für 3178 Anrufe zwischen Februar 2002 und Oktober 2003 – also durchschnittlich vier Anrufe pro Arbeitstag. Mehr als zwei Drittel der Anrufe gingen an Glencore, die meisten an Aldo G. Die Revisionsfirma von Glencore führte an, es gebe «keine Korrelation» zwischen den Telefonanrufen und den von Glencore erlangten Getreidegeschäften. Karel B. rechtfertigte seine häufigen Anrufe mit der Begründung, er habe verhindern wollen, dass Aldo G. «sich allzu alleine in den Niederlanden fühlt». Dies fanden die Richter zum Lachen,
denn die Untersuchung der belgischen Justizbehörden ergab unter anderem, dass die Kontakte besonders oft mittwochabends und donnerstagmorgens stattfanden – knapp vor der wöchentlichen Sitzung der EU-Behörden zur Festlegung
___«Greift eine Schweizer Rohstofffirma selbst in Brüssel zu solchen Mitteln, wie sieht dann die eigene Geschäftspraxis in Entwicklungsländern aus?» der Getreidepreise. Die Anrufe erlaubten Glencore, über die Angebote der Konkurrenz im Bild zu sein und einige Minuten vor Angebotsende eine passende Offerte einzureichen. Anlass zu Verdacht gab den belgischen Jus tizbehörden der ausschweifende Lebensstil Karel B’s. Sein Lohn aus der EU-Bürokratie wurde durch Annehmlichkeiten wie von Glencore gesponserte Familienferien an der Côte d’Azur aufgebessert. Mit den Korruptionsrisiken von Rohstoffgeschäften in Entwicklungsländern konfrontiert, verweisen Firmen und Politik oft auf die weltweit führenden Anti-Korruptionsgesetze in den OECD-Staaten und schieben die Schuld allein den «leider korrupten» Regierungen der Entwicklungsländer in die Schuhe. Greift eine Schweizer Rohstofffirma selbst in Brüssel zu solchen Mitteln, wie sieht dann die eigene Geschäftspraxis in Entwicklungsländern aus?
2. A uflage «Roh stoff : das gef ä h rlich ste Gesch ä ft der Sch wei z » ( 2012)
440 Seiten mit zahlreichen Illustrationen 15,5 cm 5 22 cm, Salis Verlag, CHF 34.80, EvB-Mitglieder CHF 29.–
erklärung!_05_2012
6 __ C l e an Clot hes Cam paig n
CCC
Kambodscha: Schluss mit den Ausreden – Existenzlohn für alle Kambodscha ist mit einem gesetz lichen Mindestlohn von 61 US-Dollar eine der weltweiten Tiefpreisinseln. Dank einem Fabrik-Monitoringpro gramm der Internationalen Arbeits organisation (IAO) der Uno gilt das Land als vergleichsweise risikoarm für Arbeitsrechtsverletzungen. Doch seit Kurzem mehren sich Negativ schlagzeilen: Gleich reihenweise fal len NäherInnen in Zulieferbetrieben von Adidas, Puma, H & M und weite ren Grosskunden in Ohnmacht. Text_ Christ a Lug inbühl
Allein im Jahr 2011 sind über 2400 Ohnmachtsfälle bekannt geworden. Firmen wie H & M versuchen, dieses «Phänomen» als Massenhysterie kleinzureden. Doch die Fakten sind klar: Die Menschen sind mangelernährt und kollabieren deshalb nach stundenlanger Arbeit in den heissen Fabrikhallen. Moa Chenda, 27-jährig, Näherin bei Evergreen Apparel, einem Levi’s-Lieferanten, ist eine von ihnen. Pro Tag kann sie rund einen Dollar für ihr Essen ausgeben. Damit bekommt sie Suppe und etwas Reis, insgesamt 1400 – 1500 Kalorien, obwohl für mit-
telschwere körperliche Arbeit 2000 – 2200 Kalorien nötig wären. Chenda ist wie die meisten kambodschanischen Näherinnen permanent und gravierend mangelernährt. «Letzten Monat litt ich an einer ernsthaften Unterzuckerung und musste 25 Dollar für die Behandlung bezahlen. Da die Versicherung der Fabrik nur berufsbedingte Risiken abdeckt, musste ich selber für alles zahlen. Heute bin ich wegen der Müdigkeit und dem unzureichenden Essen viel häufiger krank als früher.» Nach neun Jahren Arbeit in der Textilbranche will sie weg aus der Fabrik
Existenzlohn
Jetzt SolidaritätsUnterhosen aus thailändischer Frauen-Kooperative bestellen Nach der Massenentlassung in einer Tochterfirma des Unterwäschekonzerns Triumph im Jahr 2008 haben 13 Frauen mit der Produktion einer eigenen Unterwäschelinie, der Try Arm begonnen. Die EvB hat bereits 2009 in einer Solidaritätsaktion Unterhosen verkauft und den Aufbau der selbstverwalteten Frauenkooperative unterstützt. Heute gilt Try Arm für viele Arbeits- und Menschenrechtlerinnen in Asien als motivierendes Vorbild. Noch hat die Kooperative nicht genug Umsatz, damit sich die Frauen einen Existenzlohn auszahlen können. Mit dieser Aktion erhoffen sie sich daher eine grössere Bekanntheit und weitere Produktionsaufträge. Für die EvB-Unterwäsche vergüten wir Try Arm einen Aufpreis von 65 Rappen pro Unterhose für einen Existenzlohn sowie einen Beitrag an einen Investitionsfonds. Selbst in einer kleinen Kooperative mit vergleichsweise geringer Produktivität und höheren Overheadkosten braucht es für einen Existenzlohn also nur wenige Rappen mehr – und der Endverkaufspreis wird dadurch trotzdem kaum höher!
« T r y A rm» -Unterhosen
für Frauen und Männer
Unterstützen Sie die Try-Arm-Kooperative und die Arbeit der EvB mit dem Kauf von Unterwäsche: www.evb.ch/tryarm
erklärung!_05_2012
C l e a n C l oth e s C a mp a i gn __ 7
und sich als Schneiderin selbstständig machen. Doch dazu fehlt das Geld; ihre Ersparnisse belaufen sich auf gerade mal neun Dollar. Ein Existenzlohn in Kambodscha würde gemäss Asia-Floor-Wage-Allianz 274 US-Dollar betragen – Firmen stöhnen auf, wenn sie mit dieser Lohnforderung konfrontiert werden. Wie zynisch, denn Konzerne wie H & M oder Inditext/Zara haben dank den Produkten, die von NäherInnen wie Chenda hergestellt werden, in den letzten Jahren kräftig zugelegt. H & M hat von 2008 bis 2011 den Umsatz um
fast 24 Prozent gesteigert, Inditex/Zara um gut 32 Prozent. Beide Unternehmen erwirtschafteten 2011 einen Gewinn von über 2 Mia. Franken und eröffneten in den letzten vier Jahren weltweit 1263 Shops (Inditex/Zara) bzw. 734 Shops (H & M). Das Vermögen von Amanico Ortega, Gründer, Verwaltungsratsmitglied und Hauptaktionär von Inditex/Zara, wird auf 37,5 Mia. US-Dollar geschätzt, dasjenige von Stefan Persson, Verwaltungsratspräsident und Hauptaktionär von H & M auf 26 Mia. US-Dollar. Diese ungleiche Profitverteilung ist himmel-
schreiend, die Tatsache, dass die Firmen ihren Näherinnen und Nähern keinen Existenzlohn bezahlen, schlicht ein Skandal. Die Clean Clothes Campaign hat deshalb zusammen mit kambodschanischen Gewerkschaften eine europaweite Kampagne gestartet und fordert Gap, H & M, Inditex/Zara und Levi’s als Hauptkunden der kambodschanischen Bekleidungsindustrie auf, mit gutem Beispiel voranzugehen und endlich einen Existenzlohn zu bezahlen. Beteiligen Sie sich an unserer Protestaktion: www.evb.ch/livingwage
Sk a n d alfälle
Todesfalle Textilfabrik Fabrikbrände in Pakistan Mitte September forderten Hunderte von Leben. Ursache der Tragödie ist die Nichteinhaltung von Sicherheits bestimmungen.
die Firma KIK, siebtgrösster Textileinzelhändler Deutschlands, in der abgebrannten Fabrik produzieren liess. Für die EvB steht fest, dass nebst lokalen Fabrikbesitzern und Regierungsstellen auch internationale Markenunternehmen Mitverantwortung bei der Einhaltung und Umsetzung von Sicherheitsbestimmungen in ihren Produktionsstätten tragen. Beunruhigend in diesem Fall ist, dass die Prüfungsstelle Social Accountability International (SAI) der Fabrik im August 2012 ein SA8000Zertifikat u.a. auch für den Bereich Si-
Text_Julia S pet zler
erklärung!_05_2012
Fordern Sie gemeinsam mit der EvB die Belangung der verantwortlichen Re gierungsbehörden und Fabrikbesitzer sowie eine gerechte Entschädigung für die Überlebenden und Hinterbliebenen. www.evb.ch
Proteste i n Pa k is
gegen die unge nügenden Sicher heitsvorkehrungen in Fabriken
tan Zehra Khan
Am Abend des 11. September 2012 brachen in einer Schuhfabrik in Lahore und in einer Textilfabrik in Karachi Feuer aus. Über 300 ArbeiterInnen kamen ums Leben. Das Unglück der beiden Fabrikbrände macht ersichtlich, dass die Bemühungen zur Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen noch immer nicht genügen und Fabriküberprüfungssysteme von Auditfirmen versagen. Die Brandursache in der Textilfabrik ist noch unklar. Fest steht, dass die Fabrik über mangelnde Sicherheitsstandards verfügte und die Eingeschlossenen dem Feuer nicht entrinnen konnten. Fenster waren vergittert und Notausgänge mit Ware blockiert oder verriegelt. Bisher ist nur bekannt, dass
cherheit ausstellte. Dies wirft die Frage auf, ob Prüfungsstellen ihre Unabhängigkeit wahren können, wenn sie von Unternehmen mitfinanziert sind. Die Fabrikbrände in Pakistan lassen diesbezüglich Zweifel aufkommen.
8 __ Lob byArbeit
Un t e r nehmenssteue r n
Sonderregeln für Unternehmen im Visier Seit Jahren fordert die EvB die Ab schaffung der Steuerprivilegien für Domizil-, gemischte und Holding gesellschaften. Unter dem Druck der EU geht es nun voran.
vermeidung: Gewinne, die eigentlich in anderen Ländern erwirtschaftet wurden und deshalb dort versteuert werden müssten, werden in die Schweiz transferiert. Sonderbesteuerte Unternehmen machten 2009 (neuere Zahlen gibt es nicht) 62 Mia. Franken Reingewinn. Auf Bundesebene bezahlten sie lediglich 3,8 Mia. Franken Steuern. Doppelte Nichtbesteuerung ist in Zeiten leerer Staatskassen inakzeptabel. Deshalb erstaunt es nicht, dass die EU die Schweiz unter Druck gesetzt hat, diese unfairen Steuerprivilegien abzuschaffen. Zu diesem Ziel haben Bund und Kantone kürzlich eine entsprechende Projektorganisation eingesetzt. In welche Richtung dies führt,
Text_And reas Missbac h
In der Schweiz müssen Domizil-, gemischte- und Holdinggesellschaften nur einen geringen Teil ihrer ausländischen Gewinne versteuern, einige sind ganz steuerbefreit. Dies hat nicht nur dazu geführt, dass als Holding organisierte Unternehmenshaupt- oder Europasitze in den letzten Jahren in grosser Zahl in die Schweiz verlegt wurden. Ebenso sind die Sonderregeln eine Einladung zur aggressiven Steuer-
ist im Prinzip klar: Die Sonderregeln werden abgeschafft, dafür werden die regulären Steuern gesenkt. Das Problem dabei ist, dass die Kantone höchst unterschiedlich betroffen sind. In Zug ist die Differenz zwischen den normalen Unternehmenssteuern und der effektiven Steuerbelastung der Privilegierten gering. Eine Anpassung wäre also wenig spürbar. Ganz anders in Genf; hier sollen die normalen Unternehmenssteuern auf 13 Prozent gesenkt werden, wodurch 457 Millionen Franken jährlich an Steuereinnahmen fehlen. Die Genfer Rohstoffhändler (bisher als gemischte Gesellschaften privilegiert) zeigten sich über diesen Vorschlag höchst erfreut.
Ha n d e lspolitik
«Ich bin wirklich geschockt» Mittelpunkt der Diskussionen mit VertreterInnen von Uno-Organisationen, der Schweizer Verwaltung und dem Parlament stand die weit verbreitete Zwangsarbeit in China. Wus Schätzungen zufolge arbeiten heute etwa drei bis fünf Millionen Menschen in den sogenannten «Laogai». Der heute in Washington lebende Harry Wu, der selbst 19 Jahre in Arbeitslagern schuften musste, fordert von der Schweiz, dass sie sich im Rahmen des Freihandelsabkommens nicht
Dies war die Reaktion des promi nenten chinesischen Dissidenten Harry Wu, als er erfuhr, dass die Schweiz mit China ein Freihandels abkommen verhandelt.
Seine Betroffenheit ist verständlich, kämpft Wu doch seit Jahrzenten gegen Menschenrechtsverstösse in China. «Die Schweiz muss Druck auf China ausüben, damit es im Rahmen des Freihandelsabkommens die Menschenrechte respektiert», forderte er anlässlich seines Besuches in der Schweiz. Auf Einladung der Erklärung von Bern und ihrer Partnerorganisationen der China-Plattform weilte Harry Wu Mitte September während einer Woche in der Schweiz. Das Programm umfasste Lobby- und Pressegespräche, Sitzungen und öffentliche Veranstaltungen in Zürich, Bern und Genf. Im
Laogai Research Foundation
Text_Thom as B rau nsc hweig
«Laogai»:
Zwangsarbeitslager in China
nur um die aus dem Ausland bezogenen Waren kümmern dürfe, «sondern auch um die Menschen, die diese Waren herstellen». Mit seinen eindrücklichen Schilderungen der Zustände in den Zwangsarbeitslagern und seinem umfassenden Wissen zur Menschenrechtssituation in China – Wu leitet die renommierte Laogai Research Foundation, die die Zwangsarbeit in China dokumentiert und denunziert – zog er das zahlreich erschienene Publikum an den Veranstaltungen in Genf und Zürich in seinen Bann. Und er richtete einen deutlichen Appell an unser Land: Die Schweiz müsse Druck aufsetzen und ihre Bedenken zu den Arbeitsbedingungen, den ethnischen Minderheiten und der Religionsfreiheit in China ausdrücken. Entsprechend müsse sie die Menschenrechte in einem künftigen Freihandelsabkommen unbedingt berücksichtigen. erklärung!_05_2012
U n t e r n e h m e n s v e r a n tw or tun g __ 9
Fi n a n zen
Unterstützung für chinesische Organisationen EvB-Ostexpansion: Mitte September nahm der EvB-Finanzexperte An dreas Missbach an einem vom Bank Track-Netzwerk organisierten Training für chinesische Nichtregie rungsorganisationen teil. Text_Andreas Missbac h
blühende Szene von chinesischen Umwelt-NGO. Der Pekinger Führung ist es ebenfalls mehr als recht, wenn Unternehmen, welche die Umweltgesetze missachten, von NGO unter Druck gesetzt werden. Wie kann über Banken Druck auf Umweltsünder gemacht werden? Welche Erfahrungen haben NGO mit westlichen Banken gemacht? Und hat die Finanzkrise die globale Finanzlandschaft verändert? Die Bandbreite der am BankTrack-Training diskutierten Fragen war breit; die Herausforderungen, vor denen unsere chinesischen Partnerorganisationen stehen, sind riesig. In den Worten von Hao Xin, Direktor von Green Zheijang: «Wir sind kleine Leute, die die ‹big players› verändern wollen.»
zvg
asia-trip.info
Seit der Finanzkrise nimmt die globale Bedeutung der europäischen und der US-Banken ab, stattdessen werden Banken aus den BRIC-Ländern (Brasilien, Russland, Indien und China) immer wichtiger. BankTrack, das von der Erklärung von Bern mitgegründete bankenkritische Netzwerk, kontert diesen Trend mit einem BRICK-Programm (englisch für Ziegelstein). Dieses hilft den neuen Bankenmächten, die Kapazitäten von lokalen Nicht regierungsorganisationen (NGO) zur Überwachung von Banken auf- und
auszubauen. Das Training in der Mil lionen-Stadt Tianjin südöstlich von Peking lehnte sich an das gleichzeitig dort stattfindende «Sommer-WEF» an. Das hatte den Vorteil, dass die Vertreter der grösseren chinesischen NGO an beiden Veranstaltungen teilnehmen sowie Banken- und Regierungsvertreter leicht für eine öffentliche Veranstaltung gewonnen werden konnten. Grundsätzlich sind in China die Rahmenbedingungen für ein ökologisch verantwortliches Bankgeschäft besser als in anderen Staaten wie beispielsweise der Schweiz. Als einziges Land hat China eine Gesetzgebung, die den Banken vorschreibt, ihre Kreditvergabe auf Umweltkriterien zu überprüfen. Jedoch werden progressive Gesetze in den Provinzen und Regionen oft nicht umgesetzt. Dies erklärt die in den letzten Jahren rasch gewachsene
T ian j i n :
Standort des Sommer-WEFS und eines NGO-Treffens.
erklärung!_05_2012
E v B- Fi na nz e x p erte
Andreas Missbach in China
1 0 __ KO NS UM
Ba o b ab
Ein Schöpfungsmythos der Tzotzil- Maya Ein neues Bilderbuch in der Reihe Baobab hat einen langen Weg hinter sich. «Als die Sonne ein Kind war» erzählt einen Mythos der TzotzilMaya aus Mexiko.
genau. In ihrem Dorf nahe von San Cristóbal de las Casas in Chiapas ist sie eine respektable Person. Neben ihrer Arbeit als Hebamme und Heilerin hat sie zahlreiche soziale Projekte lanciert und als unverheiratete Frau acht Adoptivkinder grossgezogen. Dass sie Garn spinnt und Stoffe webt, ist für sie ebenso selbstverständlich, wie sie epische Geschichten aus der mündlichen Überlieferung ihrer Kultur erzählt. Mendes Peres gehört zum Volk der
Text_So n j a Mat heso n, B ao b a b Boo k s
Maruch Mendes Peres ist eine eindrückliche Frau, hat stets ein Lachen im Gesicht und immer etwas zu tun. Vor rund fünfzig Jahren wurde sie geboren, in welchem Jahr weiss sie nicht
M e n des Peres
zvg
Geschichtener zählerin M ar u c h
Tzotzil-Maya. Ihre Heimat, der Bundesstaat Chiapas, liegt im Süden Me xikos. In den 1990er-Jahren gingen die Nachrichten vom Aufstand der zapatistischen Befreiungsbewegung um die Welt. Die mexikanische Regierung griff hart durch, doch die Situation der indigenen Bevölkerung ist immer noch desolat. In den Gemeinden fehlt die Infrastruktur: Das Wasser ist knapp, Strom gibt es nur in wenigen Häusern. Geschichtenerzählerinnen wie Maruch Mendes Peres tragen – den widrigen politischen Umständen zum Trotz – zum reichhaltigen kulturellen Schatz der Maya bei. Im Gegensatz zu vielen anderen indigenen Völkern konnten die Tzotzil ihre Sprache und Traditionen bewahren. Nach einem mehrjährigen Entstehungsprozess liegt nun die seit Jahrhunderten überlieferte Maya-Legende von der Schaffung der Gestirne als ein
Sc h o k olade
Bringt die Welt-Kakaokonferenz neue Lösungen? Die Erklärung von Bern setzt sich an der Welt-Kakaokonferenz in Abid jan (Elfenbeinküste) für benach teiligte Kakaobauern ein und fordert von Unternehmen verbindliche Massnahmen. Text_Sasc ha B indler
Seit der ersten Schoggi-Kampagne der Erklärung von Bern 2009 hat sich einiges bewegt im internationalen Kakaosektor. Doch noch immer sind die Kräfte zwischen Konzernen und Bauern sehr ungleich verteilt. Weltweit stehen 5,5 Millionen Kakaobauern familien gerade mal zehn transnatio-
nalen Unternehmen gegenüber, die über die Hälfte des Marktes kontrollieren. Moralisch besonders stossend ist, dass Kakao- und Schokoladenunternehmen trotz Rezession jedes Jahr Gewinne in Milliardenhöhe ausweisen, während die Misere bei den Rohstoffproduzierenden gleich bleibt. Weil die finanzielle Situation der Pflanzerinnen und Pflanzer nach wie vor desaströs ist, bleibt missbräuchliche Kinderarbeit ein Problem. Kautschuk und Palmöl statt Kakao Die Angst geht um, dass schon im Jahre 2020 eine Million Tonnen Kakao
fehlen wird. Dies entspricht einem Viertel der heute geernteten Menge. Die Ursachen dafür sind: alte Baumbestände und fehlendes Interesse am Kakaoanbau bei den Nachkommen der Bauernfamilien aufgrund der miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen. Diese weichen vermehrt auf Kautschuk und Palmöl aus. Neue Firmenbefragung im Gang Vom 20. bis 23. November findet die Welt-Kakaokonferenz in Abidjan statt. Das Ziel ist die Erarbeitung einer globalen Agenda für eine nachhaltige Welt-Kakaowirtschaft. Die EvB ist vor erklärung!_05_2012
KO NSU M __ 1 1
K o l u m n e A n d r ea Hüsser DOSSIER
Gemeinschaftswerk dreier Künstlerin nen in deutscher Sprache vor: «Als die Sonne ein Kind war». Ein poetischer Mythos mit leuchtenden Bildern.
«Wo Schule und Wirtschaft sich treffen»
www.baobabbooks.ch
Ein Lehrmittel zum Thema Fleisch, herausgegeben vom Schweizer Fleischverband. Lernlektionen zu Kernenergie und Kernkraftwerken, erstellt von Swissnuclear. Sexualkunde, ein Lerndossier von Bayer. Die Liste löst ein nervöses Räuspern aus. Das klingt dreist. Ist das ernst gemeint? Oh ja.
Ort und setzt sich dafür ein, dass Arbeits- und Menschenrechte darin genügend Beachtung finden und Unternehmen verbindlich in die Pflicht genommen werden. Auch die Schweizer Schokoladefirmen sind betroffen. Eine neue Firmenbefragung, deren Resultate Ende Februar publiziert werden, soll zeigen, wie sich die Schweizer Firmen für die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten in ihren Lieferketten einsetzen und ob sie Fortschritte verzeichnen können seit der letzten Befragung im Jahr 2010.
erklärung!_05_2012
Unlängst berichtete die «SonntagsZeitung» über das Phänomen, dass Schulen immer öfter auf Lehr mittel zurückgreifen, die von Firmen gesponsert sind. Im Internet können die Schulmaterialien gratis bezogen werden. Laut Artikel zeigt sich die Inter kantonale Lehrmittelzentrale besorgt über diese Entwicklung. Eine dieser Internetplattformen heisst kiknet, eine weitere Plattform bietet der Verein Jugend und Wirtschaft. Dieser fördert laut eigenen Angaben den Austausch zwischen Bildung und Wirtschaft und will vermehrt Begegnungen zwi schen Schulen und Unternehmen ermöglichen. So können Lehrerinnen und Lehrer der Gymnasialstufe beispielsweise auf ein Online-Dossier zugreifen, das von Nestlé zum Thema Unternehmensverantwor tung erarbeitet wurde – inklusive Fallbeispiel «Nes café-Plan». Im Vereinsvorstand sitzen unter ande rem Vertreter der Economiesuisse und der Bankier vereinigung. Der Verein sieht die Lehrpersonen klar als Multiplikatoren. Ein Grund, warum Lehrerinnen und Lehrer diese Plattformen nutzen, ist einfach gefunden: Man kommt praktisch und schnell zu fixfertig aufberei tetem Material. Dass Firmen Schulen als Ort der zielgruppenspezifischen Gratiswerbung nutzen für Produkte und Geschäftspolitik ist allerdings höchst alarmierend. Bleibt zu hoffen, dass dieser Prozess nicht der Anfang einer schleichenden Einmischung der Wirtschaft in die Bildungslandschaft abzeichnet. In diesem Umfeld sind die Lehrerinnen und Lehrer einmal mehr gefordert, wachsam zu sein und solche Angebote mit kritischem Geist zu überprüfen.
1 2 __ p Ka orträt mpagnen
Na d j a Lang
Botschafterin für den fairen Handel Vor 20 Jahren begann die Max-HavelaarStiftung (Schweiz) ihr Engagement für gerech tere Handelsbeziehungen mit den Bauern aus Entwicklungsländern. Ins dritte Jahrzehnt seines Bestehens schreitet die Fairtrade Organisation mit einer neuen Geschäftsleite rin: Nadja Lang will Fairtrade-Produkte noch stärker in der Breite etablieren. Text_Mic hael Sc hillig er
Desborough Fotografie
Als am 14. Februar 1992 das Fairtrade-Max-Havelaar-Label aus der Taufe gehoben wurde, absolvierte Nadja Lang gerade ihr letztes Lehrjahr bei der Migrosbank. Zürcher Kantonalbank und Betriebswirtschaftsstudium an der Zürcher Hochschule in Winterthur vervollständigen die eher untypische Ausbildung für eine Geschäftsfüh rerin einer Nichtregierungsorganisation (NGO). Klassischer dagegen ist die Sensibilisierung für entwicklungspolitische Probleme auf Reisen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Bei General Mills und Coca-Cola mauserte sich Lang zur Expertin im Lebensmittelmarketing, bevor sie 2005 den Seitenwechsel vollzog. «Ich hatte Max Havelaar als Arbeitgeber gesucht», gesteht sie. Zu prä-
gend waren die Reiseerfahrungen; zu verlockend die Möglichkeit, mit Max Havelaar das in der Privatwirtschaft Gelernte auch für das Wohl der Kleinbauern anzuwenden. Im Vergleich mit Coca-Cola ist das Marketingbudget der Fairtrade-Organisation beschränkt. Lang zeigte sich erfinderisch, vergrösserte das Sortiment und versuchte Fairtrade-Produkte auch der Gastronomie schmackhaft zu machen. Restaurants und Cafés bieten Konsumierenden «einen geschützten Ort, um Fairtrade-Produkte auszuprobieren und sich von deren Qualität zu überzeugen», sieht Marketingprofi Lang die Vorteile des neuen Absatzkanals. Der Weg in die Massenmärkte ist Teil der Strategie, die die MaxHavelaar-Stiftung seit Beginn verfolgt. «Bereits bei der Gründung war das Ziel, aus der Nische hinauszutreten und mit den Grossverteilern Fairtrade-Produkte einer grösseren Bevölkerungsgruppe zugänglich zu machen. Was wir heute tun, ist nur die logische Fortsetzung dieses Grundgedankens.» Wachstum und Effizienz sind für die 39-Jährige keine ideologisch vorbelasteten Begriffe – sofern sie Gutes bewirken können. Eine kürzlich veröffentlichte Untersuchung der Universität des Saarlandes zum Thema Fairtrade bestätigt Langs Haltung. Demnach profitiere in Gebieten mit Fairtrade-ProduzentInnen die ganze Region vom fairen Handel. Und: Je mehr Fairtrade-Produkte abgesetzt werden, desto grösser seien die in der Studie gemessenen Vorteile. Um noch mehr ProduzentInnen am fairen Handel teilhaben zu lassen, kommt für Lang deshalb auch eine Zusammenarbeit mit grossen Unternehmen, deren Kultur und Denkweise sie dank ihrer Ausbildung kennt, in Frage. «Es muss aber sichergestellt sein, dass es um namhafte Mengen und langfristiges Engagement geht», fügt Lang an und betont: «Die Standards sind für alle Akteure gleich, egal wie gross diese sind.»
M a x -HavelaarGesch ä ftsf üh reri n Nad ja La ng will den Umsatz von Fairtrade-Produkten erhöhen.
erklärung!_05_2012