DAS MAGAZIN DER ERKLÄRUNG VON BERN
# 02 APRIL_15
ROHSTOFFE
D A S S C H W A R ZE GOL D S PÜ L T V IE L G EL D I N D I E T A SC H EN W EN I G ER .
Dunkle Deals Eine exklusive Untersuchung der EvB enthüllt, wie das Schweizer Handelsunternehmen Philia, ohne Ausschreibung und unter zweifelhaften Bedingungen, von einem lukrativen Exklusivvertrag über den Export von Erdölerzeugnissen profitiert. Und zwar auf Kosten der Staatsraffinerie – und damit auf Kosten der kongolesischen Bevölkerung.
Auch die Schweizer Handelsfirma Philia bekam ihren Anteil ab –
generierte Reichtum die Bevölkerung nicht, sondern versickert in den Taschen einer kleinen Elite und in undurchsichtigen Geschäften mit Handelsfirmen im Ausland – unter anderem auch in der Schweiz. Ermöglicht und gefördert wird der Rohstoff-Fluch durch undurchsichtige Firmen-Konstrukte, wie sie auch im Schweizer Rohstoffsektor weitverbreitet sind, sowie durch das Fehlen einer wirksamen Regulierung des Marktes.
UNTER ZW EI F EL H A F T E N B ED I N G U N G EN .
TEXT_MAR C GUÉNIAT // BILD _ A N T O N I N B O R G E A U D
Der Rohstoff-Fluch hält die Republik Kongo in seinem Bann: Erdöl gehört zu den Haupteinnahmequellen des Landes, nur erreicht der daraus
Ein raffinierter Vertrag Im Mai 2013 kam es zwischen Philia und der kongolesischen Raffinerie-Gesellschaft Coraf, die FORTSETZUNG>>
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Jeune Afrique / Baudouin Mouanda
Philia ist nicht im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung zu diesem äusserst lukrativen Vertrag gekommen. Und dieser enthält denn auch gleich mehrere verdächtige und für den Staatskonzern nachteilige Klauseln.
Denis Christel Sassou Nguesso, Sohn des kongolesischen Präsidenten IS T V E R A N T W O R T L IC H F Ü R A L L E V E R K Ä U FE V O N ST AA T L IC H E M Ö L – ein Sektor mit gravierenden Gouvernance-Problemen.
vollständig im Besitz des staatlichen Erdölkonzerns SNPC der Pepublik Kongo ist, zu einem «Vertrag über die Abnahme von zur Ausfuhr bestimmten Schweröls». Dieser Vertrag wurde der EvB zusammen mit anderen internen Dokumenten anonym zugespielt. Er trägt die Unterschrift von Denis Christel Sassou Nguesso, dem Generalverwalter der Staatsraffinerie und notorisch korrupten Sohn des kongolesischen Präsidenten. Er überlässt Philia vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2013 das gesamte für den Export bestimmte Schweröl und stellt dem Schweizer Konzern «nach einer Überprüfung im Januar 2014» eine Verlängerung von einem weiteren Jahr in Aussicht. Laut anderen Dokumenten, die der EvB vorliegen, erhielt Philia im Jahr 2013 insgesamt fünf Ladungen Schweröl. Allein deren Verkauf brachte dem Schweizer Handelsunternehmen einen Umsatz von 140 Millionen Dollar ein. Hinzu kommen vier weitere Ladungen von anderen Erdölprodukten im Wert von insgesamt 35 Millionen Dollar.
– Mit der Konzession für eine kleine Firma wie Philia – ohne Referenzen im Handelssektor und ohne Zahlungsgarantie – geht Coraf beträchtliche finanzielle Risiken ein. – Coraf akzeptiert in der Branche unüblich langfristige Zahlungsbedingungen, riskiert damit einen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe und fungiert so faktisch als Philias Bank. – Statt der Festlegung eines branchenüblichen Referenzsatzes, toleriert Coraf Zahlungen in «Euro, basierend auf einem gemeinsam vereinbarten Wechselkurs». Diese Klauseln ersparen Philia nicht nur die Bankgebühren: Dank Blankokredit und langfristigen Zahlungsbedingungen muss die Handelsfirma zur Finanzierung ihrer Geschäfte kein Darlehen aufnehmen. Und somit umgeht das Genfer Unternehmen das einzige – wenn auch indirekte – Kontroll-Verfahren, das Banken vor der Eröffnung einer Kreditlinie einleiten. Philia muss also beispielsweise die wirtschaftlichen Hintergründe einer Transaktion nicht erklären. Die beweisführenden Dokumente, welche sich im Besitz der EvB befinden, wurden von zahlreichen Expertinnen und Experten geprüft. Und alle sind sich einig: Philia hat von Corafs Freigiebigkeit profitiert. Dank der Vorzugsbehandlung durch die kongolesische Staatsraffinerie konnte sich das Genfer Unternehmen im exklusiven Erdölsektor schnell positionieren und ihre Aktivitäten auf andere Länder ausdehnen – unter anderem nach Gabun und Senegal. Vor allem aber hat sie die kongolesische Bevölkerung um wesentliche Einnahmen gebracht: Die staatliche Raffinerie geht mit diesem Vertrag nicht nur unnötige finanzielle Risiken ein, sondern bringt
ZA H L E N SAGEN MEHR A L S W O R T E...
Republik Kongo:
80%
der Staatseinnahmen stammen aus dem
Erdölsektor
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Korruptionsindex: Platz 154 von 177 erfassten Ländern
Human Development Index: Platz 140 von 187 Ländern
50% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze
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Die Schweiz: Treibhaus für Schattengewächse?
sich ausserdem um beträchtliche Gewinne und damit um Steuereinahmen. Corafs Wahl dieses Schweizer Handelspartners ist also kaum wirtschaftlich begründet. (Siehe Kasten Seite 5) Hinweise auf Veruntreuung Philias Geschäfte sind allem Anschein nach zwar nicht illegal. Dennoch bleibt unklar, weshalb die kongolesische Staatsraffinerie einen solch riskanten und nachteiligen Vertrag abschliesst. Erst noch mit einem so jungen Unternehmen ohne Referenzen, obwohl in der Republik Kongo auch zahlreiche bekannte Schweizer Handelskonzerne präsent sind. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass Philia im Gegenzug für den vorteilhaften Vertrag politisch exponierten Personen (PEP) ermöglicht hat, sich direkt oder indirekt – aber auf jeden Fall unrechtmässig – einen Anteil an den Erdöleinnahmen zu sichern. Solche Machenschaften sind im Rohstoffsektor keine Seltenheit. Die EvB hat bereits zahlreiche solche Fälle aufgedeckt, namentlich in Nigeria, Angola und der Ukraine. Konkrete Beweise gibt es in diesem Fall zwar (noch) nicht, mehrere Quellen bezeugen aber eine Freundschaft zwischen dem einzigen Aktionär von Philia, Jean-Philippe Amvame Ndong und dem kongolesischen Präsidentensohn Denis Christel Sassou Nguesso. Auf unsere Nachfragen beteuerte die PhiliaLeitung die Legitimität ihrer Aktivitäten, versuchte aber dennoch die Veröffentlichung des EvB-Berichtes über diesen Fall mit Klagen zu verhindern: Zwei davon wurden von der Justiz abgewiesen, zwei weitere von Philia selbst zurückgezogen. Die Schweiz in der Pflicht Die hier dokumentierten Fakten gehen über den Fall Philia hinaus. Der Fall illustriert auf exemplarische Weise das Branchenproblem der Veruntreuung staatlicher Rohstoffeinkünfte durch korrupte Machteliten. Dies hat zur Folge, dass rohstoffreiche Länder trotz der aus ihren BodenFORTSETZUNG>>
erklärung! 2/2015 AUFLAGE 22 500 Exemplare Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, info@evb.ch, www.evb.ch R E D A K T IO N Susanne Rudolf, Mirjam Aggeler GEST A LT UNG Clerici Partner Design, Zürich DRUCK ROPRESS Genossenschaft, Zürich; gedruckt mit Biofarben auf Cyclus Print, 100 % Altpapier, klimaneutraler Druck IMP R E S S U M
SUSANNE RUDOLF
Der als Swissleaks bekannt gewordene Skandal um die Schweizer Tochtergesellschaft der britischen Grossbank HSBC zu Beginn des Jahres machte im In- und Ausland Schlagzeilen. Von aktiver Steuerhinterziehung über Geschäfte mit politisch exponierten Personen bis hin zur Bereicherung am Drogen- und Waffenhandel, liess die HSBC offenbar kaum ein Delikt aus. Die Schweiz wurde dabei einmal mehr als Land mit einer sauberen Fassade dargestellt, in dessen Schatten auch das dreckigste Geld in Ruhe gedeihen kann. Tatsächlich scheint die Schweiz – allen Beteuerungen zum Trotz – sich nur widerwillig zu einem transparenten und sauberen Wirtschaftsstandort entwickeln zu wollen. So erlaubt es beispielsweise unser aktuelles Aktienrecht noch, die tatsächlichen Besitzverhältnisse eines Unternehmens zu verschleiern. Dies fördert intransparente Märkte und bietet die besten Voraussetzungen, um kriminelle Gelder zu verstecken (S. 6 –7). Und auch im Bereich des Rohstoffhandels kommt der Ruf nach mehr Transparenz und Kontrolle bisher nur aus der Zivilgesellschaft. Erst kürzlich konnte die EvB aufzeigen, wie sich die unbekannte Schweizer Handelsfirma Philia auf Kosten der kongolesischen Staatsraffinerie Coraf bereichert hat (S. 1 – 5). An die brisante Information sind wir dank eines Whistleblowers gekommen. Anstatt auf Enthüllungen durch Whistleblower zu warten, ist es Zeit, dass die Schweizer Behörden Massnahmen ergreifen, um die Achtung der Gesetze zu gewährleisten. Und zwar im In- und im Ausland. Denn wenn wir Menschenrechtsverletzungen vorbeugen und so auch die Position der Schweiz als sauberen Wirtschaftsstandort stärken wollen, braucht es vor allem eins: Mehr Transparenz.
H E R A U S G E B E R IN
«ERKLÄRUNG!» ERSCHEINT 4- BIS 5-MAL JÄHRLICH. MITGLIEDERBEITRAG: FR. 60.– PRO KALENDERJAHR (INKLUSIVE ABONNEMENT «ERKLÄRUNG!» UND EVB- DOKUMENTATION). POSTKONTO 80-8885-4
Die Unterstützung durch ihre Mitglieder ermöglicht der EvB, hier am Ball zu bleiben und sich für eine verantwortungsvoll handelnde Schweiz einzusetzen. Herzlichen Dank!
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PHILIAS PROFITABLES BUSINESS-MODELL Der physische und finanzielle Weg einer Lieferung Schweröl.
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OKT 2013
AOT TRADING AG (ZUG)
PHILIA
29'361'692 $
ERTRAG
PHILIA, ZENITH BANK (LONDON)
MARGE
295'370 $ 9,5 $/Tonne
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OKT 2013 DEZ 2013 TAGE «FREIER» KREDIT MT Stena Callas
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OKT 2013
CONGOLAISE DE RAFFINAGE (CORAF) PHILIA (SINGAPUR)
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DEZ 2013
43'981 Tonne
= 29'070'460 $
PHILIA SA Physischer Weg 43'981 Tonne
Finanzfluss Physischer Weg
AOT TRADING AG
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Am 15. Oktober kaufte das Genfer Handelsunternehmen Philia 43 981 Tonnen Schweröl von der kongolesischen Staatsraffinerie Coraf und verkaufte es noch am selben Tag an die AOT Trading AG in Zug. AOT lieferte das Öl dann an ihren Kunden in den USA. Der Wiederverkauf fand unter denselben Bedingungen statt – mit Ausnahme des Preises pro Tonne, was Philias Gewinn generierte.
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Zehn Tage später, am 24. Oktober, überwies AOT Trading AG 29 361 692 Dollar auf Philias Konto bei der Zenith Bank in London.
CORAF, BGFI BANK (POINTE-NOIRE, KONGO)
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Am 14. Dezember, 60 Tage nach der Transaktion, überwies Philia 29 070 460 Dollar auf Corafs Konto bei der BGFI-BANK im Kongo inklusive einer Rückerstattung von 30 % (126 587 Dollar) des Gewinns (421 957 Dollar, inklusive 4138 Dollar «andere Kosten»). Während 50 Tagen (zwischen dem 24. Oktober und dem 14. Dezember) profitierte Philia von diesem «freien» Kredit.
* Eine Klausel im Vertrag zwischen Coraf und Philia legt fest, dass Philia 30 % ihres Gewinns an Coraf rückerstatten muss. Auch wenn wir keinen Beweis dafür haben, gehen wir davon aus, dass diese Rückerstattung stattfand.
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schätzen gewonnenen Erträge arm bleiben: Sie leiden unter dem Rohstoff-Fluch. Ebenso wird deutlich, dass die Schweiz mit ihrer derzeitigen Reglementierung des Rohstoffhandels an Grenzen stösst. Um zu verhindern, dass Schweizer Handelskonzerne zum RohstoffFluch beitragen, müssen die Schweizer Behörden rechtlich bindende Massnahmen ergreifen. Und zwar solche, die weit über die Vorschläge im bundesrätlichen «Grundlagenbericht Rohstoffe» vom März 2012 hinausgehen. Denn als weltweit wichtigste Rohstoffdrehscheibe trägt die Schweiz eine besondere politische Verantwortung. Die EvB empfiehlt den Behörden deshalb folgende Massnahmen:
Keystone / Pascal Deloche / Godong
– Transparenz im Hinblick auf Zahlungen und Verträge zwischen Schweizer Rohstoffkonzernen und Regierungen beziehungsweise Staatsunternehmen schaffen; – Sorgfaltspflichten bezüglich der Lieferkette von Schweizer Rohstoffkonzernen erlassen; – Sorgfaltspflichten bezüglich der Offenlegung der Geschäftsbeziehungen von Schweizer Rohstoffkonzernen erlassen. Ausserdem schlägt die EvB die Einführung einer unabhängigen Aufsichtsbehörde vor, die sich mit der Regulierung und Kontrolle des äusserst korruptionsanfälligen Rohstoffsektors befasst. Der Rohstoffreichtum der Republik Kongo V E RSICKE RT
IN D E N T A SCH EN EI N ER K L EI -
NE N E LIT E , W Ä H RE ND D IE BE V ÖLKE RUNG IN A RM UT LE BT .
WER PROFITIERT VOM «PROFIT OIL»? Um diesen Fall zu verstehen, ist ein kurzer Einblick in die Verwaltung des kongolesischen Erdölsektors nötig, der durch Verflechtungen staatlicher und privater Akteure geprägt ist. Sei es bei der Produktion oder der Vermarktung: Stets herrscht eine kleine, direkt vom Präsidenten eingesetzte Gruppe über das schwarze Gold. Ein ehemaliger kongolesischer Erdölminister brachte es folgendermassen auf den Punkt: «Im Kongo ist niemand im Ölgeschäft tätig, der nicht einen Bezug zur Präsidentenfamilie hat, das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. (…) Die wenigen Ausschreibungen sind ein Täu-
schungsmanöver zur Beruhigung der internationalen Gemeinschaft, doch sie sind manipuliert – nicht alle Kandidaten verfügen über dieselben Informationen.» Seit 2010 ist der Präsidentensohn Denis Christel Sassou Nguesso als stellvertretender Generaldirektor beim Staatskonzern SNPC verantwortlich für die Erdölgeschäfte und steht ausserdem Coraf vor. In seiner Hand liegt also der Verkauf des staatlichen Anteils am kongolesischen Erdöl, des sogenannten «Profit Oil». Dabei handelt es sich um Erdöl, welches die produzierenden Unternehmen dem Staat als Förderabgabe in Naturalien abliefern müssen. Eigentlich
müsste der wertvolle Rohstoff für substanzielle Einkünfte sorgen, doch die Coraf ist für die kongolesische Staatskasse viel mehr ein Fass ohne Boden: Laut der Transparenzinitiative EITI (Extractive Industry Transparency Initiative) entsprachen die Beträge, welche die Raffinerie dem Staat zwischen 2011 und 2013 rückerstattet hat, nicht ihren Öleinnahmen: Mehr als 12 Prozent des «Profit Oil» blieb Coraf schuldig. Und was aus dem Gewinn in einer Höhe von knapp 600 Millionen Dollar pro Jahr wurde, blieb hinter der vollständigen Intransparenz von Corafs Aktivitäten verborgen.
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RE F O R M DES AKTIENR E C H T S
Gelegenheit klar Schiff zu machen Mit ihrer aktuellen Gesetzgebung ermöglicht die Schweiz, die tatsächlichen Besitzverhältnisse von Unternehmen zu verschleiern. Ein Umstand, der die Bekämpfung der internationalen Wirtschaftskriminalität massiv erschwert. Die Reform des Aktienrechts bietet nun Gelegenheit, mehr Transparenz bezüglich der wirtschaftlich Berechtigten zu schaffen.
Um kriminelle Gelder zu waschen oder zu verstecken, braucht es rechtliche Strukturen, die es erlauben, die tatsächlichen Besitzverhältnisse zu verbergen. Der Gebrauch von Rechtskonstrukten (wie z. B. Scheingesellschaften oder Trusts) ist in der internationalen Finanz- und Wirtschaftskriminalität gängiges Mittel zu diesem Zweck: Diese anonymen Strukturen tragen dazu bei, die Identität der Personen hinter problematischen Geschäftspraktiken geheim zu halten. Und somit können diese schlechter zur Verantwortung gezogen werden. Die Verschleierung der wirtschaftlich Berechtigten – d. h. der tatsächlichen Besitzerinnen und Besitzer – von Gesellschaften ist aber kein Phänomen, das sich auf die Wirtschaftskriminalität beschränkt: Auch wenn Privatpersonen Geschäfte abschliessen, bei denen Menschenrechte verletzt werden oder ihnen das Risiko einer Strafverfolgung droht, wird auf solch anonyme Strukturen zurückgegriffen. Stichprobe Ein 2011 veröffentlichter Bericht über die Identifizierung von wirtschaftlich berechtigten Personen der Weltbank, der Stolen Asset Recovery Initiative und des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) stellte fest, dass die meisten Länder keine kohärente Strategie haben, um dieses Problem anzugehen: In 128 der 150 untersuchten internationalen Korruptionsaffären waren Gesellschaften zur Verschleierung von Korruptionsgeldern benutzt worden. Und in mehreren Fällen handelte es sich um Schweizer Gesellschaften. Transparenz über wirtschaftlich Berechtigte alleine reicht zwar nicht aus, um problematische Aktivitäten vollständig zu verhindern, denn die Identität der eigentlichen EigentümerInnen kann
Mark Henley / Panos
TEXT_OLIVIER LONGCHAMP
auch mit anderen Mitteln vertuscht werden (beispielsweise durch den Einsatz von Strohmännern oder -frauen). Solche Manöver sind jedoch schwieriger umzusetzen. Die Meldepflicht über wirtschaftlich Berechtigte von Unternehmen ist aus Sicht der EvB eine wirksame – und international anerkannte – Massnahme, um solche Verschleierungen deutlich zu erschweren.
Die Schweizer Gesetzgebung ermöglicht es, die Identität der tatsächlichen BesitzerInnen eines Unternehmens zu verschleiern: A NONYMI TÄ T I S T D I E BE ST E VORAUSSETZUNG FÜR I N TR A N S P A RE NT E M Ä R K TE UND D AM I T F Ü R
Internationaler Kontext Auf internationaler Ebene findet eine Entwicklung hin zu mehr Transparenz über Rechtskonstrukte statt. Zahlreiche Länder haben das Problem erkannt und bereits rechtliche Massnahmen zur Bekämpfung intransparenter Unternehmensstrukturen ergriffen. Der wahrscheinlich grösste Stein wurde Anfang 2014 ins Rollen gebracht: Im Rahmen der vierten Revision der EU-AntiGeldwäscherichtlinie forderten zwei Ausschüsse des europäischen Parlaments am 20. Februar von EU-Mitgliedsstaaten die Einführung öffentlicher Register über die wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen und Trusts. Der Entschluss wurde im März 2014 vom europäischen Parlament ratifiziert. Sogar die Cayman Islands diskutieren gegenwärtig die Möglichkeit eines öffentlichen Registers über FirmeninhaberInnen.
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Die Lage in der Schweiz In der Schweiz bleibt die Lage allerdings alles andere als zufriedenstellend: Nur börsenkotierte erklärung!_02_2015
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Unternehmen sind verpflichtet, Informationen über ihre wirtschaftlich Berechtigten zu veröffentlichen. Nicht-börsenkotierte Unternehmen stehen nicht unter diesem Zwang und kommunizieren solche Informationen daher in der Regel nicht. Nach konservativen Schätzungen des TagesAnzeigers aus dem Jahr 2013 existieren in der Schweiz 75 000 Firmen, die keiner operativen Tätigkeit nachgehen. Dies entspricht 14 Prozent aller 540 641 Gesellschaften, die 2013 im Handelsregister eingetragen waren. Wenn eine Firma keine operative Tätigkeit aufweist, bedeutet dies zwar nicht zwangsläufig, dass sie in dubiose Machenschaften verwickelt ist. Dennoch: Solche Konstrukte werden in den meisten Fällen dazu verwendet, die wirtschaftlich Berechtigten einer Gesellschaft zu verbergen. Es ist TRUST also mehr als wahrscheinlich, dass ein Grossteil dieser 75 000 Unternehmen keine andere Daseinsberechtigung hat.
den uns auch weiterhin dafür einsetzen, dass die Schweiz den internationalen Anschluss auf dem Weg zu einem transparenten Wirtschaftsstandort nicht verpasst. Weitere Informationen finden Sie auf: www.evb.ch/themen-hintergruende/finanzen/ potentatengelder
INTRANSPARENTE STRUKTUREN VERBERGEN DIE EIGENTLICHEN BESITZVERHÄLTNISSE
Chance nutzen Die Identifizierung der wirtschaftlich Berech- WIRTSCHAFTLICH tigten ist eine weltwei- BERECHTIGTE te Herausforderung. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Schweiz diese Problematik jedoch bisher nicht wirklich erkannt. Damit riskiert sie, im Vergleich zu den raschen rechtlichen Anpassungen in anderen Staaten, in Verzug zu geraten und diesen Rückstand einmal mehr unter internationalem Druck aufholen zu müssen. BANK III Ende 2014 hat der Bundesrat seinen Vorentwurf für eine Reform des Schweizer Aktienrechts in Vernehmlassung gegeben. Diese Reform bietet Gelegenheit, die gesetzlichen Bestimmungen in der Schweiz den aktuellen internationalen Entwicklungen anzupassen, und endlich mehr Transparenz bezüglich der wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen zu schaffen. Die EvB hat an der Vernehmlassung teilgenommen und einen detaillierten Vorschlag ausgearbeitet: Wir wer-
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SCHEINGESELLSCHAFT
Y Z X
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B
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Um die wahren Besitzverhältnisse von Gesellschaften zu verschleiern, wird in den meisten Fällen ein komplexes Geflecht von Strukturen benutzt. Beispiel: Ein Trust mit Sitz in der Jurisdiktion X besitzt eine Briefkastenfirma in der Jurisdiktion Y, welche wiederum im Besitz einer Scheingesellschaft in der Jurisdiktion Z ist, die mehrere Bankkonten in den Ländern A, B und C hat. Je komplexer die Konstrukte, desto schwieriger ist es, die wirklichen EigentümerInnen einer Gesellschaft sowie den Zweck der Transaktionen in Erfahrung zu bringen.
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KL I N I SCHE VERSUCH E
Datenmanipulation ans Licht gekommen Nach dem Novartis-Skandal in Japan ist in Indien erneut ein Fall von Datenmanipulation bei klinischen Versuchen ans Licht gekommen – dank einer internationalen Routinekontrolle.
Die französische Arzneimittelagentur (ANSM) entdeckte bei einer Routinekontrolle der indischen Forschungsgesellschaft GVK Biosciences in Hyderabad, dass es bei klinischen Studien, die sie im Auftrag internationaler Arzneimittelhersteller durchführte, zu schwerwiegenden Unregelmässigkeiten gekommen war: Die sogenannten Bioäquivalenzstudien waren zwischen 2008 und 2014 durchgeführt worden, um die Übereinstimmung von Generika mit den Originalmedikamenten zu testen. Daraufhin haben Deutschland und Frankreich im Dezember 2014 die Zulassungen für 80 beziehungsweise 25 Produkte widerrufen, die auf Tests der beschuldigten Forschungseinrichtung beruhten. Die Europäische Arzneimittelagentur empfahl sogar einen Zulassungsstopp für Hunderte solcher Medikamente. Laut Swissmedic sei keines der in der Schweiz vermarkteten Arzneimittel betroffen.
Reuters / Babu Babu
TEXT_PAT RICK DURISCH
Bedeutung internationaler Kontrollen Dieser neue Fall von Datenmanipulation verweist einmal mehr auf die Schwachstellen des internationalen Kontrollsystems sowie auf das mangelnde Einhalten ethischer Standards bei der Auslagerung von klinischen Versuchen. Ausserdem zeigt er, wie wichtig internationale Kontrollen vor Ort sind. Deshalb verstärken die EU und die USA ihre Audits im Ausland bereits.
ZWANGSLIZENZEN IN THAILAND – GEWINN VON 12 000 LEBENS JAHREN
Zwangslizenzen beschränken den Patentschutz und ermöglichen dadurch die Produktion von Generika. Für die ärmere Bevölkerung in Schwellen- und Entwicklungsländern erleichtern sie dadurch den Zugang zu Medikamenten. Obwohl sie durch das internationale Recht legitimiert sind, werden Zwangslizenzen kaum eingesetzt – vor allem aufgrund des politischen und wirtschaftlichen Drucks, dem sich ein Land damit aussetzt. Nichtsdestotrotz erteilte die thailändische Regierung zwischen 2006 und 2008 Zwangslizenzen für sieben Generika – u. a. waren drei Krebs-
medikamente von Roche und Novartis betroffen. Der Bundesrat setzte die thailändische Regierung unverzüglich unter Druck; die EvB forderte ihn dazu auf, Thailands Recht zu respektieren. Und Thailand hielt dem Druck stand, mit folgendem Ergebnis: Laut Angaben der thailändischen Gesundheitsbehörden konnte in den fünf Folgejahren mehr als 84 000 zusätzlichen Patientinnen und Patienten eine Behandlung ermöglicht werden. Dies bedeutet einen Gewinn von rund 12 000 Lebensjahren sowie eine Kürzung der öffentlichen Ausgaben um etwa 370 Millionen Dollar.
Datenmanipulationen bei klinischen Studien G EF Ä H R D EN D IE GE S U N D H EI T D ER KONSUM EN TI N N EN UND KO N S U M EN TEN .
Swissmedic dagegen hat bisher keine Kontrollen von klinischen Versuchen im Ausland durchgeführt. Immerhin erklären sie sich heute dazu bereit, solche Massnahmen ins Auge zu fassen. Das neue Heilmittelgesetz (HMG), welches zurzeit vom Parlament überprüft wird, könnte eine erste gesetzliche Grundlage dafür bilden. Gleichzeitig verhandelt Swissmedic neuerdings auch mit seinen Partnerinstanzen in Schwellenländern wie Südafrika oder China über Vereinbarungen bezüglich des Informationsaustauschs. Diese Entwicklungen sind auf die 2013 lancierte EvB-Kampagne gegen unethische Studien zurückzuführen.
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P U B L I C EYE
Bye bye Davos – hallo Bern!
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Der Saal des Hotels Montana bot eine würdige Bühne für unseren Abschied aus Davos. Über 100 ZuschauerInnen und Medienschaffende warteten gebannt auf die Ankündigung des Gewinners des letzten Public Eye Awards. Kurz vor 15 Uhr war es soweit. Die Co-Geschäftsleiterin von Greenpeace Schweiz, Verena Mühlberger, verkündete den durch die internationale Web-Community gekürten Gewinner des Public Eye Lifetime Awards: Chevron! Paul Paz y Miño, Vertreter der nominierenden Organisation Amazon Watch, freute sich über diese – für Chevron allerdings zweifelhafte – Ehre und empörte sich in seiner Rede besonders über «Chevrons Anwälte und PR-Berater, die seit über 20 Jahren immer weiter hinauszögern, dass der Gerechtigkeit genüge getan wird und dadurch das Leid der über 30 000 Betroffenen verlängern». Amazon Watch will den Verantwortlichen von Chevron ihren wohlverdienten Lifetime Award demnächst am kalifornischen Firmenhauptsitz überreichen. So entfaltet der Schmähpreis seine Wirkung auch beim letzten Mal über Davos hinaus, auch wenn sich das Public Eye bereits aus dem Graubündner Bergdorf verabschiedet hat. Ganz im Gegensatz zum WEF, dessen Zukunft sich gemäss dem exklusiven «Requiem» der «Yes Men» wesentlich düsterer präsentiert: «Heute beerdigen wir die Idee, dass Unterneh-
men das ‹ Richtige › tun können, ohne einen Rappen an Profit einzubüssen. Wäre dies wahr, könnten wir uns zurücklehnen und hätten die Gewissheit, dass die Welt in guten Händen ist. Aber leider sind Unternehmen dazu nicht im Stande. Wir sollten also der Idee nicht nachweinen, dass diese ohne Druck von aussen, ohne dass wir unsere eigenen Regierungen in die Mangel nehmen, das ‹ Richtige › tun. Wir sollten auch dem WEF nicht nachtrauern. Diese Idee hat es verdient zu Grabe getragen zu werden, und wir haben anderenorts genug zu tun.» Dies bestätigten dann auch die Rede von Europaparlamentarier Sven Giegold sowie die hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion – unter anderem mit Anannya Bhattacharjee, Arbeitsrechtsaktivistin und ehemalige Organisatorin des Weltsozialforums in Indien.
Und wie es die «Yes Men» so schön sagten, haben wir andernorts genug zu tun: Die EvB und Greenpeace Schweiz wenden sich gemeinsam mit über 50 Organisationen jetzt direkt an die Schweizer Politik und lancieren die eidgenössische Volksinitiative «für verantwortungsvolle Konzerne – zum Schutz von Mensch und Umwelt». Diese soll sicherstellen, dass Schweizer Unternehmen die Menschenrechte und die Umwelt bei ihren Geschäftstätigkeiten weltweit respektieren müssen. Das Public Eye haben wir verabschiedet, seine politische Kernforderung lebt jedoch weiter und ist mit der Konzernverantwortungsinitiative auf gutem Weg.
Die «Yes Men» beerdigten das WEF am letzten Public Eye in Davos: T RA UE R S TI M M U N G BLIE B A B ER A U S . Panos / George Osodi
Am 23. Januar verliehen die EvB und Greenpeace Schweiz zum letzten Mal ihren berüchtigten Schmähpreis: Der Public Eye Lifetime Award ging an den US-Ölkonzern Chevron. Doch nicht nur das Public Eye verabschiedete sich aus Davos, mit ihrem Requiem trugen die Protestsatiriker «The Yes Men» gar das WEF zu Grabe.
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RO H S T OFFE
Ende eines lukrativen Tauschhandels Anfang Januar 2015 ist die zwielichtige Genfer Firma Trafigura in Nigeria von einem lukrativen Ölhandelsvertrag zurückgetreten – angeblich, um ihren Ruf zu schützen. In Nigeria heisst es allerdings, Trafigura hätte die fragwürdige Anhäufung von Milliarden anstandslos weiterführen wollen. TEXT_MAR C GUÉNIAT
Die Erklärung von Bern hatte Trafiguras besonders undurchsichtige Geschäfte im Juli 2014 zusammen mit Swissaid und Natural Resource Governance Institute an den Pranger gestellt. Wahrscheinlich wird sich nie herausstellen, ob es wirklich das Verdienst der EvB und ihrer beiden Partnerorganisationen war. Und doch rechnete uns Le Temps (16. Januar 2015) einen Teil des Erfolgs an, als die Neuigkeit im vergangenen Januar angekündigt wurde: «Die lichtscheue Trafigura ist von einem äusserst intransparenten und umstrittenen Ölhandelsvertrag mit der viel diskutierten nigerianischen Staatsgesellschaft NNPC (Nigerian National Petroleum Corporation) zurückgetreten.» Dieser sogenannte SWAP-Vertrag – sprich Tauschvertrag – sah vor, dass
Trafigura Rohöl aus Nigeria expor tierte und das Land im Gegenzug mit Treibstoff versorgte, da die führende Wirtschaft des Kontinents scheinbar nicht in der Lage ist, für die Deckung des eigenen Benzin- und Dieselbedarfs funktionierende Raffinerien aufzubauen. Das Risiko: schwere Betrugsfälle Das Problem dieses Tauschhandels: Er spielte sich ausserhalb des Bankenkreislaufs ab, wodurch jeweils nur eine Handvoll Betroffene bei Trafigura und der NNPC seine Mechanismen kannten. So konnten sie völlig abgeschirmt, und unter dem Radar jeglicher Kontrollmechanismen einer Bank, über Transaktionen in einer Höhe von schätzungsweise 2,2 Milliarden Dollar jährlich diskutieren – obwohl es sich dabei um Staatsgelder handelte. Ausserdem bot die Komplexität des SWAPVertrags enorme Betrugsmöglichkeiten und ermöglichte die Manipulation von Menge, Qualität und Preis der Erzeugnisse. Mit Betrugsfällen kennt sich Nigeria aus. Im vergangenen Jahr übergab der Chef der nigerianischen Zentralbank, Sanusi Lamido, dem Parlament einen Bericht, der nachweislich aufzeigt,
dass und wie die NNPC es während eineinhalb Jahren «versäumt» hatte, der Staatskasse 20 Milliarden Dollar auszuhändigen. Lamido empfahl folglich die Abschaffung von SWAP-Verträgen. Sechs Monate später entliess ihn Präsident Goodluck Jonathan. Mit ihrer diskreten Kommunikation will die Genfer Handelsfirma nun vermitteln, sie verzichte nach vier Jahren Ausbeute aus eigenem Antrieb auf den Vertrag mit NNPC, um ihren Ruf zu schützen. In Nigeria kursieren jedoch Gerüchte, wonach nicht Trafigura, sondern der Erdölminister den Vertrag gekündigt hat. Und zwar um lokalen Gesellschaften den Vorrang zu geben, die bereit sind, die Wiederwahl des abtretenden Präsidenten zu finanzieren. Unter einer Regierung, wie derjenigen von Präsident Goodluck, ist vor allem der nigerianischen Bevölkerung Glück zu wünschen.
Trafigura behauptet, vom Vertrag mit der Nigerianischen Petroleum Gesellschaft, aus Reputationsgründen zurückgetreten zu sein. IN NIGE RIA KURSIE RE N A LLE RD INGS GE RÜCH T E , NA CH D E NE N D E R E RD ÖLM INIST E R D E M V E RT RA G
Panos
D A S LICH T A USGE H A UCH T H A T .
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IM ZEICHEN DER KONZERNVERANTWORTUNGSINITIATIVE
KOLUMNE
A N D R EA HÜSSER
Von Fischen und Meeresfrüchten
TEXT_MIRJAM AGGELER
Am 6. Juni um 10 Uhr sind alle EvB-Mitglieder zur Generalversammlung 2015 im Reberhaus in Bolligen bei Bern eingeladen. Nach dem obligatorischen Rückblick ins vergangene Jahr, richten wir unseren Blick nach vorne, auf eines der wichtigsten EvB-Projekte der nächsten Jahre: Die eidgenössische Volksinitiative «für verantwortungsvolle Konzerne – zum Schutz von Mensch und Umwelt». Nutzen Sie die Gelegenheit, aus erster Hand von unseren Expertinnen und Experten zu erfahren, was alles in und hinter der Initiative steckt – und wie Sie sich engagieren können! Dabei bleibt genügend Raum für Ihre Fragen und Anregungen. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme und rege Diskussionen.
PR Ä Z E DENZFALL
JOURNALISMUS VON NGOs TEXT_OLIVER CLASSEN
Ende 2014 hat ein Londoner Gericht eine Klage von Beny Steinmetz abgewiesen und Global Witness damit einen historischen Sieg beschert – für die eigene Arbeit, die globale Zivilgesellschaft und die Pressefreiheit. Der israelische RohstoffMagnat mit Genfer Geschäftssitz wollte die NGO unter Berufung auf das britische Datenschutzrecht mundtot machen. Dieser «Data Protection Act» kommt aber immer dann nicht zur Anwendung, wenn die Publikation persönlicher oder geschäftlicher Daten «einem journalistischen Zweck» dient und damit «im Interesse der Öffentlichkeit» ist. Medienschaffende fallen deshalb nicht unter dieses Gesetz. Dieses wichtige Privileg teilen sie nun mit investigativen NGOs wie Global Witness, Greenpeace oder auch der EvB: Journalismus wird in diesem Präzedenzfall nämlich nicht nach dem Kriterium des Absenders, sondern nach demjenigen des «Produkts» definiert. Ausschlaggebend ist demnach nicht der oder die AuftraggeberIn einer Recherche, sondern deren handwerkliche Qualität und politische Relevanz.
Der weltweite Fischkonsum nimmt stetig zu – auch in der Schweiz. Gemäss WWF liegen wir bei 9,1 Kilo pro Kopf und Jahr, 98 Prozent davon sind importiert. Fair-fish Schweiz schätzt, dass weltweit viermal so viel Fisch gegessen wird, wie unser Planet auf Dauer zu geben vermag. Und laut FAO sind 90 Prozent der globalen Fischbestände bis an ihre Grenzen und darüber hinaus genutzt. Diverse Organisationen schätzen ausserdem, dass bis zu 25 Prozent aller Meeresfänge illegal sind, das sind gegen 26 Milliarden Tonnen pro Jahr. Im letzten Sommer publizierte die britische Organisation Environmental Justice Foundation in ihrem Bericht einen weiteren tragischen Aspekt der Fischerei-Industrie: Unzählige Migranten werden ge- und verkauft, um gegen ihren Willen auf thailändischen Fischkuttern zu arbeiten. Im Bericht sprechen Betroffene über Suizid, Mord und gezielte Hinrichtungen. Die britische Zeitung Guardian stellte daraufhin erstmals eine Verbindung zwischen den Arbeitssklaven auf den Fischkuttern und den thailändischen Zuchtcrevetten her, die auf Tellern im Westen landen: Der Fang der Fischkutter wird zu Fischmehl verarbeitet und an die Zuchtcrevetten verfüttert, die für den Export bestimmt sind. Eine direkte Verbindung zur Schweiz konnte bisher nicht hergestellt werden, sehr wohl aber zu Supermärkten wie Walmart, Carrefour, Costco und Tesco. Trotzdem aufgepasst, denn auch Zuchtfische fressen Fischmehl, und laut FAO stammt jeder zweite Speisefisch aus der Zucht – Tendenz steigend. Weltweit hängen rund 520 Millionen Menschen von der Fischerei ab, und für 2,6 Milliarden Menschen ist Fisch ein wichtiges Nahrungsmittel. Das geht auch uns etwas an. Fair-fish empfiehlt Schweizerinnen und Schweizern deshalb: Einmal Fisch pro Monat genügt.
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1 2 __ P O RTRÄT
L E I G H BALDWIN
Ein investigativer NGO-Journalist Der ehemalige Zürcher Bloomberg-Korrespondent Leigh Baldwin recherchiert heute für die britische EvB-Partnerin Global Witness. Dort enthüllt er undurchsichtige Firmenstrukturen und korrupte Rohstoff-Deals. Seine Arbeitgeberin betrachtet der Nahost-Kenner dabei als «Non Traditional Media».
Für Bloomberg landete er 2011 zusammen mit einem halben Dutzend Kolleginnen und Kollegen einen weltweit beachteten Scoop: Nach sechsmonatigen Recherchen konnte die renommierte USWirtschaftsnachrichtenagentur den berühmt-berüchtigten Gebrüdern Koch diverse Bestechungen, Sanktionsverletzungen und andere Rechtsbrüche nachweisen. «Einige der wichtigsten Dokumente wurden mir in einer Plastiktüte unter dem Tisch eines Migros-Restaurants übergeben», erinnert sich Baldwin schmunzelnd. Der dadurch ausgelöste Skandal um die stockkonservativen Financiers vieler Obama-Gegner wirbelte in den USA viel politischen Staub auf und zeigte ihm, «wie ich eigentlich arbeiten will». Rückblickend betrachtet er diesen Erfolg als «ersten Schritt» seines 2012 erfolgten Seitenwechsels zur in seiner Heimatstadt London domizilierten NGO Global Witness. Bei der auf Rohstoff- und Finanzthemen spezialisierten EvB-Partnerin verstärkte er zunächst das von einem anderen erfahrenen Journalisten geleitete Kongo-Team. Seit kurzem bildet er mit diesem eine neue interne Investigativ-Einheit. «Unsere aufregende Aufgabe ist die kampagnenunabhängige Grundlagenrecherche», freut sich der studierte Politikwissenschaftler und ehemalige Redenschreiber für Diplomaten. Seine inhaltlichen Interessen am Nahen Osten und Afrika verfolgte der zweifache Vater auch im redaktionellen Alltag. Dieser führte Baldwin, Jahrgang 1979, vom Nachrichtenagentur-Prakti-
___«Einige der wichtigsten Dokumente wurden mir in einer Plastiktüte unter dem Tisch eines Migros-Restaurants übergeben.»
Reuters / Stefan Wermuth
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LE IGH B A L D W I N RICH T E T D A S
kum in Washington D.C. über ein Fachmagazin für Handelsfinanzierung bis zur «Charakter bildenden Fronterfahrung» als Freelancer in Kairo. Von dort ging es 2010 nach Zürich, obwohl er sich bei Bloomberg eigentlich für deren Wiener Aussenposten beworben hatte. Mit einer Mischung aus Instinktsicherheit und Sachverstand lehrte der hartnäckige NGOJournalist in den letzten Jahren so manchen Rohstoffkonzernen das Fürchten. Kürzlich musste er mit anderen Global-Witness-Mitarbeitenden vor Gericht zudem das für investigative ReporterInnen heilige Quellenschutz-Prinzip verteidigen (siehe Seite 11). «Demokratierelevanter Journalismus, der den Mächtigen wirklich auf die Finger schauen und klopfen kann, gedeiht heute besser in einem Non-Profit-Klima», so Baldwin. Im Hauptquartier seiner 2003 für den Friedensnobelpreis nominierten und inzwischen über hundertköpfigen Arbeitgeberin hat er dafür die besten Voraussetzungen.
SCH E IN W ER F ER LICH T , MI T S EI N ER A RBE IT B EI G L O B A L W IT NE S S , A U F M ISSST Ä N D E U N D ILLE GA L E M A C H EN SCH A FT EN I M BE RE ICH F I N A N ZEN UND RO H S TO F F E.
Er selbst bleibt dabei aber lieber im Hintergrund.
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