EvB erklaerung April 2016

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das Magazin der ERklärung von bern

Neuste Erfindung : die Melone

# 03 April_16


2 __ E d i to

Mit neuem Schwung

Susanne Rudolf

Ein US-Multi, der dank einem Patent eine konventionell gezüchtete Melonensorte privatisieren kann. Ein ehemaliger Fussballagent, für dessen fragwürdige Deals mit kongolesischem Öl eine Genfer Firma und eine Genfer Bank bürgen. Der blühende Kunsthandel in der Schweiz, der geradezu zur Geldwäsche einlädt. Millionen Dollar an Reparationszahlungen, die in Nigeria einfach verschwinden. Die aktuelle Ausgabe der «erklärung» zeigt die Vielfältigkeit unseres Tätigkeitsgebiets auf. Und sie zeigt auch: Wir bewirken etwas. Das Patent für die Monsanto-Melonen wurde widerrufen – auch aufgrund unserer Arbeit. Mit den Deals zwischen den kongolesischen Machthabern und Genfer Firmen beschäftigt sich die Justiz. Und wir werden genau hinschauen, dass die 321 Millionen Dollar, die die Schweiz Nigeria bald ­zurückerstatten wird, nicht wie Zahlungen in der Vergangenheit verschwinden. Sie wissen es bereits, liebe Mitglieder: An der Generalversammlung vom 21. Mai möchten wir unsere Organisation in «Public Eye» umbenennen. Ab Seite 12 erläutert unsere Präsidentin Pierrette Rohrbach, weshalb wir dies wollen und was wir uns vom Namenswechsel versprechen. In den letzten Wochen war ich in regem Austausch mit vielen von Ihnen. Es freut mich, dass die meisten von Ihnen die Vorteile von «Public Eye» ­sehen. Mein Eindruck: Ihr Hauptanliegen scheint es zu sein, dass wir uns weiter im bisherigen Sinn für eine gerechtere Welt einsetzen. Genau das, liebe Mitglieder, wollen wir tun. Mit neuem Schwung und dank der ­wertvollen Unterstützung und dem freiwilligen Engagement von Ihnen. Vielen Dank an alle, die sich mit uns einsetzen – und ganz besonders an Martin und Ruedi: Sie geben nach hunderten ehrenamtlichen Stunden ihr Amt als Schul­besuchs-Koordinatoren dieses Jahr ab.

Inhalt   3__Die Monsanto-Melonen Das gefährliche Spiel des Patentamts   6__Öl, Cash und Fussball Genf als Schauplatz luscher Deals   8__Geld waschen mit Kunst Warum Kriminelle Kunstwerke mögen 10__321 Millionen für Nigeria Kommen sie diesmal bis zum Volk? 10__Der Bund soll nachhaltig einkaufen Das Parlament kann dafür sorgen 11__Der Preis der Fast Fashion Klare Worte am Podium in Genf 12__«Public Eye passt sehr gut zu uns» Die EvB-Präsidentin zum Namenswechsel 13__«Potz Blitz» Die Reaktionen auf «Public Eye» 14__EvB-Schulbesuche: Koordinatoren gehen Wollen Sie übernehmen? 16__Den Rohstoff-Multis auf den Fersen Trading Paradise von Daniel Schweizer

Die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Täglich befassen wir uns mit Geschäften, die eines gemeinsam haben: Wenige Reiche machen auf Kosten vieler Armer Geschäfte. Und die Schweiz tut zu wenig dagegen, solche Deals zu verhindern. Darum braucht es Sie und uns mehr denn je. Denn Gerechtigkeit beginnt hier, bei uns, in der Schweiz.

erklärung! 03/2016 Auflage 23 000 Exemplare Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, info@evb.ch, www.evb.ch ­ edaktion Timo Kollbrunner, Raphaël de Riedmatten Layout Clerici Partner ­ R Design, Zürich Ti t e lb il d Melonenverkäufer in Manila, Philippinen. Noel Celis /  Getty Images Dr u c k ROPRESS Genossenschaft, Zürich; gedruckt mit ­Bio­farben auf Cyclus Print, 100  % Altpapier, klimaneutraler Druck Imp r e s s u m

H e r au s­g e b e r in

« e r k l ä r u n g ! » e r s c h e i n t 4 - b i s 6 - m a l j ä h r l i c h . Mi t ­g l i e d e r beitrag: Fr. 60.– pro ­Kalenderjahr (inklusive Abonnement «erklärung!» und EvB-­Dokumentation). Postkonto 80-8885-4

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Ajay Verma / Reuters

S oll m a n e i ne M e lone nso r te b es i tz en

Melonenbauer auf einem Markt in ­Chandigarh im Norden Indiens.

d ürfe n?

Die Monsanto-Melonen

Wie Patentamt und Multis mit unserer Ernährungs­sicherheit spielen Die Arbeit der EvB und ihrer Partner trägt Früchte: Im Januar wurde das ­Patent des USAgrokonzerns Monsanto auf die ­natürliche ­Eigenschaft bestimmter Melonen widerrufen. Gleichzeitig werden jedoch munter weiter ­Patente auf ganz konventionell ­gezüchtete Pflanzen erteilt – mit verheerenden Folgen für Bauern, südliche Länder und unsere Er­ nährungssicherheit. Aber der Druck für eine ­Gesetzesänderung nimmt zu. Te x t _ L a u r e n t G a b e r ell

Das Erfreuliche zuerst: Am 20. Januar 2016 hat das Europäische Patentamt (EPA) entschieden, ein Patent des US -Konzerns Monsanto auf bestimmte Melonen zu widerrufen. Die im Jahr 2011 patentierten Melonen sind resistent gegenüber den Closteroviren, den Verursachern der Blattrollkrankheit, die sich in den letzten Jahren in Europa, in Nordafrika und in den USA immer stärker verbreitet hat. Der Entscheid des EPA, das Patent zu widerrufen, ist ein kleiner, aber schöerklärung!_03_2016

ner Erfolg für die Koalition «Keine Patente auf Saatgut» und die Erklärung von Bern (EvB). Nichts erfunden – und doch patentiert Die Monsanto-Melonen sind ein exemplarischer Biopiraterie-Fall. Warum? Erst einmal wurde hier etwas patentiert, das nicht neu war. Monsanto erhielt 2011 ein Patent auf eine «Erfindung», ohne etwas erfunden zu haben. Denn die Resistenz ­gegen das Closterovirus existiert – auf ganz natürliche Weise – in verschiedenen Melonensorten. Monsanto hat nichts weiter getan, als diese Resistenz bei einer aus Indien stammenden Melone, die der Konzern vom Landwirtschafts­ ministerium der Vereinigten Staaten erhalten hatte, zu entdecken und daraufhin in eine marktfähige Melonensorte einzusetzen. Im Gegensatz zu anderen, ebenfalls umstrittenen Patenten auf Pflanzen fand in diesem Fall nicht einmal eine gentechnische Modifikation im Labor statt. Es handelt sich um eine ganz konventionelle Kreuzung, wie sie seit Jahrtausenden vorgenommen


Vitaliy Saveliev / Keystone

Laurent Gillieron / Keystone

Fi n d e n Sie d ie

Früchtehändler in Indien.

­M e l o n e :

wird. Das Patent gewährte dem US -Konzern die Exklusivrechte auf alle Melonen, in welche diese Resistenz eingeführt wird. Andererseits wurden in diesem Fall die Rechte Indiens verletzt, dem Ursprungsland der durch Monsanto benutzten Melone. In der Uno-Bio­ diversitätskonvention ist festgelegt, dass jeder Staat über die Hoheit seiner genetischen Ressourcen verfügt. Er muss sein Einverständnis geben und an den Vorteilen beteiligt werden, die sich aus der Nutzung der genetischen Ressource ergeben. Nichts davon geschah. Das Melonen-Patent

«  Die Biotech-Giganten reissen sich ­immer mehr genetische Ressourcen unter den Nagel. » von Monsanto stellt zudem einen klaren Verstoss gegen das indische Gesetz dar, das den Zugang zu den genetischen Ressourcen des Landes regelt und es verbietet, ohne vorherige Erlaubnis «ein Patent für Erfindungen zu vergeben, die auf Forschungen oder Informationen im Zusammenhang mit einer aus Indien stammenden biologischen Ressource beruhen». Die indische Behörde für Biodiversität verlangte deshalb die Widerrufung des Patents von Monsanto – was schliesslich auch geschah. Doch das letzte Wort ist kaum gesprochen: Monsanto könnte gegen den Entscheid des EPA Berufung einlegen. Und dann dürfte es spannend werden. Denn das Amt lehnte das Patent lediglich wegen «unzureichender Offenbarung der Erfindung» ab, also aus technischen Gründen. Zur entscheidenden Grundsatzfrage, ob Patente auf bereits bestehende natürliche Eigenschaften erteilt werden dürfen, hat sich die EPA dagegen bisher nicht geäussert. Dabei wäre das bitter nötig: Das Europäische Patentamt hat bereits rund 120 solcher umstrittener Patente erteilt, die auf konventionellen Züchtungsverfahren beruhen, und über 1000 weitere befinden sich derzeit im Überprüfungsverfahren (siehe Kasten).

Die EvB kämpft seit geraumer Zeit gegen diese Patente, die es ermöglichen, natürliche Eigenschaften von Pflanzen zu privatisieren – egal, ob es nun um Monsanto-Melonen geht oder etwa um das Patent von Syngenta auf Paprikapflanzen, die gegen weisse Fliegen resistent sind. Auch in diesem Fall eignete sich ein Grosskonzern die Rechte über eine natürliche Eigenschaft einer aus einem südlichen Land (in diesem Fall Jamaika) stammenden Pflanze an. Im Juni, wenn die öffentliche Anhörung zu diesem Fall stattfindet, wird das EPA eine erste Entscheidung bekannt geben. Als Teil der Koalition «Keine Patente auf Saatgut» verlangt die EvB bereits seit mehreren Jahren, dass Patente über sämtliche Züchtungsverfahren, Züchtungshilfsmittel, Pflanzen, Tiere, natürliche Eigenschaften von Pflanzen, Gensequenzen und daraus entstandene Lebensmittel verboten werden und zeigt auf, dass eine Änderung in der Gesetzgebung unabdingbar ist. Und wir sind nicht allein. Saatgutverbände, Landwirtschafts-, Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen: Alle verlangen sie eine Anpassung der europäischen Gesetzgebung, sodass Patente, die auf konventionellen Züchtungsverfahren beruhen, verboten werden. Multis monopolisieren die Ernährung Eigentlich sollte die Sachlage klar sein. Das Europäische Patentübereinkommen schliesst Pflanzensorten und im Wesentlichen biologische Züchtungsmethoden für Pflanzen explizit von der Patentierbarkeit aus. Damit sollte eigentlich die Entwicklung neuer Sorten begünstigt werden. Die Züchter müssen einen freien Zugriff auf bereits ­bestehende Pflanzensorten haben, um neue entwickeln zu können. Da Patente dies verhindern, können die Forschung und die Innovation extrem gehemmt werden – was im Endeffekt eine Bedrohung für unsere Ernährungssicherheit darstellt. Das Problem: Das EPA hat auf Druck der multinationalen Konzerne die bestehenden Patentverbote immer stärker ausgehöhlt. Zuerst wurden erklärung!_03_2016


vor dem Monsanto-Sitz in Morges.

M o n s a n t o - M elo n en __ 5

D e m o n st r at io n

Patente auf genetisch veränderte Pflanzen ver­ geben. Dann auf Erfindungen wie zum Beispiel eine spezifische Resistenz, deren tech­ nische Machbarkeit sich nicht auf eine einzige Pflanzensorte beschränkt. Und nun auch auf Pflanzen, die durch eine simple konventionelle Züchtung entstanden sind. Das führt zu tiefgreifenden Ver­ änderungen auf dem Saatgutmarkt, zum Wohle der Giganten der Biotechnologie-­Industrie. Diese Grosskonzerne reissen sich immer mehr gene­ tische Ressourcen unter den Nagel – und damit nichts weniger als die Basis unserer Landwirtschaft, unserer Ernährung. Weil Züchter heute ständig Gefahr laufen, in ein gerichtliches Verfahren wegen Patentrechtverletzung verwickelt zu werden, verschwinden die «traditionellen» Saatgutunternehmen. Die Konsequenz: Heute wird die Hälfte des weltweiten Saatguthandels von nur drei Firmen kontrolliert (Dupont, Monsanto und Syngenta). In Europa teilen sich gerade einmal fünf Unternehmen 95 Prozent des Saatgut- und Gemüsehandels auf. EU-Parlament fordert Verbot Doch es scheint, als würde nun auch die Politik langsam, aber sicher die Gefahr dieser Entwicklung erkennen. Im Dezember 2015 hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, die ein «Verbot von Patenten auf Pflanzenerzeugnissen, die aus konventionellen Zuchtverfahren hervorgegangen sind» als «unbedingt notwendig» bezeichnet. Das Parlament fordert die Europäische Kommission auf, zu gewährleisten, «dass Erzeugnisse, die mittels im Wesentlichen biologischer Verfahren gewonnen werden, nicht patentiert werden können». Die EU müsse auch

künftig «den Zugang zu und die Verwendung der betreffenden Erzeugnisse für die Pflanzenzucht» garantieren. Das Schweigen der Schweiz Parallel dazu wurde, auf Druck der Schweiz ­notabene, ein Prozess zur Prüfung der Patentverbote im Europäischen Patentübereinkommen eingeleitet. Am 12. Mai ist eine Versammlung der Mitgliedsstaaten zur Besprechung dieses Themas vorgesehen. Für die Schweiz sind die Diskussionen in ­diesem Rahmen entscheidend, weil sie auf das laufende Verfahren diesbezüglich in der Europäischen Union keinen Einfluss hat. Eigenartigerweise hat die Schweiz jedoch ihre offizielle Position bis jetzt noch nicht festgelegt. Dabei ist die Botschaft des Bundesrats vom 23. November 2005 über die Änderung des Patentgesetzes eigentlich eindeutig: «Ausgeschlossen werden im Wesentlichen biologische Zuchtverfahren sowie ihre Resultate», schrieb er darin. Die EvB erwartet deshalb von den Schweizer Behörden, dass sie sich klar gegen die Patentierbarkeit von Pflanzen aus konventioneller Zucht stellen, wie dies kürzlich auch Deutschland, Frankreich, Österreich und Holland getan haben. Bis Ende Jahr werden die Art und die Reichweite der an­gestrebten Gesetzesreformen hoffentlich klarer sein. Eines ist schon heute offensichtlich: Diese Entscheidungen, die für die Zukunft unserer Landwirtschaft sowie unserer Ernährung fundamental sind, dürfen nicht weiter dem Europäischen Patentamt überlassen werden. Es ist höchste Zeit, dass die Politiker ihre Verantwortung übernehmen – bevor es zu spät ist.

Jetzt ist die Politik gefordert UNSER NEUER Bericht zeigt Konsequenzen leichtfertiger Patent vergaben AUF Wird unsere tägliche Nahrung bald schon ganz in den Händen der grossen Nahrungsmittelkonzerne und der Patentindustrie liegen? Oder schafft die Politik rechtzeitig Regeln, die Patente auf Pflanzen und Tiere verbieten? Vom Europäischen Patentamt wurden bereits 2400 Patente auf Pflanzen sowie 1400 Patente auf Tiere vergeben – darunter rund 120 auf Pflanzen und Tiere, die durch konventionelle Züchtungsmethoden entstanden sind. Und weitere 1000 Patentge­ suche dieser Art sind eingereicht. Das ist ­extrem beunruhigend, denn es handelt sich hier ganz klar um einen Missbrauch des Patentrechts im Interesse der multi­nationalen Konzerne und ­ihres Ziels, die Grundlagen unserer ­Ernährung zu kontrollieren.

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Der neue Bericht der Koalition «Keine Patente auf Saatgut» – «Patente auf Pflanzen und Tiere: Jetzt müssen Europas ­Politiker handeln» – dokumentiert die Tätigkeit des Europäischen ­Patentamts (EPA) und zeigt auf, wie die im Gesetz ­verankerten Grenzen der Patentierbarkeit stetig verschoben und umgangen wurden. Im Bericht werden mehrere Patente auf Pflanzen und Tiere analysiert und deren verheerende ­Auswirkungen auf die Züchter, Landwirte und Konsumenten aufgezeigt. Und es werden zahlreiche konkrete Vorschläge für eine Reform des ­Patentrechts in Europa gemacht. Der Bericht ist auf unserer Internetseite www.evb.ch auf Deutsch und auf Englisch verfügbar.


6 __ Ö lh andel

Fu s s b all, teure Ba u t e n, b i l l i g e s Ö l u n d d i e S c h w e i z

Kongolesisches Öl – vom ­Atlantik bis an den Genfersee Die Festnahme eines ehemaligen Fussball­agenten in ­Portugal wirft ein neues Licht auf die zweifelhafte Rolle von Genfer Rohstofffirmen und Banken bei verdächtigen Geschäften mit westafrikanischem Erdöl. Te x t _ M a r c G u é n i a t

Es sind ungemütliche Zeiten für den Regierungsclan der Republik Kongo. Nicht, dass der Prä­ sident Denis Sassou Nguesso bei den Wahlen vom 30. März um seine Wiederwahl hätte bangen ­müssen. Er hatte dafür gesorgt, dass dabei nichts schiefläuft. Nein, Gefahr für das System Sassou droht vielmehr vonseiten der internationalen Justiz. Seit einiger Zeit wird in Frankreich wie auch in der Schweiz gegen den Regierungsclan ermittelt – wegen unrechtmässig erworbenen Vermögens («biens mal acquis»), das auf verschiedene Steuerparadiese verteilt worden ist. Nun ist in Portugal ein weiteres Verfahren eröffnet worden.

D e z e n z i s t n ic ht ih r

Kiki (r.) und sein Vater im Präsidentenpalast.

Din g :

Imposanter Bargeldvorrat Auf Frankreichs Bitte hin hat Portugal die Operation «Strasse des Atlantiks» eingeleitet und Anfang Februar Antonio José da Silva Veiga festgenommen. Gegen den früheren Fussballagenten

– zu seinen Klienten gehörte unter anderem der Superstar Luis Figo – wird im Zusammenhang mit seinen Geschäften im Kongo wegen Bestechung, Geldwäscherei und Steuerhinterziehung ermittelt, wie die portugiesische Tageszeitung Observador berichtete. Bei der Festnahme stiessen die Ermittler auf acht Millionen Dollar in bar. Die Schweiz machts möglich José Veiga unterhält enge Beziehungen mit Kiki, mit vollem Namen Denis Christel Sassou Nguesso, dem Präsidentensohn und Verantwortlichen für die kongolesischen Erdölexporte. Im Erdölstaat Kongo hat José Veiga die Geschäfte des brasilianischen Infrastruktur-Konzerns Asperbras geleitet, der vom kongolesischen Staat mehrere äusserst lukrative Bauaufträge erteilt erhielt. Und hier kommt die Schweiz ins Spiel: Die Schweizer Filiale der Bank BNP Paribas machte das Geschäft nämlich mit einem Kredit über 750 Mil­ lionen Dollar möglich. Die schweizerische Handelsgesellschaft Gunvor ihrerseits bürgte für den Kredit – und kam im Gegenzug in den Genuss ­eines Exportvertrags für kongolesisches Erdöl im Wert von geschätzten zwei Milliarden Dollar, der 2010 in Kraft trat. Dieser Erdölvertrag erweckte die Aufmerksamkeit der Bundesanwaltschaft: Seit 2012 ermittelt sie gegen Unbekannt wegen Geldwäscherei. Verdächtig ist vor allem, dass das Öl vom kongolesischen Staat mit einer «Ermässigung» von vier Dollar pro Barrel an Gunvor verkauft Baudoin Mouanda / Jeune Afrique


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wurde. Diese Rabatte sind in Form von Provisionen auf den Konten von Offshore-Gesellschaften gelandet, die hauptsächlich im Besitz eines Beraters des kongolesischen Präsidenten sind. Bauwerke zum zehnfachen Preis Die portugiesischen Behörden nehmen nun auch die Vergabe der Bauarbeiten genauer unter die Lupe. Im Jahr 2012 vergab Kongo-Brazzaville drei Aufträge im Wert von insgesamt 1,1 Milliarden Dollar an Asperbras. Teilweise haben diese Arbeiten nur sehr wenig mit dem Kerngeschäft von Asperbras zu tun, weshalb die Firma sie an das staatliche französische Forschungsbüro für Geologie und Bergbau (BRGM) weitergegeben hat. 2014 berichtete das französische Wochenblatt Le Canard enchaîné über zwei dieser Aufträge und kam zum Schluss: Asperbras stellte dem Kongo fünf bis zehn Mal höhere Beträge in Rechnung, als es auf dem Markt üblich ist.

Martial Trezzini / Keystone

Laurent Gillieron / Keystone

Günstiges Öl und teure Hemden Auch die Schweizer Justiz dürfte sich für José Veiga interessieren. Als Vertreter des Genfer Unternehmens Atlantic International SA sitzt er im Verwaltungsrat der Afrikanischen Bank für Industrie und Handel (BAIC ). Gegründet wurde diese Bank mit Sitz in Benin kürzlich von drei ­alten Bekannten von Kiki, dem kongolesischen Präsidentensohn. Interessant: Im Verwaltungsrat vertreten ist auch die Genfer Handelsgesellschaft Philia SA. Vor einem Jahr hat die Erklärung von

Kennt Luís Figo (o.) ebenso gut wie Kiki: José Veiga ( l.) .

Bern über den für den kongolesischen Staat ­äusserst unvorteilhaften Exklusivvertrag berichtet, den Philia mit der Staatsraf­finerie Coraf – also mit Kiki – abgeschlossen hatte. 1 Mit dem 2013 unterschriebenen Vertrag konnte die bis dahin nur Insidern bekannte Firma Philia Millionen verdienen; obwohl sie lange nichts weiter tat, als das Erdöl zu übernehmen und – ohne Mehrwert, aber mit Aufpreis – an andere Händler weiterzuverkaufen. Philias Partner, die Staatsraffinerie Coraf, kam ihrerseits unter Beschuss, weil sie «vergessen» hatte, Erdöleinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe in die Staatskasse rückzuführen. Gleichzeitig brüstet sich ihr Chef Kiki damit, seine Designerhemden jeweils nur einmal zu tragen, und fährt abwechslungsweise Maserati und Bentley. Bis heute hat Philia keine plausiblen Antworten auf die Fragen bezüglich ihrer Geschäfte im Kongo geliefert. Fünf Sterne für die Genfer Gastfreundschaft Gemäss der portugiesischen Presse erhält José Veiga über Kiki eine Provision von drei Prozent auf sämtliche Verkäufe kongolesischen Erdöls. Das würde bedeuten, dass auch die kongolesischen Lieferungen an Philia davon betroffen wären. Diese Behauptung muss noch bestätigt werden. Die Tatsache, dass sowohl José Veiga wie auch Philias einziger Aktionär bei der BAIC mitwirken, schwächt das ungute Gefühl gegenüber den Geschäften der Genfer Handelsgesellschaft auf jeden Fall nicht eben ab. Verstärkt wird dieses durch einen Umstand, über den die Sonntagszei­ tung und Le Matin Dimanche im Januar berichteten: Wenige Wochen vor der Unterzeichnung des Vertrags 2013 hat Philia offenbar den Aufenthalt des Finanzdirektors von Coraf in einem Genfer Fünfsternehotel finanziert. 2 Auf Anfrage der EvB erklärte Philia per E-Mail, dass die Firma nach der Verhaftung von José Veiga «alle in dieser Situation notwendigen ­ Massnahmen getroffen» habe. Es hätten keine finanziellen Transaktionen zwischen Philia und «Monsieur Veiga» und dessen Unternehmen stattgefunden. Die Anwälte der Firma forderten die EvB derweil letzten November dazu auf, ihre «Behauptungen» an die für die gerichtlichen Ermittlungen verantwortlichen Behörden weiterzureichen. Tatsächlich ist zu hoffen, dass der Vertrag zwischen Coraf und die damit zusammenhängenden Finanztransaktionen genauer unter die Lupe genommen werden. Und das ist auch zu erwarten. Denn früher oder später dürfte die «Strasse des Atlantiks» auch an den Genfersee führen.

1 Erklärung von Bern, «‹Back to back› im ­Kongo: dunkle Deals der Schweizer Handelsfirma Philia mit dem Präsidentensohn», ­Februar 2015. ­ imanche,  2 Le Matin D «Pour le clan ­Nguesso, le pétrole vaut bien une suite de luxe à ­Genève», 17. Januar 2016  /  Sonntagszeitung, ­«Geheimpapiere: ­Verdacht illegaler Öl­ geschäfte via Genf». Auch hier war Philias Stellungnahme zu den Beschuldigungen lückenhaft und teil­ weise fehlerhaft: http://www.philia-sa. com/en/media (17. Februar 2016).


8 __ G eldwäsche im Kun sthandel

Kr i mi nelle intere s s i e r e n s i c h f ü r K u n s t

Der internationale Kunsthandel – eine Einladung zur Geldwäsche, ein Risiko für die Schweiz Die Schweiz ist nicht nur bei ­Rohstoff- oder Geldgeschäften mittendrin, sondern auch beim Handel mit Kunst. Das birgt Risiken. Der Wert von Kunstwerken ist subjektiv, der ­Handel mit ihnen intransparent: ideale Voraussetzungen für Geld­wäscherei. Te xt_Mar c Guéniat, T im o K o llb r u n n e r

Claude Guéant hatte einfach Pech. ­Eigentlich interessierte sich die fran­zö­sische Justiz für die mutmassliche Finanzierung von Nicolas Sarkozys Wahlkampagne 2007 durch den libyschen Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi. Im Rahmen dieser Ermittlungen, die bis heute s­ cheinbar wenig erfolgreich andauern, sties­­­sen sie auf eine Zahlung, die Claude Guéant, e­ hemaliger französischer Innenminister und en­ger Vertrauter Sarkozys, 2008 erhalten hatte. Ein malaysischer Anwalt hatte ihm 500 000 Euro überwiesen: für zwei Bilder eines unbekannten flämischen Malers aus dem 16. Jahrhundert. Laut Schätzungen sind die beiden Gemälde zusammen höchstens 35 000 bis 50 000 Euro wert. Als der Handel besiegelt war, gönnte sich Claude Guéant eine neue Wohnung. Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wünschte sich dieser Anwalt aus Malaysia die beiden Gemälde so sehr, dass er bereit war, 10 bis 15 Mal mehr als den Marktwert zu bezahlen. Oder aber es ging darum, sich bei dem damaligen Generalsek­ retär des Élysée-Palasts für dessen Dienste zu bedanken (wobei sich dann natürlich die Frage aufdrängt: für welche Dienste?). Die französischen Ermittlungsbeamten untersuchen derzeit die zweite dieser Hypothesen, und sie scheinen sie für plausibel zu halten: Sie haben gegen den «Kardinal», wie Guéant wegen seines grossen Einflusses in der französischen Politik genannt wurde, Anklage wegen Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung erhoben. Drogen- und Plünderungsgelder Es ist nur eines von vielen undurchsichtigen Geschäften beim Handel mit Kunst, mit dem 2014 weltweit 55 Milliarden Dollar umgesetzt wurden. Das erstaunt nicht. Während etwa die Finanzmärkte heute relativ stark reguliert sind, bleibt der Kunsthandel eine Blackbox. Die Preise für

Mark Henley / Panos

Kunstwerke sind kaum objektivierbar, Käufer und Verkäufer oft nicht namentlich bekannt. Kurz: Wer Geld waschen will, findet im Kunstmarkt beste Voraussetzungen. So werden etwa im Ausland Briefkastenfirmen gegründet, um zu verschleiern, wer tatsächlich hinter den Geschäften steckt und woher deren Vermögen stammt. Oder Kunstwerke werden – wie mutmasslich im Fall von Claude Guéant – zu stark überhöhten Preisen gehandelt. Es sind ähnliche Praxen, wie sie aus anderen, schwach regulierten Wirtschaftszweigen wie dem Rohstoffhandel bekannt sind. Da kann es wenig erstaunen, dass der Kunstmarkt auch für politisch exponierte Personen (PEP) attraktiv ist, für die bei Finanztransaktio-

Kenzo Tribouillard / AFP / Getty Images

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G eld w ä s c h e i m K u n s th a n d el __ 9

nen strengere Regeln gelten. Gemäss der Basler Finanzprofessorin Monika Roth gibt es «immer wieder Fälle, bei denen korrupte Politiker über Kunst Geld waschen, etwa afrikanische Potentaten», wie sie in einem Interview mit dem Beob­ achter sagte. Über Kunst werden laut der Expertin Gelder aus Drogengeschäften, aus Vermögensdelikten wie Betrug oder Veruntreuung, «aber auch aus Korruption oder aus der Plünderung von Staatskassen» gewaschen. Wenn man sich vor Augen führt, dass gemäss Schätzungen des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung jährlich 2100 Milliarden Dollar gewaschen werden, fällt der Kunsthandel zwar wenig ins Gewicht. Doch je mehr das Reinwaschen illegaler Gelder in anderen Wirtschaftszweigen eingeschränkt wird, desto attraktiver wird das intransparente Kunstgeschäft für jene werden, die die Herkunft ihrer Gelder verschleiern möchten. Eine Studie des Basel Institute on Governance (BIG) warnt denn auch davor, «der deregulierte Kunsthandel» laufe Gefahr, durch «dubiose oder gar kriminelle Akteure» kontaminiert zu werden.

Oben: Jedes Jahr ­wieder – die Art Basel. U n t e n : W o hl nic ht z u m l e t zt e n Mal – C l a u d e Gu é an t v e r lä s s t e i n Ge r ic ht s gebäude.

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Etwa so hundert gut versteckte Milliarden Die Schweiz nimmt beim weltweiten Kunsthandel den dritten Platz ein. Das hat einerseits mit ihrer wohlwollenden, also wenig strikten Gesetzgebung zu tun, und andererseits mit dem guten Dutzend Zollfreilager hierzulande, in denen Kunst gehandelt, aber auch gelagert wird. Nach dem Niedergang des Bankgeheimnisses sind Zollfreilager zu einem noch attraktiveren Ort geworden. In diesen Lagern können Kunstwerke – genauso wie Bargeld, Edelmetalle, Wein und anderes – nicht nur mehrwertsteuerbefreit, sondern vor allem auch anonym deponiert werden. Und das oft jahre- oder gar jahrzehntelang, obwohl das der ursprünglichen Idee eines Transitraumes zuwiderläuft. Schätzungen gehen davon aus, dass in den Schweizer Lagern Waren und Bargeld im Wert von etwa hundert Milliarden Franken deponiert sind. Doch einen detaillierten Überblick hat auch die Zollverwaltung nicht. Die Verantwortlichen der Zollfreilager müssen die Behörden zwar über ihren Bestand informieren. Wer die Besitzerinnen und Besitzer der Güter sind, bleibt jedoch geheim. Da kann es kaum überraschen, dass auch Steuerbetrug mithilfe von Kunstwerken nicht besonders kompliziert ist. Eine Sammlerin oder ein Sammler kann ein Kunstwerk über eine verbündete Galerie importieren. Es ist mehrwertsteuer-

«  Wer Geld waschen will, findet im Kunstmarkt beste ­Voraussetzungen.  » frei, solange es nicht weiterverkauft wird, sondern beim Sammler oder der Sammlerin bleibt. Wenn sie oder er das gekaufte Werk selbst behält und in einem Zollfreilager deponiert, muss die Mehrwertsteuer nie bezahlt werden. Bei einem Picasso, dessen Handelswert schnell einmal Dutzende von Millionen Franken erreicht, ist der entgangene Gewinn für den Staat enorm. Neue Regeln sind «ein Witz» Was können die Behörden angesichts dieser ­Herausforderungen unternehmen? Nicht viel, wie es scheint. Der Kunsthandel ist nicht dem Geldwäschereigesetz unterstellt – was etwa die Basler Professorin Monika Roth scharf kritisiert. Und die kürzlich vorgenommene Revision des Schweizer Geldwäschereidispositivs (GwG) in Bezug auf Bargeldtransaktionen geht nicht eben weit. EinzelhändlerInnen müssen in der Schweiz, wo so viel bar bezahlt wird wie kaum irgendwo sonst, neu nun etwa bei Transaktionen über 100 000 Franken die Identität der KäuferInnen überprüfen. In fast allen anderen Ländern sind Bargeldtransaktionen viel strikter reglementiert. «Ich kann das nur einen Witz nennen», erklärte Charles Goodhart, ein ehemaliger Geldpolitiker der Bank of England, als er von Bloomberg um eine Einschätzung der Schweizer Revision befragt wurde. Wirklich einfach nur Pech Auch das Basel Institute on Governance kommt zum Schluss, der Gesetzgeber zeige sich «zu wenig interessiert an einer konstruktiven Diskussion» über die Einführung von Selbstregulierungsmechanismen im Kunstmarkt, über die Basel Art Trade Guidelines und die «zu lösenden Probleme». Und auch die Widerstände der Kunstbranche gegen strengere Regeln – wie in der Finanzbranche – sind gross. «Massgebliche Vertreter» der Industrie weigerten sich «kategorisch» dagegen, die Problematik anzugehen, schreibt das BIG. Monika Roth sagt: «Wir haben ja Erfahrung mit Rufrisiken, die man verschlafen hat. Hier ist eines, das man angehen muss.» Vorläufig sieht es nicht danach aus. Vorderhand dürften die ­allermeisten illegitimen Geschäfte mit Kunstwerken auch weiterhin unentdeckt bleiben – bis auf wenige Zufallstreffer. Claude Guéant hatte wohl wirklich einfach nur Pech.


2,2 Milliard e n ­v e runt re ut :

Sani Abacha.

© Reuters / STR New

32 1 Abacha-Millio n e n f ü r N i g e r i a

Diesmal muss das Geld der Bevöl­kerung zugute kommen Die EvB verlangt Garantien: Die Millionen, die die Schweiz Nigeria bald rückerstatten wird, dürfen ­keinesfalls wieder in den Taschen der Machthaber verschwinden. Te xt_Ol ivie r Long cham p

Über 2,2 Milliarden Dollar soll der ­ehemalige nigerianische Diktator Sani Abacha während seines brutalen Miltärregimes ausser Land geschafft haben, ein grosser Teil davon landete in der Schweiz. 2005 erstattete die Schweiz über 700 Millionen Dollar an Nigeria zurück. Nur: Von über der

Hälfte dieser Gelder verlor sich bald die Spur, die beraubte nigerianische Bevölkerung erhielt höchstens einen Bruchteil des ihr zustehenden Geldes. Diesen März nun hat Aussenminister Didier Burkhalter sich mit den nigerianischen Behörden darauf verständigt, dass die Schweiz dem Land möglichst rasch die 321 Millionen Dollar rückerstattet, die die Genfer Justiz auf Konten eines Sohnes von Abacha blockiert hatte. Anlässlich des Besuchs hat eine Koalition nigerianischer und Schweizer NGOs – unter ihnen die Erklärung von Bern – die Be-

hörden der beiden Länder und die Weltbank aufgefordert, sicherzustellen, dass dieses Geld wirklich der Bevölkerung zugute kommt. Dass das leider alles andere als selbstverständlich ist, zeigt das Beispiel der 235 Millionen Dollar, die das Fürstentum Lichtenstein kürzlich nach Nigeria überwies. Ex-Präsident Goodluck Jonathan sagte, er habe das Geld für die Bekämpfung der Terrorgruppe Boko Haram ausgeben. Tatsächlich war der Waffendeal – ob beabsichtigterweise oder nicht – geplatzt, und das Geld hatte sich in Luft aufgelöst. Die Reaktionen in Nigeria waren heftig. Der neue nigerianische Präsident Muhammadu Buhari verspricht, die Korruption einzudämmen. Und Burkhalter bezeichnete die Korruptionsbekämpfung bei seinem Besuch in Abuja als eine der «Prioritäten der Schweiz». Nun gilt es, den Worten Taten folgen zu lassen – und zu garantieren, dass das Geld in einem transparenten, von der Weltbank überprüften und von NGOs begleiteten Verfahren jenen zugute kommt, die beraubt wurden: der Bevölkerung Nigerias.

Na c h h altige Öffen t l i c h e B e s c h a f f u n g

Parlament kann den Bund nun in die Pflicht nehmen Die Revision des Beschaffungsgesetzes bietet dem Parlament die grosse Chance, dafür zu sorgen, dass der Bund künftig nachhaltiger einkauft. Te xt_Christa Lug inbühl

Der Bund formuliert in seiner aktuellen Strategie für Nachhaltige Entwicklung 2016 – 2019, dass er bei seinen Beschaffungen eine Vorbildfunktion einnehmen will, indem er «Produkte nachfragt und Bauwerke realisiert, die wirtschaftlich, u ­ mweltschonend und gesundheitsverträglich sind und die möglichst sozial verantwortungsvoll produziert werden». Diese Absichtserklärung ist ein Anfang. Doch ob der Bund tatsächlich

nachhaltig einkauft, hängt vor allem davon ab, wie konkret Nachhaltigkeitsprinzipien im Gesetz verankert sind. Aktuell wird das Beschaffungsgesetz revidiert – einerseits, um Aktualisierungen auf WTO -Ebene umzusetzen, andererseits, um die kantonalen Beschaffungsgesetze mit dem Bundesgesetz zu harmonisieren. Die Revision bietet die grosse Chance, verbindliche Prinzipien für eine nachhaltige Beschaffung zu verankern. Denn als Grosskonsumenten mit einem jährlichen Beschaffungsvolumen von rund 40 Mrd. CHF können Bund und Kantone einen relevanten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Das Gesetz kommt wohl noch dieses Jahr

ins Parlament. Dann liegt es an den Nationalrätinnen und Ständeräten, auf eine Umsetzung zu pochen, die den Bund tatsächlich verpflichtet, nachhaltig einzukaufen. Im Rahmen der NGO -Koalition «Öffentliche Beschaffung» wird sich die Erklärung von Bern weiterhin dafür starkmachen, dass zielführende rechtliche Grundlagen zur konsequenten Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei den öffentlichen Beschaffungen im Gesetz verankert werden. Hintergrundinfos und detaillierte ­Umsetzungsvorschläge für das Gesetz auf www.evb.ch unter Öffentliche ­Beschaffung erklärung!_03_2016


K lei d e r p r o d ukt i o n __ 1 1

Ge n f e r Filmfestiv a l u n d M e n s c h e n r e c h t sf o r u m FIFDH

Sie bezahlen den Preis für die Fast Fashion In Genf diskutierte die EvB mit ­einem Gewerkschafter aus Bangladesch und dem Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation ILO über dringend nötige Verbes­ serungen in der Kleiderproduktion. Te xt_Maxime Fe rréol

Ergreifende Schilderungen des RanaPlaza-Fabrikeinsturzes in Bangladesch, bei dem vor drei Jahren über tausend Menschen ums Leben kamen. Der jahrelange Kampf der kambodschanischen Fabrikarbeitenden für einen Existenzlohn. Oder die alarmierenden Folgen, die der Gebrauch von Pestiziden auf die Gesundheit der Baumwollbauern und ihrer Kinder in Indien hat. Es sind unangenehme Realitäten, mit denen uns der amerikanische ­Regisseur Andrew Morgan in seinem Dokumentarfilm The True Cost (Der wahre Preis) konfrontiert. Der Film beleuchtet die Exzesse einer Industrie,

«  Wir müssen rasch

­ andeln, ­damit es nicht h zu einem neuen Rana Plaza kommt.

»

die mit immer schnelleren Modezyklen und immer tieferen Preisen versucht, ihre Umsätze zu maximieren – auf Kosten jener, die die Kleider unter Hochdruck, zu Tiefstlöhnen und unter Gefährdung ihrer Sicherheit und Gesundheit herstellen. Flexibel und skrupellos The True Cost wurde im März am Filmfestival und Menschenrechtsforum FIFDH in Genf gezeigt – gefolgt von einer Diskussion über die teils unhaltbaren Arbeitsbedingungen in der globalisierten Kleiderindustrie. Mit dabei: EvB-Expertin Christa Luginbühl, die Verantwortliche für die Clean Clothes Campaign (CCC) in der Schweiz. erklärung!_03_2016

Sie zeigte auf, wie die Modemarken mit grosser Flexibilität, aber ohne grosse Skrupel stets in den jeweils «konkurrenzfähigsten» Ländern produzieren lassen und so die Zukunft der Arbeitenden jener Firmen aufs Spiel setzen, die nicht bereit sind, für den allertiefsten Preis zu produzieren. Eines dieser «konkurrenzfähigen» Länder ist Bangladesch. Dort seien die Bestrebungen für bessere Arbeitsbedingungen auch drei Jahre nach Rana Plaza nach wie vor «eindeutig ungenügend», sagte Babul Akhter, Präsident der Gewerkschaft für Textilarbeit in Bangladesch. Dezidierter ILO-Chef Der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen, Guy Ryder, ermutigte nicht nur Babul Akhter in seiner Arbeit, sondern betonte auch die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft und von Initiativen wie der CCC . Und er rügte die Regierungen der Produktionsländern: Sie seien verantwortlich, die Firmen in die Pflicht zu nehmen. Denn die Exzesse des heutigen Systems könnten nicht beendet werden, solange die Firmen ihre Sorgfaltspflicht ent-

ILO-Chef Guy Ryder ( l. ) ermutigte d e n – und uns NGOs.

lang ihrer Lieferkette nicht wahrnähmen: «Wenn die Unternehmen nicht in der Lage sind, die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte zu gewährleisten, müssen sie ihr Geschäftsmodell ändern.» Eine doch bemerkenswerte Aussage für den Generalsekretär einer Organisation, in der nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Arbeitgeber der UN-Länder vertreten sind. Das Schlusswort gehörte dann wiederum Babul Akther, und er nutzte es für einen Appell: Die verschiedenen Parteien müssten gemeinsam an einem Strick ziehen und ebenso rasch wie entschieden handeln: «Nur so können wir ein neues Rana Plaza verhindern.»

The True Cost Der Dokumentarfilm The True Cost feierte letztes Jahr in Cannes Premiere und wird seither weltweit an Filmfestivals gezeigt. Bestellt werden kann er auf der offiziellen Homepage: www.truecostmovie.ch Mehr Informationen zum Filmfestival und Menschenrechtsforum FIFDH, das diesen März zum dreizehnten Mal stattfand, gibt es auf www.fifdh.ch

G e w e rkscha ft e r

Ba bul A kh t e r ( r.)

Miguel Bueno


1 2 __ Vo n EvB zu Public Eye

E v B - P r ä s i d e n t i n P i e r r e tt e R o h r b a c h z u m N a m e n s w e c h s e l

«Public Eye passt sehr gut zu uns» Seit wir angekündigt haben, unsere Organisation in Public Eye umbenennen zu wollen, sind zahlreiche ­Reaktionen eingetroffen. Die meisten unter­stützen den Namenswechsel, andere sind kritischer und hinter­ fragen ihn. Pierrette Rohrbach, Präsidentin der EvB, zu den Gründen für den geplanten ­Namenswechsel.

Weshalb will die Erklärung von Bern nach 48 Jahren den Namen wechseln? Mit dem Zusammenschluss der Deutschschweizer Sektion mit jener aus der Romandie vor vier Jahren sind wir offiziell zu einer «nationalen» Organisation geworden. Und natürlich haben wir uns in der Folge über unsere Kommunikation und nationale Identität Gedanken gemacht – auch im Bewusstsein, dass unser Name «Erklärung von Bern» nicht ideal ist. Denn er ist lang, funktioniert schlecht in verschiedenen Sprachregionen und ist heute für viele erklärungsbedürftig.

Darüber wird am 21. Mai abgestimmt An der Generalversammlung vom 21. Mai 2016 schlägt der Vorstand eine Umbenennung der Organisation vor. Zur Abstimmung steht folgende Statutenänderung:

Artikel 1, Name Vorschlag neu: Unter dem Namen «Public Eye, Verein im Sinne der ­Erklärung von Bern», besteht ein gemeinnütziger Verein im ­Sinne von Art. 60 ff. des schweizerischen ZGB. Er ­untersteht den vorliegenden Statuten. Er ist politisch und ­konfessionell unabhängig. Weshalb Vorstand und Team einen Namenswechsel ­befürworten: Wir sind überzeugt, dass ein Namenswechsel sich mittelund langfristig auszahlen wird. Unsere Mitglieder wissen, wofür wir stehen. Doch viele, auch jüngere Menschen, ­haben zur Tradition unseres heutigen Namens keinen ­Bezug. Genau sie brauchen wir aber, damit das Erbe der ­Ursprungserklärung weiter getragen werden kann. Wir sind überzeugt: Mit Public Eye wird dies gelingen. Der Name ist leicht zu vermitteln, funktioniert in allen Sprachen und steht für unsere Kernkompetenz: Missstände an die Öffentlichkeit zu bringen und in der Schweiz für die weltweite Einhaltung der Menschenrechte zu kämpfen.

Aber die EvB geniesst doch einen ­ausgezeichneten Ruf? Das stimmt – bei Mitgliedern, in den Medien und bei Politikerinnen und Politikern sind wir bekannt und geniessen einen guten Ruf. Doch aus­ serhalb dieses spezifischen Kreises können und wollen wir noch bekannter werden. Viele Leute haben bereits von unseren Kampagnen gehört, kennen aber uns, die Organisation dahinter, nicht. Das ist schade. Wenn es uns gelingt, als Absender dieser Botschaften fassbarer zu werden, können wir noch besser mobilisieren und noch mehr Leute für unsere Anliegen gewinnen. Weshalb habt ihr als eine in der Schweiz tätige Organisation mit Public Eye einen englischen Namen gewählt? Wir haben über hundert Namen angeschaut, viele davon mit einem lateinischen oder französischen Stamm. Wir fragten uns: Bringt der neue Name die Tätigkeit und Werte der Organisation zum Ausdruck? Ist er einfach zu fassen? Funk­ tioniert er in allen Sprachen, mit einem Logo und einer Webadresse? Wir finden, Public Eye passt sehr gut zu uns, denn er beschreibt unsere Kerntätigkeit – der Wirtschaft und Politik hier in der Schweiz auf die Finger zu schauen und auf die Einhaltung der Menschenrechte zu pochen. Dazu kommt, dass ihn unsere Mitglieder schon über die Public Eye Awards, die wir in Davos durchführten, kennen. Wohl ist das mit ein Grund für die vielen positiven Rückmeldungen, die wir erhalten haben. Ändert sich mit dem Namen auch die ­Ausrichtung der Organisation? Nein, an den Zielen, den Werten und der Arbeitsweise der EvB ändert sich nichts, unsere Geschichte und unsere Wurzeln halten wir weiter hoch. Mit Public Eye werden wir effizienter kommunizieren können. Den Namen «Erklärung von Bern» werden wir jedoch in einer längeren Übergangsfrist auch noch mittragen. Auch im offiziellen Namen, der in unseren Statuten steht, soll die ursprüngliche Erklärung weiterhin vorkommen (siehe Box links).

erklärung!_03_2016


Pierrette Rohrbach ist seit 2007 im Vorstand der EvB und se i t d e m Z usa m m e nsch luss d e r D e ut sch - und

Was erhofft ihr euch vom Namenswechsel? Wir erhoffen uns mittel- und langfristig in erster Linie eine Stärkung der externen Wahrnehmung. Weil Public Eye leichter zu vermitteln ist, werden wir auch als Absender hinter den Kam­ pagnen besser erkennbar. Das wird unsere Bekanntheit erhöhen und es uns erleichtern, neue Mitglieder zu gewinnen. Und mit einer grös­ seren Mitgliederbasis erhält unsere Stimme mehr Gewicht und wir können unsere Wirkung erhöhen. Riskiert ihr mit einem Namenswechsel nicht, die jetzige Basis zu verlieren? Die meisten Rückmeldungen, die wir erhalten haben, sind positiv – gerade auch von Gründungsmitgliedern. Überraschte und kritische Stimmen

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W e st schw e iz e r S e kt i one n 2012 V orst a nd sp rä si d e nt i n.

Raphaël de Riedmatten

gab es natürlich auch. Das ist aber normal und verständlich. Es braucht Zeit, sich an neue Namen zu gewöhnen – zumal bei einer Organisation, die uns allen am Herzen liegt. Aber praktisch niemand bezweifelt, dass es gute Gründe für einen Wechsel gibt. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass unsere Mitglieder den Namenswechsel unterstützen werden.

Stimmen zum geplanten ­Namenswechsel Di e p os i t i v en Rüc k m eldun g en üb erwi eg en Von «Potz Blitz» über «Ich bin verwirrt» bis zu «scheint Welten zu öffnen» – so unter­ schiedlich reagieren unsere Mitglieder und ehemaligen Mitarbeitenden auf die geplante Umbenennung. Am besten lassen sich die vielen Rückmeldungen, die wir seit der Ankündigung des Namenswechsels erhalten haben, wohl mit den Worten von Regula Renschler – von 1974 bis 1985 Fachsekretärin bei der EvB – zusammenfassen: «Na­ türlich gibt es unsereinem einen kleinen Stich ins Herz, da wo die ‹EeevauBee› ihren ganz speziel­ len, warmen Platz hat.» Die Gründe für den Wechsel leuchteten ihr aber ein: «Der Namens­ wechsel ist wohl unumgänglich, das sehe ich ein und unterstütze es.» Neu ist die Namensdiskus­sion nicht. So erwähnt François Vargas, erster Fachsekretär in der Romandie, er und Annemarie Holenstein (erste Fachsekretärin in Zürich) hätten den Namen schon damals, als sie für die EvB tätig waren, ändern wollen. Peter Bosshard, ein prägendes Gesicht der Organisation in den 90er-Jahren,

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reagiert ähnlich: «Potz Blitz! Ihr packt nun all die grossen institutionellen Fragen an, welche wir ­unsererseits während Jahren – Jahrzehnten! – vor uns herschoben.» Auch er befürwortet einen Wechsel: «Es geht ja nicht um die Nostalgie von uns Veteranen, sondern um das Profil der Organi­ sation für die Zukunft, und dem ist mit einem neuen Namen besser gedient.» Was löst der Name Public Eye bei Mitgliedern aus? Ein Mitglied schreibt: «Mir gefällt der vor­ geschlagene Name, an dem man sofort er­kennt, um was es geht.» Manche begeistert der Name gar: «Diese Namensänderung scheint mir wirklich Welten zu öffnen.» Doch natürlich gibt es auch ­kritische Stimmen: «Ich bin verwirrt, dass die EvB den Namen auswechseln will, kann es aber ver­ stehen. Wobei: Dass der neue Name gleich englisch sein soll, naja.» Andere verbinden mit Public Eye noch nicht das gleiche wie wir: «Beim Namen muss man an eine amerikanische Überwachungs­ kamera denken.» Viele Mitglieder äussern ihr Bedauern darüber, dass wir keinen Namen in einer Landessprache gewählt haben. Doch ins­ gesamt überwiegen die positiven Rückmeldungen.

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1 4 _ _ E h renamtliches Eng agement

Ko o r d ination der E v B - S c h u l b e s u c h e

«Anspruchsvoll – aber auch äusserst spannend »

Intervie w_T im o Koll brunn e r

Ihr koordiniert nicht nur die Schulbesuche der Erklärung von Bern, immer wieder steht ihr auch selbst vor Schulklassen. Wie erreicht man Kinder und Jugendliche mit solch belastenden Themen wie Hungerlöhnen, Rohstoffabbau oder Ernährungs­sicherheit? Martin: Das ist die grosse Herausforderung. Zentral ist, dass bei den Besuchen unsere positive Lebenseinstellung sichtbar wird. Dass wir nicht negativ wirken, sondern zeigen, dass wir daran glauben: Zusammen können wir durch unser Verhalten etwas verändern. Ruedi: Die EvB-Themen sind komplex, und gleichzeitig müssen wir sie altersgemäss rüberbringen. Wir müssen die Zehnjährige anders ansprechen als den 18-Jährigen. Ich glaube, entscheidend ist, dass wir die Jugendlichen und Kinder ernst nehmen. Auch jene, die vielleicht gerade keine all zu grosse Lust

haben und am Morgen lieber im Bett geblieben wären. Habt ihr oft das Gefühl, die Jugend­ lichen und Kinder nicht zu erreichen? Ruedi: Eigentlich nicht. Ich würde sagen, zwei Drittel der Klasse sind in der Regel wirklich engagiert dabei. Martin: Natürlich erreichen wir nie alle, da geht es uns gleich wie wohl den meisten Lehrern. Aber die meisten machen mit. Doch es gibt keinen Schulbesuch, der gleich ist wie ein vorangegangener. Darauf musst du dich einstellen und vorbereiten. Ruedi: Klar kommt es hie und da vor, dass Schülerinnen oder Schüler Blödsinn machen oder dass sich pubertierende Jungen vor ihren Kollegen und den Mädchen aufspielen. Martin: Aber dafür haben diese Jugendlichen auch etwas, was manche Erwachsene verloren zu haben scheinen: einen noch intakten Gerechtigkeitssinn. Und dort holt ihr sie ab? Martin: Ja. Wir zeigen auf, wie wenig eine Näherin verdient oder wie viele Stunden täglich Kinder in Westafrika Kakao ernten, und dann fragen wir: Wie findet ihr das? Doch wir wollen den Kindern und Jugendlichen nicht

Marion Nitsch

Nach mehreren Jahren geben Martin Bloch und Ruedi Bollag ihr Amt als ehrenamtliche Koordinatoren der EvB-Schulbesuche ab – und schauen vorher noch mal zurück.

R ue d i B olla g ( u.) und Ma rt i n B l o c h g eb en d e n «i d e a le n J ob» a b:

Übernehmen Sie?

einfach etwas vortragen, sondern sie einladen und anregen, nachzudenken, mitzumachen, selbst aktiv zu werden. Ruedi: Uns geht es im Wesentlichen um drei Fragen: Haben wir den Mut, hinzuschauen? Gehen uns die globalen Ungerechtigkeiten, die wir sehen, etwas an? Und falls ja: Was können wir tun? Martin: Spannend ist jeweils auch, zu sehen, wie die Schülerinnen und Schüler mit unlösbaren Aufgaben umgehen. In der Schule gibt es ja fast ­immer ein Richtig und ein Falsch. Wenn sie nun eine kambodschanische Näherin «spielen» und sich überlegen sollen, wie viel von ihrem Lohn sie für Nahrung, Gesundheit, Bildung der Kinder oder die Wohnung ausgeben, merken sie: Das ist unmöglich. Das Geld reicht einfach nicht. Diese Erkenntnis irritiert – und spielt uns den Ball zu, sie zum Reflektieren anzuregen.


E h r e n a m t l i c h e s E n g a geme n t _ _ 1 5

Und viele von ihnen werden dann auch tatsächlich selbst aktiv, oder? Martin: Ja, in ganz unterschiedlicher Weise. Einige schreiben Briefe an Firmen, andere malen Plakate, führen Umfragen unter Passanten durch, schreiben einen Beitrag für die Lokalzeitung oder drehen einen Videoclip. Ruedi: Mich freut es immer sehr, in diesen Klassen zu erleben, wie viel Positives, welch tolle Impulse es unter den Jugendlichen gibt. Das gibt mir Mut und Motivation für unsere Arbeit, die ja viel mehr umfasst, als Klassen zu besuchen. Genau: Ihr koordiniert das Schulbesuchsteam, entwickelt die ­thematischen Inhalte weiter, stellt die Qualität der Programme sicher. Das klingt nach viel Arbeit? Martin: Es ist schon anspruchsvoll. Aber auch äusserst spannend und vielfältig. Das Administrative ist ziemlich komplex, dann gilt es, regelmässig neue Schulbesuchende einzuarbeiten und zu begleiten … Ruedi: … sicherzustellen, dass das, was wir den Schülern näherbringen, im Sinne der EvB ist, das Schulbesuchsmaterial zu aktualisieren, neue Module auszuarbeiten. Die Arbeit kann einem zu viel werden. Aber auf der anderen Seite gibt sie einem auch wirklich viel. Was gibt sie euch? Ruedi: Wir sind in Kontakt mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit Schulbesuchenden und den Fachver-

Etwas für Sie? Die Erkl ärung von Bern sucht zwei n eue ehrenamtliche Schulkoordinatorinn en Martin Bloch und Ruedi Bollag treten im Verlauf dieses Jahres als Schulbesuchsko­ ordinatoren ab. Deshalb sucht die Erklärung von Bern ab September oder nach Vereinbarung zwei Personen, die es reizt, in Freiwilligenarbeit und mit einem Pensum von je etwa 20 Prozent das Team der 35 Schulbesuchenden zu betreuen, die bestehenden Unterrichtsmodule weiterzuentwickeln, die Qualität der Schulbesuche sicherzustellen und selbst Schulklassen zu besuchen. Das interessiert Sie? Auf www.evb.ch/jobs finden Sie weitere Informationen. Oder ­setzen Sie sich direkt mit Ursina Mayor (ursina.mayor@evb.ch / 044 228 70 27), die bei uns die Freiwilligenarbeit koordiniert, in Verbindung.

antwortlichen der EvB. Und wir be­ fassen uns mit hochinteressanten Themen. Ich war vorher dreissig Jahre lang Anwalt, und dank meiner Arbeit bei der EvB habe ich danach wirklich viel Spannendes in neuen Gebieten dazugelernt. Martin: Für mich war es der ideale Job. Besonders geniesse ich den Gestaltungsfreiraum und die Eigenverantwortung in Bezug auf die Organisation, die Teambetreuung, die Inhalte. Es ist aber keinesfalls so, dass wir den Schulbesuchenden einfach vorgeben, was sie zu tun haben. Wir halten das Programm auf Kurs, doch inhaltlich und methodisch entwickelt es sich von selbst weiter – auch deshalb, weil immer zwei Personen zusammen eine Klasse besuchen. Man lernt voneinander, und was sich bewährt, wird übernommen. Das ist alles sehr dynamisch, und das ist schön.

Und doch braucht es auch jene, die das ganze zusammenhalten. Ihr gebt diese Aufgabe nun ab. Worauf sollten jene Lust haben, die sie übernehmen? Ruedi: Sie müssen sicher Freude haben am Kontakt mit ganz verschiedenen Menschen, müssen sich interessieren für die Themen der EvB, auch bereit sein, zu unregelmässigen Zeiten zu arbeiten … Martin: … und sie müssen beseelt sein von der Idee, dass unsere Welt auch anders aussehen könnte, wenn wir alle wollten.


1 6 __ p o rträt

Da n i e l Schweizer

zvg

Früher die Skins, heute die Multis Mit Trading Paradise beendet Daniel Schweizer seine zweite Film-Trilogie. In der ersten ­beleuchtete er die Skin-Szene, nun ­richtet er seinen Fokus auf den Abbau von Rohstoffen – und auf jene, die darunter leiden. Te xt _Mar c Guéniat

Gegen die Kommunikationsarmada der Multis Den Tätigkeiten von multinationalen Grosskonzernen nachzuspüren, ist nicht weniger heikel, als sich in rechtsextremen Kreisen zu bewegen. Bei den Dreharbeiten zu Trading Paradise stellte etwa der Bergbaugigant Vale Nachforschungen über ihn an: «Ich habe es erfahren, weil mich die beauftragte Agentur aus Versehen ins CC eines Mails nahm.» Doch dass sich Unternehmen derart ungeschickt benehmen, ist die grosse Ausnahme. Die Regel ist, dass man sich einem mächtigen Kommunikationsapparat gegenüber sieht. «Und dann werden sämtliche Probleme geleugnet, jegliche Kritik wird heruntergespielt.» Schweizers Mittel gegenüber dieser Kommunikationsarmada ist es, genau hinzuschauen – «gerade dort, wo man all zu oft den Blick abwendet». Er sieht sich als «engagierten Filmemacher»

Ei n Them a ,

in einer Welt, in der «ein verantwortungsloser Umgang mit Ressourcen» herrsche. Schweizer träumt – trotz oder gerade wegen der von multinationalen Firmen dominierten Realität, mit der

d re i Fi l m e:

Daniel

Schweizer.

«Mit dem ersten Film mache ich auf die Problematik aufmerksam. Danach möchte ich das Thema weiterentwickeln»

er sich befasst – von einem Verständnis von Umwelt, in der die Wirtschaft ein einzelner Faktor unter vielen ist. Ein Konzept, das er im Kontakt mit den indigenen Yanomami im Amazonas­ becken kennengelernt hat. Sie sind ein Volk von Jägern und Sammlerinnen, die sehr isoliert lebten, bis auf ihrem Gebiet Gold gefunden wurde, und die seither um ihren Lebensraum kämpfen. In seinem nächsten Film Amazonian Cosmos wird sich Daniel Schweizer den bedrohten Urvölkern Südamerikas widmen. Nein, die Arbeit geht ihm nicht aus. Z w e i K o n ti n en te,

ein Nachbar: Glencore. Trading Paradise

«Der Schwefel, der aus der Anlage kommt, wird uns töten», sagt die eine Frau. «Die Minengesellschaft behandelt uns wie Tiere», sagt die andere. Die Frauen trennen Welten: Die eine lebt im Copperbelt Sambias, die andere auf dem peruanischen Altiplano. Was sie verbindet: Beide haben sie eine von der Schweizer Firma Glencore betriebene Kupfermine als Nachbarn. Und beide sprechen sie nun mit einem Schweizer: mit Daniel Schweizer, dem Genfer Filmemacher. Die Szenen stammen aus Trading Paradise, Schweizers neustem Werk, für das er auch die Erklärung von Bern interviewte. Es ist sein dritter Film über den Abbau von natürlichen Ressourcen, nach Dirty Paradise und Dirty Gold War, in denen er dem illegalen Goldabbau im Amazonasgebiet nachging. Warum eine Trilogie? «Mit dem ersten Film mache ich auf die Problematik aufmerksam. Danach möchte ich das Thema weiterentwickeln», sagt der Genfer. Vor gut zehn Jahren hat er bereits drei Filme über Skinheads und Rechtsextremismus gedreht.

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