Konsuminfo Spielwaren

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EVB-KONSUM-INFO SPIELSACHEN

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SPIELSACHEN FREUDE TROTZ AUSBEUTUNG? Spielsachen müssen Spass machen und bezahlbar sein, sonst werden sie nicht gekauft. Eltern schauen zusätzlich noch darauf, ob ein Spielzeug giftige Stoffe enthält und pädagogisch wertvoll ist. Überlegungen dazu, unter welchen Bedingungen Spielsachen hergestellt werden, geraten angesichts leuchtender Kinderaugen leicht in den Hintergrund. Vier von fünf der in Europa verkauften Spielzeuge tragen den Vermerk „Made in China“. Für die Herstellung von Barbies, Kuscheltieren oder einem neuen Lego-Bausatz schuften in Chinas Spielwarenfabriken ArbeiterInnen bis zu 16 Stunden pro Tag. Tiefe Löhne, fehlende Schutzbekleidung, nicht umgesetzte Arbeitsrechte oder das Verbot von unabhängigen Gewerkschaften gehören zum harten Alltag dieser ArbeiterInnen.


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B E R B LICK Ü

Kinder (und Erwachsene) spielen gerne, und so wird bei Spielzeug häufig zuletzt gespart. Das Geschäft mit dem Spieltrieb floriert; 2010 lag der weltweite Umsatz von traditionellem Spielzeug (ohne Unterhaltungselektronik) bei 83 Milliarden US-Dollar. Grösster Markt sind die USA, vor Japan und China. In der Schweiz wurden 2010 428 Millionen Franken umgesetzt. Die wichtigsten Produktgruppen in der Schweiz sind Spielsachen für Kleinkinder, gefolgt von Lego und anderen Bausystemen, Brettspielen, Puzzles, Fahrzeugen und Puppen. Die Firmensitze und Designabteilungen der grossen Spielzeughersteller befinden sich mehrheitlich in Europa und den USA. Produziert wird aber zu 80 Prozent in China. Eine der wenigen Ausnahmen unter den grossen Markenfirmen ist Deutschlands zweitgrösster Hersteller Playmobil, der auf den Produktionsstandort Europa setzt. Die für ihre Teddybären bekannte Firma Steiff zog sich 2008 nach vier Jahren wieder aus China zurück. Der Verkauf von Spielwaren konzentriert sich stark auf die Weihnachtszeit. Manche Hersteller machen in den Adventswochen bis zu 60 Prozent ihres Jahresumsatzes. Um vor Weihnachten mit den letzten Neuheiten auf den Markt zu kommen, vergeben die Firmen ihre Aufträge immer später im Jahr. Die Fabriken werden dadurch gezwungen, die bestellten Spielwaren nicht nur billig, sondern auch in immer kürzerer Zeit abzuliefern. Typisch für eine globale Wertschöpfungskette ist die ungleiche Gewinnverteilung. Während der Löwenanteil an die Markenfirmen geht, ist die Gewinnspanne bei den Zulieferfabriken in China sehr klein. Dies wirkt sich auf die Arbeitsbedingungen aus. Existenzsichernde Löhne sind die Ausnahme, Vorkehrungen zur Arbeitssicherheit oder Schutz bei Krankheit oder Mutterschaft gibt es meist nicht. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken verstossen nicht nur gegen internationale Arbeitsabkommen, sondern oft auch gegen die nationale Gesetzgebung. Vor allem wenn das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren läuft, sind extrem lange Arbeitszeiten und Siebentagewochen die Norm. Weder der in der Spielzeugbranche verbreitete ICTI-Kodex (siehe Abschnitt Initiative der Industrie) für faire Produktionsbedingungen noch Kontrollbesuche haben bisher erhebliche Verbesserungen für die ArbeiterInnen in China gebracht.

I C H T IGE AKTEURE W

Die wichtigsten Player in der Welt der Spielzeugriesen sind die auf die Herstellung und den Handel spezialisierten Firmen wie Mattel, Hasbro, Toy“R“Us, Playmobil, Lego oder Ravensburger. Andererseits spielen auch Unterhaltungsriesen wie Disney und Warner mit, welche mit ihren Filmen die Vorlagen für Spielfiguren wie Mickey Mouse, Shrek, SpongeBob oder die Transformers liefern. Für die Herstellung dieser Merchandising-Produkte kassieren die Hollywoodstudios bis zu 30 Prozent des Verkaufspreises. Aber auch Mattel macht mit Lizenzen ein gutes Geschäft: 2004 sollen Lizenzprodukte zur Barbie-Puppe dem Konzern 2,2 Milliarden Dollar eingebracht haben. Ein weiterer wichtiger Mitspieler ist McDonald’s: Mit dem Spielzeug, das dem Happy Meal beigelegt wird, gehört die FastfoodKette zu den grössten Spielwarenverteilern weltweit.

Wussten Sie, dass... . . . 80 Prozent der weltweit verkauften Spielsachen in China produziert werden?

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. . . McDonald’s zu den grössten Spielzeugvertreibern weltweit gehört?

. . . In China jedes Jahr über 100‘000 Menschen bei Arbeitsunfällen durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen sterben?

. . . Alle 2 Sekunden eine neue BarbiePuppe „geboren“ bzw. fertiggestellt wird?


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O K U S : CHINAS F W A N D E RARBEITERINNEN

Im Osten Chinas, im Pearl River Delta (Provinz Guangdong), sind rund 4000 Spielzeugfabriken angesiedelt, in denen zwischen drei und fünf Millionen Menschen – hauptsächlich Frauen – arbeiten. Oft sind es mittellose, ungebildete Wanderarbeiterinnen, die in den Fabriken schuften. Sie kehren häufig nur über die Feiertage des Neujahrsfestes zu ihren Familien zurück. Die Arbeitsbedingungen der Frauen sind prekär. Konkret heisst das: bis zu 100 Stunden Arbeit pro Woche, häufig ohne freien Tag. Werden die Produktionsziele nicht erreicht, gibt es weitere Überstunden oder Lohnabzug. Vom tiefen Lohn wird zudem Essensgeld und Unterkunft abgezogen, sodass ein durchschnittlicher Monatslohn (inklusive Überstunden) bei rund 130 Euro liegt. Löhne werden oft verzögert ausbezahlt, schriftliche Verträge sind selten, von Sozial- oder Krankenversicherungen ganz zu schweigen. Meist wird ohne Schutzkleidung gearbeitet, wodurch die Arbeiterinnen giftigen Substanzen ausgesetzt sind. Häufig kommt es aufgrund von Übermüdung zu Unfällen. Auch die Wohnsituation belastet die Arbeiterinnen: Die meisten können sich keine eigene Unterkunft leisten. So wohnen sie in den Schlafsälen der Fabrik, wo sich zwischen zehn und zwanzig Personen ein Zimmer teilen.

Produktions- und Lieferkette in der Spielzeugbranche

Lizenzgeber z.B. Disney, Warner, Mattel

Produktionsstätten / Zulieferbetriebe z.B. Fabriken in China

A L L B EISPIEL: MATTEL F

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Internationale Spielzeughersteller & Markenfirmen z.B. Mattel, Hasbro, Lego, Playmobil, Ravensburger

Einzelhändler z.B. Migros, Manor, Coop, Franz Carl Weber, Toys”R”Us, McDonald’s

Konsumentinnen und Konsumenten

Mattel gehört mit einem Umsatz von 952 Millionen Dollar (2010) und 27‘000 Mitarbeitenden zu den grössten Spielzeugherstellern weltweit. Dem Konzern mit Hauptsitz in El Segundo, Kalifornien, gehören Marken wie Fisher-Price, Barbie oder Scrabble. Wegen seiner Produktion in China geriet Mattel schon mehrfach negativ in die Schlagzeilen. 2007 mussten rund 18 Millionen Spielzeuge zurückgerufen werden, weil sie mit einer zu stark bleihaltigen Farbe bemalt waren. Kritisiert werden auch die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Mattels Zulieferbetrieben. Im Mai 2011 nahm sich Hu Nianzhen, eine Mitarbeiterin des Mattel-Zulieferers Tai Qiang, das Leben, nachdem sie von ihren Vorgesetzten gedemütigt und zu Strafarbeit verdonnert worden war, weil sie die vorgeschriebenen Produktionsquoten nicht erfüllen konnte. Mattel schreibt in einer Stellungnahme, dass der Suizidfall ein Einzelfall sei und nichts mit den Arbeitsbedingungen zu tun habe. Recherchen von Nichtregierungsorganisationen zeigen jedoch, dass der Arbeitsdruck in der Tai-Qiang-Fabrik enorm hoch ist. Indem Mattel immer kürzere Lieferfristen festlegt und die Stückpreise wo immer möglich senkt, übt die Firma schon bei der Auftragsvergabe Druck auf die Zulieferer aus. Den Preis dafür zahlen die ArbeiterInnen.


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Mattel muss Verantwortung für seine Zulieferbetriebe übernehmen und Massnahmen ergreifen, um den Druck auf die ArbeiterInnen zu verringern und weitere Selbstmorde und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Die dokumentierten Zustände verletzen nicht nur das chinesische Arbeitsrecht, sondern auch den eigenen Verhaltenskodex von Mattel, der eine Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen verlangt. Die Arbeitsbedingungen liessen sich deutlich verbessern, wenn Spielwarenfirmen wie Mattel von den Zulieferbetrieben eine Umsetzung des eigenen Standards und des chinesischen Arbeitsrechts fordern würden. Letzteres garantiert nämlich unter anderem vier Monate bezahlten Mutterschutz, Entschädigungszahlungen für Überstunden sowie kollektive Lohnverhandlungen.

Wer verdient an einer Barbie? Gewinn chinesische Produktionsfirma, innerchinesischer Transport

2,50 SFr.

Löhne FabrikarbeiterInnen

0,20 SFr.

Gewinn Handel, Gewinn Aktionäre, Transport, Werbung

20,00 SFr.

Zölle

0,65 SFr.

im Endpreis l e Hand

25,00 SFr.

Materialkosten

1,65 SFr.

(Quelle: Südwind 2009, aktualisiert)

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N I T I ATIVE DER I I N D U S TRIE

Der Weltverband der Spielzeugindustrie ICTI (International Council of Toy Industries) verabschiedete Mitte der 1990er-Jahre einen Verhaltenskodex mit dem Ziel, faire Arbeitsbedingungen sowie die Arbeits- und Gesundheitssicherheit zu fördern. 2001 wurde der Kodex um ein Kontroll- und Zertifizierungsprogramm, den sogenannten ICTI-CARE-Prozess erweitert. Tritt ein Hersteller dem ICTI-CARE-Prozess bei, wird seine Fabrik von einer akkreditierten Auditfirma geprüft. Bei Einhaltung des Kodexes wird ein für ein Jahr gültiges Zertifikat vergeben. Zurzeit sind 2407 Fabriken – fast alle aus China – im ICTI-CARE-Prozess registriert, jedoch nur 846 davon sind zertifiziert. Und auch dieses Zertifikat ist sehr fragwürdig. Obwohl sich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz in den Fabriken gemäss der ­Aktion „fair spielt“ dank dem ICTI-Kodex verbessert haben, gibt es noch zahlreiche Kritikpunkte: Gewerkschaften und ArbeiterInnen sind an der Ausgestaltung, Umsetzung und Kontrolle des Kodexes so gut wie nicht beteiligt. Zudem liegen die Anforderungen des Kodexes teilweise unter jenen des chinesischen Arbeitsrechts: Ein ICTI-Zertifikat erhalten selbst Fabriken mit Arbeitszeiten von über 72 Wochenstunden. Gesetzlich erlaubt sind 49 Stunden (Überstunden eingerechnet). Kritisiert wird auch, dass bei den Fabrikkontrollen die tatsächlichen Arbeitsbedingungen häufig nicht ans Licht kommen. Viele Arbeiterinnen wissen nichts vom Kodex. Die Teilnahme der Markenfirmen am Prozess ist freiwillig und unverbindlich. Die Entwicklung eines Kodexes wie den des ICTI ist zu begrüssen, doch mangelt es noch in vielen Bereichen an der Umsetzung.

U N D W IE SIEHT ES I N D E R SCHWEIZ AU S?

Auch in der Schweiz stammen die meisten Spielwaren aus China. Denn die grössten Verkaufsfilialen Migros, Manor und Coop sowie Fachgeschäfte wie Franz Carl Weber oder Toys“R“Us und kleine lokale Läden verkaufen die Markenprodukte diverser internationaler Firmen wie Hasbro, Mattel oder Disney, welche in China produzieren lassen. Schweizer Spielzeughersteller konzentrieren sich eher auf Nischen- und Qualitätsprodukte wie z.B. hochwertige Holzspielzeuge. Doch sobald grössere Mengen benötigt werden, lassen auch viele Schweizer Unternehmen in China produzieren. Sowohl Schweizer Hersteller wie auch die Verkaufsstellen tragen die Verantwortung für die von ihren Geschäften angepriesenen Produkte. Sie sollten von den Zulieferfirmen ausdrücklich eine faire Produktion und angemessene Arbeitsbedingungen fordern. Gemäss Informationen des Schweizerischen Spielwarenverbandes verlangen Marktführer Coop, Migros und Manor von ihren Lieferanten eine Teilnahme am ICTI-CARE-Prozess. Coop und Migros sind Mitglied der Business Social Compliance Initiative BSCI, einem von Unternehmen ausgearbeiteten und getragenen Verhaltenskodex. Beide verlangen von ihren Spielzeug-Lieferanten eine BSCI-Audit, anerkennen jedoch auch eine ICTI-Zertifizierung. Das heisst, wo das ICTI-System nicht umgesetzt wird, kommt BSCI zum Zug. Sowohl BSCI wie auch ICTI sind Business-Initiativen, bei denen die betroffenen ArbeiterInnen, Gewerkschaften oder Organisationen nicht mitentscheiden können. Beide Initiativen reichen in ihrer jetztigen Ausgestaltung und Umsetzung nicht aus, um die Einhaltung der Arbeitsrechte zu garantieren.

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• Meiden Sie billige Massenware aus Plastik – die Herstellung geht oft einher O N S U MTIPPS – K mit hohem Ressourcenverbrauch, miserablen Arbeitsbedingungen und mangelhaften S E L B E R AKTIV WERD EN Qualitätskontrollen. • Fragen Sie beim Kauf von Spielzeug nach den Herstellungsbedingungen. • Schreiben Sie eine E-Mail an die grossen Spielwarenfirmen wie Mattel oder Disney oder an Ihren Spielwarenverkäufer und verlangen Sie faire Arbeitsbedingungen und eine Einhaltung des chinesischen Arbeitsrechts. • Tauschen statt Kaufen: Nützen Sie Spielzeugbörsen und Ludotheken. • Verschenken Sie Spielwaren aus Schweizer Produktion und von Fair Trade-Anbietern und solchen, die glaubwürdig Auskunft geben können über die Herstellungsbedingungen.

• Garantiert

fair sind Spielwaren, die Sie selber herstellen.

W E I T E RFÜHRENDE Aktion «fair spielt. Für faire Spielregeln in der Spielzeugproduktion» I N F O R MATIONEN Kampagne von Südwind für faire Arbeitsbedingungen in der Spielzeugproduktion www.spielsachen-fair-machen.at (www.stop-toying-around.org)

Chinalaborwatch (USA)

Eric Clark: The Real Toy Story. Inside the Ruthless Battle For Americas Youngest Consumers. Freepress 2007

ICTI-CARE-Prozess

SACOM (Students and Scholars Against Corporate Misbehaviour) - SACOM: Exploitations of Toy Factory Workers at the Bottom of the Global Supply Chain (2009) - SACOM: Shielding Labour Rights Violations in the ICTI Certification System (2011) Südwind: AktivistInnen-Handbuch (2009)

Pun Ngai, Li Wanwei: Dagongmei – Arbeiterinnen aus Chinas Weltfabriken erzählen (2008)

Filmtipps: Those with Justice Santa’s workshop

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