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Akteure & Konzepte
S&S: Wo sehen Sie Defizite von Gesetzgeber und Administration gegenüber gemeinnützigen Organisationen und Stiftungen?
Nährlich: Das größte Defizit ist der fehlende Kompass von Staat und Politik, was die Rolle der Zivilgesellschaft angeht. Der gemeinnützige Bereich ist kein vorpolitischer Raum und kein zartes Pflänzchen, das den unmittelbaren Schutz des Staates braucht. Der Staat soll gute Rahmenbedingungen schaffen, und zwar zeitgemäße. Braucht man etwa Zwecke in der Abgabenordnung? Meiner Meinung nach nicht. Gemeinnützigkeit definiert sich ausreichend über das Verbot der Gewinnausschüttung in der Abgabenordnung. Braucht es staatliche Förderprogramme? Meiner Meinung nach nicht, wenn es andere Finanzierungsquellen gäbe. Man könnte allen Steuerpflichtigen die Möglichkeit geben, ein bis zwei Prozent der Einkommensteuer statt an den Staat direkt an eine gemeinnützige Organisation nach eigener Wahl abzuführen. In einigen Ländern Osteuropas nutzen das über die Hälfte der Steuerzahlerinnen und -zahler. Wie gewinnt man deutlich mehr Menschen für ein bürgerschaftliches Engagement? Jedenfalls nicht mit den Freiwilligendiensten alleine, und auch nicht mit einem Pflichtdienst für alle. Aber durchaus mit Engagement-Projekten in allen Schulen und Hochschulen, die sich mit Unterricht und Lehre verbinden lassen und die für viele der Start in weitere Projekte, Ehrenämter, in das Spenden oder Stiften in späteren Lebensphasen sein können.
S&S: Auch das Zuwendungsrecht ist Gegenstand häufiger Kritik. Wie sehen Sie das?
Nährlich: Für viele öffentlich geförderte Vereine und Stiftungen ist es die Wurzel allen Übels. Das Zuwendungsrecht verhindert jede sinnvolle Planung und eigenverantwortliches Handeln, weil die öffentlichen Förderungen immer nur jährlich erfolgen, kompliziert und aufwendig zu beantragen sind. Hier wird staatliches Verwaltungshandeln auf einen Bereich ausgedehnt, der strukturell oft gar nicht die Voraussetzungen hat, damit umgehen zu können.
S&S: Um solchen Zumutungen zu entgehen, gründet der Staat selbst gerne Stiftungen, auch des bürgerlichen Rechts. Finanziert werden sie meist nach Maßgabe der Haushaltspläne und hängen so am „goldenen Zügel“. Geführt werden sie von Gremien, die oft nach Proporz von Mitgliedern der Regierung oder Abgeordneten besetzt werden. Was halten Sie davon?
Nährlich: Wenig, denn das löst ja das Problem mit dem Aufwand des Zuwendungsrechts nicht. Bestenfalls wird es auf einen Zwischenakteur verlagert. Außerdem hat der Bundesrechnungshof die Gründung von privatrechtlichen Stiftungen durch den Bund schon vor Jahren kritisiert und festgestellt, dass sie grundsätzlich keine geeignete und wirtschaftliche Möglichkeit zur öffentlichen Aufgabenerfüllung darstellen.
S&S: Im März 2020 wurde die – öffentlichrechtliche – Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt mit Sitz in Neustrelitz errichtet und investiert seitdem Millionenbeträge in den Sektor. Wie stehen Sie zu dieser staatlichen Hilfe?
Nährlich: In der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) arbeiten viele geschätzte Kolleginnen und Kollegen und machen bestimmt einen guten Job. Engagementpolitisch war die Gründung der DSEE aber in ihrer Konstruktion ein Fehler. Entwickelt wurde sie vom Bundesfamilienministerium im Dialog mit Verbänden und Netzwerken der Zivilgesellschaft als Förderstiftung. Der richtige Gedanke dahinter war, dass die Engagementlandschaft gut organisiert und vernetzt ist, kompetent und nahe an den Menschen vor Ort. Mangels Finanzierung kann sie aber nicht immer das leisten, was nötig wäre. Hier sollte die Bundesengagementstiftung ansetzen. In die parlamentarische Beratung wurde dann überraschend vor Weihnachten das Konzept einer operativen Stiftung eingebracht. Nur einigen Abgeordneten und Sachverständigen in der kurzfristig angesetzten Anhörung im Familienausschuss ist es zu verdanken, dass die DSEE auch in den Sektor investieren kann, wie Sie es formuliert haben.
S&S: In diesen Tagen tritt die Reform des Stiftungsrechts in Kraft, das für rechtsfähige Stiftungen einen einheitlichen Rahmen vorsieht. Wie schätzen Sie diese Reform ein?
Nährlich: Wir haben uns während der Erarbeitung der Stiftungsrechtsreform für mehr Eigenverantwortung der Organmitglieder bei Zulegungen von Stiftungen eingesetzt, weil wir der Ansicht sind, dass die Bürgerstiftungen viele notleidende Stiftungen unter ihrem Dach aufnehmen und den Stifterwillen gestärkt weiterführen können. Diesen einvernehmlichen Willen zweier Stiftungen sollte man aus unserer Sicht so einfach wie möglich gestalten. Da hätten wir uns mehr gewünscht als das, was jetzt im BGB steht, zumal ja offenbar auch auf Gesetzgeberseite der Wunsch nach größerer Eigenverantwortung der Stiftungen und Verwaltungsvereinfachung besteht. So hat sich vor Kurzem jedenfalls die Landesregierung Nordrhein-Westfalens in der Anhörung zum neuen Landesstiftungsgesetz geäußert, mit dem die Stiftungsaufsicht geregelt wird.
S&S: Jenseits von Bürgerstiftungen und Engagementpolitik: Was treibt Sie noch um?
Nährlich: In der letzten Zeit verstärkt unser zweiter Programmbereich „Service-Learning“. Hier geht es darum, Lehrerinnen und Lehrer in weiterführenden Schulen dabei zu unterstützen, Engagement-Projekte mit Unterricht zu verbinden und eigenständig durchzuführen. Wir versprechen uns davon, nicht nur kompetenzorientiertes Lernen und Demokratiebildung zu stärken, sondern auch, langfristig einer großen Zahl junger Menschen herkunftsunabhängig den Weg ins bürgerschaftliche Engagement zu ebnen. In vier Bundesländern bieten wir unser Programm „sozialgenial“ schon an, mehr als 1.000 Schulen sind bereits dabei. Für uns aktuell das große Ding!
S&S: Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Das Gespräch führte Dr. Christoph Mecking, Herausgeber von Stiftung&Sponsoring und geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Stiftungsberatung