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EDITORIAL

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER Sie halten die erste Ausgabe des Magazins von ewz. selection in Ihren Händen. Dieses soll künftig jährlich im Vorfeld zur Fotoausstellung Swiss Photography erscheinen. Das Magazin ergänzt unser Fotobuch Swiss Photo Selection, das seit 1999 als Ausstellungskatalog die Schweizer Fotografie in den Kategorien Werbung, Redaktionelle Fotografie, Fine Arts und Free dokumentiert. Wir möchten mit dem Magazin über die Jahre hinweg eine Sammlung unterschiedlichster Standpunkte zur Fotografie entstehen lassen. Deshalb beauftragen wir mit der Redaktion jedes Jahr eine andere Person des Bildschaffens, welche inhaltlich wie formal größtmögliche Freiheiten erhält. Wir danken Walter Keller, Chefredakteur der Kulturzeitschrift Du, der spontan zugesagt hat, diese erste „carte blanche“ mit Leben zu füllen. Wir freuen uns auf die Lektüre von „Bilderwahn“ und auf Ihre Reaktionen

Das Team ewz.selection ehemals The Selection vfg

Wir alle haben unendlich viele Bilder im Kopf. Die Titel allein reichen oft, um sie uns sekundenschnell in Erinnerung zu rufen. Deshalb unser Spiel: nur Farbflächen und Bildtitel. Den Rest erledigt Ihr inneres Auge. Die Redaktion

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, soll Michail Gorbatschow 1989 gesagt haben. So wie sich damals niemand vorstellen konnte, dass Handybilder von „Leserreportern“ auf Titelblättern von Zeitungen gedruckt, Mobiltelefone zu Kameras mutieren, Desktopdrucker kristallklare Bilder herstellen und High-Definition-Bildschirme bessere Bildqualität als Printmedien liefern würden, so konnte sich niemand vorstellen, wie sehr die Unterscheidung in „Amateur“ und „Profi“ an Unschärfe gewinnen würde. Und „Rendering“ im Sinne der Kreation ganzer Bildszenerien ohne jedes Fotografieren der realen Welt steht erst am Anfang. Die Veränderungen sind „tektonisch“, kein Zweifel. Warum soll eine Firma noch eine Agentur und einen Fotografen beauftragen, wenn der Chef mit dem Grafikpraktikanten am Screen gleich die ganze Werbekampagne gestalten kann? Braucht es künftig noch Fotografen? Wenn ja, mit welchem Berufsbild? Bildgestalter? „Nur“ noch Materiallieferant? Computeroperator? Was Bestand haben wird, ist das talentierte Auge, das sieht, was andere nicht sehen. Wer dieses nicht hat, sollte sich neu orientieren. Er wird seine Miete kaum mehr mit Fotografieren verdienen können.

Walter Keller, Chefredakteur Du


PETER PLAGENS

IST DIE FOTOGRAFIE TOT? Wie im Entferntesten ist das möglich? Das Medium wirkt zweifellos lebendig, wohlauf,bestenfalls übervölkert. Da draußen sind Horden von Fotografen zugange, die ebenso mit einfachen Lochkameras arbeiten wie mit gepixelten Bildern, die in Gigabyte gemessen werden, mit Handys Street Photography betreiben oder riesenhafte Fotoshootings machen, deren Crews, Komplexität und Ausgaben denen von Filmaufnahmen ähneln. […] Doch man kommt nicht umhin, sich zu fragen, ob das Medium in seiner Gesamtheit sich nicht zersplittert habe, jenseits aller Anerkennung. Vor einer Weile ist das gleiche mit der Skulptur passiert, sodass „Skulptur“ jetzt ebenso leicht ein Loch im Boden wie eine bronzene Statue bezeichnen kann. Die Digitalisierung hat etliches von der enormen Vielfalt in der Kunstfotografie ermöglicht. Aber sie ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass das Medium, 25 Jahre nachdem die Technik gesprengt hat, was die Fotografie tun und sein konnte, seine Seele verloren zu haben scheint. Film, das künstlerische Gütezeichen der Fotografie, bedeutete, dass, egal wie viel jemand in der Dunkelkammer noch an einem Foto rumgetüftelt hat, das Bild in seinem Kern immer die Aufzeichnung von etwas Realem war, das sich vor der Kamera ereignet hatte. Eine Digitalfotografie andererseits kann ein Photoshop-Märchen sein, das nur eine winzige Spur eines kleinen Realitätsfragments enthält. Inzwischen haben wir all das magische Morphing erlebt und gesehen und all die cleveren Tricks, die so viele Fotografen – ehemals Überbringer der Wahrheit – zu Beschwörern der Fiktion gemacht haben. Man kann nicht mehr einfach „Das ist ja genial!“ sagen. Kunst und Wahrheit waren einmal feste Freunde. Bis zum Beginn der Moderne war die Mimesis die in der westlichen Kunst am meisten bewunderte Ei-

genschaft – wenn die Gegenstände der Malerei und Skulptur den Dingen im echten Leben täuschend ähnelten. William Henry Fox Talbot, der 1839 die ersten fotografischen Abzüge von einem Negativ machte, verstand das neue mimetische Medium sofort als Kunstform. Talbot wollte nur präziser „zeichnen“ können als mit der Hand. Tatsächlich nannte er sein erstes Buch mit reproduzierten Fotografien The Pencil of Nature (Zeichenstift der Natur). Für mindestens ein Jahrhundert danach hatte jede Fotografie mit Kunstanspruch in ihrer Genen wenigstens ein paar Chromosomen aus Talbots The Open Door (1844), dem Bild eines Reisigbesens, der derart ästhetisch an einer dunklen Toreinfahrt lehnt. Natürlich haben große Fotografen niemals bloß kritiklos visuelle Fakten festgehalten wie ein Gerichtsstenograf, der einen Zeugenbericht aufnimmt. Sie haben ihren Gegenstand sorgfältig ausgewählt und den Ausschnitt genau bestimmt, um ihren Bildern das Aussehen von „Kunst“ zu verleihen. Später im 19. Jahrhundert haben „piktorialistische“ Fotografen Weichzeichner benutzt, raues Papier, Sepiatöne, mehrfach überlagerte Negative und sogar in die Bilder geritzt, damit ihre Bilder eher wie Gemälde aussahen. Bald entkam die Fotografie dem exklusiven Zugriff durch Berufsfotografen und Amateure mit Geld, die sich die sperrige Ausrüstung leisten konnten, und die Leute fingen damit an, ihre eigenen Bilder zu machen. In den 1920er-Jahren kamen kleine, billige Kameras mit kurzer Verschlusszeit wie die Kodak Brownie auf. Um 1950 besaßen, laut Kodak, beinahe drei Viertel der amerikanischen Familien Kameras, und sie machten damit zwei Milliarden Fotos. In den 1970er-Jahren machten sie neun Milliarden Bilder pro Jahr, die meisten davon schnelle, ungezwungene Schnappschüsse. Natürlich gingen aus diesem Mount-Everest-großen



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PETER PLAGENS Bilderhaufen – meist durch Zufall – einige Meisterwerke hervor. Derjenige, der in „Unknown photographer, 1950s“ (Fotograf unbekannt, 1950er-Jahre) in The Art of the American Snapshot seine Brownie auf die Frau hielt, sah wahrscheinlich nicht voraus, dass sie, gerade als er auf den Auslöser drückte, ihr Gesicht mit den Händen bedecken würde. Und er (oder sie) konnte nicht vorhersagen, dass das Ergebnis eine großartige Komposition werden würde – lange Finger und angewinkelte Ellbogen vor einem sanft ansteigenden Feld – und eine wundervolle Metapher für den Tango der Fotografie mit der Wahrheit. Was der aus Versehen entstandene großartige Schnappschuss mit dem Werk realistischer Künstlerfotografen wie Dorothea Lange und Walker Evans in den 1930er- und 1940erJahren und mit Diane Arbus und Robert Frank in den 1950er- und 1960er-Jahren gemeinsam hat, war, dass die Menschen darin auch diejenigen waren, die so aussahen, als seien sie sie selbst – grobknochige Farmer, mutige Bergarbeiter, gequälte Hausfrauen, stämmige Motorradfahrer –, und auch wirklich das taten, was so aussah, als ob sie es wirklich täten. In den späten 1970er-Jahren jedoch reckte das Konzept der Fiktion in der Fotografie seinen kleinen postmodernen Kopf in die Höhe. „Der große Wandel in der Haltung zur realistischen Fotografie kam“, sagt Lawrence Miller, dem eine bekannte Fotogalerie in New York gehört, „als Metro Pictures [eine der angesagtesten Galerien in SoHo] 1980 Cindy Sherman zeigte.“ Shermans fiktive Selbstporträts – gefakte „Filmstills“ mit der Künstlerin, die als Blondine im Negligée auf einem Bett oder als dunkelhaarige Femme fatale in einem schicken Apartment posiert – waren nicht die erste Abkehr der Fotografie von der geradlinigen, sachlichen Reportage, welche die meisten als große Fotografie ansehen. Aber ihre Bilder repräsentierten etwas Neues in der Art und Weise, wie man Fotografie als Kunst wahrnimmt. Sie war nicht mehr nur für die Reportage da. Für Fotografen, die Fotos ebenso „machen“ (make) wie „aufnehmen“ (take) wollten, stand die ästhetische Tür Talbots jetzt ganz offen. Die Ankunft der digitalen Technik verschärfte nur die Flucht der Fotografie in die Fabel.

Wir leben in einer von Pixeln dominierten Kultur, die sich von körperlicher Realität zunehmend abgelöst hat. Filme sind angefüllt mit computergenerierten Bildern (CGI) und werden in bewegungsanimierten Filmen wie Beowulf damit zugeschüttet. Manche großen Popmusik-Hits sind so stark „cybermäßig“ aufgemotzt, dass die Sänger wie eine automatische Telefonanlage klingen. Selbst die Skulptur hat digitale „Schneller Prototypenbau“-Technik eingeführt, die es erlaubt, alles, was sich ein Programmierer je ausdenkt, in 3-D-Objekte aus Plastik zu übersetzen. Warum sollte die Fotografie irgendwie anders sein? Warum sollte sie der digitalen Verführung nicht nachgeben und jede Landschaftsaufnahme so aussehen lassen wie die schönste Landschaft in der gesamten Geschichte des Universums oder jede städtische Ansicht in eine Hochhausfantasie verwandeln? Fotografie entkommt schließlich jeglicher Abhängigkeit von dem, was sich vor einer Linse befindet, aber um den Preis ihres speziellen Anspruchs, vom Betrachter als ein in der Wirklichkeit verwurzeltes „Zeugnis“ wahrgenommen zu werden. Als Galeriematerial unterscheiden sich Fotografien jetzt nicht grundlegend von Gemälden, die gänzlich durch die Vorstellungskraft eines Künstlers hervorgebracht wurden, abgesehen davon, dass ihnen die Berührung der Hand und die Oberflächenvariationen des Gemäldes fehlen. Wie die große moderne Fotografie Lisette Model einmal sagte: „Fotografie ist die einfachste Kunst, was sie vielleicht zur schwierigsten macht.“ Sie hatte keine Ahnung, wie leicht exotische Effekte zu erzielen sein würden, und wie schwer es das machen würde, Schönheit und Wahrheit in ein und demselben Foto einzufangen. Die nächsten großen Fotografen – wenn es denn welche geben sollte – werden einen Weg finden müssen, um den Anspruch auf die spezielle Verbindung der Fotografie zur Realität wieder zu erheben. Und sie werden das auf ganz neue Weise tun müssen.

Peter Plagens ist freier Kunstkritiker, u. a. für Newsweek, und Maler.


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INTERVIEW MIT AXEL SCHMIDT

ÖKONOMIE DES ERINNERNS Walter Keller: Eine der zentralsten Funktionen eines Bildarchivs wie des Archivs für Kunst und Geschichte (akg-images) ist, „das Erinnern“ zu ermöglichen. Wie hat sich Ihrer konkreten Erfahrung nach dieses Bewusstsein für Funktion und Wert des „Erinnerns“ in den letzten ca. zehn Jahren verändert? Axel Schmidt: Für das Erinnern ist ein Stück Madeleine vermutlich viel geeigneter als ein Bild. Gewerbliche Bildarchive jedenfalls müssen in erster Linie für ihr Unternehmen, ihre Mitarbeiter und Fotografen Geld erwirtschaften. Das war für viele in den letzten zehn, zwanzig Jahren auch eine Frage des Überlebens. Denn zum einem galt es, die Digitalisierung zu finanzieren, zum anderen musste auch in diesem bislang eher mittelständisch und national strukturierten Markt das Eindringen internationaler finanzgewaltiger Investoren pariert werden. Heute regieren Bilder, die wie internationale Marken fungieren. Die Aufmerksamkeit, die die Gegenwart jetzt ganz allgemein erfordert, hat im Handel mit Erinnerungen Spuren hinterlassen. Wobei die äußere und innere Auflösung von Nationalstaatlichkeit großes kollektives Erinnern mehr und mehr parzelliert. Im Vordergrund stehen nun Bilder für die jeweiligen „Erlebnisgenerationen“. 40 Jahre Mai ’68 für diese, 60 Jahre Flucht und Vertreibung für jene, 50 Jahre Arbeitsemigration wiederum für andere und so weiter. Größere Perioden (100. Geburtstag Karajans, 250. Mozarts, 400. Rembrandts) lassen sich überwiegend nur noch auf bildungsbürgerlichen Restmärkten absetzen.

Wie sehen Sie den Einfluss der Digitalisierung und der damit verbundenen Geschwindigkeit beziehungsweise umfassenden Verfügbarkeit von immer mehr Bildern auf die Arbeit professioneller Bildarchive und professioneller Fotografen? Und welche Rolle spielen die Amateure im Archiv- und Newsgeschäft schon jetzt und in Zukunft? Zwischen den Polen der sichtbaren Welt einerseits und der gedruckten Seite andererseits, hat sich die Fotografie im Alltag des Bildarchivs über ein Jahrhundert lang als Negativ oder Papierabzug in Gesellschaft von Kamera, Dunkelkammer, Schreibmaschine, Telefon, Karteikasten, Lieferschein, Rechnung, Versand mit Fahrrad, Automobil, Eisenbahn, Flugzeug und so weiter bewegt und immer schneller bewegt. Das Ziel war jedoch, nicht nur wie der Hase im Märchen einfach schneller zu werden, sondern wie der Igel als Duplikat immer schon da zu sein. Mit den medientechnischen Veränderungen um 1990 herum ist durch Bilddigitalisierung und Elektronisierung des Handels inklusive des Versands dann fast alles zwischen Kameraoptik und wie und wo auch immer publizierter Seite entrümpelt worden und die entbehrlich gewordenen Presseprints dosiert auf dem Sammlermarkt versickert. Dabei ist die Struktur des Bildgeschäfts von Einzelfachhandel beziehungsweise Call-Center (seit der Antike besetzte der Archivar eine Mittlerposition zwischen dem Archivierten und den Nutzern) auf Selbstbedienung beziehungsweise Supermarkt umgestellt worden. Mit dem Aufkommen von Online-Bilddatenbanken hat


INTERVIEW MIT AXEL SCHMIDT der Archivar sich hinter die Bilder zurückgezogen und lässt den Nutzer selbst suchen. Und er wird diese Haltung in Zukunft mehr und mehr auch gegenüber Fotografen und anderen Bildlieferanten einnehmen, die ihre Bilder digitalisiert und schon verschlagwortet liefern oder direkt selbst in die Bildarchive hochladen (z. B. Microstockagenturen). Durch diese triadische Struktur (Upload durch Bildlieferant – Digitales Bildarchiv – Download durch Nutzer) verlagern digitale Archive Arbeit, die bislang in den Archiven gemacht wurde, geradezu in einer Umkehrung des bekannten Werbespruchs von Eastman Kodak nach außen: „We push the button, you do the rest.“ Die Bildermengen steigen, und während Amateure sich etwas nebenher verdienen können, muss mancher Professioneller sich noch einen Nebenverdienst suchen. Zwischen diesem Gegensatzpaar verläuft heute schon eine zackige Demarkationslinie, und ihre alten Bedeutungen sind in einem umfassenden Transformationsprozess. Professionalität wird dort sein, wo genug Geld ankommt, auch wenn etwas zuerst aus Liebe begonnen hat.

Wie wird das „Erinnern“ Ihrer Ansicht nach im digitalen Zeitalter sich verändern? Mehr Bilder, mehr Teilnehmer am Spiel – mehr und umfangreichere Archive? Verändertes Bewusstsein, und wenn ja, in welche Richtung? Auswahl oder möglichst alles aufbewahren? Wie sehen Sie da die unterschiedlichen Vorgehen und Kriterien bei Amateuren und professionellen Archiven? Die technischen Möglichkeiten des „Erinnerns“ vergrößern sich laufend, aber wie sieht es aus Ihrer Sicht mit der Bewältigbarkeit der Bildermengen aus, heute und in Zukunft? Archivieren war bislang eine langwierige Angelegenheit, aber wie eben angedeutet, reicht heute die Bereitstellung eines gewissen technischen Apparats, und die neuen Archive der Professionellen und Amateure füllen sich unterschiedslos über Nacht wie von selbst. Auswahl im klassischen Bildarchiv gab nie – wie in Galerie und Museum – vor, rein fotoästhetisch zu sein. Sie war immer inhaltlich und ökonomisch. Vom entscheidenden Moment der Aufnahme einer Fotografie bis zur Entscheidung für ein Bild beispielsweise in

28.3.2008: Deutschland besiegt die Schweiz mit

30.4.2005: Renzo Blumenthal,

4:0 Köbi Kuhn steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben!

Mister Schweiz 2005,

künftiger Liebling aller Schweizer Bäuerinnen, freut sich über seine Wahl.


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INTERVIEW MIT AXEL SCHMIDT

15.2.2007: Hotelerbin

Paris Hilton

war der Star des diesjährigen

Opernballs.

einer Zeitungsredaktion durchlaufen Bilder eine Kette von Auswahlprozessen, die mit der Zeit immer durchlässiger geworden ist. Ich kann aus hundert Fotos die zehn aussuchen, die mir am besten gefallen. Auch Sie können das tun und zu einer ganz anderen Auswahl kommen. Wir können heute diskutieren, welche Fotos wir für verwendbar erachten, können das aber nicht für die Zukunft oder einen anderen Ort voraussagen. Bild und Bedeutung sind nicht unauflöslich aneinander gekoppelt. Wir wissen morgens zunächst nicht, welche Bilder in der Nacht zuvor in Japan aus dem Bilderautomaten heruntergeladen wurden, und wir wissen auch nicht, welche Bilder in Brasilien heruntergeladen werden, wenn wir uns schlafen legen. Aber wir wissen, wie ein Fotograf reagiert, wenn wir ihm sagen, wir nehmen nur fünfzig seiner hundert Bilder. Also lassen wir das. Mit der Digitalisierung wächst die Tendenz, sich eher für als gegen ein Bild zu entscheiden. Man könnte diese Haltung als entschiedene

11.12.2007:

„Ich schäme mich.“ Marcel Ospel

Unentschiedenheit bezeichnen. Sich ganz dem Archiv, dem Aufheben und damit auch dem Aufschieben verschreiben, heißt, Bilder in all ihren Zuständen zu akzeptieren: jung oder alt, lebendig oder tot bis zu ihrer möglichen Wiederauferstehung. Und die Gesamtheit der Aufnahmen mit einer bescheidenen, demokratischen Geste bereitzuhalten: Die letzte Auswahl und die jeweilige Bedeutung werden nicht von der Instanz des Archivars als einem kleinen Allmächtigen im Archiv vorweggenommen und bestimmt. Sie liegen als unabgeschlossene, offene Prozesse immer beim Benutzer, immer außerhalb des Archivs, immer in der Zukunft. Und die Vergangenheit? Wir machen in der Regel klare Unterscheidungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es gibt aber Kulturen, für die das Vergangene, die Verstorbenen weiterhin ganz anders gegenwärtig sind, nur in einem anderen Zustand eben. Vielleicht ist es ein bisschen so. Ich kann


Wut Heftige, häufig aggressive Reaktion, ausgelöst durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung.

Freude Spontane, innere, emotionale Reaktion auf eine angenehme Situation, eine Person oder Erinnerung.

Vertrauen Annahme, dass Entwicklungen einen positiven oder erwarteten Verlauf nehmen. .

Furcht Unangenehme Emotion auf eine konkrete Gefahr oder Bedrohung.

Neid Ethisch vorwerfbares, gefühlsmäßiges Verübeln der Besserstellung konkreter Anderer.

Liebe Stärkste Zuneigung, die ein Mensch für einen anderen Menschen zu empfinden fähig ist.

Scham Unlust, die aus der Unbedecktheit diverser Teile des Körpers erwächst.

Mitleid Anteilnahme an Schmerz und Leid anderer.

Hoffnung Eine zuversichtliche innerliche Ausrichtung gepaart mit einer positiven Erwartungshaltung.

Stolz Subjektive Gewissheit, etwas Besonderes, Anerkennenswertes oder Zukunftsträchtiges geleistet zu haben oder daran mitzuwirken.

Ekel Empfindung einer starken Abneigung und von Widerwillen gegen Substanzen und Objekte.

Eifersucht Ausschliesslichen Besitzanspruch auf eine andere Person, zu der eine emotionale Bindung vorhanden ist.


Angst Negatives Gefühl, mit der tatsächlich oder vermeintlich erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Schadens verbunden.

Schuld Meist negativ wahrgenommene, soziale Emotion, welche aus der bewussten oder unbewussten Überzeugung etwas Falsches getan zu haben entsteht.

Traurigkeit Eine belastende Emotion, die auf ein negatives – meist schicksalhaftes – Ereignis gründet und eine tiefe Betroffenheit beinhalten kann.


INTERVIEW MIT AXEL SCHMIDT innerhalb von ein paar Sekunden wie der liebe Gott aus den Wolken heraus mit Google Maps in die Straße meiner Kindheit zoomen und sie wieder wegklicken. Sich erinnern geht heute schneller, beiläufiger, diskreter, ohne dass dabei viel Staub aufgewirbelt werden muss. Nun ist es so, dass es bisher einen historischen Bestand an Bildern von bestimmten Ereignissen oder Personen gegeben hat. Wenn sich jetzt durch die allumfassende Bilderflut eine neue Ausgangslage ergibt, wie sehen Sie die Entwicklung der entscheidenden Kriterien der Auswahl und Gewichtung für die nähere Zukunft? Wer wird wie entscheiden? Wird es überhaupt solche Entscheidungen geben, oder werden wir in zehn Jahren Bilder von heute ganz anders aussuchen, aus einem – positiv ausgedrückt – fantastischen, quasi unendlichen Archiv von hunderttausenden, vielleicht Millionen von Quellen? Wie aber werden wir uns orientieren? Andere Medien sind auch unübersichtlich geworden. In der Literatur beispielsweise wurde Unendlichkeit mit dem Symbolismus im 19. Jahrhundert zum Topos. Und seit Walter Benjamins bekanntem „Sich in einer Stadt nicht zurechtfinden, heißt nicht viel. In einer Stadt sich aber zu verirren, wie man in einem Walde sich verirrt, braucht Schulung“ sind Flanieren und später dann Dérive (Umherschweifen) regelrecht zum Programm erhoben worden. Surfen ist eine Freizeitbeschäftigung. Wer Orientierung braucht, für den gab und gibt es statistische oder personelle Hilfe, also einerseits Bestsellerliste und Ranking, andererseits Führer und Kanon. Professionelle Bildnutzer arbeiten tatsächlich in einem finanziell und zeitlich fest abgesteckten Rahmen und deswegen mit einer überschaubaren Anzahl, oft sogar nur mit einer einzigen Bildquelle beziehungsweise einem Bildquellenportal zusammen. Fragen wie „digital“ oder „analog“, „Amateur“ oder „Profi“ stellen sich in dieser Form also gar nicht mehr. Sondern es ist von einer umfassenden Gleichzeitigkeit vieler „Bildermacher“ und „Bildernutzer“ auszugehen für die nächsten Jahre, welche auch das „Berufsbild“ des

Fotografen eher Richtung „Bilderprovider“ verändern und neue Teilnehmer am „Bilderwahn“ teilnehmen lassen wird? Stichwort etwa: Handybilder, „dies schickte uns Leserin Z. aus B.“ etc.? Zunächst zu „Z.“: Aber auch über eine aktuelle Publikation hinaus ist es für das Bildarchiv und den Bereich, den man so prosaisch „Zweitverwertung“ nennt, wichtig, dass der Urheber bekannt ist und bleibt. Bereits Sokrates hat in Platons Phaidros für das Geschriebene kritisiert, dass es ohne Hilfe des Vaters überall umherschweifen kann. Und für Fotos ist von daher auch die aktuelle Debatte über die Problematik sogenannter verwaister Werke „orphan works“ zu verstehen, bei denen die Urheberangabe nicht übermittelt ist. Und die im Rahmen geltenden Urheberrechts (Regelschutzfrist 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers in der EU und der Schweiz) dann nicht verwendbar wären. Und zu „B.“: Alle anderen Informationen zum Bild (Metadaten), die bislang auf Karteikarte und Fotorückseite standen, müssen nach abgesprochenen Standards (Exif, IPTC etc.) in den Dateikopf der Bilddateien (Header) eingeschrieben werden und dürfen auf den Wegen, die Bilder zurücklegen, nicht verloren gehen. Dies plus Fotoverortung (Geotagging) machen sozusagen schon das „halbe Archiv“ aus. Wenn diese Texte stimmen, bleiben Bilder auch weiterhin ganz vernünftig ansprech- und findbar. Schließlich leben wir in einer Schriftkultur, die durch Bilder doch nur etwas mehr oder etwas weniger hybridisiert ist. Die Fotografie hat mit der Digitalisierung großes Glück gehabt. Andere Arten von bildlicher Flachware (Holzstich, Lithografie etc.) haben mit der technologischen Entwicklung jeweils ihre Vorherrschaft verloren, die Fotografie aber hat viel Terrain gewonnen. Und sie ist aus dem elitären metaphysischen Korsett von Wahrheit und Schönheit befreit worden.

Axel Schmidt ist Bildredakteur und Bilddokumentar beim Archiv für Kunst und Geschichte (akg-images), Berlin. Buchpublikationen zu den fotografischen Werken und Archiven von Paul Almasy und Daniel Frasnay.


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Länge ziehen kann, wird es zum Teil schwierig für den Berufsfotografen. Er muss seinen Kunden immer häufiger erklären, warum um „Gottes willen“ er überhaupt noch etwas auf Film belichten will. Andererseits ist das Angebot für den guten und innovativen Fotografen heute auch sehr vielseitig geworden. Analog oder di-


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RONNY OCHSNER gital? Er kann auswählen. Nur ist das „Auswählen“ für den Fotografen zu einer teuren und technischen Herausforderung geworden. Kaum hat er in eine neue Kamera mit zig-Millionen Pixeln investiert, sieht er am anderen Tag im Prospekt, dass schon wieder ein neues, besseres Modell unterwegs ist. In der Zukunft wird sich das wohl ein wenig einpendeln, wie bei den Computern, die heute so schnell rechnen, dass weder Geschwindigkeit noch Auflösung ein wirklich großes Thema mehr sind. Ich glaube aber auch, dass die analoge Fotografie immer noch ihre Berechtigung hat und weiterbestehen wird, außer die Chemie und das Papier werden aus rein wirtschaftlichen Erwägungen nicht mehr hergestellt. Die Schwarzweißfotografie wird ihren Platz in der Kunstfotografie behalten, denn in den Köpfen der Fotografen ist sie noch immer der Inbegriff von Kunst und Ästhetik. Ob analog oder digital hergestellt, spielt

dabei keine Rolle. Einzig die Ausgabe, der Print auf orginal Barytpapier oder einem schönen Ink-Jet-Papier, ist dann wichtig. Das war auch der Grund für mich, dass ich eine Baryt-Entwicklungsmaschine gekauft habe. Wir belichten digital auf Orginal-Ilford Barytpapier und entwickeln analog in einer speziell breiten Entwicklungsmaschine. Dieser analoge wie digitale Schritt zeigt mir, dass die Fotografie immer noch sehr innovativ ist. Der Blick auf die Fotografie ist Alltag und trotzdem sehr vielfältig. Täglich werden wir von einer riesigen Bilderflut überrollt, und wir überfliegen „stumpf“ ohne große Emotionen die Bilder. Wenn wir aber in einer Galerie stehen, uns die Bilder anschauen und uns tatsächlich mit dem auseinandersetzen, was uns der Fotograf zeigen will, gibt das ein gutes Gefühl und bestätigt mir, dass die Fotografie unheimlich vielseitig ist und man kein pauschales Urteil fällen sollte. Die Fo-

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tografie ist stark differenziert. Ein unscharfes Bild von einer fliegenden Untertasse löst genauso Emotionen und Träume aus wie ein Nacktbild von Carla Bruni. Dabei kann die Qualität des Bildes eine große oder auch gar keine Rolle spielen. Das Qualitätsbewusstsein des heutigen Fotografen ist sehr unterschiedlich. Der eine fotografiert einfach aus dem Bauch heraus, der andere wiederum plant und nützt sämtliche technischen Raffinessen. Profi-Fotograf? Ich glaube, es ist heute schwierig, die Fotografen einzuteilen. Profi-Fotograf ist für mich ein Beruf wie jeder andere. Man erledigt seine Aufgabe professionell, ob es Kunst oder ein Geld-Job ist. Aber man kann nicht mehr alles alleine machen wie früher. Man braucht heute Profis um sich, die einem bei der Aufnahme assistieren oder die weitere Bildbearbeitung übernehmen, das geht bis zum fertigen Proof für den Druck.

Was überhaupt ist heutzutage ein gutes oder schlechtes Bild? Manchmal ist für mich ein Bild von einem röhrenden Hirsch sympathischer und verständlicher, als wenn viele Fotografen einem Trend nachrennen und ihre persönliche „Onanie“ verewigen wollen. Was in der Ästhetik und Anmutung bei digitaler oder analoger Fotografie ist anders? Der Unterschied für mich ist in etwa so, wie wenn ich gefragt werde: Willst du lieber von einer schönen Frau am Morgen geweckt werden oder von einem digitalen Wecker? Der digitale Wecker hat auch seine Vorteile. Die Anmutung und der „Schmelz“ einer analogen Fotografie aber sind für mich immer noch unerreicht.

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SAMMELST DU SCHON? Wie, wo und an was orientiere ich mich heutzutage als Sammler von Fotografie? Eine wesentliche Rolle dabei spielt, sein Auge durch Literatur, Museums- und Galeriebesuche zu schulen, aber Tipps für einen Sammler hinsichtlich Geschmacks sind daraus nicht zu erwarten. Doch seinen eigenen Geschmack zu entwickeln, ist wichtig. Man muss den Blick schärfen und fokussieren, was einem selbst gefällt. Im Vordergrund steht daher, Gefühl und Gespür zu entwickeln, wodurch auch das ästhetische Niveau und die Qualität einer Sammlung wachsen. Hinzu kommt, dass durch die Flut von Bildern und Publikationen der richtige Zeitpunkt für die Ergänzung einer Sammlung finanziell oft schon überschrit-

ten ist. Insofern ist die Aussage des amerikanischen Fotografie-Sammlers Sam Wagstaff sehr wertvoll: „Don’t collect names, collect subjects.“ Ähnliches gilt übrigens auch für das Sammeln von guter Fotoliteratur und Bildbänden, auch wenn dieses Gebiet im Gegensatz zur Fotografie noch mehr oder weniger erschwinglich ist. Gute Bildbände haben meist niedrige Auflagen, die selten nachgedruckt werden und somit vom Markt verschwinden. Auch hier sollte man kein Buch zu kaufen, das einem nicht wirklich gefällt. Der bekannte Fotosammler Manfred Heiting zieht den Vergleich zum schwankenden Kurs von Aktien – was einem ja auch bei der Fotografie passieren kann

Die saubere, perfekte Bilder zu präsentieren.

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GERD SĂ–LCH – und meint dazu: „Ich wĂźrde sagen, man soll sich am Bild erfreuen, und [‌] wenn es dann nichts mehr wert ist, dann hat man immer noch ein schĂśnes Bild.“ Die digitale Fotografie trägt nicht gerade dazu bei, das traditionelle Sammeln von Fotografie zu unterstĂźtzen. Da es in der Digitalfotografie keine Originale (Negative) gibt, besteht weniger „Echtheit“. Und durch den Einsatz von Bildverarbeitungsprogrammen sind der Manipulation von Sujets TĂźr und Tor geĂśffnet. Hinsichtlich Alterung in der Digitalfotografie beschränkt sich die Diskussion hauptsächlich auf die verwendeten Speichermedien und die neuesten Computer. Durch die Technik der Digitalfotografie wird meist eine groĂ&#x;e Auswahl an Bildern gemacht und gefordert. Der Fotograf vergleicht die eben gemachten Aufnahmen und wiederholt diese nach seiner Bildvorstellung. Anders bei der Analogfotografie, bei der zuerst die

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Bildvorstellung wirksam sein muss und dann die Aufnahme erfolgt. Erst nachträglich anhand eines Abzugs ist eine Beurteilung mĂśglich. Bei der Analogfotografie heiĂ&#x;t das Thema Haltbarkeit und Archivierung von Silbergelatine-Prints und FarbabzĂźgen (hier wissen wir bereits heute, wie viele Jahre, bei entsprechender Archivierung, ein Print hält und fĂźr den Kunstmarkt wertvoll bleibt). Hauptgrund, ein bestimmtes Gebiet zu sammeln, aber ist es, sich selbst auszudrĂźcken, seine persĂśnlichen Interessen und seine Visionen einer eigenen Sammlung zu verwirklichen. Bei Sammelgebieten sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Gute Beispiele dafĂźr bietet durchaus die groĂ&#x;e Auswahl an Fotoliteratur Ăźber bereits existierende Sammlungen. Sammelgebiete wie Landschaft, Arbeiten eines einzelnen Fotografen, Porträt, Länder, Mode oder die Faszination einzelner Motive sind weit reichend und individuell. Aber auch hier gilt: was gefällt wirklich. Und wenn dieses Sammelgebiet noch zum Trend wird, umso besser. Ein gutes Beispiel ist die Modefotografie. Vor Jahren noch war Modefotografie ein Stiefkind. Heute entwickelt sich Modefotografie zum groĂ&#x;en Renner auf Auktionen. In Auktionskatalogen fĂźr Fotografie, mit ihren Angeboten nach Motivgruppen, lassen sich mit geschultem Auge Ăźbrigens auch noch Trouvaillen machen. Oft haben diese Aufnahmen einen ziemlich tiefen Schätzpreis, und es ist vielen Aufnahmen zuzutrauen, Bestand einer grĂśĂ&#x;eren, gut bestĂźckten Sammlung zu werden. Bei der Entscheidung fĂźr Digital, Analog oder einen Mix aber ist der Sammler auf sich allein gestellt. Nur er selbst kann entscheiden, welche der Techniken seinen Vorstellungen am besten entspricht. Man muss seinen eigenen Weg finden, diesen beschreiten und damit glĂźcklich sein.

Gerd SĂślch begann schon frĂźh mit dem Sammeln von Fotografie. Er lebt in ZĂźrich.


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CAROLA VON STETTIN

CLIC UND WEG?! Wie wird der feierliche Einzug der Sportler bei der Olympiade in China verlaufen? Die Frage ist weniger, wie viele Staatsgäste sich beteiligen werden und ob die Sportler als Ausdruck der Missbilligung des chinesischen Vorgehens gegenüber Tibet blaue Armbänder tragen oder nicht. Nein, die Frage ist eher, wie die Eröffnungsveranstaltung ins Bild gesetzt wird. Erlaubt die strenge Choreografie, dass nicht nur das Publikum den Einzug der Sportler fotografiert, sondern auch aus den Reihen der Sportler die Kameras blitzen wie vor vier Jahren in Athen? Oder muss der Höhepunkt jeder sportlichen Karriere dieses Mal von „embedded“ Fotografen dokumentiert werden, damit die Inszenierung nicht aus dem Ruder läuft, wenn die Protagonisten des Spektakels in einem wahren Bilderrausch sich selbst und ihr Publikum fotografieren? Verständnis für die bildbegeisterten Sportler hat wohl jeder, der eine Digitalkamera besitzt und ein Ereignis wie dieses erlebt. Die Gewohnheit, immer eine Kamera (oder ein Handy) dabei zu haben, verleitet dazu, sie bei jeder Gelegenheit hervorzuholen und ein Bild zu machen, oder auch zwei, drei. Welche Rolle spielt das schon, solange die Speicherkarte groß genug ist und auch der Akku noch voll? Ob es das Bild „wert“ war, um auf den Computer überspielt zu werden, oder es wieder gelöscht wird, entscheidet sich hinterher. Ohnehin wird nur ein Bruchteil der Bilder jemals geprintet werden, lassen sich die Aufnahmen doch unkompliziert und großformatig auf dem Bildschirm betrachten. (Offenbar ist die Tendenz, Bilder auszubelichten, rückläufig, wie ich von einem CallCenter-Anrufer erfuhr, der verzweifelt Leute suchte, die wenigstens 10 digitale Aufnahmen pro Monat entwickeln lassen – bei mir hatte er kein Glück.) Um der Bilderflut Herr zu werden, gibt es inzwischen gute Programme, und so lassen sich auch „Alben“ aller Art

generieren, in denen sie virtuell abgelegt werden können. Die Lässigkeit, mit der heute fotografiert wird, hängt natürlich in erster Linie mit den niedrigen Kosten zusammen. Aber Spaß macht es auch. Und so verlagert sich das Interesse von den konventionellen Motiven wie Familie, Feiern, Ausflügen und Reisen immer mehr in den Alltag. Nicht nur „Un-Orte“ sind längst Bestandteil des Repertoires von Hobbyfotografen geworden, auch eine Art unambitiöser Sachfotografie gehört heute dazu. So knipst man die Schuhe im Schaufenster, um sich zuhause überlegen zu können, ob man sie wirklich braucht, fotografiert Preislisten ab, um sie nicht unnötig kopieren zu müssen, oder die von Schädlingen angefressene Pflanze, um beim Gärtner das richtige Insektenschutzmittel zu erwerben. Die Frage der Bildwürdigkeit stellt sich hier nicht. Das Bild ist eine visuelle Notiz von pragmatischem Nutzen – man denke an Ebay, wo die Verkäufer die von ihnen angebotenen Artikel von allen Seiten fotografieren, Herstellerangaben und Schwachstellen inklusive. Der „entscheidende Augenblick“ ist ebenso passé wie Alta Moda und der Goldene Schnitt. Heute geht es darum, im Alltag und auf der Straße zu bestehen. Wen interessiert schon die Bildkomposition bei der Aufnahme eines verunglückten Flugzeugs? Ich war dabei, so ist’s gewesen. Die Aktualität obsiegt – und gerät ebenso schnell wieder in Vergessenheit. Und das ist auch gut so. Wer einmal einen Nachlass aufgelöst und die Erinnerungsfotos durchgesehen hat, von Schwarzweißabzügen bis zu verschossenen Farbaufnahmen, wird vielleicht dankbar für die Möglichkeit sein, gespeicherte Bilder mit einem Knopfdruck zu löschen.

Carola von Stettin ist Lektorin und lebt in Berlin.


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cap fotoschule für Menschen mit Biss und Begabung. Gute Fotografie hat nur bedingt etwas mit dem Auge zu tun. Aussergewöhnliche Bilder basieren immer auf einer neuen Sicht des Gewöhnlichen. cap fotoschule richtet sich an angehende, ambitionierte Fotografinnen und Fotografen mit dem Bedürfnis, aussagekräftige Bilder zu gestalten und ihr Erfahrungsspektrum entscheidend zu erweitern.

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ist eine Tagesschule für Menschen mit Talent. Während 11 Monaten vermittelt cap professional an 65 Studientagen in zwei voll ausgerüsteten professionellen Studios und on Location die ganze Bandbreite der professionellen Fotografie. Ziel des Studienlehrgangs ist die Förderung des kreativen Potenzials und die Festigung des technischen und theoretischen Wissens für die Umsetzung qualitativ hochstehender, aussagestarker Bilder. Der erste Schritt auf dem Weg zum Profi-Fotografen.

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ist der nächste entscheidende Schritt in Richtung erfolgreicher Berufsfotografie. Der weiterführende Studienlehrgang cap upgrade bietet Absolventen von cap professional oder einer gleichwertigen Ausbildung die Möglichkeit, das fotografische Potenzial voll auszuschöpfen und den individuellen Stil weiter zu entwickeln auf dem Weg zum Berufsfotografen. Der Weg zur eigenen Bildsprache.

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HORST KLOEVER

GOODBYE POLAROID Liebe SX70, Du gabst den Siebzigern/Achtzigern Regenbogenfarben und hast unsere Eltern arm gemacht. Die Amerikaner nannten Dich liebevoll „Land“, nach Deinem Schöpfer Dr. Edwin Herbert Land, der das Sofortbild unters Volk brachte. Seit 1972 haben wir Dich verehrt, SX70, manipuliert, vergessen. Und wieder ausgegraben: Du warst unsere amerikanische Onoff-Affair, hast schnell gefroren und warst teuer – wir werden Dich vermissen! Dein Sound war unerreicht. Das, was so manche Digitale simuliert, ist kläglich gegen Dein betäubendes „Tschigook“ aus dem Getriebe. Das klang nach Pop und Warhol, wenn Du ein Bild auswarfst. Nach „15 minutes of fame“, denn solange brauchte es an kalten Tagen, wenn Du aus braunsuppiger Tiefe ein Bild gebarst. Deine Mutter Polaroid hat die Produktion beendet, es gibt noch ein wenig Film-Ersatzstoff, doch auch da ist das Ende in Sicht. Achtzig Bilder zu je zehn verpackt, werden zum Silberpreis gehandelt, letztlich auf Ebay für Euro 207,-, das macht pro Schuss Euro 2,58 – ob gelungen oder nicht. Du warst auf Filmsets international dabei, hieltest fest, in welcher Hand der Schuft das Messer hielt, und, ganz am Rande, wer im Team mit wem geknutscht hat. Als Beweis für die nächste Szene und Grund zur Eifersucht. Du warst geschwätzig, heute nicht mehr. Du schweigst und – was gibt schon eine Digitale an Beweisen her? Ein Umweltengel warst Du nie. Da war auch in den Achtzigern schon ein ungutes Gefühl, bei der Materialschlacht für nur zehn Bilder. Du warst der

Chevy El Camino unter den Kameras, zur Verschwendung neigend, laut und bunt – doch einige, die trieben es noch wilder: Man musste Dein Filmmaterial nur an bestimmten Stellen kneten, so wurde aus dem Jedermann ein Fotokünstler und vollwertiger Impressionist. „Drück mich fester“, wann hat Deine Digitale Dir das zuletzt ins Ohr geraunt? Das Geknete war nicht tiefgründig wie Liebe 62, eher SX ab ’72, aber über die Technik, da hat sogar Dr. Land gestaunt. Wo galt schon die Maxime: Je mieser das Material, desto besser die Kunst? Hauptsache abgelaufen, seit Jahren schon, gelbstichig wie texanische Wüsten, scheckig wie Sanchos Gaul: Ein toller Cocktail, zu viel Tequila, zu wenig Eis. Dazu grünliches Blitzwürfellicht wie aus Blendgranaten – zumindest der Rand blieb immer weiß. Machen wir sie eifersüchtig, die digitale Knipse, mit Deinen voluminösen Kurven, Deinem kindlichen Charme und, nicht zu vergessen, Deinen Qualitäten als völkerverbindendes Geschenk: Einmal hast Du sogar gegen die Handtasche unserer Mutter gewonnen, im Urlaub ’80 an der Adria. Die Tasche musste nämlich im Hotelzimmer bleiben, denn wir Kinder brauchten Bilder von unseren braun gebrannten, neuen Freunden direkt am Wasser, zum Tauschen und: Sofort!

Horst Kloever ist Kurator und Journalist in Berlin.


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KLICK


HILDEGARD SCHWANINGER

VERLUST DER SCHÖNHEIT Die Zeiten, als Paparazzi mit einem Foto eine halbe Million Dollar verdienen konnten, sind vorbei. Die schreibenden Journalisten waren nie vergleichbar bezahlt, denn selbst wenn sie die heißeste Story kennen, auf Wissen gibt es kein Copyright. Da wird gnadenlos abgeschrieben, kopiert, geistiger Diebstahl betrieben. Doch ein Foto, das einen VIP in kompromittierender Stellung zeigt, war immer Gold wert. Eine Art Beweis nach dem Motto „Bilder sagen mehr als Worte“. Jetzt ist für die Paparazzi Ende mit Abkassieren. Seit jeder Idiot mit dem Handy alles fotografiert, was ihm über den Weg läuft, hat die Exklusivität des Bildes an Wert eingebüßt. Nicolas Sarkozy in Badehosen, Paris Hilton ohne – allgemein bekannt. Die Intimität hat ihr Geheimnis verloren, und ohne Geheimnis verliert sie an Schönheit, verliert sie an Wert. Man geht ins Internet, schaut sich durchs Tillate – da sieht man sie: „People“, und da werden sie, egal ob echte Prominente oder mittelprächtig interessante Gestalten, zu einem schwer genießbaren Einheitsbrei. Die ganze menschliche Armseligkeit im Bild, nicht Glanz und Gloria! Hässlich, geliftet, sterblich! Einer Wucht von Bildern ist der Mensch täglich ausgesetzt. Es ist nicht Schlaraffenland, es ist Müllhalde, und nach dem Konsum fühlt man sich wie nach dem Essen von Fastfood in einer Imbissstube. Satt, aber keineswegs glücklich! Zu viel! Zu viel!

Gegen diesen täglichen Trash werden sich immer abheben die Bilder eines Edward Steichen, eines Man Ray, eines Irving Penn. Ja, auch die eines Edward Quinn, der sich selber als einen der ersten BeautifulPeople-Reporter sah! Sie machen aus normalen Frauen Göttinnen in Menschengestalt, aus Gesichtern lebensgeprüfter Männer Kunstwerke. In der Seltenheit liegt ihr Zauber, in der Zeit, die man spürt, dass der Künstler sie sich genommen hat, im ganzen unerklärlichen großen Geheimnis der Kunst. Der Kunst, die – so kitschig es klingt, aber es ist wahr – Grundnahrungsmittel für die Seele ist. Bei der Bilderflut, der wir täglich im Internet ausgeliefert sind, klicken wir lieber schnell weg. Es müsste eigentlich verboten sein, dass beides den gleichen Namen trägt. Bilder sind nicht gleich Bilder! Seit die Bilder, wertlos und übersättigend, uns überfluten, wird vielleicht das geschriebene Wort wieder mehr wert. Bei den Bildern ist es ganz eindeutig so: Masse ist nicht Macht!

Hildegard Schwaninger ist Gesellschafts-Journalistin in Zürich. Jeden Montag erscheint ihre Kolumne „Notizen zu Namen“ im Zürcher Tages Anzeiger.


IMPRESSUM

Dallas, 22.11.1963: Ermordung von John F. Kennedy. Jackie Kennedy beugt sich nach hinten, um einem Secret Service-Beamten zu helfen, der auf den Wagen aufspringen will.

Vietnam, 8.6.1972: Napalm-Opfer in Vietnam, rennende Mädchen auf der Flucht, in der Mitte die nackte, schreiende Phan Thi Kim Puc.

München 1945: Die Fotografin Lee Miller in Hitlers Badewanne.

5.9.1936: Robert Capa, sterbender Soldat im spanischen Bürgerkrieg. Capas berühmtestes Bild.

Herausgeber: 3view GmbH, Jérôme Bischler, Lucia Degonda, Romano Zerbini Postfach, CH-8026 Zürich T +41 44 240 22 03 F +41 44 240 22 02 info@ewzselection.ch www.ewzselection.ch

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Redaktion: Walter Keller Gestaltung: Georgina Casparis Druck: Heerdruck Sulgen Korrektorat: Miriam Wiesel, Berlin

© 2008 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Magazins darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung der 3view GmbH oder der Autoren reproduziert werden.

Auflage: 25.000 Expl.



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