Die Hochgebirge Norwegens
ad e R
er d e r Mitt le r e n E xku i on 2 0 0 9 rs
Alexander Baglej, Nicolas Bauer, Anne Burkhardt, Joana Fischer, Lukas Grego godny, Markus Lengersdorf, Valentin Louis, Isabella Mahler, Lotta-Luisa Manth Angela Saupe, Claudia Schepp, Henri Schwaiger, Franziska Stamm, Kathrin-Al
TeilnehmerInnen
ori, Martin Herzberger, Marius KeĂ&#x;eler, Martin Kliem, Daniel Koch, Fabian Lahey, Klaus Piesche, Inken Rabbel, Jonas Reimann, Ulrike Rippke, Marius Roehr, lessa Weber, Daniel Winter.
Mittlere Exkursion 2009 Norwegen Zeitraum:
25.07.09-05.08.09
Leitung:
Ole Rößler
weitere Dozenten:
Prof. Dr. Jörg Löffler (Universität Bonn) Prof. Dr. John Matthews (Swansea University) Dr. Stefan Winkler (Universität Würzburg) Nils Hein (Universität Bonn)
Layout:
Daniel Koch Klaus Piesche
Artikel:
Einleitung (Claudia Schepp) Landeskunde Norwegen (Klaus Piesche) Die Norwegischen Fjorde (Lotta-Luisa Manthey) Die Geologie der Skanden (Inken Rabbel) Gebirgszug Rondane (Alexander Baglej) Gebirgszug Jotunheimen (Anne Burkhardt) Gebirgszug Hardangervidda (Martin Herzberger) Hochgebirgsböden in Norwegen (Angela Saupe) Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient der Skanden in Mittelnorwegen (Kathrin-Alessa Weber) Gletscher und Klimawandel in Norwegen (Ulrike Rippke & Valentin Louis) Kleinräumige Klimaphänomene im norwegischen Hochgebirge (Joana Fischer) Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit in Norwegen (Marius Röhr & Lukas Gregori) Vegetationszonierung im norwegischen Hochgebirge (Fabian Lagodny) Die alpine Baumgrenze in Norwegen (Markus Lengersdorf) Kleinräumige Vegetationsverteilung im norwegischen Hochgebirge (Claudia Schepp & Marius Keßeler) Anpassungsstrategien alpiner Pflanzen (Nicolas Bauer) Anpassung alpiner Tiere (Daniel Winter) Landnutzungsentwicklung in Norwegen (Isabella Mahler & Henri Schwaiger) Rentierwirtschaft in Norwegen und auf der Hardangervidda im Speziellen (Jonas Reimann) Flamsdalen – Norway in a nutshell® (Martin Kliem) Wasserkraft in Norwegen (Daniel Koch) Fazit (Claudia Schepp)
Inhaltsverzeichnis Einleitung....................................................................................................................... 1
Kapitel 1 Einleitung 1 Landeskunde Norwegen............................................................................................ 5
Kapitel 2 Geologie 2.1 Die Norwegischen Fjorde..........................................................................................11 2.2 Die Geologie der Skanden.........................................................................................15 2.3 Gebirgszug Rondane............................................................................................... 21 2.4 Gebirgszug Jotunheimen.......................................................................................... 25 2.5 Gebirgszug Hardangervidda..................................................................................... 29 2.6 Hochgebirgsböden in Norwegen............................................................................... 35
Kapitel 3 Klima 3.1 Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient der Skanden in Mittelnorwegen
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3.2 Gletscher und Klimawandel in Norwegen.................................................................. 47 3.3 Kleinräumige Klimaphänomene im norwegischen Hochgebirge.................................. 57
Kapitel 4 Vegetation 4.1 Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit in Norwegen...................................... 65 4.2.Vegetationszonierung im norwegischen Hochgebirge................................................ 75 4.3. Die alpine Baumgrenze in Norwegen......................................................................... 79 4.4.Kleinräumige Vegetationsverteilung im (zentral-)norwegischen Hochgebirge.............. 87 4.5.Anpassungsstrategien alpiner Pflanzen.................................................................... 93 4.6.Anpassung alpiner Tiere.......................................................................................... 99
Kapitel 5 Mensch 5.1. Landnutzungsentwicklung in Norwegen...................................................................107 5.2.Rentierwirtschaft in Norwegen und auf der Hardangervidda im Speziellen................. 115 5.3. Flamsdalen – Norway in a nutshell®....................................................................... 121 5.4.Wasserkraft in Norwegen.......................................................................................127 Fazit............................................................................................................................ 131
Mittlere Exkursion Norwegen 2009
Einleitung
S
chon immer übte die norwegische Landschaft mit ihren Gebirgszügen und Fjorden einen besonderen Reiz auf die Menschen aus. So haftete ihr bedingt durch Peer Gynt und die gleichnamigen Suiten von Edvard Grieg schon früh etwas Geheimnisvolles und Erhabenes an. Auch heute gilt gerade das norwegische Hochgebirge als besonders unberührt und natürlich. Ziel der Exkursion war es, einen tiefergehenden Einblick in diese Landschaft zu bekommen und ihre Entstehung und ökologische Funktionsweise zu erfassen. Nach einer kurzen Einführung in das Land Norwegen folgt der erste Themenschwerpunkt Geologie, wobei hier der Fokus zunächst auf der erdgeschichtlichen Entstehung der Skanden liegt (Kapitel 5), bevor genauer auf die einzelnen Gebirgszüge und ihre Besonderheiten eingegangen wird (Kapitel 6-9). Durch häufige und starke tektonische Einflüsse auf das Gebiet kommt es zu anstehendem Gestein sehr unterschiedlichen Alters und zu vielen auch kleinräumig variierenden Gesteinstypen. Auf Grund des sehr differenzierten Reliefs sind auch die klimatischen Einflüsse an den verschiedenen Stellen eines Hangsystems sehr unterschiedlich. Dieses Mikroklima hat einen bedeutenden Einfluss auf die Ökosysteme des Hochgebirges, unter anderem hängt die Schneemächtigkeit direkt mit der kleinräumigen Vegetation zusammen. Auf beides soll in Kapitel 14 und 19 genauer eingegangen werden. Klima und Relief haben ebenfalls einen großen Einfluss auf die Hochgebirgsböden (Kapitel 10). Doch sind nicht nur kleinräumige Klimaänderungen von Bedeutung. Bedingt durch die zunehmende Kontinentalität unterscheiden sich die Landschaften auf gleicher Höhenstufe von West nach Ost merklich (Kapitel 12). Dies hat zum Beispiel Einfluss auf die Entstehung von Gletschern. So findet man diese im Westen des Landes bedingt durch den höheren Niederschlag auf einer viel geringeren Höhe. Und auch der Klimawandel wird vermutlich unterschiedliche Auswirkungen auf
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die glazialen Systeme der jeweiligen Regionen haben(Kapitel 13). Neben tektonischen Einflüssen spielten auch die Eiszeiten eine wesentliche Rolle für die Entstehung des heutigen Landschaftsbildes. Ein besonders außergewöhnlicher Anhaltspunkt hierfür sind die Fjorde (Kapitel 3), die auf Grund ihrer Einzigartigkeit heute in Teilen sogar zum UNESCO Weltkulturerbe zählen. Nach der letzten Eiszeit konnte sich die Vegetation und die Tierwelt Norwegens neu entwickeln und ausbreiten (Kapitel 16). So findet man heute innerhalb der verschiedenen Vegetationszonen (Kapitel 17) eine besonders gut angepasste Pflanzen- und Tierwelt(Kapitel 20f). Dennoch ist auch die norwegische Hochgebirgslandschaft keine Naturlandschaft. Auch hier wird der Einfluss menschlichen Lebens und Wirtschaftens immer wieder deutlich, wie z.B. bei der Beschäftigung mit der Baumgrenze, die neben natürlichen Faktoren stark durch die jahrhundertelande Weidewirtschaft beeinflusst wurde (Kapitel 18). Insgesamt hat sich die Landnutzung im Laufe der Jahre allerdings stark gewandelt, wie in Kapitel 23 beschrieben wird. Waren es früher die Almwirtschaft auf den Sæters und die Holzproduktion, die das Landschaftsbild mit bestimmten, so sind es heute vor allem Wasserkraft und Tourismus (Kapitel 25f), sowie die intensive Beweidung durch Rentierbestände (Kapitel 24). Dieser vieldimensionale Zugang zum norwegischen Hochgebirge soll nun im Einzelnen genauer dargestellt werden.
Einleitung
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Jostedalsbreen Gletscher Foto: Valentin Louis
Kapitel 1 Einleitung
Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Landeskunde Norwegen
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eginnend mit den obligatorischen Daten und Fakten über Klima, Politik, Wirtschaft und Kultur soll der nachfolgende kurze Abriss eine kleine Übersicht über das Land Norwegen geben. Viele der hier angerissen Themenblöcke werden in diesem Reader ausführlicher behandelt. Das Auswärtige Amt beschreibt Norwegen folgendermaßen: „Norwegens Staatsgebiet, das die Westhälfte der Skandinavischen Halbinsel einnimmt, erstreckt sich zwischen dem 58. und 71. Grad nördlicher Breite und dem 4. und 31. Grad östlicher Länge.“ Das Land ist geprägt von Gebirgsketten und Fjells und den weit ins Land einschneidenden Fjorden, die Norwegens Atlantikküste auf 25.148km Länge bringen. Höchste Erhebung ist der Galdhøpiggen (2469m) gefolgt vom Glittertind (2464m). Beide liegen im Gebirgszug Jotunheimen (Fylker Sogn og Fjordane und Oppland), dem „Heim der Riesen“. 20 Berge sind hier höher als 2300m. Längster Fluß ist mit 600km die Glomma, größter Gletscher mit 487km² der Jostedalsbreen. Größte Stadt und Hauptstadt ist Olso (575.475 Einwohner) gefolgt von Bergen (252.051 Einwohner), Trondheim (168.257 Einwohner) und Stavanger (121.160 Einwohner). Im Folgenden weitere Daten und Fakten.
HDI
0,971 (1.)
BIP pro Kopf
95.062 US$ (2.)
BIP pro Kopf [KKP]
53.451 $ (3.)
0,947 (22.) 44.660 (19.)
US$
35.442 $ (22.)
81,8 %der Norweger sind in der staatlichen Norwegischen Kirche organisiert, einer evangelischen Kirche lutherischer Prägung. Oberhaupt ist der Monarch. Minderheiten bilden andere protestantische Richtungen, die Katholische Kirche oder der Islam. Klimatische Situation Die Skanden teilen Norwegen grob in zwei Gebiete mit ozeanischem Klima im Westen und eher kontinentalem Klima im Osten. (vgl. „Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient“). Durch den Golfstrom ist die Westküste Norwegens auch im Winter weitgehend eisfrei. Die vom Meer aufgenommene Feuchtigkeit regnet im Luv der Skanden ab, was Bergen zu einer der regenreichsten Städte Europas macht. Das langjährige Mittel liegt hier bei 2250mm Niederschlag im Jahr.
Fläche
Politisches Norwegen ist eine konstitutionelle parlamentarische Monarchie. Daten und Fakten Staatsoberhaupt ist König Harald V. aus dem Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg. Er übernimmt weitestgehend nur repräNorwegen Deutschland sentative Aufgaben. Regierungschef ist seit 2005 Ministerpräsident Jens Stoltenberg von der sozi385.199 km² 357.104 km² aldemokratischen Arbeiterpartei.
Einwohner
4.799.252
81.882.342
16
230
Einwohner / km²
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Klaus Piesche
Gliederung 430 Kommunen sind in Norwegen in 19 Verwaltungsprovinzen, die sogenannten Fylker, eingeteilt (s. Abb. 2). Diese werden wiederum zu fünf Landesteilen (landsdel) zusammengefasst.
Landeskunde Norwegen Østlandet 0100 = Østfold
0500 = Oppland
0200 = Akershus
0600 = Buskerud
0301 = Oslo
0700 = Vestfold
0400 = Hedmark
0800 = Telemark
„Bokmål basiert auf Dano-Norwegisch, das aus der dänischen Schriftsprache entwickelt und der Phonologie der in Ostnorwegen gesprochenen Dialekte angepasst wurde. Nynorsk wurde von dem Linguisten Ivar Aasen in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt und basiert auf einer Zusammenstellung verschiedener westnorwegischer Dialekte.“ (Aschehoug og Gyldendals Store norske leksikon). Lernen müssen die Norwegischen Schüler beide Idiome, Nynorsk wird jedoch nur von 10-15% der Norweger angewendet.
Sørlandet 0900 = Aust-Agder
1000 = Vest-Agder
Vestlandet 1100 = Rogaland
1400 = Fjordane
Sogn
og
1200 = Hordaland
1500 = Møre og Romsdal
Trøndelag 1600 = Sør-Trøndelag
1700 = Nord-Trøndelag
Nord-Norge 1800 = Nordland
2000 = Finnmark
1900 = Troms Die vierstellige Zahl ist die Kommunennummer, so ist 0301 beispielsweise die erste (und einzige) Kommune im Fylke 03 (Oslo), 0515 ist die Kommune 15 des Fylke 05 (Oppland): Vågå. Der Fylke 13 fehlt nicht etwa aus Gründen des Aberglaubens; Bergen war lange Zeit als Fylke 1300 eigenständig, gehört aber mittlerweile zu Hordaland. Sprache In Norwegen spricht man ganz allgemein Norwegisch, in einigen Kommunen von Troms und Finnmark ist das Samische dem Norwegischen gleichgestellt. Es gibt jedoch zwei offizielle Schriftsprachen: Das Bokmål („Buch-Norwegisch“) und das Nynorsk („Neu-Norwegisch).
Kultur Zu den bekanntesten norwegischen Musikern zählen Edvard Grieg und Johan Svendsen. Grieg ist vor allem durch seine Peer-Gynt-Suiten nach dem Drama Henrik Ibsens, ebenfalls ein Norweger, bekannt geworden. Vertont hat Grieg auch Dramen des norwegischen Literatur-NobelpreisGewinners Bjørnstjerne Bjørnson, der auch den Text zu Norwegens Hymne „Ja, vi elsker dette landet“ schrieb. Aber auch moderne norwegische Gruppen wie a-ha erfreuen sich großer Beliebtheit. Der bekannteste Maler Norwegens ist wohl Edvard Munch, sein Bild „Der Schrei“ (eigentlich sind es, wie bei van Goghs „Sonnenblumen“, mehrere Bilder unterschiedlicher Ausführung gleichen Titels) zählt zu den berühmtesten Bildern weltweit. Neben den oben bereits erwähnten Schriftstellern Ibsen und Bjørnson ist auch Knut Hamsun als herausragender Vertreter der norwegischen Literatur zu erwähnen. Wirtschaft Norwegen gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Dies hat zu einem Großteil mit den Erdölund Erdgasvorkommen zu tun. In einem Fond, dem „The Government Pension Fund“ werden die Gewinne aus dem Erdölexport angelegt, um die anspruchsvollen norwegischen Sozialsysteme auch über das Ende der Rohstoffreserven hinaus gewährleisten zu können. Derzeit (30.09.2009) beträgt das Volumen des Fonds gut 304 Milliarden Euro. Bis 2015 soll er auf über 500
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Milliarden Euro anwachsen. Weitere Einnahmequellen des Landes sind der Tourismus, die Metallindustrie und der Fischfang. Zu den drei größten Unternehmenzählen StatoilHydro (Erdöl und Erdgas, halbstaatlich), Telenor (Telekommunikation) und Norsk Hydro (Aluminium, 43,8% staatlich).
große Mehrheit für ein unabhängiges Königtum Norwegen aus. Erster König wurde Haakon VII aus dem Haus Holstein-Sonderburg-Glücksburg, das bis heuten den norwegischen Monarchen stellt. Norwegen gehört zu den Gründungsmitgliedern der NATO und ist seit 1960 Mitglied der EFTA. Über den Beitritt zur EG/EU wurde in NorGeschichte wegen zweimal (1972 und 1994) abgestimmt, beiErste Anzeichen zur Besiedlung Norwegens de Male mit einem klaren Votum gegen Europa. zeigen sich schon kurz nach Ende der letzten Eiszeit vor gut 10.000 Jahren. Um 3000-4000 v.Chr. begann im Süden des Landes ein WechVermischtes sel zur Landwirtschaft. Funde aus der Bronzezeit - Die Menge des Haushaltsmülls hat sich(1500-500 v.Chr.) belegen eine Bauernkultur im von 1992 bis 2007 nahezu verdoppelt. Süden, wohingegen Funde derselben Zeit aus dem Norden auf eine Gemeinschaft von Jägern - Die häufigsten Vornamen bei Jungen hinweisen. Aus der Zeit der Völkerwanderung 2008 waren Lukas, Mathias und Markus, bei zwischen 450 und 550 n.Chr. sind Festungsreste den Mädchen Linnea, Emma und Sara. an der Küste des Mjøsa-Sees erhalten. 872 wurden große Teile dessen, was heute - 2005 galten 30% der männlichen NorweSüdnorwegen ist, unter König Harald I., genannt ger als übergewichtig oder fettleibig, bei den Harald Hårfagre („Schönhaar“) geeint. Im 13. Frauen nur 18% Jahrhundert wird Oslo unter König Haakon V. zur Hauptstadt ausgerufen. - Die häufigsten Straftaten sind VermöVon 1380 an war Norwegen bis 1814 in einer gensdelikte, gefolgt von Straftaten im StraUnion mit Dänemark, von 1397 bis 1523 zusätzßenverkehr lich mit Schweden in der Kalmarer Union. 1536 hörte Norwegen auf, ein unabhängiges König- Die durchschnittliche Nutzfläche einer reich zu sein und wurde somit stark an Dänenorwegischen Wohnung beträgt 121m² mark gebunden. Dänemark (und somit auch Norwegen) hatten Napoleon in seinem verlo- Durchschnittlich leben 2,3 Personen in renen Krieg gegen Schweden unterstützt. Nach solch einer Wohnung den Napoleonischen Kriegen 1814 musste Dänemark Norwegen deswegen an Schweden abtre- Der Anteil der Frauen mit akademischer ten. Norwegen wollte sich nicht auf eine weitere Bildung liegt seit 2000 über dem der Männer. Union einlassen. Eine hochrangige Versammlung verabschiedete am 17.05.1814 formell eine - Es gibt 10 Sonntagszeitungen mit einer Verfassung, und bestimmte Christian Frederick, Auflage von zusammen 812.000 Exempden Neffen des dänischen Königs, zum König laren Norwegens. Schweden war nicht gewillt, dies zu akzeptieren und begann eine erfolgreiche mi- Mit über 700.000 Übernachtungen stellt litärische Offensive gegen Norwegen, an deren Deutschland die größte Zahl von AuslandsEnde Schweden im August 1814 die Verfassung, gästen nebst erforderlicher Bestimmungen für eine Union zweier Königreiche, akzeptiere. Christian FreQuellen derik verzichtete am 10.10.1814 auf sein Amt. www.norwegen.no Die Personalunion mit Schweden hielt bis jbr (Statistics Norway Library and Information 1905. In einer Volksabstimmung sprach sich die Centre, Oslo)
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Landeskunde Norwegen
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Schutthalde im Nationalpark Rondane Foto: Daniel Koch
Kapitel 2 Geologie
Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Die Norwegischen Fjorde Einführung as norwegische Festland hat die am stärksten zerklüfteten Küsten der Welt. Die Küstenlinie beträgt ungefähr 2650km. Zählt man die sich ins Festland einschneidenden Fjorde mit, wächst die Länge der Küste auf knapp 25.000km an (Lohs 2009). Zudem hat Norwegen weltweit die höchste Dichte an Fjorden, diese machen fast 75 Prozent der Küsten aus. In Abbildung 2.1.1 ist zu sehen, dass sich die meisten Fjorde in Westnorwegen befinden. Diese Region wird deshalb auch Fjordnorwegen genannt, aber auch im Süden und im Norden des Landes gibt es zahlreiche Fjorde. Die norwegische Fjordlandschaft reicht vom südlichen Stavanger bis zum nördlichen Kristiansund. Den Mittelpunkt bildet die
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Lotta-Luisa Manthey
doch fast alle über Straßen mit dem Festland verbunden.
Entstehung Die norwegischen Fjorde sind ehemalige Trogtäler, die von den Gletschern der letzten großen Eiszeiten des Pleistozäns, vor ungefähr zwei bis drei Millionen Jahren, geformt wurden. Trogtäler werden durch Gletscher geformt. Die Gletscher haben sich wahrscheinlich in bereits voreiszeitliche fluviale Kerbtäler eingeschnitten und die ursprüngliche Talform dabei überprägt. Der ehemalige Talboden wurde eingetieft und seitlich ausgeweitet. Trogtäler stehen charakteristisch für einst stark vergletscherte Hochgebirge. Der Meeresspiegel war während der Eiszeiten extrem niedrig. Durch den Rückzug der Gletscher und dem Abtauen der Inlandsvereisung kam es zu einem Meeresspiegelanstieg. Die ehemaligen glazialen Trogtäler, die heutigen Fjorde, haben sich mit Meereswasser gefüllt. Der Grund der Fjorde kann daher bis zu 1000m unter dem heutigen Meeresspiegel liegen. In Abbildung 2.1.2 ist zu sehen, dass Trogtäler im Querschnitt eine U- Form haben. Vom mulAbbildung 2.1.1 Links Norwegen. Rechts Fjordnorwegen denförmigen Talboden erheben sich steile Wände, die Trogwände, die an der sogenannten (Google Earth, 15.08.2009) Trogkante in sanft ansteigende Hänge übergeStadt Bergen. Seit 2005 gehören der Geirangerf- hen. Die Hänge, die über der Schliffgrenze der jord und der Nærøyfjord, beispielhaft für die einzigartige norwegische Fjordlandschaft, zum UNESCO Weltkulturerbe (Ovesen 2008). Die Fjordregionen sind nur schwer zu besiedeln, da sie von steilen Felswänden umgeben sind. Siedlung sind nur dort möglich, wo aus einem Seitental ein Fluss mündet, ein Schuttkegel in den Abbildung 2.1.2 Schematischer Schnitt durch ein TrogFjord hineinreicht oder die steilen Felswände tal (Zepp, 2004) am Ende des Fjords abflachen. Manchmal sind vom Wasser aus noch leer stehende Bauernhöfe, ehemaligen Gletscheroberfläche liegen, sind in schwindelerregender Höhe zu sehen, die teil- meist unausgeglichen, kantig und rauh. Im weise nur mit Leitern erreichbar waren. Viele der Längsschnitt eines Trogtals, sind verschiedene heutigen Fjordsiedlungen waren lange Zeit nur Stufen oder Schwellen zu erkennen. Diese Unüber Wasserwege zu erreichen, heute sind je- ebenheiten führt man auf verschiedene Ursa-
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Die Norwegischen Fjorde chen zurück, wie zum Beispiel ein unterschiedlich harter bzw. weicher Gesteinsuntergrund und das Vorstoßen bzw. Zurückziehen der Gletscher während dem ständigen Wechsel zwischen Warm und Kaltzeiten im Pleistozäns (Zepp 2004).
wie zum Beispiel Wanderungen über Hochebenen oder Polarexpeditionen angeboten. Zudem wird ihnen an den einzelnen Häfen angeboten von Bord gehen und das Land kulturell und historisch kennen zu lernen, wie zum Beispiel durch den Besuch von Museen oder Konzerten (Ovesen 2008). Die Urlaubssaison dauert von MitKlima te Mai bis Mitte September. Durch den warmen Golfstrom ist das Klima in Norwegen sehr mild und ähnelt den WetterverSognefjord hältnissen von Mitteleuropa. Die Temperaturen Abbildung 2.1.3 zeigt den Sognefjord. Der der Westküste sind im kältesten Monat Januar Sognefjord ist weltweit das zweit längste, wasteilweise 15° Grad höher, als die Normaltempe- serführende Fjordsystem und Europas längster ratur dieser Breitengrade. Der wärmste Monat Fjord. Mit 1308 Meter Tiefe, unter dem Meeresist der Juli. Die Fjordküsten können dadurch spielgel, ist er weltweit der tiefste Fjord. Der mit Obstplantagen bewirtschaftet werden, was Sognefjord befindet sich in Fjordnorwegen, im sonst in diesen Breitengraden nicht möglich Westen des Landes. Er zieht sich ungefähr wäre. Außerdem verfügen die Fjordküsten über 204km ins Landesinnere und ist durch die vielen sehr fruchtbare Böden. Die Fjorde sind auch in Fjordarmen sehr verzweigt. Der bekannteste, kalten Wintern meistens eisfrei (Ovesen 2008). wildeste und wohl auch schönste Seitenarm des Das Küsten- und Landklima ist in Norwegen Sognefjords ist der Nærøyfjord der seit 2005 zum sehr unterschiedlich. Die Küstenregionen sind UNESCO Welterbe zählt. Der Fjord ist 17km lang im Sommer verhältnismäßig kühl und im Win- und an seiner schmalsten Stelle nur 250 Meter ter weisen sie gemäßigte Temperaturen auf. Die breit. Er zählt zu den größten Fjordattraktionen Niederschlagsmengen sind durch die atlanti- in Europa. schen Westwinde das ganze Jahr über sehr hoch. Die Skanden bieten dem Landesinneren Schutz vor dem rauen Küstenklima. Durch den Luv-Lee Effekt weist das Landesinnere deutlich geringere Niederschlagsmengen auf. Es herrscht Kontinentalklima. Die Sommer sind wärmer und die Winter kälter (Hermann 2001). Tourismus Der Tourismus ist mit 3,6 Mio. Besuchern pro Jahr ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Norwegen. Die meisten der Touristen kommen aus Schweden und Deutschland. Die abwechslungsreiche Fjordküste im Westen, die zudem von Abbildung 2.1.3 Sognefjord (Shane Fischer, 02.08.2009) Kreuzfahrtschiffen angefahren wird, ist eine der Hauptattraktionen Norwegens (Hünermann 2009). Quellenverzeichnis Die langen Küsten Norwegens bieten zahlreiche, Hermann, T. (2001): Nord-Weg - Der Weg nach Norwegen. Geographie. Abrufbar unter: abwechslungsreiche und interessante Reiserouhttp://www.nord-weg.de/geografie/klima. ten. Die Kreuzfahrtschiffe legen an mehr als 30 htm (23.7.2009) verschiedenen norwegischen Häfen an und das meist das ganze Jahr über. Die west-norwegi- Hünermann, C. (2009): Wissen Norwegen. Fjord- und Skitourismus. Abrufbar unschen Fjordküsten sind dabei sehr beliebt. Von ter: http://www.wissen.de/wde/geden verschiedenen Häfen aus werden den Kreuznerator/wissen/ressorts/reisen/eurofahrttouristen zahlreiche Outdoor – Aktivitäten, pa/index,page=1201524,chunk=9.html
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 (22.7.2009) Lohs, C. (2009): Die schönsten Fjorde Norwegens. Abrufbar unter: http://norwegen-reisen.suite101.de/article.cfm/die_schoensten_fjorde_ norwegens (22.7.2009) Ovesen, G. (2008): Visitnorway. Naturattraktionen in Norwegen. Abrufbar unter: http:// www.visitnorway.com/de/Articles/Theme/ Sehen-und-erleben/Sehenswurdigkeiten/ Faszinierende-Natur/Was-ist-ein-Fjord-/ (22.7.2009) Römeling, N. (2009): Nordkap Reisen & Kreuzfahrten. Die Highlights von Norwegen-Fjorde. Abrufbar unter: http://www.nordkap.org/ norwegen-fjorde/ (22.7.2009) Zepp, H. (2004)³: Grundriss Allgemeine Geographie. Geomorphologie. Eine Einführung. (Ferdinand Schöningh) Paderborn.
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Die Norwegischen Fjorde
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Die Geologie der Skanden Einleitung ie skandinavischen Küstengebirge – kurz: die Skanden – zeichnen sich durch schroffe Felslandschaften aus, die von beeindruckenden Fjorden zerschnitten werden. Zum Teil ragen die Berge bis über 2000 Meter über Normalnull in die Höhe. Das war jedoch nicht immer so. Die Skanden existieren in ihrer heutigen Form erst seit dem Tertiär – in geologischen Zeitskalen ist das nichts. Die Fjorde sind noch jünger – sie wurden im Quartär geprägt. Das Grundgebirge der Skanden aber ist um viele hundert Millionen Jahre älter. Es existierte bereits, als das heutige Skandinavien sich noch auf der Südhalbkugel unserer Erde befand. Das ist selbst aus geologischer Sicht ziemlich lange her. Die folgende Arbeit beschäftigt sich nach einer kurzen geologischen Einordnung der Skanden mit der Entstehung des skandinavischen Grundgebirges. Zudem soll die Frage geklärt werden, wie es im Laufe der Erdgeschichte zur heutigen Lage und Ausprägung der Skanden kam. Da die Geologie Norwegens eng mit den tektonischen Entwicklungen verknüpft ist, aus denen auch die Skanden hervorgegangen sind, soll sie in den folgenden Ausführungen ebenfalls berücksichtigt werden.
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Geologische Einordnung der Skanden Die Skanden gehören zu den ältesten Gebirgszügen der Erde. Ihr Grundgebirge entstammt der sogenannten kaledonischen Ära. Diese erstreckt sich vom Oberkambrium bis ins Silur hinein und brachte verschiedene Orogene hervor, welche unter Geologen als Kaledoniden bekannt sind (Walter 2003). Der Hauptzug der Kaledoniden zieht sich von den Britischen Inseln über Norwegen, Teile Schwedens, Nordfinnland, die Bäreninsel bis in den Westen Spitzbergens hinein. Ein weiterer Zug schließt sich in der Nordsee an und erstreckt sich über Nordholland bis hin zum Polnischen
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Inken Rabbel
Mittelgebirge (Schönenberg & Neugebauer 1987). Heutzutage ist ein direkter Zusammenhang dieser Regionen aufgrund ihrer geographischen Distanz zueinander schwer vorstellbar. Vor mehreren hundert Millionen Jahren bildeten sie jedoch einen großen, mehr oder weniger einheitlichen geologischen Komplex. Dieser wurde im Laufe der Jahrmillionen unter Einfluss der Tektonik mehrfach zerrissen und seine Einzel-teile bis zu ihrer heutigen Anordnung immer wieder aufs Neue gegeneinander verschoben (Walter 2003).
Die wesentlichen tektonischen Entwicklungen, welche zur heutigen Gestalt und Abgrenzung der skandinavischen Kaledoniden geführt haben, sollen im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Tektonische Entwicklung Die skandinavischen Kaledoniden erstrecken sich im Wesentlichen über große Teile Norwegens, sowie über Mittel- und Nordschweden. Im Folgenden soll geklärt werden, wie es in der Erdgeschichte zur kaledonischen Orogenese selbst und zur Trennung der skandinavischen Kaledoniden vom Rest der kaledonischen Gebirge kam. Im Anschluss soll die daraus resultierende Geologie Norwegens anhand einer Karte näher erläutert werden. Dabei sollen neben den wichtigsten geologischen Mustern auch die wesentlichen Gesteinsvorkommen Norwegens besprochen werden. Der erste entscheidende Impuls, ohne den es nie zur Bildung der Kaledoniden gekommen wäre, ist ins späte Proterozoikum und damit noch in die präkambrische Zeit einzuordnen. Hier sollen daher auch die Ausführungen über die tektonischen Entwicklungen, welche zur heutigen Ausprägung der skandinavischen Küstengebirge geführt haben, ihren Anfang nehmen.
Die Geologie der Skandenl Proterozoikum Das Proterozoikum war unter anderem geprägt von der Bildung und dem Zerfall des Großkontinents Rodinia. Die Bildung Rodinias erfolgte vor etwa einer Milliarde Jahren – an der Wende vom Meso- zum Neoproterozoikum also . Der Großkontinent setzte sich aus verschiedenen Einzelkontinenten zusammen, darunter Laurentia und Baltica, welche im weiteren Verlauf der Erdgeschichte eine wichtige Rolle für die Entstehung der Kaledoniden einnehmen sollten. Vor ca. 650 Millionen Jahren riss es Rodinia entlang einer großen Riftzone quer durch sogenannten Panthalassa-Ozean – den späteren Pazifik – auseinander (s. Abb. 2.2.1).
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Abbildung 2.2.2 Zwischen Baltica und Laurentia hat sich der Iapetus geöffnet. Die skandinavische Halbinsel befindet sich zu diesem Zeitpunkt am nordöstlichen Zipfel Balticas (Scotese 2003)
und Balticas im Silur ihren Höhepunkt fand (Demetriades et al. 2005).
Silur Bei der Kollision Laurentias und Balticas kam es im Silur nicht nur zur massiven Verfaltung beider Kontinentalränder und damit zur sogenannten kaledonischen Orogenese, aus der die skandinavischen Küstengebirge hervorgingen. Indem Laurentia sich über den Rand des baltischen Schildes schob, kam es zudem zur Zerscherung und starken Metamorphisierung der Abbildung 2.2.1 Zerfall Rodinias im späten Proterozoikum. Noch sichtbar: Einzelkontinente, aus denen der Gesteinsmassen. Deckenstapel wurden aufgeschoben, zum Teil kam es auch zur Intrusion Großkontinent zusammengesetzt war (Scotese 2003) Diese Entwicklung deutete bereits recht früh den weiteren Zerfall Rodinias an: Vom späten Proterozoikum bis ins Kambrium hinein kam es unter anderem zur Trennung Balticas und Laurentias vom ehemaligen Großkontinent, dessen Überreste über viele Jahrmillionen als der Kontinent Gondwana weiter bestanden. Kambrium bis Ordovizium Zwischen den Kontinenten Laurentia und Baltica hatte sich mit der Trennung von Rodinia ein Abbildung 2.2.3 Die heutige skandinavische Halbinsel neues Meer aufgetan – der sogenannte Iapetus- am westlichen Zipfel Balticas ist durch die Hebung erstOzean. Dessen erneute Schließung wurde jedoch mals seit langer Zeit wieder Teil einer zusammen hängenbereits im Ordovizium initiiert. Grund dafür war den Landmasse und Sedimentationsraum für fluviatil-limdie Tatsache, dass Laurentia und Baltica im Lau- nische Festlandsedimente (Scotese 2003) fe der Jahrmillionen immer näher zusammenrückten (s. Abb. 2.2.2). granitoider Magmen. Der neuen Komplex, der Diese Entwicklung war bereits Teil der kaledo- aus den beiden Einzelkontinenten entstand, benischen Ära, welche mit der Kollision Laurentias zeichnet man heute als Laurussia (Schönenberg
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 & Neugebauer 1987, Walter 2003).
scheidenden Veränderungen gekommen: Der Iapetus-Ozean verengte sich immer mehr. Und auch der Rheia-Ozean, welcher sich im Silur zwischen Afrika und Avalonia aufgetan hatte (s. Abb. 2.2.4), verlor zunehmend an Ausdehnung, bis es im späten Karbon zur endgültigen Schließung beider Ozeane kam (s. Abb. 2.2.5). Auf diese Weise entstand der Großkontinent Pangäa (Schönenberg & Neugebauer 1987, Walter
Hatte ein Großteil der Fläche des heutigen Skandinaviens über Jahrmillionen hinweg unter dem Meeresspiegelniveau gelegen (s. Abb. 2.2.1, 2.2.2), so kam es durch die Kollision Laurentias und Balticas im Silur zur Hebung der Landmassen. Im Rahmen dieser Entwicklungen wurden die marinen Sedimente, welche die skandinavische Halbinsel bis dahin bedeckt hatten, vom sogenannten Old Red Sandstone – einem fluvi- 2003). atil-limnischen Festlandsediment – abgelöst (s. Etwa in die gleiche Zeit sind auch die AnfänAbb. 2.2.3) (Schönenberg & Neugebauer 1987). ge der Bildung des Oslograbens, welcher häufig fälschlicherweise als Fjord bezeichnet wird, Devon einzuordnen. Im Oslograben sind die einzigen Im Devon kam es zur weiteren tektonischen Vorkommen nachdevonischer Gesteine in NorHebung Skandinaviens. Die gesamte Hebungs- wegen zu finden. Es handelt sich dabei haupteinheit bezeichnet man in Fachkreisen auch sächlich um Magmatite, welche im Rahmen des als Fennoskandia. Sie gilt bis heute als stabils- Riftings in den Graben eindrangen (Schönentes geotektonisches Element Europas und stellt berg & Neugebauer 1987). seit dem Devon gleichsam die größte geschlossene Festlandmasse Europas dar. Die Hebung Perm bis Kreide Skandinaviens bedeutete jedoch nicht nur die War es erst im Karbon zur Bildung Pangäas gelangfristige Etablierung einer großen Festland- kommen, so deutete sich bereits im Perm der ermasse. Sie hatte auch eine enorme Veränderung neute Zerfall des Großkontinents an. Grund dades Sedimentationshaushalts zur Folge: War der für war das zunehmende Aufreißen des NordOld Red Sandstone erst im Silur flächendeckend seebeckens und später des Nordatlantiks (s. abgelagert worden, so wurde er gegen Ende des Abb. 2.2.5) (Demetriades et al. 2005). Devons bereits nahe-zu vollständig wieder abgetragen (Schönenberg & Neugebauer 1987). Karbon Neben den verhältnismäßig kleinräumigen Entwicklungen, welche zur Auffaltung des kale-donischen Kollisionsorogens geführt hatten, war es inzwischen auch auf globaler Ebene zu ent-
Abbildung 2.2.5 Durch das zunehmende Aufreißen des Nordatlantiks beginnt die Erde ihre heutige Gestalt anzunehmen (Scotese 2003)
Tertiär Im Tertiär kam es schließlich zur endgültigen Trennung von der europäischen und der nordamerikanisch-grönländischen Platte und damit Abbildung 2.2.4 Durch die Schließung des Iapetus- und zur Trennung der skandinavischen Kaledoniden des Rheia-Ozeans kommt es zur Entstehung des Großkon- vom Rest des kaledonischen Kollisionsorogens (s. Abb. 2.2.6). tinents Pangäa (Scotese 2003)
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Die Geologie der Skandenl 2.2.7). Hierbei ist ein zunehmender Metamorphosegrad von Osten beziehungsweise Südosten nach Westen beziehungsweise Nordwesten zu beobachten. Die einzelnen Deckenstapel der Kaledoniden können zudem nach metamorpher Fazies, Fossilienführung und tektonischer Position verschiedenen Deckengruppen zugeteilt werden, auf die an dieser Stelle jedoch im Einzelnen nicht weiter eingegangen werden soll (Schönenberg & Neugebauer 1987). Abbildung 2.2.6 Endgültige Trennung der europäischen von der nordamerikanisch-grönländischen Platte. Erste Anzeichen der im Quartär einsetzenden massiven Vereisung auf der Nordhalbkugel sind erkennbar (Scotese 2003)
Durch den Atlantik-Rift und die alpidische Orogenese bedingt kam es zudem zum isostatischen Aufstieg Skan-dinaviens, der bis heute anhält. Erst im Rahmen dieser Entwicklungen stiegen die skandina-vischen Kaledoniden zu dem Gebirge auf, welches wir heute auch als Skanden bezeichnen (Walter 2003). Quartär Im Quartär nahm das Nordseebecken seine heutige Gestalt an. Zudem kam es zur massiven Vereisung Skandinaviens. Die Meinungen über die Mächtigkeit der Eisdecke gehen allerdings weit auseinander. Nach Schönenberg und Neugebauer (1987) war Skandinavien zeitweise flächendeckend von einer 1500 Meter dicken Eisschicht bedeckt. Die für Norwegen so typischen Fjorde und schroffen Felslandschaften wurden in dieser Zeit durch die starke Erosionskraft der quartären Gletscher geprägt. Zudem kam es im Rahmen der massiven Vereisung Skandinaviens zur Entwicklung des Baltischen Eisstausees, aus dem später die Ostsee hervorging. Bedeutung der Kaledoniden für die Geologie Norwegens Die Geologie Norwegens wurde in erheblichem Maße durch die kaledonische Gebirgsbildung geprägt. Dies wird besonders anhand der großen Vorkommen metamorph überprägter Gesteine – vorwiegend Gneise, Schiefer und metamorohisierte Sandsteine - entlang der Kollisionszone von Laurentia und Baltica deutlich, welche sich einmal quer durch Norwegen zieht (s. Abb.
Einen weiteren großen Komplex in der Geologie Norwegens bilden jene Gesteine, welche noch aus der Zeit vor der kaledonischen Orogenese und damit von den nur zum Teil und nur gering metamorphisierten Kontinentalrändern Laurentias und Balticas stammen. Dazu gehören vor allem Sandsteine, Plutonite und andere gering metamorphisierte Sedimente. Hauptsächlich handelt es sich dabei um das Kristallin des Baltischen Schildes, welches vor allem im Südosten an die Zone der kaledonisch überprägten Gesteine anschließt (Fossen 1992). Damit zeichnet sich die Geologie Norwegens vor allem durch das besonders hohe Alter der Gesteinsvorkommen aus. Nachdevonische Gesteine sind in größerer Zahl lediglich im Oslograben aufzufinden. Es handelt sich dabei vor allem um jüngere Magmatite, welche im Vergleich zu älteren Gesteinen immer noch nur einen Bruchteil der Gesamtfläche Norwegens aus (s. Abb. 2.2.7) (Walter 2003). Fazit Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Skanden – auch wenn ihre Ausdehnung sich heute auf den skandinavischen Raum beschränkt – im Grunde Teil eines weitläufigen Gebirgskomplexes sind. Diesen bezeichnet man auch als kaledonisches Orogen, da er während der kaledonischen Ära (Oberkambrium bis Silur) durch die Kollision der Kontinente Baltica und Laurentia entstanden ist. Als Teil der Kaledoniden gehören die Skanden zu den ältesten Gebirgen der Erde. Sie wurden erst im Tertiär vom Rest des kaledonischen Kollisionsorogens getrennt. Ein Großteil der Fläche des heutigen Norwegens befindet sich in der Kollsionszone Laurentias und Balticas. Damit ist die Geologie Norwe-
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Abbildung 2.2.7 Geologische Ăœbersicht Norwegens (mit freundlicher UnterstĂźtzung von Stefan Winkler)
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Die Geologie der Skandenl
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gens stark von den Prozessen der kaledonischen Gebirgsbildung geprägt. Dies wird neben den durch die Kollison aufgeschobenen und noch heute voneinander differenzierbaren Gesteinspaketen auch durch den hohen Anteil von stark metamorphisierten Gesteinen an der Gesamtfläche Norwegens deutlich.
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Literatur Demetriades, A. , De Vivo, B., Lexa, J., Plant, J.A. & A. Whittaker (2005): The geological and tectonical framework of Europe. In: Salminen, R. (Hrsg.): Geochemical Atlas of Europe. Part 1: Background Information, Methodology and Maps. (Geological Survey of Finland). Fossen, H. (1992): The role of extensional tectonics in the Caledonides of South Norway. In: Journal of Structural Geology, Jg. 14, H. 8/9, S.1033-1046. Schönenberg, S. & J. Neugebauer (19875): Einführung in die Geologie Europas. (Rombach Wissenschaft) Freiburg. Walter, R. (20035): Erdgeschichte – Die Entstehung der Kontinente und Ozane. (Walter de Gruyter) Berlin, New York. Internetquellen Scotese, C.R. (2003): PALEOMAP Project. (abrufbar unter www.scotese.com) http://www.geophysik.uni-kiel.de/~sabine/DieErde/Erdgeschichte/rodinia-zyklus.html
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Gebirgszug Rondane Alexander Baglej Nationalparks in Norwegen m ein Minimum so genannter unberührter Naturlandschaften zu erhalten, sind in den Nachkriegszeiten zahlreiche kleinere und große Areale unter Schutz gestellt worden. Gesetzliche Bemühungen, die Natur im Norwegen zu schützen, begannen 1954 mit der Verabschiedung des Naturschutzgesetzes. Heute unterscheidet man in Norwegen zwischen Nationalparks, Landschaftsschutzgebiete, Naturreservate und Naturdenkmäler. Die 19 norwegischen Nationalparks erstrecken sich über mehr oder weniger unberührte Naturlandschaften, die oft sehr groß sind. Die Nationalparks sind haupt-sächlich auf Staatsgrund und somit gegen industrielle Bebauung wie z.B. Wasserkraftobjekte, Verunreinigungen und andere große Eingriffe in die Natur geschützt (Gläßer S.234). Der Tourismus ist mit strikten Vorschriften verbunden. Und von den Touristen wird selbstverständlich ein besonders naturund umweltfreundliches Verhalten erwartet.
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Allgemein zum Nationalpark Rondane Am 21. Dezember 1962 wurde der Gebirgszug Rondane nach einer zehnjähriger Planungsphase als erster norwegischer Nationalpark gegründet. Mit der Errichtung des Nationalparks war unter anderem die Zielsetzung verknüpft, die Wasserkraftgewinnung und den Erzbergbau einzuschränken, bzw. zu unterbinden sowie den Wegebau für den motorisierten Verkehr und die Ausweisung von Grundstücken für den Freizeithausbau zu kontrollieren. Nahezu das gesamte Areal ist in Staatsbesitz (Glässer S. 234). Im Jahre 2003 wurde der Nationalpark im Vordergrund für den Schutz des wilden Rens beträchtlich um 383 km² auf 963 km² erweitert. Mit dem neu eingerichteten Dovre-Nationalpark, der zwischen Rondane und dem DovrefjellSunndalsfjella-Nationalpark liegt besteht jetzt ein großer, fast zusammenhängender Streifen geschützter Bergregionen vor. Dieser wird nur durch einen schmalen Streifen um eine Straße
Abbildung 2.3.1 K a r t e des Nationalparks Rondane (http://www.visitrondane. com, verändert)
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Gebirgszug Rondane und Ortschaften getrennt. Das damals für Rondane Nationalpark erarbeitete Instrumentarium an Schutzvorschriften bzw. Nutzungs- und Erholungsmöglichkeiten hatte somit eine Vorbildwirkung für die Errichtung weiterer Nationalparks in Norwegen (Glässer. S.235). Der Name „Rondane“ stammt vermutlich von der altnorwegischen Bezeichnung „rond“, was soviel wie „Rand“ oder „Streifen“ bedeutet und die landschaftlich eindrucksvollen Grat- und Gipfelformen dieses Hochgebirges versinnbildlicht.
durch die letzte Eiszeit geformt. Die Schmelze nach der letzten Eiszeit hat in der Landschaft deutliche Spuren hinterlassen. Die Täler wurden vom Eis herausgegraben und die Schmelz-wasserflüsse haben tiefe Schluchten in die Landschaft gerissen und enorme Mengen von losen Steinen und Geröll sind abgelagert worden (Direktorat für Naturverwaltung Norwegens). Eine charakteristische Eigenschaft der Berge sind weiche und runde Formen auf einer Seite des Gipfels, die plötzlich in steile Abhänge mit tiefen und dunklen Schluchten auf der anderen Seite abfallen. Die zahlreichen steilen Gipfel im östlichen Teil des Fjells, sind während der Glazialzeiten durch Gletschererosion (Karbildungen) entstanden. Die höchsten Berge des Gebietes sind durch lang gezogene Grate(scharfe Bergrücken), tiefe Taleinschnitte und eiszeitlich geformte Schotter-terassen gekennzeichnet. Besonders markant sind die Eisstauseen mit mächtigen Sand- und Kiesablagerungen. Die Berge im Rondane Nationalpark bestehen überwiegend aus dem metamorphen Gestein Sparagmit. Diese Gesteinsart zerbricht leicht in größere Stücke und Felsbrocken, die dann charakteristische Geröllhalden und Felsenmeere bilden. Heute findet man in Rondane keine Vergletscherungen mehr, was auf die höheren Sommertemperaturen durch das kontinentale Klima und die geringen Niederschläge in diesem Fjellbereich zurückgeführt werden kann. An manchen geschützten Talhängen finden sich aber feste Schneefelder. Weiterhin prägen eigenartige kleine Hügel die Landschaft. Diese Esker wurden in den abschmelzenden Gletschern durch die Grundmoräne gebildet (Enzyklopädie Wikipedia).
Geographie Rondane ist ein typisches Hochgebirge mit ausgedehnten Hochebenen und 10 Gipfeln über 2.000 m. Im zentralen und nördlichen Teil finden sich die höchsten Berge. Die drei höchsten Gipfel bilden der Rondslottet (übersetzt: Rondaner Schloss) mit 2.178 m, der Storronden mit 2.138 m und der Hogronden mit 2.118 m Höhe. Im Süden des Parks befinden sich flachere Hochebenen. Der niedrigste Punkt des Nationalparks liegt unterhalb der Waldgrenze, die hier zwischen 1.000 bis 1.100 m Höhe liegt. Die Höhe der Waldgrenze ist allgemein für Nordeuropa relativ hoch, was an dem hier vorherrschendem milden, aber auch gleichzeitig trockenen (500 mm Niederschlag pro Jahr), kontinentalem Klima liegt. Die Regenwolken, die vom Meer herüberziehen, haben sich schon in den westlichen Gebirgszügen abgeregnet. Die nördlichen Gebiete, die ans Dovrefjell grenzen, zählen zu den niederschlagsärmsten Gebieten des Landes (siehe Abb.2.3.1). Die Landschaft wird durch Berge und Täler deutlich geteilt. Das tiefste Tal trennt die große Storronden-Rondslottet-Gruppe von dem Smiubelgen. Zwischen den steilen Hängen dieses Tals Flora liegt der schmale See Rondvatnet, der das Zent- Kalk- und Phosphorarme Gesteine bilden ein rum des Nationalparks bildet. sehr nährstoffarmes Bodensubstrat. Zusammen mit der relativen Trockenheit führt es dazu, dass Geologie die Vegetation in dieser Region arm an Arten ist Das Grundgestein in Rondane entstand vermut- (siehe Abb. 2.3.2) und somit auch relativ schlechlich vor 500 bis 600 Millionen Jahren, als Ablage- te Vorraus-setzungen für eine intensivierte Weirungen auf einem flachen Meeresboden. Durch dewirtschaft bietet. Diese für die Agrar- und Gebirgsauffaltungen wurde das heutige fossili- Forstwirtschaft recht ungünstigen Gegebenheienlose metamorphe Gestein gebildet (Mertz S.6). ten werden dazu geführt haben, dass wenigsDie gegenwärtige Landschaft wurde zumeist tens ein Teil des Fjells zum ersten norwegischen
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Nationalpark erklärt wurde (Glässer). Beispiel kommt bis in etwa 1700 Meter Höhe vor, Abgesehen von den Moorbirken (insgesamt oder der Sternsteinbrech (Saxifraga stellaris)
Abbildung 2.3.2 Typisches Vegetationskleid in Rondane (Alexander Baglej)
ungefähr nur 10km²) in den niedrigen Lagen werden die trockenen und nährstoffarmen Böden und die Felsen durch Heidekraut, robuste Gräser und Flechten bedeckt. Die vorherrschenden Pflanzen sind die Zwergstrauchheiden aus Schwarzer Krähenbeere (Empetrum nigrum), Rauschbeere (Vaccinium uliginosum), Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi) und Kriechweiden (Salix herbecea, Salix retusa) überziehen großflächig die Berghänge. Dazwischen übernehmen Strauch- und Krustenflechten eine vorherrschende Rolle. Weite Teile der mit Steinblöcken übersäten Berghänge leuchten im Gelb der Landkartenflechten (Rhizocarpon geograficum) und anderen Krustenflechten. Am Boden bilden zahlreiche Strauchflechten wie Rentierflechten (Cladonia rangiferina), andere Cladinia Arten und Isländisch Moos (Centaria islandica) einen dichten Bewuchs (Mitschrift). An den Windkanten, vor allem an den Hängen des Rondslottet und Storronden, wachsen Blütenteppiche aus Alpenzaleen (Loiseluria procumbens). Nur ganz wenige höhere Pflanzen können den rauen Klimabedingungen widerstehen. Der Gletscherhahnenfuß (Ranunculus glacialis) zum
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der auf lockerem Geröll in der Nähe von Bächen gedeiht. Die Bachufer werden von niederen Büschen der Spießweide (Salix hastata) und von Scheuchzers Wollgras (Eriophorum scheuchzeri) gesäumt. In geschützten winkeln zwischen den Felsblöcken wachsen noch anspruchslose Gräser wie das Alpen-Rispengras und die typische Starre Segge (Carex bigewii)(Mertz S.106-107). Fauna Rondane ist einer der wenigen Lebensräume der wilden Rentiere in Skandinavien und wird dadurch von der norwegischen Naturschutzbehörde als besonders wichtig für diese Tierart angesehen. Es wird geschätzt, dass ungefähr 2.000 bis 4.000 Rentiere in Rondane und im nahe gelegenen Dovre Naturpark leben. Für den Schutz der Rentierpopulation in ihrem Kerngebiet wurden in den 1990er Jahren Wanderwege versetzt und wie schon erwähnt im Jahre 2003 der Park vergrößert. Anderes großes Wild, darunter Rehe und Elche, kommen gewöhnlich in den Randzonen des Parks vor. Gelegentlich sind auch Moschusochsen zu sehen, die als Herde in dem nahe gele-
Gebirgszug Rondane genen Dovre-Nationalpark leben. Vielfraße und eine kleine Population an Braunbären leben in dem Park, Wölfe sind dagegen eher selten (Wikipedia - Enzyklopädie). Ebenso wie die Pflanzenwelt ist die Tierwelt des Rondane stark von den klimatischen Gegebenheiten geprägt. Die relativ wenigen Rentiere haben große Mühe, sich in der kargen Vegetation des Rondane genug Fett für den langen Winter anzufressen. Deswegen ist der Erhalt der Population an Wild-Rentieren ein wichtiger Schutzzweck des Nationalparks. Nach der Eiszeit waren diese Berg-Rentiere in Nordeuropa weit verbreitet. Die hier lebenden sind aus den Herden hervorgegangen, die einst alljährlich von Rondane über Dovre in die Sunndalsfjelle zogen. Durch Verbauung und die Anlage von Straßen und Eisenbahnlinien wurde ihr Lebensraum jedoch eingeschränkt und ihre Wanderroute abgeschnitten.
und Unterkunft für die Wanderer. Es gibt auch unbewohnte Hütten, die zum Verleih stehen. Zahlreiche Touristenhütten und Hotels, sind an den Rändern des Nationalparks aufgereiht. Rondane ist heute eines der meistbesuchten Fjellgebiete des Landes mit einem Fremdenverkehr der auf eine bis in die Jahre 1900 reichende Tradition zurückblicken kann. Quellenverzeichnis Glässer, E. (1993)²: Wissenschaftliche Länderkunden Band 14. Norwegen. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt. Mertz, P. (1998): Naturwanderführer Norwegen. Norwegen – Zwischen Oslo und Narvik. (Bruckmann), München. Direktorat für Naturverwaltung Norwegens. Broschüre: Rondane Tysk-1.pdf unter www.dirnat.no/attachment.ap?id=7091 abgerufen am 15.09.09.
Tourismus Enzyklopädie Wikipedia unter http://de.wikipedia. Den Besuchern des Nationalparks ist in nahezu org/wiki/Rondane abgerufen am 15.09.09. allen Gebieten erlaubt zu wandern und zu zelten, außer in der unmittelbaren Umgebung der Berghütten. Ausgenommen dem Verbot motorisierten Verkehrs gibt es kaum weitere Einschränkungen. Das Fischen und Jagen ist mit einer Lizenz möglich. Der norwegische Wanderverein DNT (Den Norske Turistforening) führt, durch Wanderwege ein Netz an Berghütten als Service für die Wanderer. Die zentrale Hütte Rondvassbu liegt am südlichen Ende des Sees Rondvatnet, die den beAbbildung 2.3.3
Wanderpfafde für Touristen.
(http://hovrin-
genfjellstue.no
kanntesten Ausgangspunkt für Bergwanderungen darstellt. Die Berghütten Grimsdalshytta, Doralseter und Bjornhollia liegen am nördlichen und östlichen Rand des Parks. Diese vier Hütten werden bewirtschaftet und bieten Verpflegung
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Gebirgszug Jotunheimen Einleitung otunheimen – das Heim der Riesen. Der Gebirgszug bildet mit seinen alpinen Gipfelformen das höchste Fjellgebiet Nordeuropas. Der Name „Jotunheimen“ (= Riesenheim) stammt von dem Dichter A. O. Vinje, welcher mit dieser Namengebung an die Frost und Reifriesen der Edda erinnern wollte. Des Weiteren sind in Jotunheimen alle Gipfel über 2300 m versammelt, darunter auch die zwei höchsten Erhebungen Nordeuropas: Galdhoppigen und Glittertind. Das Gebirge ist stark einzeitlich geprägt und ist aufgrund seines ausgesprägten Hochgebirgscharakters sowie der markanten Gebirgskämme, Plateaus und Gletscher eine der beliebtesten Bergwanderregionen Norwegens.
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Geschichte
Abbildung 2.4.1 Jotunheimen (eigene Aufnahme)
Es wird vermutet, dass das schlecht zugängliche Jotunheimen-Gebiet kaum dauerhaft besiedelt war. Geprägt von tief eingeschnittenen Tälern und schroffen Bergen ergaben sich für die Leute im Jotunheimen Gebirge schwierige Lebensbedingungen. Es wird davon ausgegangen, dass große Teile Jotunheimens nur saisonal zur Rentierjagt und zum Fischfang genutzt wurden. Es wurde Seterwirtschaft betrieben, welche mittlerweile vielerorts aufgegeben werden musste, z.B. durch Erdrutschgefahr oder Mangel an Feuer-
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Anne Burkhardt
holz. Im 4. Jh. entdeckte man das erste Eisen, welches aus erzhaltigen Mooren gewonnen wurde. Das Eisen bot eine sehr gute Einkommensquelle bis es im 16. Jh. durch Eisen aus Hochöfen ersetzt wurde. Nach Körner (2004), zählt die Produktion von Gegenständen aus Speckstein zu den ältesten „Industrien“ in Jotunheimen. Seit dem 19. Jh. wurde allerdings kein Speckstein mehr gefunden und die Industrie eingestellt. Die Eisenproduktion und die Speckstein-Steinbrüche zählen zu den einzigen Industrien, die im JotunheimenGebiet beheimatet waren. Als Haupteinkommensquelle galt der Handel. Die Hauphandelstroute Nord-Süd verlief durch Jotunheimen und sorgte für regen Verkehr über die Berge zu den Fjorden und in die Täler. Heute folgt die Strasse 51 genau diesem Verlauf. Die Route über das Sognefjell verband das nördliche Gudbrandsdalen mit den Siedlungen am Sognefjorden bis nach Bergen und galt daher als eine der wichtigsten Verbindungen für die Kaufleute um Ihre Waren wie Butter, Käse, Felle, Leder, Wolle und Eisen in die Provinz Sogn zu transportieren. Von dort aus konnten die Waren mit Hilfe von Schiffen nach Bergen gebracht werden. Gleichzeitig konnten von dort aus Handelsgüter wie Korn, Salz und Fisch mühselig und meist auf dem Rücken in die Bergregionen transportiert werden. Der Weg über das Sognefjell gestaltete sich aufgrund des Wetters aber auch der Räuberbanden schwierig. Erst im 16. Jh. wurde Reisen sicherer. Anstelle von großen Verbänden zog man ab diesem Zeitpunkt in kleinen Gruppen oder alleine durch die Berge. Im 19. Jh. setzte eine Emigrationswelle in die USA ein und viele Leute wanderten insbesondere aus der Region LOM aus oder siedelten in Städte um. Jotunheimen wurde daraufhin auch im 19. Jh. für den Tourismus entdeckt (Körner, T. 2004).
Jotunheimen Geographie Norwegens und Nordeuropas höchstes Fjellgebiet Jotunheimen liegt zwischen dem Gudbrandsdal und Valdres sowie den innersten Armen des Sognefjordes. Der Hochfjellbereich Jotunheimens ist in zwei Teile geteilt, das Utladalen im Süden und das Böverdalen im Norden. Insgesamt umfasst das Gebiet eine Fläche von 3500 km2 (Glässer 1978). Das Gebirge erstreckt sich von Westen nach Osten über ca. 65 km und von Norden nach Süden über etwa 55 km. Im Herzen Norwegens gelegen liegt das Gebirge 300 km nördlich von Oslo und knappe 170 km von Bergen entfernt. Die landschaftlichen Begrenzungen des Jotunheimen Hochgebirge ergeben sich im Osten durch das Tal Sjodalen, welches als sehr fruchtbar gilt und im Südosten durch die Hochfläche Valdresflya. Eine natürliche Grenze bilden
Abbildung 2.4.2 Übersichtskarte Jotunheimen (Reuber 1999)
im Süden die Seen Bygdin und Tyin während der Nordwesen in das Sognefjell übergeht. Die westliche Begrenzung zeichnet sich an den Armen des Sognefjordes ab, dessen Arme weit ins landesinnere vorstoßen und daher keine klare Grenze für Jotunheimen ergeben. Mehrere Täler teilen das Gebiet in unterschiedliche Gebirgszonen und Hochebenen (Körner 2004). Besonderheiten der Landschaft Geologie, Geomorphologie Bei der Kollision der beiden Kontinente Lauren-
tia, dem heutigen Nordamerika und Baltica, dem heutigen Nord- und Osteuropa vor etwa 400 Mio. Jahren entsteht der neue Kontinent Laurasia. Das Übereinanderschieben und Auffalten der Platten und Gesteinsschichten führt zur Entstehung der Kaledoniden, einer noch heute sichtbaren Gebirgskette von Spitzbergen über Grönland, Norwegen, Schottland, Irland bis zu den Appalachen in Nordamerika. Das zentrale Gebiet Jotunheimens bildete sich aus einer Scholle, welche beim Übereinanderschieben der Platten aus dem eigentlichen Gesteinsverband rausgerissen wurde. Diese Scholle trägt nach KÖRNER 2004 den Namen „Jotundecke“. Vermutungen zeigen, dass der Ursprung der Decke irgendwo zwischen Sognefjord und Nordfjord liegt. Das würde bedeuten, dass sie einen Weg von etwa 100 km zurückgelegt haben muss. Im Zentrum vermutet man eine Dicke des Gebirges von 15 km, welche zu den Gebirgsrändern hin auf nur noch 100 m ausdünnt. Tiefe Brüche im Gesteinspaket Nordost und Südwestlicher Richtung leiten zum Ende der kaledonischen Gebirgsbildung vor ca. 380 Mio. Jahren die Entstehung des Hochgebirges ein. Die Schichten der Decke werden durch die Brüche vertikal zueinander verschoben und Bruch- bzw. Störungszonen entstehen. Durch darauf folgendes Nachlassen des Kollisionsdrucks, hebt sich die Erdkruste langsam und ein Hochgebirge entsteht. Die Landschaft Jotunheimens ist stark eiszeitlich geprägt. Vereisungen der letzten 2500 Jahre zeigen Gletschervorstöße mit Geschiebelehm sowie Moränenmaterial. In Senken und Tälern kann die Schicht des Geschiebelehms einige Meter erreichen, im Mittel ist er jedoch 50 cm bis 2 m dick. Die Felsen in Jotunheimen sind überwiegend aus Granulit aufgebaut. Die helleren Gesteine in diesem Gebiet sind meist Feldspat und Quarz. Das dunklere Gestein Pyroxen ist das für die Gegend typische Hauptgestein und wird deshalb auch Jotunit genannt (Körner 2004). Es kann von einem recht einheitlichen Aufbau der Gesteine gesprochen werden. Nach Glässer (1978) handelt es sich dabei um harte Tiefengesteine des Gabro, welche während der kaledonischen Gebirgsbildung nach Osten hinübergeschoben worden sind und dabei in
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 mehrere Talgletscher eingeschnitten haben. Nach Reuber (1999) sind Endmoränen an den heutigen Enden de Gletscherzungen oder auch weiter talabwärts klar erkennbar und kennzeichnen die verschiedenen Stadien der Gletscherschmelze.
Temperaturen auf minus 35 Grad abfallen während die Sommertemperaturen verhältnismäßig eher mild ausfallen. Das Mittel im Juli beträgt nur 11 Grad. Die oben aufgeführte Abbildung veranschaulicht beispielhaft die Wetteränderungen im Nationalpark Jotunheimen innerhalb einer Woche im Monat August diesen Jahres. Je nach Eintrittswahrscheinlichkeit der Vorhersage können sich Temperatur und Niederschlag unterschiedlich entwickeln. Die schwarzen Linien geben in diesem Beispiel die Langzeitvorhersage an. Die grau markierten Bereiche bezeichnen die Temperatur und die blauen Balken geben die Niederschlagswahrscheinlichkeit an, welche zu 80 % wie vorausgesagt eintritt. Zu 50% überschreitet der Niederschlagswert den dunklen Balken. Die Höchsttemperatur in diesem Fall beträgt 15 °C während sich die niedrigsten Temperaturen um die 0 ° bewegen. Der Niederschlagswert übertrifft wie Abbildung 2.4.3 Moränenmaterial am Jostedalsbreen (ei- vermutet an fast allen Tagen den dunkelblauen gene Aufnahme) Balken und erreicht seinen Höchstwert bei 8 mm. Klima In Jotunheimen herrscht ein raues HochgebirgsFlora und Fauna klima. Trotz der Lage Jotunheimens im Landes- Für viele norwegische Bergpflanzen hält Jotuninneren, ist das Klima immer noch atlantisch ge- heimen den „Höhenrekord“. Die auf höchster prägt. Die Gebirgsketten wirken als Klimascheide Höhe wachsende Pflanze, der Gletscher-Hahnenund so stauen sich die vom Atlantik heranziehen- fuß, wächst auf dem Glittertind bis auf ca. 2370 den Wolken auf der Westseite des Gebirges und m Höhe. Auf 2300 m kommen Roter Steinbrech regnen auch dort ab. Auf der Ostseite herrscht und Rosenwurz vor. Durch kalkhaltige Böden in ein eher kontinental geprägtes Klima mit geringe- vielen Teilen des Gebietes, können auch äußerst ren Niederschlägen. Generell fällt im Westen der anspruchsvolle Pflanzen, wie beispielsweise der Wasserscheide mehr Regen als im Osten. Schnee- Enzian oder der Silberwurz wachsen. Die Gletscher verzeichnen mit 2.500 bis 3.000 Obwohl der Großteil Jotunheimens oberhalb der mm den höchsten Niederschlag. Baumgrenze liegt, gibt es zwei bedeutende WaldIn Jotunheimen kommt es häufig zu plötzlichen gebiete. Im oberen Utladalen um den Gjende See Temperaturstürzen und Wetteränderungen in- wachsen reichlich Birken. Die Birkenart, bezeichnerhalb weniger Stunden. Im Winter können die net als Hängebirke, erweist sich als sehr widerstandsfähig. Des Weiteren wächst die Kiefer im unteren Utladalen. Die reiche Sonneneinstrahlung, nährstoffreiche Böden und das im Sommer sickernde Schmelzwasser bewirken im Osten des Nationalparks Jotunheimen eine Höhe der Baumgrenze von 1200 m (Körner 2004). Die untere alpine Zone verzeichnet oberhalb der Baumgrenze relativ trockene Böden. Die Böden der Berghänge sind bedeckt mit Zwergstrauchheiden wie der Krähenbeere oder der roten Preiselbeere. In den Tälern wachsen aufgrund des durch die längere Abbildung 2.4.4 Wettervorhersage Nationalpark Jotun- Schneebedeckung feuchterem Boden Moose und heimen 14.08.09 bis 20.08.09 Krautweiden. Auf den Gipfeln und Bergkämmen,
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Jotunheimen der oberen alpinen Zone, sind stets Flechten vertreten (Körner 2004). Neben einer reichen Pflanzenwelt, beheimatet Jotunheimen auch viele Tierarten. Der Nationalpark zählt rund 6000 Rentiere. Darüber hinaus besiedeln Elche und Rotwild das Gebiet sowie auch Hasen, Füchse, Mäuse, Hermeline und Berglemminge. Selten anzutreffende Arten sind das Moorhuhn und der Steinadler. Nach Körner (2004) umfasst die Vogelwelt in Jotunheimen nahezu alle auf den Fjells im Süden Norwegens brütenden Arten.
biet zur größten Plateauvergletscherung Europas. In seinem nördlichen Teil erreicht der Jostedalsbreen eine Höhe von 2083 m über NN. Die Eismassen reichen als Gletscherzungen bis hinein in die Täler.
Literaturverzeichnis Glässer, E. (1978): Wissenschaftliche Länderkunden. Norwegen. Darmstadt. Körner, T. ( 2004): Outdoorhandbuch. Norwegen: Jotunheimen. Welver. Reuber O. u. M. (1999): Norwegen. Abrufbar unter: http://www.reuber-norwegen.de/FramesJoGletscher tunheimenAZ.html. (Datum: 13.09.09). In den Hochfjellbereichen Norwegens inmitten Wilson (2009): Storurdi: A late holocene rock-sloder Gebirgszüge der Skanden präsentieren sich pe failure in the Jotunheimen, southern noway. die mächtigsten Gletscher des europäischen FestUniversity of Ulster, Coleraine,UK. landes. Die Gesamtzahl der Gletscher in Norwegen liegt etwa bei 1700. In Südnorwegen, dem Jotunheimengebiet, bedecken die Gletscher ein Areal von rund 1900 km2 , in Nordnorwegen hingegen erstrecken sie sich über 1600 km2 (Glässer 1978). Das Jotunheimengebiet enthält aktuell nach Wilson (2009) viele dünnere Eisdecken sowie Talgletscher und Kargletscher. Die Permafrostgrenze liegt in Jotunheimen bei 1500 m. Während der letzten Eiszeit war ein Großteil des Gebietes von einer Eisdecke überdeckt. Nach dem Abschmelzen der Eisdecke wies Jotunheimen während des Holozäns keinerlei Vergletscherungen auf Wilson (2009). Es wird vermutet, dass die Eismassen, welche sich in Form von Plateau- und Tal-Gletschern präsentieren, in Folge der Klimaverschlechterung im Subatlantikum und damit des Absinkens der Schnee- und Waldgrenzen entstanden sind (Glässer 1978). Aus Untersuchungen ging hervor, dass sich das Eis der Jotunheimen Gletscher mit 8 m pro Jahr relativ langsam bewegt. Durch die Talabwärtsbewegung der Gletscher und das Mitführen von lockerem Gestein und Sediment entstehen uförmige Täler. Abgerundete Felsformationen markieren die oberste Grenze des Gletschereises und das mitgeschleppte Material wird als Grund- oder Endmoräne an der Basis der Gletscher abgeladen. Das mitgeführte Gesteinsmaterial verursacht eine deutliche, milchige Trübung des Wassers – die so genannte Gletschermilch (Körner 2004). Das Gletschergebiet des Jostedalsbreen, mit einer Größe von rund 1000 km2 , liegt westlich Jotunheimens zwischen den inneren Armen des Sogne- und Nordfjords. Die Ausbreitung und die enorme Eisdecke von 400-500 m machen das Ge-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
Gebirgszug Hardangervidda Martin Herzberger
Einleitung Die Hardangervidda liegt zentral im südlichen Teil Norwegens und ist mit einer Fläche von ca. 9.000 km² die größte Hochebene Europas (Direktoratet for naturforvaltning 2009). Die heute eher karge Landschaft wurde während den vergangenen Eiszeiten geformt und mehrfach glazial überprägt. Dadurch entstand die heute für die Hardangervidda typische Seen- und Hochgebirgslandschaft mit vereinzelten Erhebungen wie dem Hårteigen (1691 m ü.NN, siehe Abb. 3.5.1). Dem auf der Vidda vorherrschenden subarktischem Klima ist es zu verdanken dass auf der Hardangervidda viele arktische Pflanzen- und Tierarten zu finden sind. Um einen Teil dieses besonderen Natur- und Lebensraumes zu schützen, wurde 1981 der Nationalpark Hardangervidda gegründet. Dieser hat eine Fläche von 3422 km² und ist damit der größte Nationalpark Norwegens (Direktoratet for naturforvaltning 2009). Gemessen an der Gesamtfläche der Hardangervidda bildet er jedoch nur ein kleinen Teil der Hochebene. Jedes Jahr zieht es Tausende von Wanderern auf die Hardangervidda. Egal ob im Sommer oder im Winter – die Überquerung von
Europas größter Hochebene stellt für viele Touristen immer wieder ein großes Abenteuer dar (Visit Norway 2009). Lage/Geomorphologie Die Hardangervidda liegt zentral im südlichen Teil Norwegens. Von ihrem Zentrum aus sind es weniger als 150 km Luftlinie zu den Küstenstädten Bergen, Oslo und Stavanger. Der Hauptteil der Vidda liegt in den norwegischen Provinzen Hordaland und Telemark, nur ein kleiner Teil von ca. 1900 km² liegt in der Provinz Buskerud . Im Norden wird die Hardangervidda durch den Hardangerjøkulen und dem Gebirgsmassiv Hallingskarvet begrenzt. Im Osten liegt das Numedal, die westliche Grenze bilden der Sør- und Eidfjord. Weiter im Süden befinden sich größere Seen wie der Totakvatn und der Møsvatn (siehe Abb. 3.5.2). Die meisten Teile der Hardangervidda liegen oberhalb der Waldgrenze, wobei der östliche und mittlere Teil der Vidda flachhügelig ist, der westliche Teil dagegen gebirgiger. Die höchsten Erhebungen sind der Hardangerjøkkulen (1872 m) und der Hårteigen (1691 m) (Pollrich 2009).
Abbildung 2.5.1 Luf taufnahme mit Blick auf den Hårteigen (Quelle: guardian.co.uk)
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Gebirgszug Hardangervidda
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Abbildung 2.5.2 Karte des Nationalparks Hardangervidda (Quelle: Direktoratet for naturforvaltning, Norway)
Dieser Ost-West Gegensatz ist typisch für die ist, herrscht im Osten kontinentaleres Klima. Hardangervidda und zeigt sich auch in der Diffe- Deutlich wird die Differenziertheit des Klimas renziertheit des Klimas und der Vegetation. auf der Hardangervidda bei der Betrachtung von Daten verschiedener Klimastationen. Klima/Vegetation Abb. 3.5.3 zeigt ein Klimadiagramm für den „Das beinahe arktische Klima der Hardanger- Ort Vossavangen am westlichen Rand der Harvidda gilt allgemein als rau und unwirtlich und dangervidda. Hier zeigt sich dass in den Monanimmt eine Übergangsstellung zwischen mari- ten Oktober und November der meiste Niedertimen und kontinentalen Klima ein“ (Pol+lrich schlag fällt, meist bereits in Form von Schnee. 2009). Durch die breite Ost-West-Ausdehnung Die Monate Dezember bis Februar sind die kälder Hardangervidda gibt es markante Klimaun- testen Monate mit Temperaturen von bis zu –19 terschiede zwischen dem Ost- und Westteil. °C. Die wärmsten Temperaturen werden in den Während im Westen das Klima durch die vom Monaten Juli und August gemessen. Meer kommenden Westwinde maritim geprägt
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Abbildung 2.5.3 Klimadiagramm des Ortes Vossavangen (Quelle: yr.no)
Im Vergleich dazu zeigt Abb. 3.5.4 ein Klimadiagramm des Ortes Geilo, im östlichen Teil der Hardangervidda. Hier sind die Niederschläge im Jahresverlauf deutlich geringer, die Temperatu-
Abbildung 2.5.4 Klimadiagramm des Ortes Geilo (Quelle: yr.no)
ramplitude ist dagegen ähnlich groß wie die des Ortes Vossavangen. Ein Zeichen für ein kühles Kontinentalklima. Generell lässt sich sagen, dass durch die hohen Gebirgszüge im Westen Norwegens das ostnorwegische Binnenland vor Niederschlägen geschützt wird. Deshalb herrscht hier kontinenta-
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les Klima, das man aufgrund der Nähe zur Küste hier eigentlich nicht vermuten würde. Entstehung/Geologie: Die Hardangervidda in ihrer heutigen Form ist der Rest einer alten Gebirgslandschaft, die in der pleistozänen Eiszeit (Quartär) durch Gletscher
Gebirgszug Hardangervidda abgeschliffen wurde. Die Gletscher gaben dem Plateau seine heutige Form mit weiten Ebenen, flachen Seen und wenigen, sanft ansteigenden Gipfeln. Nur im höheren westlichen Teil, wo die Ebene zum Sørfjord und zum Eidfjord steil hinabfällt, gibt es schroffere Abschnitte. Geologisch gliedert sich der Aufbau der Hochebene in 3 Hauptgesteinsschichten. Das Fundament, das sog. Grundfjell besteht aus präkambrischen Gesteinen (vorherrschend sind hier Gneise und Granite). Darüber liegt eine Sedimentdecke die hauptsächlich aus Phylliten besteht. Darauf folgt eine dritte, dünne Lage von Quarziten, Gneisen und anderen kristallinen Gesteinen, die während der Kaledonischen Ge-
aus dem Grundgestein des Baltischen Schildes (auch Fennoskandischer Schild genannt, siehe Abb. 3.5 5). Durch Verwitterung wurde im Laufe der Zeit immer mehr Gesteinsmaterial erodiert und es bildete sich schließlich eine subkambrische Rumpffläche. Bei einem Anstieg des Meeresspiegels vor ungefähr 800 Millionen Jahren, wurden die niedrigen Bereiche dieser Rumpffläche anschließend vom Meer überflutet. Man vermutet das die Ebene ca. 150 Millionen Jahre vom Meer bedeckt wurde. Viel zeit, in der sich kalkhaltige Sedimente von mehreren hundert Metern Dicke ablagern konnten (Direktoratet for naturforvaltning 2009). Vor ca. 400 Millionen Jahren kam es dann zur
Abbildung 2.5.5 Geologischer Aufbau Skandinaviens (Quelle: alpinissimum.de)
birgsbildung entstand. „Hardangervidda is a typical highland plateau with extensive, undulaiting plains. […] The hard bedrock in the south-eastern part of the national park is the remnants of a more than 1 billionyear-old mountainous landscape” (Direktoratet for naturforvaltning 2009). Vor ca. 1 Milliarden Jahre war die Hardangervidda eine große Gebirgslandschaft, bestehend
kaledonischen Gebirgsbildung. Durch plattentektonische Verschiebungen kommt es zu einen Zusammenstoß des kanadischen Schildes mit dem Baltischen Schild und es kommt zur Auffaltung eines neuen Gebirges und damit zur Überlagerung der bisherigen Gesteinsschichten, durch eine neue und dritte Gesteinsschicht: die Jotundecke! Diese besteht im Wesentlichen aus hochmetamorphen Gesteinen Gneisen, Granuli-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 ten, Amphiboliten (Scholz & Obst 2004). Im Laufe der Erdgeschichte, vor allem während der Eiszeiten wurden in großen Teilen der Hardangervidda, aber besonders im Osten die Schichten 2 und 3 abgetragen. „So steht hier das präkambrische Grundfjell als Fastebene an der Oberfläche an. Nur im nördlichen und westlichen Teil der Vidda ist die Dreigliederung noch erhalten. Zu sehen ist dies am Hårteigen (einem Tafelberg), und dem Hardangerjøkulen (einem Plateugletscher) . Besonders im südlichen und östlichen Teil im Bereich der Seen Mårvatn, Langesjøen, Bjornefjord, Nordmannslågen, Møsvatn und Sonsvatn sind die Gesteine teilweise von glazialen Lockermassen bedeckt“ (Pollrich 2009). Flora/Fauna Die Hardangervidda ist Lebensraum für viele Pflanzen und Tierarten. Bedingt durch das dort herrschende subarktische Klima haben viele arktische Pflanzen hier ihr südlichstes Vorkommen, wie z.B. die arktische Himbeere (Rubus arcticus). Die reichste und interessanteste Flora befindet sich in der West-Hardangervidda, wo gleichmäßigere Temperaturen herrschen und der Boden nährstoffreicher ist (Direktoratet for naturforvaltning 2009).Hier findet man farbenfrohe Blumen wie der Schnee-Enzian oder die Bergveronika. Die schneearme, windausgesetzte Ostvidda
reichtum der Hardangervidda. Als das Eis sich vor 9000 Jahren vom Hochplateau zurückzog, wuchsen als erstes die Flechten, die die Grundnahrung für die Rentiere bildeten (siehe Abb. 3.5.6). Heute leben auf der Hardangervidda die Hälfte aller Wildrentiere Europas und bilden dort die größte Wildrenherde. Im Winter 2003/2004 betrug der Bestand 5500 Tiere, im Winter 2005 ca. 7000 Tiere (Alp & Fjell Wanderreisen 2008).
Abbildung 2.5.7 Rentierherde (Quelle: polar-reisen.de)
„Every spring, the large herds of wild reindeer migrate westwards from their winter grazing on the eastern part of the plateau where high precipitation and nutrient-rich soils provide good summer grazing with succulent grass for both reindeer and domestic livestock” (Direktoratet for naturforvaltning 2009). Im Winter leben die Rentiere in der Ost-Hardangervidda (siehe Abb. 3.5.7). Ab Mai flüchten sie vor Mücken und Bremsen und ziehen zu ihren Kalbgebieten in der Westvidda. Seit dem Sommer 1998 werden die Rentiere von der staatlichen Naturaufsicht verwaltet, die die Jagd reguliert. Ziel ist, den Winterbestand bei 10.000 Tieren stabil zu halten. Neben den Rentieren leben auf dem Hochplateau leben geschätzte 20 weitere Tierarten, wie z.B. die Berglemminge und rund 100 Vogelarten, wie die Schneeeule. Die Hardangervidda ist nicht nur deswegen ein Natur- und Lebensraum den es auch in Zukunft zu schützen gilt.
Literatur Scholz, H. & K. Obst (2004): Einführung in die lung.berlin.de) Geologie Skandinaviens. In: Geologische ist dagegen weniger fruchtbar und eher karg. Rundschau 56 (2004) Heft 2). Von besonderer Bedeutung ist der Flechten- Direktoratet for Naturforvaltning Norge: “HarAbbildung 2.5.6 Rentierflechten (Quelle: stadtentwick-
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Gebirgszug Hardangervidda
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dangervidda – The largest Highland Plateau in Northern Europe” (2009) (abrufbar unter: http://www.dirnat.no/hardangervidda/, abgerufen am: 23.07.09) Visit Norway “Gebirgsführer Norwegen – Hardangervidda” (2009): (abrufbar unter: http://www. visitnorway.com/de/Articles/Theme/Bergwelt-/Gebirgsfuhrer-Norwegen/Hardangervidda/, abgerufen am: 23.07.09) Pollrich, R.: „Hardangervidda“ (2009): (abrufbar unter: http://wiki.outdoorseiten.net/ index.php/Hardangervidda, abgerufen am: 23.07.09) „Wandern und Trekking im Hardangervidda Nationalpark“ (2008): (abrufbar unter: http:// www.alp-und-fjell-wanderreisen.de/content/ view/33/53/lang,de/, abgerufen am: 23.07.09)
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Hochgebirgsböden in Norwegen
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in wichtiger Aspekt der mittleren Exkursion in die Gebirge Norwegens war auch das Thema Bodenkunde. An einigen Standorten konnten die Studenten die pedologischen Verhältnisse im Gebirge vor Ort betrachten, analysieren und anschließend diskutieren. Im vorliegenden Text sollen die wichtigsten bodenkundlichen Fakten für das norwegische Hochgebirge aufgegriffen und ihre Besonderheiten herausgestellt werden. Bodenbildung Für die Ausbildung eines Bodens sind im Wesentlichen die bodenbildenden Faktoren verantwortlich. Diese führen zu den entsprechenden Merkmalen eines Bodens, die wiederum durch die Prozesse hervorgerufen werden. Die wichtigsten Faktoren der Bodenbildung sind Gestein, Klima, Vegetation, Relief und Zeit. Gerade in Skandinavien sind die Randbedingungen für die Pedogenese - zum einen durch Expositionsunterschiede und zum anderen durch das vielgestaltige Ausgangsgestein - sehr variabel. Dies wirkt sich in einer sehr unterschiedlichen Ausgestaltung der Bodenprofile aus. In den folgenden Abschnitten soll kurz auf die Faktoren der Bodenbildung in Hinblick auf die norwegischen Verhältnisse eingegangen werden.
Angela Saupe
rund 900 – 1000 Millionen Jahre alt. In mehreren Phasen, hauptsächlich jedoch im Silur, wurden die Kaledoniden aufgefaltet. Durch den Druck gegen das archaische Vorland im Osten kam es zur Schieferung und metamorpher Überprägung. So sind im Fjell kambro- silurische Metamorphite wie Glimmerschiefer oder Phyllit und auch basische Ergussgesteine zu finden (Dierssen 1996).
Klima Die wesentlichen Faktoren sind hier Wasser und Temperatur. Die eingestrahlte Wärme führt zur Erwärmung des Bodens und Gesteins und beeinflusst somit Verwitterungs- und Zersetzungsintensität wesentlich. Der Golfstrom bringt große Wärmemengen nach Norwegen, deshalb sind die Temperaturen gemäßigter als an anderen Orten mit entsprechender Breitenlage. Dies wirkt sich sowohl auf die täglichen als auch auf die jährlichen Temperaturschwankungen aus. Der Niederschlag ist der weitere wichtige Parameter. Er ist als Quelle des Bodenwassers die Grundlage für jegliche biologische, chemische und physikalische Aktivität im Boden. Die Niederschlagsverhältnisse hängen in Norwegen unter anderem von der Ozeanität ab. Von den Küstenbereichen ins Landesinnere ist ein steiGestein les Ozeanitätsgefälle vorhanden, d.h. von West Das Ausgangsgestein ist das Substrat der Boden- nach Ost nehmen die Niederschläge ab und die bildung und der Lieferant der mineralischen Bo- Temperaturschwankungen zu. denbestandteile. Dabei sind die chemische und die mineralische Zusammensetzung von weRelief sentlicher Bedeutung. So bewirkt die Gesteins- Diesem Faktor kommt in Gebirgslagen eine bebeschaffenheit, wie weit sich ein Boden entwic- sondere Bedeutung zu. Hierbei müssen mehrere keln kann. Auch das Gefüge und die Körnung Dimensionen, sowohl die Höhenlage als auch des Ausgangsgesteins ist ein wesentlicher Fak- die Oberflächenform, mit einbezogen werden. tor, da Festgestein der Bodenbildung grundsätz- Das Relief steht auch in Wechselwirkung mit der lich mehr Widerstand bietet als Lockergestein Erosion, die sich gegenseitig beeinflussen. Im (Blum 2007). Wesentlichen geht es dabei um Erosion durch In Norwegen stammen die Gesteine des groß- Wind und Wasser. Insbesondere die Wassereroflächig landschaftsprägenden kaledonischen sion stellt in Hanglagen den hemmenden Faktor Gebirges aus unterem Paläozoikum und sind für die Bodenbildung dar.
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Hochgebirgsböden in Norwegen Vegetation Die Vegetation ist als nicht eigenständiger Faktor wesentlich von den bereits genannten bodenbildenden Faktoren, insbesondere dem Klima, abhängig. Dennoch wirkt die Vegetation wesentlich in verschiedener Weise auf die Bodenentwicklung ein. Zum einen ist die Vegetation Lieferant der organischen Bodensubstanz und damit der Humusauflage des Oberbodens. Je nach Höhenlage und Exposition des Standorts variiert die Vegetation in den Hochgebirgslagen stark. Zum anderen wirkt die Vegetation ausgleichend auf das Mikroklima und schützt den Boden wesentlich von Erosion und Deflation. Daraus wird deutlich welche Bedeutung die Vegetation für die Bodenentwicklung, speziell im Hochgebirge, hat (Blum 2007). Zeit Nach Blum (2007) ist Zeit nicht als bodenbildender Faktor anzusehen, da er weder energetisch noch materiell wirkt. Lediglich im Verlauf der Zeit kommen die anderen genannten Faktoren in Wechselwirkung zur Geltung. In Norwegen ist in diesem Zusammenhang jedoch der Faktor Zeit dennoch zu nennen, da Skandinavien seit Ende des Tertiärs mehrmalig von vollständiger Vereisung betroffen war. Aus diesem Grund hat die Bodenbildung in Norwegen erst nach dem Abschmelzen des Inlandeises beginnen können und im Verhältnis „relativ wenig“ Zeit gehabt.
weitere chemische Verwitterung stattgefunden. Solch ein wenig ausdifferenzierter Gesteinsrohboden wird auch als Syrosem bezeichnet. Durch die Hanglage eines Syrosems kommt es zu Erosion und dadurch zur Verhinderung der Bodenbildung. Eine weitere Form eines Rohbodens ist der Frostmusterboden. Durch Kryoturbation wird eine Bodenbildung unterbunden. Dieser Boden herrscht überwiegend in Gebieten mit Permafrost, insbesondere in Gebrigsregionen, vor und bildet charakteristische Streifen- Girlanden- oder Polygonstrukturen aus (Blum 2007). Entwickelte O/C- Böden Bei diesen Böden ist im Gegensatz zu Rohböden der A- Horizont schon weiter entwickelt, der C- Horizont jedoch noch nicht verlehmt. Die Humusakkumulation im A- Horizont ist von der jeweiligen Standortqualität und Vegetation abhängig. Alle Böden dieser Klasse können auch erosionsbedingte Degradationsstadien aufweisen. Ein weit verbreiteter Boden im Hochgebirge ist der Skeletthumusboden. Durch die klimatischen Bedingungen wird die entstehende organische Substanz langsam ungesetzt und es kommt zur Anreicherung von Humus auf dem Skelettboden und in dessen Hohlräumen. Innerhalb dieser Bodenklasse lassen sich die Böden anhand des Ausgangsmaterials weiter unterscheiden. Böden aus silikatischem oder quarzitischem Untergrund werden bei Festgestein als Ranker, bei Lockersedimenten als Regosol bezeichnet. Eine Unterteilung bezüglich der Morphologie des Ausgangsmaterials findet auch bei carbonatischem Gestein statt. Boden auf festem Carbonatgestein wie Kalkstein oder Dolomit werden als Ranker bezeichnet, Böden auf lockerem carbonatischem, oft auch silikatischem Mischgestein als Pararendzina (Blum 2007).
Böden In den Folgenden Abschnitten werden die für die norwegischen Hochlagen wichtigsten Böden mit ihrer Entstehung beschrieben. Hierbei ist anzumerken, dass nur die „klassischen“ Erscheinungsformen der Böden aufgezeigt werden, die aber in jedem Fall auch stark von dieser Form abweichen können. Des Weiteren ist wichtig, dass die Böden sowohl über große Flächen, oftmals auch in Vergesellschaftung mit anderen Braunerde Böden vorliegen können. Eine Braunerde ist ein mäßig entwickelter Boden mit einem braunen Verwitterungshorizont zwiRohböden schen humosem Oberboden und unverwitterEin Rohboden entspricht dem Anfangsstadium tem Ausgangsgestein. Charakteristisch für eine der Bodenentwicklung. Deshalb ist ein extrem Braunerde ist ein Ah- Bv- C- Profil. Der humose schwacher A-Horizont über dem Ausgangsge- A- Horizont geht in einen braunen Bv- Horizont stein charakteristisch, es hat aber noch keine über, der durch den bodenbildenden Prozess der
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Verbraunung entsteht. Eine Braunerde ist ein Boden, der sich im Laufe der Bodenentwicklung aus einem Ranker oder Regosol, d.h. aus einem silikatischem/ quarzitischem Ausgangsgestein, entwickelt. Durch die Silikatverwitterung wird die Verbraunung und Verlehmung hervorgerufen. Unter Verbraunung wird die Verwitterung eisenhaltiger Minerale und die dadurch hervorgerufene Freisetzung von braun gefärbten Eisenoxiden verstanden. Durch die Reaktion des Eisens mit organischen Säuren kann es auch zur organischen Komplexbildung kommen. Als Verlehmung wird die Tonmineralbildung bezeichnet, die mit der Verbraunung einher geht (Scheffer & Schachtschabel 2002). Eine pedochemische Translokation der Stoffe findet nicht statt. Braunerden sind oft in Vergesellschaftung mit Podsolen zu finden. Podsol Der Podsol, auch Bleicherde genannt, ist ein stark saurer und in der Regel sandiger Boden. Er kommt hauptsächlich in kühl- gemäßigten humiden Klimabereichen vor und entwickelt sich unter Wald oder Heidevegetation, oftmals sekundär aus Braunerde. Die charakteristische Horizontabfolge eines Podsols ist O- Ahe- Ae- B(s)hB(h)s- C, die durch den bodenbildenden Prozess der Podsolierung entsteht. Die Verwitterungsund Podsolierungsprozesse verlaufen am besten unter Einfluss eines kalt- bis gemäßigt- humiden Klima, wie dem in Norwegen, ab. Durch intensive Niederschläge erfolgt mit dem Sickerwasser die Verlagerung der Stoffe vom Oberboden in den Unterboden. Deshalb ist eine weitere Voraussetzung ein leicht durchlässiges Substrat wie z.B. Sand und eine Vegetation mit geringen Nährstoffansprüchen und nährstoffarmen Vegetationsrückständen. In Skandinavien sind auch Nanopodsole verbreitet, deren Bleichhorizont sehr gering ist und nur wenige mm bis cm umfasst. Der Prozess der Podsolierung ist zwar bis heute in der Wissenschaft nicht vollständig aufgeklärt, aber ein gängiger Erklärungsansatz wird nachfolgend aufgegriffen. Podsolierung findet hauptsächlich unter Nadelwald und auch Heidevegetation statt, deren Streu nährstoffärmer und schwerer zersetzbar ist. Dadurch akkumuliert sich der Rohhumus und bildet saure, orga-
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nische Säuren. Diese wirken als Komplexbildner und zerstören primäre und Sekundäre Minerale. Durch das Sickerwasser erfolgt eine abwärts gerichtete Umlagerung von gelösten organischen Stoffen, Huminstoffen, Eisen, Aluminium und Sesquioxiden. Das saure Milieu verursacht einen Nährstoffmangel, der wiederum den mikrobiellen Abbau der organischen Komplexbildner hemmt. Dadurch werden die gelösten Stoffe nicht verarbeitet und bleiben in Lösung. Der durch die Zersetzung hervorgerufene Eisen- und Aluminiumgehalt verringert die Immobilisierung der Huminstoffe, die somit verlagerbar bleiben (Scheffer & Schachtschabel 2002). Es entsteht ein gebleichter, aschgrauer Eluvialhorizont, der an Mineralen und organischer Substanz verarmt ist. Im Unterboden erfolgt die Anreicherung der verlagerten Stoffe. Zum einen wird mit der Verlagerung der Eisen und Aluminiumgehalt geringer und somit das Ausflocken der organischen Komplexe begünstigt und zum anderen führt der ansteigende pH-Wert im Unterboden zu einer Ausflockung der metallorganischen Komplexe (Scheffer & Schachtschabel 2002). In diesem Anreicherungshorizont entsteht durch die organische Substanz schwarz gefärbter Bh– Horizont über einem durch Sesquioxide rotgefärbten BsHorizont. Es kann in diesem Bereich auch zur Bildung von Ortstein kommen. Stauwasserböden Unter dem Begriff Stauwasserboden werden Pseudogley oder als stark ausgeprägte Form, der Stagnogley, verstanden. In diesen Böden wird durch einen im Boden liegenden Staukörper Wasser aufgestaut, das unter entsprechenden Bedingungen zu Redox- Prozessen im Boden führt, die wiederum zu Rost- und Graufleckung führen, die für Pseudogleye charakteristisch ist. Daraus resultiert die entsprechende Horizontabfolge AhGo- Gr. Demnach ist der Boden in einen Oxidations und einen Reduktionshorizont unterteilt. Im Oberboden kommt es durch zeitweise Belüftung zur charakteristischen Rotfleckung durch Oxidation des Eisens. Der Unterboden ist ständig vernässt und entwickelt ohne Sauerstoffzufuhr einen grauschwarzen Reduktionshorizont. Nach Löffler (1998) kann bei einem Stagnoboden aber auch bei periodisch auftretendem Stagnations-
Hochgebirgsböden in Norwegen wasser die Phase der Wassersättigung zu kurz sein, um reduzierende Merkmale auszubilden. In den norwegischen Hochlagen kann es durch die Prozesse der Kryoturbation und Solifluktion infolge der entsprechenden klimatischen Bedingungen zur Ausbildung von Kryoturbationsgleyen kommen (Dierssen 1996). Moore Als Moor werden nach Blum (2007) hydromorphe Bildungen mit über 3 Dezimeter mächtigen Torfhorizonten bei Humusgehalten von mindestens 30 % definiert. Im norwegischen Hochgebirge handelt es sich um Hochmoore, die nicht unter Grundwassereinfluss entstanden sind, sondern beispielsweise durch Ansammlung von Niederschlagswasser. Ein Moor entsteht, wenn durch den hohen Wasserstand und somit Sauerstoffmangel der Abbau der anfallenden Streu gehemmt wird und somit sich große Mengen an organischer Substanz als Torf anreichern. Die Mächtigkeit der Torfe nimmt jedoch mit der Höhe über NN ab (Dierssen 1996). Ein Hochmoor kann sich auch aus der Humusauflage eines Podsols oder auch eines Stagnogleys herausbilden, wobei die niedrigen Temperaturen die Moorbildung begünstigen (Scheffer & Schachtschabel 2002).
Verbreitung und Vorkommen der Böden Die Verbreitung einer Bodenart ist jeweils an charakteristische Standortbedingungen gebunden, die sich in den entsprechenden Lagen wieder finden. So treten in reliefbedingten Tiefenlangen und Mulden aufgrund von Stauwasser je
Abbildung 3.6.1 Verteilung der Bodenklassen in Abhängigkeit der Exposition (eigene Darstellung)
nach Vegetationsvorkommen Stauwasserböden bzw. Moore auf. Kuppenlagen sind oft starker Erosion – im Sommer durch Wind und Austrocknung, im Winter durch Eis - ausgesetzt, die der Bodenbildung entgegenwirkt. So sind in diesen Bereichen abhängig vom Ausgangsgestein die entwickelten O/C- Böden, meist Ranker, typisch. An Hanglagen hingegen ist der Abfluss des Niederschlagswassers und somit keine Stauwasseransammlung gewährleistet. Dies führt in diesen Bereichen tendenziell zur Ausbildung von Podsolen und Braunerden. Bei diesen beiden Bodenklassen ist jedoch zusätzlich eine expositionsbedingte Differenzierung festzustellen. So weisen bei gleichen Bedingungen – gleiche Vegetation, Abflussbedingungen und Humuszusammensetzung - südexponierte Hanglagen Podsole, nordexponierte Hanglagen hingegen Braunerden auf. Diese Verteilung ist in Abbildung 3.6.1 schematisch dargestellt. Nach Untersuchungen von Löffler (1998) ist die Braunerde- Podsol- Verteilung zusätzlich noch an Höhenstufen gebunden. So weist die mittlere alpine Stufe trotz Südexposition keine Podsole, sondern nur Braunerden, auf. Die Erscheinung „Podsol- südexponiert“ und „Braunerde- nordexponiert“ tritt erst wieder in der unteren alpinen Stufe auf. Als Ursache für diese auffällige Verteilung können die entsprechenden klimatischen Verhältnisse an nord- bzw. südexponierten Hängen angenommen werden. So ist ein Nordhang nicht von der Sonneneinstrahlung beeinflusst und weist somit ein extremeres, kälteres Klima auf, wohingegen ein Südhang durch die Sonneneinstrahlung zumindest in den Sommermonaten eine konstante Erwärmung im Oberboden erfährt. Daraus lässt sich ableiten, dass die Bodenbildungsprozesse durchaus von der Bodenerwärmung durch Einstrahlung abhängen. Mit diesem Hintergrund könnte nach Löffler (1998: 51) „die Erwärmung des Oberbodens die (…) nötige thermische Energie für den Ablauf chemischer Lösungsprozesse liefern und damit die Grundlage für eine abwärtsgerichtete Translokation bei Sickerung des Bodenwassers schaffen“. Dies bezieht sich hierbei auf die Translokation von Humuskomplexen und Sesquioxiden. Trotz der markanten Temperaturun-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 terschiede im Oberboden der beiden Hanglagen sind die Temperaturen im Unterbodenbereich etwa identisch. Dieser dadurch auftretende Temperaturgradient im Profil eines Südhangs, d.h. Podsols, könnte neben bereits erwähnten Ursachen zusätzlich die Ausfällung der gelösten Stoffe begünstigen. Der Zusammenhang zwischen der Bodenvarianz, d.h. der auftretenden Bodenklasse, und den Faktoren Bodentemperatur und Sickerungsvermögen wird in der nachfolgenden Abbildung 3.6.2 veranschaulicht. Der Faktor Bodentemperatur ist hierbei Ausdruck der Hanglage des entsprechenden Bodens. Der Faktor Sickerungsvermögen steht in direkter Verbindung mit der Relieflage des Bodens.
Abbildung 3.6.2 Pedovarianz in Abhängigkeit von Sickerungsvermögen und Bodentemperatur (Löffler 1999: 53)
Fazit Hinsichtlich der vielschichtigen Ausgangsbedingungen kann man sagen, dass die Hochgebirge Norwegens in Bezug auf die Böden und deren Entwicklung eine Besonderheit darstellen. Im Hinblick auf die Vegetation wird auch nochmals verdeutlicht, welche Stellung der Boden in dem Komplexen System Umwelt einnimmt. Jedoch sind die Untersuchungen im Bereich der Bodenkunde in Hochgebirgen Norwegens noch lange nicht beendet und gerade bei den entsprechenden Prozessen und deren Zusammenhänge mit den bodenbildenden Faktoren besteht noch Forschungsbedarf. Literatur Blum, W. (2007 ): Bodenkunde in Stichworten. 6
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Nationalpark Rondane Foto: Daniel Koch
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Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient der Skanden in Mittelnorwegen Kathrin-Alessa Weber Einleitung ergleicht man eine bodenkundliche Karte von Norwegen mit einer, in der die Vegetationsverteilung aufgezeigt wird fällt auf, dass es in Gebieten mit stark variierenden Bodentypen zur Ansiedlung relativ homogener Vegetationsdecken kommen kann, während sich in Gebieten mit nur geringfügig variierenden Bodentypen die Bildung einer besonders artenreichen Vegetationsdecke möglich ist (Löffler 1998). Eine Erklärung für dieses Phänomen könnte der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient liefern. Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient beschreibt die Intensität des Übergangs vom maritim zum kontinental geprägten Klima. Da weder Ozeanität noch Kontinentalität eigenständige Klimaelemente darstellen kann der Gradient nur über messbare Indikatoren angegeben werden. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen thermischer und hygrischer Kontinentalität bzw. Ozeanität. Das bedeutet, dass sowohl Temperaturschwankungen, als auch die Niederschlagsverteilung in einer Region relevant sind um den Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradienten zu bestimmen. Die drastischen Änderungen der Temperatur- und Niederschlagverhältnisse von der Westküste zu den Hochgebirgsregionen in den zentral- und ostnorwegischen Skanden tragen zur Ausprägung der unterschiedlichen Bodentypen bei. Gleichzeitig nehmen sie Einfluss auf die Ansiedlung unterschiedlicher Vegetationstypen. Die Mächtigkeit der Schneedecke im Winter beispielsweise, fördert, oder verhindert, dass Bäume, Sträucher, oder Flechten in bestimmten Regionen überleben können. Um einen genaueren Eindruck von der Wirkung des Gradienten in Norwegen zu bekommen werden die klimatischen Unterschiede und Übergänge in der vorliegenden Arbeit auf ver-
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schiedenen Ebenen betrachtet. Nach der Explikation der Begriffe „Ozeanität“ und „Kontinentalität“ in Kapitel eins, folgt zunächst eine Gegenüberstellung der am stärksten ozeanisch bzw. kontinental geprägte Städte Norwegens: Bergen, an der Westküste und Vågå, östlich im Hochgebirge gelegen. Die klimatischen Unterschiede werden durch die vertikale Gebirgsgliederung der Skanden zusätzlich unterstützt. Daher wird im dritten Kapitel von einem größeren Maßstab ausgegangen anhand dessen die unterschiedlichen Auswirkungen des Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradienten auf die Höhenstufen im westlichen und östlichen Hochgebirge erläutert werden. Kontinentalität und Ozeanität Kontinentalität bezeichnet das Maß der aus der Lage auf einer Festlandsmasse ableitbaren Einflüsse auf das Klima, einschließlich der daraus resultierenden besonderen Klimaeigenschaften der inneren Kontinente. Es wird unterschieden zwischen thermischer und hygrischer Kontinentalität (Diercke 2005). Landmassen haben eine deutlich geringere Wärmespeicherkapazität als Wasser, was zur Folge hat, dass es kurzfristig zu starken Temperaturanstiegen kommen kann. Auf Grund des Wassermangels kommt es nur selten zur Wolkenbildung, wodurch sich die Ausstrahlungsintensität deutlich erhöht und die Kontinente schnell wieder auskühlen. Somit kommt es in kontinental geprägten Regionen zu besonders großen Tagestemperaturamplituden. Durch die geringe Wolkenbildung zeichnen sich diese Regionen zudem durch geringe Niederschlagssummen aus. Kontinentalität wird üblicher Weise in Prozent angegeben. Dafür wird zunächst die Temperaturamplitude zwischen heißestem und kältestem
Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient Abbildung 3.1.1 Ü b e r gänge vom ozeanischen zum subkontinentalen Klima der Skanden in Mittelnorwegen. Quelle: RÖSSLER,O. 2007
Monatsmittelwert berechnet und anschließend mit der größten jemals gemessenen Amplitude in Verhältnis gesetzt. Diese liegt bei 65,5°C und wird als 100% kontinental bezeichnet. In Mittelnorwegen liegt der Kontinentalitätsgrad bei 57% und kann somit als subkontinental bezeichnet werden, ist aber im Vergleich zum Umland als extrem kontinental einzustufen. (Löffler 1998)
Ozeanität, oder auch Maritimität bezeichnet den Grad des Einflusses des Meeres auf das Klima. Auf Grund der hohen Wärmespeicherkapazität von Wasser ist die Temperatur ausgeglichener, die Temperaturamplituden geringer. Gleichzeitig kommt es zu deutlich höheren Niederschlagssummen als im Innland. Durch die Meeresnähe sind maritim geprägte Regionen außerdem durch Land-See-Winde gekennzeichnet (Diercke 2005). Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient gibt an, wie schnell und wie deutlich sich der Wechsel von ozeanisch zu kontinental geprägtem Klima vollzieht. Er beschreibt die unterschiedliche Reaktion von Land und Meer auf den Strahlungshaushalt und betrifft direkt, oder indirekt alle Klimaelemente. Besonders hervorgehoben werden jedoch meist nur die thermischen und hygrischen Auswirkungen. In Norwegen, westlich an den Golfstrom grenzend, östlich durch das Hochgebirge der Skanden gekennzeichnet ist auf kurzer Distanz ein deutlicher klimatischer Wandel zu beobachten,
der im Folgenden beschrieben und dessen Auswirkungen auf das Ökosystem aufgezeigt werden sollen. Ost-West Unterschiede – Klimatischer Vergleich zwischen den Extremen: Bergen und Vågå Bergen liegt unmittelbar an der Westküste Norwegens und nur 12 m über NN. Die Meeresnähe wirkt sich deutlich auf das Klima aus. Mit einer Durchschnittstemperatur von 7,7°C befindet sich die Stadt außerhalb des Permafrostgebietes. Die Jahrestemperaturamplitude ist relativ gering, da das Meer als Wärmespeicher dient. Gleichzeitig kommt es durch erhöhte Evaporationsraten zur verstärkten Wolkenbildung und hohen Jahresniederschlagssummen. Mit durchschnittlich 2250mm Jahresniederschlag gehört Bergen zu den regenreichsten Städten Europas (Diercke 2008). Ca. 300 km nord-östlich von Bergen und 1092 m ü NN, liegt Vågå. Es ist die am stärksten kontinental geprägte Region Norwegens. Die Durchschnittstemperaturen sind sehr niedrig, ebenso die jährlichen Niederschlagssummen. Oberhalb von 1000 m über NN herrschen Permafrostbedingungen, also langjährige Jahresmitteltemperaturen von unter 0°C. In Vågå liegt sie bei -0,7°C, die Jahresniederschlagssumme durchschnittlich bei 325 mm (Löffler 1998). Für die Verbreitung bestimmter Vegetationstypen und die Dichte der Vegetationsdecke
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 spielt neben Temperatur- und Niederschlagsverhältnissen auch der Wind eine wichtige Rolle. Winterliche Nord- bis Nordwestwinde sorgen für Schneeverwehungen. Die Mächtigkeit der Schneedecke und die mit ihr einhergehende isolierende Wirkung führen sowohl zu einer ausdifferenzierten Ansiedlung von Vegetation in den Höhenstufen des Gebirges, als auch an Luv- und Leeseite. Neben der winterlichen Schneeverwehung und –akkumulation sind auch die sommerlichen West- und niederschlagsbringenden Südostwinde entscheidend für die mögliche Ansiedlung bestimmter Pflanzenarten (Löffler 2003). Der Vergleich zwischen den Städten Bergen und Vågå vermittelt eine Vorstellung von der Intensität des Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradienten in Mittelnorwegen. In Abb. 3.1.1 werden neben der stark maritim geprägten Westküste und dem trocken kontinentalen Klima im östlichen Hochgebirge auch die Übergänge zwischen den beiden Regionen dargestellt. Klimatische Unterschiede zwischen den Höhenstufen im östlichen und westlichen Hochgebirge Mittelnorwegens Die Hochgebirge lassen sich in drei Stufen unterteilen, die sich hinsichtlich ihrer Temperatur-, Niederschlags- und Windverhältnissen sowie ihrer spezifischen Vegetation unterscheiden. Die montane, die untere alpine und die mittlere alpine Höhenstufe. Die montane Stufe ist sowohl im westlichen als auch im östlichen Hochgebirge durch mildere Temperaturen gekennzeichnet und frei von kontinuierlichem Permafrost. Die extreme Temperaturamplitude im kontinental geprägten Osten führt jedoch dazu, dass sich Kiefern als dominantester Vegetationstyp durchgesetzt haben. Sie kommen sowohl mit den niedrigen Temperaturen im Winter, als auch mir den Dürreperioden im Sommer am besten zurecht. Im westlichen Hochgebirge zeichnet sich die montane Stufe vor allem durch die Ansiedlung von Birkenwäldern aus. Das Klima ist milder als im Osten und durch die Lage am Golfstrom ausgeglichener. Diese klimatischen Unterschiede führen außerdem dazu, dass die Baumgrenze im Westen deutlich höher liegt als im Osten.
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Oberhalb der Baumgrenze, ab ca. 700 - 1000m ü NN beginnt die untere alpine Höhenstufe. Sie ist im Osten durch eine deutlich höhere solare Einstrahlung gekennzeichnet als im Westen. Grund dafür ist die geringere Wolkenbildung und daraus resultierenden geringere Niederschlagssummen als im Westen. Auch die Niederschlagsformen unterscheiden sich: Während im Osten vorwiegend kurze, konvektive Niederschläge auftreten ist der ozeanisch geprägte Westen durch Dauerniederschläge gekennzeichnet. Trotzdem ist die Bodenfeuchte auch in Ostnorwegen mit 20-30% verhältnismäßig hoch. Somit stellt die Verfügbarkeit von Wasser weder in im westlichen noch im östlichen Norwegen einen limitierenden Faktor für die Vegetation dar. Die mittlere alpine Höhenstufe in Ostnorwegen ist durch höhere Niederschlagssummen als die untere, allerdings auch durch niedrigere als die westliche mittlere alpine Höhenstufe gekennzeichnet. Auch die Bodenfeuchte ist höher als in der unteren alpinen Höhenstufe, jedoch niedriger als im Westen. Sowohl in der unteren als auch in der mittleren alpinen Höhenstufe spielt der Wind und die durch ihn hervorgerufenen Schneeverwehungen im Winter eine besondere Rolle für die mögliche Ansiedlung von Vegetation. In beiden Höhenstufen führen die winterlichen Nord-, Nord-West-Winde zu meist schneefreien Kuppen. Durch die fehlende Isolationswirkung des Schnees wird somit die Ansiedlung von Vegetation auf den Kuppen verhindert. Auch die angrenzenden Hangebereiche sind im Winter oft nur mit einer dünnen Schneedecke bedeckt. Trotz der häufig geringen Mächtigkeit und dem frühzeitigen Abschmelzen ist die Schneedecke doch ausreichend um das Überleben von beispielsweise Flechten zu sichern. Zur Akkumulation größerer Schneemengen kommt es besonders auf den Leeseiten der westexponierten Täler. Insgesamt ist die mittlere alpine Höhenstufe durch eine spärliche Vegetationsdecke gekennzeichnet, die vorwiegend aus Flechten besteht. Diese sind in der Lage trotz kurzer Vegetationsperiode zu überleben. Die mittlere alpine Höhenstufe ist lediglich 11-12 Wochen pro Jahr schneefrei. Abb. 3.1.2 fasst die Hauptunterschiede der
Der Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradient
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gian Scandes. In: Geoöko, 28, S.104-114.
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Abbildung 3.1.2 Gegenüberstellung der klimatischen unterschiede zwischen den östlichen und westlichen Skanden Mittelnorwegens unterteilt in untere und mittlere alpine Höhenstufe. Quelle: LÖFFLER, J. und FINCH, S.503
unteren und mittleren alpinen Höhenstufe ins West- und Ostnorwegen in jeweils vier Graphen pro Höhenstufe zusammen.
Literaturverzeichnis Diercke (2005) : Wörterbuch Allgemeine Geographie. (Westermann) Braunschweig. Diercke (2008): Weltatlas. (Westermann) Braunschweig. Löffler, J. (1998): Geoökologische Untersuchungen zur Struktur mittelnorwegischer Hochgebirgsökosysteme. (Bibliotheks- und Informationssystem der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) Oldenburg. Löffler, J. (2003): Geoökologische Untersuchungen zur Prozessdynamik mittelnorwegischer Hochgebirgsökosysteme. (Bibliotheks- und Informationssystem der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) Oldenbug. Rössler, O. & Löffler, J. (2007): Uncertainties of Treeline Alterations Due to Climatic Change During the Past Century in the Central Norwe13
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Gletscher und Klimawandel in Norwegen Ulrike Rippke und Valentin Louis Einleitung m Rahmen der Exkursion besuchten die Teilnehmer am 01.08.2009 das Gletschergebiet des Storbreen, um sich dem Thema Gletscher und Klimawandel in Norwegen zu nähern. Während des Exkursionstages wurde die Gruppe von Dr. Stefan Winkler, Dozent für Physische Geographie mit Schwerpunkt Glaziologie und Geomorphologie am Institut für Geographie in Würzburg und Prof. John Matthews von der Swansea University, ebenfalls Experte für die Glaziologie Norwegens, begleitet. Im Folgenden sollen zunächst Messmethoden als Hilfsmittel zur Beantwortung der Frage, ob Gletscher als Klimazeugen von Bedeutung sind und ob der Gletscherschwund auf globaler Ebene gleichermaßen stattfindet oder Regional differenziert auftritt, vorgestellt werden. Hier sollen nun neun verschiedene Messmethoden zum Gletscherverhalten vorgestellt werden. Des weiteren soll näher auf die allgemeine Thematik sowie die Besonderheiten der norwegischen Gletscher in Bezug auf den Klimawandel eingegangen werden. Im Anschluss werden einige Informationen zum Gletschergebiet des Storbreen und zu dessen rezenter Entwicklung gegeben.
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Massenhaushaltsuntersuchung Eine der detailliertesten und am meisten angewendeten Untersuchungsmethode, ist die Massenhaushaltsuntersuchung. Diese läuft wie folgt ab. Es wird ein bestimmter Zeitraum festgelegt, das sogenannte Bilanz- oder Haushaltsjahr. Hier werden nun der Massengewinn und der Massenverlust in Beziehung gesetzt. Das Bilanzjahr geht in der Regel vom 1. Oktober bis zum 30, September und wird in die winterliche Akkumulationssaison (Massengewinn) und die sommerliche Ablationssaison (Massenverlust) unterteilt. Als Ergebnis erhält man eine positive bzw. negative Nettobilanz (Winkler 2003). Diese Untersuchungsmethode wird auch glaziologische oder direkte Methode (Winkler 2003) genannt, da die Akkumulation und Ablation direkt an dem Gletscher gemessen wird. Am Ende der Akkumulationssaison wird die Mächtigkeit und die Schneedichte untersucht und registriert (Winkler 2003). Doch zur weiteren Analyse ist es notwendig, die Messergebnisse in den sogenannten Wasserwert (engl.: water equivalent, abgekürzt: w.e.) umzurechnen, da Schnee, Firn und Eis jeweils eine unterschiedliche Dichte besitzen. Daraus wird schließlich ein Mittelwert errechnet. Dann erst können die Ergebnisse für weitere Vergleiche verwendet werden (Winkler 2003). Des weiteren werden Ergänzungen benutzt durch Messungen von Abflussmengen und glazimeteorologischen Beobachtungen. Diese Ergänzungen liefern „zeitlich hochauflösende tageszeitliche Messergebnisse zur Schmelzwasserproduktion“ (Winkler 2003) und geben Erkenntenisse über den Zusammenhang von Witterungslagen und der Größenordnung der Abschmelzung auf dem Gletscher (Winkler 2003).
Methoden zur Untersuchung des Gletscherverhaltens und zur Erstellung von Gletscherchronologie Eisbohrkerne Die Analyse der Eisbohrkerne liefert Ergebnisse über die Zusammensetzung der Erdatmosphäre und der Lufttemperatur der Vergangenheit (bis ca. 1000 Jahre vor Heute) (Winkler 2003). Diese Untersuchungsmethode ist jedoch nicht geeignet bei temperierten, warm basalen Gletschern, da die Ergebnisse durch Schmelzwasser verfälscht werden. Das Schmelzwasser wirkt auf die Luftblasen im Eis ein, die zur Untersuchung jeMessung der Gletscherfrontposition doch unverändert sein müssen, um Rückschlüs- Eine weitere, oft angewendete Methode, ist die se auf die Zusammensetzung der Erdatmosphäre Messung der Gletscherfrontposition. Diese Mesvor 1000 Jahren zu erhalten (Winkler 2003). sung wird im Gegensatz zur Massenhaushaltsun-
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Gletscher und Klimawandel in Norwegent tersuchung in der Regel am Ende der Ablationssaison vorgenommen. Hierbei wird die Distanz zwischen einer oder mehrer Gletschermarken und der Gletscherfront gemessen. Gletschermarken sind feste Markierungen, die am anstehenden Gestein oder Gesteinsblöcken installiert sind. Die Distanzmessungen werden ergänzt durch geodätische Aufnahmen. Jedoch muss die gletscherspezifische Verzögerung berücksichtigt werden. Sie ist die „[...] Reaktionszeit auf die Änderung des Massenhaushalts.“ (Winkler 2003). Die gletscherspezifische Verzögerung ist grundsätzlich abhängig von der Gletschergröße, der Länge der Gletscherzunge und der Neigung des Gletscherbetts (Winkler 2003).
stellt werden, aus der schließlich ein Wachstums- bzw. Datierungskurve ermittelt werden kann. Mit dieser Methode lässt sich auf drei bis fünf Jahre genau datieren. Mit Hilfe der Lichenometrie werden v.a. jung holozäne Moränen datiert (Winkler 2003). Besonders erfolgreich wird diese Methode in Skandinavien angewendet, da die Rhizocarpon Geographicum nur auf Silikatgestein wachsen kann (Winkler 2003). In anderen Untersuchungsgebieten ist die Anwendung der Lichenometrie eher problematisch. Zum Beispiel in den Rocky Mountains, da sich dort hauptsächlich karbonatisches Gestein befindet und die Rhizocarpon auf diesem Gestein nur spärlich bis gar nicht wächst. Ein anderes Problem der Lichenometrie Lichenometrie ist hohe Konkurrenz anderer Flechtenspezies, Die Lichenometrie dient Altersbestimmung von die sich wiederum nicht gut zur Altersdatierung Gesteinen, die nicht mehr in Bewegung sind. So- eignen. Dies wäre der Fall in Neuseeland (Winkmit können Moränen als Anzeiger ehemaliger ler 2003). Gletscherstände (Eisrandlagen) verwendet werden (Winkler 2003). Dies ist eine Methode der reBodenentwicklungsindices lativen Altersdatierung, das eine Relation von Laut John Mathews ist der Grad der Bodenentälter oder jünger bedeutet. Das Prinzip der Li- wicklung (Bodenentwicklungsindices, Lexikon chenometrie ist folgendes. Bestimmte Flechten- der Geographie) auf Moränen ebenfalls eine gute arten siedeln sich schnell an freigewordenen Methode zur Altersdatierung ehemaliger Gletscherstände. Dies auch eine relative Altersbestimmung. Dies zeigte J. Mathews auf der Doppelmoräne am Storbreen (Leidalen, Jotunhei-
Abbildung 3.2.1 Rhizocarpon Geographicum (Foto: V. Louis)
Abbildung 3.2.2 Doppelmoräne des Storbreen. Rechts im Bild ist bereits Vegetation und ein paar Zentimeter Boden hat, im Gegensatz zur linken, der jüngeren Moräne, die noch keine Vegetation und somit auch keinen Boden aufweist. (Foto: V.
und ruhenden Blöcken bzw. Gesteinsoberflächen an. Zum Beispiel die grün, gelbe Flechte Rhizocarpon Geographicum, eine Krustenflechte. Krustenflechten sind gute Altersanzeiger, da sie ein relatives konstantes Wachstum aufweiLouis) sen nach ihrer Etablierung auf einer Gesteinsoberfläche. Aufgrund des konstanten Wachs- men). Auf der äußeren (rechts in Abbildung tums kann eine mathematische Gleichung er- 3.2.2) haben sich schon ein paar Zentimeter Bo-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 den gebildet. Schmidt-Hammer- Methode Mit der Schmidt-Hammer Methode wird die Gesteins- und Blockoberfläche (Felsen, Moränenablagerungen, etc.) und deren Oberflächenhärte gemessen. Hieraus resultiert der Grad der Verwitterung. Schließlich lässt sich das Alter der Gesteinsoberfläche errechnen. Auch die Schmidt- Hammer Messung ist eine relative Altersdatierung. Der Schmidt- Hammer wurde in den 1950er Jahren entwickelt. Aber nicht speziell für das Fachgebiet der Glaziologie, sonder dieses Instrument wurde für die Baubranche entwickelt, für Betonhärtetests (Kellerer). Durch den Schmidt- Hammer wird ein gewisser Rückprallwert ermittelt (Rebound oder R- Wert). Der Wert wird durch einen Feder gespannten Schlagbolzen, der auf eine Gesteinsoberfläche schlägt, erzielt (Kellerer). „Der gemessene R- Wert ist proportional zur Druckfestigkeit der Gesteinsoberfläche und gibt ein relatives Maß der Härte einer Gesteinsoberfläche und damit der Zeit seit Beginn sowie Grad der Verwitterung dieser Oberfläche wider“(Kellerer). Laut John Mathews, der den Schmidt- Hammer vorführte, deuten hohe R-Werte auf ein junges Alter und niedrige auf ein älteres Gestein. Stefan Winkler fügte hinzu, dass nur gleiche Gesteinsarten untereinander verglichen werden können, da die absoluten R- Werte von der Gesteinsart abhängig sind. Diese Methode wird in der Glaziologie seit den 1980er Jahren erfolgreich eingesetzt (Kellerer). Sie bietet eine zeitliche Auflösung von 200 Jahren (Winkler 2003). Der Vorteil des Schmidt- Hammers ist, dass dieser sehr leicht ist und im Vergleich zu anderen Methoden auch kostengünstig ist. Zudem sind die Schmidt- Hammer Messungen gut kombinierbar mit der Lichenometrie (Winkler 2003). Analyse historischer Photographien, Bildund Schriftquellen Eine etwas fragliche und immer mit einem gewissen Grad an Unsicherheit sind die Analysen von historischen Photographien, Bildern und Schriftquellen. Hierbei besonders die entsprechende Qualität und Validität zu beachten und zu überprüfen. Um Rückschlüsse auf ehemalige
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Gletscherstände machen zu können werden häufig historische Schadensberichte oder Steuernachlässe verwendet. John Mathews erwähnte, dass bezüglich des Storbreen ein alter Mann einmal berichtet haben soll, dass der Storbreen Gletscher bei seinem Vorstoß eine Brücke, die über einen kleine Bach führte zerstört haben soll. Und tatsächlich gab es eine Brücke, doch John Mathews sagte auch, dass diese Angaben einfach zu ungenau sind und sie werden auch immer ungenauer, je mehr Generationen zwischen den tatsächlichen Ereignissen liegen.
Abbildung 3.2.3 Ein Gemälde von Thomas Fearnley vom Grindelwaldbreen (www.wikipedia.org)
Dendrochronologie Weitere Daten über vergangene Umweltbedingungen der Gletscher können mit Hilfe der Dendrochronologie ermittelt werden. Hierbei werden die Jahrringe von außertropischen Bäumen als Informationsquelle verwendet. Über die Jahrringe lässt sich das exakte Alter des Baumes bestimmen (Lexikon der Geographie). Die jährlichen Zuwachsraten geben Aufschluss über die Umweltbedingungen. Hierbei sind die Daten der Sommertemperaturen ausschlagegebend für das Verhalten des Gletscher, die aus den Jahrringen abgelesen werden können (Winkler 2003). Jedoch ist die Dendrochronologie Baumartenabhängig (Winkler 2003). Der Gletscher „überfährt“ einen Baum bei seinem Vorstoß und wenn er sich wieder zurückzieht, wird der Baum wieder freigelegt. Somit wird deutlich, welche Sommertemperaturen vorlagen, als der Gletscher vorstieß. Diese Da-
Gletscher und Klimawandel in Norwegent ten können schließlich mit anderen Sommertemperaturen verglichen werden und es können Rückschlüsse gezogen werden, welche Rolle die Sommertemperaturen auf das Vorstoßen und Zurückziehen eines Gletschers spielen. Eine wichtige Funktion über nimmt die Dendrochronologie für die Radiokarbonmethode, da sie eine Eichkurve für diese liefert, in dem dendrochronlogisch analysiertes Holz schließlich radiokarbondatiert wird (Lexikon der Geographie).
mus zugeführt (Lexikon der Geographie). Für die Altersbestimmung wird der Kohlenstoff einer Probe extrahiert „[...] und die 14-C- Konzentration entweder direkt als Beta- Strahlung oder durch Direktmessung (Beschleunigungsmassenspektrometrie, AMS) erfasst.“ (Lexikon der Geographie). Doch auch hierbei gibt es Messungenauigkeiten. Z.B. „[...] durch Kontamination der Probe durch älteren oder jüngeren Kohlenstoff und daraus, dass die primäre Produktion im Laufe der Erdgeschichte nicht konstant war, [...]“ (Lexikon der Geographie). Aus diesem Grund wird die Eichkurve benötigt, die mit Hilfe der Dendrochronologie erstellt werden kann. Wegen diesen Messungenauigkeiten und er speziellen Halbwertszeit des 14-C- Isotops liegt der erfassbare Zeitraum bei 30- 50.000 Jahre. Relativ genaue Eichkurven gibt es für ungefähr 12.000 Jahre. Um Rückschlüsse auf das ehemalige Gletscherverhalten schließen zu können, werden fossile Hölzer und Bodenhorizonte analysiert. Diese radiokarbondatierte organische Substanz steht in direkter Verbindung zu dem zu untersuchenden Gletscher, da dieser z.B. beim Vorstoß Bäume mitgenommen hat.
Radiokarbonmethode Die Radiokarbondatierung ist eine absolute Datierungsmethode. D.h., dass die Altersdatierung eine genaue Zeitangabe erlaubt. Hierbei spielen v.a. radiometrische Verfahren eine wichtige Rolle. Diese Methoden basieren „[...] auf dem mit konstanter Geschwindigkeit ablaufenden und von äußeren Einflüssen (unter anderem Temperatur, Feuchtigkeit) unabhängigen Zerfall radioaktiver Elemente oder Isotope [z.B. 14- C Isotop].“ (Fischer-kompakt). Die Halbwertszeit beschreibt die Zerfallsgeschwindigkeit. Die Radiokarbonmethode wird auch Kohlenstoffmethode oder 14- C- Methode genannt. Diese funktioniert folgendermaßen. Das 14- C Isotop befindet sich in der Atmosphäre und unterliegt dem Zerfall. Es stellt sich eine Gleichgewichtskonzentration Allgemeine Informationen zum Gletschervorkommen in Norwegen ein, so dass Organismen das 14- C Isotop assimilieren. Nach dem Absterben der Organismen, In Norwegen befinden sich insgesamt 1627 Gletz.B. Bäume, beginnt der Zerfall des Isotops und scher, davon 714 im Süden und 913 im Norden es werden keine weiteren Isotope dem Organis- des Landes, die eine Fläche von ca. 2609 Km² be-
Abbildung 3.2.4 Übersicht des Gletscher vorkommens in Südnorwegen und Nordskandinavien (NESJE et al. 2008)
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 decken, was in etwa einem Prozent des norwegischen Festlandes entspricht. Größtenteils handelt es sich um kleine Gletscher, mit einer Fläche von weniger als 9 Km². Nur 34 Gletscher (≈ 2%) besitzen eine größere Fläche und haben somit einen Anteil von circa 68 % an der gesamten Gletscherfläche Norwegens (Nesje et al. 2008: 25). Die beschriebene Gletscherverteilung ist in Abbildung 3.2.1 dargestellt, die meiste Vereisung befindet sich im Süden des Landes. Die größten Gletschervorkommen sind der Austfonna auf Svalbard, die drittgrößte Eiskappe der Welt; der Jostedalsbreen, der aus mehr als 50 Gletschern besteht und der größte Gletscher auf dem europäischen Festland ist; der Svartisen in Nordland und der Folgefonna in Hordaland. Des Weiteren befinden sich kontinentale Gletscher im Nationalpark Jotunheimen (VisitNorway 2009). In Norwegen sind zwei Gletschertypen zu unterscheiden: 1. Plateaugletscher und Eiskappen mit einer flächenmäßig großen Ausdehnung 2. Outletgletscher, die von den Plateaugletschern in die Täler abfließen und wesentlich kleiner als Plateaugletscher oder Eiskappen sind Zusätzlich müssen die Gletscher nach ihrer Lage an der Westküste, also im maritimen Einflussbereich, oder im Osten und somit im kontinentalen Einflussbereich unterschieden werden. Auf die Bedeutung von Kontinentalität/ Maritimität wird im weiteren Verlauf des Textes näher
Abbildung 3.2.5 Kumulative Nettomassenbilanzen ausgewählter maritimer und kontinentaler Gletscher Norwegens (Winkler et al. 2009)
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eingegangen. Generell ist festzuhalten, dass Gletscher als Schlüsselindikatoren für die globale Erwärmung betrachtet werden können. Besonders kleinere Gebirgsgletscher reagieren sehr sensitiv auf Klimaänderungen, da ihre Temperatur nah am Schmelzpunkt liegt. Außerdem ist ihre Reaktionszeit auf klimatische Veränderungen mit drei bis vier Jahren relativ kurz (Nesje 2005: 1245). Trotz der globalen Erwärmung gibt es einige Gletscher mit positiven Massenbilanzen und vorschreitenden Gletscherzungen. Der allgemeine Trend des Abschmelzens kann folglich nicht auf alle Gletschergebiete übertragen werden und es muss nach regionalen Besonderheiten differenziert werden. Außerdem werden auch lange Perioden des Abschmelzens immer wieder von kurzzeitigen Vorstößen unterbrochen, die mit klimatischen Besonderheiten zusammenhängen (Andreasssen et al. 2005). Rezentes Gletscherverhalten Weltweit stehen Gletscher seit etwa 100 Jahren unter Beobachtung, um Schwankungen und Änderungen aufzuzeichnen und zu interpretieren. Dabei gelten einerseits die Gletscherlänge, andererseits die Massenbilanzen der Gletscher und die Lage der Gleichgewichtslinie als wesentliche Indikatoren für klimatische Veränderungen. Die Gletscherlänge variiert mit einer vom Gletschertyp abhängigen Verzögerung, der sogenannten Reaktionszeit, während der Massen-
Gletscher und Klimawandel in Norwegent haushalt, also das Verhältnis von Ablation und Akkumulation und die daraus resultierende Lage der Gleichgewichtslinie ohne zeitliche Verzögerung auf klimatische Änderungen reagiert. Das Gletscherverhalten muss wie oben bereits angedeutet nach maritimen und kontinentalen Gletschern unterschieden werden. Allgemein wurden bei den kontinentalen Gletschern im Osten Norwegens in den letzten 45 Jahren stark negative Massenbilanzen verzeichnet, während hingegen die maritimen Gletscher an der Westküste einen positiven Trend in der Massenbilanz aufgewiesen haben, wie in Abbildung 3.2.2 ersichtlich. Vor allem in den 1990er Jahren wurden extrem positive Werte und Vorstöße von bis zu 80 m pro Jahr registriert. Seit 2000 jedoch schreiten auch die Gletscherzungen der maritimen Outletgletscher stark zurück (Nesje et al. 2008: 15). Erklärungsansätze für das Gletscherverhalten Gletscherverhalten vor 2000 Das dargestellte divergente Gletscherverhalten ist dadurch zu begründen, dass maritime Gletscher im Wesentlichen von den herbstlichen bzw. winterlichen Niederschlägen gesteuert werden und demzufolge die Massenbilanz hauptsächlich von der winterlichen Schneeakkumulation dominiert wird. Die kontinentalen Gletscher wiederrum werden größtenteils über die Sommertemperaturen reguliert und somit ist die Massenbilanz maßgeblich von der sommerlichen Schneeschmelze abhängig. Der starke Vorstoß der maritimen Gletscher in den 1990er Jahren wird überwiegend durch eine Zunahme der Winterniederschläge in der Zeit von 1989 bis 1995 und einen Wechsel des Niederschlagsmaximums in die Herbstmonate begründet. Diese hängen mit einer positiven Nordatlantischen Oszillation (NAO) zusammen, die aufgrund starker meridionaler Luftdruckgradienten den Transport milder und feuchter Luftmassen nach Norwegen bewirkt hat. Die NAO beschreibt die Schwankung der Luftdruckdifferenz zwischen dem quasistationären
Islandtief und dem Azorenhoch über dem Nordatlantik und bestimmt die Stärke der Westwinddrift. Folglich ist das Wetter in Europa in erheblichem Maße von der Ausprägung der NAO geprägt. Ein positiver NAO-Index impliziert eine starke Ausprägung der Luftdrucksysteme, eine starke Westwinddrift und somit den Transport feuchter und milder Luftmassen nach Europa. Der negative NAO-Index hingegen ist durch eine schwache Ausprägung der Drucksysteme gekennzeichnet und beinhaltet häufig Kaltlufteinbrüche aus dem kontinentalen Europa (IFMGeomar: 2009). Durch den positiven NAO-Index waren die 1990er Jahre durch eine Akkumulationsphase gekennzeichnet, die einen positiven Trend der Massenbilanzen und gleichzeitig einen starken Vorstoß der Gletscherzungen bewirkte (Winkler et al. 2009: 406). Gletscherverhalten nach 2000 In Bezug auf den extremen Gletscherrückzug der Outletgletscher nach 2000 bestehen noch viele Unsicherheiten, da der Rückzug in dem Ausmaß nicht vollständig durch die Massenbilanzen erklärt werden kann. Der enorme Rückzug stimmt nicht mit vergleichbaren empirischen Daten zu negativen Massenbilanzen aus der Vergangenheit überein. Auf Grund der bestehenden Unsicherheiten wurden verschiedene Hypothesen bezüglich des rapiden Rückzugs der Gletscherzungen der maritimen Gletscher Norwegens entwickelt, von denen hier eine nur eine Auswahl dargestellt werden soll. Änderung der Reaktionszeit Möglicherweise hat sich das dynamische System der maritimen Gletscher Norwegens verändert, so dass die ursprüngliche Reaktionszeit von drei bis vier Jahren durch eine sofortige Reaktion auf Klimaänderungen ersetzt wurde. Es wird angenommen, dass eine derartige Änderung der Reaktionszeit durch eine Störung wie extrem hohe Sommertemperaturen seit 2000 ausgelöst werden könnte.
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(Winkler et al. 2009: 407-412).
Generelle Änderung des glaziologischen Regimes Unter Umständen hat sich das glaziologische Regime der maritimen Gletscher insgesamt dem der kontinentalen Gletscher angenähert. Das würde bedeuten, dass nun auch die maritimen Gletscher hauptsächlich durch die Höhe der Sommertemperaturen und die sommerliche Schmelzwassermenge während der Ablationsphase gesteuert werden. Die vorherige Dynamik, die im Wesentlichen von den winterlichen Niederschlagsmengen während der Akkumulationsphase bestimmt wurde, wäre somit ausgetauscht.
Kritische Anmerkung: Die von den Autoren verwendeten meteorologischen Messdaten wie Sommertemperaturen und Niederschlagsmengen stammen von Messstationen aus Bergen. Somit besteht eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Validität der herangezogenen Daten und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen.
Gletscher Storbreen Das Gletschergebiet des Storbreen ist Teil des Jotunheimen Nationalpark und liegt in dessen westlichen Teil. Jotunheimen liegt im Süden Norwegens, somit gehört der Storbreen zu den kontinentalen Gletschern, wie in Abbildung 3.2.3 Probleme beim Massentransfer unter Nummer 7 zu sehen. Erste Messungen der Eine weitere Hypothese besagt, dass der Mas- Massenbilanz des Storbreen begannen bereits sentransfer innerhalb der Gletscher gestört sein könnte und daher der Eisverlust an der Gletscherzunge nicht schnell genug kompensiert werden kann. Dies würde erklären, warum die Gletscherzungen derart schnell zurückschreiten obwohl die Massenbilanzen nicht verhältnismäßig negativ ausfielen Im Moment ist es jedoch noch zu früh um genaue Rückschlüsse zu ziehen und die Gründe für den rapiden Rückzug der Gletscherzungen der maritimen Gletscher Norwegens zu erklären
Abbildung 3.2.7 Darstellung des Storbreen und seiner Ausdehnung zur kleinen Eiszeit (LIA), 1940 und 1997 (Andreassen et al. 2006)
Abbildung 3.2.6 assen et al. 2005)
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Gletscherübersicht Norwegen (Andre-
1949, was der zweitältesten Messreihe weltweit entspricht. Es handelt sich um einen Talgletscher, der durch einen Gebirgskamm in zwei Abschnitte unterteilt ist. Verglichen mit der maximalen Ausdehnung während der kleinen Eiszeit hat der Gletscher bis Ende der 1990er Jahre 25 Prozent seiner Fläche und fast 40 Prozent seiner Länge eingebüßt. In Abbildung 3.2.4 ist eine schematische Darstellung des Gletschergebietes zu sehn, sowie die maximale Ausdehnung zur kleinen
Gletscher und Klimawandel in Norwegent Abbildung 3.2.8 M a s senbilanz des Storbreen von 1949 bis 2005 (Andreassen et al. 2006)
Eiszeit, im Jahr 1940 und 1997. Bis auf wenige Ausnahmen, wie zum Beispiel in der Periode von 1989 bis 1995 wieß der Storbreen den für kontinentale Gletscher Norwegens typischen, fast kontinuierlich negativen Massenbilanztrend auf, wie in Abbildung 3.2.5 dargestellt. Ausblick und Fazit Auch wenn nach wie vor erhebliche Unsicherheiten bestehen wurden verschiedene Modelle erstellt um in diversen Szenarien darzustellen, welche Auswirkungen die globale Erwärmung und der Klimawandel auf die norwegischen Gletscher haben könnten. Die Szenarien beschreiben eine drastische Veränderung der Gletscherlandschaft Norwegens. Durch Rekonstruktion der Gletscherschwankungen während des Holozäns wurde ermittelt, dass bei einem Temperaturanstieg von 2-3°C während der Sommermonate innerhalb von hundert Jahren die Gletscher Norwegens fast vollständig wegschmelzen könnten, wenn der Temperaturanstieg nicht durch höhere Winterakkumulation ausgeglichen wird. Die Verwundbarkeit der einzelnen Gletscher variiert in Abhängigkeit von der Höhenlage, der Eismächtigkeit als auch der Ausdehnung (Nesje et al. 2007: 24). Für Norwegen hat das Abschmelzen der Gletscher, in welchem Ausmaß auch immer, gravierende Folgen, da Abfluss, Wassertemperatur und auch Sedimenttransport verändert werden. Für glazial geprägte Einzugsgebiete würde dies
bedeuten, dass der Abfluss nun vollständig durch Niederschläge und nicht mehr durch sommerliches Schmelzwasser gesteuert wird. Dies ist besonders in Hinsicht auf Hydroelektrizität relevant, da die enormen sommerlichen Schmelzwasserabflüsse wegfallen würden und in Norwegen 15 Prozent der für Hydroelektrizität genutzten Einzugsgebiete glazial beeinflusst sind (Nesje et al. 2007: 22). Des Weiteren können durch rapides Abschmelzen und den daraus resultierenden enormen Abflussmengen erhebliche infrastrukturelle Schäden entstehen. Gletscher und Klimawandel hängen demnach kausal zusammen und beeinflussen Norwegen sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht. Zwar hat es schon immer Veränderungen und Schwankungen innerhalb des glazialen Regimes und der glazialen Ausdehnung gegeben, jedoch wurden diese noch nie in diesem Maße durch den Menschen beeinflusst. Gerade weil nach wie vor viele Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher bestehen, sollte das Möglichste getan werden, um den anthropogen verursachten Klimawandel zu minimieren. Der Exkursionstag ins Gletschergebiet des Storbreen in Begleitung der zwei Experten galt der fachlichen Vertiefung in theoretischer und vor allem auch praktischer Hinsicht. Die Teilnehmer wurden darauf sensibilisiert, ihre Umwelt nicht nur wahrzunehmen, sondern gleichzeitig aus Formen und Strukturen Prozesse und Systeme abzuleiten und zu interpretieren.
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Literatur Andreassen, L. M., Elvehoy, H., Johannesson, T., Oerlemans, J., Beldring, S. und M. van den Broeke (2006): Modelling the climate sensitivity of Storbreen and Engabreen, Norway. In: Andreassen, L. M. (Hrsg.): Report No. 3. Norwegian Water Resources and Energy Directorate. Andreassen, L. M., Elvehoy, H. und B. Kjollmoen (2005): Major Changes in Norway´s Glaciers. Center for International Climate and Environtmental Research Oslo. Abrufbar unter: http://www.cicero.uio.no/fulltext/index_e. aspx?id=3561 (Datum: 28.09.2009). IFM-Geomar. Leibniz Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (2009): Die Nordatlantische Oszillation. Abrufbar unter: http:// www.ifm-geomar.de/index.php?id=oz-on_ nao (Datum: 28.09.2009). Fischer Kompakt: Absolute Datierung. Abrufbar unter: http://www.fischer-kompakt. de/sixcms/detail.php?template=glossar_ detail&id=188336 (Datum: 30.09.2009) Lexikon der Geographie (2002): Spektrum Akademischer Verlag GmbH, Heidelberg, Berlin Nesje, A. (2005): Briksdalsbreen in western Norway: AD 1900-2004 frontal fluctuations as a combined effect of variations in winter precipitation and summer temperature. In: The Holocene 15, 8, 1245-1252. Nesje, A., Bakke, J., Dahl, S. O., Lie, O. und J. A. Matthews (2008): Norwegian mountain glaciers in the past, present and future. In: Global and Planetary Change 60, S. 10-27. Winkler, S., Elvehoy, H. und A. Nesje (2009): Glacier fluctuations of Jostedalsbreen, western Norway, during the past 20 years: the sensitive response of maritime mountain glaciers. In: The Holocene 19, 3, S. 395-414. Winkler, S. (2003): Von der „Kleinen Eiszeit“ zum „globalen Gletscherrückzug“. Eignen sich Gletscher als Klimazeugen? In: Abhandlungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse (AM-MN). Bd. 2002,3. Visit Nnorway (2009): Glaciers in Norway. ��� Abrufbar unter: http://www.visitnorway.com/ en/Articles/Theme/What-to-do/Attractions/Nature/Glaciers-in-Norway/ (Datum: 28.09.2009).
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Gletscher und Klimawandel in Norwegent
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U- Tal mit Seitenmor채nen, die als Anzeiger des ehemaligen Gletscherstands fungieren. (Bildquelle: V.Louis)
Aktive Solifluktionsloben (Bildquelle: V.Louis)
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Kleinräumige Klimaphänomene im norwegischen Hochgebirge
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opografie, Höhenstufe und die OzeantitätsKontinentalitätsdifferenzierung der Skanden sind ein wichtiger Bestandteil der Klimaforschung in der Hochgebirgslandschaft Mittelnorwegens. Die Heterogenität des norwegischen Hochgebirges führte zu multiskaligen Untersuchungen, die „die kleinräumige Differenzierungen innerhalb von Einzugsgebieten (MikroSkala)“, den Höhengradienten innerhalb eines maritimen und kontinentalen Gebirgssystems (Meso-Skala) und den Ozeanitäts-Kontinentalitätsgradienten zwischen den klimatischen Regionen (Makro-Skala), miteinander koppelte (Löffler et al. 2006). Untersuchungsgebiet
Abbildung 3.3.1 Die Lage der Untersuchungsgebiete in Mittelnorwegen mit einem Schema der untersuchten Einzugsgebiete. Die Daten wurden entlang eines Transekts Kuppe (A, mit Klimastation), südexponierter Mittelhang (C), nordexponierter Mittelhang (D) und Muldenlage (B, sowei C und D mit Temperaturdataloggern) erfasst (Löffler 2006: 16)
Im Folgenden wird zunächst auf die Untersuchungen im Rahmen der o. g. Raumskalen ein-
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Joana Fischer gegangen und anschließend eine Untersuchung zur Signifikanz der Topografie, Höhenstufe und Region im Hochgebirge zusammengefasst. Abschließend wird der Einfluss der Temperatur auf das Ökosystem schematisch erläutert. Vertikales Temperaturprofil (Mikro-Skala) Die bestimmenden Faktoren für die vertikale Temperaturdynamik sind im Allgemeinen der Grad der Schneebedeckung im Winter, die sommerlichen Einstrahlungsverhältnisse und das Relief zusammen mit dem Bodenwasserhaushalt im Jahresverlauf (Löffler et al. 2006). Beispielhaft soll die Temperaturdynamik in der unteren alpinen Höhenstufe dargestellt werden. Die verschiedenen Standorte der unteren alpinen Hänge weisen, bis auf die Kuppenposition, nur leichte Unterschiede hinsichtlich ihrer Schneedeckenmächtigkeit in Luv- und Leelage auf und haben somit ähnliche Temperaturprofile im Winter. Im Frühjahr ist an nord- sowie südexponierten Hängen Frosthub möglich. Die hohe Einstrahlungsintensität im Sommer hat die Erwärmung der Erdoberfläche und der bodennahen Luftschichten zur Folge. Tiefer liegende Bodenschichten bleiben unbeeinflusst und zeigen daher keine Erhöhung der Bodentemperatur. Die Bodentemperaturen sind an Nord- und Südhängen während der Schneeschmelzperiode im Frühjahr identisch. Das gleiche gilt für die nächtlichen Sommerminima. Die Standorte der südexponierten Hänge zeichnen sich durch die höchsten Temperaturwerte der Bodenoberfläche, oberen Bodenschicht und bodennahen Luftschicht aus. Im Gegensatz dazu ähneln sich die Temperaturen der tieferen Bodenschichten der Nord- und Südhänge (vgl. Abb. 3.3.2) (Löffler 2002). Die größten jährlichen Temperaturamplituden werden an den Kuppenstandorten gemessen. Es herrschen extreme Winterbedingungen. Der Sommergradient zeigt Differenzen innerhalb der verschiedenen Expositionstypen. Mul-
Kleinräumige Klimamuster Abbildung 3.3.2 V e r t i kales Temperaturprofil an verschiedenen Standorten in der unteren und mittleren alpinen Höhenstufe„ (Löffler 2002: 242)
den unterscheiden sich grundsätzlich von allen anderen Standorten, da für sie das ganze Jahr über ein hoher Bodenfeuchtegehalt charakteristisch ist. Mächtige Schneedecken im Winter sind aufgrund der verringerten Windgeschwindigkeit entlang des Hanggradienten die Regel. Die Bodentemperaturen des Profils in Muldenlage (Abb. 3.3.2) wurden in nassem Morast gemessen. Im Winter isoliert eine zwei Meter dicke Schneedecke vor starker Kälteeinwirkung, im Sommer schützt das wassergesättigte Spaghnum Moos und Torf vor extremer Hitze. Aufgrunddessen liegen die Bodentemperaturgradienten auffallend nah beieinander. Im Lufttemperaturprofil kann eine Erwärmung im Sommer beobachtet werden. Die Erwärmung der bodennahen Luftschicht erreicht jedoch keine signifikanten Werte. Übergeordnete Luftmassen, die durch ausgeprägte topografische Gradienten geschützt werden, sind der Grund für die Stabilisierung von warmen Luftschichten oberhalb kühler und nasser Morastoberflächen. Den größten Einfluss auf die bodennahen Luftschichten in Mulden haben Kaltluftströme. Sie rufen bei Hochdruckwetter-
lage die niedrigsten Sommertemperaturen hervor (Löffler 2002). Die extremsten Lufttemperaturunterschiede werden in allen Jahreszeiten auf den Kuppen gemessen. Die absolute jährliche Temperaturamplitude der Luft liegt zwischen 35 und 45 K (Löffler et al. 2006). Wichtigste Einflussgrößen beim Vergleich der mikroskalige Temperaturdifferenzen zwischen Kuppe und Hang stellt die Schneebedeckung sowie die unterschiedlichen Einstrahlungsverhältnisse dar. Im Frühling werden die täglichen Lufttemperaturhöchstwerte auf den Kuppen gemessen. In Sommernächten ist die Lufttemperatur auf den Kuppen und an den Hängen fast isotherm, bzw. sind die Hänge leicht kühler. Bodentemperaturen sind isotherm im Frühling und im Herbst, jedoch im Sommer niedriger an den Hängen (Löffler et al. 2006). Herr Prof. Dr. Löffler hat mehrfach die große Bedeutung des Mikroklimas betont und u. a. am Beispiel von Flechten verdeutlicht. Je nach Lage und Exposition konnten innerhalb weniger Quadratzentimeter Unterschiede im Vegetati-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 onsmuster festgestellt werden. So ist die Fadenflechte hauptsächlich an Kuppenstandorten verbreitet, da diese weitgehend schneefrei bleiben. Die Schneeflechte cetraria nivalis, die im Winter unter einer dünne Schneedecke bedeckt ist, liegt nur knapp unterhalb der Fadenflechtenstandorte. In Hanglage wächst die Blumenkohlflechte cladonia botrytis, die durch eine dickere Schneedecke im Winter vor eisiger Kälte geschützt wird (siehe Foto 2).
Abbildung 3.3.3 schematische Darstellung der Positionen der Faden-, Schnee- und Blumenkohlflechte. (Foto: Joana Fischer)
Höhenstufenwandel (Meso-Skala) Im Allgemeinen wird der Höhenstufenwandel durch die Temperaturabnahme mit der Höhe bei gleichzeitiger Zunahme des Niederschlags erklärt. Grundsätzlich werden höhere Lagen mit extremeren Lebensbedingungen assoziiert. In ganzjährigen mikroklimatischen Untersuchungen wird gezeigt, dass höhere Niederschläge in höheren Lagen mit einer früheren und mächtigeren Schneedecke einhergehen und zur Zeit der winterlichen Inversionswetterlage die niedrigsten Temperaturen in den tieferen Regionen die größten Auwirkungen haben. Die Gefahr der Frostschädigung in Oberflächennähe ist im unteralpinen Gürtel am größten, da die Schneedecke hier am dünnsten ist (Löffler 2003). Das kleinräumige Klima der unteren alpinen Höhenstufe unterscheidet sich vom Klima des mittleren alpinen Bereichs u. a. durch im Mittel höhere Luft-,Boden- und Oberflächentemperaturen im Sommer. Im mittlealpinen Untersuchungsgebiet ist die Durchschnittstemperatur
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der vertikalen Temperaturprofile konstant und liegt bei 5 °C, wohingegen im unteren alpinen Bereich die Temperatur zwischen einem Durchschnittswert von 8 °C und 9 °C schwankt. In der Kuppellage der unteren alpinen Höhenstufe kühlt die bodennahe Luft im Winter stark ab. Der exponierte Boden ist den Minustemperaturen ungeschützt ausgesetzt, während der Boden des mittelalpinen Standorts durch eine isolierende Schneedecke vor extremer Kälte geschützt wird. Unter dem Schnee des unteren alpinen Bereichs werden Durschnittstemperaturen von ungefähr 0 °C gemessen, im mittleren alpinen Gebiet liegt die Temperatur bei ca. minus 2 °C. Mulden im unteralpinen Gürtel haben einen permanent nassen Boden und liegen im Winter unter einer dicken Schneedecke. Die Bodentemperaturen sind gemäßigt kühl und relativ konstant. Starke Fröste im Sommer sind üblich, jedoch bleibt der Wurzelbereich davon unbeeinflusst. Luft und Oberfläche sind im Sommer durch eine hohe Temperaturamplitude gekennzeichnet. Die mittleren alpine Mulden mit nassem Boden und geringerer Schneeakkumulation im Winter zeigen über das ganze Jahr hinweg hohe Temperaturschwankungen und haben im Sommer wie im Winter im Mittel niedrigere Bodentemperaturwerte als die unteren alpinen Mulden (Löffler 2002). Der Höhengradient der Temperatur verfügt an südexponierten Hängen im Tagesverlauf über größere Differenzen als auf der Kuppe. Sowohl im Osten als auch im Westen ist die Bodentemperatur gekennzeichnet von einer jahreszeitliche Temperaturamplitude, wohingegen die Amplitude der Lufttemperatur tageszeitlich stärker ausgeprägt ist. Beispielsweise konnte im August ein zirkulärer Tageszeitenverlauf mit der Höhe festgestellt werden: bis zur Mittagszeit war der unteralpine südexponierte Hang bis zu 11 K wärmer als der mittelalpine, nachts 7 K kühler. Ein ähnliches Phänomen kann bei den Bodentemperaturen beobachtet werden, jedoch im jahreszeitlichen Zyklus: im Sommer sind die Bodentemperaturen der unteralpinen Kuppen höher, aber im Winter niedriger als die der mittelalpinen. Allgemein kann gesagt werden, dass der untere alpine Bereich sowohl im Westen als auch
Kleinräumige Klimamuster im Osten wärmere Bedingungen aufweist. Untersuchungen ergeben, dass fast ganzjährig der untere westliche Gürtel im Mittel um ca. 2 K und der untere östliche ca. 4 K wärmer ist, als der mittelalpine (Löffler et al. 2006).
Differenzen können auf den Kuppen gemessen werden. Auf den Kuppen der ozeanisch geprägten Seite des unteralpinen Gürtels herrschten im Mittel wärmere Winter- und kühlere Sommerbedingungen, wobei im Sommer zwischen kühleren Tagen und wärmeren Nächten differenziert Ozeanisch-kontinentaler Gradient (Ma- werden muss. Dieser Trend kann auch im mitkro-Skala) telalpinen Untersuchungsgebiet beobachtet Mittelnorwegen hat einen klar definierten Oze- werden, jedoch ist er dort weniger ausgeprägt anitäts-Kontinentalitätsgradienten, der durch (Löffler et al. 2006). die westlichen und östlichen Hänge der Gebirgskette repräsentiert wird. Im westlichen Teil des Vergleich multiskaliger Untersuchungen Untersuchungsgebiets werden bei gemäßigten Gängigen Annahmen zu Folge sind es „verschieTemperaturen die höchsten Niederschlagssum- dene übergeordnete meteorologische Phänomemen von 1500 mm bis 2000 mm gemessen. Das ne entlang von Höhen- und regionalen Gradinur 150 km entfernte Untersuchgungsgebiet im enten, die sich in den standörtlichen Temperaöstlichen Teil der Skanden gilt als die trockenste turverhältnissen widerspiegeln“ (Löffler et al. Region Norwegens. Charakteristisch hierfür sind 2006). Bei näherer Untersuchung stellt sich herdie niedrigsten jährlichen Niederschlagssum- aus, dass die bedeutendste Steuerungsgröße des men von ca. 300-400 mm (Löffler et al. 2006). Temperaturgradienten entlang von großräumiAufgrund der geringen Wolkenbedeckung gen Höhenstufen- und Ozeanitäts-Kontinentaliüber der kontinentalen Seite der Skanden kön- täts-Gradienten, die kleinräumige topografische nen hohe Einstrahlungssummen gemessen wer- Differenzierung darstellt. den, wohingegen die ozeanisch geprägte Seite Im Folgenden sollen die Fragestellungen und des Gebirges durch niedrigere Einstrahlungs- die dazugehörigen Annahmen sowie Ergebnisse summen und höhere Niederschläge gekenn- kurz zusammengefasst werden: zeichnet ist (Löffler 2003). Welche Raumskala weist die signifikantesten Die jährliche Durchschnittstemperatur im un- Temperaturunterschiede auf? Annahme: Die teren alpinen Bereich ist im Westen höher als mesosklaligen Differenzen weisen die größten im Osten, ähnlich verhält es sich im mittelal- Ausprägungen auf pinen Gürtel. Jährliche Maxima ähneln sich im Inwiefern variieren Temperaturgradienten mit Westen und Osten des unteren alpinen Gebiets der Höhe? und sind höher im mittleren alpinen Bereich. Annahme: Es gibt einen konstanten GradienDie jährlichen Minima sind in den unteralpi- ten im mesoskaligen Bereich, der unabhängig nen Standorten am niedrigsten, jedoch weist vom Mikroklima ist der östlich-kontinentale Teil der Skanden eine Wie verhalten sich mikroskalige Temperaturhöhere Temperaturamplitude auf. Die Sommer- schwankungen unter maritimen und kontinenund Herbstminima ähneln sich in beiden Gür- talen Verhältnissen? teln, im Osten wie im Westen. Frühlingsmaxima Annahme: Das übergeordnete Klima beeinsind signifikant höher in den beiden westlichen flusst das Mikroklima (Löffler et al. 2006). Höhenlagen. Frühlingsminima sind im Osten Ergebnisse niedriger, besonders im unteren alpinen Bereich Es sind die mikroskaligen Temperaturen, die (Löffler 2003). die größten Temperaturdifferenzen aufweisen. Es muss jedoch betont werden, dass die Tem- Lokale Einflussgrößen wie Exposition, Schneeperaturdifferenzen zwischen den ozeanischen decke, Einstrahlungsintensität und Kaltluftwinund kontinentalen Gebieten der Skanden weni- de prägen das Mikroklima am stärksten. Innerger als 1 K betragen, sodass nicht grundsätzlich halb eines Transekts werdenTemperaturuntergesagt werden kann, welche der beiden Seiten schiede von bis zu 45 K erfasst. der Skanden generell wärmer ist. Die größten
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Der Höhengradient der Temperatur wird auf regionaler Skala von mikroskaligen Klimaphänomenen beeinflusst. Im östlichen Untersuchungsgebiet kann ein deutlicherer definierter Höhengradient beobachtet werden als im Westen. Dabei sind die Tages- und Jahreszeiten signifikante Einflussgrößen. Die Untersuchungsergebnisse machen deutlich, dass mittlere Temperaturwerte für die Darstellung der Temperaturveränderungen im Hochgebirge nur bedingt aussagekräftig sind, da es signifikante Differenzen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht gibt.
Klimaverhältnisse die mikro- und mesoskalige Hochgebirgsklimatologie bestimmt. Des Weiteren geht aus der Untersuchung hervor, dass die mikroklimatischen Phänomene die makroklimatischen beeinflussen (LÖFFLER 2006: 21). Alle im Rahmen dieser Untersuchung aufgestellten Hypothesen wurden somit falsifiziert. In Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse wird in zukünftigen Untersuchungen zur Modellierung der Ökosystemresonanz auf Klimaveränderungen stärker auf die kleinräumigen topografischen Veränderungen eingegangen werden müssen. Bisher wurde in der Regel lediglich das Entgegen aller Annahmen ist der Ozeanitäts- Makroklima zur Erklärung regionaler VerteiKontinentalitätsgradient derjenige, der sich im lungsmuster von Vegetationstypen herangezoRahmen der multiskaligen Untersuchungen gen. als am wenigsten siginifikant erweist. Im Vergleich zu den mikro- und mesoskaligen UnterEinfluss der Temperatur auf das Ökosystem suchungen zeigen weder tageszeitliche noch jahreszeitliche Temperaturamplituden bedeu- Welche Bedeutung die Temperatur für das Ökotende Differenzen. Dieser Fakt widerspricht der system hat, wird in Abbildung 3.3.3 dargestellt. allgemeinen Hypothese, dass übergeordnete Hierbei handelt es sich um ein komplexes ScheAbbildung 3.3.4 13 landschaftsökologische Attribute werden 7 Temperatursegmenten mit ähnlichen ökologischen Wertebereichen zugeordnet. „Prozesse wie Photosynthese, Evapotranspiration, Trockenstress usw. werden entlang der einzelnen Achsen im Netzdiagramm hinsichtlich ihrer ökologischen Bedeutung unter den jeweiligen Temperaturbedingungen skaliert (von innen nach außen: kein, geringer, mittlerer, hoher und extremer Einfluss)“ (Löffler 2002: 244/255).
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Kleinräumige Klimamuster
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ma der systematischen Skalierung von Temperaturen und ihr Einfluss auf Ökosystemfunktionen.
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Fadenflechte (Hiphosporae), Wollweide (Salix lanata), Zwergbirke (Betula nana) Foto: Daniel Koch
Kapitel 4 Vegetation
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit in Norwegen
Lukas Gregori und Marius Röhr
Einleitung ie letzte Eiszeit begann vor 70.000 Jahren und endete vor rund 12.000 Jahren. Während der Eiszeit lag ganz Skandinavien unter einem riesigen Eisschild. Erst nach dem Ende der Eiszeit zog sich das Eis von den skandinavischen Landmassen langsam zurück. Erst jetzt konnte sich eine flächendeckende Vegetation entwickeln. Die postglaziale Pflanzenverbreitung in Skandinavien wurde durch drei wesentliche Prozesse bestimmt. Diese sind das Schmelzen des Inlandeises, die isostatische Hebung der Landoberfläche und die geologischen Veränderungen im Baltischen Becken. Alle drei Ereignisse waren im Wesentlichen für die Ausgestaltung der Vegetation verantwortlich. Weiterhin wird öffentlich über Rückzugsräume (Refugien) für Pflanzen und Tiere diskutiert, die innerhalb der Eiszeit bestehen haben könnten. Deren Vorhandensein ist wichtig zu erforschen, um die Entwicklung der Pflanzenwelt in Skandinavien zu verstehen. Ausgehend von diesen Rückzugsräumen ist es möglich, dass sich Pflanzen sehr schnell nach dem Ende der Eiszeit flächendeckend ausgebreitet haben. Eine grundsätzliche Frage bei der Darstellung der Vegetationsgeschichte eines Landes stellt sich nach der Informationsgewinnung. Grundsätzlich wird hierbei nach Zeugnisse vergangenen Lebens gesucht, um Rückschlüsse auf die Entwicklung der Vegetation zu ziehen. Eine verbreitete Methode, um die vergangene Vegetationsentwicklung zu rekonstruieren ist die sogenannte Pollenanalyse, die im Folgenden Kapitel näher erläutert wird. Methoden zur Rekonstruktion der Vegetationsentwicklung
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menten konserviert wurde, untersucht. Die unter dem Mikroskop sichtbaren Pollenkörper (siehe Bild) sind in ihrer Form sehr verschieden und daher gut bestimmbar. Weiterhin gelten sie als sehr widerstandsfähig. Die Pollen besitzen eine
Abbildung 4.1.1 Pollen unter dem Elektronenrastermikroskop (http://upload.wikimedia.org/)
äußere Membran, die Witterungseinflüssen und der Zersetzung durch Mikroorganismen standhält. Für die Durchführung einer Pollenanalyse wird nun im ersten Schritt eine Probe benötigt. Hierzu werden Bohrkerne aus Seeablagerungen oder Moore gezogen und untersucht, da hier Pollen vergangener Vegetationsepochen sehr gut erhalten bleiben. In Norwegen findet sich beispielweise eine Vielzahl von Moorgebieten, die sich als Untersuchungsobjekte anbieten. So zum Beispiel in dem Nationalpark Gressåmoen und im Osten des bedeutenden Nationalparks Hardangervidda. Moore sind gekennzeichnet durch einen ständigen Wasserüberschuss durch Niederschläge oder Mineralbodenwasser. Dadurch entsteht im Moor ein starker Sauerstoffmangel. Dieser führt dazu, dass Mikroorganismen für den Zersetzungsprozess des abgestorbenen organischem Material fehlen. Dadurch wird Biomasse in den Mooren über zum Teil Jahrtausenden konserPollenanalyse viert. Im Jahr wächst die Torfschicht im Moor Die Palynologie ist die wissenschaftliche Be- um durchschnittlich 1 mm. Bei einer 10 Meter zeichnung für die Pollenanalyse. Hierbei wird starken Torfschicht kann man also von einem fossiler Blütenstaub, der in Moore oder Seesedi- ungefähren Alter von 10.000 Jahren ausgehen.
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Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit Nur wenige Hochmoore sind mehr als 10 Meter tief, da die letzte Eiszeit Mitteleuropa erst vor ca. 10.000 Jahren verließ. Aufgrund des relativ gleichmäßigen Wachstums der Moores kann darüber hinaus auch in diesem Zusammenhang eine ungefähre Altersbestimmung der Probe vorgenommen werden. Bei der Pollenanalyse, bei denen die Proben aus Mooren stammen, werden nun Bohrkerne in 1 bis 0,5 cm Abständen aus der Torfschicht entnommen und geschlossen beprobt. Aus jeder Probe werden die verschiedenen Pollenarten ausgezählt und auf 100% aufgerechnet, so dass man für jede Probe ein prozentuales Verhältnis der vorkommenden Pollentaxa (Arten) erhält. C14-Methode Nachdem die Bestimmung der Pollenarten und deren relatives Verhältnis innerhalb der verschiedenen Proben bestimmt worden sind, stellt sich die Frage nach dem Alter der Pollen. Wie bereits dargestellt, kann man aufgrund des stetigen Wachstums des Moores auf ein ungefähres Alter der konservierten Biomasse schließen, doch ist diese Altersschätzung recht ungenau und muss durch andere Altersbestimmungsverfahren unterstützt werden. Ein gängiges Verfahren zur Altersbestimmung von organischen Material ist die C14 – Methode oder auch Radiokohlenstoffdatierung genannt, die im Folgenden kurz dargestellt werden soll. Das Verfahren beruht auf dem radioaktiven Zerfall des Kohlenstoff-Isotops C 14. Isotope sind dadurch charakterisiert, dass die Atomkerne eine gleiche Protonenzahl aber unterschiedliche Neutronenzahl innerhalb eines chemischen Elements aufweisen. Kohlenstoff kommt in der Natur in drei Isotopen vor: C 12, C 13 und C 14. In der Luft beträgt der Anteil am Gesamtkohlenstoffgehalt für C 12 etwa 98,89%, für C 13 etwa 1,11% und für C 14 0,000‘000‘000‘1% (=10−10%). Im Gegensatz zu C 12 und C 13 ist C 14 nicht stabil, dass heißt es zerfällt nach einiger Zeit. Daher wird der C 14 Kohlenstoff auch Radiokohlenstoff genannt. Da Lebewesen bei ihrem Stoffwechsel ständig Kohlenstoff mit der Atmosphäre austauschen, stellt sich in lebenden Organismen dasselbe Verteilungsverhältnis der drei Kohlenstoff-Isotope ein, wie es in der Atmo-
sphäre der Fall ist. Trotz dem ständigen Zerfalles von C 14 bleibt das Verhältnis immer gleich, da folglich bei lebenden Organismen das C 14 ständig ausgetauscht wird. Nach dem Tod eines Organismus zerfällt das C 14 und wird nicht neu ersetzt. Der Kern dieser Methode besteht nun darin, dass dieser Verfall streng linear passiert und gemessen werden kann. Dieses vollzieht sich in der Messung des Verhältnisses zwischen C 14 und C 12 in einer Probe vom abgestorbenen organischen Material. Je geringer der Anteil an C 12 in der Probe, um so mehr Zeit ist seit dem Tod eines Lebewesens vergangen. Das Kohlenstoffisotop C 14 zerfällt sehr langsam. Es besitzt eine Halbwertszeit von 5730 Jahren. Das heißt, dass nach 5730 vergangenen Jahren nach dem Tod der Biomasse, der C 14 – Gehalt um die Hälfte geschrumpft ist. Die C 14 - Methode ermöglicht daher Altersbestimmungen bis zu 50.000 Jahre in die Vergangenheit. Danach ist der Zerfallsprozess nicht mehr überprüfbar. Die radioaktive Zerfallsgeschwindigkeit des C 14 ist von äußeren Einflüssen wie Druck und Temperatur nicht verzerrbar und ebenso unabhängig, in welcher chemischen Verbindung es vorliegt. Daher kann die C 14 – Methode (Radiokohlenstoffdatierung) als eine „geologische Uhr“ verwendet werden (Montag 2004). Pollendiagramme Das Ergebnis der vorangehenden Pollenanalyse und der Datierung der Pollen durch die C 14 – Methode finden sich in den sogenannten Pollendiagrammen wieder. Zu der Erstellung dieses Ergebnisdiagramms wurden mehrere hundert Blütenstaubproben aus den unterschiedlichen Jahrtausenden untersucht. Das Pollendiagramm zeigt auf der x – Achse die prozentuale Verteilung der nachgewiesenen Pollenarten Birke, Kiefer, Eiche, Hasel, Süßgräser und Kräuter. Dieser Verteilung wird auf der y – Achse die jeweilige Datierung zugewiesen. Diese Darstellung soll nur als Beispiel dienen. Sie ist keine Probe, die innerhalb der norwegischen Landesgrenzen entnommen wurde. Die meisten Pollen stammen von Landpflanzen und sind in den See bzw. in das Moor hineingeweht worden. Daher ermöglicht die Pollenanalyse vor allem Rückschlüsse über die Vege-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Abbildung 4.1.2 P o l lendiagramm (http://
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w w w 2 . h u m la b. u m u . s e / hsm/bilder/pollendiagram. jpg)
tation im nahen Umfeld des Untersuchungsgebietes. Aus dem Verhältnis von Baumpollen zu Nichtbaumpollen lässt sich beispielsweise der Grad und die Art der Bewaldung bestimmen. Ein starkes Absinken der Baumpollen in den Proben lässt u.a. auch auf anthropogen bedingte Rodungsphasen schließen. Weitere anthropogene Einflüsse lassen sich durch charakteristische Veränderungen im Baumpollenspektrum und das Auftreten von sogenannten Kulturzeigern nachweisen. Diese Kulturanzeiger bestehen in dem Nachweis von Getreidepollen oder Ackerunkräuter und weisen auf eine anthropogene Kultivierung der Landschaft hin (Schneider 2000). Abschließend stellt sich aber auch die Frage, inwieweit stimmen die in der Probe gefundenen Pollenarten und ihr Mengenverhältnis mit den tatsächlichen Vegetationsverhältnissen der damaligen Zeit überein. Dazu gibt es drei wesentliche Umweltfaktoren, die nur schwer zu kalkulieren sind und somit den Rückschluss von der analysierten Probe auf die tatsächliche Vegetationsgeschichte erschweren. Dazu zählen wie in der folgenden Abbildung (4.1.1) dargestellt der Pollentransport, die Pollenproduktion und die Polleneinbettung.
steigenden Luftbewegungen sowie Regen lassen die Blüten als „gelben Pollenniederschlag“ wieder zur Erde sinken. Aufgrund ihres unterschiedlichen Gewichts, sowie ihrer Form und Größe werden sie vom Wind unterschiedlich weit getragen. Lokaltransportierte Pollen lassen sich in der unmittelbaren Nachbarschaft bzw. in Bodennähe nieder. Regionaltransportierte Pollen können durch Verwehungen bis zu 10km weit transportiert werden. Diese Pollen bewegen sich oft in Höhen der Baumkronen. Am weitesten werden sogenannte ferntransportierte Pollen getragen. In großer Höhe könne sie viele Kilometer überbrücken. Aufgrund der unterschiedlichen Flugeigenschaften von Pollen ist das Ergebnis der Pollenanalyse kritisch zu betrachten und unter diesen Bedingungen zu bewerten (Lang 2004).
Pollenproduktion Ein weiterer kritischer Faktor stellt bei der Interpretation der Ergebnisse die unterschiedliche Pollenproduktion dar. Die Pollenproduktion ist je nach Pflanzenart verschieden und kann zum Teil bedeutende Differenzen aufweisen. So produziert zum Beispiel ein männlicher Blütenbestand von Kiefern rund 6 Mio. Pollenkörner, so sind es bei der Buche nicht mehr als 300.000 im Pollentransport selben Zeitraum. Darüberhinaus gibt es UnterDie Blütenpollen werden aufgrund von Winden schiede in der Blütephase und der Blütehäufigbis in die Höhe von 2.000 – 3.000 m verteilt. Ab- keit. Kritisch ist dies bei der Analyse der Mengen-
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Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit verhältnisse der Arten in der Probe zu bewerten. So kann man bei einer höheren Anzahl von Kiefernpollen gegenüber Buchenpollen nicht direkt auf eine tatsächlich höhere Anzahl von Individuen der Gattung Kiefer schließen (Lang 2004). Polleneinbettung Blütenpollen werden über die Luft, durch Regenwasser oder Schmelzwasser auf die Oberfläche des Moores transportiert. Hier haften sie an die örtliche Vegetation an. Nach dem Absterben der Moorpflanzen und deren Zersetzung finden sich die Pollen in den Torfschichten des Moores wieder. Problematisch wird es bei der Sedimentation in Seen. Ebenfalls durch Luft, Regenwasser
Abbildung 4.1.3 Modell des Pollentransports bzw. Polleneinstrag http://www.webgeo.de/
meisten Fällen kritisch zu hinterfragen. In dem Buch „Paläoökokologische Untersuchungen über die letzten 22‘000 Jahre in Europa“ von Anne Kathrin Gliemeroth wurde versucht die Biomasseverhältnisse der letzten Jahrtausenden und somit die Vegetationsgeschichte Europas nachzuvollziehen. Basis ihrer Untersuchung waren mehrere Tausend Pollendiagramme, die aus europaweiten flächendeckenden Pollenanalysen stammen. Auf der Karte ist mit jedem Punkt ein Ort markiert, vom dem Pollenproben über die letzten 22‘000 Jahre entnommen worden sind. Das Ergebnis dieser Analyse wird nun im Folgenden ausschließlich für Norwegen dargestellt. Die grobe Vegetationsentwicklung macht sich an insgesamt 6 „Klimawendepunkten“ fest, an denen sich das europäische Klima stark veränderte und so neue Vegetationsformen hervor brachte. Das Hochglazial (22.000 v.H.) Das Hochglazial bildet den Höhepunkt der letzten Eiszeit und damit einhergehend die stärkste Ausweitung des Eises. Zu diesem Zeitpunkt liegt ganz Skandinavien unter einem dicken Eispanzer. Vegetation kann auf Basis der Pollendiagramme zu dieser Zeit nicht nachgewiesen werden.
Die älteste Tundrenzeit (17.000 v.H.) oder Schmelzwasser gelangen die Pollen auf die In der ältesten Tundrenzeit ist ganz SkandinaSeeoberfläche. Hier sinken sie auf dem Seegrund vien immer noch von einem dicken Eispanzer und werden dort von organischen Ablagerungen überlagert. Dieser hat sich jedoch um einiges bedeckt. Kritisch sind hier die Strömungen an- verkleinert. Die Besonderheit ist, dass kleine zusehen, die Sedimente aufwirbeln und so Pol- Küstengebiete im Süd-Westen Norwegens belen unterschiedlichen Alters zu willkürlichen reits eisfrei waren. Hier entstand eine erste offePollenartengemeinschaften zusammenfügen. ne Vegetation mit Kräutern und Gräsern. Bei der Analyse von Proben kann dies zu einem irreführenden Ergebnis führen, da Pollen unterDas Bölling-Interstadial (13.500 v.H.) schiedlichen Jahrgangs in einer Probe zusam- Das Bölling-Interstadial bildet in der Klimahistomen analysiert und deren Mengenverhältnisse rie eine Warmphase. Weite Teile des Eispanzers verglichen werden (Lang 2004). über Skandinavien bildeten sich zurück. Die gesamte Südspitze Schwedens war nun bereits Charakteristische zeitliche „Klimawen- eisfrei. In Norwegen bildeten sich an den Süddepunkte“ in der Vegetationsgeschichte westlichen Küstenregionen Schneeböden und Norwegens Solifluktionsgemeinschaften aus. Aussagen über die Vegetationsgeschichte Norwegens der letzten 12.000 Jahren zu treffen, ist Das Alleröd-Interstadial (12.600 v.H.) wie bereits erwähnt, sehr schwierig und in den Das Alleröd-Interstadial bezeichnet ebenfalls
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 eine weitere Warmphase, wobei sich der Eispanzer aber in dieser Zeit wenig veränderte. Allerdings entwickelte sich zunehmend die Vegetation der norwegischen Westküste. An der Westküste Norwegens begann die Besiedlung eines offenen Birkenwaldes (38) und in den Hochlagen entstanden Tundren (21). Charakteristisch hierfür sind vereinzelte Gräser und Moose.
Das Atlantikum (7.000 v.H.) Das Antlantikum bildet das holozäne Wärmeoptimum. Gletscher zogen sich zurück, so dass Skandinavien eisfrei wurde. Im Norden Skandinaviens wuchsen Wälder mit Kiefern, Birken und Erlen die Richtung Süden in Eichenmischwälder mit Kiefern, Haseln, Birken und Erlen übergingen.
Die jüngere Tundrenzeit (11.800 v.H.) Die jüngere Tundrenzeit ist durch ein Kälterückschlag gekennzeichnet. Das norwegische Eisschild wächst wieder an. In ganz Europa kann dieser Kälterückschlag durch die Pollenanalysen nachgewiesen werden. Die Pollenmengen gingen flächendeckend in den Proben stark zurück. Darüberhinaus gehen die offenen Birkenwälder in Norwegen zu sehr lichten Birkenwäldern über.
Rezente reale Situation (Heute) Die rezent reale Situation bezeichnet die aktuelle Vegetationsausgestaltung. Im Inland und Norden Norwegens dominieren Tundren und im Rest Subalpiner Nadel-Laubwald (Gliemeroth 1995)
Abbildung 4.1.4 A u s d e h nung der Vereisung zu verschiedenen Stadien: Hochglazial (1), älteste Tundrenzeit (2), BöllingInterstadial (3), Alleröd-Interstadial (4), jüngere Tundrenzeit (5), Atlantikum (6), Rezente Situation (7) (1)
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Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit
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Abbildung 4.1.5 Eisschildausbreitung 20.000 Jahre v.h. (Schroeder 1998: 396)
Abbildung 4.1.6 Eisschildausbreitung 10.000 Jahre v. h. (Schroeder 1998: 396)
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Theorien zur Vegetationsentwicklung Nowegens Ein wichtiger Abschnitt in der Vegetationsentwicklung Europas waren die Quartären Vereisungen. Sowohl im Periglazialen Raum als auch in glazial überprägten Gebieten kam es nach dem Ende der Eiszeiten zu starke Migrationsbewegungen, welche zu der heutigen Verteilung der Flora und Fauna geführt haben. So auch in Norwegen. Die Spuren der vergangenen Eiszeiten sind in Norwegen allgegenwärtig. Zu der letzten Vereisung, der Würm Eiszeit, kam es vor ca. 70000 Jahren, ihr Maximum war vor ca. 20000 bis 25000 Jahren erreicht und der Rückzug der Gletscher geschah 10000 bis 12000 Jahre vor heute. Mit dem Rückzug der Gletscher in Skandinavien konnte die Landmasse nun durch Pionierarten wiederbesiedelt werden. Auf den ersten Blick zeigt sich in Norwegen ein Wiederbesiedlungsmuster von Süden und von Osten her. Die Küste etabliert sich als Entwicklungsachse, da sie aufgrund des Golfstroms gemäßigtere Bedingungen aufweist als das Hinterland Norwegens. Mit der Entdeckung einer bizentrischen Verteilung von bestimmten Tier und Pflanzenarten in vergleichbaren Rifugien, die jedoch in großer Räumlicher Distanz zueinander stehen, gerät jedoch das bisherige recht einfache Bild der Wiederbesiedlung Skandinaviens ins Wanken. Die Arbeit soll im Folgenden die zwei wesentlichen Theorien zur Wiederbesiedlung Skandinaviens diskutieren und einen Einblick in die Problematik der Theorien geben. Tabula rasa Theorie Erst in der Mitte des 19.Jahrhunderts setze sich in der Wissenschaft die Meinung durch, dass der Norden Europas, der Norden Amerikas und Teile Sibiriens während des Quartärs von Eis bedeckt waren. Die Entstehung der Norwegische Küste mit ihren Fjorden ebenso wie die Formen der vorgelagerten Inseln konnte nur durch die erosive Kraft von gewaltigen Gletschern erklärt werden. „ This led to the conclusion that the entire Scandinavian peninsula had been covered with ice during the „ice age“ with the consequent destruction of the flora and fauna.“ (Ægisdóttir & þórhallsdóttir 2004). Auf der Grundlage dieser
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Erkenntnis entwickelte sich die tabula rasa Theorie. Ausgehend von der Vollkomenen Zerstörung der ehemals vorhandenen Tier und Pflanzenarten geht die tabula rasa Theorie von einer Wiederbesiedlung Skandinaviens aus südlicher und östlicher Richtung aus. Pflanzen und Tiere, die in nichtvereisten Gebieten überleben konnten waren nach Abschmelzen des skaninavische Inlandeises in der Lage die unbesiedelte Landmasse Skandinaviens wiederzubesiedeln. Die heutige Flora Skandinaviens ist in einem noch jungen Entwicklungsstadium. Besonders die Seltenheit von endemischen Arten unterstützt die tabula rasa Theorie. „ The time span from the “ice age“ was not sufficiant for the developemant of new species.“ (Dahl 1955). Glacial Survival Theorie Laut Ægisdóttir und þórhallsdóttir (2004) stellte der schwedische Botaniker Rutger Senander heraus, dass sich die Flora einiger norwegischer (Dorvre, Norland und Finnmark) schwedischer Gebirge (Jämtland und Herjedalen) von der übrigen Flora differenziert. Nachdem sich Blytt bereits 1882 von der tabula rasa Theorie distanziert, da er der Auffassung ist, dass einige Gipfel Norwegens in der letzten Eiszeit nicht eisbedeckt waren und des Weiteren eine starke Verwandtschaft von in Skandinavien lebenden Pflanzen zu Nordamerikanischen Pflanzen besteht, formuliert Senander 1896 die „glacial survival“ Theorie. Sie geht von dem Überleben einiger Arten in geschützten Arealen aus, die während der letzten Eiszeit nicht von Eis bedeckt gewesen sein sollen. Sowohl die Vorstellung von großflächigen Gebieten, die eine Tundrenvegetation aufweisen als auch die Beschränkung der Lebensräume auf Nunataks wird im Folgenden unter großem Zuspruch von Botanikern und Vergetationsgeographen diskutiert. Später wurde laut Ægisdóttir und þórhallsdóttir (2004) durch Geologen bestätigt, dass Teile von Island, ebenso wie Teile des norwegischen Hochgebirges sowie die Inselgruppe der Lofoten in der letzten Eiszeit nicht mit Gletschereis bedeckt gewesen sind. Während eines Symposiums mit dem Titel „ The North Atlantic Biota and their History“ welches 1962in Reykjavik stattfand stimmten die
Vegetationsentwicklung seit der letzten Eiszeit
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teilnehmenden Biologen damit überein, dass die Verbreitung von bestimmten Skandinavischen Arten nicht ohne die glacial- survival Theorie erklärt werden kann. Ihren Zuspruch für die Theorie begründeten sie mit drei wesentliche botanischen Argumenten.
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The west-arctic element Das bereits 1882 von Blytt benannte west-arctic element umfasst in Norwegen ca. 30 Species. Die selben Arten des west-arctic elements kommen zeitgleich jedoch auch teilweise in Island, Grönland, auf Spitzbergen und im Norden Amerikas vor. In den Alpen, dem Ural und in Asien hingegen fehlen diese Arten vollkommen. Eine Verbreitung dieser Arten in Skandinavien, so Ægisdóttir und þórhallsdóttir (2004), lässt sich durch eine Wiederbesiedlung nach der letzten Eiszeit kaum erklären, da sich die Frage stellt, warum sie in Skandinavien vorkommen, jedoch nicht in den Alpen. Nach der tabula rasa Theorie die von einer Wiederbesiedlung Skandinaviens nach der letzten Eiszeit ausgeht, müssten das west-arctis element in europas eisfreien Zonen die Eiszeit überdauert haben. Warum die Alpen nicht durch das west arctic element besiedelt wurden, wohl aber Skandinavien bleibt ungeklährt. Die Glacial survival Theorie liefert mit ihrer Überdauerungs hypothese einen schlüssigeren Ansatz. The alpine endemic Element Obwohl es in Skandinavien nur wenige endemische Arten gibt, zeigt sich eine deutliche Differenzierung in der Häufigkeit des Endemismus zwischen Tieflandarten und Hochgebirgsarten. Nach Ægisdóttir und þórhallsdóttir (2004) zeigt sich Unter den Hochgebirgsarten ein deutlich höherer Anteil endemischer Arten als bei denen des Tieflandes. Hinzu kommt, dass die Verbreitung dieser Hochgebirgsarten an das Vorkommen von Nunataks gebunden ist. Wäre die tabula rasa Theorie richtig, müssten sowohl die endemischen Arten des Hochgebirges als auch die endemischen arten des Tieflandes ungefähr das gleiche Alter haben. Die im Verhältnis zu den Tieflandarten hohe Zahl der Hochgebirgsarten lässt jedoch nicht auf das gleiche Alter der Taxa schließen. Die Glacial survival Theorie hingegen
Abbildung 4.1.7 Die zwei Zentren des West Arctic Elements (Ives 1974: 606)
liefert eine plausieble Erklärung für die unterschiedliche Konzentration endemischer Arten des Hochgebirges und des Tieflandes. The special disjunction of alpine flora Der schwedische Botaniker Fries fand laut Ægisdóttir und þórhallsdóttir (2004) 1913 heraus, dass eine große Anzahl der Skandinavischen alpinen Flora eine zentrische Verteilung aufweist. Bedonderes Augenmerk wird im Zusammenhang mit der glacial survival Theorie jedoch auf ca. 25 Taxa gelegt, die eine bizentrische Verteilung aufweisen. Sie kommen sowohl in den Hochgebirgsregionen Sürnorwegens (Dovre/Jo-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 tunheimen) vor, als auch in den nordskandinavischen Hochgebirgsregionen und auf Lofoten. Unizentrische Taxa wurden jeweils nur in einer der beiden Hochgebirgsregionen nachgewiesen. Betrachtet man die Verteilung des west arctic elements, so zeigt sich, dass 80% der Taxa eine unizentrische Verteilung aufweisen. „The species must have survive in two seperated refugia in Scandinavia; one in the Dovre/Jotunheimen mountains in south Scandinavia and the other in north Scandinavia from the Arctic Circle northward to Troms and Finmark (Dahl 1955). Tabula Rasa oder Glacial Survival? Die tabula Rasa Theorie scheint vor den schwer wiegenden Indizien, die die glacial survival Theorie stärken widerlegt zu sein. Die drei wesentlichen Stützpfeiler, the west- arctic element, the alpine endemic element und die disjunction theorie alpiner Arten können allesamt mit der glacial survival theorie erklärt weden, nicht aber mit der Tabula rasa Theorie. Des Weiteren wird laut Ægisdóttir und þórhallsdóttir (2004) von einer ehemaligen Landbrücke zwischen Europa und Nordamerika ausgegangen, welche die Verbreitung des westarctis elements deutlich unterstützt. Viele der Arten des west-arctic elements weisen lediglich die Fähigkeit zur Kurzstreckenverbreitung auf. „ Dahl […] concidered long distance dispersal unlikely, due to lack of species adapionn in the west-arctic element.“ (Ægisdóttir und þórhallsdóttir 2004). Dennoch sprechen auch einige Indzien deutlich gegen die glacial survival Theorie. Nordal gibt an, dass viele Geologen auch von einer Landbrücke zwischen Europa und Nordamerika ausgehen, diese jedoch in das späte Tertiär datieren. Selbst wenn das west- arctic element die letzte Eiszeit in geschützten Rifugien auf Nunataks überdauert hat, hätte es ebenfalls die vorangegangenen Eiszeiten überdauern müssen, in denen die Eismassen des Skandinavischen Inlandeises noch mächtiger waren als in der vergangenen Eiszeit. Ein weiterer Punkt der die glacial survival Theorie in starke Bedrängnis bringt ist ein klimatologischer Aspekt. „ Paleoclimatic reconstructions from the Greenland ice cores indicate mean anunal temperatures as
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much as 25°C lower than the present […] , making survival of most plants species impossible.“ (Philipp and Siegmund 2003). Der fossile Fund von Pedicularis hirsuta in der Nähe von London wird als Beleg herangezogen, dass west-arctic element Species sehr wohl die letzte Eiszeit in unvergletscherten Teilen Europas überdauert haben könnten. Nordal behauptet des Weiteren, dass die Konzentration von endemischen Arten im Hochgebirge auch ohne das Überleben der letzten Eiszeit erklären lässt, da fünf der endemischen Taxa sehr Zauhlreichen Mutationen unterliegen, und es somit auch schenll zu einer neuen Artbildung kommen kann. „ Five of these endemic Taxa (Antennaria nordhageniana, Taraxanum dovrense and T.norvegicum) belong to apomictic groups within which “spectation“ can beraide, e.g. is a single mutaion with phenotypic effect distinct enough to give rise to a new “species“ (Nordal 1987). Ebenso ist die fehlende Veranlagung zur Langstreckenverbreitung noch lange kein Beweis für eine Einwanderung über eine eventuelle pleistozäne Landbrücke. Samen können beispielsweise durch den Transport mit Treibeis zu der heutigen Verteilung des west-arctic elements geführt haben. Während der Exkursion wurde eine Mäuseart vorgestellt, die in einer Falle in dem Forschungsgebiet von Prof.Dr. Löffler gefangen wurde. Sie wurde als Indiz für die glacial- survival Theorie gehandelt, doch muss die Tatsache beachtet werden, dass der Fundort keinesfalls auf einem Nunatak gelegen war. Fazit Sowohl die Tabula rasa Theorie und die glacial survival Theorie argumentieren mit brauchbaren Indizien. Eine abschließende Beantwortung der Frage von Norwegens Wiederbesiedlung nach der letzten Eiszeit kann mit dem heutigen Wissensstand noch nicht gegeben weden. „ In spite of numerous studies and discussions on the glacial and migration history of the North atlantic flora for over a century, conclusive answers have not yet emerged.“ (Ægisdóttir und þórhallsdóttir 2004) .
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Literatur Ægisdóttir, H. und Þ. Þórhallsdóttir (2004): Theories on migration and history of the North-Atlantic flora: a review. In: Jökull No.54. Abrufbar unter: http://pages.unibas.ch/botschoen/ pdf/2004aegisdottir.pdf (Datum: 28.09.09) Dahl, E. (1955): Biogeographicand geologic indications of unglacierd areas in Scandinavia during the glacial ages. In: GeoScienceWorld 1499-1519. Gliemeroth, A. K. (1995): Paläoökokologische Untersuchungen über die letzten 22‘000 Jahre in Europa, Fischer Verlag, Stuttgart. Ives, D.J. (1974): Biological refugia and the nunatak hypothesis. In: IVES, D.J. (Hrsg.): Arctic and Alpine Environment. London, S.605 – 636. Lang, G. (1994): Quartäre Vegetationsgeschichte Nordeuropas. Abgerufen unter: http:// www.webgeo.de/beispiele/de/rahmen. php?string=de;1;v_024;2;;;;; (22.09.09). Montag, S. (1994): Die C14-Methode. Abgerufen unter: http://www.old.uni-bayreuth.de/departments/didaktikchemie/umat/mars/int_ e5.htm (22.09.09). Nordal, I. (1987): Tabula rasa after all? Botanical evidence for icefree refugia in Scaninavia reviewed. In: Biogeography 14, S.377-388. Philipp, M & H.R. Siegmund (2003): What can morphology and isozymes tell us abuot the history of the Dryas integrifolia – octopetala complex ? In: Molecular Ecology 12, S. 1231- 1242. Schroeder, F.-G. (1998): Lehrbuch der Pflanzengeographie. (Quelle und Meyer Verlag) Wiesbaden. Schneider, J. (2000): Die Entwicklungsgeschichte des Steißlinger Sees (Hegau) als Spiegel sich verändernder Klima- und Umweltbedingungen während der letzten 15000 Jahre. Ein Standardprofil für den westlichen Bodenseeraum. Pollenanalyse. Abgerufen unter: http://web. uni-frankfurt.de/fb11/ipg/spp/ Projekte/16. htm (22.09.09).
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Vegetationszonierung im norwegischen Hochgebirge
Fabian Lagodny
Einleitung uropas Norden ist in vielerlei Hinsicht der am meist begünstigte Teil der kühlgemäßigten Zone. Generell reicht der Wald in Nordeuropa weiter nach Norden als in anderen Teilen der nördlichen Hemisphäre, mit der Ausnahme von Mittelsibirien. Die sonst gültige Regel das Waldsäume inmitten von Kontinenten weiter nach Norden reichen als in Küstenregionen wir somit durchbrochen. Dies kommt zustande durch die relativ warmen atlantischen Luftmassen die über das ganze Jahr nach Nordwesteuropa gelangen (Sömme 2003). Dennoch weisen Flora und Faune in Norwegen eine Armut an Arten auf. Dies erklärt sich zum Teil durch die pleistozäne Vereisung, die vor ca 20 000 Jahren nahezu den gestammten Skandinavischen Raum mit Inlandeis bedeckt hatte, mit Ausnahmen einiger isolierter Refugien über die sich Biologen und Geologen jedoch noch im Uneinen sind. Die größeren pflanzengeographischen Regionen ergeben sich aus den klimatischen Differenzierungen, die jedoch innerhalb dieser Regionen eine beträchtliche Vielfalt aufweisen (Sömme 2003). Diese potenziell natürlichen Vegetationsformationen lassen sich in „klassische“ Vegetationszonen unterteilen.
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auf den äußersten Süden und Westen Norwegens beschränkt und ähneln trotz ihres eingeschränkten Arteninventars in ihrer Ökologie den temperierten Wäldern Mitteleuropas. Das Verbreitungsgebiet ist ozeanisch geprägt so dass in der über 200 Tage dauernden Vegetationsperiode Laubbäume ausreichend Zeit haben einen neuen Assimilationsapparat auszubilden. An dominiert an gut mit Nährstoffen versorgten Standorten die Rotbuche (Fagus Sylvatica) die Waldlandschaft. Diese Art ist in ihr heutiges Verbreitungsgebiet erst vor etwa 1000-2000 Jahren gekommen und musste demnach von Beginn an mit den Ackerbau betreibenden Menschen um günstige Standorte konkurrieren (Glässer et al. 2003). In ganz begünstigten Lagen kommen zur Buche noch die Gemeine Esche (Fraxinus escelsior) und die Bergulme (Ulmus glabra) in die Baumvegetation. In der Krautschicht der Wälder finden sich Waldmeister (Galium odoratum) , Gelben Windröschen (Anemone ranunculoides), Goldnesseln (Lamium galeobdolon) Bärenlauch (Allium ursinum) und das einblutige Perlgras (Melica uniflora). Auf Nährstoff armen Lagen verliert die Buche jedoch an Konkurrenzkraft und wird von Traubeneichen (Quercus petraea), Eberesche (Sorbus aucuparia), Espe (Populus tremula) und Birke
Abbildung 4.2.1 Zonierung der potentiellen natürlichen Vegetationsformationen Norwegens
Nemorale Stufe (Betula pendula) verdrängt. In der Krautschicht Die nemoralen Wälder bilden in Norwegen die mischen sich hier Drahtschmiele (Deschampsia unterste Vegetationsstufe. Diese Wälder sind flexuosa) und Heidelbeere (Vaccinium myrtillus)
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Vegetationszonierung in die Boden nahe Vegetation. An besonders feuchten Standorten findet man auch die Eibe (Taxus baccata) die Stechpalme (Ilex aquifolium) und das Efeu (Hedera helix) (Glässer et al. 2003). Boreo-Nemorale Stufe In der boreo-nemoralen Stufe, die im Wesentlichen immer noch von Laubbäumen geprägt ist, mischen sich zunehmende boreale Arten. Diese Zone findet mit der nördlichen Arealgrenze der Stieleiche (Quercus robur) insgesamt ihren nördlichen Abschluss. In dieser Übergangszone dünnt das Laubbaumarteninventar nach Norden zunehmend aus. Rotbuche und Traubeneiche verschwinden zuerst, Winterlinde (Tilia cordata) Spitzahorn (Acer platanoides) und die Gemeine Esche treten verstärkter auf. Eine wichtige Waldgesellschaft in dieser Stufe ist der so genannte Ulmen-Lindenwald, der sich aus Ulmen und Winterlinden zusammensetzt. In der Krautschicht finden sich hier anspruchsvollere Arten wie das Christophskraut (Actaea spicata), das Wunderveilchen (Viola mirabilis) und Mittlerer Lerchensporn (Corydalis intermedia). In der Baumschicht gesellen sich oftmals Kiefern (Pinius sylvestris) und Fichten (Picea abies) hinzu und in der Krautschicht weisen teils Laubmoose auf die deutlich borealer geprägten Standorte hin. Die weltweit nördlichsten boreo-nemoralen Waldvorkommen findet man im Bereich des Trondheimfjords.
von Fichten dominierte Moosglöckchen-Fichtenwald. Neben dem Moosglöckchen (Linnaea borealis) ist in der flächendeckenden Moos- und Zwergstrauchschicht auch die Heidelbeere und die Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea) sowie an feuchten Standorten verschiedene Farngewächse vertreten. Die wichtigste kiefernbestimmte Waldgesellschaft ist der Flechten- Kiefernwald, der auf mageren trockenen Böden wächst. Hier sind vor allem flächendeckend Flechten wie der Rentierflechte (Cladonia rangiferina) aber auch vereinzelt Bärentrauben (Arctostaphylos uvaursi) anzutreffen. Auf nicht ganz so trockenen Standorten finden sich auch Preiselbeeren und ein höherer Anteil an Moosen. In feuchten Moorwäldern sind die Kiefern meistens niedrigwüchsig. In der Moosschicht treten hier eine Vielzahl von Torfmoosen auf. Die Krautschicht dominieren hier die Rauschebeere (Vaccinium uliginosum), die Moosbeere (Vaccinium oxycoccos), die Krähenbeere (Empetrum nigrum), die Moltebeere (Rubus chamaemorus) und das Scheiden-Wollgras (Eriophorum vaginatum). Vereinzelt tritt auch die Zwergbirke auf (Betula nana). Die häufigsten Moore sind Aapa Moore die aus Grundwassernassen Senken und höheren trockenen Inseln bestehen und oftmals isohypsenparallel auftreten. Das Mosaik der borealen Waldlandschaften wir von Sukzessionsflächen durchzogen die Beispielsweise durch Waldbrände oder Rodung entstehen. Auf diesen Flächen wachsen besonders häufig Birken, Espen und Eschen die zeitlich vor dem Nadelwaldstadium stehen.
Boreale Stufe Die flächenmäßig größte und bedeutsamste Vegetationsform in Nordeuropa stellt der boreale Nadelwald dar. Die Nadelwaldregion ist der westliche Ausläufer des eurasiatischen borealen Landschaftsgürtels, der die russisch –sibirische Taiga umfasst und ist ebenso wie die Laubwälder deutlich artenärmer als die sonstigen Nadelwälder dieser Zone. Die oberste und nördlichste Wald und Baumgrenze wird meistens vom Fjellbirkenwald gebildet. Kennzeichnend ist eine Vegetationsperiode von 120 bis 200 Tage im Jahr und eine mehrmonatige Schneeauflage im Winter. Kiefer und Fichte bilden hier den Abbildung 4.2.2 Borealer Nadelwald (Foto: Fabian LagodBaumbestand. In der süd- und mittelborealen ny) Zone am weitverbreitete Waldgesellschaft ist der
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Nördliche Boreale Stufe / Untere alpine Stufe In der nördlichen bzw. der oberen Waldgrenze tritt zwischen die boreale Nadelwald- und die subarktische Tundrenzone, eine von Moorbirken (Betula pubescenes) dominierte Waldvegetationsform. Dieser wird auch als Fjellbirkenwald bezeichnet. Die Birken sind im ozeanisch geprägten Waldgrenzmilieu den Koniferen überlegen, da sie in der kurzen Vegetationsphase dauerhaft besser Biomasse auf bauen können. Zudem reifen die Samen der Kiefern aufgrund der geringen Sommertemperaturen nicht aus, so dass eine Reproduktion unterbleibt. Die Birken bilden sowohl mono- als auch polykorme Bestände aus die meist nicht höher als 5m werden. In den trockenen und lichten Wäldern, die somit auch im Winter vergleichsweise Schneearm sind wird die bodendeckenden Vegetation überwiegend durch Strauchflechten bestückt die von einer Zwergstrauchschicht aus Zwergbirke, Krähenbeere, Preiselbeere und Alpenbärentraube überdeckt wird. Stellenweise kann der Fjellbirkenwald durch den Befall von in Massen auftretenden Raupen des Grünen Spanners befallen werden was zum abroden von Wäldern führt, um der Gefahr entgegenzuwirken. Der Einfluss des Menschen darf bei der Verbreitung der Fjellbirkenwälder und ihrer oberen Waldgrenze generell nicht unterschätz werden. Durch Holzentnahme und Rentierbeweidung wird die Waldgrenze vielerorts anthropogen herabgedrückt.
Abbildung 4.2.3 Fjellbirkengrenze / Baumgrenze (Foto: Fabian Lagodny)
Die klimatisch bedingte obere Waldgrenze liegt
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in Jotunheimen am höchsten und erreicht dort etwa 1200m ü. d. M.. Nach Norden und zur Küste hin fällt die Waldgrenze mit einem teilweise starken Gradienten auf im Allgemeinen 500m ü. d. M. ab. Mittlere alpine Stufe / Hochalpine Stufe Nördlich bzw. oberhalb der Waldgrenze schließen sich Vegetationsformen an in denen baumartige Wuchsformen vollständig fehlen, da die klimatischen Verhältnisse eine ausreichenden Produktion von Biomasse und reproduktionsfähigen Samen nicht zulässt. Im Winter gibt es zudem für höher in den Luftraum ragende Pflanzen keinen isolierenden Schneeschutz. Hier findet freie sommerliche Beweidung statt die zudem für die Vernichtung von Baumkeimlingen anzufüh-
Abbildung 4.2.4 Vegetationsdecke bestehend aus Moosen und Zwergsträuchern (Foto: Fabian Lagodny)
ren ist. Die Fjelltundravegetation ist eine somit sehr artenarme Zone die vor allem von Moosen, Flechten und Zwergsträuchern dominiert wird. Die sehr kleinräumige Verteilung der Vegetation lässt sich auf die winterliche Schneebedeckung zurückführen. In schneereichen Senken können sich höhere Gebüsche aus Weiden und Erlen entwickeln, die von der winterlichen Schneeauflage profitieren. Anhand der kleinräumigen Verteilung von Schneeflechten, Rentierflechten oder Xflechte lassen sich kleinräumige Rückschlüsse auf das Mirkoklima schließen, worauf jedoch im Kapitel Kleinräumige Vegetation eingegangen wird. In noch höheren, und somit alpineren Lagen wird die Polstervegetation immer seltener und die Schotterfelder und Felsen sind dominierend mit Landkartenflech-
Vegetationszonierung
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ten (Rhizocarpon geographicum) überzogen. Eine Nivale Stufe ist in den Skanden nicht vorhanden.
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Literatur Glässer, E., Lindemann, R. & J.-F. Venzke (2003): Nordeuropa. (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) Darmstadt. Sömme, A. (2003): Die nordischen Länder. (Westermann) Köln.
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
Die alpine Baumgrenze in Norwegen Markus Lengersdorf
Einleitung as übergeordnete Thema der Exkursion waren die Hochgebirge Zentral Norwegens und die damit verbundenen physiogeographischen und humangeographischen Aspekte. Im Verlauf dieses Kapitels soll nun das Thema der alpinen Baumgrenze in Norwegen behandelt werden. Das Hauptaugenmerk lag hier vor allem auf dem unterschiedlichen Höhenverlauf der Baumgrenze innerhalb Norwegens, dem damit in Verbindung stehenden Ozeanitäts- KontinentalitätsGradienten sowie mögliche Gründe für das Ansteigen der Baumgrenze in den letzten Jahren. Norwegen weist im Bezug auf die Baumgrenze eine Besonderheit auf. Im Gegensatz zu fast allen anderen Hochgebirgen, wird die alpine Baumgrenze in Norwegen von der Birke (Betula pubescens) und nicht durch Nadelbäume wie z.B. die Kiefer gebildet. Der subalpine Fjellbirkenwald grenzt zum einen im unteren Bereich an den montanen Nadelwald, der größtenteils aus Kiefern besteht und zum anderen im oberen Bereich an die alpine und waldfreie Höhenstufe. Dabei ist die Ausdehnung des Fjellbirkenwaldes national unterschiedlich. An den Küstenregionen, kann dieser aufgrund der geringen Höhe der Kiefer deutlich größer ausfallen als im Landesinneren (Aas & Faarlund 2000). Ursprünglich war das Thema der alpinen Baumgrenze in Norwegen von unserem Dozenten Ole Rößler für das Gebiet Gudmedalen am Nachmittag des 2. August vorgesehen. Jedoch wurde es bereits am ersten Tag nach der Anreise, bei der Besichtigung des Forschungsgebietes oberhalb von Vågå, durch Herrn Professor Löffler aufgegriffen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll die Thematik der alpinen Baumgrenze, unter Berücksichtigung der Eindrücke und Erkenntnisse der Exkursion, im Bezug auf ihren unterschiedlichen Verlauf innerhalb Norwegens sowie den Veränderungen der Baumgrenze in
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der letzten Zeit, dargestellt und erläutert werden. Kontrollierende Faktoren Bodenfruchtbarkeit Trotz der geringen Bodenansprüche der Birke (Betula pubescens), kann die Bodenfruchtbarkeit Auswirkungen auf die alpine Baumgrenze haben. So schreibt Ruden (1949), dass die Baumgrenze auf fruchtbaren Böden bis zu 200m höher liegen kann als auf unfruchtbaren Böden, andere Autoren wie z.B. Heikkinen (1984) gehen dies bezüglich von nur 100m aus. In der Region Rhondane liegt die Baumgrenze der Birke 95m höher als in Veslesvulten. Aufgrund der geringen Distanz zwischen diesen beiden Standorten, kann der Höhenunterschied nicht allein durch das Klima erklärt werden. Jedoch sind die Auswirkungen bedingt durch die Bodenfruchtbarkeit eher auf lokaler Ebene anzusetzen (Aas & Faarlund 2000). Wind Wind beeinflusst die Pflanze auf mehrere Arten. Zum einen senkt er die Temperatur von Blättern und Nadeln und zum anderen verstärkt er die Evaporation und kann somit zum Austrocknen des Bodens führen. Des Weiteren führen starke Winde, besonders in Verbindung mit Eis, zu einer mechanischen Schädigung der Pflanze. Dies ist vor allem in Küstennähe sowie in Gebieten, in denen die Waldgrenze bis unmittelbar unterhalb der Gipfel reicht von Bedeutung (Aas & Faarlund 2000). Licht Ein weiterer wichtiger Faktor für das Wachstum von Pflanzen ist Licht. Die direkte Sonneneinstrahlung hat Auswirkungen auf die Temperatur des Bodens, des Stamms sowie der Blätter und
Die alpine Baumgrenze in Norwegen somit auf die physiologischen Prozesse innerhalb der Pflanze, da diese nicht von der Lufttemperatur abhängig sind, sondern von der Temperatur in der Pflanze. Mit zunehmender Höhe steigt auch die direkte Sonneneinstrahlung, so dass diese in den Bergen eine maßgebliche Rolle spielt (Aas & Faarlund 2000). Temperatur Ein Großteil der wichtigsten Lebensfunktionen einer Pflanze bzw. eines Baums hängen von der Temperatur ab, dies gilt besonders für Standorte in großen Höhen. Folglich hängt auch die Baumgrenze stark von diesem Faktor ab. Die Temperatur ist in Bodennähe am höchsten, mit zunehmendem Abstand zum Boden nimmt diese ab. Dies kann auch als Begründung herangezogen werden, weshalb die kleineren Birken in größeren Höhen als die größeren Nadelbäume wachsen können (Aas & Faarlund 2000). Früher wurde angenommen, dass die Baumgrenze abhängig sei von der durchschnittlichen Jahrestemperatur. Kerner (1864) hat z.B. die nördliche und alpine Baumgrenze in Verbindung mit einer Jahresmitteltemperatur von 1,6°C gesetzt. In der Realität können jedoch die Jahresmitteltemperaturen von verschiedenen Standorten der Baumgrenze in Norwegen um bis zu 7° C variieren. Dies legt nahe, dass die durchschnittliche Jahrestemperatur im Bezug auf die Baumgrenze bzw. auf das Wachstum von Bäumen eine untergeordnete Rolle spielt. So können z.B. Standorte mit einer höheren Jahresmitteltemperatur oberhalb der Baumgrenze liegen, und Standorte mit einer geringeren Jahresmitteltemperatur innerhalb von Produktiven Waldgebieten (Aas & Faarlund 2000). Sowohl Birke als auch Fichte und Kiefer können harte Winter mit Frostschäden überstehen. Folglich müssen die Wintertemperaturen von geringerer und die Sommermonate von übergeordneter Bedeutung sein. Im Laufe der Zeit wurden über die Bedeutung der Temperatur in den Sommermonaten verschiedenste Ansätze entwickelt. Ein Ansatz, den Aas und Faarlund (2000) in ihrer Arbeit aufgreifen ist der des „tritherm“. Für die Baumgrenze bzw. das Wachstum von Bäumen, scheinen vor allem die drei wärmsten Monate im Jahr von ausschlaggebender Bedeutung zu sein, auf der Nordhalbku-
gel sind dies im Regelfall die Monate Juni, Juli und August. Massenerhebung Die Unterschiede zwischen ozeanischen und kontinentalen Klimabedingungen, sowie die Lage auf unterschiedlichen Breitenkreisen reichen nicht aus um die abweichenden Höhen der Baumgrenze zu erklären. Mit steigender Höhe nimmt die direkte Einstrahlung zu, dadurch steigt auch die Lichtenergie. Folglich steigt die Temperatur des Stamms, der Blätter sowie des Bodens. Dementsprechend kann die Massenerhebung als Begründung dafür herangezogen werden, weshalb hohe Gebirgsregionen die Vegetationsgrenzen, dies gilt auch für die Baumgrenze, höher ziehen (Aas & Faarlund 2000). Abschließend lässt sich noch sagen, dass die Baumgrenze besonders durch den Faktor der Energieversorgung, und somit von der maximalen und der durchschnittlichen Temperatur während der Wachstumsperiode kontrolliert wird (Aas & Faarlund 2000). Verlauf der alpinen Baumgrenze in Norwegen Wie in den Alpen variiert die Höhe der alpinen Baumgrenze auch in den norwegischen Skanden. Abbildung 4.3.1 zeigt den klimabedingten Verlauf der Höhenlinien der Baumgrenze der Birke in Süd- und Zentralnorwegen. Wie man der Karte entnehmen kann, liegt der durch das Klima bedingte höchste Punkt der alpinen Baumgrenze im Bereich der Gebirgsregion Jotunheimen Die Baumgrenze liegt hier bei bis zu 1240m über NN (Aas & Faarlund 2000). Das Gebirgsmassiv Jotunheimen, was übersetzt Heim der Riesen bedeutet, ist sowohl das höchste Gebirge Norwegens als auch Skandinaviens. Neben dem höchsten Berg Norwegens, dem Galdhøpiggen (2469m), und dem zweit höchsten Berg, dem Glittertind liegen noch 20 weitere Gipfel mit mehr als 2300m über NN in der Gebirgsregion Jotunheimen. Als Grund für die im Vergleich zu den anderen Gebieten Zentral Norwegens enorme Höhe des Baumgrenzökotons in Jotunheimen wurde von unseren Dozenten der Massererhebungseffekt aufgeführt. Wie bereits im Abschnitt 2.5 erläutert wurde, kann aufgrund der Massenerhebung
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Abbildung 4.3.1 Isohypsenkarte der klimatischen Waldgrenze Zentralnorwegens (Quelle: Aas & Faarlund 2000)
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und den damit verbundenen Bedingungen die Baumgrenze höher steigen als in anderen Regionen, so dass dies als Hauptgrund für die besondere Höhe des Baumgrenzökotons in dieser Region angesehen werden kann. Des Weiteren fällt bei der Betrachtung der Karte auf, dass zwar die Höhe der Baumgrenze von Jotunheimen aus in alle Richtungen hin abnimmt, jedoch die Abstände der Höhenlinien offensichtlich variieren. In Richtung der westlichen Küste sind die Abstände zwischen den einzelnen Höhenlinien deutlich geringer als im Vergleich zur südlichen Richtung, aber vor allem im Vergleich zum Verlauf der Höhenlinien in östlicher Richtung sind klare Differenzen zu erkennen. Dieser unterschiedliche Verlauf der Isohypsen steht in einem engen Zusammenhang mit dem Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradienten in Zentral Norwegen. Mit zunehmender Ozeanität des Klimas sinkt die alpine Waldgrenze. Aufgrund des ozeanischen Einflusses nehmen die Klima- bzw. Temperaturschwankungen in Richtung Küste ab. Ozeanische Klimabedingungen führen sowohl zu einer Milderung der Wintermonate, als auch zu milderen Sommermonaten (Aas & Faarlund 2000). Dies hat zur Folge, dass die Temperaturen der drei wärmsten Monate, welche für das Baumwachstum von größter Bedeutung sind, unter kontinentalen Klimabedingungen höher ausfallen als die unter ozeanischen Gegebenheiten.
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Dementsprechend korreliert der klimabedingte Verlauf der Höhenlinien der alpinen Baumgrenze in Zentral Norwegen mit dem angesprochenen Ozeanitäts-Kontinentalitäts-Gradienten. Untersuchungsgebiete Die Untersuchungsgebiete Vågå und Gudmedalen, an denen der Aspekt der alpinen Baumgrenze in Norwegen im Verlauf der Exkursion behandelt wurde, liegen in Zentral Norwegen. Jedoch unterscheiden sich diese Regionen sowohl in der Landnutzung als auch in der Ausprägung des regionalen Klimas. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts erfolgt zunächst eine kurze Charakterisierung der beiden Untersuchungsgebiete. Des Weiteren soll anhand der beiden Standorte, sowie den Eindrücken und Erkenntnissen der Exkursion, versucht werden, mögliche Gründe für die Entwicklungen der alpinen Baumgrenze in den letzten Jahrzehnten herauszufinden. In diesem Zusammenhang sind besonders der Klimawandel und dessen erdenkliche Auswirkungen auf das Baumgrenzökoton, sowie die Veränderungen in der Landnutzung zu erwähnen. In der Abbildung 4.3.2 ist zu erkennen, dass das Untersuchungsgebiet Gudmedalen wesentlich weiter westlich und somit näher zur Küste liegt als das zweite Untersuchungsgebiet bei Vågå. Die daraus resultierenden Unterschiede im Bezug auf das Klima zwischen den beiden Un-
Die alpine Baumgrenze in Norwegen tersuchungsregionen, zeigen einen Ozeanitäts- den verschiedene Aspekte entlang eines Höhengradienten angesprochen, so auch der subalpine Birkenwald und die alpine Baumgrenze. Das Untersuchungsgebiet oberhalb von Vågå liegt bei ca. 61° 53’ nördlicher Breite und 9° 15’ östlicher Länge in der fylke Oppland (fylke ≈ Bundesland). Die alpine Baumgrenze liegt in dem Gebiet zwischen 925m und 1100m über NN und somit höher als im Untersuchungsgebiet Gudmedalen (Rössler 2005). Abbildung 4.3.3 zeigt einen Abschnitt der Waldgrenze in der Untersuchungsregion Vågå. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei -1,1°C auf einer Höhe von 1100m über NN. Aufgrund der unterschiedlichen Höhen der Baumgrenze in den zwei Untersuchungsgebieten ist es durchaus sinnvoll, aus Gründen der Vergleichbarkeit, die Jahresmitteltemperatur auf Meeresniveau umzurechnen. Bei einem Faktor von 0,6°/100 Meter ergibt sich so eine durchschnittliche Jahrestemperatur von 5,5°C. Die Jahresniederschlagssumme liegt zwischen 300500mm (Rössler 2005). Wie wir während der Abbildung 4.3.2 Übersichtskarte Zentralnorwegen Exkursion erfuhren, wird diese Region aufgrund (Google Earth) der geringen jährlichen Niederschlagsmengen Kontinentalitäts-Gradienten auf, der sich von des Öfteren auch als „Sahara Norwegens“ beder ozeanischgeprägten Westküste Norwegens zeichnet. Das Untersuchungsgebiet oberhalb über die Hochgebirge bis in den kontinentalge- von Vågå ist das östlichere der beiden Gebiete prägten Osten Norwegens vollzieht. und weist somit auch die kontinentaleren Bedingungen auf, dieses wird durch die Klimadaten Vågå verdeutlicht. In den letzten 40 Jahren, kam es in Am ersten Tag der Exkursion, stellte uns Herr Folge des Klimawandels zu einem leichten AnLöffler das Forschungsgebiet seiner Arbeitsge- stieg der Temperatur sowie des Niederschlags. meinschaft oberhalb des Ortes vor. Dabei wur- Messungen der offiziellen, meteorologischen Station Bråtå belegen dies. Der Anstieg der Temperatur ist dem zu folge jedoch auf die Wintermonate begrenzt, ähnliches gilt für den Niederschlag. Aufgrund der Klimaänderungen außerhalb der Wachstumsphase, ist ein Anstieg des Baumgrenzökotons aufgrund des Klimawandels noch auszuschließen (Rössler 2005). In Abbildung 4.3.4 ist die Entwicklung der Weidetierzahlen in der Kommune Vågå des 20. Jahrhunderts dargestellt. Wie man der Abbildung entnehmen kann, hat sich vor allem die Zusammensetzung der Weidetiere deutlich verändert. Anfang des 20. Jahrhunderts war der Weidetierbestand noch Abbildung 4.3.3 Blick auf die Waldgrenze im Untersu- recht heterogen. So wurden im Jahr 1907 in der chungsgebiet Vågå (eigene Aufnahme) Kommune Vågå ca. 2000 Schafe, 4000 Ziegen,
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 3000 Kühe und eine geringe Anzahl von Pferden verbucht. Bis ins Jahr 1949 hat die Zahl der Ziegen deutlich abgenommen (auf ca. 1000), die Zahl der Schafe ist auf ca. 5000 Tiere angestiegen während die Zahl der Kühe nur geringfügig gestiegen ist. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kam es zur Abnahme der Kuhbestände in Vågå. Im Gegenzug hat sich die Zahl von Schafen von 1949
Abbildung 4.3.4 Entwicklung der Weidetierzahlen in der Kommune Vågå im 20. Jhdt. (Quelle: Rößler 2005)
bis 1998 mehr als verdoppelt (ca. 11000 Tiere). Als Grund für diese Entwicklung, kann eine Extensivierung der Landwirtschaft angegeben werden. Die Landwirtschaft wird von vielen nur noch zur Aufrechterhaltung der traditionellen Wirtschaftsweise oder als Nebenerwerb betrieben, für diese Art der Landnutzung sind Schafe aufgrund der extensiveren Haltungsweise besser geeignet. (Rössler 2005). Ähnlich wie in der Landwirtschaft, kam es auch in der Waldnutzung zu einer Abnahme der intensiven Bewirtschaftung. Im 18. und 19. Jahrhundert bestand die Waldwirtschaft vor allem aus der Verwendung von Ästen sowie Laubstreu als Futtermittel für die Wintermonate. Aufgrund einer hohen Holznachfrage seitens der Sägewerke zu dieser Zeit, rodeten viele private Waldbesitzer ihre Bestände zum Verkauf des Holzes. Des Weiteren wurden die Waldbestände auch durch generelle Waldbrände beeinflusst (Rössl� ler 2005). Trotz der Aufgabe der Seterwirtschaft und einer extensivieren Landnutzung in dem Untersuchungsgebiet, kam es in den letzten 40 Jahren zu keinem nennenswerten Anstieg des Baumgrenzökotons. Regeneration und ein Zusammenwachsen von kleineren Waldgebieten haben jedoch zu einer Zunahme der Waldfläche in dieser Zeit geführt. Als Grund für die geringe Wiederbewaldung und Ausdehnung der Waldgrenze in dem
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Untersuchungsgebiet kann die extensive Schafweidewirtschaft aufgeführt werden, da sich die Tiere vor allem im Bereich des Baumgrenzökotons aufhalten und unter anderem durch starken Verbiss von Jungwuchs eine Regeneration des Wald- und Baumbestandes verhindern (Rössl� ler 2005). Gudmedalen Das Untersuchungsgebiet Gudmedalen liegt bei ca. 60° 45’ nördlicher Breite und 7° 5’ östlicher Länge in der fylke Sogne og Fjordane und ist ein Nebental des Flåmsdalen. Wie man der Abbildung 4.3.2 entnehmen kann, liegt das Tal südlich eines Seitenarmes des Sognefjords. Das Tal, in dem das Untersuchungsgebiet liegt, erstreckt sich in einer Ost-West-Richtung. Das Gudmedalen wird durch den Fluss Gudmedølva in einen Südhang mit nördlicher Exponierung und in einen südlich exponierten Nordhang unterteilt. Im Bezug auf das Klima unterscheidet sich das Untersuchungsgebiet Gudmedalen deutlich von dem von Vågå. Zwar ist die Jahresmitteltemperatur mit 5,9°C nur geringfügig höher als im ersten Untersuchungsgebiet, jedoch verdeutlichen die hohen jährlichen Niederschlagsmengen von 1500-2000mm ein wesentlich stärker ozeanischgeprägtes Klima. Die Baumgrenze liegt im Gebiet Gudmedalen zwischen 950m und 1030m über NN (Rössler 2005). Ähnlich wie in der Untersuchungsregion Vågå, ergaben Klimamessungen aus dem Zeitraum von 1954 bis 1996 keinen bedeutsamen Temperaturanstieg, lediglich im Winter sowie im Frühling kam es zu leichten Temperaturanstiegen. Zu beachten ist jedoch, dass aufgrund einer fehlenden Klimastation im Gebiet, die Daten der Klimastation Lærdal genutzt wurden (Rössler 2005). Im Bezug auf die Landnutzung unterscheidet sich das Gebiet Gudmedalen von dem in Vågå, da sich ersteres in zwei Teilgebiete mit unterschiedlichen Gegebenheiten gliedern lässt. Abbildung 4.3.5 zeigt die waldfreie, südexponierten Nordseite. Auf dieser Seite des Tals befinden sich noch heute zwei aktive landwirtschaftliche Betriebe, die zusammen ca. 300 Ziegen zur Milchproduktion halten. Die Weidezeit der Tiere ist abhängig von der Schneesituation, in der Regel liegt diese in der Zeit von Mitte Mai bis Mitte September.
Die alpine Baumgrenze in Norwegen Die andere Seite des Tals, der Südhang, ist in men. der Abbildung 4.3.6 dargestellt. Auf dieser Seite wurde die traditionelle Seterwirtschaft im Jahr
4 Fazit
Abbildung 4.3.7 Junger Birkenbestand am Südhang des Gudmedalen (eigene Aufnahme)
Abbildung 4.3.5/6 oben: Nordseite des Gudmedalen; unten: Südhang des Gudmedalen (eigene Aufnahmen)
1953 aufgegeben und damit auch die Beweidung in diesem Gebiet. Zudem haben nach Angaben von örtlichen Landwirten nur Schafe auf dieser Talseite geweidet. Ein Vergleich der Abbildungen 4.3.5 und 4.3.6 zeigt, dass im Gegensatz zu dem heutzutage waldfreien und immer noch mit Ziegen beweideten Nordhang, auf dem Südhang eine große Waldfläche vorzufinden ist. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde der Wald bis auf wenige einzelne Bäume abgeholzt, allerdings erreicht der wieder aufgewachsene Waldbestand die Grenzen des ursprünglichen, in den 30er Jahren abgeschlagenen Waldes (Rössler 2005). Abbildung 4.3.7 zeigt den auf dem Nordhang wieder aufgewachsenen Wald. Im vorderen Bereich des Fotos sind junge, mehr oder weniger einzeln stehende Birken zu sehen. Das Foto wurde von oberhalb des Waldbestandes aufgenom-
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es uns durch die mittlere Exkursion ermöglicht wurde, die in der Theorie erlernten Aspekte der Hochgebirge, sowohl der Physischen Geographie als auch der Anthropogeographie in der Praxis anzuwenden. Im Bezug auf die alpine Baumgrenze in Norwegen denke ich, dass die Exkursion aufgrund der zwei Untersuchungsgebiete Vågå und Gudmedalen, sowie den weiteren verschiedenen Standorten im Verlauf der Exkursion, an denen die alpine Baumgrenze zwar nicht explizit als Thema vorgesehen war, jedoch zwischendurch immer wieder angesprochen wurde, gut geeignet war um einen Einblick in die Thematik zu geben. Aufgrund des Ozeanitäts–Kontinentalitäts–Gradienten, auf dem sich die unterschiedlichen Standorte und Untersuchungsgebiete befinden, konnten wir die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Verlauf der alpinen Baumgrenzen beobachten. Des Weiteren wurde uns vor allem im Gebiet des Gudmedalen verdeutlicht, welchen Einfluss die landwirtschaftliche Nutzung auf die subalpinen Birkenwälder und die damit verbundene alpine Baumgrenze besitzt. Durch die zwei unterschiedlich bewirtschafteten Hänge im Gebiet des Gudmedalen wird ersichtlich, dass sich der Birkenwald auf dem Südhang nach Aufgabe der Weidenutzung seit den 50er Jahren wieder erholt hat und der Nordhang im Gegensatz dazu,
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 durch immer noch betriebene Weidewirtschaft waldfrei ist. Literaturverzeichnis Ass, B. & Faarlund, T. (2000): Forest limits and the subalpine birch belt in North Europe with a focus on Norway. AmS-Varia 37, 103-147, Stavanger. Heikkinen, O. (1984): The timberline problem. Nordia 18, 2, 105-114. Kerner. A. (1864): Studien über die oberen Grenzen der Holzplfanzen in den österreichischen Alpen, II. Österr. Revue. 2 a 3. Rössler, O. (2005): Die alpine Baumgrenze in Zentralnorwegen unter dem Einfluss eines Klima- und Landnutzungswandels. Diplomarbeit, Uni Bonn, Bonn Ruden, T. (1949): Trekk fra Nord-Norges skoger. 50 årsberetning fra Det Norske Skogselskap, 224-243.
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Kleinräumige Vegetationsverteilung im (zentral-)norwegischen Hochgebirge Marius Keßeler und Claudia Schepp
Einführung ochgebirgslandschaften sind unter anderem gekennzeichnet durch kleinräumig variierendes Relief und extreme klimatische Bedingungen, die spezielle Anpassungen von ihren Bewohnern erfordern. So kommen hier nur wenige Arten vor, deren Vorkommen kleinräumig allerdings sehr stark variiert. Diese Variation ist das Ergebnis eines komplexen Standortfaktorengefüges, das seinerseits kleinräumig sehr differenziert zu betrachten ist. Dies hängt vor allem mit der kleinräumigen Änderung des Reliefs als übergeordneter Geofaktor zusammen (Köhler et al. 1994). Im Folgenden soll das multifaktorielle Wirkungsgefüge von Boden, Klima und Vegetation genauer beschrieben werden. Das norwegische Hochgebirge als Betrachtungsgebiet eignet sich hierbei besonders, da es in einem verhältnismäßig naturnahen Zustand ist und so der Ve-
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getation bei der geoökologischen Aufnahme besondere Bedeutung zukommen gelassen werden kann. Dennoch muss beachtet werden, dass das Ausmachen von Charakterarten auf Grund der Artenarmut im zum Teil erschwert ist (Köhler et al. 1994). In Hochgebirgslandschaften sind auch relativ ebene Flächen gekennzeichnet von einem schnellen Wechsel von Mulden und Hügeln, zum großen Teil bedingt durch frühere kryodynamische Prozesse, Gletscher, Steinstürze, etc. Dies führt dazu, dass Klimaparameter wie Einstrahlung, Wind, etc. sehr kleinräumig variieren und dementsprechend die Wachstumsbedingungen für Pflanzen an den verschiedenen Bereichen eines Hügels sehr unterschiedlich sind. Im Folgenden sollen nun die für die jeweiligen Hangbereiche charakteristischen Klimabedingungen (dargestellt in Abb. 4.4.1) mit den dort
Abbildung 4.4.1 Kleinräumiges Klima im jahreszeitlichen Verlauf (Köhler et al. 1994)
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Kleinräumige Vegetationsverteilung wachsenden Pflanzen in Verbindung gebracht werden. Die Differenzierung der Vegetation erfolgt also entlang topographischer Gradienten. Diese Methode zur Erfassung des Gesellschaftswechsels wird auch Transsektmethode genannt. Die wichtigsten Einflussgrößen sind Niederschlag und Einstrahlung, das heißt die Inklination und die Exposition haben einen Einfluss auf die vorkommenden Pflanzengesellschaften, da sie die Boden- und Oberflächentemperatur und damit den Bodenwärmestrom bestimmen. Ebenso spielen Windgeschwindigkeit und -richtung eine große Rolle, u.a. (im Zusammenhang mit der Einstrahlung) für die Evapotranspiration (Löffler 2002). Einer der wichtigsten Faktoren ist zudem die Schneebedeckung, oder umgekehrt die Aperzeit (lat.apertus = offen). Diese wiederum ist abhängig von Relief, Exposition und Windrichtung.
denflechten (Hiphosporae), die Schneeflechten (Cetraria nivalis) und die Blumenkohlflechte (Cladina stellaris). Übergangsbereiche zum Hang und Dellen in Hanglage mit mittlerer Schneemächtigkeit In Übergangsbereichen zum Hang sind die klimatischen Bedingungen nicht mehr ganz so extrem wie in Kuppenlagen, dennoch können die charakteristischen Hanggesellschaften dort oft noch nicht Fuß fassen. So kommen hier widerstandfähigere Gesellschaften vor, wie z.B. Empetro - Cladonietum stellaris und Empetro Cladonietum stellaris betuletosum. Eine Beispielgattung für diese Gesellschaften ist die Rentierflechte (Cladonia rangiferina). Der Hangbereich selbst muss je nach Exposition noch einmal unterteilt werden.
Pflanzengesellschaften und klimatische Südexponierte Hangbereiche Bedingungen in verschiedenen Hangberei- Auf dem südexponierten Lee-Hang ist im Winchen ter die höchste Schneemächtigkeit zu finden. Dort greift der Wind nicht direkt an, sodass der Kuppenlagen Schnee akkumuliert werden kann. Das hat zur Kuppenlagen unterliegen den extremsten kli- Folge, dass der Boden und die überwinternden matischen Bedingungen. Im Winter ist hier die Pflanzen nicht so extremen Temperaturen ausgeringmächtigste Schneedecke und durch hohe gesetzt sind, wie in den oberen Bereichen. UmWindgeschwindigkeiten bedingt teilweise sogar gekehrt erwärmt sich der Südhang im Frühjahr fast gar keine Schneedecke. Da Schnee isolie- auch sehr schnell, da die Sonneneinstrahlung rend wirkt, sind Pflanzen im Kuppenbereich den dort sehr hoch ist. Das führt zu einer relativ früextremsten Temperaturen ausgesetzt. Umge- hen Schneeschmelze und somit zu einer langen kehrt schmilzt im Frühjahr der Schnee dort auch Vegetationsperiode. An südexponierten Hängen am schnellsten, sodass die Vegetationsperiode herrscht also das optimale Gleichgewicht zwihier am längsten ist. Kuppenbereiche sind auch schen winterlicher Isolierung und langer Vegewährend des Tages gerade im Frühjahr durch tationsperiode. Mit Einsetzten der Tauperiode hohe Temperaturamplituden gekennzeichnet, und dem durch die Südexposition bedingten sodass es vermehrt zu Kryoturbation kommt. schnellen Abschmelzen des Schnees kommt es Kuppenlagen sind dominiert von xeromorphen zu Wasserübersättigung des Bodens und somit und chinophoben Flechtengesellschaften. Diese zu amorpher Solifluktion. Teilweise kommt es Pflanzen können zudem frost- und strahlungs- auch zu Sättigungsabfluss und somit zu Erobedingten Wasserstress kompensieren, da der sionserscheinungen, die auch Einfluss auf die Energieumsatz direkt an der Flechte statt findet Vegetation haben können. In der eigentlichen und es so zu sehr geringer Evapotranspiration Vegetationsperiode kommt es trotz Niederkommt. Vorherrschende Bodentypen sind Ran- schlagsmaximum nicht zu Oberflächenabfluss, ker und Syroseme. Charakteristisch für Kuppen- da die Perkolation durch das trockenere Klima lagen sind die Pflanzengesellschaften Alecto- stark begünstigt wird. Die Wasserversorgung der rio-Arctostaphyletum uvae ursi und Cetrarietum Pflanzen ist also gut und Probleme durch Erosinivali. Zu diesen Gesellschaften zählen die Fa- on trotz der Hanglange so gut wie gar nicht ge-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 geben. Charakteristische Bodentypen sind hier vor allem Podsole. Deren Entstehung ist an gute vertikale Sickerwasserbewegungen und eine chemische Translokationsprozesse begünstigende Energiebilanz gebunden. Typisch für südexponierte Hänge sind die Gesellschaften Phyllodoco - Vaccinietum myrtilli lichtenosum und Phyllodoco - Vacinietum myrtilli dicrametosum. Charakteristische Arten für diese Gesellschaften sin die Alpenbeerentraube (Arctostaphylos uva-ursi), die Blauheide (Phyllodoce caerulea) und die Heidelbeere (Vaccinium myrtillis). Diese Arten gelten im Gelände auch als Schneeanzeiger, da man von ihrem Vorkommen auf eine Schneebedeckung im Winter und somit auch auf die Grenze der Schneebedeckung im Winter am Hang schließen kann (Köhler et al. 1994). Nordexponierter Hang Die Schneemächtigkeit ist auf dem nordexponierten luvseitigen Hang bedingt durch Verwehungen geringer als auf dem südexponierten Hang. Dadurch ist die Isolation nicht ganz so gut, wie auf dem südexponierten Hang, aber dennoch gegeben. Mit Einsetzen der Tauperiode kommt es hier zu kryofluvialen Prozessen auf schneefreiem Hang, z.T. unter Lobenbildung, was zu einer leichten Stufung des Hanges führen kann. Während der Vegetationsperiode kommt es auch hier nicht mehr zu kryofluvialen Prozessen, dennoch ist das Klima feuchter und kühler als auf der südexponierten Seite. Eine klare Differenzierung der Pflanzengesellschaften ist hier allerdings nicht gegeben. Charakteristische Böden sind Braunerden, deren Entstehung durch intensive Krydonymaik begünstigt wird, da unter diesen Umständen Tonneubildung sehr häufig ist (Köhler et al. 1994). Hangfußbereich Am Hangfußbereich herrschen extreme hydrologische und frostdynamische Bedingungen (Kryodynamik und Solifluktion) vor. Eine Gesellschaft, die gut mit diesen Umständen, gerade auch mit häufiger Vereisung zurecht kommt, ist Carci bigelowii - Nardetum strictae. Die charakteristische Art Nardus stricta hat die Eigenschaft durch vermehrte Humusbildung selbstständig die Bodenverhältnisse zu verbessern und so
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auch weniger guten Boden sehr fruchtbar zu machen (Gjaerevoll 1956). Vorherrschende Bodentypen sind Podsole und Kolluvien. Muldenareale In den Muldenarealen herrschen, ähnlich wie im Hangfußbereich, extreme hydrologische und zum Teil auch frostdynamische Bedingungen vor. Im Winter ist die Mulde durchgängig mit Schnee bedeckt. Mit Einsetzen der Tauperiode kommt es dann zu vermehrtem Wasserstau, da Wasser von den Hängen auf einen anfangs noch gefrorenen Boden trifft, nach Auftauen ist der Boden oft übersättigt. Unter diesen Umständen kommt es verstärkt zu frostdynamischen Prozessen und somit zu einer differenzierten Gestaltung des Reliefs, einem Mikrorelief. Das hat zur Folge, dass Pflanzengesellschaften ebenfalls nur unzusammenhängend und mosaikhaft vorkommen. Dennoch ist davon auszugehen, dass diese Vorgänge nur episodisch sind, da auch Arten, die an stabile Böden gebunden sind vorkommen, wie z.B. die Zwergbirke (Betula Nana) und die Krähenbeere (Empetrum hermaphroditum) (Köhler et al. 1994). Dennoch macht es Sinn, die Muldenareale in tiefe, dauerhaft durchnässte und gut drainierte Muldenbereiche zu unterteilen. Tiefe, dauerhaft durchnässte Muldenareale In tiefen, dauerhaft durchnässten Muldenarealen kommt es durch Wasserübersättigung als dominierender Geofaktor zur Ausbildung einer typischen Moorvegetation. Eine typische Gesellschaft ist Oxydocco - Empetrion hermaphroditi. Diese Hochmoorgesellschaft zeichnet sich (wie Hochmoorgesellschaften im Allgemeinen) durch an schlechte Nährstoffversorgung angepasste Arten aus. Vermehrtes und hohes Torfwachstum ermöglicht es den Zwergsträuchern mit ihrer Mycorrhizaversorgung zu gedeihen. Mycorrhiza haben eine wesentlich höhere Fähigkeit dem Boden Mineralstoffe zu entziehen als die Sträucher selbst, und da sie in Symbiose mit den Zwergsträuchern leben, können diese so auch auf nährstoffärmerem Boden gut gedeihen. Durchnässte Muldenbereiche sind oft charakterisiert durch Vergleyung und Pseudovergleyung. Typische Arten sind z.B. der Schachtelhalm
Kleinräumige Vegetationsverteilung (Equisetum), die Molte Beere (Rubus chamoemorus), das Wollgras (Eriphorum angustifolium), Moosbeeren (Vaccinium oxycocus), sowie die Rauschebeere (Vaccinium uliginosum). All diese Pflanzen sind im Gelände nützlich als Mooranzeiger (http://gastein-im-bild.info/oeko/oscoxsph.html). Gut drainierte Muldenbereiche mit stabilen Böden In gut drainierten Muldenbereichen hingegen ist die Vegetation sehr üppig. Durch Einspülung von Nährstoffen von den umgebenden Hängen ist das Nährstoffangebot sehr hoch und auch der Froststress ist durch die den winterüber durchgängige Schneebedeckung sehr gering. Ein Nachteil ist jedoch, dass der Schnee auch sehr lange liegen bleibt und so die Vegetationsperiode stark verkürzt wird. Einige der dort vorkommenden Pflanzen sind daran jedoch sehr gut angepasst. Sie haben die Fähigkeit bereits unter dem Schnee zu keimen und Photosynthese zu betreiben, sodass die kürzere Vegetationsperiode relativiert wird. Bei den Böden herrschen hier Kolluvien und Braunerden, teilweise auch Pseudogleye vor. Typische Gesellschaften sind hier Hylocomio splendentis – Betuletum nanae und Hylocomio splendentis – Betuletum nanae salicetosum mit der typischen Art der Zwergbirke (Betula nana) (Köhler et al. 1994). Oft schon wurden Versuche unternommen, die
Vegetation größerer Gebiete zu charakterisieren und nach Gesetzmäßigkeiten zu ordnen. Dies erweist sich allerdings oft als schwierig, da wie oben beschrieben, die Pflanzengesellschaften auf sehr kleinem Raum zusammen kommen und an das Mikrorelief gebunden sind. Die Charakterisierung einer Region kann dennoch erreicht werden, wenn eine immer weitere Verallgemeinerung vorgenommen wird (Upscaling). Dazu werden zunächst Econs betrachtet, diese dann zu sinnvollen Geotopen zusammengefasst und diese wiederum zu Ecochoren. Wichtig hierbei ist es, Zusammenhänge und Prozesse zwischen den verschiedenen Ebenen zu erkennen und zu verstehen, dann kann eine sinnvolle Regionalisierung vorgenommen werden (Löffler 2002). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Vorkommen von Pflanzengesellschaften im Hochgebirge direkt an das Mikrorelief gebunden ist und von klimatischen und bodenbezogenen Faktoren bestimmt wird. Wichtig ist es festzuhalten, dass das Auftreten bestimmter Böden und bestimmter klimatischer Einflüsse oft mit der Ansiedlung charakteristischer Pflanzen zusammenhängt, es sich aber niemals um monokausale Zusammenhänge handel kann sondern das gesamte komplexe Wirkungsgefüge am jeweiligen Standort betrachtet werden muss.
Abbildung 4.4.2 Beispiel für die Standorte verschiedener Arten in einem Hang-Muldensystem (Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage von Feldarbeiten bei Rondane)
Erläuterung: Rentierflechte Blumenkohlflechte Schneeflechte Moltebeere Isländisch Moos Heidelbeere Krähenbeere Zwergbirke
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Literatur Löffler, J. (2002): Altitudinal Changes of Ecosystem Dynamics in the Central Norwegian High Mountains. In: Die Erde. S. 227-258 Köhler, B., Löffler, J. & D. Wundram (1994): Probleme der kleinräumigen Geoökovarianz im mittelnorwegischen Gebirge. In: �������������� Norsk geografisk Tidsskrift 48. S. 99-111 Gjaerevoll, O. (1956): The plant communities of the alpine snow-beds. S. 82, 256 ���������� http://gastein-im-bild.info/oeko/oscoxsph.html
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Anpassungsstrategien alpiner Pflanzen Nicolas Bauer
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Auswirkung von Schnee Das Vegetationsmuster in der waldfreien Stufe wird durch das lokale Relief geprägt. Neben der Schneequalität sind die Schneemächtigkeit und die Schneedauer die wichtigsten Bestimmungsfaktoren von Pflanzen- und Bodentemperatur während des Winters. Durch SchneeverwehunAllgemein gen wird z.B. Schnee von den Kuppen weggeNach dem Lebensformsystem von Christen blasen, in den Mulden hingegen gesammelt, Raunkiær sind alpine Pflanzen meist Hemikryp- weshalb sich in Mulden und auf Kuppen untertophyte oder Chamaephyte. Hemikryptophyten schiedliche Gesellschaften ansiedeln. sind ausdauernde (auch mehrjährige) Pflanzen, deren Überdauerungsorgane an der Erdoberfläche liegen. Chamaephyten sind ausdauernde Pflanzen, deren Überdauerungsorgane zwischen 1 cm und 30 cm über dem Boden liegen. Bei beiden wirkt Schnee als Witterungs- und Überwinterungsschutz (Raunkiær 1934). Die meisten alpinen Pflanzen sind zwergwüchsig (Nanismus). Hierbei lässt sich feststellen, dass die Wuchshöhe gleicher Arten mit der Höhe meist abnimmt. Gleichzeitig verändern sich jedoch auch die Proportionen der Pflanzen. So ist der Anteil des Wurzelsystems an der gesamten Pflanze teilweise über 50%. Im Hochgebirge finden sich von den höheren Pflanzen vor allem Zwergsträucher und Blütenpflanzen. Flechten und Moose sind teilweise vegetationsbestimmend. Abhängig von kleinräumigen Faktoren entstehen oft Wuchsfomen wie Matten, Polster und Rasen. lpine Pflanzen sind gezwungen, sich an die besonderen Lebensbedingungen der Gebirgshöhen anzupassen. Dazu haben sie verschiedene Verhaltensweisen entwickelt, die sie von verwandten oder sogar von gleichen Arten in außeralpinen Regionen unterscheiden.
Anpassungen Die Lebensbedingungen in den alpinen Regionen fordern von der Flora eine hohe Widerstandsfähigkeit. Allgemein gilt bei alpinen Pflanzen die Regel Energie und Zeit zu sparen. Die einzelnen Anpassungen werden im folgenden Kapitel dargestellt.
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Abbildung 4.5.1 Solarstrahlung unter einer Schneedecke (Körner 2003: 49)
Die Schneeschicht schützt Pflanzen vor starkem Wind und Winterstürmen mit Eiskristallen, die Pflanzen verletzen können. Außerdem wirkt Schnee isolierend. Hierbei muss jedoch angemerkt werden, dass frisch gefallener (trockener)
Anpassungsstrategien Alpiner Pflanzen Schnee, durch seine niedrigere Wärmeleitfähigkeit, um ein vielfaches besser isoliert als (nasser) Altschnee. Eine konstante Schneebedeckung kann durchaus das gefrieren des Bodens und der Pflanzen dauerhaft verhindern. Im Prinzip können alle alpinen Pflanzen zwischen einer Temperatur von 0 und -2 bis -6°C Photosynthese betreiben. Wie Abb.1 darstellt, kann dies auch unter einer Schneedecke stattfinden. Das Diagramm stellt die Durchlässigkeit von Photonen im Verhältnis zur Schneetiefe dar. Dabei ist die durchgezogene Linie auf realen Messdaten basierend und die gestrichelten Linien berechnet. Dabei ist frischer und trockener Schnee, die rechte gestrichelte Linie, mit einer Dichte von etwa 0,1g/cm3 weitaus durchlässiger als nasser Schnee mit einer Dichte von etwa 0,25g/cm3.Solange die Schneemächtigkeit gering ist kann somit durchaus Photosynthese unter einer Schneedecke betrieben werden. Allgemein kann unter drei Grundvoraussetzungen zum anhaltenden Überdauern unter einer Schneedecke unterschieden werden. Zum einen eine Resistenz gegenüber physisch-chemischem Stress. So kann eine Pflanze im alpinen Bereich durchaus Dürrestress ausgesetzt werden. Zum einen durch Austrocknen des Oberbodens und der damit wegfallenden Nährstoffverfügbarkeit und zum anderen wenn Schnee durch äußere Einflüsse plötzlich entfernt wird. Außerdem muss der Phenorhythmus der Pflanze der Schneebedeckung angepasst werden. So kann einsetzende Solarstrahlung nach der Schneeschmelze durchaus gefährlich für Pflanzen werden. Drittens muss genügend Kohlenstoff angereichert werden um den Lebenszyklus zu vollenden und ein Fortdauern der Pflanze zu gewährleisten. Dies führte zur Entwicklung vielerlei Anpassungen, die in mindestens sechs verschiedene Strategien eingeteilt werden können. 1. Grüne Blätter und die volle Photosynthesekapazität beibehalten 2. Grüne Blätter behalten, jedoch ist die Photosynthese deaktiviert mit einer Dauer von zwei Wochen bis die volle Kapazität nach der Schneeschmelze erreicht ist 3. Neue grüne Blätter entstehen nach der Schneeschmelze 4. Anregen der Blattentfaltung vor der Schnee-
schmelze und sobald die Pflanze freigesetzt ist werden die Blätter grün und die Photosynthese beginnt 5. Anregen der Blattentfaltung vor oder während der Schneeschmelze, jedoch das Grünwerden und die Photosynthese sind verzögert 6. Überwintern als Samen und erst während oder nach der Schneeschmelze entkeimen Schnee bietet viel Schutz für Pflanzen. Jedoch hat dieser Schutz auch negative Eigenschaften. So sind Pflanzen in besonders Schneereichen Wintern dem Schneedruck nicht immer gewachsen. Durch die erhöhte Bodentemperatur bleiben manche Pflanzen aktiv und veratmen zu viel gespeicherte Zuckervorräte. Außerdem verkürzt eine Schneedecke die Vegetationszeit, doch dies wird in Kapitel 2.4 näher behandelt (Körner 2003). Klima und Mikroklima Die klimatischen Bedingungen sind ausschlaggebend dafür, welche Pflanzenarten in einer Region vorherrschen. Das gilt insbesondere für die sehr unterschiedlichen Verhältnisse im Hochgebirge: In den tieferen Lagen sind die Temperaturen und die UV-Intensität gemäßigter als in den alpinen Lagen, es herrschen Niederschlagsunterschiede von West nach Ost und von Nord nach Süd und Nordhänge haben eine geringere Sonneneinstrahlung als solche, die nach Süden ausgerichtet sind. Diese überregionalen Auswirkungen werden häufig von sehr unterschiedlichen Mikroklimazonen überlagert, die auf engstem Raum aneinander stoßen. So haben etwa angrenzende Nord- und Südhänge aufgrund der unterschiedlichen Sonneneinstrahlung oft völlig verschiedene Vegetationen. Beeinflusst wird die Vegetation auch durch die unterschiedlichen Licht- und Windverhältnisse. Um diesen Bedingungen zu trotzen, haben sich bei vielen alpinen Pflanzen unterschiedliche Abwehrmechanismen entwickelt. So haben viele alpine Pflanzen Polster- bzw. Rosettenwuchs. Eine Polsterpflanze ist in der Botanik eine Bezeichnung für kompakte Horst- und Krüppelwuchsformen von Stauden, wie sie für Wüsten-, Felsen- und Hochgebirgspflanzen typisch ist. Man spricht auch von Kissenpolster
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 im Solitärstand und Teppich bei geschlossenem Bestand. Der Polsterwuchs ist insofern bemerkenswert, als hierdurch ein eigenes Mikroklima entsteht. Die Temperatur an der Oberfläche wird erhöht, und im Polster werden Humus und Wasser gespeichert. Ein gedrungener Wuchs, also ein stengelloser Wuchs, verringert allgemein die Angriffsfläche für Wind. Stoffwechsel funktioniert bei alpinen Pflanzen ebenfalls besser als bei den Talpflanzen, da sie mit geringeren Temperaturen und starken Temperaturschwankungen besser umgehen können. Außerdem findet sich oft eine dichte Behaarung und wachsartige Überzüge, die sogenannte Kutikula, bei alpinen Pflanzen. Diese Mechanismen, die im folgenden Kapitel näher erläutert werden, dienen vor allem zum Schutz vor Austrocknung (Körner 2003). Wasserbilanz Die Faktoren, die den Wasserhaushalt bestimmen, sind der Nettoinput an Feuchtigkeit, der Output durch Verdunstungsprozesse und die Veränderung in der Bodenfeuchte. Generell gilt der alpine Raum als ein Vegetationsgebiet mit überdurchschnittlich hoher Wasserversorgung. Allerdings treten periodisch und regional variierend Wassermängel auf. Außerdem kann die Wasserspeicherung durch verschiedene Einflüsse negativ beeinflusst werden. Starker Wind beschleunigt die Verdunstung, Geröll und humusarmer Boden verhindern ein längeres Speichern von Wasservorräten. Pflanzen der alpinen Zone haben Drei Haupt
Abbildung 4.5.2 Moos (Foto: Nicolas Bauer)
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Anpassungsstrategien entwickelt um die variierende Wasserverfügbarkeit zu bewältigen. So sind vor allem Pflanzen wie Flechten und Moose poikilohydrisch (wechselfeucht). Das bedeutet, dass diese austrocknen können. Abb. 2 zeigt ein Polsterförmiges Moos, dass auf dem humuslosen Felsbrocken nur mit Stützgeweben befestigt ist. Die Wasseraufnahme erfolgt aus der Luft und gleichzeitig wird im Inneren Feuchtigkeit gespeichert. Moose können zwar ihren Wasserhaushalt nicht direkt steuern, jedoch verhindern Rollblätter die zu verdunstende Oberfläche. Die Zweite Strategie ist die Kontrolle des Wasserverbrauchs. So können höhere Pflanzen ihre Stomata kontrollieren und somit die Photosynthese aktiv steuern. Gedrungene Kissen Wuchsformen sowie Behaarung, die eine windstille Pufferschicht um die Pflanzen bildet, sind weiterer Schutz vor ungewollter Verdunstung. Gleichzeitig ist in hohen Lagen das Wurzelsystem stärker ausgeprägt als in niedrigen Lagen. Dies führt zu einer Wasseraufnahme nicht nur aus tieferen Schichten sondern auch aus gefrorenem Boden. Der Wasserverbrauch kann auch durch die Verkleinerung der zu verdunstenden Oberfläche, wie die Nadelblattentwicklung bei der Schwarzen Krähenbeere (Empetrum nigrum), stark herabgesetzt werden. Wasserspeicherung in Form von Sukkulenten ist die dritte Überlebensstrategie. Hierbei wird Wasser meist in den Blättern gespeichert (Körner 20032). Vegetationsperiode Als Folge der kurzen Vegetationsperiode in der alpinen Zone, von etwa 2,5 Monaten bis hin zu wenigen Wochen, können fast nur mehrjährige Pflanzen überdauern. Grund hierfür ist, dass für die meisten einjährigen Pflanzen (Therophyten) die Produktionszeit – vom Samen bis zur Blüte und wieder zur Samenreife – zu kurz ist. Jedoch gibt es auch hier Ausnahmen. Eine Besonderheit ist zum Beispiel das Einjährige Rispengras (Poa annua), das, wie der Name bereits sagt, zwar eigentlich einjährig ist, in den höheren Lagen jedoch eine ausdauernde Form ausbildet. Manche Pflanzen bilden ihre Blütenknospen bereits im Spätsommer und blühen gleich nach dem Abschmelzen des Schnees um somit solange wie möglich Photosynthese betreiben zu kön-
Anpassungsstrategien Alpiner Pflanzen nen. Auch bei der Vermehrung haben sich Zeit und Energie sparende Verhaltensformen entwickelt. Manche Arten verzichten etwa auf eine geschlechtliche Fortpflanzung und vermehren sich durch Brutsprosse oder durch Ausläufer. Bei anderen Arten wie der Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea) dauert die Samenbildung an bestimmten Standorten mehrere Jahre. Die kurze Vegetationsperiode hat überdies Auswirkungen auf das Wachstum. Die kurze Vegetationsperiode und die minimale Stoffproduktion führen zu einem geringen Dickenwachstum. So liegt beispielsweise die Stärke der Jahresringe bei der Krautweide (Salix herbacea) unter 0,5 Millimetern und die Dicke nimmt bei zunehmendem alter weiter ab (Körner 2003). Alpine Böden Alpine Pflanzenerhalten Wasser und Mineralstoffe von Substraten die sich in vielerlei Hinsicht von denen, die in niedrigeren Höhen vorkommen, unterscheiden. So lassen sich über sehr kleine Distanzen große Vielfalt an alpinen Bodentypen finden. Von Sandverwehungen bis hin zu tief verwitterten Profilen. Die Bodenqualität wird vom mineralischen Untergrund und von der Zufuhr organischer Stoffe bestimmt. Beide Komponenten unterliegen im Gebirge extremen Unterschieden, denn verschiedene Prozesse führen zur Akkumulation von Feinmaterial und zur Vermischung des Bodens. Des Weiteren spielen, speziell in steilem Gebiet, gravitative Prozesse eine große Rolle. Dies führt dazu, dass an vielen Stellen wenig Humus, dafür viel Steinschutt (Schuttvegetation) und Fels vorhanden ist. Abhängig davon lassen sich verschiedene Vegetationstypen unterscheiden: Auf Felsen und Steinblöcken sind Algen die ersten Pionierpflanzen, die sich ansiedeln, vor allem Blaualgen. Sie verleihen den Felsen oft einen grünen, braunen, rostroten oder schwarzen Farbton. Die Algen sammeln das Oberflächenwasser, das über die Felsen abwärts rinnt und ernähren sich von den minimalen Mengen ausgeschwemmter Mineralstoffe. Auch Flechten finden bald genug Nährstoffe und Angriffspunkte, um den Fels zu überziehen. Weit verbreitet ist vor allem die Landkartenflechte (Rhizocarpon geographicum). Sie wächst pro Jahr nur etwa
0,25 – 0,6mm radial nach außen und kann bis zu 1000 Jahre alt werden. Anhand des Durchmessers lässt sich ungefähr das Rückzugsdatum von Gletschern datieren (Marbach et al. 2002). Sobald erste Humusspuren vorhanden sind, werden diese von Moosen besiedelt. Diese entziehen dem Gestein weitere Mineralien, sodass die Humusbildung verstärkt wird. Bei genügend lockerem Untergrund sind höhere Pflanzen, wie Gräser und Blütenpflanzen, in der Lage sich anzusiedeln. Die chemische Bodenbeschaffenheit kann unter Umständen sehr stark variieren. Saure Böden und basische Böden sind meist deutlich ausgeprägt und viele Pflanzenarten können ausschließlich auf einem dieser Bodentypen gedeihen. Der Grund für derartige Bevorzugung ist die Versorgung der Pflanze mit Mineralstoffen. So ist z. B. der Stickstoffnachschub bei sauren Böden wesentlich geringer als bei Kalkböden (Körner 2003). Fortpflanzung Viele Anpassungen hinsichtlich der Fortpflanzung von Blütenpflanzen hängen damit zusammen, dass mit zunehmender Höhe die Anzahl an Insekten abnimmt. Beim Betrachten alpiner Blütenpflanzen fällt auf, dass die Blüten sehr intensive Farben besitzen. Dies liegt daran, dass kalte Temperaturen und die Hohe Solarstrahlung die Bildung von blauen und roten Farbtönen begünstigen. Bei der Farbgebung spielt auch das UV-Licht, das von vielen Insekten wahrgenommen werden kann, eine wichtige Rolle. Außerdem sind die Blüten oft relativ groß im Verhältnis zu Blättern und Stielen wie z.B. beim Blauen Eisenhut (Aconitum napellus). Eine hohe Nektarproduktion, sowie mit sehr stark riechenden Duftstoffen versetzter Nektar, sind häufige Merkmale. In alpinen Regionen nimmt die Windverbreitung (Anemochorie) einen proportional höheren Stellenwert ein wie in niederen Lagen. Auch treten hier häufig Selbstbefruchter (Autogame) auf. Diese Art der Befruchtung ist vor allem für Pionierpflanzen zur schnellen Ausbreitung wichtig. Verschiedene Arten von Samen brauchen auch verschiedene Arten von Bedingungen um sich optimal entfalten zu können. So muss der Samen der Moltebeere (Rubus
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 chamaemorus), erst durchfrieren bevor er dann bei 18°C keimen kann (Körner 2003). Fazit Um die harschen Bedingungen im Hochgebirge zu Bewältigen mussten sich Pflanzen anpassen. Jedoch gibt es nicht nur rein alpine Arten. Es gibt auch solche, die in verschiedenen Höhenlagen vorkommen, jedoch verschiedene Ausprägungen, wie Nanismus oder ein stark ausgeprägtes Wurzelsystem, besitzen. Entscheidend hierbei ist, dass Pflanzen drei Haupteigenschaften besitzen müssen um ein Überleben zu sichern: Robustheit, Energie sparen und Zeit sparen. Literatur Körner, C. (2003 ): Alpine Plant Life - Functional Plant Ecology of High Mountain Ecosystems. (Springer-Verlag) Berlin. Raunkiær C.C. (1934): The Life Forms of Plants and Statistical Plant Geography. The Collected Papers of C. Raunkiær. (Oxford University Press) Oxford. Marbach, B. & C. Kainz (2002): Moose, Farne und Flechten. Häufige und auffällige Arten erkennen und bestimmen. (BLV Verlagsgesellschaft) München. 2
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Anpassung alpiner Tiere Einführung Wer an einem kalten Wintertag eine Meise aufgeplustert auf einem schneebedeckten Baum sitzen sieht, mag sich denken, wie wehrlos doch diese armen Tiere allen Einflüssen ihrer Umwelt ausgeliefert sind. Bei näherem Hinsehen stellt sich dann heraus, dass sie nicht nur in ihrem Körperbau und ihrem Stoffwechsel, sondern genauso in ihrem Verhalten hervorragend an ihre Lebensbedingungen angepasst sind. In der Tat ist das Verhalten von Tieren nicht nur eine Form der Anpassung unter anderen, durch das Verhalten werden alle anderen Anpassungsmerkmale überhaupt erst wirksam. Da sich das Verhalten anders als sonstige körperliche Merkmale rasch und vielseitig auf neue Gegebenheiten einstellen lässt, erlaubt es eine äußerst sensible Reaktion auf Veränderungen der Außenbedingungen (Farland 1999: 43). Anpassung kann durch zwei grundlegende Mechanismen verursacht werden: Entweder wurden im Laufe der Evolution genetische Anlagen ausgelesen, die bestimmte Umweltanpassung ausprägen, oder ein Individuum hat durch Erfahrung in einer besonderen Situation gelernt, zukünftig angepasst darauf zu reagieren. Die Grenzen dieses Lernvermögens haben allerdings selbst wiederum eine genetische Grundlage. Die „Güte“ der Anpassung wird daran gemessen, wie groß der Überlebens und Fortpflanzungserfolg des Trägers einer bestimmten Eigenschaft und auch seiner Verwandten mit abstammungsgleichen Genen, im Vergleich zu Wettbewerbern mit anderen Eigenschaften ist. Nicht nur der Überlebenskampf eines Tieres ist wichtig, das heißt die Art und Weise, wie es Nahrungsquellen findet und ausnutzt und wie es Fressfeinden sowie Krankheitserregern entgeht. Maßgebend ist vielmehr, wie die Anpassung zum Fortpflanzungserfolg beiträgt, also zur Gesamtzahl der im Laufe des Lebens produzierten Nachkommen. Ist dieser Erfolg größer, als der anderer Artgenossen, die das Verhalten nicht zeigen, sonst aber unter
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Daniel Winter
denselben Umweltbedingungen leben, so hat das Individuum eine hohe Fitness. Die Anlagen für das genetisch bedingte Merkmal breiten sich in der Population aus (Farland 1999: 43). Umweltfaktoren Physische- und Verhaltensanpassungen sind Reaktionen auf Umweltfaktoren. Ganz allgemein können Umweltfaktoren, mit denen sich ein Organismus im Laufe seines Lebens auseinandersetzen muss, in zwei Gruppen zusammengefasst werden: 1. abiotische und 2. biotische Umweltfaktoren Die abiotischen Umweltfaktoren bestehen aus der unbelebten Natur, Klimafaktoren wie Temperatur, Helligkeit und Feuchtigkeit, sowie Bodenbeschaffenheit oder Eigenschaften des Wassers und der Luft. Unter biotischen Umweltfaktoren wird die belebte Natur zusammengefast, wie Nahrungsangebot, artfremde und arteigene Konkurrenten, Fressfeinde, Parasiten, Krankheitserreger, Artgenossen als Geschlechts- und Kooperationspartner (Farland 1999: 44-45). Grundsätzlich hat ein Lebewesen vier Möglichkeiten, sich mit diesem Faktor auseinanderzusetzen. Es kann sich ihnen in seinem Verhalten passiv anpassen, so dass es sie erduldet oder gleichsam über sich ergehen lässt. Es kann sich ihnen aktiv entziehen, indem es ihnen durch Aufsuchen einer geschützten Stelle, durch zeitweises Wegwandern oder dadurch, dass es in ein Ruhestadium verfällt, ausweicht. Es kann sich durch sein Verhalten von äußeren Umwelteinflüssen mehr oder weniger unabhängig machen, etwa indem es seinen Körper gleichwarm hält. Welche dieser vier Verhaltensmöglichkeiten, die natürlich auch in Verbindung miteinander auftreten können, als Anpassungsmechanismen verwirklicht sind, ist einerseits von der Art des Umweltfaktors abhängig und andererseits von den Verhaltensmöglichkeiten, die einem Organismus als evolutionsbiologisches Erbe zur Verfügung stehen. Die meisten abiotischen
Anpassung alpiner Tiere Faktoren sind durch die Klimabedingungen der Erde gegeben. Diese Faktoren (wie Temperatur, Feuchtigkeit, Lichtmenge etc.) unterliegen meist ausgeprägten geophysikalischen Zyklen: dem Wechsel von Tag und Nacht und dem Wechsel der Jahreszeiten. Diesen äußeren Zyklen müssen sich die Tiere anpassen. Tages- oder jahresrhythmische Veränderungen beeinflussen zum Beispiel die Aktivität, das Einsetzen von längeren Ruhephasen, von Fortpflanzungszyklen oder vom Wanderverhalten (Farland 1999: 44-45). Umweltfaktoren für alpine Organismen
oder legen sich zu mehreren dicht gedrängt in ein Nest, um die Wärmeabgabe zu vermindern. Reicht dies nicht aus, so können sie durch Kaltzittern also durch mechanische Aktivität der Muskulatur, zusätzliche Wärme erzeugen. Hält die Kälte länger an, so verfallen manche Arten in einen starren Zustand, in dem die Körpertemperatur absinkt. Andere wandern weg und suchen Gebiete auf, in denen günstigere Bedingungen herrschen. Für die beiden zuletzt genannten Verhaltensweisen ist bei Vögeln und Säugern allerdings meist nicht direkt die Kälte, sondern ein durch die Kälte bedingter Nahrungsmangel verantwortlich (Farland 1999: 44-45). Eine Alternative zum Wanderverhalten, zur Überbrückung von Zeiten der Nahrungsmittelknappheit ist das Anlegen von Vorräten, entweder in Verstecken, oder in Form eines Fettpolsters wie bei Murmeltieren und Bären. Diese fressen sich im Spätsommer und Herbst eine dicke Fettschicht an, von der sie dann während des Winterschlafes bis zum nächsten Frühling zehren. Ihre Körpertemperatur sinkt währenddessen zwar ab, wird jedoch auf einem niedrigerem Wert (deutlich über 0°C) konstant gehalten (Farland 1999: 50).
Tageslichtmenge Ein Beispiel dafür, dass die Tageslichtmenge den Lebensraum einer Tierart begrenzen kann, ist die Verbreitung der Waldmaus. Sie erreicht in Norwegen ihre nördlichste Grenze etwa bei dem 62. Breitengrad. In diesem Bereich dauert die Mittsommernacht nur noch 5 Stunden. Darunter wird sie für die nur bei Dunkelheit Nahrung suchende Tiere vermutlich zu kurz. Andere Tiere wie gewisse Vogelarten ziehen in Südlichere Zonen um weiter Nahrung zu finden. Bestimmte Säugetier Arten umgehen die durch geringe Tageslichtmenge mangelnde Nahrung, indem sie in einen Winterschlaf verfallen (Farland 1999: Fressfeinde 44-45). Eine große Bedrohung, vor allem für Jungtiere, stellen Fressfeinde dar. Auch gegen Sie gibt es Umgebungstemperatur eine Fülle von Anpassungsmöglichkeiten. VieDie Umgebungstemperatur ist ein wichtiger le Tiere bleiben bei Bedrohung unbewegt sitzen Umweltfaktor, da der Stoffwechsel auf bestimm- und gleichen sich, dank ihres Fells etc., perfekt te Temperaturbedingungen angewiesen ist. Die an ihre Umgebung an. Da sich die Umgebung untere Grenze liegt nahe dem Gefrierpunkt. Über eines Tieres im stetigen wechsel befindet muss 40°C Körpertemperatur treten Störungen im Zu- sich auch das Fell oder Ähnliches der Umgesammenwirken von Enzymen, den biologischen bung anpassen. Andere Tiere flüchten aktiv in Katalysatoren der Stoffwechselvorgänge auf. ein Versteck, entkommen ihren Feinden dank Dennoch ist der Bereich, in dem Tiere sich auf- ihrer Schnelligkeit oder können sich aktiv zur halten und überleben können weit größer als wehrsetzten (Farland 1999: 47). diese Grenzen. Er reicht von der Antarktis und Sibirien, wo Temperaturen bis auf -70°C fallen Tiere der Alpinen Zone können, bis zu den heißesten Wüstengebieten, In diesem Kapitel werden einige in der alpinen in denen tagsüber mehr als 50°C nicht außerge- Zone lebenden Tiere vorgestellt und ihre spewöhnlich sind. Dies ist Tieren vor allem aufgrund zielle Anpassung näher Erläutert. Dabei ist zu von Verhaltensanpassungen möglich, deren mit beachten, dass die Tiere sich nicht nur in der Hilfe ungeeignete Temperaturbereiche gemie- alpinen Zone aufhalten. Zuerst werden Beispieden werden. So rollen sich viele Tiere bei Käl- le für Vogelarten, dann Säugetiere, aufgeteilt in te zusammen, sträuben Feder- oder Haarkleid Pflanzenfresser und Raubtier und zum Schluss
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Insekten näher beschrieben. Vogelarten Vögel die in der alpinen Zone leben, suchen während der kalten Winterzeit meist wärmere Lebensräume auf. Die Arten die nicht wegziehen passen sich nicht nur an die Kälte an. Ein Beispiel hierfür ist das Alpenschneehuhn (Lagopus mutus). Diese Vogelart lebt im Winter in Artenreinen Gruppen, wobei das Männchen durch seinen schwarzen Zügel vom Weibchen leicht zu unterscheiden ist. In der Brutzeit ziehen sich die Schneehühner meist in felsübersäte Gebiete weit über die Baumgrenze zurück. In den Alpen leben Unterarten (Lagopus mutus helveticus) auf steinigen und kiesigen Hängen und Plateaus, meist in einer Höhe von 2000 – 3500 m und ist dort die einzige vorkommende Hühnervogelart. Das Männchen wechselt vier mal jährlich sein Federkleid, dass Weibchen dreimal im Jahr (siehe Abb. 4.6.1).
Abbildung 4.6.1 Wechsel des Federkleids beim männlichen Alpenschneehuhn im Jahreszeitenwechsel (GOULD 2002: 168).
Dies macht es nicht nur um sich durch feineres dichtes Gefieder der Kälte anzupassen, sondern um sich der wechselnden Umgebung anzupassen. Das Alpenschneehuhn ernährt sich von Insekten, Beeren, Trieben und Knospen. Küken sind von Insekten als Nahrungsmittel abhängig,
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anhaltende Regenfälle und Kälte im Frühsommer führen zu hohen Brutverlusten (GOULD 2002: 168). Eine weitere in der alpinen Zone lebende Vogelart, ist die Schneeeule (Bubo scandiacus, Nyctea scandiaca). Ihr angestammter Lebensraum ist die arktische Tundra: Island, Nordeuropa, Sibirien, Alaska, Kanada, Grönland und die Gebirge Norwegens. Sie wird fast so groß wie ein Uhu und die Farbe ihres Gefieders stellt eine vollkommene Anpassung an den arktischen Lebensraum dar. Die männlichen Schneeeulen sind etwas kleiner als die Weibchen. Während ältere Männchen ein nahezu vollständig weißes Gefieder haben, ist das Federkleid der Weibchen und Jungvögel mit dunklen Querlinien und Federn durchsetzt (siehe Abb. 4.6.2). Angesichts ihres kalten Lebensraums verfügt die Schneeeule über das dichteste und längste Gefieder aller Eulen. Darüber hinaus ist sie als einzige Eule in der Lage, Körperfett zu speichern. Spezifische Aktivitätsphasen lassen sich bei der Schneeeule nicht festlegen. Abbildung 4.6.2 W e i b l i c h e Schneeeule während des Win- Sie jagt bevorzugt während der Dämters. (HOLLE 1927: 344). merung, allerdings kann der Beutefang vor allem während der Jungenaufzucht auch zu jeder anderen Tageszeit beobachtet werden. Die maximale Aktivität richtet sich offensichtlich nach den Aktivitätszeiten der Hauptbeutetiere, die bei den Lemmingen in der Nacht und bei Schneehühnern am Tag liegt. In Küstengebieten fangen sie auch Fische. Schneeeulen suchen als Bewohner der Tundra keine Deckung, sondern sitzen meist ziemlich exponiert auf Hügeln, Steinen oder Baumstämmen. Dabei ruhen Schneeeulen oft stundenlang ohne eine Bewegung, aufrecht sitzend oder leicht vornüber gebeugt, wobei die Füße und Flügel von lockerem Körpergefieder umhüllt sind. Die
Anpassung alpiner Tiere Eulen suchen nur bei starker Sonnenbestrahlung einen Unterstand auf, bei Regen und Schneefall bleiben sie sitzen. Sie packen die Beutetiere mit ihren kräftigen Greiffüßen und töten sie mit einem Biss in den Nacken. Die Schneeeule weicht Polarfüchsen in der Regel aus, stiehlt aber auch bisweilen ihre Beute, wenn das Nahrungsangebot besonders knapp ist. Die Weibchen brüten in einer Erdmulde und legen dort 3 - 11 Eier ab. Die Brutzeit beträgt ca. 1 Monat; nach 6 - 7 Wochen werden die Jungvögel flügge. Während der Jungenaufzucht wird die Schneeeulenfamilie vom Männchen mit Nahrung versorgt. Abhängig vom Nahrungsangebot betreiben Schneeeulen eine Art Familienplanung. Da die Küken im 48-Stunden Abstand schlüpfen, gibt es im Gelege große Altersunterschiede. Ist das Nahrungsangebot sehr knapp, konzentrieren sich die Elterntiere auf die 2-3 ältesten Küken und ignorieren die jüngeren Geschwister, die schließlich verhungern. Schneeeulen haben außer Polarfüchsen und Raubmöwen, die unbewachte Nester plündern keine natürlichen Feinde. Außerhalb der Brutzeit leben Schneeeulen als Einzelgänger. Schneeeulen haben eine Körperlänge von 53-66 cm, eine Flügelspannweite zwischen 140 – 165 cm und ein Gewicht zwischen 1,2 und 2,4 kg. In freier Wildbahn werden Schneeeulen ca. 15. Jahre alt, in menschlicher Obhut können sie hingegen bis zu 28 Jahre alt werden (Wolf 2007). Säugetiere Von den verschiedenen Lemmingarten, kommt der Berglemming (Lemus Lemus) speziell in Skandinavien vor. Lemminge sind kleine 7,5 – 15 cm lange Nagetiere der Wühlerfamilie (Crieetiade). Sie sind die kennzeichnenden Nagetiere der arktischen Tundra. Lemminge sind den harten arktischen Lebensbedingungen auf mannigfache Weise angepasst. Ihr Fell ist lang, weich und dicht, die Beine kurz, ihre Ohren kaum sichtbar und der Schwanz ist nur so lang, dass er gerade eben unter dem Fell des Hinterteils hervorschaut. Der Halsbandlemming (Dicorostonyx torquatus) geht weiter nach Norden als jedes andere Nagetier und ist noch an der Nordküste von Grönland (80° nördlicher Breite) anzutreffen. Das Fell des Berglemming (Lemus Lemus) ist am Kopf Schwarz und hat einen Schwarzen
Rückenfleck auf sonst gelblichbraunem Untergrund (siehe Abb. 4.6.3). Wie bei allen Lemmingen färbt sich das Fell zum Winter hin, so dass der Lemming komplett Weiß ist. Alle Lemminge haben starke Klauen, mit denen sie unter den Wurzeln der Tundrenpflanzen (Heide und Gräser) ihre Röhren graben. Im Sommer sind diese Klauen von normaler Form. Im Winter entwickelt der Halsbandlemming an den Vorderfüßen zwei vergrößerte und gegabelte Klauen, die besonders dazu geeignet sind, im gefrorenen Schnee zu graben. Lemminge sind vor allem wegen ihrer periodischen Massenwanderung bekannt. Diese treten am häufigsten beim skandinavischen Berglemming (Lemus Lemus) auf. Dass es in Skandinavien stärker auffällt liegt zum Teil an den Gebirgen des Landes. Wenn ein Berglemmingbestand sich ausbreiten will, so kann er das nur in Talrichtung. Warum die Lemminge wandern ist nicht genau bekannt. Allerdings geht man davon aus, dass eine Wanderung dann stattfindet wenn es zu Überpopulation kommt.
Abbildung 4.6.3 Berglemming (Lemus Lemus) (HOLLE 1927: 946)
Geburten können zu jeder Jahreszeit sattfinden, selbst im Winter unter der Schneedecke. Dort bleiben die Lemminge bei jeder Witterung tätig und benutzen Laufwege unter dem Schnee. Die Jungen (bis zu Acht je Wurf) werden in einer Flachen Höhle oder in einem Nest unter einem Felsstück geboren. Sie wachsen schnell und sind bereits im Alter von sechs Wochen selbständig. Es gibt Berichte, wonach junge weibliche Lemminge ihren ersten Wurf bereits im Alter von sechs Wochen, bei einer Tragzeit von drei Wochen, gehabt haben. Dadurch kann es rasch zu starkem bestandanstieg kommen. Die Wanderungen werden allerdings dann nicht wegen
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Futterknappheit unternommen, sondern vielmehr durch den Übervölkerungsdruck verursacht. Denn wenn Lemminge zu Zahlreich auftreten, zieht dies vermehrt natürliche Fressfeinde an: Füchse, Marder und Greifvögel wie Schneeeule, Rauhfußbussard und Skuas. Die Hauptnahrung des Lemmings ist Moos (Holle 1927: 946-947). Der Vielfraß (Gulo Gulo) oder auch Järv, ist ein großer, bodenlebender Marder, der wie ein übergroßer Baummader mit massivem Körperbau aussieht, 12 – 29 kg wiegt und die subarktische Tundra der Alten und der Neuen Welt bewohnt. Ein karamellfarbener Streifen, der sich von dem langen schwarzbraunen Haarkleid deutlich abhebt, läuft an jeder Körperseite entlang zum hinteren Teil des Rückens. Der Kopf mit kleinen, fast im Fell verborgenen Ohren ist ganz marderartig. Die kurzen muskulösen Beine mit krallenbewehrten Füßen haben behaarte Sohlen, ein Merkmal, das diese Art mit anderen subarktischen Säugetieren wie zum Beispiel dem Eisbär teilt (siehe Abb. 4.6.4).
Abbildung 4.6.4 Ein männlicher Vielfraß (Gulo gulo). (HOLLE 1927: 1831)
Die Rüden sind mit bis zu 100 cm Länge, einschließlich seines buschigen Schwanzes, gewöhnlich größer als die Fähen. Der Vielfraßrüde teilt sein Revier, meist bis zu 260 km², mit zwei bis drei Fähen. Die Lernfähigkeit des Vielfraßes, seine Furchtlosigkeit und besonders sein Geschick, günstige Gelegenheiten auszunutzen, sind ihm beim Verfolgen und erfolgreichen Töten eines Rentieres oder eines jungen oder lahmen Elches, eines ihm gegenüber viel größeren Tieres sehr nützlich. Sogar Luchs und Bär ziehen
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es vor, ein Zusammentreffen zu vermeiden. Seine großen Pfoten helfen ihm, oben auf harten Schneekrusten dahin zu rennen, durch die ein Elch durchbrechen und schnell ermüden würde. Er zieht den Kadaver dann auf einen Baum oder in seine Höhle. Die Nahrung des Vielfraßes zeigt jahreszeitliche Abwechslung und enthält im Sommer Beeren, Insekten, Fische, Eier, Vögel, Lemminge und Aas. Im Winter größere Säugetiere, die er mit seinen breiten Pfoten im ausdauernden Lauf auf dem Schnee erjagt. Während eines Blizzards kann er mehrere Tage hindurch tief unter dem Schnee schlafen, aber einen Winterschlaf hält er nicht. Die Ranzzeit ist im Juli. Durch eine verzögerte Einnistung (Keimruhe) wird die Tageszeit so verlängert, dass die zwei bis fünf Junge erst im folgendem Frühling oder Frühsommer geboren werden (Holle 1927: 1831). Insekten und Reptilien Amphibien und Reptilien sind nicht in der Lage ihre Körpertemperatur eigenständig zu regulieren, sie passt sich der Umgebungstemperatur an. Frösche vergraben sich im Gewässerschlamm, welcher selten unter vier Grad abkühlt und Lurche verkriechen sich in frostsicheren Mäusegängen. Von Art zu Art verschieden überwintern bei Schmetterlingen entweder die abgelegten Eier, die Raupen, die Puppen oder das fortpflanzungsfähige Tier, wie das Tagpfauenauge oder der Zitronenfalter. Letzterer überwintert, stocksteif - wie gefroren – frei hängend, an einem Ast. Das Tagpfauenauge sucht jedoch Höhlen, Dachböden oder Keller auf, um über die kalte Zeit zu kommen. Der Kaisermantel legt seine Eier an Baumstämmen oder am Boden ab, sie überdauern problemlos den Winter. Indessen sterben die Erwachsenen. Beim Schachbrett sind es die Raupen, die den Frost irgendwo verkrochen im Laub oder Gestrüpp zu überstehen versuchen. Schlussendlich genügt beim Aurorafalter ein Raupenfutterpflanzenstängel wie Wiesenschaumkraut, Kresse oder Hellerkraut, an dem sich die Raupe vor der Verpuppung selbst mit einem Faden befestigt und so im Puppenstadium bis zum Frühjahr ausharrt (Sorger 2009). Der Gletscherfloh (Isotoma saltans) gehört zu der Gattung der Springschwänze. Der Springschwanz wird 1,5 – 2,5 mm groß. Wie alle Insek-
Anpassung alpiner Tiere ten besitzt er drei Beinpaare, die am mittleren von drei Körpersegmenten angebracht sind. Um seinen natürlichen Fressfeinden zu entkommen, besitzt der Gletscherfloh eine Furca. Diese am unteren Bauch gelegene nach vorne geklappte zweizackige Sprunggabel, wird bei Gefahr mit speziellen Muskeln gestreckt und wirkt losgelassen wie ein Katapult (siehe Abb. 4.6.5). Seine Körperfarbe ist tiefschwarz manchmal bläulich schimmernd. Der Gletscherfloh lebt bevorzugt bei ca. 0 °C in der Übergangszone von Neuschnee zu Eis. Er ist damit das einzige Lebewesen, das ganzjährig in und auf einem Gletscher existieren kann. Als Nahrungsquelle dient ihm der Gletscherschlamm (Gemisch aus Nadelholzpollen, Erdstaub und andere organischen und mineralischen Bestandteilen). Um im Gletscher überleben zu können besitzt der Gletscherfloh mehrere Überlebenstechniken. Das Insekt produziert unter anderem ein eigenes „Frostschutzmittel“. Das Insekt reichert dabei seine Körperflüssigkeit mit speziellen Zuckern und Alkoholen an. Sollte es noch kälter werden, blockieren Abbildung 4.6.5 Gletscherfloh (Isoto- spezielle Eiweißmoleküle ma saltans) mit seiner die Bildung von EiskristalSprunggabel. (TEMME len in seinem Körper. So bleibt das Blut bis -15 °C 2008) flüssig. Des Weiteren lehrt er komplett seinen Darm aus um den Erfrierungstod zu vermeiden. So überlebt er Temperaturen von -20 C°. Ein Problem bekommt der Gletscherfloh im Sommer, da in dieser Phase das Eis schmilzt droht dem Gletscherfloh der Erstickungstod. Deswegen kommt er während der warmen Sommermonate an die Eisoberfläche (Temme 2008).
Bourlière, F. und B.D. Carlisle, et. all (Hrsg.): Holles Tier-Enzyklopädie. (Andreas Verlag) Salzburg. Holle, G. (1927²): Band 6, Ste-Zy. In: Beer, G., Bourlière, F. und B.D. Carlisle, et. all (Hrsg.): Holles Tier-Enzyklopädie. (Andreas Verlag) Salzburg. Sorge, P.H. (2009): Überleben im strengen Winter. Abrufbar unter: http://www.respect-towildlife.at/report_winter_07.php (Datum: 21.7.09). Temme, G. (2008): Gletscherfloh (Isotoma saltans). Abrufbar unter: http://www.emmet. de/por_gfloh.htm (Datum: 20.07.09). Wolf, D. (2007): Schneeeulen. Abrufbar unter: http://www.linnea-images.de/kundenkatalog-linnea-images.de/content/e7994/e8018/ e44002/file/info_schneeeulen_20080505.pdf (Datum: 10.08.09).
Quellen Fahrland, D. (1999): Biologie des Verhaltens. Evolution, Physiologie, Psychobiologie. (VCH) Weinheim. Gould, J., F. Roux. (2002): Die Vögel Europas. (Komet) Frechen. Holle, G. (1927²): Band 3, Hu-Mak. In: Beer, G.,
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Wanderparkplatz Mysuseter Fjellstue (Rondane) Foto: Daniel Koch
Kapitel 5 Mensch
Mittlere Exkursion Norwegen 2009
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Landnutzungsentwicklung in Norwegen Isabella Mahler und Henri Schwaiger
Einleitung n dieser Arbeit wird die Landnutzungsentwicklung der letzten 150 Jahre in Zentralnorwegen behandelt und speziell die Entwicklung in der Landwirtschaft und Forstwirtschaft. In diesem Kontext sollen die sozioökonomischen
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Auswirkungen dieser Entwicklung aufgezeigt werden und inwiefern sich die Natur und Kulturlandschaft durch den Eingriff des Menschen über die Jahrhunderte hinweg verändert hat beziehungsweise welchen Einfluss die anthropogene Wirtschaftsweise auf Landschaft und
Abbildung 5.1.1 Landwirtschaftsregionen im südlichen Norwegen (Glässer 1993)
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Landnutzugsentwicklung Ökologie hat. Diese Auswirkungen variieren je nach Standort und Wirtschaftsweise, sodass in dem folgenden Abschnitt eine räumliche Gliederung der Landwirtschaftsregionen in Südnorwegen Aufschluss über die unterschiedlichen, naturräumlichen Begebenheiten und somit auf die dominierende Wirtschaftsweise geben soll. Anhand der Abbildung 5.1.1 wird eine deutliche räumliche Trennung zwischen den landwirtschaftlichen Gunsträumen und der Peripherie deutlich. Lediglich die Areale, die an der Küste und an den Fjorden gelegen sind können als landwirtschaftlicher Gunstraum ausgewiesen werden, da sich einerseits verschiedene Industrien angesiedelt haben, die den Absatz der landwirtschaftlichen Betriebe fördern, andrerseits die klimatischen Bedingungen den Anbau von rentableren Obst- und Gemüsekulturen möglich machen. Im Gegensatz dazu ist die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Peripherie beziehungsweise im Landesinneren vor allem durch die klimatischen Bedingungen, wie geringerer Niederschlag und niedrige Temperaturen, und das Relief des norwegischen Hochgebirges sehr limitiert. In diesen Regionen ist die Landwirtschaft der Hochfjellflächen und der Talungen, als auch die Forstwirtschaft die dominierende Wirtschaftsweise, auf dessen Entwicklung sich diese Arbeit fokussiert. Insgesamt nehmen die produktiven Waldflächen 23% und die Hochfjellflächen ca. 47% der gesamten Festlandfläche Norwegens ein und lediglich 3,3% der Fläche werden als kultiviertes Agrarareal ausgewiesen. Aufgrund dieser naturräumlichen Vorraussetzungen gehört Norwegen zu den landwirtschaftlich benachteiligten Staaten Europas, sodass das Leben in den letzten Jahrhunderten von Subsistenzwirtschaft geprägt war und viele Menschen in die USA immigrierten (Glässer 1993). Landwirtschaft in den Talungen und auf den Hochfjellflächen Die Tal- und Fjellregionen Norwegens nehmen nur etwa 10% der kultivierten Agrarfläche des Landes ein. Der größte Teil konzentriert sich dabei auf die großen südnorwegischen Bauerntalungen. Zwischen den nahezu unbesiedelten Hochfjellregionen sind sie die eigentlichen Sied-
lungsleitlinien gewesen. Ihre Abgeschlossenheit war Voraussetzung für die Entwicklung von spezifischen Formen der Siedlungsentwicklung, Wirtschaft und Kultur, weshalb sie als eigene Landschaftseinheiten betrachtet werden können. Der makroklimatische Wandel von Ost nach West beeinflusst dabei die landwirtschaftlichen Anbaumöglichkeiten in den verschiedenen Talungen. Darüber hinaus sind morphographische, geologische und edaphische Unterschiede in den naturräumlichen Voraussetzungen vorhanden. Die alten, permanenten Hofstellen innerhalb der norwegischen Talungen weisen fast durchweg eine bestimmte Siedlungslage auf. Sie reihen sich mit ihrem hofnahen, kultivierten Innmarkareal entlang der sonnenexponierten Talhangmitten auf. Die naturräumlichen Voraussetzungen sind in diesen Lagen vorteilhaft: bessere Bodenqualitäten durch Seitenmoränen, Eisstauseeterrassen, und ähnliches Lockermaterial, sowie eine geringere Frostgefahr durch Temperaturinversionen als in den Talhangmitten (Glässer 1993). Die Bewirtschaftungsformen Die an sich sehr unterschiedlichen Landschafteinheiten Tal und Fjell waren seit jeher wirtschaftlich eng miteinander verflochten. Dabei bildeten die Fjellbereiche mit den Nutzungsformen der Fernweidewirtschaft und Seterwirtschaft (seterbruk) die wirtschaftliche Grundlage der Kulturlandschaftsentwicklung in den Bauerntälern (Glässer et al. 2003). Fernweidewirtschaft Für die meisten Regionen Norwegens war und ist eine gemischte Viehhaltung aus Rindern und Schafen charakteristisch. Die Fernweidewirtschaft wird in großen Teilen mit Schafen betrieben und hat sich seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Besonders ausgeprägt ist sie in den südwestlichen Landesteilen mit den Provinzen Rogaland, Hordaland und Sog og Fjordane, die 1990 knapp 41% des Bestandes aufwiesen. Diese Regionen sind wegen der klimatischen Gegebenheiten durch eine lange Weidezeit und weitflächige Utmarkweiden begünstigt.
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 Bei der Fernweidewirtschaft wurden im Sommer die Schafe auf die Fjellhöhen zur Beweidung geführt, deren Nutzung vorher mit dem Eigentümer vertraglich festgelegt worden war. Heute wird diese Form der Transhumanz von Weidegenossenschaften organisiert und der Schafstransport zwischen Sommer- und Winterweide geschieht mit dem Lastwagen. Insgesamt ist jedoch im Zeitraum 1959-90 eine Abnahme des Schafbestandes um über 54% auf 896.400 Tier zu verzeichnen (Glässer 1993). Seterwirtschaft Oberhalb von Gehöften, oft entlang kleinerer Seitentäler und auf Fjellhochflächen, liegen bzw. lagen „Seterdörfer“ (setergrender) (Glässer 1993), die saisonale Siedlungen mit periodischer Nutzung darstellen (Bär et. al 2004). Die traditionelle Seterwirtschaft (seterbruk) umfasste die sommerliche Viehweide und die teilweise oder vollständige Verarbeitung der Milch. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war sie eine unersetzliche Grundlage der Agrarwirtschaft und des bäuerlichen Lebens in den inneren Tal- und Fjellregionen. Im 19. Jahrhundert bewirtschafte beispielsweise in Hardanger ca. 90% der Hofstellen einen oder mehrere Seter (Glässer et al. 2003). Die Seter bestanden meist aus relativ großen Weideflächen, Stall-, Wohn- und Molkereigebäuden. Ihre durchschnittliche saisonale Nutzungszeit betrug in Südnorwegen rund 12 Wochen, variierte jedoch stark. Gjelleböl schrieb 1777 darüber: „Die Zeitlänge, in der sie sich hier (auf den Setern) aufhalten, ist verschieden. Diejenigen, die gute Viehweiden zuhause haben, ziehen nach vier bis sechs Wochen wieder ab; dagegen bleiben die, die schlechte Grasflächen zuhause haben, hier zwei Monate, ja bisweilen den ganzen Sommer, nämlich bis sie alle Futterpflanzen geerntet haben.“ (Glässer 1993: 75) Verschiedene Varianten der Nutzungsformen können unterschieden werden. Die Sommerweide ermöglicht im Gebirge in der Regel eine erhöhte Produktion von Winterfutter in den Innmarken um die permanenten Hofstellen und in der Folge ist die Haltung einer größeren Anzahl an Nutzvieh möglich (Bär et. al 2004).
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Zum anderen dienen die Setern zum großen Teil selbst der Winterfuttergewinnung. Das Heu wurde bzw. wird meist in Heuschuppen auf den Setern gelagert und im Winter per Schlitten zu den Heimgütern gebracht. Auf den so genannten „Wintersetern“ wurde das gewonnene Heu selbst verfüttert, vor allem an Pferde, Ziegen und Schafe. Diese wurden von Herbst bis Weihnachten in die Seter gebracht, um einen Transport des Winterfutters zum Heimgut zu sparen. Daneben kann zwischen der reinen Milcheseter (mjölkseter) und der Vollseter (fullseter) unterschieden werden, auf der die anfallenden Produkte, wie Kuhmilch, an Ort und Stelle vollständig verarbeitet und erst mit dem Viehabtrieb zum heimischen Gehöft transportiert wurden (Glässer 1993). Insgesamt stellt die Seterwirtschaft eine optimale landwirtschaftliche Ressourcenausnutzung im Gebirge dar (Bär et. al 2004).
Abbildung 5.1.2 Seter in der Nähe Flams (Foto: Isabella Mahler)
Niedergang der Seterwirtschaft Mit der agrarwirtschaftlichen Intensivierung, die Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte, wurde die Seterwirtschaft allmählich aufgegeben. Im Jahr 1907 konnten 44.000 bewirtschaftete Seter gezählt werden, auf denen 200.000 Milchkühe und 150.000 Ziegen gehalten wurden. Doch bereits bei dieser ersten Zählung, befand sich die Seterwirtschaft im Niedergang. Funder schrieb 1916 über die Hochfjellnutzungen im Telemark:
Landnutzugsentwicklung „Die Seterwirtschaft spielt lange nicht mehr die Rolle wie in alten Tagen. In vielen der tiefer gelegenen Bezirke hat man fast mit der Seterwirtschaft aufgehört, die Seterhäuser zerfallen, und die Grasflächen wachsen mit Wald zu. Auch in den mehr ausgeprägten Fjellbezirken hat sich ein bedeutender Rückgang in der Nutzung der Fjells vollzogen.“ (Glässer 1993: 75) Im Jahr 1939 wurden ca. 30.000, 1959 konnten 13.600 und in der letzten Erhebung 1969 nur noch 6.100 bewirtschaftete Seter erfasst werden. Ihre Nutzungsform beschränkt sich oft auf eine extensive Beweidung der Flächen mit Schafen (Bär et. al 2004). Lediglich in verkehrsmäßig gut erschlossenen Regionen fand ein Wandel zu modernen Bewirtschaftungsformen statt, bei denen die Milch beispielsweise direkt zur Weiterverarbeitung an Molkereien geliefert wird. Viele Seter werden hingegen heute von den Eigentümern als Freizeit- und Ferienhäuser genutzt. Als Gründe für die Aufgabe der intensiven Bewirtschaftung der Seter nennen Bär et al. (2004) folgende Gruppen: Ökonomische Gründe Die Lohnkosten für Angestellte zur Bewirtschaftung der Seter stiegen unverhältnismäßig an. Dies war eine Folge der Einführung von Mineraldünger, der eine intensivere Nutzung der Areale um die permanenten Hofstellen zuließ und sowohl eine Sommerbeweidung dieser Gebiete, wie auch eine ausreichende Produktion von Winterfutter ermöglichte. Dabei sank die Effizienz des meist wöchentlich zurückzulegenden, mehrstündigen Fußwegs zur Abholung der Produkte und Versorgung des Personals auf den Setern (Bär et. al 2004). Persönliche Gründe Die Bereitschaft in der Bevölkerung für harte, körperliche und dabei saisonale Arbeit in abgelegenen Gebieten sank. Es wurde zunehmend schwieriger junges, geeignetes Personal zu finden.
zur Seter nur noch mit großen Schwierigkeiten oder gar nicht mehr nutzen. Das heute in der Milchwirtschaft übliche „Norwegische Rotvieh“ ist in seiner Masse etwa doppelt so schwer wie das früher eingesetzte „Westnorwegische Fjordvieh“ (Bär et. al 2004: 152). Probleme und Niedergang alter Nutzungsformen Der sozio-ökonomische Wandel in Folge der Industrialisierung führte in Norwegen weitgehend zum Niedergang der besonderen landwirtschaftlichen Strukturen der Talungen und Hochfjellflächen. Die Bewirtschaftung peripher gelegener Standorte in den Tälern oder hohen, schwer zu bewirtschaftenden Hanglagen erfolgt überwiegend auf Grenzertragsböden, deren Erzeugungskosten nicht durch die Erzeugungsleistung gedeckt werden können. Eine massive Subventionspolitik durch die norwegische Regierung, die weit höhere Finanzstützen vergibt als die EU, wirkt einer Aufgabe der Landnutzung in diesen landwirtschaftlich wenig ertragreichen Regionen entgegen. Das Ziel der Subventionen, das Siedlungsmuster der Peripherie weitgehend zu erhalten, konnte zwar teilweise erreicht werden, jedoch mit einer deutlichen Kontraktion des Siedlungsraumes. Zahlreiche kleine Betriebe gaben die Bewirtschaftung ihrer Flächen auf, welche als Pachtland in die Hände weniger großer Betriebe übergingen, sodass bei einer Abnahme der Anzahl der Betriebe eine Zunahme der Betriebsgröße zu verzeichnen ist. Ebenso konnte ein deutlicher Anstieg der Nebenerwerbslandwirte bemerkt werden. Die Tourismuswirtschaft spielt heute zwar aufgrund der landschaftlichen Reize, der kulturhistorischen Besonderheiten und des hohen Freizeitwerts in den Tal- und Fjellgebieten eine große Rolle, im Allgemeinen ist jedoch der sozioökonomische Gegensatz zu den küstennäheren Flachlandgebieten groß (Glässer 1993).
Forstwirtschaft Praktische Gründe Die norwegische Landfläche wird zu ca. 23% von Die modernen Rinderrassen können aufgrund produktivem Wald eingenommen, „wobei unihrer physischen Beschaffenheit die alten, en- ter produktiv in der norwegischen Statistik eine gen und steilen Wege vom permanenten Gehöft Holzbodenfläche mit einem Zuwachs von min-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 destens 0,1m³ Holzmasse pro 1000m³ und Jahr zu verstehen ist.“ (Glässer 1993: 78). Bezüglich der Holzzusammensetzung der Wälder ist festzuhalten, dass der Gesamtholzbestand von Nadelhölzern dominiert wird und die einheimische Fichte (Picea abies) 52 % und die Kiefer (Pinus sylvestris) ca. 31% des Gesamtholzbestandes einnehmen. Die Holzzusammensetzung variiert dabei je nach Standort und Grad der Aufforstungen sehr stark. Zudem liegt die jährliche Zuwachsrate der produktiven Wälder Norwegens, im wesentlichen der von Kiefer und Fichte, nach einem starken Holzeinschlag in den vorherigen Jahrhunderten, bedeutend höher als der jährliche Holzeinschlag. Dem ist jedoch hinzuzufügen, dass ein großer Teil der Wälder überaltert sind und durch die schlechte infrastrukturelle Anbindung als nicht nutzbar abgeschrieben werden. In diesem Kontext sind die große Flächen von produktivem Wald meistens ungünstig gelegen und nicht verkehrsgeographisch erschlossenen, sodass der Staat schon seit mehreren Jahren Holz für die Veredlungsindustrie importieren muss. In Bezug auf die wirtschaftliche Bedeutung der Holzindustrie ist festzuhalten, dass die norwegische Holzindustrie im Jahr 2000 ca. 2,3 Mrd. € und die Möbelindustrie ca. 1,6 Mrd. € umgesetzt hat, was einen Anteil von 2,1% am BIP ausmacht. Zu diesem Zeitpunkt waren ca. 25400 Menschen in der holzverarbeitenden Industrie tätig (Glässer 1993). Historische Entwicklung der Forstwirtschaft und Holzindustrie Zunächst wird in den folgenden Absätzen auf die historische Entwicklung der Forstwirtschaft in Norwegen eingegangen. Gekoppelt an die Forstwirtschaft besitzen der Holzhandel und die Holzausfuhr eine lange Tradition in Norwegen, deren Ursprung bis ins 15. und 16. Jahrhundert zurückzuführen ist. In der Zeit der Vorindustrialisierung wurde der Rohstoff vor allem in die Niederlande und nach Großbritannien exportiert, wo Holz ausschließlich als Baumaterial und für Verbrennungszwecke verwendet wurde. Die extensive Wirtschaftsweise des Menschen führte dazu, dass der Hauptteil der Laubwaldungen in den südlichen und süd-westlichen Küstendist-
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rikten gerodet wurde (Glässer 1993). In diesem Zusammenhang ist die starke anthropogene Überprägung der Küstenlandschaften auch auf die verarbeitende Holzindustrie zurückzuführen, die sich aufgrund der räumlichen Nähe zu den Häfen an der Küste Norwegens konzentrierte. Erst mit der steigenden Nachfrage im 19. Jahrhundert wurden die nördlichen, borealen Nadelwälder von der Holzindustrie erschlossen. Zu dieser Zeit expandierte die verarbeitenden Holzindustrie am Oslofjord, da die Flößerei das einzige Mittel war, um das geschlagene Holz aus dem Landesinnere an die Küste zu transportieren. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die verarbeitende Holzindustrie durch Etablierung der Zelluloseindustrie weiter, die sich vor allem am Trondheimfjord konzentriert und dessen Nachfrage nach Holz durch die Anlegung großer Fichtenmonokulturen kompensiert wurde. Einerseits hatte dieser Eingriff in die Kulturlandschaft gravierende Auswirkungen auf die Biodiversität und Böden, andrerseits konzentrierte sich die verarbeitende Industrie am Oslo- und Trondheimfjord, abseits der peripheren Gebiete im Landesinnern. Diese Entwicklung hat Auswirkungen bis auf die heutige sozioökonomische Situation in den peripheren Gebieten Zentralnorwegens, auf die noch eingegangen wird. Seit dem 2. Weltkrieg nimmt jedoch die Bedeutung der Forstwirtschaft und der Holzindustrie kontinuierlich ab, zum Teil auch durch die Entdeckung der Ölreserven bedingt, die dem Land Norwegen einen wirtschaftlichen Quantensprung bescherte. In statistischen Werten ausgedrückt ist die Zahl der Erwerbstätigen in der Forstwirtschaft in den letzten Jahrzehnten von ca. 50 000 im Jahr 1950 auf 5 500 im Jahr 2000 gesunken, was den Trend in dieser Branche darstellt (Glässer 1993). Dieser Entwicklung muss noch hinzugefügt werden, dass die norwegische Holzindustrie ab den 1970er, aufgrund ineffizienter, ökonomischer Strukturen, abgehängt wurde. Diese Strukturen bezogen sich auf die großen Waldflächen, die in viele kleine Parzellen aufgeteilt wurden und von den Bauern, neben der Landwirtschaft, als zweite Einnahmequelle bewirtschaftet wurden. Die geringe Spezialisierung der Bauern
Landnutzugsentwicklung hemmten die Entwicklung neuen Innovationen und die Weiterentwicklung des ganzen Sektors (Glässer et al. 1993).
Durch die negative Entwicklung in dem Sektor der Forstwirtschaft und aufgrund der abnehmenden Bedeutung der Landwirtschaft als alternative Einnahmequelle für die Bauern wurde der Forest Trust Fund als Teil des Forestry Act of 2005 etabliert, der die negative Entwicklung in den peripheren Gebieten des Landes entgegenwirken soll. Die Bauern haben die Möglichkeit in diesem Fond einzuzahlen, der einerseits Projekte der Landschaftspflege und infrastrukturelle Bauprojekte in der ländlichen Region unterstützt, andrerseits erhalten die Bauern Unterstützung und steuerliche Vergünstigungen für deren Zahlung. Mit dem Fond wird das Ziel verfolgt, den negativen Trend der Forstwirtschaft zu verlangsamen beziehungsweise die ländlichen Strukturen und die Bevölkerungsverteilung zu erhalten, sodass die Menschen aus diesen Regionen nicht wegziehen. Dafür werden seit dem 1990ern verschiedene Initiativen verfolgt, neue, innovative Geschäftideen für die Forstwirtschaft umzusetzen. Dabei werden Konzepte mithilfe von verschiedenen Experten und Institutionen erarbeitet, um unter anderem den Tourismus in den ländlichen Regionen bekannter zu machen.
die Entwicklung exemplarisch für den Einfluss des Menschen auf die Kulturlandschaft stehen und inwiefern sich die Natur unter diesen Bedingungen entwickelt beziehungsweise anpasst. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Areale um den Lovstakken zur Weidung und Heuproduktion von den umliegenden Höfen genutzt, sodass ein Teil des Waldes gerodet wurden. Neben dieser Funktion veränderte sich das Landschaftsbild durch ein starkes Bevölkerungswachstum Ende des 19. Jahrhunderts, da der hohe Bedarf an Brenn- und Bauholz die Waldbestände stark dezimierte. Diese Problematik wurde bereits zu der Zeit erkannt, sodass dem Kahlschlag mit Aufforstungen von Fichtenkulturen entgegengewirkt wurde. Diesem anthropogenen Eingriff in die Landschaft kommt hinzu, dass sich durch die Aufgabe der Mahd- und Weidewirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts an diesen Freiflächen der Wald sich durch natürlichem Wachstum wieder ausbreitete. Beispielsweise führte die Aufgabe der Weidewirtschaft dazu, dass die jungen Keimlinge der Bäume nicht gefressen wurden, sondern weiterwachsen konnten. Die Prognosen der Wissenschaftler gehen sogar so weit, dass sie eine komplette Bewaldung des Lovstakken bereits in wenigen Jahrzehnten für möglich halten (Bär et al. 2004). In der Abbildung 5.1.3 sind zwei Luftaufnahmen des Untersuchungsgebietes von 1974 und 1999 gemacht worden, welche die Ausbreitung der Waldflächen dokumentieren. In diesem Zusammenhang stellen die schwarz markierten Flächen die Waldflächen dar, die einen erhebli-
Fallbeispiel Lovstakken Das Fallbeispiel am Lovstakken soll die Wechselbeziehungen zwischen dem Menschen und der Natur anhand der Veränderungen innerhalb der Kulturlandschaft darstellen und den Ablauf einer Entwicklung der Landnutzung anhand eines Fallbeispieles verdeutlichen. Am Lovstakken wurde in einem Forschungsprojekt der Landschaftswandel im Baumgrenzgürtel am Lovstakken, der letzten 25 Jahre zwischen 1974 und 1999 untersucht. Der Lovstakken ist einer der 7 Berge, welche die Stadt Bergen an der Westküste Norwegens umgeben. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass innerhalb dieser Periode sich die Waldgrenze im Durchschnitt um 37 m erhöht hat, was auf verschiedene Entwicklungen bezüglich der Landnutzung vor Ort im letzten Jahrhundert zurückzuführen ist. Das Untersuchungsgebiet liegt Abbildung 5.1.3 Veränderungen der Baumgrenzmuster zwar nicht in Zentralnorwegen, jedoch könnte am Lovstakken (Bär et al. 2004)
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 ches Wachstum innerhalb des Untersuchungszeitraums zu verbuchen haben. Diese Veränderung in der Kulturlandschaft birgt jedoch auch negative Folgen für die Ökosysteme, die sich im Laufe der Zeit an den anthropogenen Einfluss in Form der Mahd- und Weidewirtschaft angepasst haben. Diese komplexen Systeme werden durch den Anstieg der Baumgrenze verdrängt, sodass die Biodiversität in diesen Räumen dezimiert wird. In diesem Kontext sind auch die Aufforstungen von Monokulturen mit einem starken Eingriff in das natürliche System und einem Verlust an Ökosystemen und Biodiversität verbunden ist. Station Flam Zum Ende der Exkursion haben wir uns das ehemalige Untersuchungsgebiet von Herrn Rößler angeschaut, wo wir unter anderem die Lage der Waldgrenze genauer untersucht haben und deren Ausbildung aus dieser Stelle begründet haben. Es konnte zwar eine markante Waldgrenze erfasst werden, jedoch wuchsen noch ein paar größere Bäume oberhalb dieser Grenze und sehr viele Keimlinge und junge Pionierpflanzen unmittelbar oberhalb der Waldgrenze. Anhand der jungen Pflanzen und Sträucher, die sich erst in den letzten Jahrzehnten an dieser Stelle ausge bildet haben, konnten wir schlussfolgern, dass
da an die Waldgrenze nicht weiter ausbilden. Erst durch die Aufgabe der Weidewirtschaft entwickelte sich eine neue Dynamik und Pionierpflanzen begannen oberhalb der Baumgrenze zu wachsen. Fazit Norwegen ist in weiten Teilen des Landes als Kulturlandschaft entwickelt. Seit dem 20. Jahrhundert kann in den Hochgebirgsregionen abseits der städtischen Agglomerationen jedoch ein Aufwuchs an Bäumen und Sträuchern verzeichnet werden (BÄR et. al 2004: 147). Während die Menschen insbesondere in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch mehr oder weniger starke Eingriffe die norwegische Landschaft stark prägten, ist der landschaftliche Wandel heute durch das Auslassen menschlicher Tätigkeiten gekennzeichnet (Bär et al. 2004): Das Offenland mit anthropogen geschaffenen Heiden und Mooren, sowie die kultivierten Flächen werden wieder durch ursprüngliche Wälder ersetzt und subalpine Birken dehnen sich aus. Gleichzeitig schrumpft die heterogene Landschaft und Pflanzengesellschaften, die sich an die anthropogenen Einflüsse angepasst haben, gehen verloren. Einer allgemeinen Abnahme der Biodiversität in Norwegen, kann nur durch einen Erhalt der alten Nutzungssysteme begegnet werden (Bär et al. 2004). Literaturverzeichnis Bär, A., Eiter, S., Löffler, J., Lundberg, A., Potthoff, K. & N. Skjerping (2004): Landschaftswandel in Westnorwegen. In: Norden. Bd. 16. S. 145-154. Glässer, E. (1993²): Norwegen. Wissenschaftliche Länderkunden 14. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Glässer, E., Lindemann, R. & J.-F. Venzke (2003): Nordeuropa. Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Abbildung 5.1.4 Untersuchungsgebiet der Baumgrenzdynamik (Foto: Isabella Mahler)
das Areal einst für die Weidewirtschaft gerodet wurde. Da die Keimlinge und junge Pflanzen von den Nutzvieh gefressen wurde konnte sich von
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
Rentierwirtschaft in Norwegen und auf der Hardangervidda im Speziellen Jonas Reimann
Einleitung ie Rentierwirtschaft wird zum größten Teil von den Samen betrieben. Die Samen sind ein indigenes Volk aus dem Norden Fennoskandinaviens. Die Rentiergebiete erstrecken sich über das gesamte Heimatland der Samen, was einer Fläche von 44 Mio. Hektar entspricht (der Norden und die Mitte Schwedens, Norwegens und Finnlands). Die Samen pflegen die Haltung von Rentieren schon seit mehreren Jahrhunderten (Niemeyer & Riseth 2004). Aufgrund der rauen klimatischen Bedingungen, ist sie eine der wenigen Möglichkeiten das Land zu bewirtschaften. Die Rentierwirtschaft hatte das Ziel, die Hirten und ihre Familien mit Milch und Fleisch zu versorgen. Dadurch sollten sie ihren Lebensunterhalt sichern. In den letzten Jahrzehnten setzte die Industrie jedoch auf die Produktion von Fleisch. In Norwegen wurden die Samen ab 1970 unterstützt um die Fleischproduktion effektiver zu gestalten. In Folge dessen kam es zu dem Wandeln von einer Subsistenzwirtschaft, zu einer marktorientierten Fleischproduktion. Möglich wurde dies durch den zunehmenden Einsatz von Maschinen. Die Samen haben verschiedene gesellschaftliche Veränderungen durchgemacht. Von Jägern entwickelten sie sich zu Hirten. In der jüngeren Geschichte der Rentierwirtschaft wurde von ihnen ein Modernisierungsprozess zu durchlaufen. Der Lebensstandard stieg an, das Einkommen nahm zu und die Ausbildung für die Kinder wurde verbessert. Allerdings kamen auch neue Gesetze und Regularien auf die Samen zu. Der moderne Lebensstil und die neuen Technologien zogen aber auch Kosten mit sich, die von einigen Samen nicht getragen werden konnten. Es herrscht ein Konflikt zwischen Tradition und modernem Denken. Häufig können die Ziele des Staats
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nicht umgesetzt werden, da die Samen ein eigenes Verständnis von der Rentierhaltung haben (Niemeyer & Riseth 2004). Die Abstimmungsprobleme zwischen Staat und Rentierhaltern kann ökologische Probleme mit sich bringen. Folgen der Rentierwirtschaft für das Ökosystem Seit den 1950er Jahren stieg die Anzahl der Rentiere im Norden Norwegens an (vgl. Abbildung 5.2.1). Welche Auswirkungen das für das Ökosystem hat wird im folgenden Abschnitt beleuchtet.
Abbildung 5.2.1 Zunahme der Rentierpopulation in Nordnorwegen (Löffler 2000)
Aus den Untersuchungen, die Löffler (2000) im Norden von Norwegen durchgeführt hat geht hervor, dass der Einfluss durch Rentierbeweidung auf drei Ebenen sichtbar wird. Insgesamt wurden zehn Regionen betrachtet. Dazu wurden zwei Gradienten von Westen nach Ost gezogen, sodass die subpolaren und die nördlichen borealen Höhenstufen abgedeckt sind. Um die Auswirkungen der Rentierwirtschaft auf das Ökosystem zu beurteilen, wurden Daten über Relief, Bodenfeuchte, Abfluss, Höhe, Tiefe zum Wasserspiegel, Vegetation, Ausgangsgestein, prozentu-
Rentierwirtschaft in Norwegen aler Anteil von grobkörnigem Oberflächenmaterial, Durchwurzelung, Bodentemperatur in 50 cm Tiefe, Bodenprofil und Bodengefüge erhoben. Aus den Daten lassen sich verschiedene Folgen der Beweidung auf das Ökosystem ableiten. Diese können räumlich in drei Ebenen kategorisiert werden. Zunächst stellt Löffler (2000) großflächige Effekte auf der regionalen Ebene fest (large-scale effects at local sites). Besonders auf Hängen mit niedriger Steigung (<10°) werden verholzende Pflanzen wie Empetrum hermaphroditum und Betula nana (vgl. Abbildung 5.2.2) durch Verbiss und Trittschäden zerstört. Auf Gipfeln ohne Schneebedeckung kommen vorwiegend spezialisierte Arten wie Loiseleuria procumbens und Diapensia lapponica vor. Sie treten dort in Kombination mit Flechten und Moosen auf. Durch Verbiss und Trittschäden kommt es zu einer
Abbildung 5.2.2 Betula nana (Foto: V. Louis)
Fragmentierung der Vegetationsstruktur. Die ehemals von Flechten wie Cladonia stellaris oder Cetraria nivalis dominierten Flächen, werden von toten Ästen, degradierten Bodenoberflächen und nahezu ausgewaschenen Oberflächen aus Festgestein abgewechselt. Die abgestorbenen Äste werden von der Flechte Ochrolechia frigida bedeckt. In einem nächsten Stadium werden die Holzgewächse durch eine spärliche Vegetation aus u.a. Ochrolechia frigida, Juncus trifidus, Deschampsia flexuosa, Carex bigelowii ersetzt. Durch die fehlende, bzw. geringe Vegetationsbedeckung kommt es zu einer erhöhten Erosion. Außerdem verstärken sich Frostwechselprozesse im Boden, da die isolierende Vegetation fehlt oder nur spärlich vorhanden ist. Kryoturbation und Solifluktion kann die Vegetation zusätzlich
zerstören, sodass eine positive Rückkopplung die Folge ist. Auch in Senken, in denen eine hohe Schneemächtigkeit erreicht wird, kommt es zu einem Wandel der Vegetation. Die Beweidung führt dazu, dass Vaccinium myrtillus an einigen Stellen durch Salix herbacea ersetzt wird. Vor allem durch flächenhafte Erosion wird die Bildung der Böden beeinflusst. Der vorwiegend vorkommenden Podsol kann durch Bodentypen ähnlich der arktisch/ alpinen Braunerden ersetzt werden (Löffler 2000). Viele Bodenoberflächen sind, aufgrund der Erosion und anschließenden Sedimentation, mit Feinmaterial bedeckt. Durch die Erosion von Humus und mineralischem Feinmaterial bleibt auf Gebirgskämmen ein hoher Skelettanteil zurück. Hierbei spielt die Deflation eine wichtige Rolle. Neben den großflächigen Folgen der Rentierwirtschaft auf das Ökosystem, können nach (Löffler 2000) lineare Effekte entlang von einem Rentierzaun (linear effects along a reindeer fence) beobachtet werden. An jeweils drei Stellen, neben dem Rentierzaun wurden die Vegetation und der Boden untersucht. Unter gleichen ökologischen Bedingungen, fand auf einer Seite des Zauns eine starke Beweidung statt, auf der anderen Seite war die Beweidungsintensität geringer. Durch die Bewirtschaftung der Flächen kann die Vegetationsbedeckung auf bis zu 55 % abnehme. Außerdem lässt sich ein Wandel in der Artenzusammensetzung feststellen. Vor allem Holzgewächse scheinen unter Beweidungsdruck anfällig zu sein. Auf beiden Seiten des Zauns sind Störung festzustellen. Besonders das Wachstum von Empetrum hermaphroditum wird durch die Rentiere beeinträchtigt (Löffler 2000). Auch Betula nana wird an vielen Stellen verdrängt. Andere Arten wie Rubus chamaemorus kommen an Stellen, wo sie normalerweise auftreten vermindert vor, da trotz geringer Beweidungsintensität die Bodenfeuchtigkeit abnimmt. Wo andere Arten verschwinden zeigt Salix herbacea keine große Anfälligkeit in Bezug auf den Beweidungsdruck. Somit wird sie zur Hauptart. Auf Bergkämmen kommt es zu einer Artenzusammensetzung, wie sie in schneebedeckten Senken zu finden ist. Besonders deutlich ist die Zunahme von Grasarten. Darunter befinden sich auch einige Arten,
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Abbildung 5.2.3 H e r a b setzung der alpinen Höhenstufen (Löffler 2000)
die für gewöhnlich nicht an den untersuchten Stellen etabliert sind. Somit nimmt die Grasbedeckung unter Rentierbeweidung zu. Diese Arten sind den neuen Bedingungen am besten angepasst. Carex bigelowii, Deschampsia flexuosa, Juncus trifidus und Festuca ovina treten auf Flächen mit hohem Beweidungsdruck vermehrt auf. Sie können die Störungen durch Deflation, Kryoturbation, Solifluktion und Flächenerosion am besten bewältigen. Im Gegensatz dazu verringert sich die Anzahl der Flechten. Von zwölf Flechtenarten sind bei starker Beweidung lediglich fünf anzutreffen. Die sonst in großen Mengen vorkommenden Flechten Cetraria nivalis und Ochrolechia frigida fallen weg. Die Verdrängung von Flechten ist ein deutlicher Indikator für die Überweidung durch Rentiere. Flechten dienen den Rentieren v.a. im Winter als nahezu einzige Nahrungsquelle (Löffler 2000). Insgesamt nimmt die Durchwurzelung des Bodens ab. Dies führt zu einer erhöhten Erosion, da der Boden an Stabilität verliert. Die Humusauflage verliert an Mächtigkeit, dadurch werden auch die darunter liegenden Horizonte beeinflusst (Löffler 2000). So werden einige Podsole soweit reduziert, dass die früher entstandenen Braunerden freigelegt werden. Eine weitere Veränderung im Boden ist die Abnahme der Feuchtigkeit. Dies beeinflusst den Sukzessionsprozess in hohem Maß, da viele Arten den Mangel an Bodenfeuchtigkeit nicht ausgleichen können. Somit haben andere Arten die Chance sich anzusiedeln. Kleinmaßstäbliche Effekte auf das gesamte Gebirgssystem (small-scale effects on entire mountain systems) äußern sich durch die Her-
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absetzung der alpinen Höhenstufen. Durch den Beweidungsdruck, und die damit einhergehenden Veränderungen des Ökosystems, wird der Abstand zwischen mittlerer und unterer alpiner Stufe erhöht (vgl. Abbildung 5.2.3). Dies lässt sich vor allem an den Veränderungen der Baumund Waldgrenze ablesen (Löffler 2000). Insgesamt wurde der Birkenwald auf ein niedrigeres Niveau herabgesetzt. Die Waldgrenze befindet sich auf einer geringeren Höhe. Große Teile der ehemals unteren alpinen Stufe, werden durch die mittlere alpine Stufe eingenommen. Dies wird außerdem durch die zunehmende Grasbedeckung, der ehemals unteren alpinen Stufe deutlich. Durch Bodenproben kann gezeigt werden, dass die vergleichsweise kargeren Bereiche der mittleren alpinen Stufe, vormals von einer dichteren, für die untere alpine Stufe typische, Vegetation bedeckt waren (Löffler 2000). Löffler (2000) kommt zum Schluss, dass die Rentierwirtschaft in Nordnorwegen nicht nachhaltig ist und das Ökosystem durch den Beweidungsdruck gestört wird. An einigen Stellen, wird dass durch einen kompletten Wandel der Struktur und Funktion des Ökosystems sichtbar. Langfristig führt diese Form der Landnutzung zur Zerstörung der Umwelt. Somit vernichtet Rentierwirtschaft langfristig ihrer Grundlage. Vor allem die Flechten sichern während der Winterperiode das Überleben der Tiere. Nach Moen & Danell (2003: 397) sieht eine nachhaltige Beweidung vor, „[...] that animal production can be maintained over time while ensuring that plant production and plant biodiversity are not degraded.“
Rentierwirtschaft in Norwegen Auswirkungen des Klimawandels auf die Rentierwirtschaft Im Rahmen der Exkursion wurden während des Referats mögliche Auswirkungen des Klimawandels für die Rentierwirtschaft diskutiert. An dieser Stelle soll diese Diskussion Anhand des Artikels von Moen (2008) zusammengefasst werden. Die Vorhersagen von Moen (2008) beziehen sich auf die nördliche Rentiergebiete Schwedens. Ausgehend von einer Klimaerwärmung in Nordschweden, von +1,4°C bis +5,8°C für das Jahr 2100, werden positive sowie negative Effekte für die Rentierwirtschaft erwartet. Besonders in den Wintermonaten ist ein Anstieg der Temperaturen von 4-6°C zu erwarten. Im Sommer hingegen wird nur eine Erwärmung von 2°C vorhergesagt. Die Folge dessen, ist eine Verkürzung der Periode mit Schneebedeckung um zwei Monate. Weiterhin wird ein erhöhter Niederschlag von 30% bis 40% für die Wintermonate prognostiziert. Die Sommerniederschläge hingegen bleiben nahezu gleich bzw. nehmen leicht ab. In Kombination mit erhöhten Temperaturen würde dies eine verringerte Bodenfeuchtigkeit zur Konsequenz haben.
zu einer erhöhten pflanzlichen Biomasse, sonder zu einer größeren Populationen von Pflanzenfressern.
Abbildung 5.2.4 Alpine Heidelandschaft (Foto: V. Louis)
In Modellen für das Jahr 2100 wird davon ausgegangen, dass die Baumgrenze um 233-667 Meter ansteigt. Das entspricht einer Verringerung des baumlosen Heidelands (vgl. Abbildung 5.2.4) um 75-58%. Konservativere Modelle gehen von einer Erhöhung um 100 Meter aus. Die größere Fülle an Birkenwäldern und Büschen führt zu einem sich selbst verstärkenden Prozess. Bäume und Büsche (Salix, Betula und Alnus) fungieren als Windschutz, sodass sich in ihrer Umgebung mehr Schnee ansammeln kann. Dies begünstigt das Wachstum von weiteren Büschen, sodass zusätzlich Schnee akkumuliert werden kann. Da der Schnee den Boden isoliert, steigt dessen Temperatur. Dies führt zu einem schnelleren Stoffkreislauf und somit zu einem erhöhten Pflanzenwachstum Moen (2008). Ist eine gewisse Dichte an Büschen erreicht, kann ausreichend Schnee akkumuliert werden, um ein weiteres Wachstum von Büschen anzuregen. Aus diesen Abschätzungen folgt, dass sich die alpine Heidelandschaft zu einer bewaldeten Landschaft, mit einzelnen isolierten Bergspitzen wandelt. Dies zieht einige Veränderungen für das Ökosystem nach sich. Für die Arten, in nun isolierten Gebieten, steigt das Risiko auszusterben. Weiterhin wird durch eine Veränderung der Streuqualität und -menge der Nährstoffkreislauf modifiziert.
Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation Von diesen Annahmen ausgehend, beschreibt Moen (2008) die potentiellen Folgen für die Vegetation und somit die Nahrungsverfügbarkeit für die Rentiere. Generell ist es nicht einfach, genaue Aussagen über die Anpassung der Vegetation, an die Klimaerwärmung zu treffen. Einige Versuche haben jedoch gezeigt, dass sich die Vegetation zunehmend aus sommergrünen Büschen und grasartigen Pflanzen zusammensetzten wird. Demzufolge werden Moose und Flechten weniger, sodass insgesamt die Artenvielfalt abnimmt. Die Reaktion auf den Klimawandel kann sehr plötzlich auftreten, da erst die Pufferkapazität der einzelnen Arten überschritten werden muss. Danach kommt es zu einer schnellen Reorganisation der Pflanzengesellschaften. Interessanterweise können auch Pflanzenfresser als Puffer auftreten. Indem sie die Biomasse gering halten, Folgen für die Futterquantität und -qualität verhindern sie einen Wandel des Ökosystems. Die Zunahme von Nährstoffen führt somit nicht Die erhöhten Bodentemperaturen führen zu
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 einem beschleunigten Nährstoffkreislauf der Pflanzen, sodass es zu einer Zunahme von pflanzlicher Biomasse kommt. Die höheren Temperaturen und größeren Schneemengen fördern das Wachstum von Büschen und Gräsern. Dementsprechend ist mehr Futter für die Rentierherden vorhanden. Moen (2008) geht davon aus, dass durch eine verlängerte Vegetationsperiode die Qualität des Futters abnehmen kann. Am nährstoffreichsten sind die Blätter einige Wochen nach der Schneeschmelze. Anschließend nimmt der Anteil der Ballaststoffe zu. Der frühere Beginn des Frühlings kann die Pflanzen im Herbst erneut blühen lassen. Dadurch nimmt die Nährstoffkonzentration und somit die Futterqualität weiter ab. Erhöhte Schneemengen hingegen verbessern die Qualität des Futters, da es zu einer länger andauernden Schneeschmelze kommt. Indem die Rentiere höher gelegene Weidegebiete aufsuchen, finden sie immer wieder neu austreibende Pflanzen, mit hohem Nährstoffgehalt. Die verlängerte Vegetationsperiode und vor allem der später einsetzende Herbst, erhöht die pflanzliche Biomasse und beeinflusst die Wanderungen der Rentierherden. Die Wanderungen richten sich nach dem Einsetzten der Jahreszeiten. Ein großes Problem bei der Futtersuche ist die Belästigung durch Insekten. Hypoderma tarandi legt ihre Eier in die Haut der Rentiere. Cephenemyia trompe bringt ihre Larven im Maul unter. Dies führt zu einem bedeutenden Verlust an Rentieren. Die Tiere müssen viel Energie aufwenden, um den Insekten zu entkommen. Dazu suchen sie kältere Schneefelder oder windige Bergkämme auf. An den Rückzugsorten ist allerdings weniger Nahrung vorhanden. Um den Belästigungen durch die Insekten zu entgehen, müssen sich die Herden mehr bewegen. Somit kann weniger Zeit für die Futteraufnahmen verwendet werden. Insekten tauchen vor allem an windstillen und warmen Tagen (>10°C) auf. Es wird angenommen, dass Insekten durch den Klimawandel vermehrt auftreten und die Rückzugsmöglichkeiten durch die Erwärmung und die Veränderungen in der Vegetation weniger werden Moen (2008). Zusammengefasst kann die Belästigung durch Insekten die Nahrungsaufnahme der Rentiere in hohem Maß stören.
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Besonders die Verfügbarkeit von Futter im Winter ist essenziell für das Überleben der Rentiere. Vor allem die Arten der Gattung Cladonia und Cetraria dienen als Futter Moen (2008). Rentiere können die Flechten unter einer bis zu 90 cm tiefen Schneedecke riechen. Um an die Flechten zu gelangen graben sie Löcher in den Schnee. Umso härter diese ist, umso mehr Energie und Zeit muss aufgewendet werden. Haben sich Eiskrusten gebildet ist es für die Rentiere äußerst schwierig die Flechten freizulegen. Somit hängt die Verfügbarkeit von Futter im Winter wesentlich von der Mächtigkeit und härte der Schneebzw. Eisbedeckung ab Moen (2008). Durch den Klimawandel könnte es häufiger zu wärmeren Perioden während des Winters kommen, die wieder von kälteren Abschnitten abgelöst werden. Durch das Auftauen und wieder Gefrieren des Eises bilden sich häufigere und dickere Eiskruste, die die Futterverfügbarkeit und die Überlebenschancen für Rentiere einschränkt. Auf der anderen Seite verkürzt die Klimaerwärmung den Winter um ca. zwei bis drei Monate. Sodass der Futtermangel gegen Ende des Winters weniger problematisch ist. Insgesamt sind die Rentiere dadurch weniger abhängig von Flechten und können auf andere Arten ausweichen. Wie wahrscheinlich die einzelnen Veränderungen sind zeigt Abbildung 5.2.5.
Abbildung 5.2.5 Folgen des Klimawandels für die Rentierwirtschaft (Moen 2008)
Auswirkungen auf die Rentierpopulation Die Größe der Populationen hängt von den jahreszeitlichen und jährlichen klimatischen Veränderungen ab. Insbesondere die Futterverfügbarkeit im Winter wirkt regulierend auf die Grö-
Rentierwirtschaft in Norwegen ße der Population. Im Sommer hingegen kommt es zur Körper- und Populationswachstum. Der Klimawandel berührt beide Jahreszeiten, sodass die Größe der Population beeinflusst wird. Durch die bessere Futterverfügbarkeit im Sommer kann ein Anwachsen der Population erwartet werden, was im Winter allerdings zu einem erhöhten Beweidungsdruck führen kann, da die Flechten nur langsam nachwachsen. Hier besteht die Gefahr, dass die Populationen zusammenbrechen, da sie zu schnell wachsen. Generell sind größere Schwankungen bei Rentierpopulationen nicht ungewöhnlich. Die enge Bindung an die Futterressourcen, machen sie anfällig für Klimaschwankungen und Futterknappheit durch eine große Dichte an Tieren. Trotz Jagd verfünffachte sich die Population auf der Hardangervidda zwischen 1955 und 1989 Moen (2008). Um große Verluste von Rentieren zu vermeiden müssen die Herden gut geführt werden. Bei einer zu großen Population müssen einige Tiere geschlachtet werden, um eine zu große Konkurrenz um das Futter zu vermeiden. 4. Fazit Die Rentierhaltung kann als sozio-ökologisches System verstanden werden. Der Mensch, auf einer Seite selbst Teil des Ökosystems, nutzt Rentierhaltung zur Herstellung von Rentierfleisch. Durch die intensive Nutzung treten jedoch Schäden am Ökosystem auf. Wie Löffler (2000) zeigt kommt es zu massiven Veränderungen der Vegetation und der Böden. Großflächig gibt es eine Fragmentierung der Vegetationsbedeckung und eine veränderte Artenzusammensetzung. Entlang von Rentierzäunen können die Auswirkungen bei unterschiedlich hoher Beweidungsintensität beobachtet werden. Auch bei geringer Beweidung werden Flechten von Gräsern verdrängt. Infolge der Störungen durch Rentiere verlagern sich die Höhenstufen. Sichtbar ist dies an der Herabsetzung der Baum- und Waldgrenze. Der schnelle gesellschaftliche Wandel bei den Samen und Abspracheschwierigkeiten bzw. kulturelle Differenzen sind mit für die ökologischen Probleme in Nordnorwegen verantwortlich. Auf globaler Ebene wird der Klimawandel langfristig die Rentierwirtschaft verändern. Wobei es schwierig ist abzuschätzen, ob er positive oder
negative Auswirken auf die Viehhaltung haben wird. Ersichtlich wird allerdings, dass mehrere Forschungsbereiche zusammenarbeiten müssen um eine nachhaltige Rentierwirtschaft zu gestalten. Neben den ökologischen Aspekten, spielen ökonomische Interessen und kulturelles Verständnis eine große Rolle. Literatur Löffler, J. (2000): High Mountain Ecosystems and Landscape Degradation in Northern Norway. In: Mountain Research and Development 20, S. 356-363. Moen, J. (2008): Climate Change: Effekts on the Ecological Basis for Reindeer Husbandry in Schweden. In: AMBIO A Journal of the Human Environment 37, S. 304-311. Moen, J. & Ö. Danell (2003): Reindeer in the Swedish Mountains: An Assessment of Grazing Impacts. In: AMBIO A Journal of the Human Environment 32, S. 397-402. Niemeyer K. & J. Å. Riseth (2004): Impact Of Changing Socio-Economic And Cultural Factors On The Stability Of Co-Operative Large Scale Grazing Systems. Paper: XI World Congress of Rural Sociology. Abrufbar unter: http://www. irsa-world.org/prior/XI/papers/9-5.pdf (Datum: 30.09.2009).
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Flamsdalen – Norway in a nutshell® Martin Kliem
Norway in a nutshell® orway in a nutshell“ beschreibt eine Rundreise durch norwegische Landschaften und ihre Sehenswürdigkeiten. „Nutshell“ bedeutet in diesem Zusammenhang „zusammenfassend“ oder „in aller Kürze“. Reisenden soll auf diesen Touren dementsprechend die einzigartige Natur Fjordnorwegens in aller Kürze, jedoch ohne Verzicht auf die wichtigsten Highlights vorgeführt werden. Der wohl bekannteste Anbieter dieser Rundreisen ist FJORDTOURS.COM. Hier kann zwischen verschiedenen „Norway in a nutshell-Touren“ ausgewählt werden. Die Reisen reichen von Sognefjord in a nutshell über Hardanger oder Hurtigurten in a nutshell bis hin zum Komplettpaket mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Fjordnorwegens beschrieben als „Norway in a nutshell“. Die Reiseroute der zuletzt genannten Tour beginnt planmäßig in der Hauptstadt Oslo oder in Bergen. Von dort aus fahren die Touristen mit der Eisenbahn nach Myrdal, wei-ter nach Flam über Gudvangen – Stahlheim – Voss bis die Rundreise schließlich in Bergen ihr Ziel erreicht. Eine solche Tour hat gewöhnlich eine Reisedauer von 1-3 Tagen, jedoch besteht die Möglichkeit, je nach Wunsch die Reise auch zu verlängern. Die genutzten Verkehrsmittel sind den Sehenswürdigkeiten entsprechend vor allem die Eisenbahn, Touristenschiffe sowie Reisebusse. Die Reise kann das ganze Jahr über gebucht werden, vorzugsweise sollten jedoch die Sommermonate als Reisezeit angestrebt werden, da einzelne Sehenswürdigkeiten auf Grund von Schneebehinderungen im Winter nicht angesteuert werden können. Die Preise der Touren variieren je nach Startpunkt der Reise. Ab Bergen beginnen die Preise bei ca. 1000 NOK, von Oslo aus liegen die Preise bei etwa 2000 NOK. Im Folgenden soll nun eine solche „Norway in a nutshell“ Reise mit besonderem Focus auf
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das Flamstal nachvollzogen werden. Thematisiert werden das Flamstal, die Flamsbahn, der Ort Flam, die norwegischen Fjorde sowie die Stahlheimskleiva. Schließlich wird in einer abschließenden Diskussion auf eigene Erfahrungen sowie der Eindrücke von Mitstudenten beim Besuch in Flam eingegangen. Flamsdalen Flamsdalen zu deutsch das Flamstal ist in der Provinz Sogn og Fjordane am Fuße des Aurlandfjordes, einem Seitenarm des Sognefjordes gelegen. Das Tal erstreckt sich vom Ort Flam auf Meeresniveau bis hinauf nach Myrdal auf eine Höhe von 866m über NN. Gekennzeichnet ist das Tal durch verschiedene Klimate, die sich vom milden Küsten-klima am Aurlandsfjord bis hin zum rauen Hochgebirgsklima erstrecken. Darüber hin-aus bietet das Flamstal eine sehr vielseitige Landschaft. Während in Talnähe Wiesen und Obstgärten die Landschaft dominieren, zeichnen sich die höheren Lagen durch wilde Gebirgsbäche, riesige Wasserfälle sowie schneebedeckte Berghänge aus. Die Anreise zum Flamstal erfolgt entweder mit der Eisenbahn von Bergen bzw. Oslo nach Myrdal und dann mit der Flamsbahn ins Tal bis nach Flam hinein, oder mit der Fähre über den Sognefjord. Unsere Studentengruppe erreichte die Ortschaft Flam nach Start in Kaupanger, einem Dorf nahe der Kommune Sogndal. Das Dorf Kaupanger besitzt eine der ältesten Stabkirchen Norwegens. Nach übersetzen mit der Fähre geht es weiter über die E 16 in Richtung Aurland, wo sich in Laerdal der mit 24,5 km längste Tunnel der Welt befindet. Der Tunnel verbindet die beiden Ortschaften Laerdal und Aurland, fertig gestellt wurde er im Jahre 2000. Er wurde gebaut um auch im Winter eine Verbindung beider Ortschaften zu sichern, die bis dato über die Ge-
Flamsdalen - Norway in a nutshell® birgsstrasse nicht gegeben war. Schließlich erreichten wir nach Durchfahrt durch die Ortschaft Aurland den Ort Flam am Ende des Flamstals.
Nebenstrecke, die den Transportweg hinunter zum Sognefjord sicherte. Damit dies realisiert werden konnte begann man im Jahre 1923 mit dem Bau der Flamsbahn von Myrdal nach Flam. Bis die Strecke in Betrieb genommen werden konnte, sollten genau 20 Jahre vergehen.
Abbildung 5.3.2 Flamstal mit den Haltestellen der Flamsbahn (Quelle: www.visitflam.com)
Abbildung 5.3.1 beleuchtete Haltebucht im Laerdaltunnel (Quelle: eigene Fotos)
Die Flamsbahn Die Flamsbahn beschreibt eine Zugreise zwischen Hochgebirge und Fjord und gehört nach der Society of American Travel Writers (SATW) zu den 10 spektakulärsten Zugrei-sen der Welt (VGL: http://www.travelpulse.com). Darüber hinaus ist sie wohl das High-light einer jeden „Norway in a nuthsell“ Reise. Neben der beeindruckenden Landschaft, tragen sicherlich auch die technischen Daten der Flamsbahn dazu bei, dass sie eine solch große Beliebtheit genießt. Die Flamsbahn oder auch „Flamsbana“ auf norwegisch beschreibt eine 20,2km lange Zugstrecke von Myrdal nach Flam. Auf dieser Reise legt sie einen Höhenunterschied von 863,6m zurück und gilt mit einer Maximalsteigung von 55‰ als die steilste Eisenbahnstrecke der Welt auf Normalspur. Die Fahrzeit der Flamsbahn beträgt bei einer Höchstgeschwindigkeit von ca. 40km/h etwa 60min. Auf der Fahrt werden 8 Stationen angesteuert, auf denen den Touristen teilweise Zeit eingeräumt wird auszusteigen, den Ausblick zu genießen und Fotos zu schießen. Geschichte Die Flamsbahn gilt als Meisterstück norwegischer Ingenieurskunst. Im Jahre 1909 wur-de die Eisenbahnverbindung zwischen Bergen und Oslo in Betrieb genommen, jedoch fehlte eine
Die lange Bauzeit ist vor allem zurück zu führen auf den Bau der vielen Tunnels. Die Tunnels wurden in Form von Wendeltunnels angelegt um besonders starke Steigungen bewältigen zu können und um Höhenunterschiede in dem extrem steilen Gebirge auszugleichen. Auf der Strecke zwischen Flam und Myrdal gibt es 20 Tunnels, die eine Gesamtlänge von 6 Kilometern ausmachen. Bis auf zwei der 20 Tunnels wurden alle einzig und allein mit menschlicher Kraft erschaffen. Die Anzahl der Arbeiter, den so genannten „Rallare“ betrug in Spitzenzeiten bis zu 220 Mann. Jeder Tunnelmeter kostete die Männer bis zu einem Monat schwerste Arbeit. Eine weitere Herausforderung beim Bau der Flamsbahn war die hohe Lawinengefahr in einigen Bereichen. Um die gefährlichsten Stellen zu umgehen, kreuzt die Bahn mehrfach den Fluss sowie das Tal. Dabei überquert die Bahn nicht etwa den Fluss über Brücken, sondern der Fluss wurde über Tunnels im Gestein unter der Eisenbahnstrecke hindurch geführt. Schließlich wurde die Flamsbahn am 1.August 1940 vorläufig für den Dampfbetrieb eröffnet, bis sie letztendlich im Jahre 1944 als eine der ersten Eisenbahnstrecken Norwegens vollständig elektrifiziert wurde. Die Fahrzeit betrug in dieser Zeit ca. 75 Minuten. Verkehrsberechnungen zur Folge lag die Zahl der Reisenden zwischen den Jahren 1908 und 1915 bei ca. 22.000 jährlich. Jedoch sollte sich aber schnell herausstellen, dass die Anzahl der Reisenden im Laufe der Jahre rapide ansteigen sollte (VGL: http://www.flaamsbana.
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 no).
flaamsbana.no).
Die Flamsbahn heute In den folgenden Jahrzehnten wurde schnell deutlich, dass sich die Flamsbahn zu einer der größten Touristenattraktionen Norwegens mausern würde, was nicht zuletzt auf den zunehmenden Anteil an Touristen aus aller Welt zurück zu führen ist. Im Jahre 2007 zählte die Flamsbahn mehr als 580.000 Reisende, was einen neuen Rekord im Personenverkehr bedeutete, während man zeitgleich den Gütertransport auf ein Minimum reduzierte.
Flam „Verschlafen liegt das Dörfchen am letzten Zipfel des Sognefjords. Nur ein paar der ge-rade mal 215 Einheimischen sind schon unterwegs zum Supermarkt und ein Touristen-pärchen mit Rucksack und Wanderstöcken studiert den Fahrplan.“Wart mal ab, wie das hier in einer Stunde aussieht“, schmunzelt Olav, „dann kommen fast gleichzeitig der ers-te Zug der Flambahn von oben aus Myrdal, das Fährboot aus Gudvangen und ein Kreuzfahrtschiff.“ Und was dann in Flam los ist, kann man sich so früh am Morgen ei-gentlich kaum vorstellen (Berliner Zeitung 13. August 2005).“
Abbildung 5.3.3 Die Flamsbahn im Zielbahnhof in Flam (Quelle: eigene Fotos)
Bis zum Jahre 1998 lag die Verantwortung für den Betrieb, das Marketing und die eige-nen Produkte der Flamsbahn bei der norwegischen Staatsbahn NSB. Um jedoch den Erfolg der Flamsbahn zu sichern und weiter entwickeln zu können, übertrug man am 1. Januar die Verantwortung auf die Gesellschaft Flam Utvikling. Deren Aufgabenspektrum richtet sich nicht ausschließlich an die Flamsbahn, sondern beschäftigt sich darüber hinaus mit der ganzen Region Flam/Aurland als eine der wichtigsten Reiseund Erlebnisregionen Norwegens und ganz Skandinaviens. Mit der Zeit hat sich auch das Design der Flamsbahn völlig verändert. Heute ist die Bahn in einem natürlichen Grün gehalten, sie verfügt über eine neue Einrichtung und ist mit modernster Informationstechnologie ausgestattet worden. Zudem wurden die Bahnsteige ausgebaut und Aussichtspunkte verbessert (VGL: http://www.
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Erreichen die Reisenden den Zielbahnhof in Flam, treffen sie auf eine Ortschaft, die sich mit ihrer Infrastruktur vollständig dem Massentourismus verschrieben hat. Die Touristen kommen aus allen Richtungen, entweder mit der Flamsbahn, über den Sognefjord mit dem Schiff oder mit dem Reisebus über die angrenzende Europastraße E16. Angekommen im Ortskern, der keinerlei historischen Scharm aufweist, sondern vielmehr den Ansprüchen der Pauschalreisenden versucht genüge zu tun, schlängeln sich die „Touris“ sämtlicher Nationalitäten an den verschiedenen Souvenier Shops, Outlet Stores oder der selbst für Norwegische Verhältnisse sehr teuren Gastronomiebetrieben (1 Bier umgerechnet ca. 10€) entlang. Und dies ist kein Tourismus der auf einer endogenen Entwicklung basiert, nein hier wurden in der Vergangenheit gezielt Millionenbeträge investiert um eine Infrastruktur zu schaffen, die es ermöglicht ein Gros der Reisenden vollkommen zu befriedigen. Die rund 40 Millionen Euro, die investiert wurden beziehen sich vor allem auf den Bau eines Kais für Kreuzfahrtschiffe, der Renovierung und des Umbau des Fretheim Hotel, einer 4 Sterne Unterkunft, sowie der Investition in die Flamsbahn. Neben der Flamsbahn und dem angrenzenden Flamsbahnmuseum bieten auch lokale Anbieter verschiede Freizeitaktivitäten für die Touristen an. Flam gilt als beliebter Ausgangspunkt für Outdoorerlebnisse wie Kajaktouren, Mountainbiketouren, Wandertouren und ähnlichem. So
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Abbildung 5.3.4 Der Ort Flam am Tag, sowie am nächsten Morgen, nachdem eines der modernsten Kreuzfahrtschiffe, die „Celebrity Equinox“, die 2850 Passagieren Platz bietet, die kleine Ortschaft Flam bildhaft gesprochen überrollt. (Quelle: eigene Fotos)
Abbildung 5.3.5 Flam Bahnhof (Quelle: eigene Fotos)
gelt sich mit seinen vielen Seitenarmen von der Westküste bis weit ins Landesinnere hinein. An einem solchen Seitenarm ist auch die Ortschaft Flam gelegen. Vom Aurlandsfjord geht es für die ist es auch nicht verwunderlich, dass nahezu unzähligen Kreuzfahrtriesen hinaus in Richtung jeder der 215 Einheimischen entweder bei der Atlantik. Auf dem Weg werden verschiedene Flamsbahn oder im ortsansässigen Tourismus Seitenarme des Sognefjords angesteuert wie z.B. beschäftigt ist. der Naeroyfjord. Zusammen mit dem GeirangerfEine Problematik mit der sich der Ort Flam in jord gehört der Naeroyfjord seit dem Jahre 2005 Bezug auf „Norway in a nutshell“ konfrontiert dem UNESCO Weltnaturerbe an. Besonderheit sieht, steht in enger Verbindung mit dem Konzept, die Highlights Fjordnorwegens in aller Kürze zu durchlaufen. Dies hat für den Ort zur Folge, dass zwar eine sehr große Anzahl von Touristen den Ort ansteuern, die Kaufkraft jedoch nur bedingt im Ort bleibt, da die Reisenden kaum Zeit haben, Geld im Ort auszugeben. Die Renovierung des Fretheim Hotels, sowie der Bau weiterer Unterkünfte kann dazu beitragen, Touristen die Möglichkeit zu bieten, auch länger zu verweilen und weitere Angebote zu nutzen. Abbildung 5.3.6 Karte der norwegischen FjordlandDie norwegischen Fjorde Nachdem man sich als Tourist mit der Flamsbahn ins Tal begeben, die vielen Souvenirshops in Flam geplündert hat, erreicht man fast zwangsläufig die Anlegestelle der Kreuzfahrtund Fährschiffe. Diese bringen die Reisenden dann übers Wasser zu den wohl bekanntesten und eindrucksvollsten Fjordlandschaften, für die Norwegen in der ganzen Welt bekannt ist. Der bekannteste Fjord Norwegens, der Sognefjord, welcher auch gleichzeitig mit 204km der längste Fjord Europas und mit einer Tiefe von 1308m sogar der tiefste Fjord der Welt ist, schlän-
schaften (Quelle: www.wikipedia.de)
des Naeroyfjord, er gilt als der schmalste Fjord der Welt, an der schmalsten Stelle ist er gerade einmal 300m breit. Kreuzfahrtschiffen ist es dort untersagt aufgrund einer erhöhten Steinschlaggefahr ihr Horn zu blasen. Stahlheimskleiva Norway in a nutshell erreicht einen letzten Höhepunkt nach Anlegen des Fährschiffes im Naeroyfjord. Für die Touristen geht es dann weiter mit dem Bus hinein in die Stahlheimskleiva. Sie beschreibt eine der steilsten Straßen Nordeuro-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 pas, auf einer Länge von 1,3km schlängelt sich die Straße hinauf in Richtung Voss. Errichtet wurde die Starße in der Vergangenheit um die Postwege in den engen Bergregionen zu verbessen. In Voss angekommen endet eine gewöhnliche Norway in a nutshell Reise und es geht zurück zum Ausgangspunkt nach Bergen. Diskussion Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass „Norway in a nutshell“ seinem Konzept, dem Touristen kurz und bündig die Sehenswürdigkeiten Fjordnorwegens zu präsentieren scheinbar gerecht wird. Dies ist nicht zuletzt auf die getätigten Investitionen und die rasant steigenden Touristenzahlen zurück zu führen. Wer nicht viel Zeit hat und trotzdem gerne einmal einen Eindruck der herausragenden Landschaft Norwegens bekommen möchte, kann mit „Norway in a nutshell“ sicherlich einen netten Überblick bekommen. Bevorzugt man jedoch, Land und Leute wirklich näher kennen zu lernen ist man hier falsch aufgehoben. Anhand der Autokennzeichen wird schnell deutlich, die Anzahl an Norwegern in Flam kann kaum mit denen von Holländern, Deutschen oder denen anderer Nationalitäten mithalten. Es hat sich der typische Massentourismus entwickelt, der zwar in Norwegen stattfindet, jedoch nur eine Kopie dessen abgibt, was Norwegen wirklich auszeichnet. Die Eindrücke der Mitstudierenden reichten bei erreichen der Ortschaft Flam von gro-ßem Erstaunen über Verwunderung bis hin zu einer gewissen Abneigung dessen, was sich dort bot. Daher ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass sich der Aufenthalt auf eine halbe Stunde begrenzte, was für den einen oder anderen schon deutlich zu lang erschien. Es stellte sich jedoch noch die Frage inwiefern ein solcher Tourismus Auswirkungen auf das Ökosystem im Bezug auf Umweltverschmutzung etc. hat. Schließlich geht es hier um Gebiete die sogar unter dem Schutz des UNESCO Weltnaturerbes stehen (Naeroyfjord, Geirangerfjord) und damit das Prädikat besonders schützenswerter Gebiete aufweisen. Nach einer Diskussion kamen wir innerhalb der Gruppe zum Schluss, dass natürlich eine gewisse Belastung durch Kreuzfahrtschiffe, hohe Anzahl von Touristen
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etc. negative Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Betrachtet man jedoch, die Orte, die wie Flam den Tourismus anziehen, findet man kaum Orte wo es so praktiziert wird wie in Flam. Lediglich der Ort Geiranger weist eine ähnliche Struktur auf. Da man also den Massentourismus auf einige wenige Gebiete beschränkt, kann davon ausgegangen werden, dass die einzigartige Natur Norwegens nicht vollständig vom Tourismus eingenommen wird. Dies liegt sich sicherlich auch in der engen Verbindung der Norweger selbst zur Natur, die diese als besonders wichtig und Schützenswert ansehen. Quellenverzeichnis www.norwaynutshell.com 07.08.09)
(abgerufen
am
www.visitflam.com (abgerufen am 07.08.09) www.flaamsbana.no (abgerufen am 08.08.09) www.flamsbana-museet.no (abgerufen am 08.08.09) http://www.travelpulse.com/Resources/Editorial. aspx?n=5725 (abgerufen am 07.08.09) www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/dump. fcgi/2005/0813/reise/0012/index.htm (abgerufen am 07.08.09) http://de.wikipedia.org/wiki/Sognefjord (abgerufen am 08.08.09)
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009
Wasserkraft in Norwegen Daniel Koch
Einleitung orwegen deckt 98-99% seines Strombedarfs mit der Erzeugung aus Wasserkraft (Statistics Norway a). Gemessen an seiner produzierten Energiemenge von 140,5TWh, die in 675 Wasserkraftwerken (15% davon in Hand des staatliches Unternehmens STATKRAFT, 72% Kommunen und Gemeinden, 13% privat, Statistics Norway c) erzeugt wird, der sechstgrößte Energieproduzent aus Wasserkraft weltweit (BP Statistical Review of World Energy June 2009). Der Pro Kopf Energieverbrauch Norwegens beträgt mit 27.636 kWh/Person/a (CIA World Factbook) das zehnfache des weltweiten Durchschnitts und liegt ebenfalls deutlich über dem der Europäischen Union von 5.700 kWh/ Person/a (Statistics Norway a). Mögliche Gründe hierfür sind der niedrige Energiepreis von 82 øre (= 0.09€/kWh) (beinhaltet Steuerabgaben, Stand 2. Quartal 2009, Statistics Norway b), das elektrische Beheizen der Wohnhäuser und energieintensive Industriebranchen, insbesondere
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Good To Know Jahresniederschlag 1400mm (räumlich sehr different, s. Ozeanitäts-Kontinentalitätsgradient) 12 % der Landesoberfläche ist bedeckt von Wasserflächen 144 Flusssysteme mit einem Einzugsgebiet > 200 km 38 Süßwasserfischarten 1/3 aller in Norwegen vorkommenden Vogelarten leben am Wasser 1104 Flusssystem sind für die Gewinnung von elektrischer Energie reguliert 700 Seen sind aufgestaut worden 341 Flusssysteme sind gesetzlich gegen den Ausbau geschützt (Pedersen o.J.)
elektrochemische und –metallurgische Industrien (vgl. Abb. 5.4.1). Der Verlauf des Elektrizitätspreise lässt sich Abb. 5.4.2 entnehmen und zeigt eine zunehmende Annäherung an durchschnittliche Werte anderer OECD Länder (Statistics Norway a). Zum Vergleich: der durschnittliche Energiepreis in Deutschland beträgt etwa 0.20€/kWh.
Abbildung 5.4.2 Elektrizitätspreisentwicklung
(Statis-
tics Norway a)
Abbildung 5.4.1 Energieverbrauch aufgeteilt nach Sektoren (Statistics Norway a)
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Die genannten Eckdaten lassen erkennen, dass Norwegen eine Sonderstellung in der Energieproduktion einnimmt (seine Sonderstellung
Wasserkraft in Norwegen im Öl- und Gasexport wird nicht weiter behandelt), die leicht mit dem naturräumlichen Potential und den Geodeterminanten in Einklang zu bringen ist. Die Energiegewinnung aus Wasserkraft benötigt neben dem Wasser selbst, starke Höhenunterschiede, um über die kinetische Energie des abwärts fließenden Wassers, elektrische Energie zu gewinnen. Dem Ozeanitäts-Kontinentalitätsgradienten folgen Niederschläge von 2.700mm (Bergen) bis 400mm (Vaga). Im Mittel beträgt der Niederschlag 1.400mm. Ergänzt durch Schmelzwässer der Gletscher steht Wasser in nahezu unbegrenzter Fülle zur Verfügung. Höhenunterschiede treten in ihrer ausgeprägtesten Form an den Westflanken der Skanden auf, die durch ihre hohen Reliefenergien, eine gute Voraussetzung für die Errichtung on Wasserkraftanlagen darstellen (Schmitz 1997). Geschichte der Wasserkraft Die Wasserkraft zählt zu den ältesten nutzbaren Energiequellen der Menschheit und ist in Norwegen traditionell als Energieträger verankert. Bereits in vorindustrieller Zeit wurden aufgrund der beherrschenden Topographie und Klimate ortsnahe Wassermühlen eröffnet. Neben der lokalen Ernährungsversorgung spielten dabei insbesondere die Holz verarbeitende Industrie und der Bergbau (u.a. Betrieb von Pumpen zur Trockenlegung der Stollen) eine zentrale Rolle in der Verwendung. Um 1800 sind etwa 30.000 vergleichbare Anlagen nachweisbar (Seim 2002). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Norwegen ländlich geprägt und wies nur geringe Elemente moderner Kulturlandschafts- und industrieller Entwicklung auf. Die Landesfläche war (und ist) nur zu 3% landwirtschaftlich nutzbar und Wasser stellte sich als die herausragende Naturressource für die industrielle Entwicklung Norwegens heraus. In Folge dessen waren Textil-, Papier- und metallverarbeitende Industrie zentral (Seim 2002). Mit Aufkommen der Elektrizität Ende des 19. Jahrhunderts wurde 1890 das erste Kraftwerk zur Gewinnung elektrischer Energie errichtet (Hammerfest, Provinz Finnmark). Aufgrund technischer Hindernisse war es noch nicht möglich, Energie über weite Distanzen zu transportieren.
Wasserkraftwerke waren also ein ausschlaggebender Standortfaktor für die Ansiedelung von energieintensiven Industrien (elektrochemisch und elektrometallisch) und waren wichtiges Element raumbildender Prozesse (Seim 2002). Die politische Triebfeder der Nachkriegszeit forcierte wirtschaftliches Wachstum unter gänzlicher Ausnutzung nationaler Naturressourcen. Hierbei galt die Aufmerksamkeit (neben fossilen Energieträgern) der Wasserkraft. Bestehende Kraftwerke wurden ausgebaut und neue Flusssysteme für die Wasserkraft erschlossen. Nebst des Ausbaus der energieintensiven Industrien – als größte Stromabnehmer – wurden zusätzliche Energieproduktionen für den Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur, des Schienenverkehrs und der Elektrifizierung der privaten Haushalte benötigt (Seim 2002). Das gesellschaftlichen Echo war bis weit in 50er Jahre durch breite Akzeptanz gekennzeichnet. Der Ausbau von Wasserkraft schuf grade in unterentwickelten ländlichen Regionen Arbeit und eine lückenlosere Stromversorgung. Erst in der 60er Jahren wurden kritische Stimmen in der Gesellschaft laut, als durch den immensen Eingriff in die natürlichen Systeme das „ungestörte“ Bild des norwegischen Landschaftsbildes gestört wurde. Dies zeigte sich durch trocken gelaufene Flüsse und Wasserfälle (bspw. den Fluss Mardöla). Insbesondere die jüngeren Generationen trieben Proteste gegen den weiteren Ausbau an (Seim 2002). In den 70er und 80er Jahren gaben die – in hochsensitiven Ökosystemen befindlichen Großprojekte Eidfjord und Aurland weitere Anstöße zum Protest. In Folge des aufkommenden gesellschaftlichen Bewusstseins zur Wahrung des Landschaftsbildes einerseits und der Erfüllung wirtschaftlicher Interessen, die nicht außer Acht gelassen werden können, da die Energiegewinnung eine zentrale Rolle im norwegischen Wirtschaftssektor einnimmt (Energieexport und Betrieb von Schwerindustrie) andererseits, wurde 1985 der Masterplan beschlossen. Der Masterplan ist ein nationaler Managementplan für alle Gewässernetze. Er hat das Ziel, Systeme für eine hydroelektrische Nutzung auszuweisen und nimmt zu diesem Zweck die Funk-
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Mittlere Exkursion Norwegen 2009 tion eines Informationssystems an, welches das bestehende Potential auf langfristige Sicht und unter Einbezug aller Interessenvertreter (u.a. staatliche Vertreter aus der Energiewirtschaft (Statkraft) und der Fischereiwirtschaft, Wissenschaft, Bevölkerung) und den nationalen Rahmenbedingungen (u.a. Rentierwirtschaft) erörtern soll. Das Ergebnis des Masterplans – unter Gewichtung der Beeinflussung der jeweiligen Interessengruppen durch ein mögliches Erschließungsprojekt (näheres bei Halvorsen 1985)– ist eine Gruppierung in 16 Prioritätsgruppen, die wiederum in 3 Kataloge unterteilt wurden: Katalog 1 beinhaltet solche (Erschließungs-)Projekte, die einen hohen wirtschaftlichen Ertrag bei geringen Konflikten besitzen. Eine sofortige Lizenzierung ist möglich. Katalog 2 listet mit Bedenken zu erschließende und Katalog 3 solche, die aufgrund eines hohen Konfliktpotentials oder zu hoher Kosten nicht realisiert werden. Es ist zusammenfassend jedoch von Bedeutung, dass der Masterplan weder den Anspruch eines Schutznoch eines Entwicklungsplans annimmt. Viel eher enthält er eine Darstellung derer Projekte, die im Rahmen des wirtschaftlichen Wachstums ergriffen werden (Halvorsen 1985).
Der Bau von Dämmen und die damit erfolgende Aufstauung von Wasser ist dabei notwendig, um eine zeitlich lückenlose Versorgung zu gewährleisten. Der höhere Energieverbrauch in den Wintermonaten (Beleuchtung, Heizung) steht einer geringen Wasserführung in den Flüssen gegenüber. Das Schmelzwasser (v.a. der Hochgebirge) wird daher in den Sommermonaten in Stauseen gespeichert und bei höherem Bedarf im Winter zur Energiegewinnung genutzt (s. Abb. 5.4.3).
Wasserkraft und Umwelt Die hydroelektrische Nutzung des Wassers kann zunächst als eine saubere Energiegewinnung regenerativer Art bewertet werden. Die kinetische Energie des fließenden Wassers basiert im Wesentlichen auf Höhenunterschieden, die allein durch die Topographie angetrieben wird. Übergeordnet steht der Wasserkreislauf, der seinen primären Antrieb durch die Solarenergie erhält. Nun greifen Wasserkraftanlagen notwendigerweise in hydrologische Ökosysteme, aquatische Lebensräume und die Landschaft ein. Die dabei entstehenden hydromorphologischen Veränderungen wie die Reduzierung der Fließgeschwindigkeit und der Abflussdynamiken und die dadurch reduzierte Umlagerung des Substrates sowie die Überlagerung mit Feinsedimenten verursachten Änderungen des Lebensraumes. Daneben spielen chemisch-physikalische Veränderungen des Temperaturregimes, des pHWerts und Veränderungen im Gashaushalt eine entscheidende Rolle.
Die negativen Konsequenzen für die oben genannten Systeme durch den Bau und Betrieb der Wasserkraftanlagen lassen sich im grob in direkte Effekte und indirekte Effekte unterscheiden. Direkte Konsequenzen betiteln dabei Folgen in Prozessen und Strukturen, die durch den unmittelbaren Eingriff in Ökosystemen durch den Bau von Wasserkraftanlagen (Zufahrtsstraßen, Tunnelbohrungen, etc.) entstehen. Als indirekte Konsequenzen werden Effekte bezeichnet, die in Folge des Wasserbaus z.B. durch schwankende Wasserspiegel im ufernahen Bereich auftreten.
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Abbildung 5.4.3 Durchschnittliche Jahresverteilung des Wasserzuflusses und die Elektrizitätsproduktion Norwegens (Schmitz 1997:342)
Direkte Konsequenzen Die bauliche Erschließung geht prinzipiell mit einem Teilverlust natürlicher Ökosysteme einher. So gehen gleichsam mit überfluteten Grünflächen die Nahrungsgrundlagen für Rentiere (Äsungsflächen) verloren. Migrationsrouten (s. Rentierwirtschaft in Norwegen) der SommerWinterwanderungen werden ebenfalls durch-
Wasserkraft in Norwegen schnitten (Håland & Faugli 1994). downloads/statistical_review_of_world_enerDiskussionswürdig, aber dennoch (subjektiv) gy_full_report_2009.xls (23.09.09). feststellbar ist ein Wandel des unberührten nor- Håland, A. & P.E. Faugli (1994): The Aurland hywegischen Landschaftsbildes. Der Tourismus dropower develpment – is impact on nature gilt unter anderem insofern betroffen, als dass and the environment. In: Norsk geografisk Wasserflächen outdoor-Aktivitäten verbieten Tidsskrift 48, S. 81-84. (Pedersen o.J.). Pedersen, A. (o.J.): The development of hydroelectric power in norway and environmental Indirekte Konsequenzen consequences. Abrufbar unter: www.statvoks. Die in Folge des Betriebs entstehenden ökolono/synergy/hydroel_no.doc (26.09.09). gischen Konsequenzen sind im Wesentlichen Schmitz, C. (1997): Wandel der norwegischen durch eine Änderung der Abflussdynamiken Elektrizitätswirtschaft. In: Geographische gegeben. Nach Erschließung des Aurland FlussRundschau 49, S. 341-347. systems konnten beispielsweise relative Verrin- Seim, A. (2002): Water power and landscape gerungen in den Sommermonaten von 20-50% change in Norway. In: Oldenburger geoökolodokumentiert werden (Håland & Faugli 1994), die gische Studien, Band 5, S. 123-134. gleichsam Temperaturabnahme in den Sommer- Statistics Norway a. Abrufbar unter: http://www. monaten begründen. ssb.no/energi_en/ (23.09.09). Aufgrund der schwankenden Wasserspiegel Statistics Norway b. Abrufbar unter: http://www. sind zahlreiche Reduktionen in Fischpopulatissb.no/vis/english/subjects/10/08/10/elkraftonen, einschließlich ihrer Nahrungsgrundlage, pris_en/art-2009-07-01-01-en.html (23.09.09). beobachtet worden. Insbesondere die Bestände Statistics Norway c. Abrufbar unter:http://www. der Seeforelle (Salmo trutta lacustris) zeigen eine ssb.no/english/subjects/10/08/10/elektderartige Tendenz, da Dammanlagen die Wege risitetaar_en/tab-2009-05-28-06-en.html zu flußaufwärts gelegenen Laichplätzen behin(23.09.09). dern und Schwärme in die Turbinen geraten (Hå- The CIA World Factbook. Abrufbar unter: https:// land & Faugli 1994). www.cia.gov/library/publications/the-worldNegative Auswirkungen auf die Vogelwelt factbook/geos/no.html (23.09.09). sind derweil jedoch nicht zu beobachten. Viel eher können die geschaffenen Wasserflächen als neue Lebensräume für verschiedenste Arten betrachtet werden Die unbeständigen Pegelstände gleicht z.B. der Haubentaucher (Podiceps cristatus) durch ein schwimmendes Nest aus. Allen ökologischen Folgewirkungen zum Trotz ist die Gewinnung von Energie aus Wasserkraft eine erneuerbare Energieform, die im direkten Betrieb keine CO2 Emissionen verursacht. Die langen Betriebszeiten von Wasserkraftanlagen und die von übrigen Energieträgern losgelösten und somit recht stabilen Verkaufspreise machen die Wasserkraft auch ökonomisch sehr attraktiv. Literatur BP Statistical Review of World Energy June 2009. Abrufbar unter: http://www.bp.com/liveassets/ bp_internet/globalbp/globalbp_uk_english/ reports_and_publications/statistical_energy_ review_2008/STAGING/local_assets/2009_
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n diesen zehn Tagen konnten wir einen Einblick in eine sehr imposante Landschaft, die sich in vielen Punkten von den uns bekannten Gebirgslandschaften unterscheidet, erlangen. So geben die vielen Flechtenarten mit ihren sehr eindringlichen Farben sowie Gesteinsformationen in ganz anderen Maßstäben der Natur ein sehr eigenes Gesicht. Bei der Auseinandersetzung mit der norwegischen Hochgebirgslandschaft und beim direkten Erleben wird der Ausdruck „Naturgewalten“ auf einmal viel greifbarer, sei es durch die Dimensionen der Fjorde in Höhe und Tiefe oder durch das Wandern im Eisregen auf dem Galdhøpiggen. Dennoch ist auch die norwegische Landschaft an den wenigsten Stellen eine „Naturlandschaft“. Jahrhunderte lange Bewirtschaftung hat das Landschaftsbild geprägt. Durch Beweidung und Rodung entstanden so zum Beispiel Wiesen in einer Höhenstufe, in der eigentlich Birkenwälder dominieren würden. Auch die Rentierwirtschaft, die für viele Norweger eine wichtige Tradition oder sogar die Haupterwerbsquelle darstellt, ist ein Eingriff in natürliche Ökosysteme. Heute bedeutender sind allerdings Wasserwirtschaft und Tourismus. Beide stellen ein wichtiges Standbein für die norwegische Wirtschaft dar, gleichzeitig prägen sie jedoch auch das Landschaftsbild und führen zu Umweltbelastungen und Gefährdung von Lebensräumen. Oftmals wird die norwegische Hochgebirgslandschaft mit ihren Gletschern und differenzierten Ökosystemen als besonders anfällig dem Klimawandel gegenüber dargestellt. Beim Vergleich der Eisausdehnung am Storbreen während der kleinen Eiszeit mit dem heutigen Stand ist dies durchaus auch erkennbar. Dennoch bleibt festzuhalten, dass nicht alle Gletscher zwangsläufig zurück gehen. Denn bedingt durch erhöhte Niederschläge erfahren viele Gletscher im maritim geprägten Westen des Landes bereits jetzt eine vermehrte Schneeakkumulation, was langfristig sogar zu einem Wachstum der Glet-
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scher führen würde. Auch ist der Einfluss einer etwaigen Klimaerwärmung auf die Vegetation des Hochgebirges noch sehr ungewiss, da bisher bei entsprechenden Versuchen noch keine konkreten Veränderungen oder Schäden ausgemacht werden konnten. Abschließend haben wir viel von der Schönheit Norwegens gesehen und uns mit der Entstehung verschiedener Landschaftsbilder auch unter Berücksichtigung anthropogener Einflüsse beschäftigt. Dabei ist immer wieder deutlich geworden, wie der Mensch in und mit der Natur leben kann, gleichzeitig aber auch, dass jede Art der Nutzung Konsequenzen hat und diese verantwortungsvoll durchdacht werden müssen. Ein großer Dank gilt dem Leiter dieser Exkursion, Ole Rößler. Durch seinen Einsatz und die gute Organisation konnten wir Einblicke in eine - für die meisten von uns- ganz neue Landschaft erhalten und uns mit ihrer Geschichte, den für sie charakteristischen Prozessen und Nutzungsmöglichkeiten auseinander setzten. Danke für eine sehr gelungene Exkursion, an die wir uns noch lange erinnern werden!
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