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RHÖN
kleiner Grenzverkehr
Deutschland-Urlaub liegt im Trend, Kurztrips ebenso. Die Rhön ist für ein verlängertes Wochenende ein perfektes Ziel. Die Region ist geprägt von einem UNESCO-Biosphärenreservat, bietet aber auch tiefe Einblicke in ein einst getrenntes Deutschland.
TEXT: Martin Häussermann FOTOS: Martin Häussermann, Henning Scheffen (VW)
Die Rhön bezeichnet sich selbst gern als Land der offenen Fernen. Für die Menschen in Thüringen war bis Ende 1989 das benachbarte Hessen aber in erster Linie fern und keineswegs offen. Kaum irgendwo wird dies so begreifbar wie an diesem Ort, den die US-Armee als Point Alpha bezeichnet. Der liegt auf einem Hügel unmittelbar an der einstigen innerdeutschen Grenze unweit der Kleinstadt Geisa. Dort haben wir auf dem kleinen Reisemobil-Stellplatz an der Ulster übernachtet, sind schnell über die Grenze nach Bayern gedüst, um im Freibad Bischoffsheim ein paar Bahnen zu ziehen und uns für den Tag Schließlich sind wir im nagelneuen Caddy California unterwegs. Der Mikrocamper hat zwar ein unglaublich kommodes Bett, eine Miniküche und sogar ein paar Liter Wasser an Bord, doch eine Dusche passt hier beim besten Willen nicht mehr rein. Dafür taugt der Caddy hervorragend für kleine Fluchten aus dem Alltag wie an diesem verlängerten Wochenende als Vehikel für den kleinen Grenzverkehr am Dreiländereck, wo Thüringen, Hessen und Bayern zusammentreffen. Nun stehen wir mit unserem Fluchtfahrzeug am Point Alpha, dem einst östlichsten Beobachtungspunkt der NATO. Heute ist diese kleine Militärbastion mit Beobachtungsturm, Kasernentrakt und einigen zeitgenössischen Militärfahrzeugen ein Erinnerungsort. Das ist einer Initiative von Menschen aus Ost und West zu verdanken, die einen Abriss der Anlage in den Neunzigern verhinderte und sie
Reise in die Vergangenheit
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„Das war der heißeste Ort des Kalten Krieges“, erzählt uns Gästeführerin Aline Gros, die selbst in Grenznähe aufgewachsen und Stiftungsmitglied ist. Denn die Militärstrategen der Nato gingen davon aus, dass die Sowjetarmee, sollte sie Deutschland angreifen wollen, dies genau hier tun würde. „Das hielt man aus geostrategischen Gründen für am wahrscheinlichsten“, weiß Alina Groß. „Fulda Gap“, also die Lücke von Fulda, nannten die Militärs die von schwerem
MACH MAL PAUSE Die Besichtigung der Gedenkstätten Point Alpha, Haus auf der Grenze und der Spaziergang auf dem ehemaligen Kolonnenweg machen hungrig. Deshalb kochen wir uns in der Mini-Bordküche des Caddy California erstmal ein Süppchen.
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BEWEGLICH BLEIBEN Der kompakte Caddy ist ein idealer Reisebegleiter durch die Rhön. Er lässt sich mühelos durch enge Altstadtgassen und über kleine Sträßchen lenken. Auf Stellplätzen findet man problemlos ein Plätzchen, Proviant fassen wir in kleinen Supermärkten.
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Gerät passierbare Schneise zwischen den Mittelgebirgen Harz und Thüringer Wald, durch die die unmittelbar hinter der Grenze stationierte 8. Gardearmee mit ihren Panzern innerhalb von zwei Tagen bis Frankfurt hätte vordringen können. Der „General Defense Plan“ der NATO sah daher vor, dass die Besatzung des Postens und weitere US-Truppen aus naheliegenden Kasernen so lange hinhaltenden Widerstand leisten, bis Verstärkung eingetroffen wäre. Sogar der Einsatz taktischer Atomwaffen war eine Option. Hier hätte ein Dritter Weltkrieg ausbrechen können. Wenn man das als Mensch hört, der nie einen Krieg miterleben musste, wird einem erkennt man das, was bisher so selbstverständlich war, als großes Privileg, ebenso die Freiheit, die man als junger Mensch im Westen Deutschlands erlebte. Während wir auf dem Plattenweg, den einst DDR-Grenzschutzsoldaten für Patrouillenfahrten nutzte, entlang spazieren, erzählt uns die Gästeführerin, die die letzten DDRJahre als Jugendliche und junge Erwach Grenzschutzanlagen als antifaschistischer Schutzwall verkauft. Es sollte niemand in unser überlegenes System einbrechen können.“ Doch wer die Systematik der teilweise rekonstruierten Grenzschutzanla schussanlagen sieht, erkennt eindeutig: Hier sollte nicht ausgesperrt, sondern eingesperrt werden. Mittlerweile haben wir das leuchtend blaue „Haus auf der Grenze“ erreicht. Es wird wie der Point Alpha von und Ausstellungen mit Leben gefüllt und ist gleichermaßen Gedenkstätte und Informationsforum, in dem über Flüchtlingsschicksale und die politische Situation zur Zeit des Kalten Kriegs berichtet wird. Hier erfährt der Besucher auch das Leben und Leiden der Menschen an der Grenze. Danach muss sich das Gesehene und Gehörte erstmal setzen. Am besten bei einem kleinen Snack. So ziehen wir die Mini-Küche aus dem Heck des Caddy California und wärmen uns eine vorgekochte Kartoffelsuppe auf, die wir mit Würstchen aus der Region genießen.
Vierbeinige Landschaftsschützer
Diese Würstchen stammen aus der Schäferei Weckbach, die mitten im Biosphärenreservat Rhön liegt. Inhaber Dietmar Weckbach ist ein Ereignis, er trägt sein Herz auf
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der Zunge. Ein echter Überzeugungstäter eben, der seine Schafe ebenso schätzt wie seine Besucher – die meisten zumindest. Denn wenn ihm jemand quer kommt, kann es schon sein, dass er ihn auch wieder wegschickt. Wir bleiben noch ein wenig. Dietmar Weckbach zeigt uns ein paar Muttertiere, die ihre Lämmer im Stall aufziehen, und schwärmt: „Das Rhönschaf ist etwas ganz Besonderes.“ Erkennbar ist es äußerlich vor allem an seinem schwarzen Kopf, dem gedrungenen Körper und den langen Beinen. Das Fleisch gilt als besonders zart und würzig, weshalb auch Küchenchefs gerne bei Weckbach einkaufen. „Außerdem ist das Rhönschaf ein erstklassiger aus Überzeugung. Vereinfacht gesagt ist das Rhönschaf der Öko-Rasenmäher des Biosphärenreservats, weshalb Weckbachs aus mehreren Hundert Tieren bestehende Herde ständig in der Region auf Wanderschaft ist. Tatsächlich entdecken wir auf der Weiterfahrt einen Teil seiner Herde auf einer Weide nahe der Straße. Unser Weg führt uns nun entlang des sogenannten Grünen Bandes. Das ist das Ergebnis einer politischen Strategie der DDR. Weil sie möglichst wenig Menschen nahe der Grenze wohnen haben wollte, die mögli entschied die DDR-Führung, die Menschen mehr ins Landesinnere umzusiedeln. Ohne
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GESCHICHTE ERLEBEN Aus dieser Perspektive beobachteten einst US-Soldaten die deutsch-deutsche Grenze. Der Blick fällt auf den Grenzzaun, den Beobachtungsturm im Osten und den Kolonnenweg, auf dem die DDR-Grenzschützer Patrouille fuhren.
Natur innerhalb der Grenzregion mehr oder weniger ungestört entwickeln. Daraus wurde nach der friedlichen Revolution das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt, das sich entlang der einst 1.400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze erstreckt und so der größte Biotopverbund Deutschlands ist. Wir betreiben einen kleinen Grenzverkehr und wechseln auf teils kleinen Gemeindestraßen immer wieder zwischen den Bundesländern Thüringen und Hessen. Immer wieder begegnet uns die Informationstafel mit einer Europakarte und dem Text: „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 22. Dezember 1989 geteilt.“ Landschafts- und Naturschutz waren aber nicht immer en vogue, wie wir bei einem Besuch des Roten Moors von Rangerin Sibille Schleicher erfahren. Sie nimmt uns mit auf einen kleinen Rundgang und erklärt uns, dass hier jahrhundertelang die Moore ausgetrocknet wurden, um Torf zu gewinnen, der als Brennstoff, Gartenerde und später zu medizinischen Zwecken genutzt wurde. Im frühen 19. Jahrhundert waren hier Tagelöhner mit Spaten zum Torfabbau tätig, Mitte des 20. Jahrhunderts rollten die Bagger an und holten zuletzt bis zu 18.000 Tonnen Torf pro Jahr heraus. Mit schwerwiegenden Folgen für die Umwelt, schließlich sind feuchte Moore Kohlendioxidspeicher und haben So entschied man sich in den Achtziger-
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NATUR ERLEBEN Die Schafe des Rhönschäfers Weckbach halten die Wiesen des Biosphärenreservats kurz (oben). Durchs Rote Moor führt ein Bohlenweg, der zum informativen Spazier- gang einlädt.
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jahren, die Moore zu renaturieren und unter Naturschutz zu stellen. Heute ist das Rote Moor Bestandteil des Biosphärenreservats und ein beliebtes Naherholungsgebiet. Der Holzbohlenweg lädt zu einem gemütlichen Spaziergang ein, an dessen Wendepunkt ein hölzerner Aussichtsturm steht. Hinaufzusteigen lohnt sich, denn von oben lässt sich die Größe des rund 50 Hektar großen Moors viel besser ermessen.
Die vergessene Autobahn
Während wir im Roten Moor erfahren haben, wie der Mensch erst die Natur ausbeutet, bevor er beginnt sie zu schützen, machen wir eine kleine Autofahrt weiter eine ganz andere Erfahrung. Hier hat sich die Natur Menschenwerk in großen Teilen zurückgeholt. Die Rede ist von der sogenannten „Strecke 46“, der vergessenen Autobahn. Tatsächlich liegt in den Wäldern und Tälern zwischen Gemünden am Main und Bad Brückenau ein Stück europäische Verkehrsgeschichte versteckt: Hier sollte in den Dreißigerjahren ein knapp 70 Kilometer langer Autobahnabschnitt die Nord-Süd-Verbindung zwischen Fulda und Würzburg beschleunigen. Sie gilt als Vorläufer der heutigen Rhönautobahn A7, die Überbleibsel dieser ehemaligen Autobahn, die aber nie in Betrieb ging, nicht wirklich. Die Zufahrt ist auch alles andere als autobahnähnlich. Wir sind froh, dass unser Caddy allradgetrieben ist und auch eine gewisse Bodenfreiheit mitbringt, denn die Gemeindeverbindungsstraße zwischen Burgsinn und Rossbach, ter Feldweg. Und wenn hier irgendwo ein Schild gestanden hätte, das die Weiterfahrt verwehrt, hätten wir uns nicht gewundert. Nach einigen Kilometern entdecken wir den Parkplatz mit einer großen Informationstafel. Wir erfahren, dass mit dem Bau des Teilabschnitts Bad Brückenau-Würzburg 1937 begonnen wurde. Erste Planungen hierzu reichen bis in das Jahr 1933 zurück, als man in ginn, mitten im Zweiten Weltkrieg, wurden die Arbeiten an dieser Autobahnstrecke eingestellt. Schließlich brachte diese Strecke keine strategischen Vorteile, das Nazi-Regime brauchte Soldaten und Geld für die Rüstung. Auch nach dem Krieg wurde nicht mehr weitergebaut. Die Streckenführung erschien den Planern ungeeignet und war aufgrund der veränderten politischen Geographie vielfach nicht mehr sinnvoll. Die bis dahin entstandenen Streckenabschnitte und Bauwerke wurden ihrem Schicksal überlassen und sind heute überwachsen. Viele dieser Bauwerke sind sichtbar, einige werden bis heute beispielsweise als Unterführungen genutzt – ein besonderes Technikdenkmal. Dass man in Deutschland eine Autobahn vergessen könnte, ist uns bisher noch nicht in den Sinn gekommen. Aber Reisen bildet eben.
ALLGEMEIN:
Rhön GmbH – Gesellschaft für Tourismus und Markenmanagement Rhönstr. 97 97772 Wildflecken-Oberbach Tel.: 0800 9719771 www.rhoen.de info@rhoen.de
ÜBERNACHTEN:
Die Infrastruktur für Reisemobilfahrer in der Rhön ist hervorragend. Die Region verzeichnet rund 40 ausgewiesene Stell- und Campingplätze.
STELLPLATZTIPPS:
www.rhoen.de/urlaub-kultur-ferien-wellness/geniessenuebernachten/camping/index.html Dazu bieten die Rhön-Touristiker eine Broschüre an, in der alle Plätze detailliert beschrieben und in Karten verzeichnet sind. Diese Broschüre kann kostenlos bestellt werden unter: www.rhoen.de/online-shop/kataloge--broschueren/31485.Camping--und-Reisemobilwelt-2020.html
UNSER REISEFAHRZEUG:
VW Caddy California
Wir bereisten die Rhön im neuen Caddy California. Ursprünglich hieß der kleinste Volkswagen-Camper einmal Caddy Beach. Nach dem Modellwechsel auf die neue Caddy-Generation ist nun die California-Familie komplett. Der Mikrocamper wird in zwei Größen – mit kurzem oder langem Radstand – angeboten. Serienmäßig rollt der Caddy California als handgeschalteter Fronttriebler an den Start, der Allradantrieb 4motion und das automatisierte DSG-Getriebe sind gegen Aufpreis zu haben. Es stehen verschiedenen Benzinund Dieselmotoren zur Auswahl. Dank eines faltbaren Doppelbetts und einer Mini-Küche im Heckauszug bekommt der Caddy die Zulassung als „Sonstiges Kfz Wohnmobil“. Der Einstiegspreis liegt bei rund 32.400 Euro. Unser voll ausgestatteter Reisewagen kostet rund 54.900 Euro. Wie er sich fährt, lesen Sie in einem Testbericht in der nächsten Ausgabe.