Die Brüder Kaldor

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Die BrĂźder Kaldor

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Prolog ........................................................................................................................................ 2 Kapitel 1 - Das Fest .................................................................................................................... 9 Kapitel 2 - Eine Treibjagd mit Folgen....................................................................................... 20 Kapitel 3 - Die Nacht der Tränen ............................................................................................. 29 Kapitel 4 - Eine grausame Entdeckung .................................................................................... 35 Kapitel 5 - Der Morgen der Erleuchtung ................................................................................. 41 Kapitel 6 - Der neue König ....................................................................................................... 49 Kapitel 7 - Der fahrende Händler und seine wunderbaren Waren ......................................... 55 Kapitel 8 - Tod auf weiter Strecke ........................................................................................... 62 Kapitel 9 - Die Hure und der Priester ...................................................................................... 66 Kapitel 10 - Des Magiers dunkle Niedertracht ........................................................................ 72 Kapitel 11 – In dem Lager der Vlks .......................................................................................... 79 Kapitel 12 – Eine Begegnung im Eis......................................................................................... 89 Kapitel 13 – Ferenc´ Geschichte .............................................................................................. 98 Kapitel 14 – Zurück ................................................................................................................ 114 Epilog ..................................................................................................................................... 122

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Das Gasthaus „Zum Goldnen Drachen“ gab es in der ehemaligen Grenzstadt Welmot schon ewig. Schon der Großvater des jetzigen Wirtes führte die Schankstube. Die Einrichtung war zwar seit Großvaters Zeiten erneuert worden, aber es herrschte noch immer eine gemütliche rustikale Atmosphäre. Im Winter prasselte immer ein warmes Feuer im Kamin, das Essen war nahrhaft und der Met kaum zu schlagen. Über die Jahre hatte sich das Gasthaus seinen soliden Ruf erarbeitet, und Reisende aus Rodlak und Torum gleichermaßen machten im Goldenen Drachen Rast. Die Schankmaid hatte alle Hände voll zu tun. So war es vor vielen Jahren gewesen, vor dem elendigen Krieg. Und heute? Der Wirt Ferdinand Sachar, ein Mann um die Fünfzig, mit kurzem grauem Haar und einem ordentlich gestutzten Bart lehnte an seinem Tresen und seufzte. Helle, wachsame Augen blitzten unter seinen buschigen Augenbrauen hervor, die er nun durch die fast leere Gaststube wandern ließ. Als einziger Gast saß Gebert, der Geschichtenerzähler, auf seinem Stammplatz nahe dem Kamin. Seine Pfeife war bereits erloschen, und den Becher mit dem Met hielt er umklammert. Seine wässrig blauen Augen starrten auf einen imaginären Punkt irgendwo in weiter Ferne. Gebert kam jeden Tag in den Goldenen Drachen, trank seinen Met, aß eine warme Suppe und unterhielt sich mit Ferdinand. Er mochte an die siebzig Jahre alt sein. Sein Haupthaar und Bart waren schlohweiß, die Kleider hingen schlotternd an ihm herab, und doch waren seine Bewegungen geschmeidig. Gebert hatte schon lange keine Familie mehr. Der Krieg hatte ihm alles, was er liebte, genommen, seine Frau, seine Kinder und sogar das Erzählen der Geschichten, denn niemand wollte die alten Erzählungen von König Frederik und seinen Söhnen mehr hören.

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Tief in Gedanken summte Gebert eine alte Weise vor sich hin. Ferdinand lächelte und schenkte sich nun ebenfalls einen Becher Met ein. „Auf bessere Tage!“ prostete er dem Alten zu und leerte seinen Becher in einem Zug. Kaum hatte er ihn abgesetzt, wurde die Tür zum Schankraum aufgestoßen, und ein Mann betrat ,eingehüllt in eine Schneewolke, den Schankraum. Bedächtig klopfte er den Schnee von seinem Mantel und den Schuhen, sah sich dabei kurz im Gastraum um, entledigte sich des schweren Mantels und wandte sich an Ferdinand: „Kann ein Reisender hier etwas zu Essen und einen guten Met bekommen?“ fragte er mit einer angenehmen, tiefen Stimme. Sein Gesicht wirkte fein und zart, auch wenn ein harter Zug um seine Augen lag. Er wartete jedoch keine Antwort ab, sondern ging zielstrebig auf einen Tisch ebenfalls in der Nähe des Kamins zu. „Wenn der Reisende bezahlen kann.“ brummte Ferdinand und betrachtete den Fremden genauer. Er trug die Kleidung der Leute aus der Nordwüste, hatte dasselbe sonnengebräunte Gesicht und den charakteristischen weichen Gang. Doch passte sein Dialekt nicht zu diesem Volk. Demnach hätte er aus Torum stammen können. Ein Lächeln umspielte den feinen Mund des Mannes, während er eine Hand unter sein Wams steckte und einen ledernen Beutel auf seinen Tisch fallen ließ. Das Geräusch aneinander schlagender Münzen war bis zum Tresen zu vernehmen. Zufrieden nickte Ferdinand und goss bereitwillig Met in einen Becher und servierte ihn. „Heute ist aber nicht viel los bei Euch.“ stellte der Fremde mit ehrlichem Staunen fest und trank von seinem Met. Ferdinands Mine verdüsterte sich: „Wohl wahr!“. Er eilte in die Küche und kam gleich darauf mit einer dampfenden Schüssel und einem Kanten Brot zurück. Der Geruch der deftigen Suppe stieg allen Anwesenden in die Nase. Nachdem er die Speise serviert hatte, holte er sich selbst auch noch einen Becher Met und setzte sich zu dem Fremden an den Tisch, der begann, seine Suppe zu löffeln.

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„Früher, ja früher war das alles anders“ begann der Wirt zu erzählen, und keinem der Anwesenden entging der bittere Unterton in seiner Stimme. „Es gab kaum Tage, an denen der Goldene Drache nicht zum bersten gefüllt war.“ Ferdinand schluckte. „Zu dieser Zeit hatte ich noch eine Bedienung und Alanna, so war ihr Name, hatte alle Hände voll zu tun. Wir feierten Feste, die vielleicht nur am Hofe des alten Königs Frederik, die Götter mögen ihm gnädig sein, hätten berauschender sein können. In Wintern wie diesen wärmten sich Händler und andere Reisende an meinem Kamin auf und wussten eine gute, heiße Suppe und den Met zu schätzen. Für eine nette Geschichte blieben sie gern noch auf ein Gläschen mehr und lauschten unserem Gebert.“ Der Wirt deutete auf den alten Mann am Kamin. „Ja, damals wollte man die alten Geschichten noch hören.“ Geberts rauhe Stimme erfüllte nun die Schankstube: „Vor langer Zeit waren Geschichten noch etwas wert.“ Dann sah er den Wirt auffordernd an. „Bring einem alten Mann doch noch einen Met.“ Ferdinand nickte abwesend und erhob sich, um dem Alten das Gewünschte zu bringen. „Darf ich mich an Euren Tisch setzen, Väterchen?“ fragte der Fremde, kaum dass der Wirt hinter seinem Tresen verschwunden war. „Dann habt Ihr etwas Gesellschaft und ich auch.“ Gebert nickte: „Nur zu, junger Freund. Es ist genügend Platz.“ Der Reisende aus der Nordwüste erhob sich und ließ sich am Tisch des alten Geschichtenerzählers nieder. „Und der Met geht auf mich.“ meinte er, als Ferdinand das Getränk vor Gebert abstellte. „Dann will ich Euch danken, Fremder, und der erste Schluck gilt Euch.“ er setzte den Becher an. „ Auch so etwas ist selten geworden.“ meinte der Alte, nachdem er sein Trinkgefäß wieder abgestellt hatte und deutete darauf.

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„Aus dem Grund tue ich es.“ Der Fremde zeigte sein ein offenes und ehrliches Lachen: „Sagt, Wirt : die Laute dort an der Wand über dem Kamin, ist sie gestimmt?“ Ferdinand lachte: „Das glaube ich nicht. Sie wurde das letzte Mal vor dem Krieg gespielt und seit dem hängt sie an der Wand. Würde mich nicht wundern, wenn die Saiten beim ersten Anschlagen reißen würden.“ Doch der Fremde hatte sich bereits erhoben. Seine Augen leuchteten. „Erlaubt Ihr?“ er deutete auf das Instrument. „Natürlich.“ der Wirt zuckte mit den Schultern. „Vielleicht vertreibt ein Lied ein wenig die Kälte aus unseren Seelen.“ Er seufzte: „Spielt Ihr uns eine Weise aus der Wüste?“. Der Fremde lachte geheimnisvoll während er behutsam die Laute von der Wand nahm, den Staub etwas entfernte und das Instrument in den Händen drehte. Er nickte anerkennend, setzte sich wieder auf seinen Platz und begann die Laute zu stimmen. Während der ersten Töne widerstand Ferdinand dem Drang, sich die Ohren zu halten zu wollen, so grausam klangen sie, doch je länger sich der Fremde mit dem Instrument beschäftigte, desto mehr klangen die Töne so, wie sie sollten. Gedankenverloren klimperte der Fremde herum bis er endlich die richtige Melodie gefunden zu haben schien. Der Alte erstarrte auf seinem Sitz und der Wirt stierte seinen Gast ungeniert an. Beide kannten sie diese Melodie, sie hatten sie nur schon seit einer Ewigkeit nicht mehr zu hören bekommen. Ferdinand betrachtete den Fremden nun genauer: Er mochte um die dreißig sein. Seine braunen Haare fielen ihm in Locken auf die Schultern. Auch das Gesicht – es war so fremd und doch bekannt. Tief in seinem Bauch regte sich etwas, doch Ferdinand wusste nicht genau, was es war.

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Nachdem der Fremde die Melodie nun endgültig gefunden zu haben schien, schlug er die Saiten kräftiger an und begann mit einer kräftigen, volltönenden Stimme zu singen. Gleichzeitig wurde die Tür des Gasthauses aufgestoßen. Einem Schneesturm gleich enterten zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen gefolgt von einer Frau, die Gaststube. Kaum hatte die Frau das Lied gehört, hielt sie mitten in der Bewegung inne und betrachtete den Lautenspieler versonnen. „Pa, weißt Du was Clara heute>“ der Junge zerrte aufgeregt an der Schürze des Wirtes. „Pst, Kerim! Ich möchte das Lied hören.“ „Aber Pa>“ „Kerim! Hör auf Deinen Vater!“ Schmollend setzte Kerim sich gefolgt von seiner Schwester an einen Tisch und sie begannen zu spielen. Doch schon nach kurzer Zeit hörten sie ebenfalls zu.

In Torum und Rodlak vor langer Zeit regierten zwei Herrscher voll Ehre Ihre Länder hatten niemals Streit Ach wenn’s nur heut noch so wäre

Doch bei einer Jagd passierte Fern ab von allen Städten Dass ein Magier sie erspürte

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Mit seinen grausigen Skeletten

Aus dem dichten Unterholz Es regneten die Speere Und die Könige voll Stolz Starben ohne Ehre.

Keine Chance sich zu wehren Keine Gnade keinen Ruhm Und das war das Ende deren Aus Rodlak und Torum

„Die Laute braucht unbedingt neue Saiten.“ damit durchbrach der Fremde die entstandene Stille in der Gaststube. Er hängte das Instrument an seinen angestammten Platz zurück. Dann griff er in seinen Lederbeutel, warf zwei Münzen auf den Tisch und zog sich seinen Mantel über. Er nahm die ihm von Gebert entgegen gestreckten Hände in die Seinen, drückte sie wissend und er nickte als er den mit Tränen verschleierten Blick des alten Mannes sah. Ohne dass noch ein Wort gefallen wäre, ging der Fremde in Richtung Tür. „Wartet Fremder!“ rief ihm der Wirt mit ergriffener Stimme hinterher. „Wie ist Euer Name?“ „Doriel.“ der Fremde wandte sich um, öffnete die Tür und verschwand im Schneetreiben.

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„Wer war das Pa?“ fragte Clara schüchtern, denn sie spürte die Ergriffenheit der Erwachsenen. „Wenn ich das wüsste.“ Gebert lachte heiser und die Wirtsfamilie sah ihn erstaunt an. Der alte Mann hielt eine der beiden Münzen des Fremden in der Hand und drehte sie unentwegt. Dabei lachte er nur noch lauter, bis er endlich hervorbrachte: „Oh was bist Du doch für ein Narr, mein lieber Ferdinand Sachar.“ Wieder lachte er: „Es werden dunkle Zeiten kommen mein lieber Freund. Harte Zeiten. Aber die Hoffnung wird zurückkehren.“ „Du bist verrückt alter Mann!“ Ilana, Ferdinands Frau, zog nun endlich ihren Mantel aus. „Kommt mal her Kinder.“ Gebert winkte die beiden zu sich an den Tisch. „Ihr wolltet doch wissen, wer dieser Mann mit der Musik war?“ Die Kinder nickten. Auch der Wirt und seine Frau kamen interessiert und neugierig näher, denn der Alte hatte geheimnisvoll die Stimme gesenkt: „Das war Doriel Kaldor, Sohn des Frederik Kaldor und Bruder des wahren Königs!“. Gebert lachte wieder heiser: „Der wahre König wird bald zurückkehren, dessen bin ich mir sicher.“ „Wer ist Frederik?“ fragte Clara und presste ihre Puppe noch fester an sich. „Und wer ist der wahre König?“ Kerim zog die Stirn in Falten: „Das ist doch König Baradur, oder?“ „Nein, mein Sohn.“ Milde lächelte Gebert: „Setzt euch! Setzt euch alle zu mir und ich erzähle euch die Geschichte. Die wahre Geschichte des König Frederik, seiner Söhne Ferenc und Doriel und ich erzähle euch, wie es vor dem Krieg war und warum es jetzt so ist, wie es ist>“

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In der Schlossküche herrschte rege Betriebsamkeit. Amin Faruk, der Hauptkoch, hatte seine Augen überall und versuchte, das herrschende Chaos unter Kontrolle zu halten. Eine äußerst schwierige Angelegenheit: Das große Geburtstagsbankett für König Thomas stand bevor und das bedeutete tagelange Arbeit und höchste Konzentration in der Küche. Es sollte ein außergewöhnliches Bankett werden, so lautete der Auftrag der Königin, denn schließlich feierte König Thomas morgen seinen fünfzigsten Geburtstag. „Wrehal, Du solltest Dich doch um die Kartoffeln kümmern und ich sehe, dass sie noch immer nicht gewaschen und geschält sind!“ Amin Faruk runzelte erbost die Stirn, bevor er sich an die nächste ‚Person wandte. „Galina, nicht wässern. Nur waschen!“ Die angesprochene Küchenmagd zuckte erschrocken zusammen und riss das Obst so heftig aus dem Wasser, dass sie die halbe Küche überflutete. Der Koch verdrehte genervt die Augen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es herrschten nahezu unerträgliche Temperaturen hier unten. „Merten, wie weit sind die Nachspeisen?“ Der Konditor ein ungeschlacht wirkender, großer Mann, sah Amin Faruk ernst an. „Fast fertig. Die Marmeladen stehen bereits kühl, der Honig wird gerade geschleudert, die Torten werden noch verziert und Puddings und Cremes sind ebenfalls schon fertig.“ Der Hauptkoch nickte anerkennend sagte allerdings nichts, sondern setzte seine Inspektionsrunde fort. In Gedanken ging er die Dinge durch, welche noch nicht erledigt waren und diese Liste war noch viel zu lang. Es ging bereits auf den Abend zu und in der Nacht wollten die Bäcker mit Brot und Brötchen anfangen und der Hofmetzger würde den Ochsen bringen, der dann natürlich am Spieß durchgebraten werden musste und zum Wenden würde er zwei bis drei

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Küchenjungen abstellen müssen. Amin Faruk schüttelte den Kopf. Das Bankett würde in einem Desaster enden, wenn nicht endlich Bewegung in die Bande käme. Er schlug die Glocke, welche normalerweise den Beginn der Essensausgabe ankündigte. Jeder Einzelne in der Küche unterbrach seine Arbeit und sah Amin Faruk erstaunt an. „Hört alle her!“ Die Stimme des Kochs hallte durch die unterirdischen Gewölbe der Küche, die durch die flackernden Feuer in einem unwirklichen Dämmerlicht lag. „Wir müssen noch sehr viel schaffen und erreichen, also erwarte ich von jedem einzelnen, dass er alles, aber wirklich alles gibt. Sollte das nicht reichen, wird die heutige Nacht durchgearbeitet!“ Er holte tief Luft. „Wenn ich ab jetzt jemanden ohne Arbeit rum stehen sehe, oder sehe, wie jemand Pause eine Pause macht, die ich nicht angeordnet habe, dann kann dieser Jemand seine Sachen packen und gehen! Ist das klar!“ Aufmerksam sah er in die Runde und ein jeder der Küchenmitarbeiter nickte. „Na dann: macht euch an die Arbeit!“

Der Geburtstag von König Thomas begann mit einem wunderschönen Sonnenaufgang und den Astrologen zu Folge, würde es an dem heutigen Tage wohl ausgezeichnetes Wetter geben, sodass die Feier zu Ehren seiner Majestät im großen Garten stattfinden konnte. „Nein, Randa! Du kannst doch nicht die Tante seiner Majestät neben die Base seiner Frau setzen. Du weißt doch, dass sich die beiden Damen – „ Hofmarschall Kungarius Graccus hüstelte kurz „ – nicht gut vertragen.“ Der kleine untersetzte Mann wedelte zur Bestätigung mit einem weißen Tuch und schnaubte. „Nein! Die Gläser müssen genau umgekehrt stehen! Als wenn Du das erste Mal eine Festtafel eindecken würdest!“ Mit energischem Blick schritt der Hofmarschall die Tische der Reihe nach ab und kontrollierte Besteck, Teller, Gläser – einfach alles. Das Bankett musste heute perfekt werden. Er wollte gar nicht daran denken, was Königin Katharina mit ihnen allen

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machen würde, sollte sie einen oder gar mehrere Fehler entdecken. Das Bankett sollte schließlich eine Überraschung für König Thomas sein. Der Garten, in dem die Feier stattfinden sollte, war zu diesem Zweck großartig geschmückt. Die besten Gärtner des Reiches und des Nachbarlandes, waren mit ihren schönsten Blumen aller Art erschienen. Sie hatten den schlichten Garten in ein Blütenmeer verwandelt und es duftete betörend.

Unzählige Schmetterlinge und Libellen surrten und summten umher. Wenn man genau hinsah, bemerkte man ihre Zerrissenheit, ihr Wechselspiel zwischen den zahlreichen verlockenden Nektaren. Doch die Beobachtung dieses amüsanten Spiels konnte sich im Moment niemand leisten. Die Vorbereitungen für das große Fest zeigten sich nicht nur bei der Eindeckung der Tafeln. So war Hofmarschall Kungarius Graccus nun zu den drei Sopranistinnen geeilt, die auf dem Rasen ihre Stimmproben durchführten. Nicht weit von ihnen arbeiteten Handwerker an einem hölzernen Podest, dass sie anschließend mit weißem Leinen bespannen würden. Kungarius sah das Ergebnis schon vor seinem geistigen Auge: Drei wunderschöne Frauen mit lieblichen Stimmen, in lange weiße Kleider gehüllt, auf dem weißen Podest in mitten des blühenden Gartens. „Leonore, Leonore> ich bin zutiefst beeindruckt!“ In Kungarius‘ Schritt regte sich etwas. Die drei Damen unterbrachen ihr stimmgewaltiges Auf und Ab der Notenleiter. Und die Dame mit den langen blonden Haaren, die auf den Namen Leonore hörte, sagte: „Seid gegrüßt, Herr. Gehen die Vorbereitungen voran?“ „Gewiss, gewiss, meine Dame.“, erwiderte Kungarius, wobei er seine Anspannung zu verdrängen suchte. Er mochte diese Leonore. Er

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wusste nicht recht, woher dies rührte, aber er war ihrem Zauber schon seit längerem erlegen. So stand er einen Augenblick reglos da, starrte in ihr Gesicht und merkte nicht, wie sie zu sprechen begann und was sie sagte. „Herr Kungarius?“ „Oh, verzeihen Sie>“ „Sie meinen also auch, wir sollten die Auswahl vom Kleinen Ball zum Besten geben?“, gab die Hofsopranistin zurück. „Ja, ja.“ Der Hofmarschall lächelte, wandte sich um und schritt eilig in Richtung des Schlosses. König Thomas saß in seinem Amtszimmer und las Briefe, die allesamt mit Glückwünschen aufwarteten – einer origineller als der andere. Ebenso besonders wie die Schriftstücke, war auch der Empfänger selbst. Der König war ein gut gewachsener, ehrfurchtsvoller Mann, der in seiner grün farbenden Montur durchaus etwas hermachte. Die Türen des Raumes waren alle geöffnet. Eine vertraute und herrliche Stille zog sich die langen Korridore entlang, die durch die meterhohen Fenster ins leuchtende Orange der Sonne gesetzt waren. Hinter einer anderen Tür offenbarte sich die Bibliothek mit ihren vielen, in Leder gebundenen Büchern, die seit Jahrhunderten Gerüche aufnahmen, festhielten und in einer harmonischen Mischung wieder hergaben. Zwar war der König ein Mann der Taten und fand nicht besonders häufig Zeit zum Bücherlesen, doch er hatte einen guten Freund, der für die Literatur eine ausgeprägte Leidenschaft besaß. Dieser Freund war einer der wenigen Menschen, die dem König ebenbürtig waren. Und vielleicht war es gerade das, was diese Freundschaft so eisern machte. König Thomas hielt nun ein rotes Kuvert in Händen. Ein seltsamer, bitterer Geschmack legte sich über seine Zunge. Unter den vielen anderen, die alle gelblich waren, stach dieses Kuvert wie ein Tropfen

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Blut im Schnee hervor. Der König wollte es schon beiseite legen, doch dann bemerkte er den Wachspfropfen. Er erkannte, dass der Brief von seinem Sohn sein musste, denn das verriet ihm das Siegel, das im Wachs prangte. Der König schmunzelte und schaute zum Fenster. In der Ferne war die Turmspitze eines Schlösschens zu erkennen, welches von einem kleinen Wald umgeben war: Die Residenz des Prinzen. Mit einem Mal war der bittere Geschmack entschwunden. König Thomas öffnete das Kuvert und wollte gerade zum Lesen ansetzen, als Hofmarschall Kungarius Graccus aus einer versteckten Seitentür trat und mit großen Schritten auf den Schreibtisch des Königs zuging. Etwa zwei Meter davor hielt er inne, streckte Rücken und Gesäß in die Länge und überbrachte dem König eine Nachricht: „Meine Majestät, ich möchte Euch darüber in Kenntnis setzen, dass Eure Gemahlin, Königin Katharina, den Wunsch geäußert hat, das Frühstück heute gemeinsam mit Euch im Silbernen Salon einzunehmen.“ Er verstummte. Und ohne Luft zu holen, sprach er dann weiter: „Meine Majestät, Ihr seid dem Vorschlag wohlgesonnen?“ „Sie dürfen anrichten, Kungarius! In einer Viertelstunde werde ich speisen.“ Während der Hofmarschall wieder in den geheimen Gängen verschwand, machte sich König Thomas zum Silbernen Salon auf. Auf dem Weg schaute er noch beim seinem Schatzmeister, dem Minister für die Barschaft, vorbei. Der König wollte wissen, ob seine Anweisungen für den heutigen Tag ohne Probleme umgesetzt würden. An seinem Geburtstag galt im ganzen Land Steuerfreiheit für alle Wirtsstuben und Metschänken. Alle sollten sie etwas von seinem Geburtstag haben. Als der König den Silbernen Salon erreichte, erwartete ihn eine prächtig gedeckte Tafel. Allerlei Ei:Zubereitungen erfüllten die Luft mit einem angenehmen Duft. Der König liebte Eier. Gänseeier, Adlereier,

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Krokodileier; das war nur eine Auswahl der unzähligen Sorten von Eiern, die den langen Tisch schmückten. Zu allen Seiten des Salons standen Diener. Stramm und stilvoll, darauf erpicht einen Befehl vom König zu erhalten. In einer Ecke spielte ein Musiker den Flügel. Doch König Thomas hatte an diesem Tag nur für seine Gemahlin Augen: Königin Katharina, die engelgleich neben ihrem Stuhl zu schweben schien. Ihr goldenes Kleid und ihre braunen Locken gaben ein unantastbar vollkommenes Bild ab. Der König schritt an sie heran. Katharina ergriff seine Hand: „Guten Morgen, mein Schatz, ruhmreicher König von Rodlak.“ „Wie an jedem Morgen, wird die aufgehende Sonne nur durch deine Schönheit überstrahlt, liebste Katharina” antwortete Thomas und führte seine Gemahlin zu ihren Platz. Er zog den Stuhl zurück, so dass sie sich bequem niedersetzen konnte und schritt dann auf seine Seite der Tafel, um selbst Platz zu nehmen. Vor ihm lag anstelle seines Porzellantellers ein ziemlich großes Päckchen. „Ist das für mich?”, fragte er, worauf Katharina mit einem Lächeln auf den Lippen „Herzlichen Glückwunsch zu deinem 50. Geburtstag, Geliebter” erwiderte. „Fünfzig Jahre”, dachte er bei sich während er die Bänder, die das Geschenk verzierten löste. „Zu alt zum Leben, zu jung um Sterben. Wann wird der Tag kommen an dem Baradur meinen Platz einnehmen wird? Baradur...der Brief! Ich werde ihn umgehend lesen, sobald ich wieder im Arbeitszimmer bin. Jetzt aber muss ich mich meiner Dame widmen”. Er schaffte es mit seinen geschickten Finger die Bänder zu lösen, ohne dass die Verpackung zerriss und legte das Papier zur Seite. Zum Vorschein kam ein Ausgehrock aus grünem Samt dessen Revers:Kragen mit weißer Seide eingefasst war und an deren Rändern sich eine Verzierung mit einem goldenen Faden befand. Dieser durchzog den ganzen Rock und verlieh ihm so einen edlen Charakter. „Ich dachte, dass es an der Zeit ist, dass du mal wieder etwas Neues zum Anziehen bekommst” sagte Katharina. „Du

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musst mir aber versprechen ihn auch anzuziehen. Am besten gleich heute Mittag, ich würde gerne mit dir ein bisschen in unserem Park spazieren und dir meine Vorschläge für die Gestaltung der Ziehbeete im Ostflügel unterbreiten. Sei bitte pünktlich zur Mittagsstunde im Ostpavillon.“ „Sehr gern, meine Geliebte”. Er seufzte innerlich: “Zierbeete...lieber würde ich eine Stunde durch mein Land reiten und sehen wie es meinem Volk geht”. Er legte das Geschenk zur Seite und nahm sich einen Teller auf den er zwei Adlereier und eine Scheibe Brot legte, die er zu einer Tasse schwarzen Tee verspeiste. Er vollendete sein Mahl mit einer ihm unbekannten, aber leckeren Obstsorte. Kungarius Graccus hatte ihm einmal gesagt, wie sie heißt und wieso man sie erst aus der Schale befreien muss, aber er hatte den Namen vergessen. Dennoch schmeckte sie ihm ausgezeichnet. Dann entschuldigte er sich bei Katharina, küsste sie noch einmal auf die Stirn und verließ den Saal, um sich wieder zu seinem Arbeitszimmer zu begeben. Dort angekommen riss er neugierig den Brief auf.

„Lieber Vater, ich wünsche dir zu deinem Geburtstag alles Gute. Leider ist es mir unmöglich heute zu deinem Festtag zu erscheinen, da mich wichtige Geschäfte in Elory aufgehalten haben. Ich werde dir aber über alles bei meiner Rückkehr berichten. Mit ergebensten Grüßen Dein Sohn Baradur”

Im König stieg ein Gefühl von Wut, Angst und Trauer auf. Geschäfte hatte nur ER in seinen Provinzen zu tätigen! Was bildet sich der Bengel ein? Dort dann wurde ihm das Alter seines Sohnes bewusst

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und er spürte, dass es bald Zeit werden würde abzutreten um ihm die die Regentschaft zu ermöglichen. Doch innerlich hatte er Angst davor. Würde Baradur ein gerechter König werden, so wie er selber es in den letzten 30 Jahren war? Würde das Volk seinen Sohn lieben und verehren oder fürchten und hassen? Egal, es ist ein Jammer, Baradur an diesem, seinem heutigen Geburtstag nicht an seiner Seite zu haben. Die Kutsche war in der Nacht gereist. Heimlich und ohne die Wappen, die sonst an ihr montiert waren. Die fünf Reisenden froren trotz ihrer langen roten Mäntel. Nachdem sie mehrere Tage gereist und viele Meilen zurückgelegt hatten und immer des Nachts im Geheimen wohl ausgewählte Gasthäuser aufgesucht hatten, waren sie endlich am Ziel angekommen. Wie Diebe schlichen sich die fünf Gestalten durch das Gatter am Tor in eine blühende Parklandschaft hinein. Kungarius trat aus dem Schatten des Tores auf sie zu und flüsterte: “Hier entlang, es ist alles vorbereitet”. Er übergab dem älteren der drei Männer einen Schlüssel, zog die Kapuze wieder über sein Haupt und verschwand in der Dunkelheit. Die Fünf schritten schnellen Schrittes über die Wiesen und auf ein kleines Gebäude zu. Dort schloss der Mann die Tür auf und betrat es. Drinnen wurde in diesem Moment eine Kerze entzündet. Die beiden jungen Männer und die ältere Frau folgten schnell ins Innere. Dabei sah sich die jüngere Frau noch einmal um und atmete tief durch. „Bald!” dachte sie. Es war die zwölfte Stunde. König Thomas legte seinen neuen Ausgehrock an und trat aus seinem Schlafzimmer auf den breiten, mit grünen Teppichen ausgelegten Korridor seines Palastes. Er schultere dazu die Schärpe, die er auch bei seiner Krönung getragen hatte. Doch anstelle seiner Krone trug er heute eine Kappe, die ihn etwas vor der Sonne schützen sollte. Er hatte keine Lust zu spazieren und war auch etwas unter Zeitdruck, was die Verabredung mit Katharina betraf, deswegen ging er schnurstracks zum Stall und sattelte sich Valerie, seine Lieblingstigerin. Ihr weißes Fell glänzte im Sonnenlicht

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und die beiden scharfen Hauer an ihrem Maul wirkten nur solange bedrohlich, bis sie ihren Reiter erkannte. Dieser schwang sich in den Sattel und gab dem Tier die Sporen. In weniger als fünf Minuten erreichten sie den Ost:Pavillon. „Merkwürdig” dachte er, „alle Vorhänge sind vorgezogen”. Er stieg aus Valeries Sattel und schritt auf die Tür zu. In dem Moment, als er die Hand zur Klinke ausstreckte, geschah es: Trompeten hallten, die Vorhänge wurden wie von Geisterhand weggezogen, die Türen wie durch Magie aufgestoßen, es erklangen Böller vom Schloss her und hunderte weiße Tauben stiegen hinter dem Pavillon empor. Aus den Türen heraus traten fünf in rot gekleidete, vermummte Gestalten und als der verblüffte König sich umsah, trat aus der Hauptpforte seine Gemahlin heraus, dicht gefolgt von seinem einzigen Sohn Baradur, der sein breitestes Grinsen aufgelegt hatte. Die Roten lüfteten ihre Kapuzen und der älteste Mann von ihnen trat mit den Worten:” Alles Gute alter Freund” heraus. „Frederik!” entfuhr es Thomas, „Du hier und nicht in Torum? Sonja, schön wie immer an deiner Seite. Ferenc, du wirst immer größer, es fehlt nicht viel und du wirst es mit jedem in eurem Reich aufnehmen können. Doriel, was macht die Poesie? Hat sie dich schon wieder bezaubert und in fremde Welten entführt? Helena, wie immer sehe ich das Antlitz eurer Mutter vor mir, wenn ich in das eurige blicke. Ich vermiss sie schmerzlich aber kann von meiner Seite auch sagen: Hätte sich mein Freund Frederik Euer nicht angenommen, ich hätte es sofort getan”. Dann endlich drehte er sich seinem Sohn zu. „Und dir? Hab ich diese Überraschung dir zu verdanken?” „Schelte deinen Sohn nicht. Er hat uns schon vor zwei Monden einen Boten geschickt und uns zu diesem Fest eingeladen, wir konnten doch nicht „Nein“ sagen, wenn unser bester Freund Geburtstag hat.” erwiderte Sonja und verteidigte Baradur ein wenig damit. Thomas griff seinem Sohn in den Nacken und flüsterte ihm ein „Danke” ins Ohr. „Das ist noch nicht alles Vater” sprach Baradur, „zu deiner Ehren findet am morgigen Tag eine

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Jagd in unseren Wäldern statt. Mutter, König Frederik und Königin Sonja werden dich begleiten.” Der König lachte und seine Gäste bekamen von der Dienerschaft Bierkrüge gebracht. Katharina reichte ihrem Mann einen Krug mit Bier und flüsterte ihm ins Ohr:” Glaubst du wirklich, ich würde deine kostbare Zeit stehlen, um sie mit der Gestaltung von Zierbeeten zu verschwenden? Ein bisschen besser solltest du mich schon kennen!”. „Verzeih Geliebte, ich bin wohl manchmal etwas durcheinander und höre nicht richtig zu”, gestand Thomas. „Eine typisch männliche Eigenschaft” kicherte Sonja von hinten und König Adamus wurde ein klein wenig rot. Seine beiden Söhne grinsten hinter seinem Rücken und stießen mit ihren Bierkrügen an. Helena stand abseits des Treibens und selbst als Thomas sie angesprochen hatte erhob sie ihr Haupt nicht einen Millimeter. Wie eine Schlange vorm Bau einer Wüstenmaus beobachtete sie jede Bewegung der Gesellschaft und schaute nur einmal kurz auf um den Blick von Baradur zu erhaschen, dann senkte sich ihre Stirn wieder. Ein Fremder hätte den Eindruck gehabt, dass sie nicht wirklich zu dieser Runde hinzugehörte. Sie wirkte wie eine Zwiebel auf einem Erdbeerkuchen und trank auch nicht aus ihrem Krug als dem Geburtstagskind zugeprostet wurde. Auf der Wiese neben dem Pavillon begann nun das gut geplante, aber rege Treiben, welches Amin Faruk und alle anderen so penibel und geheim vorbereitet hatten. Spanferkel wurden auf großen Grillgestängen heran geschoben, unter welchen Feuer entfacht wurde. Riesenkessel mit Suppe wurden aufgefahren. Tische auf denen Brot, Obst und Salate angerichtet waren, wurden aufgestellt. Zwanzig Meter dahinter wurde das kleine Podest mit den weißen Tüchern platziert, auf welches sich behände ein paar Musiker setzten, unter ihnen die große Sopranistin Leonore, die mit einer stimmgewaltigen Arie das Festmahl eröffnete

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Das Fest wurde zu einem Riesenerfolg und hätten nicht zukünftige Ereignisse das ganze Geschehen überschattet, es wäre noch Jahrzehntelang später darüber in Balladen und Tanzliedern der Barden berichtet worden. Am späten Abend eröffneten Thomas und Katharina den Tanz und alle Gäste, auch der sonst eher steife Adamus und seine Gattin nahmen daran teil. Es wurde viel gegessen und noch mehr getrunken. Ständig wurden Fässer mit Wein und Bier in den großen Garten gerollt. Die Dienerschaft kam kaum mit dem Nachschenken hinterher so viele durstige Kehlen galt es ständig zu benetzen. Die beiden Königspaare verabschiedeten sich zuerst, dicht gefolgt von Doriel, dem solche Sauf: und Fressgelage nicht lagen. Sein Bruder war jedoch in seinem Element. Er trank noch als es hell wurde mit einigen der Wachen und gab schmutzige Lieder zum Besten. Helena ging zusammen mit Baradur als keine anderen hohen Gäste mehr zu unterhalten waren. Sie schwiegen sich an bis sie aus dem Festsaal heraus auf einen der langen Korridore traten. Dort blieb Helena stehen und fiel Baradur um den Hals, ihre Lippen suchten die seinen und die beiden küssten sich lange und leidenschaftlich. Als Baradur zu Atem kam, flüsterte er: “Mein Vater hat es nicht direkt gesagt, aber er wird bestimmt bald abtreten und dann ist der Thron mir“. „Und mir“, erinnerte ihn Helena an sein Versprechen von vor langer Zeit : genau genommen vor sehr langer Zeit : denn die Beiden waren gerade mal 4 und 6 Jahre alt, als der kleine Baradur der älteren Helena sein Versprechen gab: „Wenn ich groß bin, heirate ich dich und mache dich zu meiner Königin“. Helena hatte diesen Satz niemals vergessen und sie wusste: Die Zeit rückte näher, in der sie endlich den Platz einnehmen konnte, der ihr eigentlich zustand. Sie war die Tochter von Tarania Aruna, der älteren Schwester des Königs Adamus Kaldor, Herrscher von Torum, aber

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das Gesetz ihres Landes ließ es nicht zu, dass sie in der Thronfolge mehr Anrecht hatte, als ihre beiden Vettern, den Söhnen von Frederik. Dieser starke, dumme Ochse Ferenc hätte nach Frederik Abtritt im Hause Torum als Erstgeborener Anrecht auf den Thron. Wenn sich jedoch die Möglichkeit bot, einen anderen Thron zu besteigen, nämlich den von Rodlak, mit dem ihr von Kindheit an hörigen Baradur an ihrer Seite. Warum nicht? Den Thron von Torum zu erringen sei doch nur eine Frage der Zeit hatte dieser gesagt. Sie hasste Adamus und noch mehr Sonja, die sie von klein an bemuttert hatte. Nie durfte sie mit ihren Cousins spielen, dabei hätte sie so gerne den Bogen geschossen wie Ferenc oder die Laute gespielt wie Doriel. Sie war bei den Hofdamen untergebracht, wo sie nähen und sticken lernte. Natürlich durfte sie auch in den Stall, aber nicht um zu reiten, sondern den Säbelzahntigern Futter zu geben. Immerhin war sie durch ihre Besuche in der Hofküche jetzt sehr behände in der Kunst ein Tier auszunehmen und es zuzubereiten, aber lieber hätte sie gelernt, wie man es erschießt. Plötzlich wurde es laut. Es war offensichtlich und nicht zu überhören, dass Ferenc nun auch das Fest verlassen hatte. Er wurde von Wachen gestützt und in Richtung der Gästezimmer gebracht. Helena küsste ihren heimlichen Geliebten noch einmal auf den Mund und verabschiedete sich in ihr Zimmer. Baradur begab sich zu seinen Gemächern, schloss hinter sich die Tür ab und begab sich rasch zu Bett. Draußen auf dem Flur gab es einen ordentlichen Rums als sei eine der Elchtrophäen von der Wand gefallen. An den nachfolgenden Geräuschen erkannte Baradur aber, dass es sich um Ferenc handeln müsse, der ohne fremde Hilfe sein Zimmer zu erreichen heute wohl nicht mehr in der Lage war. Er lächelte. „König Ferenc, du wirst nicht lange regieren, das schwöre ich.“ Daraufhin schlief er zufrieden ein. Helena erwachte am nächsten Morgen als an ihre Tür geklopft wurde. „Steh auf Cousine, ein herrlicher Tag ist angebrochen“, hörte sie

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Doriels Stimme. Sie zog sich einen Morgenmantel über, schritt zur Tür und öffnete diese. „Guten Morgen, Doriel“, sagte sie „Was gibt´s zum Frühstück?“ „Frühstück?“ Doriel stand in dem Korridor und trug unter seinem Arm einen Zeichenblock, auf dem die Skizze einer über Rodlak aufgehenden Sonne zu sehen war. „Ich kann es dir ehrlich gesagt nicht sagen, es ist außer mir anscheinend noch keiner wach. Darf ich eintreten?“ „Aber selbstverständlich“ bejahte Helena seine Frage, und ging wieder in ihr Zimmer zurück. Von allen Mitgliedern der Familie Kaldor mochte sie ihn noch am liebsten. Er war ein Poet, manchmal etwas zu sentimental, aber immerhin ein Philosoph im Verhältnis zu seinem älteren Bruder, welcher in Zukunft auf dem Thron sitzen würde. Ferenc war eher Bauer, denn König. Er stand dem Waffenmeister Konstantin von Torum sehr nahe und das einzige, was er wirklich beherrschte, waren Schwert, Armbrust und der Umgang mit großen Kriegsmaschinen wie Katapulten und Schleudern. „Eigentlich ein Grund ihn zu beneiden“, dachte sich Helena, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Doriel legte den Zeichenblock auf einen Tisch, setzte sich in den Sessel und goss sich ein Glas Wasser ein. Helena sah ihn an. Er strahlte unschuldige Jugend aus. Im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Bruder war er sorgfältig rasiert. Seine nach Kaldor:Art gebundenen braunen Haare waren gut gepflegt und sein drahtiger, schmaler Körper schien sehr durchtrainiert zu sein. „Wie lange bist du gestern noch geblieben Cousine?“, fragte er. “Ich bin kurz nach dir gegangen“, antwortete sie“ und kurz vor deinem Bruder“. Sie lächelte. Der Anblick von Ferenc gestern Abend ließ sie mehr als zuversichtlich erscheinen, dass ihr Plan irgendwann aufgehen würde. Sie fühlte sich von ihren eigenen Gedanken ertappt, als die Glocke bimmelte, die dem Hof und seinen Gästen das Zeichen zum gemeinsamen Frühstück gab.

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Im Speisesaal saßen im ganzen acht Personen an der Tafel. Am einen Tischende saß König Thomas von Rodlak, ihm gegenüber der König von Torum, Frederik Kaldor. Zu seiner Rechten befanden sich Carpahia, ,seine Frau, und die beiden Söhne von Frederik, während die linke Seite durch Baradur, Helena sowie Sonja Kaldor, Königin von Torum, besetzt wurde. Es war erstaunlich, wie gut Ferenc aussah, wenn man bedachte, dass er den Abend zuvor alle Wetttrinken gewonnen hatte, die es auszufechten gab. Allerdings konnte man nicht sagen, dass er besonders gut roch, was ihm strafende Blicke seines Vaters einbrachte. Baradur erläuterte seinem Vater und den anderen Anwesenden seinen Plan für den heutigen Tag. Es war angedacht, dass der König und seine Gattin zusammen mit dem Königspaar von Torum in einer Kutsche zum nahen Wald gebracht würden. So hätte man Zeit entweder einfach über die alten Zeiten zu plaudern oder gegebenenfalls neue Geschäfte zu knüpfen. Dort würde ein königlicher Jäger auf sie warten, um ihnen die Waffen und die vier Säbelzahntiger zu übergeben, auf denen die Jagdgesellschaft sich dann tiefer ins Land bewegen könne. Nachdem man gegen Mittag an einem Ausläufer des Flusses Ras Spieck gerastet hätte, würde die Jagd fortgesetzt und gegen Nachmittag würde man per Boot zurück zum Schloss gebracht. „Die Kutsche steht schon im Hof“, vollendete Baradur seine Beschreibungen. „Viel Spaß bei der Jagd!“ Der Wald lag ruhig vor ihnen. Sonnenstrahlen durchdrangen das dichte Blätterdach spärlich. Insekten summten und brachten sich vor den hungrigen Vögeln in Sicherheit und die Luft roch betörend aromatisch und würzig. Als die königliche Kutsche die Lichtung erreichte, machte es den Anschein, als wären die beiden Königspaare zu einem Picknick unterwegs, wären da nicht die aufgeregt heulenden und an den Leinen zerrenden Jagdhunde mit den riesigen Hauern gewesen und die bereits fertig aufgezäumten Tiger.

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Sonja sog geräuschvoll die klare Waldluft ein. „Ein herrlicher Tag.“ Ihre Augen strahlten, als sie auf den ihr zugewiesen Tiger zusteuerte. „Wohl wahr, meine Teuerste, wohl wahr.“ Thomas nahm die ihm gereichte Armbrust entgegen und bestieg routiniert sein Reittier. „Euer Hoheit.“ Einer der Jagdhelfer erschien an der Seite Von König Thomas. „Mittagsrast halten wir auf einer großen Lichtung Nordwestlich von hier. Sie liegt an einem Bach. Wenn Ihr und Eure Begleiter Euch zur Mittagszeit dort einfinden würdet, so werden die Köche aus der Jagdbeute ein erlesenes Mittagsmahl zaubern.“ Der König nickte ungeduldig. Er wollte los. Zu lange war er auf keiner Jagd mehr gewesen. Staatsgeschäfte, ein Aufstand der Wüstenbevölkerung und solcherlei Dinge hatten ihn in den letzten Monaten davon abgehalten. Nun durchströmten ihn die frische Luft und auch ein wenig Adrenalin. Er konnte sich kaum ruhig halten. „Mein Freund, Ihr seht aus, als könntet Ihr es kaum erwarten.“ Frederik hatte seine Tigerin an die Seite seines Freundes gelenkt und nickte dankend dem Helfer zu, welcher ihm seine Armbrust reichte. „Ihr wart wohl schon lange nicht mehr im Wald?“ „Macht es so den Anschein?“ Thomas runzelte erstaunt die Stirn. „Dann werde ich mein Temperament wohl etwas zügeln müssen.“ Er seufzte. „Aber Ihr habt Recht, werter Freund. Lange ist meine letzte Jagd bereits her. Ihr wisst, das Wüstenvolk und diverse andere Geschäfte ließen mir keinerlei Zeit, auch nur einen Gedanken an die Jagd zu verschwenden.“ Thomas lachte. „Umso mehr erfreut mich das Geschenk meines Sohnes.“ „Die Herren>“ Sonja und Katharina lenkten ihre Reittiere neben die ihrer Männer. Die Damen waren nicht bewaffnet. Sie würden den Königen nur zusehen und ihnen ihren Beifall für eine erfolgreiche Jagd schenken. Ansonsten würden die beiden Königinnen der seltenen Zeit gemeinsam nutzen und sich austauschen. Sollten die

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Männer doch ihrem Hobby nachgehen. Sie hatten genug zu besprechen. „Möge die Jagd beginnen!“ rief der Hofjäger aus während einer der Jagdhelferin ein Horn blies. Dass allgemeine Zeichen, dass die Jagd nun begann. Die Hunde wurden nun endlich frei gelassen und die Könige ließen ihre Tiger laufen. Zunächst ging es nach Norden. Offenbar hatten die Hunde mit ihren feinen Nasen bereits Witterung der Beute aufgenommen. Mit großen Sätzen durchsprangen die Tiger das Dickicht des Waldes. Die Geschwindigkeit hielt sich aber insofern in Grenzen, dass sich Katharina und Sonja ohne große Mühe unterhalten konnten. Gelegentlich warfen die Herren einen Blick nach hinten, wenn die Damen mal wieder ein amüsiertes Lachen von sich gaben. Nach einiger Zeit erreichte die Gruppe einen kleinen Bach, an dem sie irritiert feststellen musste, dass einige Hunde am Ufer entlang weiter nordwärts liefen, während die Mehrzahl der Hunde abrupt den Weg durchs Wasser einschlug. „Wir werden denen, die durchs Wasser gingen, folgen!“, sagte König Thomas. Und sogleich lenkten sie ihre Tiger durch das flache, schmale Gewässer, an dessen Ufern es von duftenden Kräutern nur so wimmelte. Die Hunde tobten voran, die Tiger und ihre Reiter folgten elegant im Schatten ersterer. Wenn man ihre Schatten überhaupt noch hätte erkennen können. Denn hier auf der anderen Seite des Baches wurde der Wald immer dichter und dunkler. Und umso tiefer es in den Wald hinein ging, desto seltener waren Vogelgezwitscher und Insektensummen zu vernehmen. Irgendwann wurde es beinahe gänzlich still. Selbst die Hunde, die einer unsichtbaren Spur folgten, gaben kaum noch Geräusche von sich. Frederik schaute zurück. Überrascht stellte er fest, dass die Damen einen erheblichen Abstand zu ihnen hatten. Unbemerkt hatten die Hunde, als auch sie selbst, das Tempo erhöht. Die Baumstämme zischten links und rechts an ihnen vorbei. Frederik spannte seine Armbrust und machte diese schussbereit. Es würde wohl bald soweit

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sein, dachte er. Thomas tat es ihm gleich. „Es ist noch nichts in Sicht. Aber wir werden in Kürze unser Mittagessen zu Gesicht bekommen. Das liegt in der Luft>“, sagte er und lachte. Plötzlich wurden die Hunde schneller, noch schneller als sie ohnehin schon rannten. Und mit einem Mal schwand auch die Stille, die zuvor im Wald geherrscht hatte. Rascheln und leises Heulen war nun aus allen Richtungen zu vernehmen. Die Hunde hängten ihre Verfolger ab. König Thomas und König Frederik erreichten überrascht eine Lichtung. Sie mäßigten ihre Geschwindigkeit und blieben in der Mitte des außergewöhnlichen Ortes stehen. Sie kannten diesen Ort nicht. Zu allen Seiten waren Reste steinerner Bauten zu erkennen. Ruinen aus einer anderen Zeit. Ihre Blicke suchten nach den Hunden, von denen jede Spur fehlte. Thomas wandte sich Frederik zu, doch ehe er die Worte über die Lippen brachte, die er seinem treuen Freund mitteilen wollte, sprang ihn ein Untoter an, der aus dem nichts zu kommen schien, und riss ihn zu Boden. Frederik richtete seine Armbrust auf das grässliche Geschöpf, das sich ihm zu Füßen mit Thomas wälzte. Er drückte ab und verfehlte nicht. Der Untote, dessen blasser, unwirklicher Körper von tiefen Löchern und stinkender Fäule überzogen war, ließ von Thomas ab. Er versuchte unter lautem Heulen aufrecht zu gehen, doch das gelang ihm nicht. Frederik hatte ihm mit einem präzisen Schuss das Rückenmark zerfetzt. Die Augen des Untoten verdrehten sich und er humpelte ziellos umher. König Thomas suchte derweilen nach seiner Armbrust, die ihm bei dem Angriff verloren gegangen war. Inmitten der vielen Geräusche war ihm entgangen, dass sich der Boden unter seinen Füßen bewegte. Frederik rief ihn an. Er tat es immer wieder, doch Thomas schien ihn nicht zu hören. „Thomas! Dieser Ort ist verhext!“ Einige Fratzen erhoben sich aus dem Erdreich und versuchten nach Frederik und seinem Reittier zu greifen. Doch das Katzengeschöpf biss tapfer und aggressiv auf die Angreifer ein. Plötzlich aber schoss auch vor Thomas ein weiterer Untoter in die Höhe. Frederik legte an.

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Er ging davon aus, dass der Untote jeden Moment seinen Freund zu Boden reißen würde. Er wusste, dass er jetzt schnell sein musste. Er zielte und> : Halt! was war das? In seinem Blickfeld sah er ein Geschoss, das sich mit ungeheurer Geschwindigkeit dem König von Rodlak näherte. „Thomas..!“ Frederik riss seinen Tiger herum. Das Geschoss war aus den Bäumen hinter ihm gekommen. Thomas hatte im letzten Moment erahnt, das er in Gefahr war. Überstürzt war er in die Hocke gegangen. Der Untote sprang über ihm ins Leere. Doch für Thomas war es bereits zu spät gewesen. Ein riesiger, meterlanger, eiserner Pfeil hatte ihm den Hals durchbohrt. Es dauerte nicht lang, bis sich sein Blick verdunkelte. Unter dem Gewicht des Geschosses klappte sein Oberkörper vornüber zu Boden und sein Kopf nach hinten auf den Rücken. Frederik erschrak. Unter all dem Heulen, Kreischen und Rascheln war dieses makabere Geräusch des Zerbrechens vom Körper seines Freundes an sein Trommelfell gelangt. Er schaute sich nicht um. Er konnte es nicht. Zu gewiss war ihm der Anblick, der sich ihm bieten würde. Wenn jemand nicht davor zurückschrak, den König von Rodlak zu töten, dann wäre auch er in Gefahr. Frederik ergriff die Flucht. Voller Furcht ritt er immer weiter.

Carparthia und Sonja näherten sich einer Lichtung. Sie waren etwas nervös aufgrund der ungewohnten Geräusche, die sie vernahmen. Sie liefen in die Lichtung nicht ein. Gespannt schauten sie nach ihren Männern. „Ob sie wohl schon Jagderfolg gehabt hatten?“ Plötzlich vernahmen sie ein Gemurmel, das von weit oben aus den Baumkronen kam. „Was konnte das sein?“ Suchend blickten sie sich um. Da entdeckten sie einen kleinen Mann, der gut geschützt auf einem Ast saß und mit den Händen fuchtelte. Sie folgten seinem Blick

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und entdeckten schockiert, wie sich auf der Lichtung eine unwirkliche Gestalt aus dem Staub erhob. „Ah>!“ Der kleine Mann schaute herab. Sein Gesicht verzog sich zu einem fledermausähnlichen Aussehen. Er schrie die Frauen an, mit einem monotonen Laut, der noch Minuten später in ihren Ohren hallen sollte. Er sprang auf einen anderen Ast, sodass die Königinnen ihn aus den Augen verloren. Plötzlich entdeckten sie weitere unlebendige Gestalten auf der Lichtung, die alle auf sie zu rannten. Völlig hilflos starrten sie ihrem Schicksal entgegen. Frederik wusste nicht wie weit er gekommen war, doch das unbehagliche Gefühl der Angst und der Trauer lastete noch immer auf ihm. Wie ein Blitz spaltete es ihm das Herz, als er den Aufschrei zweier weiblicher Geschöpfe hörte.

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Nachdem die Königspaare auch am späten Nachmittag noch nicht von ihrem Jagdausflug zurückgekehrt waren, waren Baradur und Ferenc zusammen mit einigen Rittern des Hofes aufgebrochen um nach den Vermissten zu suchen. An Hofe machte sich das Gerücht breit, die Könige und Königinnen hätten sich einen Scherz erlaubt und würden sich anderen Ortes vergnügen. Doch die Wahrheit sollte weitaus tragischer sein Sie brachen in Richtung Süden auf und versuchten Spuren zu finden. „Wahrscheinlich sitzen sie gemütlich irgendwo herum. Ich verstehe nicht, warum wir schon jetzt nach ihnen suchen sollen.“, erklärte Ferenc. „Du magst Recht haben. Dennoch haben wir die Pflicht unsere Könige und Königinnen zu schützen. Wenn du mir versprechen kannst, dass ihnen nichts geschehen ist, kehren wir um.“ Die Gruppe folgte einem Weg, der vom Schloss aus durch den Wald führte. Das Jagdgebiet des Königs erstreckte sich einige Meilen in diese Richtung und mindestens noch einmal so viele nach Osten und Westen. Die Suche konnte also einige Zeit in Anspruch nehmen und wenn sich nicht wirklich heraus stellte, dass die königlichen Herrschaften die Zeit vergessen hatten, würde sie wohl auch lange erfolglos bleiben. Baradur drehte sich zu den Männern um. Er erklärte: „Wir werden beim Schrein abbiegen und die üblichen Lagerplätze überprüfen.“ und trieb seinen Tiger zur Eile an. Den Blick wieder geradeaus gerichtet fügte er hinzu: „Es wird nicht lange hell bleiben. Die Zeit drängt.“. Ferenc ließ sich einige Meter hinter dem Prinzen zurück fallen. Auf einer Höhe mit den Soldaten konnte er deren verwirrtes Gemurmel

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hören. Ferenc gefiel diese Aufregung nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass etwas passiert war. Nie hatte er gehört, dass seinem Vater nach dem Leben getrachtet wurde. Ein Scherz, ein übler Streich, der sicher dem blauen Blut seiner Eltern und deren ältester Freunde nicht würdig war. Er dachte an das warme Bad und an die Magd Illes, die auf ihn wartete und fluchte leise. In der Biegung tauchte der weiße Schrein auf, der zu Ehren irgendeines Gottes in grauer Vorzeit errichtet worden war. Den Bewohnern diente er nur noch als Wegmarke und für die Herrschaften als Eingang zu den Fanggründen. Was seine Eltern wohl gefangen hatten? Es würde ein weiteres Festmahl geben. Baradur bog als erster ein und ließ seinen Tiger in das grüne Dunkel eintauchen. Zu dieser Jahreszeit spannte sich das Blätterdach dicht und saftig über ihnen. „Ich hatte recht.“, rief Baradur, „Sie sind hier lang gekommen.“. Er deutete unter sich auf die tiefen Spuren, die die Pranken der Reittiere hinterlassen hatten, war aber schon im Weiterreiten. Seufzend folgten ihm Ferenc und der Rest des Tross' trottete hinterher. Sie mussten nicht weit gehen, bis sie ein Knacken hörten. Dann nichts mehr. Wieder meldete sich der Anführer: „Sie müssen gesprintet sein. Die Abdrücke sind weit entfernt voneinander.“. Wieder knackte die Wand aus Blättern, die sich um sie herum erhob. Dann brach eine Gestalt hervor. Sie fiel und griff ins Leere als sie sich an Ferenc Tiger halten wollte. Ferenc starrte hinab auf den zerrissenen Körper seines Vaters: „Nein!“.

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„Frederik...“. Baradurs Stimme zitterte leicht als er sich besah, was vom König von Torum übrig geblieben war, „Frederik... lebt.“. Dann hob er seinen Kopf mit einem Ruck. „Helft eurem König!“, zischte er die Soldaten an. Es kam Bewegung in sie. Zwei sprangen ab und halfen Ferenc, der seinen Vater bequem betten wollte. Die anderen versuchten sich auf dem schmalen Weg so zu postieren, dass, was immer ihren Herrn so zugerichtet hatte, sie nicht auch noch überraschen konnte. Baradur blickte zu Ferenc und Frederik hinunter. „Was ist mit den anderen? Lebt noch jemand?“, fragte er, bekam aber keine Antwort. „Ich fragte, ob die anderen tot sind!“, rief er erregt und sein Tiger knurrte unruhig dazu. Er spürte die Anspannung seines Herrn. „Siehst du nicht, dass er erschöpft ist?“, herrschte Ferenc ihn an aber sein Vater legte ihm die Hand besänftigend auf den Arm. „König von Rodlak, ich erweise euch die Ehre und schwöre Euch im Namen meines ganzen Volkes die ewige Treue. Mein Schwur soll gelten bis auch der letzte meiner Ahnen den Thron verlassen hat.“ Ferenc sah auf zu dem Prinzen, der so unverhofft ein König geworden war. Keine Miene verzerrte Baradurs Gesicht als er die Nachricht erhielt. Er streckte sich im Sattel. „So ist es denn: Ich bin der König von Rodlak.“, meinte er kurz und dann: „Hebt ihn auf. Wir kehren um.“. „Und deine Eltern?“, fragte Ferenc. „Ihr habt es gehört: Meine Eltern sind tot. Ich bin König und morgen im Licht des neuen Tages werde ich einen Trupp zur Rache führen.“

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Die Männer bauten aus Baumstämmen und Decken eine Trage auf der sie den zerschundenen Körper Frederik legten. Der Rückweg zur Burg ging gemächlich seines Weges, denn man wollte den König so wenig wie möglich belasten. Ferenc saß beunruhigt auf seinem Tiger und schaute immer wieder auf seinen Vater herab. Er durfte noch nicht sterben. Ferenc war noch nicht dazu bereit, das Amt anzutreten für das er durch das Geburtsrecht bestimmt war. Von der Kraft und dem Ehrgeiz her gab es keine Veranlassung nicht zum König zu werden, aber Diplomatie und Regentschaft war für ihn völlig neu. Doriel, sein Bruder hatte in den langen Unterrichtseinheiten viel besser aufgepasst und er war ihm was die Theorie betraf in fast allen Dingen überlegen. Er seufzte. Sein Vater hatte die Augen zu und Ferenc betrachtete die Verletzungen mit verwunderten Blicken. Solche Wunden hatte er noch nie gesehen. Sie waren offensichtlich nicht von menschlicher Hand verursacht. Es können aber auch keine Tiere gewesen sein. Eher vermutete er, dass irgendeine Magie ihre schmutzigen Hände im Spiel hatte. Er sah sich um. Rechts von ihm trabte der Tiger von Baradur. Auch der neue König von Rodlak sah mit eisernem Blick nach vorne. „Was mag ihm durch den Kopf gehen, nachdem er offensichtlich nun seine Eltern verloren hat?“ dachte Ferenc. „Auf uns werden schwierige Zeiten zukommen.“ Auf den Zinnen der Burg Torum stand Helena und blickte ins Land hinaus. Sie lächelte, als sie den Zug der Heimkehrer in weiter Ferne auf die Stadt zukommen sah. Sie drehte sich herum, nahm ein ernstes Gesicht an, und bewegte sich mit schnellen Schritten über die Treppe zum Haupthaus herunter. Dort angekommen holte sie kurz Luft und rief:“ Doriel, sie kommen. Mach schnell. Wachen öffnet das Tor und lasset die Zugbrücke herab. Die Wachen eilten zum Tor und als sie es geöffnet hatten, sprengten die Tiger von Baradur und Torum in den Burghof. Baradur rief:“ Schnell>einen Arzt, der König ist schwer verletzt. Im Burghof brach sofort ein Getümmel aus. Doriel kämpfte sich durch die Menge und schritt auf Ferenc zu. „Und

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Mutter?“, fragte er. Ferenc schüttelte den Kopf. „Es war zu dunkel um nach ihr zu suchen. Baradur und ich werden in der Früh mit einem Trupp Soldaten aufbrechen um sie zu finden. Aber ich glaube, dass sie tot ist, kleiner Bruder.“ Sein Blick schweifte über die Menge und suchte Helena. Er sah, dass sie sich im hinteren Teil des Hofes aufhielt und sich nicht rührte. Inzwischen hatten einige Wachen König Frederik ins Haupthaus gebracht und der königliche Leibarzt kümmerte sich um die Wunden. Er wusch sie aus und legte Verbände an. „Was soll jetzt werden?“, fragte Doriel seinen Bruder. Dieser zuckte mit den Schultern. „Nun wir werden im Morgengrauen aufbrechen, die anderen zu suchen. So wie ich Vater verstanden habe als er noch sprechen konnte, sind Baradurs Eltern tot. Was mit unserer Mutter ist, wissen wir nicht, aber ich befürchte das Schlimmste.“ „Ich werde mitkommen, sie zu suchen“, versprach Doriel. Ferenc schüttelte den Kopf: „Nein, wenn die Dinge so sind, wie ich glaube, dann solltest du besser in der Burg in Sicherheit sein. Das waren keine Tiere oder Menschen, das waren Monster. Eventuell magische Monster. Wir wissen es nicht, aber sollten wir nicht wieder kommen, musst du an meiner Statt das Volk leiten“. Doriel nickte und eine Träne lief seine zarten Wangen hinab. Er ging in das Haupthaus um nach dem Vater zu sehen. Ferenc folgte ihm. Im Hof warfen sich Helena und Baradur einen kurzen aber innigen Blick zu. Dann verschwand sie hinter ihren beiden Brüdern im Haupthaus. Baradur, begleitet von zwei Wachen, begab sich in seine Gemächer um sich von dem tage auszuruhen und für den nächsten Morgen neue Kraft zu schöpfen. König Frederik überlebte diese Nacht nicht. Am Morgen fanden die beiden Brüder ihn tot in seinem Bett. Doriel kniete nieder und beklagte den Tod seines Vaters. Ferenc stand stocksteif an der Ruhestätte und fragte sich „Warum?“ Er trat einen Hocker um vor Wut und Verzweiflung. Unbeherrscht wie er nun einmal war, nahm er einen Krug vom Tisch und schleuderte ihn gegen die Wand. Um ein Haar

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verfehlte er damit Helena, die gerade den Raum betrat. Sie erschrak aber nicht, sondern sprach mit einem kühlen Unterton in ihrer Stimme:“ Ferenc, kommst du? Baradur hat schon die königlichen Wachen von Rodlak versammelt. Sie wollen aufbrechen“. Er nickte stumm und begab sich in den Innenhof, wo Baradur und zwanzig berittene Wachen auf ihn warteten. Helena trat zu Doriel, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Keine Angst, kleiner Bruder, du wirst sehen>Alles wird gut!“

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Sie ritten schnell und erreichten die Stelle an denen sie Frederik gefunden hatten nach zwei Stunden. Dort teilten sie sich in zwei Gruppen auf und durchforsteten die nähere Umgebung. Ferenc und seine Mannen bewegten sich in westlicher Richtung, während Baradur Richtung Osten aufbrach. Nach kurzer Zeit hörte Baradur ihn aufschreien und wendete seinen Tiger. Er folgte dem Schrei und erreichte nach kurzer Zeit eine Lichtung, wo er ein Bild des Schreckens vorfand. Ferenc kniete über seiner Mutter. Ihr Körper war eine blutige Masse, ihre Augen weit geöffnet. Sie hatte die gleichen Wunden wie sie auch Frederik hatte. Rechts von ihr lagen die Tiger der Könige und dort sah Baradur auch die Leichen seiner Eltern. In den Tigern steckten mehrere Pfeile, auch in den toten Körpern von Thomas, Carparthia und Sonja steckten einige Geschosse. Ferenc sah sich um. Er untersuchte den Kampfplatz. Es sah nicht so aus, als wenn die beiden Frauen hier getötet wurden. Deutliche Schleifspuren wiesen darauf hin, dass sie aus einem nahen Dickicht hierher geschleppt wurden. Es fanden sich keine Fußabdrücke auf diesem Platz und alle hatten das Gefühl, dass hier eine große Konzentration Magie, die eindeutig von böser Art war vorhanden gewesen sein musste. „König Baradur, kommt einmal bitte her! Hier ist etwas“, rief einer der Soldaten. Auch Ferenc folgte diesem Ruf. Unter einem Baum fanden sie einen knöchernen Bogen, in dem ein kreisrundes Symbol eingelassen war. Dort drinnen befanden sich seltsame Runen, die auf eine schwarze, finstere Magie hindeutete. Auf dem Boden lagen außerdem Knochen eines menschlichen Skelettes, welches den Bogen in einer Hand gehalten hatte. „Hier hat ein Teil des Kampfes wahrhaftig stattgefunden“, bemerkte Ferenc. Er beugte sich nieder. „Animierte Untote? Das muss das Werk eines Schwarzmagiers oder eines Nekromanten sein. Welcher Wahnsinn wurde hier entfesselt?“ Er drehte sich herum und sah, wie die

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Soldaten, die Leichen der 3 Regenten auf einen Tiger luden und sie dort festbanden. „Hier ist noch etwas, Herr“, rief ein zweiter Soldat. Ferenc begab sich zu der Stelle auf die der Mann deutete. Er sah eine schwarze Fackel, die im Boden steckte, ein paar Meter weiter eine Zweite. Nachdem Ferenc anwies den Platz nach weiteren Fackeln abzusuchen, fanden sich mehrere, die alle zusammen ein Pentagramm bildeten. Man hatte diesen Platz offensichtlich gut für einen Hinterhalt vorbereitet. In dem Zentrum des magischen Symbols fanden sich Spuren menschlichen Ursprungs. „Hier hat eine Person gestanden, die die Untoten offensichtlich gesteuert hat“, bemerkte Baradur. „Komm Ferenc, es gibt hier nichts mehr für uns zu tun.“ Er bestieg sein Reittier. Der neue König von Torum schüttelte den Kopf. „Du hast recht. Inzwischen wird der Zauberer oder die Zauberin über alle Berge sein.“ „Es war, wenn man den Spuren glauben schenken kann ein Mann“; erwiderte Baradur. „Die Füße sind zu groß für eine Frau.“ „Ich frage mich, wie er wissen konnte, dass unsere Eltern diesen Weg nehmen würden!“ warf Ferenc ein. „Ich weiß es auch nicht“, erklärte Baradur, „aber ich denke, es wird immer ein Geheimnis bleiben“. "Ein Geheimnis...", dachte Ferenc nachdenklich. Während die Leichen, sofern es möglich war, in Truhen gelegt wurden um sie ins Schloss zu transportieren, stand Ferenc abseits des Geschehens. Er begutachtete Baradur und dessen beneidenswerte Gelassenheit. Und er beschaute den Ort, an dem sie sich befanden. Doch seine Gedanken beschäftigten sich mit etwas anderem, sie wurden allein von zwei Gestalten durchzogen. "Mutter. Vater. Was ist geschehen?" Sie brachen zum Rückweg an. Ferenc trottete dem Trupp hinterher, während Baradur ihn anführte. Als sie ihr Ziel erreichten, wich die alles übergreifende Stille den natürlichen Geräuschen von Vögeln, Menschen und Glockenläuten. "Was sich in einer Nacht alles verändern kann!", sprach Ferenc zu sich selbst. Überrascht nahm er wahr, dass Baradur nun neben ihm stand. Dessen Augen ließen ein

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Blitzen erkennen: "Wie recht du hast. Wart' erst ab, was alles in zwei Nächten passieren kann." Ferenc schaute ihn finster an: "Baradur, was meinst du, ist der Magier von jemandem für seine Tat beauftragt worden?" Ferenc war sich nicht sicher, aber er glaubte, er hätte ein Grinsen über Baradurs Gesicht huschen sehen. Er konnte sich nicht vorstellen, was dies zu bedeuten hatte. Vielleicht war es nur der angespannten Situation geschuldet, schließlich hatte er seine Eltern verloren, dachte Ferenc. Aber das war jetzt auch nicht wichtig. Schließlich war er, ob er wollte oder nicht, ein König. Ein König, der sich um ein Land und ein Volk Gedanken machen müsste. Doch wo sollte er anfangen? Ferenc ging hinauf in das Gemach, dass ihm zur Verfügung gestellt worden war und setzte sich an den Schreibtisch, der vor dem Fenster stand. Selten hatte er in seinem bisherigen Leben an einem Schreibtisch gesessen. Er machte gerade ein paar Notizen mit der Feder, als ein Offizier Rodlaks eintrat: "Euer Hoheit, Prinz Ferenc von Torum, ich bin gekommen um euch eine Mitteilung zu machen. Der König von Rodlak bittet euch mich unverzüglich zu begleiten. Es gibt neue Nachrichten." Ferenc erhob sich, schaute nachdenklich in seinem Gemach umher und überlegte, ob er etwas mitnehmen solle. Da er aber der Meinung war, jederzeit wieder herauf kommen zu können, beendete er seinen Gedanken und folgte dem Offizier nach draußen auf den Gang. Es ging zunächst nach unten in den Hof. Dort wartete überraschenderweise eine Kutsche. "König Baradur erwartet euch in seinem eigenen Schloss.", merkte der Offizier an, der sogleich begriff wie unsinnig seine Aussage war, da ja nun ohnehin alles Baradur gehörte. Sie fuhren eine Weile, bis sie das kleine Schlösschen erreichten, das mitten im Wald lag und in dessen Turmspitze ein helles, rotes Licht brannte. "Was für ein eigenartiger Ort", dachte Ferenc. Er schritt auf das Tor zu. Hinter sich hörte er die Kutsche abfahren. Der Offizier, der neben ihm her ging, musterte ihn und fragte: "Tragt ihr Waffen bei euch, Prinz Ferenc?" "Es ist sehr

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aufmerksam, dass du fragst. Doch ich denke, dein Schwert reicht aus, um mich zu beschützen, falls uns ein Angreifer ereilt.", gab Ferenc zurück. In des Offiziers Stimme lag nun Hohn: "Schreckliche Zeiten sind angebrochen. Wir müssen stets mit dem Schlimmsten rechnen." Das Tor öffnete sich und Baradur empfing Ferenc mit ernster Miene und drei Worten: "Ich bin traurig." Dann ging alles ganz schnell. Baradur geleitete Ferenc in den Salon, dem größten Saal des Hauses. Hier warteten bereits zwanzig bis dreißig von Baradurs treusten Männern. Es bereitete ihnen keinen großen Aufwand den Prinzen und rechtmäßigen König von Torum festzunehmen. Baradur richtete noch einmal seine Stimme an Ferenc: "Ich bin traurig, weil ich dir nichts antun darf. Stattdessen werde ich dich in die Verbannung schicken. Eines versprech ich dir! Wenn wir uns jemals wiedersehen, wird das für einen von uns kein gutes Ende nehmen. Du weißt, wen von uns beiden ich meine?" Er lachte und sah zu, wie Ferenc abgeführt wurde. Sie schleppten ihn in den Keller, in einen geheimen Gang, dessen anderes Ende sie erst Wochen später erreichen würden. In einigen Kilometern Entfernung stand ein junger Mann zwischen den Särgen vierer Blaublüter. Es war Doriel. Er weinte bitterlich. Man sah die Verzweiflung in seinem Gesicht. Es war die Familiengruft der Herrscher von Rodlak, in der er sich befand. Irgendwie machte diese Tatsache alles nur noch schlimmer. Doch Helena hatte ihm versprochen, dass sie die Toten schon morgen überführen würden. "Wir beide werden in aller Früh aufbrechen und vorerst die Geschäfte in Torum führen : und natürlich die Trauerfeier organisieren.", hatte sie gesagt. "Ist das nicht Ferenc' Aufgabe?", hatte Doriel gefragt, doch seine Schwester hatte abgewinkt und gemeint, dass Ferenc andere Dinge zu tun hätte, wichtigere Dinge. Bis jetzt war Doriel nicht klar, was wichtiger hätte sein können als das Heimbringen von Mutter und Vater. Außerdem war Ferenc der Thronfolger. Er konnte doch nicht einfach fernbleiben. Sicherlich würde der Bischof bereits die Krönung

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vorbereiten, dachte er. Er entschloss sich seinen Bruder aufzusuchen. So stieg er die steinerne, breite Treppe empor, die ihn an die Erdoberfläche beförderte. Er merkte unweigerlich, wie lange er sich in der Gruft aufgehalten haben musste, denn es war bereits zwielichtig geworden. Eine Wache mit Fackel stand vor dem Portal der Familiengrabstätte. Bis zum Schloss waren es wenige Meter über den Rasen und dann noch ein Stückchen über die Zufahrt. Doriel bemerkte eine beträchtliche Anzahl von Kutschen, die dort standen. "Ist heute Totentanz?", schoss ihm der wohl unpassendste Gedanke durch den Kopf. Als er das Schloss erreichte, standen eine Hand voll Damen auf der Eingangsempore. Sie unterhielten sich angeregt... "Sie sollen wohl alle dahingegangen sein...", "Aber, dass die Trauerfeier noch heute stattfinden muss, ist mehr als eilig!", "Es heißt, die Veranstaltung diene der Wahrung der Souveränität Rodlaks..." Eine der Damen hielt sich ein Taschentuch vor die Augen. Doriel grüßte im Vorbeigehen und verschwand dann im Schloss. In den Fluren des Erdgeschosses hallte ein sympathisches Flüstern. Es waren die Trauergäste, die alle versuchten, dem Ereignis angemessen, zu schweigen, während sie da standen und warteten. Doriel zog es in den ersten Stock. "Wahrung der Souveränität Rodlaks...", überlegte er. War das der Grund, weshalb sein Bruder nicht mit nach Torum kommen würde? Was genau planten sein Bruder und seine Schwester eigentlich? Und was hatte das mit Rodlak zu tun? Doriel stand vor einem der großen Fenster im Süd: West:Flur. In der Ferne sah er ein rotes Licht, das schwach, aber geduldig aus den Baumkronen heraus strahlte. Er drehte sich um und marschierte zu dem Gemach, in dem sein Bruder Stellung bezogen hatte. Er klopfte an : keine Antwort. Ein zweites Mal hob er die Faust und drosch gegen die Türe. Wieder geschah nichts. Er legte ein Ohr an die Tür. Vielleicht schlief Ferenc, vielleicht arbeitete er an etwas wichtigem. Einen Moment verharrte Doriel vor der Tür. Dann entschloss er sich kehrt zu machen und auf sein Zimmer zu gehen.

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Doriel erwachte mitten in der Nacht. Er hatte unruhig geträumt. Vor seinem geistigen Auge sah er die misshandelten Körper seiner Eltern. Er sah die undurchsichtigen Augen eines alten Mannes, der mystische Worte über seine dünnen Lippen strömen ließ. Er sah seine Halbschwester...sie lachte. Es erschrak ihn so, dass er schweißüberströmt die Decke wegschlug und nach einem Glas Wasser griff. Draußen war Lärm. Wie spät mochte es wohl sein? Er hörte das Schnaufen eines Pferdes. In der Dunkelheit seines Zimmers fühlte er sich klein und allein gelassen. Seine Hand glitt an der Wand entlang und er schlich zu dem offenen Fenster, welches zum Hof zeigte. Der Mond schien über die Zinnen der Burg und beleuchtete die Fassade in einer fremden Art Zwielicht. Unten stand eine Kutsche in den Farben Rodlaks. Doriel sah genau hin und entdeckte, dass die Fenster des Gespanns mit schwarzen Vorhängen verdeckt waren. Ein uniformierter Mann saß auf dem Kutschbock und schien zu auf etwas zu warten. Doriel stand still an seinem Fenster und beobachtete, wie 2 Männer einen Dritten zwischen sich auf den Platz führten. Die Augen des Mannes waren verbunden und seine Hände auf dem Rücken gefesselt. Es war nicht zu glauben...Es war Ferenc. Seine Vernunft besiegte sein Gefühl und kein Laut kam über Doriels Lippen. Ferenc wurde von den beiden Männern in die Kutsche gestoßen und die Tür wurde verschlossen. Dann gab der Soldat den Pferden die peitsche und die Kutsche verließ den Hof und drehte nach Westen, während die Wachen das Burgtor wieder verschlossen. Als sie Beiden sich abwandten öffnete sich eine Seitentür und heraus trat Helena. Sie flüsterte den Soldaten etwas zu und die drei Leute betraten das Haupthaus. Doriel sah sich in seinem Zimmer um. Er griff nach einer Hose, seinem Hemd und zog seine Stiefel an. Aus seinem Nachttisch nahm er einen Dolch und steckte ihn in seinen Gürtel. Fast lautlos trat er auf den Korridor und

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schlich vorbei an einigen Türen zum Zimmer seines Bruders. Er war erstaunt, denn die Tür war nicht verschlossen. "Doriel, du Narr"; sagte er zu sich selbst und betrat den Raum. In dem von Mondlicht erhelltem Zimmer sah alles so aus wie die Tage vorher. Er schritt zu dem Schreibtisch und fand dort den Brief, den sein Bruder am Abend vorher geschrieben hatte. Er las ihn kurz und seine Stimmung wechselte von Angst zu Hass. Dort stand, dass Ferenc dem neuen König von Rodlak misstraute und schon lange vermutete, dass Helena und Baradur irgendetwas ausbrüteten. Wenn ihm etwas passieren sollte, dann müsse Doriel dafür Sorge tragen, dass die Ehre Torums gerettet würde. Der Brief war nicht versiegelt. Offensichtlich war Ferenc überrascht worden. Doriel sah sich im Zimmer um. Das Kettenhemd seines Bruders hing an einem Haken. "Das bekomme ich noch nicht mal gehoben"; seufzte Doriel leise. Dann sah er das königliche Langschwert seines Vaters, welches an einem Waffengurt hängend auf dem Bett lag. Doriel überlegte keine Sekunde. Er hing den Gurt um seine Taille, dann steckte er den Brief unter sein Hemd. Er fand einen Geldbeutel mit torumischen Münzen. Er gehörte Ferenc. Ungefähr zwanzig Goldstücke klimperten darin. Er nahm ihn ebenfalls an sich. Dann schlich er aus dem Zimmer heraus und folgte der Treppe herab, die direkt zur Hofküche führte. Es war still in diesem Teil der Burg. Er nahm eine Fackel von der Wand, öffnete die Küchentür und sah zufrieden, dass niemand anwesend war. Mit extremer Ruhe griff er einen Sack, steckte ein wenig Obst, etwas Dörrfleisch und ein halbes Brot hinein, dann tastete er sich gebückt zu der großen Klappe, an der das Küchenpersonal normalerweise die Abfälle in den Burggraben warf. Er löschte die Fackel in einem Eimer mit Wasser und drehte sich noch einmal um. "Ich komme wieder", dachte er und kletterte hinaus. Er war zwar nicht der Stärkere der beiden Brüder, aber in Geschicklichkeit war er Ferenc immer um Längen voraus gewesen. Mit behänden Griffen bekam er jeden kleinen Vorsprung in den Felsen zu fassen und er

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schaffte es ohne bemerkt zu werden bis auf die Erde zu gelangen. Er orientierte sich kurz an den Sternen und rannte dann im Schutz der Burgmauer entlang, bis zu einer Stelle, die von den nächsten Wachtürmen nur schwer einzusehen war. Jetzt kam es drauf an. Er schaute zum Himmel...Wenn der Wind noch etwas mehr wehte, würde der Mond von einer Wolke verdeckt werden. "Jetzt", dachte er. Er hechtete aus dem Schatten heraus und seine Schritte trugen in schnell in ein nahes Dickicht. Aus dem Unterholz heraus späte er Richtung Burg. Man schien nichts bemerkt zu haben. Er drehte herum und sah Richtung Westen. Dorthin würde sein Weg gehen. Vor der Burg befand sich das Anwesen einiger Bauern. Dort würde er sich ein Pferd besorgen. Er durchdrang das Unterholz und nach einer Weile betrat er einen Stall. Er sattelte ein Pferd, doch als er aufsitzen wollte, vernahm er eine Stimme. "Elender Pferdedieb!" Ein mit einer Mistgabel bewaffneter Bauer stürmte in den Stall .Doriel schaffte es soeben dem Hieb des Mannes auszuweichen, doch er konnte nicht verhindern, dass dieser einen Hilferuf ausstieß. Er riss den Dolch aus seinem Gürtel und ein schneller Schnitt in die Kehle ließ den Bauern für immer verstummen. Er schauderte. Dies war der erste Mensch, den er getötet hatte. Das Blut sprudelte aus der Wunde am Hals und spritze über Doriels rechten Ärmel. Erschrocken und in panischer Angst sprang er auf das Pferd und trieb es aus dem Stall. Vor dem Hof riss er an dem Zügel und wendete das Tier nach Westen. Er hoffte die Kutsche zu erreichen, bevor die Spuren in der Nacht verschwanden. Helena schlief ruhig in den Armen Baradurs „Mein König“, dachte sie als sie erwachte und sie sah ihn an. Sie hatten sich lange geliebt in der Nacht und die Luft war erfüllt von Wärme und dem Schweiß der Beiden. Sie hatte ihm jeden Wunsch erfüllt, den er noch nicht mal ausgesprochen hatte und mit ihren Gaben nicht gegeizt.

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„Mein König!!!“ Es klopfte heftig an der Tür. „Mein König, König Baradur, so öffnet!“ erschall es von draußen. Baradur öffnete die Augen und rief: “Wer stört mich?“ „Holgar, der Offizier der Wache“ klang es zurück. Baradur sprang aus dem Bett. Helena bedeckte die Blößen ihres makellosen Körpers mit einer Decke und kauerte auf dem Bett. Ihr Geliebter öffnete die Tür. Draußen stand ein Mann von ungefähr 35 Jahren. Er trug die Uniformen von Rodlak. „Er ist weg!“, stammelte er. “Prinz Doriel ist entflohen.“ Wie kann das sein?“ fuhr der König ihn an. „Er ist irgendwie aus der Burg entkommen" erwiderte Holgar. Dann erschlug er einen der Bauern und stahl dessen Pferd. Wir wissen noch nicht, wo er hin ist. Die Spuren führen offensichtlich nach Westen. So wie es aussieht hat er nichts von seinen Habseligkeiten mitgenommen. „Nach Westen?“ Baradur grinste. „Gut soll er. Wir werden ihn so oder so finden. Bereitet einen Suchtrupp vor. Lasst Steckbriefe anfertigen. Der Mörder muss gefunden werden. Schreibt auf den Steckbrief:

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Gesucht wird Doriel Kaldor Pferdedieb und Mörder seines Bruders Ferenc Kaldor und einem unbewaffneten Bauern aus unsrer Heimat. Belohnung 2000 Rodlaknische Goldstücke Tot oder Lebendig

„Wobei mir tot allerdings lieber wäre“, dachte er bei sich. Helena rann eine Träne die Wange herab. Sicherlich hatte sie einiges von den Ereignissen mitgeplant und auch für gut befunden, aber Doriel war ihr Zeit seines Lebens ein guter Freund und lieber Halbbruder gewesen. Jetzt da es so aussah, dass sie ihn nie wiedersehen würde, war sie doch etwas traurig. Das war nicht ihre Absicht gewesen. Man hatte ich versprochen, dass Ferenc und Doriel ins Exil geschickt würden. Das der eine jetzt in die Eiswüste gebracht werden sollte, der Andere aber des Mordes angeklagt würde, lag nicht in ihrer Absicht. Sie wusste aber genau, dass es jetzt keinen Sinn machen würde, Baradur reinzureden. Er war der neue König und er würde das Land durch seine Herrschaft einen. Es begann zu regnen. Doriel trieb seinen Gaul durch die Steppe von Rodlak. Er fühlte sich unwohl. Seit Jahrhunderten ritten die Kaldors auf Säbelzahntigern. Jetzt tat ihm nach ein paar Meilen auf einem Pferd so langsam sein Gesäß weh. Trotzdem trieb er sein Reittier weiter an. Es schwitzte unter dem Sattel und er hoffte, dass es durchhalten würde. Er kam nach ungefähr einer Stunde an eine Wegkreuzung. Er stieg ab und suchte den Boden ab. Leider war er nicht der große Spurenleser, wie sein Bruder, dennoch glaubte er zu sehen, dass die Spur an dieser Stelle weiter geradeaus führte. Er biss in einen Apfel und blickte gen Himmel. Eine Stunde vielleicht noch, dann würde es hell werden. Doriel raffte sich auf. Die panikartige

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Flucht hatte ihn müde gemacht und die Gedanken an den blutenden Mann machte sein Herz schwer. Er blickte an sich herab. Er war schmutzig, stank und die Ärmel seines Hemdes waren blutig rot. Doriel aß den Rest des Apfels und begutachtete sein Pferd. Es sah erschöpft aus. Er stieg in den Sattel und ritt geradeaus die Straße entlang. Einige Meilen weiter sah er einen Planwagen vor sich, der langsam den Weg entlang rollte. Als er näher kam bemerkte er das Ochsengespann, welches ihn zog. Auf dem Kutschbock saß ein Mann um die vierzig Jahre alt, schätzte Doriel. "Hey da", rief er, "Habt ihr vielleicht eine Kutsche gesehen, die diesen Weg folgte?" Der Mann sah ihn an. "Nein, ich komme von dem Norden und bereise erst seit ein paar Meilen den Weg nach Westen", erwiderte er. "Aber ihr seht müde aus und euer Pferd hat bestimmt schon bessere Zeiten gesehen. Kann ich euch eventuell etwas anbieten?" "Ihr seid ein Händler?" fragte Doriel. "Ja", sprach der Mann. "Mein Name ist Rego, ich habe alles was ihr wollt, aber ebenso führe ich das, was ihr nicht wollt." Doriel sah ihn an. "Ich benötige etwas anderes um Anziehen, vielleicht einen Mantel, dann einen Wasserschlauch und wenn es geht eine andere, einfachere Schwertscheide. Ich tausche diese reich Verzierte dagegen." Rego grinste. "Also, so wie ich das sehe, reitet ihr in einem blutüberströmten Hemd ohne Hab und Gut auf einem Pferd, welches das Brandzeichen des Königs von Rodlak trägt nachts alleine auf der Straße und braucht eine Schwertscheide im Tausch gegen diese unendlich Kostbare. Ich will gar nicht wissen, woher ihr sie habt, aber ihr solltet euch meines Risiko bewusst sein, wenn ich diese in meinem

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Wagen transportiere. Das wird euch sicher einiges mehr kosten als nur diese Scheide." "Und ihr solltet euch fragen, wieso mein Hemd blutüberströmt ist, und ob ihr es riskieren könnt mir mein Angebot abzuschlagen"; knurrte Doriel zurück. " Er zog rasch seine Waffe und hielt sie dem Kutscher an die Kehle. Dieser wollte gerade unter seinem Sitz eine gespannte Repetierarmbrust hervorziehen, als die Klinge von Doriels Schwert mit der flachen Seite auf seinen Schädel donnerte. Bewusstlos fiel der Händler von seinem Sitz. Rasch stieg Doriel ab, und zog Rego seine Sachen aus. Er entkleidete sich selbst und tauschte die Kleider mit dem armen Kerl. Er hing ihm auch den Waffengurt seines Bruders um. Dann band er ihn aufrecht auf das Pferd und trieb es in den Wald hinein. Er lächelte als er die Händlerkleidung anlegte. Er rieb sich etwas Straßendreck durch sein Gesicht und betrachtete den Inhalt des Wagens. Zufrieden mit der Tatsache, dass er damit einige Zeit überleben könne trieb er die beiden Ochsen an und folgte weiter der Straße nach Westen. Der Regen wurde jetzt stärker und die beiden Tiere hatten Mühe das schwere Gespann durch den tiefer werdenden Matsch zu ziehen. Nach einer Stunde, es war inzwischen schon hell, kam er wieder an eine Kreuzung. Diesmal verloren sich die Spuren des Gefangenentransportes in dem Morast und den Pfützen, die sich hier gebildet hatten. Doriel fluchte. Er hatte eine Chance von ein zu drei, und er wählte den Weg nach Süden. Langsam trottete der Ochsenkarren seines Weges. Er zog sich einen Hut, den er im Inneren des Wagens gefunden hatte über den Kopf und legte sich einen Mantel um die Schultern. In Gedanken summte er ein uraltes torumisches Volkslied. Er blickte nach vorne und seine Gedanken umkreisten seine Familie, seine toten Eltern, den Bruder und auch seine Halbschwester. Er würde sie eines Tages finden und dann käme der Zeitpunkt seiner Rache. Er würde sie und ihren geliebten Baradur töten, das stand für ihn fest. Aber erst musste er seinen Bruder finden. Die Ochsen brummten und zogen den Wagen nach

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Süden. Erst Wochen später würde er merken, dass er sich für die falsche Richtung entschieden hatte.

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Prinz Baradur und seine Geliebte begutachteten den Thronsaal. Hier sollte in wenigen Stunden die Geschichte von Rodlak und Torum neu geschrieben werden. Die Balustraden waren in den grün:schwarzen Farben Rodlaks geschmückt. Die Minister des Königs sollten in den ersten Reihen positioniert werden, während der restliche Hofstaat links und rechts der Gänge gesetzt werden sollte. Helena trug die roten Kleider Torums und konzentrierte sich bestürzt zu wirken. Der Hauptmann der Wache betrat den Raum. „Prinz Baradur“, da ist ein Mann, der euch zu sprechen wünscht. "Er hat sich als Milan vorgestellt.“ „Ausgezeichnet“, erwiderte Baradur, „Lasst ihn zu mir“. Er drehte sich um zu Helena:“ Dieser Mann wird mich zu König und dich zu meiner Frau machen. Er dient mir seit langem und ich bin ihm zu Dank verpflichtet. Ich habe ihm versprochen, wenn die Zeit gekommen ist, wird er einen Posten in meinem Reiche erhalten, der seiner würdig ist“. Helena schaute zur Tür. Noch bevor sie jemanden sah nahm sie einen Geruch war, der lieblich duftet. Veilchen, Jasmin und andere gut riechende Kräuter lagen in der Luft. Dann trat ein Mann herein, der in eine graue Robe gehüllt war. Mit schnellen Schritten bewegte er sich auf Baradur zu und nahm die Kapuze ab. Nun verstand sie, wieso man ihn Milan nannte. Unter dem glatzköpfigen Haupt des Mannes befanden sich zwei stahlblaue Augen, welche wie die eines Raubvogels, der seine Beute beobachtete eine hohe Aufmerksamkeit und eine eisige Kälte ausstrahlten. Seine Hakennase und ein Kinnbart ließen das Antlitz noch dämonischer erscheinen. Helena fror. Unter der Robe trug der Mann anscheinend eine Art Schärpe, unter der eine rote Tätowierung schimmerte, dessen Aussehen nicht erkennbar war. Der Mann lehnte auf einem langen Stab an dessen einen Ende sich ein ausgekochter Ziegenkopf befand und an dem Federn und kleine Knochen hingen.

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„König Baradur“, erhob der Mann seine Stimme. „Der Tag könnte für diese Zeremonie nicht schöner sein“ Helena blickte aus dem Fenster. Es regnete in Strömen. „Seltsam, dieser Fremde ist kein bisschen nass. Nicht einmal seine Stiefel sehen aus, als wenn er durch den Schlamm im Hof gewatet wäre. Also entweder weiß er sich vor Nässe zu schützen durch geheime Zauberei, oder“ Sie erschrak> „oder er war immer schon in der Festung gewesen.“ Baradur erwiderte dem Mann, dass er noch nicht König sei. Auch er müsse sich in Geduld üben. „So lasst uns noch einen Trunk einnehmen und ein wenig von dem Spanferkel verzehren, welches heute Morgen frisch zubereitet wurde. Die Beiden gingen Arm in Arm aus dem Thronsaal. „Geliebte, kommst du?“. Fragte Baradur. Und Helena schritt hinter den Beiden her, nicht wissen, was sie davon halten sollte. Eine Stunde später saßen ungefähr 15 Männer und Frauen in dem hell erleuchteten Thronsaal. Baradur und Helena standen etwas erhöht neben dem Thron, dazwischen befand sich Milan. Unter den Gästen war ein Gemurmel zu hören. In der ersten Reihe waren unter anderem Thalion, der Hofmagier, sowie Xerdas, seines Zeichens Kriegsminister zu finden. Die anderen Ratsherren und Damen befanden sich weiter hinten. Die Turmuhr schlug exakt Mittag, als Milan seine Stimme erhob: „Bürger und Adlige von Rodlak, wir sind hier versammelt, weil Schreckliches geschehen ist, doch auch weil die Zukunft eine freudige Wende in unserem Land bringen wird. Aus der Asche der Toten wird neues Leben entstehen und neue Bündnisse werden uns zu einem Land heranwachsen lassen, in dem alles möglich zu sein scheint. Wie die meisten wissen, sind die Könige von Rodlak und Torum einem hinterhältigen Attentat zum Opfer gefallen, was uns allesamt

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sehr traurig macht. Die Kunde des Todes wird derzeit von unseren Boten im ganzen Land verteilt. Auch werden die Boten berichten, dass vergangene Nacht Ferenc Kaldor, Thronerbe von Torum durch das Schwert seines Bruders hingerichtet wurde. Wir haben ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt in der Hoffnung den Mörder schnell gefangen zu nehmen und zu richten. In diesem Moment liegt unsere Trauer ganz bei seiner Schwester Helena, die einen geliebten Bruder verloren hat.“ Die Massen sahen Helena an, die ihren Kopf gesenkt hielt. Milan fuhr fort. „Aber! Es gibt dadurch eine neue Situation und eine Gelegenheit, die wir einfach fassen müssen.“ Er drehte sich nach rechts. „Baradur tretet vor!“, sprach er und kniet nieder. Der Prinz tat, wie ihm geheißen. „Baradur von Rodlak, durch die Macht, die mir durch die alten Götter verliehen wurde ernenne ich euch hiermit zum König von Rodlak, Möget ihr weise und gerecht euer Volk regieren.“ Baradur erhob sich: „Habt Dank Milan. In dieser schwersten Stunde empfinde ich es als eine große Ehre hier zu stehen. Doch ihr habt recht mit dem was ihr sagtet und ich werde die Chance zum Neubeginn nutzen. Ich werde in aller Achtung ihrer verstorbenen Familie von heute an vermählt sein mit Helena von Torum und durch diese unsere Hochzeit wird eine Allianz erwachen beider Länder, welches den Frieden und das Recht bringen wird. Dieses neue Land wird den Namen Aldeana tragen, so wie es in alten Erzählungen unserer Ahnen schon getan wurde. Und damit nicht genug. An unserer Seite wird Milan regieren und er wird die Position des ersten Magiers am Hofe einnehmen.“

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Blankes Entsetzen war auf den Gesichtern der meisten Gäste zu sehen. Thalion, der Hofmagier stand auf und rief: „ Das ist Blasphemie, wir kennen diesen Mann noch nicht einmal.“ „Dafür kenne ich euch, Thalion, und ich hoffe auf gute Zusammenarbeit.“ „Niemals“, schrie Thalion und hob an seinen Stab zu schwingen, doch zu spät. Mit ein bis zwei schnellen Schritten trat Milan an ihn heran und umfasste sein Handgelenk „Artrax senifas myrkos“ murmelte er und die Menschen in dem Saale hörten Thalion aufschreien. Milan wiederholte die magischen Sätze und drückte fester zu. Aus dem Handgelenk begann sich Qualm auszubreiten und Thalion schrie immer lauter, Er hatte längst den Stab fallengelassen und er wurde bleich im Gesicht. Während Milan die Formel erneut aussprach schloss er die Augen und fiel um. Milan ließ ihn los und zum Entsetzen der herumstehenden Leute behielt er die Hand fest im Griff. Es sah förmlich so aus, als hätte er das Gelenk wie eine Frucht ausgepresst. „Damit ist wohl dir Rangreihenfolge hier bei Hofe geklärt“, sagte er und ging zurück zu dem neuen Königspaar. Baradur lächelte. Er sah auf Helena herab, die verwirrt dreinschaute. „Meine Damen und Herren, beruhigen sie sich“, sprach er und hob beide Hände. „Thalion hat unseren Hofmagier provoziert und hat für dieses Verbrechen bezahlt. Wie anderen wollen uns jetzt besonnen verhalten. Nicht, das es noch zu mehr Streit zwischen uns kommt. Außerdem soll trotz der Trauer über den Verlust meiner und Helenas Eltern heute gefeiert werden. Lasst die Fässer mit Bier hereinrollen und tafelt die Speisen auf. Holt die Spielleute und seid ausgelassen. Meine Damen und Herren Minister, ich werde euch morgen empfangen und dann werden wir weiter besprechen, wie wir das neue vereinigte Königreich zusammen leiten können.

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Die Tür sprang auf und herein wurden Tafeln mit Fleisch, Kartoffeln und Salaten gebracht. Wein und Bierfässer wurden herein gerollt. Eine Gruppe von Musikern betrat ebenso den Raum und spielte fröhliche Weisen aus dem Land Rodlak. Baradur grinste zufrieden und er deutete seiner Frau an sich zurück zu ziehen. Milan sah den beiden nach, als die durch ein Seitenportal den Raum verließen. „Was war denn das für eine Vorstellung?“, fragte Helena, als sie alleine waren. „Kannst du das nicht verstehen, Schatz? antworte Baradur. „Es ist zu unser Aller Besten. Ich habe Milan beauftragt, dafür zu sorgen, dass ich mein Versprechen, welches ich dir vor langer Zeit gab einhalten zu können. Er war es, der deinen Zieheltern und auch den Meinen aufgelauert hat. Seine Zauber sind so mächtig, dass niemand ihn aufhalten kann.“ „Und wer garantiert dir für unsere Sicherheit?“ Sie wurde lauter. „Wer garantiert dir, dass diese tollen Zauber nicht eines Tages unser Ende sind?“ „Thalion“ erwiderte Baradur. „Ich glaube mein lieber Mann, du bist nicht ganz auf dem Laufenden. Thalion ist tot, Gefallen durch die Hand des Mannes, dem du so vertraust.“ „Liebste, was er nicht weiß, sowohl über unseren Privatgemächern, als auch über fast alle strategischen Orten dieser Festung liegt ein Schutzzauber. In diesen Räumen ist das Wirken jeglicher Art von Magie unmöglich. Thalion hat das damals für meine Eltern eingerichtet. Milan weiß davon nichts. Dieser Zauber wurde von den acht besten Magiern des gesamten Landes ausgesprochen und sie brauchten dafür zwei Wochen. Milan wird nicht in der Lage sein diesen zu brechen. Sei also beruhigt und lass uns ins Schlafzimmer gehen.“„Manchmal weiß ich nicht, was ich mehr an dir liebe“; sprach

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sie. „Deine Ausgekochtheit oder deine Männlichkeit.“„Was die betrifft, so werde ich dich gerne überzeugen, dass ich darin der Beste bin“, antwortete er und küsste sie. Dann gingen sie Arm in Arm den Gang herab. Einige Meter weiter im Trubel der Hochzeitsfeier stand ein Mann in einer grauen Robe und zog die Kapuze herab. „Thalion>soso“, dachte er. Er hat alles versiegelt, aber nicht die Korridore anscheinend. Ich werde mich sofort daran machen einen Gegenzauber zu finden. Warte ab Baradur, meine Zeit wird kommen, dann, wenn du nicht damit rechnest. Und dann werde ich mir das holen, was ich am meisten begehre>“

„Helena“

Ende des 1. Buches

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Der Winter kam früh in diesem Jahr und die Menschen fluchten vor sich hin, da die Ernte wohl kaum für alle im Lande reichen würde. In Bergen, einer Hafenstadt im Süden bereiteten sich die Menschen auf die zu erwartende Kälte vor. Es wurde Heu verteilt und die Vorratskammern wurden mit Pökelfleisch gefüllt. Mitten auf dem großen Marktplatz stand ein großer Wagen, auf dessen Kutschbock ein junger Mann mit einem Vollbart saß. Die Kinder kannten ihn schon, den jeden Freitag fuhr er in die Straßen von Bergen ein um seine wunderbaren Waren zu verkaufen. Da gab es Spielzeug aus Sarmin und edle Felle von Hirschen aus dem „Dunkelwald“. Schmuck aus den Gebirgen im Norden und einmal hatte er sogar ein Eisbärfell aus den Eiswüsten Gelatars dabei. Woher der junge Mann seine Waren her bezog, war den Leuten ebenso egal, wie die Tatsache, dass er sie weit unter dem üblichen Preis verkaufte. Nachdem er auch heute einige Kinderherzen höher schlagen ließ und ihre Augen zum Leuchten brachte, fuhr er langsam Richtung Osten aus der Stadt. Er summte dabei leise immer und immer wieder die gleiche Melodie und wer genau hinhörte der konnte ein altes torumisches Volkslied wieder erkennen. Die älteren Männer konnten sich vielleicht vage daran erinnern, denn nachdem der neue König Baradur gekrönt wurde, vereinte er die beiden Länder Rodlak und Torum zu einem Land, in dem er alleine herrschen konnte und nannte es seit diesem Tag „Aldeana“. Den Händler schien es nicht zu interessieren, wenn man ihn nach Baradur und dem neuen Reich befragt, gab er zur Antwort, dass solange er seine Waren verkaufen könne, es ihm recht egal sei, wer denn im Land regierte. So verließ er am späten Nachmittag Bergen Richtung Osten. Als er vielleicht fünf Kilometer hinter der Stadt seine Pferde zum halten bewegte und auf den Fingern pfiff, tauchten aus dem Wald, er die Straße umgab eine Handvoll Gestalten aus. Der erste Mann war ungefähr 1,95 Meter groß, hatte eine lange

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Narbe über seinem rechten Auge und trug ein Schwert an seinem Gürtel. Er trat an die Kutsche heran. „Seid gegrüßt Doriel, was können wir heute für euch tun?“. Der Angesprochene warf dem Hünen einen Sack zu, in dem einige Münzen klimperten und sagte zu ihm: “Höre Franklin, wir brauchen mehr Felle. Jagt was ihr könnt. Die Menschen werden frieren und sie werden uns die Felle aus den Händen reißen. Scheut euch auch nicht, weiter im Norden zu jagen und achtet besonders auf die Reviere des Königs.“ Er spuckte auf den Boden und Franklin lachte darauf hin. „Irgendwas Neues aus dem Norden?“, fragte Doriel ihn. „Es gibt Gerüchte von einem starken, dunkelhäutigen Mannes, den der König in die Eiswüste hat schaffen lassen. Nahe der Stadt Alrista schuftet er in einer Mine als Gefangener. Von der Beschreibung, die am mir gab, könnte es der Mann sein, den ihr sucht.“ „Dann werden wir nach Alrista reisen“ verkündete der Händler mit einer erstarkten Stimme. Er grübelte. Zu seiner Jugend war dieses kleine Städtchen auf Torumer Gebiet gewesen. Von der Lage her ein vorzüglicher Ausgangspunkt um seine Bande um ein paar Männer zu erweitern. „Frauen“, dachte er, „wir brauchen Frauen in unserer Gruppe. Ich bin die faden Braten, die uns Hendryk serviert endgültig satt. Und ich meine auch, dass man in einer Stadt, in der die meisten Männer alleine sind, so wie in Alrista als Frau einige Informationen mehr heraus bekommen könnte. Doch woher nehmen?“ „Franklyn“, befahl er. Als erstes werden wir nach Welmot weiter reisen. Wenn ihr eure Jagd beendet habt, so trefft mich am kommenden Mittwoch um die Mittagszeit im „Goldnen Drachen“.

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„Verstanden Boss“ Franklyn und die Anderen zogen sich auf dessen Signal in den Wald zurück und Doriel setzte seine Kutsche in Bewegung. Er hatte 2 Monate gebraucht um diese Truppe aus Banditen und Herumtreibern zu finden. Sie waren im Ganzen zu siebt und Doriel wusste, dass man mehr brauchen würde, um den Plan umzusetzen, den er sich erdacht hatte. Erst galt es Ferenc zu finden. Dann wollte er versuchen ihn zu befreien. Wie er das schaffen sollte war im zwar ein Rätsel, aber er war guter Dinge bis Alrista mehr Leute unter sich zu haben. Er dachte an den Hafen von Welmot und an Julia, einer Prostituierten, die ihn vor 4 Monaten versteckt hatte, als er auf der Flucht vor Baradurs Schergen eine Unterkunft suchte. Er bezahlte sie damals mit den Waren, die er dem fahrenden Händler abgenommen hatte und langsam begann er sich zu verändern. Sein Bart wuchs schnell und seine Hände wurden durch eiserne Übungen stärker, denn je. Sein Hass auf Baradur wurde nur durch eines übertroffen, den Hass auf Helena, dieser Hure von einer Halbschwester. Sie steckte mit Sicherheit hinter den abscheulichen Ereignissen, die damals stattgefunden hatten. Aber er schwor sich, dass der Stahl seiner Rache eines Tages ihr Herz finden würde. Nachdem Baradur sich hatte krönen lassen und er mit Helena vermählt wurde, bestanden seine ersten Handlungen darin die torumischen Bauern zu enteignen und in die Leibeigenschaft zu versetzen. Die Steuern wurden drastisch erhöht und das Volk wurde durch seine Wachen eingeschüchtert. Die wenigsten waren bereit Widerstand zu leisten, aber er hoffte in den Gassen der Hafenstädte einige Mitverschwörer für sein Unterfangen zu finden. Gesetzlose und Banditen>das würden die Soldaten seiner Armee sein. Vergeltung und Rachsucht ihre Waffen. Die Bezahlung der Meute wurde finanziert über die Diebstähle des königlichen Wildes und kleinerer Überfälle auf neureiche Staatsdiener. Und noch etwas bewegte ihn.

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Er hatte von einem wilden Volk im Norden des Landes gehört, die sich selbst Vlk nannten. Diese Wolfsmenschen wären eine ideale Ergänzung zu seiner undisziplinierten Truppe. Er beschloss, nachdem er Welmot besucht hatte sich dort hin aufzumachen, wo er glaubte sie zu finden. Wieder summte er diese Melodie und seine Kutsche rollte langsam auf den Abend zu. In der Nacht begann es zu schneien. Doriel zog seine Decke tief in sein Gesicht und versuchte zu schlafen. Er hatte sein Lage unweit der Straße nach Welmot aufgeschlagen und nachdem er sich einen Hasen geschossen und gebraten hatte verspürte er eine gewisse Müdigkeit in sich aufkommen. Er dachte an Julia und wie es sein wird, wenn er wieder in ihrem Bette liegen würde. Dieser Gedanke gefiel ihm außerordentlich gut. Draußen pfiff der Wind um seine Kutsche und er hörte von der Ferne Wölfe heulen. Er blickte von seiner Schlafstelle herab und stellte zufrieden fest, dass das Feuer noch brannte. Aus dem Wagen heraus blickte er in die Sträucher ringsumher und er erschrak. Er sah zwei funkelnde Augen in der Dunkelheit und dann hörte er ein Grollen, wie von einem Bären. Dort wo das Geräusch herkam teilte sich das Gestrüpp und heraus kam ein Tier, einem Wolf ähnlich aber knapp einen halben Meter größer. Die Bestie bewegte sich langsam auf den Wagen zu. Doriel sprang auf und hechtete zu dem Kutschbock zu. Er nahm die Zügel in die Hand und ließ die Peitsche knallen. Die Pferde bäumten sich kurz auf und verfielen in einen Galopp. Mit der rechten Hand griff Doriel nach der Repetier:Armbrust und ließ einen Bolzen frei. Er traf das Tier genau zwischen die Augen, aber anstatt tot umzufallen, wurde es noch viel aggressiver und beschleunigte seine Schritte. Der zweite Bolzen verfehlte und so suchte Doriel sein Glück in der Flucht. Die Pferde galoppierten durch die dunkle Nacht und der, der sie antrieb versuchte seine Armbrust neu zu spannen, während er mit einer Hand die Zügel fest

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umklammert hielt. Er sah ein Reh am Waldesrand steht und kurzentschlossen visierte er es an. Der Bolzen traf und das Reh fiel tot zu Boden. Er hatte erreicht, was er wollte. Das Untier stoppte und begann das tote Reh anzufressen. Doriel legte die Armbrust weg und nahm wieder die Peitsche in seine Hand. "Was war denn das?", dachte er bei sich. Er hielt nicht mehr an und erreichte so einige Stunden später die Tore von Welmot. Die beiden Torwachen sahen ihn von weitem kommen und da sie ihn kannten, öffneten sie das Tor. "Hereinspaziert, junger Mann", sagte der eine Posten. Doriel sprang ab und berichtete den Beiden in knappen Worten, was ihm widerfahren war. Sie schüttelten die Köpfe...nein so ein Tier hätten sie noch nie gesehen, aber sie versprachen eine Patrouille auszusenden, um dem nach zu gehen. Doriel brachte seinen Wagen zu einem Stall und begab sich zum Hafenviertel. Es dauerte nicht lange, da sah er Julia an einem Haus gelehnt stehen und sich mit einem Mann, offensichtlich mit einem Freier, unterhalten. Er trat hinzu und hörte, wie sie um den Preis feilschten. Er grinste: "Egal, was der Herr zahlen vermag, Ich zahle das Doppelte". Sie blickte erst ihn an und dann ihren Freier. "Tja guter Mann, ihr habt es gehört, ich werde mit diesem Herren mitgehen". Er nahm sie in den Arm und beide verließen den Platz. "Wohnst du immer noch in dem kleinen Zimmer?", fragte er sie und sie nickte. Sie erreichten nach einigen Minuten ein Haus, dessen Vorhänge zugezogen waren. Durch die Hintertür schlichen sie hinein und nahmen eine Treppe zum 1. Stock. Oben angekommen gingen sie einen schmalen Korridor entlang und sie schloss eine Tür auf. Der Raum war klein aber sauber. Es befand sich ein großes Bett darin und an einem Tisch standen zwei Stühle. Auf dem Tisch war eine Waschschüssel und außerdem stand noch ein Kleiderschrank in dem Zimmer. Doriel legte sich aufs Bett und deutete ihr an sich zu ihm zu legen. Sie lächelte ihn an: " Erst das Geld, dann der Lohn!". Er sprang

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auf, griff ihr rechtes Handgelenk und zog sie einfach zu sich. Sie küssten sich beide lange und dann versanken sie in den Kissen. Nachdem sie einander alles gegeben hatten sprach er:" Ich werde den Süden verlassen und mich nach Norden begeben, um meinen Bruder zu finden. Ich brauche eine Frau an meiner Seite. Ich bitte dich mit zu kommen.“ Sie erwiderte, dass sie in diesen Zeiten auf das Geld der Freier angewiesen sei und deswegen nicht mitgehen konnte. Er versicherte ihr, dass es im Norden auch zahlungswillige Herren geben würde und außerdem könne sie bei ihm und seinen Weggefährten umsonst wohnen ohne ihren Körper andauernd verkaufen zu müssen. "Wenn alles so klappt, wie ich es mir denke", sagte er, "dann werden wir in ein paar Monaten so viel Gold haben, dass du dir jeden Tag ein neues Kleid kaufen kannst. Außerdem werde ich dafür sorgen, dass wieder Frieden und Ruhe in dieses Land einkehrt. Julia, vertrau mir! Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich dir sagen, wer ich wirklich bin und wieso ich nach Norden ziehe. Aber du musst mir schon vertrauen". "Das tue ich Doriel und ich werde mit dir gehen, solange du mir garantierst, dass deine "Weggefährten" nicht bei der ersten Gelegenheit über mich herfallen!". "Versprochen", versicherte er ihr und küsste sie. Bis Mittwoch werden wir noch hier bleiben. Ich benötige noch Ausrüstung und dann treffen wir uns mit Franklyn und den Anderen. Gemeinsam werden wir dann aufbrechen. Bis dahin hätte ich gerne, dass niemand weiß, dass ich hier bin. Du könntest für mich einige Einkäufe erledigen. Ich stelle dir morgen eine Liste zusammen. Doch nun lass uns schlafen." Er küsste sie noch einmal und sie schliefen ein. Eine Stunde später erwachte er schweißgebadet. Sie saß aufrecht auf dem Bett und sah ihn an. "Du hast geträumt", stellte sie fest. "Ja", er rieb seine Brust, "Immer und immer wieder derselbe Traum. Ich sehe meine Eltern...ich sehe sie sterben...und ich sehe einen Mann in grauen Roben, wie er eine Horde von Monstern befehligt...Ich kenne sein Gesicht nicht, aber ich sehe es jede Nacht vor mir und sollte ich ihm einmal

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begegnen wird das sein unwiderrufliches Ende sein , so wahr ich Doriel G.... Er schluckte...so wahr ich Doriel heiĂ&#x;e. So nun schlaf meine Liebe, wir brauchen auf unserer Reise viel Kraft.

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Früh am Morgen im Halbdunkel machte sich ein Mann auf einen beschwerlichen Weg, wohl den schwersten Weg, den er Zeit seines Lebens gehen würde. Trotz der bitterkalten Nässe und des harten Windes, der die Gelenke gefrieren ließ, trug er kein Schuhwerk und auch kein Cape(besseres Wort??). Die Türe seines Hauses ließ er offen stehen, ging schwermütig stapfend seines Weges. Er schaute nicht zurück, schaute nicht nach seiner Frau, die er heulend und am Boden kniend zurückgelassen hatte. Er war nicht bei Sinnen, nicht bei klarem Kopfe, er dachte nicht nach, er trauerte und hasste nur. Sein Gewicht drückte seine Füße tief in den Morast. Manchmal riss es ihn fast zu Boden, wenn er seine Beine ruckartig aus dem Schlamm befreien musste. Kilometer um Kilometer schleppte er sich vorwärts, stets nach Luft ringend. Eigentlich besaß er gar nicht mehr die Kraft um diesen Weg zu gehen, nicht einmal, wenn das schwere Gepäck nicht wäre, das er trug. Dürr war er, so dürr, dass man ihm aus der Ferne nicht ansehen würde, dass er ein gestandener Mann war, gar der Müller dieses Landstrichs. Nach sechseinhalb:tausend Metern dann erreichte er sein Ziel. Ein kleines Wäldchen am Rande eines großen Sees. Dort, wo sie früher Fisch in unvorstellbaren Mengen aus dem Wasser geholt hatten und jetzt nur noch leblose Stille herrschte. Das Wasser brachte nichts mehr hervor außer Kröten und Krankheit. Und auch in den Bäumen war kein Leben mehr zu Haus. Und so war es denn auch still an diesem Morgen. Der Müller stand einem buckligen Mann gegenüber. Sie schauten sich in ihre leeren Gesichter, ihre Augen getrübt, die Haut rissig und faltig. Sie waren beide nicht alt, aber vom Hunger gezeichnet. „Es ist in der Nacht geschehen. Es war hoffnungslos>“, sagte der Müller, während er bitterlich weinte. Er hielt sein totes Kind in Händen. Ein kleines, klappriges, in Tuch gehülltes Etwas, das einmal sein 12jähriger Sohn gewesen war. Schluchzend ging er in die Knie.

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„Er ist das siebzigste diese Woche.“, sagte der Totengräber kopfschüttelnd und bedauernd. Er hatte eine leise, krächzende Stimme. Während der Müller sich von seinem Kind verabschiedete, griff der Totengräber nach einer Schnur in seiner Tasche, mit der er das Kind grob vermaß, um sich dann daran zu machen, eine passende Grube auszuheben. Über dem Friedhof lag der Gestank von totem, verwesendem Menschenfleisch. Das lag nicht daran, dass der Totengräber und seine Söhne, und deren hatte er zahlreich, mit dem Vergraben der Leichen nicht hinterhergekommen wären, sondern es fand seinen Ursprung vielmehr darin, dass man einem Verräter nur zu gern das Erdreich entsagte. Es handelte sich hierbei um den Mann, der das Amt des Jägers inne gehabt hatte und der zu Lebzeiten einer der vermögendsten und einflussreichsten Männer der Ländereien rund um Sorbés gewesen war. Ein Mann, der immer einen Taler für die Kinder im Dorf übrig hatte und dem die Menschen vertraut hatten. Nachdem Baradur die Macht über Torum und Rodlak an sich gerissen hatte, zunächst das eine Land ausbluten ließ, und als das nicht reichte, auch das andere ausbeutete, um seinen persönlichen Reichtum zu mehren und seiner Habgier gerecht zu werden, veränderte das auch einige Menschen im Volk. Die schweren Zeiten befreiten den Jäger von seiner Maskerade und ließen die Menschen sein wahres Antlitz erkennen. Ehrgeizig schoss er all das Wildtier, das es in Sorbés gab, letztlich sogar das Vieh auf den Äckern, und lieferte es dem begierigen König aus. Für die Menschen hier blieb nichts, nichts was man hätte essen oder verarbeiten können. Der Jäger aber wähnte sich im Triumph, glaubte, er könne noch eine große Rolle im Reiche Baradurs spielen. Doch bei all dem Schwelgen in schönen Träumen, hatte er übersehen, wie sich eine Armada von Rachsüchtigen unter seinen Freunden und Nachbarn zusammentat. Eines frühen Abends, als er ums Haus ging um die Fensterläden zu schließen, waren sie ihm aufgelauert, haben ihn gepackt und ihm den

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Wanz aufgeschnitten. Bis zum heutigen Tage lag sein Kadaver in dem Holzkarren, mit dem sie ihn zum Friedhof bugsiert hatten. Sein Leichnam war es, der für diesen ätzenden Geruch sorgte, der einem die Nasenhaare versenkte. Nicht viele hatten diesen Winter überlebt. Es war ein harter Winter gewesen, ein ungerechter Winter. Bereits der zweite Winter unter der Herrschaft Baradurs und Helenas. Trotz des frühen Frühjahranbruchs und der stabilen Temperaturen, zeigten die Felder im Land einzig Ödnis. Denn da wo kein Korn liegt im Sand, da kann auch nichts wachsen. Die Menschen kauten den staubigen Sand oder aßen ihr eigenes Haar, um ihren Hunger zu stillen. Wasser war das einzige, was sie noch am Leben hielt. Wasser hatten sie in Hülle und Fülle, doch es bürgte Gefahren. Viele wurden krank und starben an den Folgen der Beutelpest oder anderer Seuchen. Diese Befürchtung teilten Baradur und Helena nicht. Das Wasser, das ihnen aufgetischt wurde, kam aus einer abgeschirmten und durch Wachen gesicherten Quelle nahe der Eisminen im Norden des Landes. Das kristallklare Wasser, das aus dieser Quelle sprudelte, wurde stets nachts in Fässern abgefüllt und in die Festung des Königspaars geliefert, sodass diese am Morgen eines jeden Tages über frisches Quellwasser verfügten. Es war ein ungeheurer Aufwand den Transport dieser Lieferungen zu sichern. Ein Trupp von dreißig Mann musste den Wagen begleiten. Das war eine Vorschrift, die Baradur befohlen hatte. Sie galt für alle Lieferungen, die das Königshaus betrafen. Anlass war die Hungersnot, die unter der Bevölkerung herrschte. Einmal hatte dieser Hunger, die Männer eines Dorfes dazu bewegen können, einen fünf Wagen umfassenden Apfeltransport anzuhalten, weil sie der Meinung waren, dass das Königspaar keine 1500 Äpfel essen könne. Sie bedienten sich an dem Obst und aßen sich satt. Doch was sie am nächsten Tag erlebten, hatten sie nicht einmal in ihren schrecklichsten Albträumen gesehen. Baradur schickte ein ganzes Bataillon seiner Krieger in das Dorf. Sie hatten den Befehl,

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alle Kinder des Dorfes bei lebendigem Leibe zu verbrennen und allen Männern des Dorfes die rechte Hand abzuhacken. Viele Dorfbewohner wehrten sich und starben im Gefecht. Die, die am Ende des Tages noch am Leben waren, sprangen meist selbst in den Scheiterhaufen um ihre Qualen nicht länger ertragen zu müssen. Helena und Baradur hatten dabei ihre Freude. Immer öfter planten sie nun ihre Feldzüge gegen das eigene Volk, um dieses im Zaum zu halten. Anfangs hatten sie dieses Ressort Milan überlassen, doch jetzt hatten auch sie eine Leidenschaft für das Verbreiten von Angst und Schrecken entdeckt.

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Am nächsten Tag wurde es gar nicht richtig hell. Doriel wusch sich in der kleinen Schüssel und teilte Julia mit, was er nun vorhatte. Er überreichte ihr eine Liste, die sie unsicher entgegen nahm. „Liebster, ich beherrsche die Kunst des Lesens doch nicht“, sagte sie, doch Doriel winkte ab. „Wenn du den Marktplatz überquerst und gehst durch die Schäfergasse findest du auf der rechten Seite Windsors Warenhaus. Tim Windsor ist ein alter Bekannter von mir und er wird dich nicht übers Ohr hauen. Wenn er nach dem Wagen fragt, der steht im Mietstall, du kennst ja den Weg. Er wird fast alle Waren an sich nehmen und dafür einige Kisten wieder aufladen. Kümmere dich nicht um den Inhalt. Wenn alles seine Richtigkeit hat, bekommst du von ihm noch einen Beutel mit Goldstücken.“ Julia verstand! Sie drehte sich herum und ging die Treppe zur Straße hinab. Doriel blickte ihr durch das verschneite Fenster hinterher. „Ein tolles Mädchen“, dachte er. „so eine Frau habe ich mir immer gewünscht. „ Als sie außer Sichtweite war, zog er sich an und verließ ebenfalls das Zimmer. Er schlich sich ins Erdgeschoss und dort sah er sich um. Er lauschte. Alles war still. Sicher, dass ihn niemand verfolgte oder beobachtete trugen ihn seine Schritte aus dem Haus hinab zu dem Pier. Die meisten Boote waren selbst in diesem Wetter draußen. Er grollte sich leise in seinen Bart: “Baradur, du Schwein! Ich werde kommen und dann wirst du dafür zahlen, was du diesen Leuten angetan hast. Er beschleunigte seinen Gang und bog in eine kleine Gasse, an deren Ende eine Kapelle zu sehen war. Er trat durch das offene Tor und sah sich um. „Pater?“, fragte er leise. Ein Mann, Mitte sechzig trat aus einem Raum zu seiner Rechten heraus.

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„Ja? Ach Doriel, ihr seid es. Was kann ich für euch tun? Seid ihr hier um mir neue Tücher für meine Kirche zu verkaufen? Oder was führt euch zu mir?“ „Pater, ihr seid ein Mann der mit den Göttern redet. Ehrlich gesagt, ich habe lange gezweifelt, ob ich euch in dieser schweren Stunde um Rat fragen soll. Aber ich denke, dass ihr der Richtige seid, um mir zu helfen.“ „Gerne so setzt euch zu mir“ entgegnete der Mann mit den ergrauten Schläfen, „Was kann ich tun?“ „Pater, ich weiß, dass es euch bestimmt überrascht, aber ich kenne euch seit über zwanzig Jahren. Ihr habt damals meine Eltern getraut und euren Segen über mich und meinen Bruder gesprochen. ich weiß, dass ihr durch die Umstände der letzten Monate aus Torum verbannt wurdet und nun in dieser alten Grenzstadt die letzten Jahre eures erfüllten Lebens verbringen wollt. Aber ich bin sich, dass es eines zu tun gibt, dessen ich euch bitten kann und ich weiß, dass ihr nicht ablehnen werdet, nein... nicht ablehnen könnt!“

„Junger Freund, ihr müsst euch irren. Ich kenne euch nicht und vor zwanzig Jahren, diente ich am Hofe...“ Frederik Kaldor“ , vollendete Doriel den Satz. Er blickte zu Boden. „Ich weiß!“ „Aber ...“ Der Pfarrer stockte und blickte den man an, als würde er ein Gespenst sehen. „Ihr seid es! Doriel Kaldor! Der Mörder seines Bruders und gesuchter Geächteter im Lande Aldena. Was tut ihr hier? „Haltet ein und höret mir zu.“, sprach Doriel Kaldor. Ich werde euch berichten, was wirklich passiert ist und dann könnt ihr selbst entscheiden, ob ihr mir oder den Gerüchten Glauben schenken wollt.

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Einige Minuten später wischte sich der Pfarrer eine Träne aus dem Auge und er starrte Doriel an. „Was hast du... habt ihr jetzt vor, Herr?" fragte er den Prinzen. Dieser blickte ihn an. „Ich brauche einen Mann, der sich mit den okkulten und arkanen Kräften auskennt, ich brauche einen Mann, der einem Magier, wahrscheinlich einem Nekromanten die Stirn bieten kann, ich brauche jemanden, der Erfahrung hat und eine Gruppe, die ich um mich zu sammeln gedenke mit geistigem Beistand und heilenden Zauberkräften zusammenhalten kann, damit ich mein Geburtsrecht und das meines Bruders gelten machen kann und dem Regime des falschem Königs Baradur ein Ende bereiten kann... kurz, ich brauche euch und es ist nicht nur eure Verantwortung, sondern auch eure verdammte Pflicht mir und dem Lande Torums zu helfen.“ „Ihr vergesst, dass ich über sechzig bin, ich habe mein Schwert seid Jahren nicht mehr geführt und...“ „Das sollt ihr such nicht, dafür sind wir Krieger da, “ schmunzelte Doriel „lasst euch nicht hängen Herr Pfarrer.“ „Gut, aber ich habe zwei Bedingungen. Erstens benötige ich einige Substanzen, wenn es wirklich gegen die Toten gehen soll!“ „Das sollt ihr haben, schon morgen werde ich euch mit genug Gold versorgen, um euch Kräuter, oder was ihr sonst benötigt zu kaufen. Und die zweite?“ „Nennt mich Bertram, so nannten meine Eltern mich vor langer Zeit, sagt niemandem in eurem Gefolge wer und was ich bin.“ Doriel streckte ihm die Hand entgegen. „Einverstanden Bertram, wie ihr wünscht, so soll es sein“ „Wie viele Leute habt ihr zusammen?“ fragte Bertram.

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„Erst Zehn.“ antwortete der Prinz von Torum, „aber es werden mehr, täglich und dann habe ich noch eine gefährliche Reise in den Norden vor, wo ich von einer wilden Rasse, den Vlks gehört habe. Diese werde ich versuchen für unseren Plan zu gewinnen, denn diese hat Baradur bestimmt nicht auf seiner Rechnung.“ „So du gedenkst dich mit den Vlks zu verbünden? Das einzige, was ich je von ihnen gehört habe ist, dass sie Menschenfleisch fressen. Sie scheinen halb Wolf, halb Mensch zu sein, mit gefährlichen Klauen und großen Mäulern, mit denen sie jeden Feind zerschmettern können.“ „Genau das richtige gegen Aldenas Armeen.“ lachte Doriel und diesmal lachte der alte Mann mit ihm. So kommt morgen zum Mietstall dort werdet ihr mit euren Substanzen versorgt und meine Gefährtin Julia treffen. Tags darauf brachen sie frühzeitig auf. Bertram erschien, wie erwartet, pünktlich. Er trug ein Kettenhemd über seinen Roben und führte einen Streitkolben an seiner rechten Seite. Doriel stellte Julia dem Priester vor und erklärte den Beiden kurz seine nächsten Schritte. “Wir werden nach Norden reisen. Kurz hinter Welmot werden wir auf einige meiner Gefährten treffen, die uns dann begleiten. Irgendwann werden wir die Eiswüste erreichen, doch vorher werde ich mich absetzen um den Anführer der Vlks suchen und ihn zu einer Zusammenarbeit zu überreden.” “Du bist wahnsinnig”, entsetzte sich Julia,” die Vlks sind ein unberechenbares Volk, kein Mensch, weder in Torum noch in Rodlak hat es jemals geschafft überhaupt nur in ihre Nähe zu kommen, geschweige denn mit ihnen zu reden und du willst sie Überreden?” “Ich weiß, wie diese Wesen denken, das habe ich in den unterschiedlichsten Büchern nachgelesen. Sie sind geborene

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Kämpfer und man kann sie nur überzeugen, wenn man ebenso wie sie ein Kämpfer ist. Ich werde den Anführer zu einem Kampf herausfordern und der Gewinner bestimmt, was mit dem Verlierer geschieht. So werde ich ihn mir untertan machen!”. Julia blickte Bertram an. Der alte Mann grinste und schaute gen Himmel. Es begann zu schneien. “Bertram”, flehte sie, "sagt ihr doch etwas”. Doch Bertram schüttelte den Kopf:” Wenn sich Doriel etwas in den Kopf gesetzt hat, dann führt er es durch, das war schon immer so. Allein ich befürchte, dass nur seine Kräfte nicht ausreichen werden, den Anführer der Vlks zu besiegen.” “Habt ihr mich nicht gelehrt, dass nicht der Stärkste die Schlacht gewinnt, sondern der, der am Ende noch steht? Sicherlich werde ich körperlich nicht mit diesen Wolfsmenschen mithalten können, aber ich erhoffe mir einen Vorteil aufgrund meines Wissens!”. “So sei es also!” Bertram setzte sich auf den Kutschbock und deutete Julia neben ihm Platz zu nehmen. Doriel bestieg ein Pferd, welches Julia gestern für ihn gekauft hatte. Kein besonderes Tier, aber es würde für ihre Reise ausreichen. Doriel strich über den Nacken und gab dem Ross Anweisungen sich nach rechts zu bequemen. Kurz vor dem Ortsausgang hielt er an. “Fahrt schon mal vor”, sagte er und stieg ab. Er steuerte auf das Gasthaus „Zum Goldnen Drachen“ zu, drehte sich kurz herum und nickte Bertram zu. Dieser lenkte den Wagen durch das Tor, welches den Ortsausgang von Welmot markierte. Er erklärte Julia, dass dies abgesprochen sei, denn es galt Unruhe im Volke zu stiften und die Menschen auf die zukünftigen Ereignisse vorzubereiten.

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Nachdem die Beiden eine Stunde gereist waren und das Schneetreiben stärker wurde hatte Doriel sie wieder eingeholt. “So”, sagte er “Der Samen ist gesät, ich hoffe er wird aufgehen.” Ferdinand Sachar war bekannt dafür, dass Geheimnisse bei ihm nicht lange geheim blieben. Und so erhoffte sich Doriel, dass es sich wie ein Lauffeuer herumsprechen würde, dass ein Kaldor gesichtet wurde. Erstens würde es in der Bevölkerung für einen Umbruch sorgen und zum Zweiten würde Baradur wahrscheinlich nervös werden, was nicht unerheblich für Doriels Pläne war. Er war zufrieden und als wenig später Franklyn und die Anderen zu ihnen stießen, wurde selbst Julia klar, dass hier ein Stein in Bewegung gesetzt wurde, von dem die Sänger noch lange berichten würden.

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Das Dorf Leta, das in unmittelbarer Nähe zum Schloss lag, war nur noch eine Ansammlung von zusammen geflickten Hütten, die keinerlei Chance hatten dem kalten Wind, der zu dieser Jahreszeit von Tag zu Tag heftiger wurde, stand zu halten. Die hellen duftenden Strohdächer von einst waren nur noch ein Abklatsch ihrer einstiegen Schönheit. Teilweise verrottet boten sie wie der Rest des Ortes einen mehr als verwahrlosten Eindruck. Doch dies spiegelte nur den Zustand des ganzen Landes wieder. Seit der Krönung Baradurs hatte sich das Leben der Bevölkerung zum Schlechten gewandt. Mussten sie schon immer Steuern an den König abtreten, so hatten sich ihre Abgaben um ein Vielfaches erhöht und machte es den Bauern fast unmöglich sich und ihre Familien zu ernähren. Die einst dichtbewaldete Region, die für ihre prachtvoll gewachsenen Bäume bekannt war, blieb nur noch als Erinnerung einer besseren Zeit zurück. Hatte früher um den Reiz des Verbotenen willen jemand im königlichen Wald gewildert, so wurde es nun zu einer Notwendigkeit. Doch auch hier gab es immer weniger Wild, da es der Jagt und den ausschweifenden Festen auf dem Schloss zum Opfer fiel. Zu alldem häuften sich die Gerüchte um das Verschwinden halbwüchsiger Mädchen aus den umliegenden Ortschaften. Von ihren Eltern losgeschickt um ihr karges Mahl mit Pilzen oder Beeren aufzubessern verschwanden sie spurlos. Vereinzelt fand man Spuren einer merkwürdig schwarzen Substanz, die Steine, wie plattgedrücktes Gras überzog. Doch ausreichende Beweise, dass es sich hier um Verbrechen handelte, fand man nicht. Selbst die Gewalttaten die sich auch untereinander häuften, galten nun als unabwendbarer Umstand, wollte man überleben. Doch nicht

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nur die kleinen Ortschaften waren betroffen, in den Städten sah es nicht besser aus. Menschen die vom Land flüchteten drängten sich hier auf kleinstem Raum und öffneten der Kriminalität Tür und Tor. Die Gewalt war all gegenwärtig und versetzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Waren zu Anfang nur die Armen und Hilflosen betroffen machte sie mittlerweile auch vor den privilegierten nicht mehr halt. Einzig diejenigen welche unter dem besonderen Schutz des Königs standen blieben verschont. Die Schlossbewohner allerdings schien die unmenschliche Existenz der Menschen gleichgültig zu sein. In kostbaren Gewändern flanierten sie durch das Schloss, gaben sich der Genusssucht hin und gelobten Baradur und Helena ewige Treue. Milan war mehr als zufrieden da sich alles nach seinem Willen fügte, auch wenn Baradur dachte, der Magier würde ausschließlich ihm dienen. Milan jedoch handelte nur in seinem eigenen Interesse. Sein Ziel war es große Macht zu erlangen. Dieser erste bedeutende Schritt war geschehen. Milan erinnerte sich immer wieder gerne an das Massaker, bei dem er seine ausgefeilte Kunst an schwarzer Magie und seine absolute Kontrolle über die Untoten unter Beweis stellen konnte. Jetzt wo die alten Könige nicht mehr waren, es war ihm ein Leichtes gewesen sie mit einem Wimpernschlag auszulöschen, würde er sich auf den nächsten Schritt konzentrieren. Das Baradur, Doriel und Ferenc überlebten war einzig allein dem Umstand zu verdanken, das er erstens Baradur noch brauchte und zweitens, dieser so dumm gewesen war Doriel und Ferenc nicht schon längst unauffällig beseitigt zu haben. Das Doriel auch noch entkommen konnte obwohl er bewacht worden war, zeigte in Milans Augen nur wieder einmal die Schwachheit der Königlichen Familienangehörigen.

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Helena wiederum war die einzige die ein Gefühl der Leidenschaft, die nichts mit seinen dunklen Gelüsten zutun hatte, in ihm auslösen konnte. Doch auch sie sollte sich vorsehen, noch schützte sie seine Begierde nach ihr, doch hätte er sie auch nur ein einziges Mal besessen, würden seine Gefühle ihr gegenüber, wie der Docht einer Kerze im Windzug, verlöschen. Dies war der Nachteil wenn man sich, so wie Milan, der schwarzen Magie verschrieben hatte, diese ließ nur hin und wieder zu, dass seine Leidenschaften anderem galten als ihr. Was Milan nicht ahnte war, das sich jegliche Magie am Ende gegen einen selbst richten würde. Doch zurzeit nutzte er seine Macht die ihm als erster Magier am Königshof zustand dazu, seine widerwärtigen Gelüste auszuleben. Schon kurz nach seiner Ernennung durch Baradur, brachte er diesen dazu die Steuern im Land zu erhöhen. Ihm ging es nicht um das Vermögen, das in der Schatzkammer immer weiter anwuchs, sondern allein um das Elend der Bevölkerung, die immer weniger zum Leben hatte. Er wollte sie schwach und geknechtet sehen, so hätte seine Armee der Untoten, wenn es an der Zeit wäre, leichtes Spiel mit ihnen. Eine Welle der Verfolgung zog durch das Land, angestachelt durch Milan, trachtete Baradur danach, allen, die seinerzeit Doriel und Ferenc zugetan waren, zu vernichten. Mittlerweile wuchsen überall im Land Stätten des Schreckens, wie sie von der Bevölkerung unter vorgehaltener Hand genannt wurden. Milan kannte diese Orte nur zu gut, war er doch derjenige, der sie errichten ließ. Die jungen, kräftigen schickte er in die Mienen, auf das sie diese nicht mehr lebend verließen. Die Alten oder Schwachen wurden an Ort und Stelle getötet. Auch sie hatten noch einen großen Nutzen für ihn.

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Doch zurzeit weilte Milan im Schloss und verhielt sich unauffällig, er war sich bewusst, dass der erbärmliche Thalior ihm hinterher spionierte. Irgendwann würde er ihn beseitigen müssen, doch noch störte dieser nicht sonderlich. Den ganzen Tag über schlich er schon durch die Korridore und lauschte dem Gesindel. Hier war oftmals mehr über das Treiben am Hof zu erfahren als im großen Sitzungssaal. Jetzt zur späten Stunde gab es nur noch einen düsteren abgelegenen Gang denn er voller Ungeduld beschritt.

Milan zog sich in sein Gemach zurück. Sein Gesicht, eben noch voller Gier bei dem Anblick, der sich ihm bot, verwandelte sich nun in eine Maske des Hasses. Vor Monaten war es ihm endlich gelungen den Schutzzauber, welcher über den Privatgemächern des Königspaares lag, zu brechen. Seitdem führte ihn sein Weg regelmäßig, wenn die Schatten der Nacht am längsten weilten, zum Schlafgemach Helenas. Dort wurde er nur zu oft heimlicher Zeuge der Vereinigung zwischen Baradur und der Frau, die ihn seit Jahren um den Verstand brachte. Noch immer sah er ihren geschmeidigen jungen Körper, der sich vor den gierigen Blicken Baradurs entblößt, auf dem Bett rekelte, vor Augen. Noch immer klangen die Geräusche des Liebesspiels in seinen Ohren, als er seinen Umhang über einen Stuhl warf und damit begann, ruhelos den Raum zu durchschreiten. Sein Hass auf Baradur war im Laufe der Zeit ins Unermessliche gestiegen, so wie seine Gier auf Helena, die er kaum noch zu beherrschen wusste. Wie so oft in letzter Zeit, entschied er, sich noch in dieser Nacht kurzweilige Erleichterung zu verschaffen. Sein Weg führte ihn ins

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Hafenviertel von Welmot, das er bei Anbruch des Tages erreichte. Noch vor den Toren der Stadt, raffte er die Kapuze und zog diese tief in sein Gesicht. Allein das königliche Wappen auf seinem kostbaren Umhang garantierte ihm unbehelligt von den Wachen, freien Einlass in die Stadt. Kaum hatte er das Tor durchritten, fuhr seine Hand über die auffällige Stickerei, während sein Mund Worte der Magie murmelten. Als er sein Pferd zu einem Mietstall führte, der versteckt im hinteren Winkel einer verruchten Gasse lag, leuchteten seine stechenden Augen einen Augenblick auf. „ Diese Hure vom letzen Mal ist ganz nach meinem Geschmack. Wie sie mich ansah, voller Abscheu und doch war sie klug genug mich nicht abzulehnen. Im Gegenteil, selten habe ich soviel Genuss dabei verspürt, eine Frau mit solch offensichtlicher Ablehnung, zu besitzen. Wie war doch noch ihr Name? Julia, ja so hieß sie...“, dachte er bei sich. Der Besitzer des Stalls, aufgeschreckt durch das Klappern der Hufe auf den Pflastersteinen, sah ihm schon entgegen. Er würde wie bei letzten Mal, das Pferd kommentarlos unterstellen und versorgen. Mittlerweile wusste er, dass der merkwürdige Kunde trotz des durchlöcherten Umhangs und seinem verwahrlosten Äußeren, genug Münzen besaß um sich außer der Obhut des Pferdes auch noch sein Stillschweigen erkaufen zu können. Milan eilte unbehelligt zu dem herunter gekommenen Haus am Ende der Gasse. Mit angewidertem Gesichtsausdruck betrat er den schmalen Korridor und bemühte sich den abgestandenen Geruch zu ignorieren, der ihm hier entgegenschlug. Sein einziger Gedanke richtete sich auf das armselige wenn auch helle saubere Zimmer im ersten Stock. Schon setzte er einen Fuß auf die knarrende Holzstufe, als neben ihm eine Tür aufgerissen wurde. Eine ungepflegte dicke Frau zwängte sich durch diese und versperrte ihm den Weg nach oben. Mit an die Hüften gestemmten Arme, richtete sie ihr von zahllosen Exzessen verlebtes Gesicht auf Milan und sprach ihn an:“

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Wohin zu solch früher Stunde mein Herr? Sie sind mir in meinem gepflegten Heim willkommen, doch bitte ich um eine Erklärung, welche meiner Damen sie besuchen möchten.“ Milan spürte Hohn in sich aufsteigen, diese alte Fettel stellte sich ihm in den Weg und wagte auch noch ihm eine Erklärung abzuverlangen. Doch blieb ihm keine Zeit sie in ihre Schranken zu weisen, immerhin wollte er wieder frühzeitig ins Schloss zurückkehren, bevor seine Abwesenheit jemanden auffallen würde. Mit zusammen gepressten Lippen stieß er nur ein Wort aus:“ Julia“. Bei diesem Namen jedoch verdunkelte sich das Gesicht der Frau schlagartig und verwandelte es in eine unansehnliche Grimasse der Wut. „ Die Schlampe ist einfach abgehauen. Vor einigen Tagen war es, der junge Mann der sie hin und wieder besuchte hat ihr diesen Floh wohl ins Ohr gesetzt.“ Während sie sprach legte sie ihre Hand auf den Ärmel seines Umhangs und flüsterte ihm zu:“ Vergessen sie Julia, ich habe gerade erst eine neue Ladung Frischfleisch geliefert bekommen. Sie haben freie Auswahl.“ Auch wenn ihn das Angebot der Frau lockte, ging er nicht darauf ein. Heiße Wut, dass das Vögelchen, nach dem ihm gerade gelüstete, ausgeflogen war, drängte er sich an der Frau vorbei um zu sehen ob sie die Wahrheit gesprochen hatte. Bei solch einem Pack konnte man nicht darauf vertrauen. Es bestand immer noch die Möglichkeit, dass die Hure einen Freier auf ihrem Zimmer hatte und die Frau keinen weiteren potenziellen Geldgeber, verlieren wollte. Doch als er die Tür des kleinen Zimmers aufstieß, erkannte er auf den ersten Blick, dass die Hure verschwunden war. Das Bündel, welches am Nagel an der Wand gehangen, und ihre wenigen Besitztümer beinhaltet hatte, war verschwunden. Zorn machte der Begierde Platz, Zorn auf die Hure und vor allem auf den Mann, der daran Schuld trug, dass er den Weg bis hierher umsonst auf sich genommen hatte. Mit

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einem Blick die Stiege hinab, überzeugte er sich, dass die Alte nicht in seiner Nähe war und schlug dann seine Kapuze nach hinten. Mit erhobenen Händen murmelte er verschlungene Formeln und spürte, bevor er sie sah, wie sich Magie in seinem Körper sammelte und seinen Händen entsprang. Weißer Nebel breitete sich im Raum aus und kroch in jeden Winkel. Leckte am Eisen des Bettgestells und überzog den Boden. Konzentriert beobachtete Milan wie sich aus dem Nebel zwei Gestalten schälten, die in inniger Umarmung beisammen standen. Die Frau erkannte er sofort, doch der Mann stand mit dem Rücken zu ihm. Da diese Form der Magie, die es ihm ermöglichte einen kurzen Blick in die jüngste Vergangenheit des Raumes zu gewähren, nur mit großer Kraftanstrengung aufrecht zu erhalten war, waberte das Bild undeutlich vor seinen Augen. Sein konzentriertet Blick wurde von einem kleinen Muttermal im Nacken des Mannes angezogen. Dieses Mal kam ihm bekannt vor. Milans Gedanken überschlugen sich, kurz bevor die Projektion wieder vom Nebel aufgesogen wurde, erkannte er den Fremden. „Doriel“ ! Ein Aufschrei der Überraschung entrang sich ihm. Flackernder Hass löschte all seine Gedanken aus. Der Nebel, eben noch hell und sich zurückziehend, verwandelte sich in tiefste Schwärze die alles verschlang was mit ihm in Berührung kam. Geballte Magie, nun von Bosheit durchdrungen, entlud sich mit einem Schlag. Als sich Milan abwandte und die Tür hinter sich zuschlug, blieb ein zerstörtes Zimmer zurück, dass auch mit größten Anstrengungen nicht mehr zu reinigen sein würde.

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Es schneite unaufhörlich und es gestaltete sich als mühsam den Wagen über die unwegsame Straße zu bewegen. Bertram war auch nicht der geborene Kutscher, was die Sache nicht vereinfachte. Franklyn, der ebenso wie Doriel zu Pferde saß starrte immer wieder zurück auf Julia. Sie war eine wirklich schöne Frau und so was hatten die Männer schon seit Langem nicht mehr gesehen. Doriel schlug vor sich am späten Nachmittag ein Lager zu suchen und beauftragte Hendryk sich um das Abendessen zu kümmern. Franklyn verzog seine Züge. Er hatte gehofft, jetzt da eine Frau unter ihnen weilte nicht schon wieder versalzenes Wild vorgesetzt zu bekommen. Um sie herum war die Erde weiß. Dennoch fühlte er sich irgendwie beobachtet. Seine langjährige Erfahrung in der Wildnis täuschte ihn niemals und dieses Gefühl wich auch nicht, als sie ein Feuer entzündet hatten und ein von Hendryk erlegtes Reh über ihm briet. Doriel beugte sich zu Hendryk und fragte ihn: ”Ist dir irgendwas aufgefallen?” “Nein”, erwiderte dieser, “obwohl...” “Obwohl?” Doriel blickte ihn fragend an. “Es schneit immer noch!”, lachte Hendryk. “Witzbold!” Doriel konnte sich seinerseits das Grinsen nicht verkneifen. So waren die Männer nun mal. Sicherlich konnte er sich auf alle seine Leute verlassen und selbst wenn Hendryk ein miserabler Koch war, so traute er ihm unbedingt. Dieses Frage – Antwortspiel fand nun die nächsten fünf Abende statt. Am sechsten Tag fragte Doriel: “Obwohl?”

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“Nun, ich fand Spuren, die weder von dem Rotwild noch von irgendeinem anderen Tier stammen können. Merkwürdige Spuren, als würden die Wölfe auf zwei Beinen gehen.” “Morgen werde ich dich zur Jagd begleiten” verkündete Doriel. Dann werden wir sehen, mit wem wir es zu tun haben. Am nächsten Tag machte sich Doriel schon am frühen Nachmittag daran ein geeignetes Lager zu finden. Jenseits eines kleinen Waldes fanden sie eine Mühle, deren Besitzer anscheinend schon vor Langen ihr Anwesen aufgegeben hatten. Sie platzierten zwei Männer im ersten Stock und der Rest tummelte sich auf dem Platz vor dem Haupthaus. Doriel sprach noch mit Bertram und befahl ihm, egal was sei die Reise am nächsten Tag fortzusetzen. Franklyn solle dann das Kommando über den Zug übernehmen. Bertram nickte und Doriel schnappte sich sein Schwert und seine Armbrust und dann zogen er und Hendryk los, einen Hirsch zu erlegen. Ihre Füße führten sie durch das Unterholz in das kleine Waldstück. Es gab hier nichts zu sehen, weder Wild noch sonstige Tiere. “Hörst du das?”, fragte Hendryk irgendwann. “Nein”, erwiderte Doriel, “was meinst du. Ich höre nichts!”. “Eben”, wunderte sich Hendryk, “man hört noch viel weniger als “Nichts”. Diese Ruhe ist ungewöhnlich. Folge mir, aber pass auf, wo du hintrittst.” Die Beiden schlichen, so leise es ging, über den vereisten Boden. Plötzlich sahen sie sie. Es waren zwei Gestalten. Etwas über zwei Meter groß. Sie gingen auf 2 Beinen, aber ihre Oberkörper waren einem Wolfe gleich. In der einen Hand trugen sie einen langen Speer, in der anderen einen mächtigen Turmschild, der offensichtlich aus Tierknochen bestand. Ihre Augen funkelten selbst im Halbdunkel des Waldes und sie

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schienen etwas erschnüffelt zu haben, denn sie bewegten sich vorsichtig auf eine kleine Lichtung zu. Hendryk spannte den Bogen und deutete Doriel an, ebenso die Armbrust zu laden. “Ziel auf die Beine!” befahl dieser und Hendryk nickte. Beide Geschosse verließen die Waffen fast gleichzeitig und schlugen in den Unterkörper der beiden Vlks ein, die aufschrien und sich vor Schmerzen krümmten. “Sie sind also verletzbar”, dachte Doriel, “ich hatte schon befürchtet, dass sie unverwundbar seien.” Er trat aus dem Gebüsch hervor und hob erneut die Armbrust. Auch der Bogen seines Spannmannes war wieder geladen. “Werft eure Waffen weg, wir tun euch nichts!” Er dachte kurz darüber nach, ob diese Wesen überhaupt seine Sprache sprechen, aber als die Beiden die Speere kurz anhoben, um sie dann auf den Boden zu legen, kannte er die Antwort. “Mein Name ist Doriel Kaldor!” : Bei diesem Satz zuckte Hendryk kurz zusammen, zielte aber dann weiter auf die beiden Gefangenen : “und ich komme um mit eurem Anführer zu reden.” Die beiden Vlks schnauften, ob vor Wut oder vor Schmerz konnten die Menschen nicht beurteilen und der Linke hob seine Stimme:” “Ihrrr sagt, dass ihrrr in Frrrieden kommt und überrrfallt uns dann aus dem Hinterrrhalt? Wirrr haben euch nichts getan, derrr Wald gehörrrt Allen!”. “Verzeiht, aber wir waren nicht sicher, ob wir willkommen sind!” “Und darrrum schießt ihrrr dirrrekt auf uns? Ihrrr müsst Menschen sein, nurrr diese Rrrasse kann so dumm sein.”

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“Ich komme jetzt näher, ich werde euch helfen”, versprach Doriel, legte die Armbrust auf den vereisten Boden und ging auf die Verletzten zu. Als er einen Meter entfernt war hatte er Gelegenheit die Anatomie der Beiden zu studieren. Wie er gedacht hatte war der Körper der Beiden eine Anreihung von Muskeln und Sehnen, die man bei einem Menschen und sei er ein noch so geübter Krieger wohl vergeblich suchte. Es gab offensichtlich an ihren Oberkörpern keine Schwachstellen, außer eventuell den Bereich in ihren Achseln und Ellbogen. Dass die Pfeile in den Oberschenkeln steckten machte ihn zuversichtlich, dass auch dort eine Möglichkeit bestände im Falle eines Kampfes einen Hieb zu landen. Er beugte sich über den Vlk, der mit ihm gesprochen hatte und sagte:” Ich ziehe den Pfeil jetzt heraus und gebe dir ein Mittel, welches die Schmerzen lindert:” Noch bevor der Angeschossene reagieren konnte, war es geschehen. Ein kurzes Aufbäumen und der Pfeil war draußen. Dann versorgte Doriel die Wunde mit einem von Bertrams zahllosen Wundwassern und offensichtlich war das Wesen stark beeindruckt von seinen Künsten. Mit dem Zweiten verfuhr er ebenso und Beide konnten kurze Zeit später wieder stehen. “So ihrrr wollt also den grrroßen Warrrgas sprrrechen? Folgt uns, wirrr werrrden euch zu ihm führrren.” Er nahm seinen Speer wieder auf. Hendryk war inzwischen dazu geeilt und überreichte Doriel die Armbrust. “Sauberer Schuss Boss, aber sagt, was soll der Unsinn mit Doriel Kaldor? Wisst ihr nicht, dass man damit nicht spaßt, dass der Mann geächtet ist und auf seinen Kopf...” “...eine nicht geringe Belohnung wegen Brudermordes ausgesetzt ist?”, vollendete Doriel den Satz. “Und dennoch stimmt es, Hendryk. Aber ich habe meinen Bruder nicht getötet. Er ist der Mann, den ich in

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den Minen nahe der Stadt Alrista zu finden hoffe. Mit Ihm, Bertram, Julia und mit euch will ich König Baradur stürzen und will wieder Frieden und Gerechtigkeit unserem Land zurück bringen. Und da wir es mit etwa 20 Mann nicht schaffen werden, suche ich mir Verbündete, Verbündete die stark sind und vor allen Dingen, die Baradur nicht auf seiner Rechnung hat. So frage ich dich Hendryk: Willst du mir folgen ins Lager der Vlk, willst du dabei sein, wenn ich versuche, Wargas für unsere Sache zu gewinnen, oder willst du dich wie ein feiger Hund davon machen, zur Mühle gehen, den Anderen berichten was passiert ist um mich dann an die königlichen Wachen zu verpfeifen? Hendryk... es geht nicht um dich und um mich. In dieser Stunde geht es um Torum. Du hast mich immer die letzten Jahre begleitet und obwohl du es nicht wusstest, ging es die ganze Zeit nur um den einen Tag, an dem wir zurückkehren um Torum wieder zu gewinnen, von dem Tyrann, der unser Volk seit seiner Krönung knechtet. Ich will meine Rache für den Tod meiner Eltern und ich will meinen Bruder Ferenc befreien und ihn zum König des ganzen Landes machen und er wird gerecht regieren und seine erste Amtshandlung wird sein dich und Franklyn und alle anderen zu begnadigen für die Urteile, die Baradur über euch gefällt hat. Werdet ihr mir also folgen?” Sie gingen den beiden Vlks etwa eine Stunde lang hinterher. Von hinten sahen sie fast menschlich aus, wenn man von den überdimensionalen Schultern einmal absah. Sie trugen beiden einen schweren Gürtel der über eine Art Rock hing. An den Beinen waren sie nackt. Die Füße erinnerten an Wolfsklauen. Der behaarte obere Teil des Rückens ließ unter dem Fell eine dicke Lederhaut vermuten. In der rechten Hand trug jeder von ihnen wieder den gut 1,80 Meter langen Speer, dessen Spitze einen menschlichen Brustkorb wohl einfach teilen würde. Sie sprachen während der Wanderung kein

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einziges Wort und Richtungswechsel gaben sie nur durch Zeichen oder Kopfnicken kund. Selbst der erfahrene Waldläufer Hendryk hatte inzwischen sämtliche Orientierung verloren und so wunderten sich die beiden Menschen nicht, als sie auf einmal auf einer Lichtung standen, auf der weitere zehn Vlks sie erwarteten. Der in der Mitte stand hatte metallene Schulterplatten und ein zerrissenes Kettenhemd an. Er trug neben dem obligatorischen Speer einen großen Schild, dessen Wappen das der netranischen Wache war. Die Vlks auf dem Platz begannen eine Art Heulen, so wie Wölfe es tun, der Mann in der Mitte allerdings schritt auf Doriel und seinen Begleiter zu. “Wen haben wirrr denn da?”, fragte er die beiden Vlks, die immer noch aus den Wunden am Bein bluteten. “Derrr da” : Der angesprochene Vlk zeigte auf Doriel : “errr behauptet Dorrriel Kaldor zu sein und errr wünscht den grrrossen Warrrgas zu sprrrechen.” “So trrritt näherrr Mensch. Ich bin Warrrgas, was willst du?” “Ich will meine Rache, das will ich. Ich bin Doriel Kaldor, der zu Unrecht gesuchte Erbe des Königreiches Torum und ich will Vergeltung für den Tod meiner Eltern. Doch ich schaffe dies nicht allein. In innigster Bewunderung für euch und euer Volk bitte ich euch mir zu helfen das Land in meinem Namen zurück zu gewinnen.“ „Ihr brrringt mich zum Lachen, Mensch, Ich könnte euch wie einen Apfel in meinerrr Hand zerrrquetschen, wenn ich wollte. Wieso glaubt ihrrr, dass ich das nicht bei nächsterrr Gelegenheit tun werrrde?“ „Weil ich euch zum obersten Kriegsherren in meiner Armee machen werde. Ihr sollt meine Truppen anführen, auch nachdem wir Torum zurück gewonnen haben.“ „Und wenn ich mich weigerrre?“

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„Dann werdet ihr als Anführer meiner Sklavenarmee in Torum einmarschieren, angekettet an den Treuschwur, den ein Untertan seinem König geleistet hat und um eure Freiheit betteln.“ Das war zu viel für den Herren der Vlks, doch bevor er etwas unternehmen konnte, zeigte Doriels Armbrustbolzen in der gespannten Waffe auf Wargas Stirn. „Du hast nur eine Wahl, Wargas, entweder du ergibst dich mir im Zweikampf und folgst mir als treuer Vasall in den Krieg, oder du wirst einen qualvollen Tod als Sklave in den Eisminen von Alrista sterben. Dein Schicksal liegt in meiner Hand“. Der Hüne grinste: “So forderst du mich zu einem Zweikampf? > Gut, du bestimmst die Waffen!“ Doriel dachte bei sich: “Erstes Ziel erreicht“ und laut rief er:“ So wähle ich das Schwert, falls der große Wargas keines besitzt, so würde mein treuer Diener Hendryk ihm seines borgen.“ „Pah“, erwiderte Wargas, “ich habe meine eigenen Waffen. „Brrring mir ein Schwerrrt“, fauchte er einen seiner Diener an. „Herr“; entgegnete dieser, “Ihr müsst toll sein, dieser Vlk wird euch zermalmen wie die Mühle das Schrot zu Korn mahlt.“ Bei dem Wort „Mühle“ musste Doriel unwillkürlich an Julia denken. Doch er war frohen Mutes, dass er gewinnen würde und sie in Bälde wieder sehen würde. „Nein Hendryk, diese Vlks sind starke Kämpfer, aber ich glaube nicht, dass sie so behände sind wie ich es bin. Hätte ich den Speer gewählt, wäre das mein sicheres Ende gewesen. Ich vertraue auf meine Schnelligkeit und meine Reflexe. Außerdem vertraue ich auf den Schnee!“ Hendryk, der ihm nicht folgen konnte nickte nur.

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Doriel drehte sich zu seinem Gegner um. Wargas hatte schon seine Position bezogen und Schwert und Schild angelegt. Er trat einen Schritt auf Doriel zu. Dieser ging sein Gegenüber ebenfalls entgegen. Beide umringten sich, zwei Kontrahenten gleichfalls Jäger und Beute. Die Muskeln des Wolfsmenschen waren angespannt, er umfasste den Griff seiner Waffe, hob sie über seinen Kopf, schützte seinen Körper mit dem Turmschild und rannte mit voller Geschwindigkeit auf den Prinzen von Torum zu. Dieser ließ seinen Schild einfach vor sich auf den Boden fallen und trat dagegen. Wie ein Schlitten sauste der Schild mit seiner glatten Seite über den leicht vereisten Boden des Waldes. Wargas sah ihn zu spät kommen, trat darauf und rutschte mit seinem Standbein weg. Er versuchte mit Schild, und Schwertarm auszubalancieren, aber das gelang ihm nicht. Seine Füße verloren auf dem Schild jeglichen Halt und er knallte mit dem Rücken auf den hartgefrorenen Schnee. Keinen Atemzug später kniete Doriel auf seinem Brustkorb. „Ich könnte dich jetzt töten, oder dich um Hilfe bitten, was meinst du?“ „Töte mich, Mensch, ich kann mit derrr Schande nicht leben, von deinerrr Rrrasse besiegt worrrden zu sein.“ „Nein, Wargas, du bist ein großer Krieger deines Volkes und eher würde ich einer Taube einen Flügel ausreißen, als dir das Leben zu nehmen. Begleite mich und werde mein Heerführer und führe deine Armee der Vlks in meinen Krieg!“ „Du bist ein weiserrr Mann, Dorrriel, trrrotz deinerrr Jugend.“. Er rief so laut das es alle auf dem Platz hören konnten: “Dieserrr Mann hat mich besiegt. Ich lege mein Leben in seine Hände. Lasst uns zusammen gegen den Tyrrrannen kämpfen und fürrr eine neue, besserrre Welt strrreiten!“. Doriel erhob sich und reichte seinem Gegenüber die Hände. Dieser stand nun auf und beide Männer lachten laut. Hendryk, dem fast das

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Herz stehen geblieben wäre trat nun hinzu und verneigte sich vor Wargas und Doriel. „Herr?“, sagte er zaghaft, “um eure Frage zu beantworten. Ich würde euch überall hin folgen, selbst wenn es mein Tod sei. Ihr seid der weiseste und mutigste Mann, denn ich kennengelernt habe und nur Frederik Kaldor kann euer Vater sein. Verzeiht mir meine Zweifel!“ „Ich stehe in eurer Schuld Hendryk, denn ohne euch wäre ich die letzten zwei Jahre verhungert, auch wenn euer Essen fast immer zu sehr gesalzen war hat es mich dennoch gesättigt.“ Dann wandte er sich Wargas zu. Dieser klopfte ihm auf die Schulter und forderte die beiden Menschen dazu auf an einem gemeinsamen Mahl teilzunehmen. Kurze Zeit später saßen die Menschen in einer Runde von ungefähr 20 Wolfswesen und speisten eine Hirschkuh. Doriel stellte fest, dass die Vlks durchaus kultiviert waren. Sie aßen und tranken genauso wie die Menschen, besaßen vielleicht nicht die Etikette eines Mannes, der am Hofe geboren war, wirkten aber auch in keinster Weise barbarisch. In einem Gespräch mit Wargas erfuhr er dann auch, dass die Vlks durchaus den Glauben an die „Wilden Wölfe“ aufrecht erhielten. „Es scheint, dass die Menschen nurrr so Rrrespekt vorrr uns haben, wenn sie glauben, dass wirrr sie soforrrt zerrrfleischen.“ Er erzählte weiter und so erfuhr Doriel, dass es die Vlks schon seit Anfang der Zeiten auf dieser Welt lebten, aber erst vor 200 Jahren von den Menschen entdeckt wurden. Seitdem sammeln sie sich in kleine Enklaven und lebten dort ein Leben als Jäger und Sammler. Sie ernährten sich und lebten von den Dingen, die der Wald hergab. Jetzt saßen die beiden Anführer in einem Zelt der Vlks zusammen und berieten, wie es weiter gehen solle.

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„Die Eisminen sind nicht besonderrrrs gut bewacht“, stellte Wargas fest. „Mit 150 Vlks haben wirrr die netrrrahischen Wachen in Windeseile überrrrrrollt.“ „Wie gut kennen sich deine Leute mit der Magie aus?“, fragte Doriel, „habt ihr Mittel gegen die arkanen Künste?“ „Wirrr kennen die Zauberrr der grrrossen Jahrrrtausendalten Bäume, aberrr wirrr wissen nicht, wie wirrr sie entfesseln können.“ Das beunruhigte den Prinzen von Torum etwas, aber er hoffte, dass Bertram vielleicht helfen könne. Wargas trank noch ein Glas Wein und verabschiedete sich von Doriel. Dieser ging zu Hendryk, dem der Vlk: Wein offensichtlich schmeckte. „Trink nicht soviel mein Freund, morgen in aller Frühe brechen wir auf.“

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In der Nacht war es als ob der Wald lebte. Im fahlen Mondlicht, welches sich auf dem schneebedeckten Boden spiegelte konnte man immer wieder Gestalten sehen, die um das Lager umherliefen. Doriel sah eine Weile dem behänden Treiben zu, da er nicht einschlafen konnte. „Morgen“, so dachte er , „Morgen werde ich wieder bei Bertram und Julia sein und ich denke, die Beiden werden ihren Augen nicht trauen, wen ich mitbringen werde. Ich hoffe nur, dass die Vlks so harte Kämpfer sind, wie man ihnen nachsagt. Und dennoch...die 150 Krieger, die Wargas erwähnte, werden vielleicht für die Eiswüste reichen, aber um den Palast von Rodlak anzugreifen werden wir wesentlich mehr brauchen. Auch bin ich noch nicht überzeugt, so sehr ich ihn schätze, dass Bertrams Zauber gegen die Magie dieses Schwarzmagiers ausreichen wird, der immerhin für den Tod meiner Eltern Mitverantwortung zeigt.“ Er dachte nach. Die Festungsmauern waren kaum einnehmbar. Es musste eine andere Möglichkeit geben. Er hoffte, dass sie in den Eiswüsten wirklich Ferenc finden würden, denn dieser besaß von Grund auf eine Ausbildung in der taktische Kriegsführung an erster Stelle stand. Vielleicht fiel ihm ein Weg ein, um in die Burg zu kommen. Irgendwann schlief er ein, doch wurde in aller Frühe geweckt. Wargas stand vor ihm: „Wirrr sind berrreit, Prrrinz Dorrriel. Meine Männerrr haben sich die ganze Nacht vorrrberrreitet.“ Doriel trat auf den großen Platz. Hendryk stand schon da. „Herr, das glaubt ihr nicht. Ich beobachte das Spiel hier schon seit einer Stunde. Die Vlks rotten sich fast militärisch zusammen. Bestimmt 40 oder 50 tragen lange Baumstämme als wären es Besenstiele. Sie sammeln sie dort auf diesem großen Platz. Dort

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stehen ein Dutzend Andere und bauen aus den Stämmen Speerschleudern, ungefähr acht Meter lang. Und jetzt kommt das Verrückteste. Ich wurde wach als die Erde bebte. Eisbären...eine Horde Eisbären durchquerte das Lager. Sie ziehen inzwischen die Schleudern. Der Zug hat sich soeben in Bewegung gesetzt. Sie ziehen Richtung Eiswüste und warten nur auf eines. Euren Befehl loszuschlagen. Also los! Wappnet euch mit Schwert und Schild und führt diese Wilde Horde an!“ „Nein“, widersprach Doriel und drehte sich Wargas zu. „Es sind eure Leute. Sie werden nur euch folgen. Ich möchte, dass ihr sie anführt! Wir treffen uns in drei Tagen südlich der Minen. Wartet dort auf mein Zeichen. Ich werde euch einen brennenden Pfeil schicken. Er wird in den Himmel eintauchen und verglühen. Wenn ihr dieses Signal seht, greift an. Es gibt – er kniete sich hin und malte mit einem Ast in dem Schnee – hier, hier und hier drei Wachtürme. Diese müssen von euren Männern so schnell, wie es geht in Schutt gelegt werden. Wenn dem so ist, werde ich meine Männer zu dem großen Eingang bringen. Wir versuchen, ohne größere Verluste auf beiden Seiten das Tor einzunehmen. Dann werde ich etwa zehn Vlks benötigen, die mit mir das Zentrum der Mine stürmen, alle bewaffnet mit Speeren, denn in den engen Gängen werden uns unsere Schwerter nicht viel nützen. Wenn wir meinen Bruder gefunden haben, werden wir noch die übrigen Gefangenen befreien und uns dann im Westen sammeln. Sollten die überlebenden Wachen kooperieren, dann werden wir sie mitnehmen, falls nicht...“ Er brauchte den Satz nicht zu vollenden. Wargas nickte. „Dann nehmt meine zehn besten Nahkämpferrr mit zu eurrren Leuten. Wirrr werrrden uns dann in drrrei Tagen sehen.“ Er befehligte zehn seiner Vlks und unterstellte sie einem Kriegen mit Namen Trchta. Alle trugen außer ihren Speeren Schilde und dünne etwa einen Meter lange Rohre. Als Doriel nachfragte erklärten sie ihm,

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dass es Blasrohre seien, dessen kleine Geschosse einen Feind wunderbar einschlafen ließen. Nachdem sie sich einander vorgestellt hatten, schritten er, Doriel und Hendryk dem kleinen Trupp voran. Doriel fragte sich insgeheim, wie es den Vlks möglich war eine solch organisierte Streitmacht quasi über Nacht aus dem Boden zu stampfen. Er dachte daran, dass sie es vielleicht schon lange geplant hatten sich zu formieren. Zu seines Vaters Zeiten ließ man sie in Ruhe in ihrem Wald leben. Trchta berichtete, dass es durch die Truppen Baradurs immer wieder zu Übergriffen gekommen sei. Wie dem auch sei, er hatte nun eine Mannschaft an seiner Seite, die ihr Leben geben würde. Nicht für ihn, das war klar, aber für ihre Freiheit und wahrscheinlich auch für Wargas. Trotz seiner Niederlage ließ der Anführer der Vlks sie spüren, dass alles seine Richtigkeit hatte und das Doriel ein guter Mann sei. Als sie gegen Abend einen Rastplatz suchen, eilte ihnen Hendryk, der als Späher immer wieder voraus geschickt wurde entgegen. „Ich habe sie gefunden, Herr. Sie lagern nicht weit von hier an einem kleinen See, der zugefroren ist. Sie haben 3 Mann als Wachen aufgestellt, Stephen, Andre und Marc, wenn ich richtig gesehen habe. In dem Wagen ist eine Laterne entzündet. Offensichtlich befinden sich Bertram und Julia darinnen. Franklyn sitzt am Feuer und isst etwas.“ Doriel grinste. „Mal sehen, ob wir sie überraschen können. Trchta, schafft ihr es die Wachen zu beschäftigen?“ „Aberrr sicherrr Herrrrr“; erwiderte dieser und wie Schatten verschwanden die Vlks in der Dunkelheit. Doriel und Hendryk schlichen an den Lagerplatz heran und betrachteten das Schauspiel, welches sich ihnen einige Minuten später bot.

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Stephen, der junge Dieb, dem Baradurs Schergen die rechte Hand abgeschlagen hatten, weil er ein paar Hühner gestohlen hatte schien nervös zu sein. Gehetzt drehte er sich um, da fiel er auch schon zu Boden. Im selben Moment fielen auch die beiden Anderen in den Schnee. Trchtas Konterfei erschien zwischen den Bäumen und er hob seine Hand zum Signal, dass die Wachen „beschäftigt“ waren. Doriel und Hendryk erhoben sich und traten auf das Lager zu. Als sie 5 Meter entfernt waren nahm Doriel etwas Schnee auf, formte ihn zu einer Kugel und schmiss in Franklyn von hinten gegen den Kopf. Als dieser sich herumdrehte, traf ihn die nächste Kugel, diesmal von Hendryk gefeuert. „Dies, mein lieber Franklin, hätten auch Pfeile aus Rodlak sein können!“. Franklyn bekam seinen Mund nicht zu, in dem sich zudem auch noch der Rest einer Hasenkeule befand. Julias Schrei ließ ihn herumfahren. Instinktiv griff seine Hand nach seiner Waffe, doch etwas hielt ihn davon ab sein Schwert zu ziehen. Es war Trchta. Einen halben Meter größer als der Mensch vor ihm legte der Vlk seine Hand auf Franklyns Schulter und drückte sie nach unten. Die Hasenkeule fiel nun endgültig in den Schnee. Julia stand neben dem Wagen und Bertram suchte wohl nach einem Zauberspruch, um die Eindringlinge anzugreifen, aber Doriel sprach mit fester Stimme: „Lasst die Waffen stecken, meine Freunde, dies sind unsere Verbündete. In den Wäldern um uns herum lagern noch Hunderte von Ihnen und in drei Tagen werden sie mit uns zusammen die Minen angreifen.“ „Verrückter Hund“, schnaubte Franklyn, „wie hast du kleiner Krämer das wieder geschafft?“ „Herr“; mischte sich Hendryk ein, “Meint ihr nicht, dass es an der zeit wäre die Katze aus dem Sack zu lassen?“

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„Also gut“, willigte Doriel ein. „Wie ihr wisst ist mein Name Doriel, doch ich stamme nicht aus Welmot. Ich stamme aus Torum selbst. Mein Vater ist...war Frederik Gallo und der Mann, den ich in den Minen suche ist niemand anders, als Ferenc, der rechtmäßige Erbe von Torum. Ich werde ihn befreien, damit er die Krone gewinnen kann, die ihm zusteht.“ „Aber, du hast, ihr habt...euren Bruder“ „Alles Lügen, Lügen eines falschen Königs, eines Vatermörders und seiner Hure von Frau, die mein Vater, wie sein eigenes Kind geliebt hat. Sie sollen dafür büßen.“ Julia sah Bertram an und dieser nickte. „Soll das heißen, ihr habt das alles gewusst? Ihr wusstet, wer uns in den Tod führen will?“ Wieder nickte der alte Priester. Sie aber schritt zu ihrem Geliebten. „Du!!!“ „Du!!!“ : Sie holte mit ihrer Hand aus, um nach ihm zu schlagen, doch er fing sie ab – Du hast mich benutzt, wie eine Hure es nicht besser verdient hat. Und dich hab ich geliebt, die hab ich vertraut.“ Sie weinte. Doriel nahm ihre Hand herab. „Ja Julia, du warst eine Hure, aber jetzt nicht mehr. Jetzt bist du meine Geliebte und ich würde für dich durch alle Feuer Rodlaks gehen, wenn du es von mir verlangst. Und mehr verlange ich von dir auch nicht. Jetzt da du weißt, wer ich bin, stelle ich es dir frei zu gehen oder zu bleiben. Gehst du, dann sehen wir uns nie wieder. Bleibst du werde ich dich zu meiner Frau machen, noch an diesem Abend. Bertram kann uns trauen und ich werde zusehen, dass du nicht während unsrer Flitterwochen zur Witwe wirst. Ich brauche dich an meiner Seite, versteh doch.“ Jetzt weinte sie noch heftiger, doch es waren Freudentränen. „Ja Doriel“, nimm mich zur Frau und dann nimm mich heute Nacht, wie du

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mich noch nie genommen hast. Mit eurer Erlaubnis Herr Pfarrer – sie blickte zu Bertram – Ihr müsst heute Nacht wohl im Schnee schlafen“. Dann fiel sie Doriel um den Hals und erdrückte ihn fast. Bertram traute die Beiden noch am selben Abend und nachdem die Betäubung der drei Wachen nachgelassen hatte, gesellten auch sie sich ans Feuer und feierten mit den Anderen ein wenig. Die Vlks hatten auf Doriels Anweisung hin die Posten übernommen, denn er war sich sicher, dass an den Wolfsmenschen keiner so leicht vorbei kommen würde. Nachdem er dann seinen ehelichen Pflichten nachgekommen war, musste er Julia immer wieder von seinem Zweikampf erzählen und sie wollte auch alles über diese seltsamen Geschöpfe erfahren. Schließlich schliefen die Beiden unter dem Schutz der Wagenplane ein. Die nächsten beiden Tage bewegte sich die Gemeinschaft unter den Schutz der Bäume so langsam und vorsichtig wie es ihnen möglich war. Doriel glaubte, die Zeit würde nie vergehen, doch dann sahen sie die Silhouette der Eisminen vor sich. Wie er vermutet hatte, standen die drei Wachtürme an den stellen, die er Wargas geschildert hatte. Er und Trchta gingen einige Meter vor den Anderen, Er schaute den Vlk fragend an. „Meine Brrrüderrr warrrten auf derrr anderrren Seite auf dein Zeichen“, sagte er. In den letzten Stunden hatte er viele Fragen an Trchta gestellt, was die Kultur der Wolfsmenschen anging und bekam oft Antworten, die ihn verwunderten. Sie hatten durchaus eine Hierarchie, in der Wargas, wie eine Art König fungierte, der eine Handvoll Unterführer befehligte. Es gab auch weibliche Vlks, aber die sorgten sich im Schutz der Wälder um die Welpen. Insgesamt, so glaubte Trchta, sei ihre Zahl zehnmal größer, als das was nun gegen den gemeinsamen Feind marschierte. „Das sollte genug sein für Rodlak“, dachte der Prinz. Die Blasrohre, mit denen sie so zielsicher seine drei

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Wachen in das Reich der Träume geschickt hatten konnten bis auf zehn Meter genau treffen und erreichten maximal eine Weite von fünfzehn Metern. Die kleinen Pfeile konnten mit den unterschiedlichsten Substanzen getrennt werden. Während die einen nur bewusstlos machten, gab es andere, die Lähmungen hervorriefen oder sogar den Tod bewirkten. Im Notfall konnte ein erwachsener Vlk seinen langen Speer über 50 Meter weit schleudern, aber meist benutzten sie sie als Nahkampfwaffe. Doriel war angespannt. Er hoffte, dass das Unternehmen gelang, ohne das zu Viele dabei sterben mussten. Trchta blickte ihn fragend an, worauf er sich umblickte und Bertram zu schick winkte. „Mein Freund, ich benötige deine magische Hilfe jetzt“. Es war alles abgesprochen. Bertram nickte und begann ein paar kurze magische Worte aufzusagen. Aus seinen Händen, die er im Halbkreis drehte wuchs eine kleine Feuerkugel und als der die Hände vor und zurückbewegte entstand daraus ein kleiner Pfeil, der je mehr sich der Priester konzentrierte immer größer wurde. Als er über einen Meter maß schickte Bertram das magische Geschoss auf seine Reise. Er lenkte es genau über den Eingang zu den Minen und dann ließ er ihn zum Himmel aufsteigen. Als seine Kräfte zu schwach schienen ihn noch weiter zu lenken, sprach er ein letztes Wort und der Pfeil verpuffte in den Wolken. Das war das Kommando. Wie aus dem Nichts schossen riesige Speere auf die Wachtürme zu und der Wald schien sich zu bewegen, als Dutzende Wolfsmenschen heraus stürmten. Doriel und seine Leute griffen von der Seite das Lager an. Bertram und Julia blieben im Schutze ihres Wagens zurück, Hendryk und Franklyn aber schlossen rasch zu ihrem Anführer auf und stürzten sich auf die Wachen. Die Schlacht, die keine war endete schnell. Zu groß war die Überraschung der Rodlakischen Soldaten

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und nachdem die Türme fielen, fiel auch ihr Widerstand. Doriel und Trchta rannten zu dem großen Eingang und bewegten sich in die Mine hinein. Nachdem sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten entdeckten sie, dass hier noch etliche Wachen verschanzt waren, die aber beim Anblick des Wolfswesens die Waffen senkten. Doriel sprang auf einen Wagen in dem sie normalerweise die gefunden Metalle abtransportierten und schrie.“ Wo sind die Gefangenen?“. Einer der Wachen trat auf ihn zu und erwiderte, dass sie in kleineren Zellen eingesperrt wären. Nachdem er Doriel, den Schlüssel gegeben hatte, machten er und Franklyn sich daran die Türen zu öffnen, während Trchta, Hendryk und die anderen Vlks die Wachen in Schacht hielten und Hendryk ihnen deren Möglichkeiten offenbarte. Viele ließen nun die Waffen fallen und erklärten sich bereit von Rodlak abzuschwören und nun für Torum zu kämpfen. Doriel und Franklyn öffneten zusammen eine Tür nach der anderen und schließlich kamen sie in eine Zelle, in der ein Mann an die Wand gefesselt war, die Augen verbunden und mit Ketten an den Füßen. Sein Körper war zerschunden, aber seinen Muskeln schien die Knochenarbeit durchaus zu gefallen. Er war noch breiter geworden in den vergangenen zwei Jahren obwohl auch viele Narben seine Brust zierten. „Seid ihr Ferenc von Torum“, fragte Franklyn und zwinkerte Doriel zu. „Wer will das wissen?“, antwortete der Gefangene. In dem Moment nahm Doriel ihm die Augenbinde ab. „Ich Bruder, ich hoffe du erkennst mich auch noch in diesen Zeiten. Es gab keinen Tag in den vergangenen zwei Jahren, an dem ich mich nicht nach dieser Sekunde gesehnt hätte.“

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„...und in der du wahrscheinlich an diesen Worten gefeilt hast“, gab Ferenc zurück. „Kleiner Bruder, wollte ich erst sagen, aber meine Augen erblicken einen Mann, den ich so nicht kannte. Worauf wartest du? Bind mich los! Ich habe den Wachen hier noch einiges zurück zu geben. Ich....“ Er stockte als durch die Tür zu seiner Zelle ein zweieinhalb Meter großes Wesen schritt, einen mächtigen Stoßspeer in der einen, einen Schild in der anderen Hand. „Doriel...hinter dir...ein Monster!!!“. Doriel grinste und sprach: “Auf einmal nicht mehr das Großmaul? Nun, dies ist Trchta aus dem Volk der Vlks, denen du deine Befreiung zu verdanken hast. Sie sind unsere Freunde und Verbündete. „Alles in Orrrdnung, Prrrinz Dorrriel?“, fagte Trchta. „Ja“, entgegnete dieser und sah seinen Bruder an, “alles in Ordnung.“

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Nachdem Doriel seinem Bruder die Ketten abgelegt hatte, standen sich die beiden Männer – Brüder und doch Fremde – einige Sekunden schweigend gegenüber, bevor sie sich wortlos in die Arme fielen. Trchta, welcher noch immer in der Tür stand, schob Franklyn zur Tür hinaus und kehrte den Königssöhnen respektvoll den Rücken zu. Doriel und Ferenc umklammerten einander, als hätten sie Angst, der Andere würde verschwinden, sobald sie ihre Arme lösten. „Komm Bruder, lass uns diesen unsäglichen Ort verlassen.“ Heiser klang Ferenc´ Stimme und erstickt und Doriel fiel erst jetzt auf, dass sein Bruder weinte. „Und wir nehmen die armen Hunde aus den Kerkern mit.“ Doriel nickte nur und legte seinem Bruder einen Arm um die Schultern. Jetzt erst fiel ihm auf, dass Ferenc sehr unter der Gefangenschaft gelitten hatte. Zwar waren seine Arme kräftiger als vorher, und sein Körper drahtiger, dennoch hatte er an Masse verloren. Sie verließen die Zelle und Ferenc sah sich suchend um. Die bisher befreiten Gefangenen hielten sich im Eingangsbereich der Mienen auf. „Wo sind Bernard, Merten und Nerta?“ Doriel schüttelte verständnislos den Kopf. „Diese Menschen waren hier eingesperrt. Vielleicht sind ein paar hinaus>“ „Hier? Und die unteren Kerker?“ fragte Ferenc verständnislos. „Untere Kerker?“ fragte Franklyn und schüttelte den Kopf. „Noch mehr?“

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Ferenc atmete tief durch. „Ja, noch mehr.“ Meinte er dann nur und wandte sich an seinen Bruder. „Habt ihr vielleicht eine Waffe für mich? Ein Schwert oder auch nur ein Messer?“ Doriel nickte. „Wir haben den Wachen ihre Waffen abgenommen.“ „Gut. Ich brauche ein Schwert, dann können wir los.“ „Los?“ Trchta trat an sie heran. „Wohin?“ Fragte der Vlk und blickte missmutig drein. „Die restlichen Gefangenen befreien.“ Entgegnete Ferenc und nahm Franklyn das Schwert ab, welches dieser ihm reichte. Er wiegte es kurz in der Hand, zog eine Pechfackel aus ihrer Wandhalterung und wandte sich an Doriel, Franklyn und Trchta. „Wir müssen weit nach unten. Ihr solltet euch auch Fackeln nehmen.“ Angeführt von Ferenc drangen Doriel, gefolgt von Franklyn und Trchta tiefer in das labyrinthartige Stollensystem der Mienen ein. Nach wenigen Minuten hatten die anderen die Orientierung verloren. Ferenc hingegen ging mit schlafwandlerischer Sicherheit voran. Seine Schritte waren kraftvoll und er schien vor Energie zu strotzen. Nachdem sie mindestens eine halbe Stunde schweigend gegangen waren, erklärte Ferenc ohne dass jemand gefragt hatte: „Unten in den Kerkern sperrt man die wichtigen Gefangen ein.“ Seine Stimme war belegt. „Diejenigen, die auf keinen Fall entkommen dürfen. Diejenigen, die nie wieder die Oberfläche erreichen sollten. Kein Sonnenlicht, keine saubere, frische Luft, zusammengepfercht> Selbst Tiere hält man nicht unter solch erbärmlichen Bedingungen.“ Sein Ton war eine Spur härter geworden. Doriel schauderte. Der Gedanke für immer unter den Bergen eingesperrt zu sein verursachte ein unbehagliches Gefühl bei ihm. „Warum warst Du dann>?“ begann er, vollendete seinen Satz aber nicht. Ferenc war abrupt stehen geblieben so dass die Nachfolgenden

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ineinander liefen. Franklyn wollte aufbegehren, doch Ferenc machte ihnen unmissverständlich klar, zu schweigen. Soweit sie in dem dürftigen Fackellicht sagen, teilte sich vor ihnen der Gang auf. „Rechts sitzen normalerweise zwei bis drei Wachen links geht es zur großen Halle und den Kerkern.“ Erklärte Ferenc flüsternd. Er hielt sein Schwert kampfbereit in der Rechten. Doriel, Franklyn und Trchta wollten ebenfalls ihre Waffen ziehen, doch Ferenc hob die Hand. „Die gehören mir.“ Meinte er grimmig, reichte seinem Bruder die Fackel. „Wartet hier!“ Dann verschwand er in der diffusen Dunkelheit des Stollens. Trchta zog kurz unwillig die dichten Augenbrauen zusammen, sagte aber nichts. Sie warteten angespannt auf Ferenc´ Rückkehr. Keiner der Anwesenden zweifelte an dessen Überlegenheit. Die Fackeln knisterten : in der Stille klangen die Geräusche unnatürlich laut – und warfen gespenstische Schatten an die Wände. Dann hörten sie hörten kurzes Kampfgetümmel, mehrere spitze Schreie, bevor es wieder ruhig wurde. Gebannt starrten die Gefährten in die Dunkelheit, konnten jedoch nichts erkennen. „Wollt ihr dort Wurzeln schlagen? Ich dachte, wir befreien die Gefangenen?“ Doriel zuckte leicht zusammen. Alle griffen nach ihren Waffen und hielten die Fackeln höher, um den Gang besser auszuleuchten. Ferenc stand vor ihnen, auf das Schwert gestützt und sah sie erwartungsvoll an. „Ein humorvoller Typ war er schon immer.“ Brummte Doriel allerdings so leise, dass es niemand der Anwesenden hören konnte und ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Sie traten durch den linken Durchgang und blieben, bis auf Ferenc, angeekelt stehen. Franklyn wandte sich sogar ab und musste sich übergeben; ihnen schlug ein ekelerregender Gestank entgegen und Doriel wusste nun, warum die Wachen in dem Gang gegenüber ihr

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Quartier eingerichtet hatten. Sie standen in einem riesigen Felsendom, über die Jahrhunderte von Wasser und Eis geformt und von Menschenhand erweitert. Das Fackellicht brach sich an zahllosen reflektierenden Kristallen in den Wänden. Der Anblick an sich war beeindruckend schön, wäre da nicht der ekelerregende Gestank gewesen. Es roch nach Exkrementen, Verwesung, Fäulnis, Mensch, Tier> einfach nach allem und das nahm einem den Atem. Auch Doriel kämpfte mit der Übelkeit. Es war einfach zu abscheulich. „Und hierrr gibt es lebende Wesen?“ fragte Trchta mit gerümpfter Nase. „Nurrr ihrrr Menschen seid zu solchen grrrausamen Handlungen fähig.“ Die Verliestüren entdeckte Doriel erst, nachdem Ferenc mit seinem Schwert das Schloss der ersten bearbeitet: Sie befanden sich in einem schmalen Gang, der links von ihnen abzweigte. Doriel eilte zu seinem Bruder. Hier war der Gestank noch schlimmer und es kostete die Befreier immer mehr Willensanstrengung, um sich nicht zu übergeben. Ferenc hingegen schien den Geruch gar nicht wahrzunehmen. Das Schloss gab nach und mit einiger Anstrengung zog er die schwere Verliestür auf, während ihre Begleiter es ihm bei den anderen zwei Türen gleich taten. Doriel folgte ihm und bedauerte seine Entscheidung auf der Stelle. Scheinbar ging es einigen Gefährten ebenso. Würgegeräusche drangen an Doriels Ohr wenn er ehrlich war, wäre es ihm beinahe genauso ergangen. Er hätte nicht gedacht, dass es noch schlimmer kommen könnte. Seine Fantasie war schon mit ihm durchgegangen, als er das erste Mal diesen Gestank wahrgenommen hatte, das was er jetzt sah, übertraf bei weitem alles, was er sich je an Grausamkeiten vorstellen hat können: Die Zelle, sofern diese Bezeichnung des dunklen Loches in dessen Zugang er nun stand, war mit Menschen vollgestopft. Doriel wollte sich in Gedanken primär gegen diesen Ausdruck wehren, doch alles Andere hätte nicht der Wahrheit entsprochen. Dass Ferenc einen Fuß vor den anderen setzen konnte verwunderte ihn wirklich. Der Raum

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mochte drei auf drei Meter messen und es befanden sich mindestens fünfzehn Personen darin. Jede der Gestalten war in Lumpen gehüllt und starrte vor Dreck. Die Menschen sahen verbraucht aus, waren abgemagert und ausgezehrt. Ferenc stand in der Mitte der Zelle, ging dann aber in die Knie um den gepeinigten Gestalten näher zu sein. Die dreckigen, zerschundenen Hände reckten sich ihm entgegen, umarmten ihn, fuhren ihm durch das Gesicht. „Wir holen euch alle hier raus.“ Ferenc Stimme war voller Anteilnahme und Fürsorge. Er nahm tatsächlich jede einzelne ihm entgegen gestreckte Hand in die Seine. Er schien keine Scheu vor dem Gestank und dem Dreck zu haben. „Merten, sag wo ist Bernard. Ich kann ihn hier nirgendwo entdecken.“ Ferenc umarmte einen hageren Mann. „Wo ist er?“ „Sie haben> ihn gestern>“ Merten versagte die zitternde Stimme dennoch schien Ferenc zu wissen, was er sagen wollte. Er nickte. „Wo!“ „Im Südweststollen.“ Noch einmal drückte Ferenc die Hände, dann verlies er Zelle. „Doriel, bringt die Leute in die große Halle. Findet ihr allein den Weg zurück?“ Doriel schnaufte und schüttelte den Kopf. Ferenc nickte Gedankenverloren. „Sucht nach Turia. Er ist Wüstenbewohner und besitzt damit einen untrügerischen Orientierungssinn. Er wird euch hier raus führen.“ Ferenc nickte seinem Bruder zu. „Sammelt die Wachen oben in der Materialbaracke. Tut ihnen bitte nichts zuleide> Zumindest noch nicht.“ Fügte er schnell hinzu, als er Doriels ungläubigen Blick sah. Dann wandte er sich ab, doch sein Bruder hielt ihn am Arm zurück. „Wo willst Du hin?“ Müde sah Ferenc mit einem Mal aus und Doriel machte sich nun doch Sorgen um ihn.

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„Ich muss Bernard holen.“ Damit löste Ferenc Doriels Griff und eilte ohne ein weiteres Wort davon. Nachdem er verschwunden war, wurde Doriel mit einem Mal klar, dass sich etwas geändert hatte: Ferenc hatte unbemerkt die Führung übernommen und einerseits war Doriel froh darüber. Auf der anderen Seite hatte er, der kleine Bruder, den Thronerben von Torum gesucht, hatte auch Entbehrungen auf sich nehmen müssen, musste sich vor den Baradurs Schergen verstecken und hatte sich eine kleine Armee aufgebaut und letztendlich Ferenc befreit. Etwas Ärger stieg in ihm auf. Wieder einmal hatte er sich von seinem älteren Bruder sagen lassen, was er zu tun hatte. „Wo ist Ferenc?“ Franklyn – merklich blass – riss Doriel aus seinen Gedanken. „Er will jemanden suchen.“ „Was machen wir jetzt? Ich finde bestimmt nicht den richtigen Weg. Du?“ Doriel schüttelte den Kopf. „Ferenc meinte, ein gewisser Turia könne uns hier raus bringen.“ Er trat in die große Felsenhalle hinaus. „Such nach Turia, und dann lass uns hier verschwinden.“ Ferenc´ Kräfte waren am Schwinden. Das Bündel in seinen Armen – Bernard – war schwerer als er es von einem so ausgezehrten und abgemagerten Menschen erwartet hatte. Oder hatte er nur seine eigene Kraft unterschätzt? Er machte eine Pause. Sein Atem ging stoßweise und die Knie wurden ihm einen Augenblick weich. Ferenc lehnte sich mit seiner Last an die Stollenwand. „Lass mich>“ die schwache, fast tonlose Stimme drang aus dem Bündel in Ferenc Armen und knochige Finger erschienen in den Lumpen.

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„Nein!“ Antwortete Ferenc entschieden, atmete tief durch und ging weiter. „Es ist nicht mehr weit.“ Sagte er mehr zu sich selbst als zu dem Menschen den er trug, doch es klang wie eine Lüge. Es war auch eine Lüge, war er ehrlich zu sich selbst und er ahnte, dass er den Weg nie bezwingen würde, nicht mit Bernard als zusätzliche Last. „Ferenc>“ „Nein Bernard. Ich lasse Dich nicht zurück.“ Wenige Minuten später stoppte Ferenc erneut seine Schritte. Hatte er auf dem Weg zu den Kerkern noch vor Kraft gestrotzt, so musste er sich nun eingestehen, dass dies wohl das letzte Aufbäumen war. Er hatte es gemerkt, nachdem er mit den Wachen gekämpft hatte. Nun waren auch seine letzten Reserven, die er sich in den Jahren seiner Gefangenschaft immer aufbewahrt hatte, nahezu völlig verbraucht. Das erste Mal, seit seiner Entführung, hatte er schlichtweg keine Energie mehr. „Ich muss weiter! Immer weiter!“ dachte er verbissen und setzte einen Fuß vor den nächsten. Irgendwo in seinen Tiefen musste doch ein winzig kleiner Rest vorhanden sein. Der Rest, der ihn zu seinem Bruder und den anderen bringen würde. „Weiter!“ stieß Ferenc hervor. „Immer weiter>!“ Irgendwann wankte er völlig Gedankenlos durch die Gänge. Die Stimmen der Gefährten und der anderen Gefangenen hörte er allerdings nicht mehr. Völlig entkräftet sank Ferenc auf die Knie, als er das Ende des Stollens erreicht hatte. Er konnte Bernard noch ablegen, bevor ihm die Sinne schwanden und er ohne Bewusstsein nach vorn kippte. Stimmen drangen an sein Ohr. Leise, wie aus weiter Ferne. Aber in den Minen war es nie wirklich still. Wahrscheinlich stritten Elia und Nerta wieder um einen Knochen. Ferenc hatte keine Lust auf diesen Streit. Außerdem war ihm gerade so wohlig war. Die Felle in denen er weich gebettet lag waren mehr als angenehm und das Knistern des Feuers rief so behagliche Gefühle in ihm wach, dass er nicht wagte

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die Augen zu öffnen. Er hatte Angst, dieser Traum würde dann sofort enden. Traum? Es dauerte noch ein paar Sekunden, dann kehrten die Erinnerungen schlagartig zurück. Das Erscheinen seines Bruders, die Befreiung> Ferenc begann zu zittern. „Er wird wach.“ Die Stimme über ihm kannte er nicht und das zwang ihn nun doch dazu, die Augen zu öffnen. „Na. Wieder unter den Lebenden?“ Doriels Gesicht erschien in Ferenc´ Blickfeld. „Wie lange>“ Ferenc Stimme klang dünn und kraftlos. Er versuchte sich aufzurichten, doch seine Muskeln versagten ihren Dienst. „Den ganzen restlichen Tag und es ist seit etwa einer Stunde dunkel.“ Doriel half seinem Bruder in eine sitzende Position und hielt ihm eine Schale Wasser an die Lippen. Dankbar trank Ferenc. Er leerte die Schale in einem Zug. „Danke.“ Allein schon das Reden war so anstrengend, dass die Müdigkeit ihn erneut zu übermannen drohte, doch Ferenc kämpfte erfolgreich dagegen an. Um ihn herum lagen überall auf dem Boden verstreut und in warme Felle gepackt, die Gefangenen der Minen. Er blickte in entspannte, ja zufriedene Gesichter. Nachdem einige von ihnen sehr geschwächt waren – sie hätten nie einen Marsch durch die Wälder überstanden, zumal es zu schneien begonnen hatte – hatte Doriel beschlossen, in der großen Halle der Minen das Lager aufzuschlagen. Den Rest seiner Gruppe hatte er von einem der Vlk:Krieger her bringen lassen. Ferenc sah sich suchend um. „Wo ist Bernard? Wie geht es ihm?“ „Es geht ihm den Umständen entsprechend.“ Doriel nickte in Richtung eines der Feuer und dem dort knienden Bertram. „Einer meiner Begleiter ist Heiler und kümmert sich mit allem was in seiner Macht steht um ihn.“

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Ferenc nickte. „Und die anderen? Wie geht es ihnen?“ „Sie sind zwar schwach, aber erstaunlicher Weise verhältnismäßig gesund. Bertram, der Pater und Heiler, war mehr als überrascht über ihren Zustand.“ Ferenc lächelte in sich hinein. Ein geheimnisvoller Zug lag dabei auf seinem Gesicht. „Danke.“ Sagte er nur. Doriel warf seinem Bruder einen befremdlichen Blick zu. Seit wann interessierte er sich in erster Linie für Andere? Diesen Zug kannte er nicht an ihm. „Ich weiß, was Du denkst, kleiner Bruder.“ Ferenc blickte auf seine Hände, während Doriel zusammenzuckte, als fühle er sich ertappt. „Die Zeit in den Minen hinterlässt Spuren> Jetzt hob Ferenc den Blick und lächelte seinen Bruder bitter an. „Menschen ändern sich, Doriel.“ „Doriel>“ Bertram war zögernd an sie heran getreten. Besorgnis lag auf seinem Gesicht. „Bernard geht es nicht gut.“ Sagte Ferenc nur, ohne den Pater anzusehen und Doriel fragte sich nicht ohne Schaudern, ob sein Bruder Gedanken lesen konnte, denn Bertram nickte. „Er wird sterben.“ Sagte Bertram unumwunden. „Ich weiß. Doch noch nicht so bald. Er ist momentan nur sehr geschwächt. Es ist ein alter Mann. Mit etwas Zuwendung und Ruhe wird er bald wieder auf den Beinen sein.“ Ferenc lächelte und sah den Pater an. „Er ist zäh.“ „Aber mein König, er>“ „Nennt mich nicht so.“ Unterbrach Ferenc ihn heftiger als beabsichtigt. „Noch bin ich nicht König und ob ich es je sein werde steht in den Sternen.“

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„Aber Euer Hoheit...“ „Nennt mich bitte einfach Ferenc.“ Unsicher sah der Pater Doriel an, der nur mit den Schultern zuckte und eilte zu Bernard zurück. „Wie kannst Du den armen Pater so verunsichern, großer Bruder?“ fragte Doriel, nachdem Bertram gegangen war. „Es war gewiss nicht meine Absicht.“ Ferenc kämpfte sich mühsam aus seinen Fellen. Noch fühlte er sich kraftlos und müde. Doriel erhob sich. „Ich bringe Dir etwas zu Essen und dann bin ich auf Deine Geschichte gespannt, sofern Du Dich in der Lage siehst, sie zu erzählen.“ Ferenc hatte mit Heißhunger gegessen. Nun fühlte er sich so behaglich, wie man es sich nach zwei Jahren Gefangenschaft, kargen Mahlzeiten und härtesten Bedingungen nur fühlen konnte. Nach dem Essen hatte er nach Bernard gesehen, bevor er es sich so bequem wie möglich machte. Doriel, Franklin, Hendryk, Trchta und Bertram saßen bei ihm am Feuer und sahen ihn erwartungsvoll an. „So aufregend ist meine Geschichte gar nicht.“ Ferenc und nahm dankend einen ihm gereichten Weinbecher entgegen. Dann begann er zu erzählen: „In der Nacht, in der ich verschleppt wurde, fand ich Dinge heraus, welche wohl eher im Verborgenen geblieben wären. Vater war kurz vorher von uns gegangen. Ich war auf dem Weg in meine Gemächer als ich unfreiwilliger Zeuge eines Gespräches zwischen Baradur und – man höre und staune – Helena wurde. Ich stand verborgen hinter einem Vorhang und konnte sie nur hören, nicht aber sehen. Sie sprachen von einer gemeinsamen Zukunft, welche sie so lange ersehnt hatten. Dass es nun endlich so weit war.

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So bekam ich mit, welch zweifelhafte Gestalt unsere Ziehschwester doch war. Eine gemeinsame Zukunft? Helena freute sich über das Gelingen ihrer Pläne. Baradur ermahnte sie. Noch sei es zu früh um zu jubilieren, doch auch er freue sich auf ihr gemeinsames, zukünftiges Leben. Mir war bewusst, dass ich etwas gegen dieses konspirative Verhalten tun musste, klangen diese Äußerungen in meinen Ohren doch sehr danach. Warum sonst hätten sie solch ein Geheimnis um ihre Liebe – wenn es denn Liebe war – gemacht? Am liebsten wäre ich noch im gleichen Moment aus meinem Versteck gesprungen und hätte sie beide zur Rede gestellt, denn nach dem Gesetz – war ich doch zu diesem Zeitpunkt der Thronerbe Torums – hätte diese Verbindung meiner Zustimmung bedurft. Ich weiß nicht was mich davon abhielt, doch ich blieb wo ich war. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit dafür noch nicht richtig war. Momentan war ich machtlos. Dann trennten sich Baradur und Helena und ich eilte in meine Gemächer. Ich ahnte nicht, dass Baradur so vermessen war, sich auch das Königreich Torum unter den Nagel zu reißen. Hätte ich dies auch nur in Erwägung gezogen, so würde Baradur nicht mehr am Leben sein. Ich hätte ihn an Ort und Stelle getötet. Doch ich erwartete von einem Freund nicht solch Niederträchtigkeiten. In meinem Schreibzimmer angekommen, machte ich mich daran, eine Nachricht an Dich aufzusetzen, denn ich wäre noch in der Nacht nach Torum zurückgekehrt. Noch während ich schrieb, wurde ich von einem Boten Baradurs gebeten, mich bei ihm einzufinden. Einen Hinterhalt vermutet im Geringsten. Baradur empfing mich mit einem Dutzend Soldaten. Wäre es nicht eine solche Schmach gewesen, dann hätte ich mich geehrt gefühlt. Ein Dutzend, um eines Mannes habhaft zu werden. Noch in der gleichen Nacht wurde ich weg gebracht. In Ketten, wie ein Verbrecher.“ Hier machte Ferenc eine Pause, nur um einen Schluck

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Wein zu trinken. Es war ihm indes nicht entgangen, dass es in der gesamten Halle ruhig war und die Menschen näher rückten. „Ich wurde wie ein Sack Mehl in eine fensterlose Kutsche geworfen. Man hatte mir einen stinkenden Knebel in den Mund gesteckt und einen Jutesack über den Kopf gezogen. Auch dieser stank erbärmlich. So lag ich die lange Reise auf dem Boden der Kutsche, ständiger Fußabtreter meiner Bewacher. Wir waren lange unterwegs und nach dieser erniedrigenden Fahrt war ich mir sicher, dass es nicht schlimmer kommen konnte. Wie sehr ich mich doch täuschte. Hätte ich gewusst, was auf mich zukam, ich hätte versucht zu fliehen – nur um mich töten zu lassen. Der Tot wäre bei weitem erfreulicher gewesen, als das hier.“ Ferenc machte eine ausladende Geste. „Doch ich war ein Narr. Einfältig und naiv. Ich hielt ich mich für unbesiegbar, unerreichbar> Du weißt selbst, was für ein selbstverliebter Mensch ich doch war.“ Doriel nickte und es war ihm sichtlich unangenehm. „Du musst Dich dafür nicht schämen. Ich weiß es selbst. Doch damals>“ Er lachte trocken. „Ich war ein anderer Mensch. Ein Mensch, auf dessen Taten ich gewiss nicht stolz bin. Ich war so vermessen zu glauben, dass ich hier eine Sonderbehandlung bekäme, wägte ich mich doch noch immer mit Baradur befreundet. Doch allein schon die demütigende Fahrt hierher hätte mich warnen müssen. Ich war ein Narr. Die Sonderbehandlung bekam ich, gewiss. Ich hatte sie mir nur anders vorgestellt. Verzeiht, wenn ich nicht weiter darüber berichte. Zu ehrlos sind die Erinnerungen daran.“ „Ehrlos?“ ertönte eine schwache Stimme. „Du ertrugst viel in der Nacht Deiner Ankunft und nichts davon war ehrlos. Warum willst Du das verschweigen?“ Aller Augen richteten sich auf Bernard, der auf zwei Männer gestützt neben Ferenc trat und sich in der Runde niederließ. „Warum berichtest Du nicht, was geschah?“

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„Bernard, bitte. Das ist nicht wichtig>“ Ferenc legte dem alten Mann beinahe zärtlich eine Hand auf den Arm. „Du solltest Dich nicht so anstrengen, mein Freund. Du bist>“ „>ein alter Mann, dessen Tage gezählt sind.“ Unterbrach ihn Bernard. „Sieh mich nicht so an, Ferenc. Du weißt es.“ Der alte Mann lächelte milde, dann wandte er sich den Zuhörern zu. „Niemand von uns erhielt eine solche Begrüßung wie Ferenc. Niemand wurde halb tot geschlagen. Keiner von uns wurde so gedemütigt und erniedrigt, niemand>“ „Bernard bitte.“ Ferenc´ Stimme war leise und beschwörend. „Bitte lass es>“ Ein Grauen lag auf seinem Gesicht, dass es Doriel erschütterte. Was mochte sein Bruder durchgestanden haben? Es mussten unaussprechliche Qualen gewesen sein. „Verzeih mir bitte.“ „Belassen wir es dabei. Ich wurde in die unteren Kerker gebracht und dort herrschte ein anderes Klima als hier an der Oberfläche. Es war egal, wer man war, welchen Standes man geboren wurde. Nichts von all dem war dort wichtig. Nicht einmal der Name. Ging es um das nackte Überleben sind solche Dinge nicht von Belang. Ich brauchte jedoch eine Weile, bis ich dies begriff. Ich meinte, auch hier unten war ich Ferenc, der Thronerbe Torums, zukünftiger König>“ Er lachte bitter. „ Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit verrann, aber nach und nach begann ich mich an das Leben dort unten anzupassen. Ertrug die täglichen Schläge, die Arbeit, die kärglichen Mahlzeiten. Man lernt viel, vor allem die Entbehrungen und Quälereien zu erdulden und trotzdem zu überleben. Mit der Zeit gelang es uns, einige Wachen auf unsere Seite bekommen und diese sorgten dafür, dass wir gelegentlich richtiges Essen bekamen. Dass wir : wenn auch des Nachts – nach oben durften. Oh wie herrlich duftete die Luft. Die reine, eiskalte frische Luft. Wie gut tat das kalte Bad im frischen Schnee. Und erst das Glitzern der Sterne> Unvorstellbar schön.“

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Ferenc´ Stimme klang versonnen, als durchlebte er diese Glücksmomente – Dinge welche für Doriel und die anderen zur Normalität gehörten – erneut. Still war es in der Höhle. Nur unterbrochen durch das Knistern der Feuer. „So konnten wir überleben. Gelegentlich erschien Baradur in den Minen. Ihr müsst wissen, dass er ein Schloss an den großen Eis:Seen hat bauen lassen. Dorthin lud er sich vergnügungssüchtige Freunde ein. Er>“ „Und wieder erzählt er nur die Hälfte.“ Unterbrach Bernard Ferenc´ Erzählung. „Entschuldigt bitte wenn ich nun schon wieder störend dazwischen rede, doch wenn, dann solltet ihr die ganze Geschichte erfahren. Oh Ferenc.“ Bernard schüttelte den Kopf. „Warum erzählst Du nicht die ganze Wahrheit?“ „Weil es nichts zur Sache tut, alter Freund. Es ist>“ „Ich weiß, dass Du nicht gern über Dich und das, was wir Dir verdanken sprichst, also verzeih einem alten Narren, dass er das für Dich übernimmt.“ Etwas in Bernards Stimme duldete keinen Widerspruch und so schwieg Ferenc. „Was er nämlich zu verschweigen versucht: er erlernte unten in den Minen Dinge, welche uns allen verwehrt blieben. Ich weiß nicht genau ob er Gedanken lesen kann, vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber er kann die Empfindungen anderer Menschen erspüren und so gewiss ihre Gedanken erraten. So war es ihm zu verdanken, dass sich einige der Wachen uns zuwandten und uns diese Herrlichen Stunden im Schnee und Sonderrationen ermöglichten. Und auch er war es, der herausfand, was Baradur genau hier wollte, tauchte er mit seinen Freunden auf: Unser aller König – Das Unheil möge über ihn hereinbrechen – begab sich nämlich auf die Jagd. Abseits allen Lebens, so dass sich seine Gräueltaten nicht herumsprechen konnten. Er jagte alles, was ihm vor die Armbrust lief, die seltenen Schneetiger, Bergals, ja sogar Menschen.“ Ungläubige Blicke trafen den alten Mann und der nickte. „Ja er machte Jagd auf Menschen. Er

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ließ einen von uns hinauf bringen. Anfangs erzählte man uns, dass dies die einzige Möglichkeit wäre, die Freiheit zu erlangen. Erreichte man unversehrt den Wald, so könne man gehen, wohin man wolle. Wir glaubten es, bis Ferenc herausfand, was tatsächlich geschah.“ „Du willst sagen, dass Baradur die Gefangenen der Minen>“ „>tötete? Ja. Das tat er.“ bestätigte Bernard. „Und nicht nur das. Baradur ließ in der Zeit Ferenc holen und ganz bestimmt nicht, um mit ihm Skir zu trinken. Glaubt mir, wenn ich euch erzähle, dass es kein schöner Anblick war, brachte man ihn wieder zu uns zurück.“ „Es ist schon gut, Bernard. Ich erzähle weiter.“ Ferenc Gesicht war zu einer steinernen Maske geworden. „Nur aus diesem Grund hatte er mich am Leben gelassen, unser Freund Baradur. Und bevor ich weiter erzähle, möchte ich ein Versprechen: Sobald wir auf Baradur treffen, es zum Kampf kommt>“ Ferenc ballte die Hände zu Fäusten. „Baradur wird durch meine Hand sterben. Niemand anderes wird ihn auch nur berühren! Der Verräter und Mörder wird mir gehören, komme was wolle! Habe ich euer Wort!“ Er sah sich in der Runde um und alle nickten zustimmend. „Gut. Denn das versprach ich ihm bei seinem letzten Besuch. Das war der bis dahin schlimmste in meiner gesamten Zeit hier in den Minen. Baradur war an diesem Tag wütend, ja richtiggehend rasend gewesen> Ein Gerücht hatte ihn heftig aufgebracht. Ein Gerücht über die Rückkehr des rechtmäßigen Thronerben von Torum> Nachdem das nur ich sein konnte, wollte er genau dies verhindern und er ließ seine Wut und seinen Frust über diese Situation an mir aus. Zu meinem Glück hatte er nicht den Mut, mich eigenhändig zu töten, zumindest nicht ganz. Diese Arbeit wollte er den Wachen überlassen. Anstatt mich aber sofort zu töten, brachten diese mich in einen der alten Stollen. Dort sollte ich sterben.“ „Wie kommt es dann, dass Du>“ Doriel schüttelte den Kopf. Als Ferenc von dem Gerücht erzählt hatte, war ihm abwechselnd eiskalt

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dann siedend heiß geworden. Er glaubte zu wissen, woher Baradur das Gerücht hatte. Er selbst war doch in der Schenke gewesen, hatte sich zu erkennen geben, hatte so das Gerede entfacht. An etwaige, ja sogar tödliche Folgen für seinen Bruder hatte er nicht gedacht. Wie hätte er auch ahnen sollen> „Du wolltest wissen, warum ich dennoch am Leben bin?“ fuhr Ferenc fort. „Ich wusste nicht, wie lange ich in dem Stollen lag. Als man mich hinunter brachte, war ich nicht bei Sinnen und als ich mein Bewusstsein wiedererlangte, war es um mich herum vollkommen Dunkel. Die Schmerzen waren so stark, dass ich kurz davor war, den Verstand zu verlieren. In diesem Wahn spürte ich etwas. Diese Kristalle hatten heilende Wirkung auf meinen zerschundenen Körper. Ich verbrachte zwei Tage an diesem Platz und war völlig kuriert. Den Rest der Geschichte kennt ihr, denn an ihr wart ihr beteiligt.“ „Dann weiß Baradur nicht, dass Du noch am Leben bist?“ fragte Doriel nachdenklich. „Nein. Er weiß es noch nicht. Es könnte ein Vorteil für uns sein, ich weiß. Doch jetzt werde ich mir keine Gedanken darum machen.“ Ferenc gähnte und machte es sich auf seinem Lager bequem. „Ich werde jetzt schlafen.“

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Doriel erwachte durch einen Schrei, den sein Bruder im Schlafe ausrief. Ferenc war trotz der Kälte schweißgebadet und träumte offensichtlich von den Qualen, die hinter ihm lagen. Der jüngere Bruder dachte über die Ausgangssituation noch einmal nach. Die Vlks waren in ihrer Anzahl den Truppen Rodlaks unterlegen. Ein offener Angriff kam also nicht in Frage. Was aber dann? Trchta ging einige Meter weit von ihm entfernt durch das Lager. Er stocherte in dem Feuer, welches extra für die Menschen entzündet wurde, nahm eine Rehkeule, biss hinein, verschlang sie mit einigen Bissen und warf den Knochen einfach hinter sich. Doriel lachte. Er hatte eine Idee. „Trchta“, rief er, „wie lange brauchen eure Späher bis zur Burg Rodlaks?“ „Nicht längerrr, wie einen Tag“; antwortete der Anführer der Vlks. Doriel grinste. „Ich habe einen Auftrag für einen eurer Späher“. Er hockte sich hin und malte etwas mit einem Ast in den Schnee. „Hier ist die Stelle, an der ich fliehen konnte. Es ist eine Luke, durch die der Koch der Burg der Essensreste entledigt. Wenn diese noch aufsteht, so kommen wir eventuell mit einer kleinen schlagkräftigen Truppe in die Feste und können unbemerkt zu Baradur vordringen und seiner habhaft werden. Ich glaube, wenn er erst einmal in unseren Händen sich befindet, werden wir rasch die Bürger seines Landes auf unsere Seite schlagen können.“ „Klingt ganz nach einem Plan, kleiner Bruder“, Ferenc war unbemerkt an sie heran getreten.

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„Die Sache hat nur einen Haken. Da gibt es doch diesen Magier. Wie willst du ihn überwinden?“ „Er zählt nicht, Bruder. Wenn wir Baradur unbemerkt fassen können, werden wir mit Helena verhandeln.“ „Pah“, Ferenc spuckte in den Schnee, „dieser Hexe wird es egal sein, mit wem sie ihr Bett teilen muss, um an der Macht zu bleiben. Wenn Baradur nicht mehr ist, dann halt jemand anderer. Nein Doriel, dein Plan ist gut, aber wir werden dort eindringen um die Drei zu töten. Wir machen keine Gefangenen>nicht in dieser Schlacht“. „So soll es sein“, sprach Trchta. „Ich werde meinen schnellsten Vlk schicken, um zu sehen, ob diese Luke noch offen ist.“ Damit verließ er den Platz. Ferenc war erfreut, dass wenigstens einer etwas aus den Lehren ihrer Mutter gewonnen hatte. Plötzlich war Aufruhr am anderen Ende des Lagers. Trchta sah in die Dunkelheit. „Ein Bote von Warrrgas“, sagte er. Ein Vlk rannte auf die Lichtung. „Ich brrringe Kunde von Warrrgas“, rief er „errr hat die Stämme versammelt und es sind etwa 300 Krrrieger“. „Wann sind sie einsatzbereit?“, fragte Trchta. „Soforrrt, wenn ihrrr es wünscht. „Ausgezeichnet“, bemerkte Doriel. Wargas und seine Krieger können so tun, als wollten sie das Haupttor erstürmen. Sie sollten sich vor der Festung formieren, aber immer weit genug um nicht von den Armbrüsten getroffen zu werden. Wir müssen versuchen die Verluste möglichst klein zu halten. Wenn die Rodlakrianer merken, dass sie einer Finte unterlegen sind, werden sie sich höchstwahrscheinlich um uns kümmern. Das wäre dann der geeignete Zeitpunkt um anzugreifen“. „Immer vorausgesetzt, dass die Luke offen steht“, kritisierte Ferenc. „Ja“, stellte auch Doriel fest.

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„Immer vorausgesetzt, dass die Luke offen steht“

Sie nutzten den Tag, um alle Männer mit Waffen auszustatten. Doriel unterwies Franklyn dies zu übernehmen. Für alle die kein Schwert bekamen, schnitzten die Vlks Speere. Am späten Nachmittag gesellte sich Trchta zu Doriel und berichtete, dass der Späher wieder da sei und gesehen hatte, wie Abfall aus der Luke geworfen wurde. Sie stand also offen, Doriels Plan schien zu gelingen. Er rief die Leute um sich und Ferenc und erhob das Wort: „Morgen in aller Früh brechen wir auf. Wir werden in 2 Gruppen gehen. Franklyn übernimmt das Kommando über die Menschen und die Vlks. Diese zusammen sollen sich mit Wargas und den anderen Vlks zu einer Armee zusammenrotten. Ferenc, ich selbst, Bertram und Trchta werden alleine zur Festung schleichen und durch die Küche in die Burg eindringen. Dort werden wir Baradur in unsere Gewalt bringen. Auf mein Zeichen hin kann der euer Angriff auf die Burg beginnen. Haltet euch zu Beginn zurück, ich will keine Verletzten, bevor eine Schlacht beginnt. Insgeheim hoffe ich natürlich, dass die Armee Baradurs aufgibt, wenn sie sehen, dass ich ihren König in meinen Händen habe.“ „Und was ist mit mir?“, Julia trat in die Mitte. „Du bleibst bei Hendryk und Franklyn in Sicherheit.“, befahl Doriel. „Doriel Kaldor! Ich bin nicht die ganze Zeit durch diese Eiseskälte mit dir gereist um dann zurückzubleiben. Wo du hin gehst, gehe auch ich. Basta!“, widersprach die junge Frau. Ferenc grinste. „Tja Brüderchen, du magst einen Angriff auf eine uneinnehmbare Burg planen können. Auch magst du gelernt haben eine Armee zu führen, aber was die Frauen betrifft, bist du ein

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absoluter Neuling. Vielleicht hörst du da mal in Zukunft auf das, was dein Bruder dich lehren kann.“ „Also gut, Julia kommt mit uns!“ gestand Doriel ein. Der Junge König grübelte. Es war nicht gut mit so vielen zu gehen, aber auf Bertram konnte er nicht verzichten, Ferenc wollte seine Rache und in Trchta hoffte er einen starken Kämpfer mitzunehmen, der sich auch mit einem Trupp von vier Wachen auseinandersetzen konnte und so dem Unternehmen einen kräftigen Rückhalt verschaffen konnte. Sie warteten die Nacht ab und der eine oder andere fand keinen Schlaf in dem finsteren Wald. Als die ersten Vögel sangen, gruppierten sich die beiden Trupps. Während das große Heer nach norden zog, ging Ferenc mit seinen Leuten Richtung Osten. Trchta bot sich an immer wieder voraus zu gehen um die Lage zu sondieren. Bertram und Julia gingen zwischen den Brüdern Kaldor. Es war ein anstrengender Marsch, den sie nur unterbrachen um eine Kleinigkeit zu essen. Sie kamen am späten Nachmittag an der Festung an. Trchta kniete im hohen Gras und spähte die Bewegungen aus, die vor und auf der der Burg stattfanden. Doriel zeigte den anderen die besagte Luke. „Wie wollen wir dort heraufkommen?“, erkundigte sich Julia. „Das ist doch viel zu hoch um zu klettern.“ „Trrrchta wirrrd eine Leiterrr bauen“, erwiderte der Vlk. „Gut“, fasste Ferenc zusammen, „sobald es dunkel wird machen wir uns an die Arbeit.“

Sie hatten nur leichte Waffen mitgenommen. Ferenc und Doriel trugen Schwerter, Julia einen Dolch, Bertram seinen Kampfstab und Trchta einen langen Speer. Er begab sich wieder in den Wald und kam kurze

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Zeit später mit einer improvisierten Leiter zurück. Es war inzwischen dunkel geworden. Die fünf schlichen sich näher an die Feste heran. „Dort rechts von der Luke befindet sich ein Turm, auf dem eine Wache steht“, stellte Ferenc fest. „Den übernehme ich“, teilte Bertram mit. Er duckte sich an der Mauer entlang und wich nur soweit zurück, dass er den Posten gut sehen konnte. Dann gestikulierte er mit seinen Händen und sprach einige Worte aus. Wie von Zauberhand getroffen kippte die Wache nach hinten weg. In der Burg blieb es offensichtlich ruhig. Doriel grinste. Er hatte keinen Fehler gemacht Bertram mitzunehmen. Trchta war schon damit beschäftigt die Leiter anzustellen. Ferenc ergriff eine Sprosse und zog sich langsam nach oben. Er kletterte behände hinauf und sah durch die schmale Öffnung in die Küche hinein. Dann stemmte er sich kurz ab und betrat den Raum dahinter. Keine zehn Sekunden später lugte er wieder heraus und winkte den anderen, ihm zu folgen. So standen die Fünf von Rodlak unbehelligt in der Küche und sahen sich an.

„Was nun?“, fragte Julia. Sie hatte ein wenig angst und sah sich unentschlossen in der Küche um. Die Köche waren wohl schon zu Bett gegangen, es roch angenehm nach Kräutern und dem Braten, dessen Reste noch auf einigen Platten lagen. „Erst mal stärrrken“, ließ Trchta vernehmen, und griff nach einem Stück Fleisch. Doriel deutete auf die Tür:“ Von hier aus geht ein gang ab. Nach einigen Metern kommt eine Wendetreppe, die nach unten und nach oben führt. Die Gemächer des Königs befinden sich im Dachgeschoss. Ich schlage vor, dass Ferenc, Julia und ich diesen Weg nehmen, während Bertram und Trchta nach unten gehen. Irgendwo dort wird dieser Magier sein Quartier haben. Wenn ihr ihn

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überwunden habt, dann gesellt euch wieder zu uns.“ So trennten sich die Gefährten. Während des langen Abstiegs zu den Erdgeschossräumen murmelte Bertram eine Schutzformel. Trchta durchfloss ein seltsames Gefühl von wohliger Wärme, als er mit dem Zauber belegt wurde. Als sie an eine schwere Eichentür kamen duckte er sich vorsichtig und öffnete sie. In dem Gang, den sie nun sahen war niemand zu sehen. So wie es aussah rechnete niemand in der Burg mit Eindringlingen. Leise bewegten sie sich zu der nächsten Tür und öffneten sie. „Afflixum pragos pilum!“ Die Worte durchbohrten sie ebenso, wie ein magischer Speer, der die beiden ungleichen Männer traf. Mitten im Korridor stand eine hagere Gestalt. Die langen Roben verschwiegen nicht, wie dürr der Mann war. In seinen tiefschwarzen Augen flammte der Hass auf. „Ich habe euch erwartet“, verkündete Milan und seine Hände formten erneut eine Geste des Angriffs. Trchta, der durch die Zauberei Bertrams fast unverwundbar war, hob seine Waffenhand und schleuderte den langen Speer in Richtung des Schwarzmagiers. Der wich zur Seite, konnte aber nicht verhindern, dass er am Arm getroffen wurde und sein Zauber, den er vorbereiten wollte somit unterbrochen war. Bertram nutze die Gelegenheit und gestikulierte seinerseits mit den Händen in der Luft. „Astrator Excelsior“, rief er aus und neben Milan materialisierten 2 Vlks, die mit ihren Speeren sofort auf den verletzen Mann einhieben. Trchta zückte einen Dolch und sprang behände auf Milan zu. Er hob die Hand zu Treffer. Seine Klinge verfehlte das Ziel nur knapp. Milan wich ein bis zwei Schritte zurück und dann sprach er das Letzte, was man von ihm hören konnte. “Invicius Sibyllus“, Bertram schrie: „Schnell Trchta, er will fliehen!“. Doch es war zu spät. Neben dem Zauberer entstand ein Portal, und Milan betrat es mit einem Schritt. Als er nicht mehr zu sehen war, verschloss sich dir Öffnung.

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„Was warrr denn das?“, fragte Trchta. „Dimensionstor“ erklärte Bertram. Er ist schlauer, als ich dachte. Er hat irgendwo hier auf dieser Welt ein Tor geschaffen und zu diesem Punkt ist er jetzt verschwunden. Es kann Wochen dauern, bis man ihn findet. Vielleicht ist er aber auch noch in dieser Burg. Wir sollten zu den Prinzen eilen!“ Sie rannten die enge Wendetreppe hoch. Als sie die Hälfte hinter sich gebracht hatten, hörten sie schon den Kampflärm und einen markerschütternden Schrei einer Frau. Ein grausamer Anblick bot dich den Beiden, als sie dir Tür zum königlichen Schlafzimmer aufstießen. Auf dem Boden lag Doriel, über und über mit Blut beschmiert. Auf dessen Körper kauerte Helena, von der das Blut wohl stammte, denn über ihr stand Julia, ihr Langschwert in der Hand, dessen Klinge im Herzen der verräterischen Halbschwester seinen Platz gefunden hatte. Im hinteren Bereich kämpften Ferenc und Baradur mit ihren Waffen um ihr Leben. Ferenc drosch mit brachialer Gewalt auf Baradur ein, der sich nur schwach verteidigen konnte. „Julia!“, Bertram fluchte, „was ist geschehen?“ „Sie wollte Doriel von hinten meucheln, da hab ich sie erschlagen“, stammelte die junge Frau. „Gebt auf Baradurrr“ rief Trchta und als der „König“ den Vlk sah hielt er einen Moment inne. Er sah auch nicht, wie sich Ferenc´ Schwert auf seine Kehle zu bewegte, und auch nicht, dass sie sie zerschnitt. Aus der Wunde sprudelte das Blut nur so heraus und Ferenc stieß noch einmal zu, um dem Tyrannen sein Ende zu bereiten. „Das letzte, was der Sterbende sah, war der blutige Korpus seiner Geliebten und das Doriel diesen gerade von sich stieß. Bertram eilte zum Fenster und sprach eine Formel. Blitze zuckten aus seinen Fingerspitzen und verschwanden in der Finsternis. Das war das Zeichen für die Vlks anzugreifen. Ferenc sah Julia an: „Sieh weg!“, befahl er und als sie sich abdrehte, trennte er Baradurs Kopf

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von dessen Körper. Er trat hinaus auf den Balkon, der zum Innenhof führte und rief: “Soldaten von Rodlak. Euer Herr ist tot. Lasst die Waffen fallen, um zusätzliches Blutvergießen zu verhindern. Die wenigen Wachen, die sich im Burghof befanden, sahen das abgetrennte Haupt ihres Königs und den Mann, den sie für tot gehalten hatten, hielt es in seiner linken, das blutbesudelte Schwert in seiner rechten Hand. „Wir ergeben uns!“, schrie einer von Ihnen und senkte seinen Stoßspeer. „Dann öffnet das Tor!“ forderte Ferenc und die Wachen gehorchten ihm. Doriel war inzwischen wieder auf den Beinen und Bertram hielt Julia in seinem Arm. „Herr“, sagte er, „ihr fehlt nichts. Sie war mutiger, als wir es für möglich hielten. „Wer sich an meinem Doriel vergreifen will, hat sich verrechnet“, erwiderte die Frau und grinste. Draußen war der Hof inzwischen mit Vlks und Franklyns Leuten überfüllt. Sie nahmen den verbliebenen Wachen die Waffen ab und kesselten sie ein. „Bürger des Landes“ verkündete Ferenc. „Zu lange habt ihr unter der Knechtschaft eines falschen Königs zu leiden gehabt. Er hat veranlasst, dass sowohl seine als auch meine Eltern Opfer des Schwarzmagiers Milan und seiner untoten Schergen wurden. Durch diesen Pakt hat er sich die Krone erschlichen, aber das ist jetzt vorbei. Nach dem heutigen Tag, werden mein Bruder Doriel und ich, die Brüder Kaldor, rechtmäßige Erben des Königreiches über euch regieren. Vorbei die Zeiten der Sklaverei und der Fessel. Wir werden euch gerecht führen und es werden wieder glorreiche Zeiten für unser Land anbrechen, das garantiere ich heute so wahr ich Frederik Gallos Sohn und dessen Nachfolger bin.“ Und siehe: Das Volk jubelte aus dem Jubel heraus war immer wieder ein Wort zu hören: „Kaldor“

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In einem Turm, unweit der Eisminen, saß ein dürrer alter Mann an einem runden Tisch, Sein rechter Arm war verbunden, sein Blick aber war glasklar. Er hatte einen Plan gefasst. Tief in seinem Herzen spürte er, dass die schöne Helena hingeschieden war. So dachte er sich: „Wenn ich sie nicht zu Lebzeiten haben konnte, dann werde ich sie halt im Unterreich lieben müssen!“. Er lachte laut. Sein nächster Weg würde ihn in die Ahnenkammer der Burg führen, dort würde er ihren Leichnam stehlen und aus diesem eine untote Gefährtin zu machen. „Wenn dieses vollbracht ist“, so dachte er, „werde ich den beiden Bengels einen Kampf liefern, von dem die Welt noch in hundert Jahren reden wird.“ Er verließ sein Zimmer, sah aus dem Fenster und rief: “Erhebt euch meine Freunde, es gibt Arbeit für uns!“ Und der Boden begann sich zu bewegen, als würde der Sand der Zeit durch ihn fließen>

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