Leeraner Zeitgeist Ausgabe 5

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GESCHICHTE & GESCHICHTEN Die App zum Magazin

NR. 5

Juni - August 2017

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LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER UND FREUNDE DER HEIMISCHEN GESCHICHTE

In der schnelllebigen Zeit, in der wir leben, können wir leicht Halt und Orientierung verlieren. Warum leben wir? Was wollen wir erreichen? Sind wir zufrieden, wenn wir im Alter auf unser Leben zurückblicken? Manch einer wird sich diese Fragen nie stellen, wer sie beantwortet, kommt zu individuell verschiedenen Antworten. Gemeinsam ist uns allen, dass wir aus der Geschichte leben, dass in der Vergangenheit die Grundlagen für unser Leben gelegt wurden. Sich dessen zu besinnen, bietet Gelegenheit, Halt in unseren historischen Wurzeln zu finden, sich der Leistung unserer Vorfahren bewusst zu werden und die Frage nach dem Sinn unseres Lebens neu zu beantworten. Der Blick in die jüngere Vergangenheit deutet an, dass es in der Geschichte Wendepunkte gab, an denen die weitere Richtung der Entwicklung bestimmt wurde. Die Altstadt von Leer wäre heute nicht jene, die wir kennen, hätten sich nicht im Jahr 1973 Menschen zu der Initiative „Bürger kämpfen für ihre Altstadt“ zusammengeschlossen, um zu verhindern, dass sie mit dem Modernisierungsgummi ausradiert worden wären. Keine Altstadtführung würde es heute gegen, kein Film würde gedreht, weil die Altstadt dann nach dem Vorbild des „Kleemann-Bunkers“ verunstaltet worden wäre. Die älteren Bürger erinnern sich vielleicht noch an das Hutgeschäft Giese, das in der Mühlenstraße ansässig war. Diethelm und Philipp Sempell, Vater und Sohn, erinnern an diesem Teil der Familiengeschichte. Die Recherche in alten Zeitungen ist mühsam, aber die alten Blätter bieten hier und da die Möglichkeit, aus der Heimat in die Weltgeschichte einzutauchen, wie der Artikel aus dem Jahr 1914, in dem die Folgen der „Franzosenzeit“ für Leer und Ostfriesland nachgezeichnet werden. Eine der Folgen war, dass die Geschichte des Leeraner Arztes Dr. Weiß in Vergessenheit geriet, der als Pionier der Pockenimpfung gilt. Aus den Erinnerungen einer alten Leeranerin erfahren wir wenig Bekanntes über die Bedeutung der Harderwykenburg. Ebenso wenig dürfte bekannt sein, dass es in Leer eine Reeperbahn gegeben hat, die von der Mühlenstraße bis zur heutigen Annenstraße führte.

Der Blick in die Rathausstraße mit ihrer Fassadenvielfalt bietet Einheimischen und Gästen attraktive Seherlebnisse. Foto: OTG

Fachabteilungen Anästhesie, Schmerz- & operative Intensivmedizin Orthopädische Chirurgie Unfall- & Wiederherstellungschirurgie Allgemein- & Viszeralchirurgie Innere Medizin & Gastroenterologie Urologie & Kinderurologie Plastische-, Hand- & Ästhetische Chirurgie Gynäkologie & Geburtshilfe HNO-Belegabteilung Med. Versorgungszentrum (MVZ) Borromäus Hospital Leer gGmbH Kirchstr. 61-67 | 26789 Leer Telefon: 0491 85-0 | www.borromäus-hospital-leer.de

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Erlebnisraum ALTSTADT LEER

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ie Innenstadt von Leer lädt zum Einkaufen, Bummeln und Entspannen ein. Durch die Fußgängerzone und die angrenzenden Straßen zu schlendern, ist auch eine Wanderung durch die Geschichte, vor allem aber ist es ein Wohlfühl-Spaziergang durch eine von einmaliger Atmosphäre geprägte Stadt. Das vielfältige Angebot in den Geschäften, die gemütlichen Cafés in den teils alten aber auch in neu errichteten Gebäuden, vor allem aber der Blick auf die liebevoll renovierten Gebäude laden ein, in der Stadt zu verweilen und einen Hauch von Geschichte mit Heim zu nehmen. Was uns heute in Leer wie selbstverständlich an historischem Genuss angeboten wird, ist so selbstverständlich nicht, es hätte auch anders kommen können. Der Zweite Weltkrieg hatte Tod, Elend und Zerstörung über die Welt, über Deutschland und auch über Ostfriesland gebracht, mit unterschiedlicher Ausprägung. Während beispielsweise die Emder

Innenstadt durch Bombenangriffe weitgehend zerstört wurde, blieb die Leeraner überwiegend von Zerstörung verschont. In Leer konzentrierten sich die Kämpfe gegen Ende des Krieges auf den Bereich um die Kaserne sowie auf die damals noch selbstständige Gemeinde Loga. Wo die Innenstädte zerstört wurden, wuchs aus dem Elend nach und nach die „Chance“, sie neu zu gestalten, so auch in Emden, wo sich unter anderem die Region um den Delft heute anders als vor dem Krieg präsentiert. In Leer gab es diese „Chance“ nicht. Deshalb beschloss der Stadtrat ein Vierteljahrhundert später, sich diese „Chance“ selbst zu schaffen. „Stadtsanierung“ stand auf der Tagesordnung und der Bau einer „Westtangente“ durch die Altstadt sollte die Grundlage dafür schaffen. Die Straßen und Gassen galten als zu eng und für den „modernen“ Verkehr ungeeignet, die kleinen Häuser entsprachen überwiegend nicht den Anforderungen an den damaligen Wohnkomfort. Abriss und Neubau sollten die Lösung bringen. Engagierte Bürger verhinderten den Kahlschlag in der Historie. Sie schlossen sich zur „Bürgerinitiative Altstadt Leer“ (BI) zusammen und trugen maßgeblich zu dem Anblick bei, den uns die Altstadt heute bietet. Die Auseinandersetzung der BI mit dem Bürgermeister und dem Rat der Stadtrat konzentrierte sich zunächst auf ein Gebäude, das es nicht gab. Das Amtsgericht an der Wörde war zu klein und sollte um einen Anbau ergänzt werden. Der Plan sah ein fünfgeschossiges Haus mit Flachdach vor. Auf Drängen der BI wurde der Plan geändert und das Gebäude dreigeschossig und mit Satteldach gebaut. Der für den architektonischen Charakter der Altstadt wesentliche Erfolg der Arbeit der BI besteht darin verhindert zu haben, dass ein 17 Meter hohes Haus gebaut wurde, das die umgebenden Gebäude optisch erdrückt hätte.  leeraner ZEITGEIST :: Altstadt Leer

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leeraner ZEITGEIST :: Altstadt Leer

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Von der Rathausstraße zweigt der Wilhelminengang ab, Beleg dafür, dass bei der Stadtsanierung alte Bausubstanz erhalten blieb. Im Hintergrund ist das ehemalige Speicherhaus zu sehen, in dem jetzt die Stadtbibliothek untergebracht ist. Foto: „Ostfriesland-Tourismus GmbH, (OTG)

Hinter der einfühlsam sanierten Fassade der Weinhandlung Wolff in der Rathausstraße arbeitet ein erfolgreicher Wirtschaftsbetrieb. Das Gebäude ist auch als Haus „Samson" bekannt, müsste einer ältern Quelle zufolge vielleicht aber Haus "Simson" heißen. Foto: OTG

 Wozu es führt, wenn ein Gebäude ohne Rücksicht auf die städtebauliche Umgebung geplant und realisiert wird, kann man an dem nach seinem Planer benannten „Kleemann-Bunker“ erkennen, dessen Bau die BI nicht verhindern konnte. Das Haus befindet sich an der Ecke Mühlen- und Heisfelder Straße und sollte das Wirtschaftsleben in diesem Raum beleben, was aus der Sicht der BI nicht gelang. In ihrer Dokumentation „Bürger kämpfen für ihre Altstadt“ ist zu lesen: „Von einem Anstoß zu Wirtschaftswachstum am westlichen Ende der Mühlenstraße konnte beim ‚Kleemann-Bunker’ nie die Rede sein. Dabei ist die Lage durchaus interessant. Hat also tatsächlich – vor allem oder auch – die erdrückende Unförmigkeit des Gebäudes die Menschen aus seiner Umgebung geradezu vertrieben? Es gab schließlich durchaus Leute, die den ‚Bauklotz’ bedrohlich fanden und sich in seiner Nähe unwohl fühlten und fühlen.“ Dass es auch anders geht, zeigt der Blick auf die andere Seite der Heisfelder Straße, dorthin, wo sie auf die Brunnenstraße trifft. Wo heute in dem attraktiv bemalten Gebäude, dem „Coloniale Haus“, die Betreiber des Bünting-Cafés zum Ausspannen und Genießen einladen, befand sich einst das Kaufhaus Karstadt, das in Verbindung mit dem Hotel Hindenburg, dem Papierwarengeschäft, den Goldschmiedewerkstätten, dem Buch- und dem Eisenwarenhandel, alles Gebäude, die für den Kleemann-Bunker und für den Ausbau der Kreuzung abgerissen wurden, wirtschaftlich attraktiv gewesen sein dürfte. Das Gebäude, das heute das Bünting-Café beherbergt, ist einer von zahlreichen Belegen für gelungene Sanierung, die vielfältige Gesichter hat. Teils wurde aus zwei Wohnungen eine gemacht, die dann modernen Wohnansprüchen gerecht wurde, teils wurde abgerissen und so neu gebaut, dass sich der Neubau harmonisch in die Umgebung einfügt. Der Charakter der Rathausstraße wird durch Vielfalt und Vielzahl historischer Giebel und Fassaden geprägt, die Bebauung der Kampstraße zeichnet sich durch den Wechsel von Trauf-, Giebelund Zwerchhaustypen aus. Im Wilhelminengang finden Interessenten das Geburtshaus der Leeraner Lehrerin und Schriftstellerin

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leeraner ZEITGEIST :: Altstadt Leer

Wilhelmine Siefkes, das Anfang der 1970er Jahre baulich heruntergekommen war und einem Neubau weichen sollte, aufgrund des Engagements der Leeraner Bürger aber erhalten blieb. Das Haus war im Jahr 1572 als Bauernhaus gebaut worden und wurde als „Goldene Kuh“ bezeichnet. (In jener Zeit gab es keine durchgängigen Hausnummern). Das Haus „wurde von der Stadt mit großem Aufwand vorbildlich saniert“, heißt es in der Chronik der BI. Dort findet man auch ein Foto eines der meist fotografierten Häuser der Stadt, das Gebäude, in dem das Weinhaus Wolff ansässig ist und das – vielleicht fälschlicherweise – auch als Haus „Samson“ bekannt ist. Der Name geht auf jene Zeit zurück, in der die Häuser – wie jenes der Familie Siefkes – nach äußerlichen Besonderheiten benannt wurden. Ein R. Bergmann, Mitglied des „Vereins für Heimatschutz und Heimatgeschichte in Leer“, verfasste im Jahr 1912 für das „Leerer Anzeigeblatt“ einen Artikel, demzufolge das Haus „Simson“ heißen müsste, benannt nach einem Aushängeschild, welches den Richter Simson mit einem Löwen darstellte. (Sh. Beitrag: „Eine alte Leeranerin erinnert sich.) Wie die Bürgerinitiative gegen die drohende Zerstörung der Altstadt von Leer gekämpft hat, haben die damaligen Aktiven jetzt in dem Buch „Bürger kämpfen für ihre Altstadt“ nachvollzogen. (ISBN 978-3-00-054924-3)


HUT AB!

ERNST-AUGUST SEMPELL UND DAS HUTGESCHÄFT GEORG GIESE

Ein Enkel erinnert sich... Das Bild ist vielen älteren Leeranern noch gut im Gedächtnis: die alte untere Mühlenstraße. Hier standen einst das Seifenhaus Hansa oder Käse Janssen. Direkt daneben, das Mützen- und Hutgeschäft Georg Giese. Es gab zwei Eingänge, einen für die Damenabteilung, einen für Herrenhüte. In genau diesem stand meist ein pfeifender Herr. Er grüßte eigentlich jeden, war immer gut gelaunt. Mit den meisten wechselte er Worte – oft laut lachend. Er kannte die Menschen und die Leeraner kannten ihn, Ernst-August Sempell. Zusammen mit seiner Schwester Henriette-Gretje (Henny) hat er fast sein ganzes Leben lang Mützen und Hüte verkauft. Doch das Hutgeschäft Georg Giese gibt es bereits seit 25 Jahren nicht mehr. Angefangen hat alles im Jahre 1881. Georg Giese, der am 12. April 1856 in Bunde das Licht der

Welt erblickte, hatte damals die Idee, mit Textilstoffen und Tüchern zu handeln. Daraus wurden zur damaligen Zeit unter anderem auch Hüte und Mützen hergestellt. In der Hindenburgstraße 20 in Leer, die früher auch Adolf-Hitler-Straße hieß und später zur Mühlenstraße wurde, gründete Giese das Hutgeschäft. Es sollte mehr als 100 Jahre das Gesicht der Leeraner Innenstadt mit prägen. Zu dieser Zeit hatte Ernst-August Sempell Senior gerade seine Frau Theda Sempell, geb. de Löwe geheiratet. Sie brachte zwei Kinder zur Welt. Henriette gebar sie am 25. Januar 1921 und Ernst-August, der das Licht der Welt am 5. August 1923 erblickte. Die Geschwister Henny und Ernst wuchsen mit ihren Eltern in Spetzerfehn auf. Sie hatten eine glückliche Kindheit. 

Blick auf das im Jahr 1881 gegründete Hutgeschäft Giese in Leer. Wann das Foto entstand, ist nicht bekannt.

leeraner ZEITGEIST :: Ernst-August Sempell und das Hutgeschäft Georg Giese

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Links: Ernst, Henny, Lieschen und Ernst-August Sempell im Jahr 1940. Rechts: Im Kriegsjahr 1941 bediente Henny Sempell die Kundinnen im Hutgeschäft Giese Unten: Das seit 1881 in der Mühlenstraße ansässige Hutgeschäft Georg Giese besaß ein eigenes Wappen. Quelle: Alle Fotos Sammlung Sempell.  Ernst August senior besaß in Bagband eine Tuchweberei. Hier wurden Textilien für die Fischerei hergestellt. Er produzierte vor allem mit Tuchmodeln blaue Stoffe für die Krabbenpulfrauen an der Küste. Doch die Zeiten wurden von Jahr zu Jahr schwieriger. Die Geschäfte gingen zurück. Der große Schicksalsschlag traf die Familie am 31. Oktober 1935. An diesem Tag verstarb Theda Sempell, die Mutter von Henny und Ernst. Ernst war gerade einmal 12 Jahre alt. Während sich sein Vater als Witwer nun mit schleppenden Geschäften und zwei Kindern in einer schwierigen Situation wieder fand, verstarb im selben Jahr auch Georg Giese. Der Textilstoff- und Tuchhandel in Leer ging an die Tochter des Geschäftsgründers über: Elise Caroline Giese, genannt Lieschen, die am 27. Juli 1887 auf die Welt kam. Lieschen und Ernst-August kannten sich aus verschiedenen Geschäftsbeziehungen. Eine glückliche Fügung, schon bald wurden sie ein Paar. Nur ein Jahr später, im Jahr 1936, heirateten sie. Als zweite Frau, vor allem jedoch als Stiefmutter für die beiden Kinder, war sie herzensgut und ein Glücksfall für die Familie.

Neustart nach dem Krieg

In Leer begann gerade der Wiederaufbau. Wie viele andere Orte, war auch diese Stadt vom Krieg gezeichnet. Waren die ersten Kriegsjahre noch fast spurlos an Leer vorbeigegangen, wurden insbesondere bei der Eroberung durch die Alliierten viele Häuser in Mitleidenschaft gezogen. Das Hutgeschäft Georg Giese jedoch hatte weitestgehend Glück. Es überstand den Krieg. Die Scheiben waren zerborsten, die Lager geplündert. Doch das Wohn- und Geschäftshaus war intakt. Die Familie begann das Unternehmen neu aufzubauen. Alle packten mit an. Die ersten Tücher, Hüte und Mützen wurden besorgt. Alte Lieferantenbeziehungen wieder ins Leben gerufen. Neben Vater Ernst-August senior halfen nun auch die Kinder Henny und Ernst überall dort, wo sie gebraucht wurden. Im Verkauf, in der Buchführung, im Einkauf. Was folgte, waren goldene Jahre. Das Geschäft florierte. Es begannen die besten Jahre für den Hut- und Mützenhandel. Insbesondere

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leeraner ZEITGEIST :: Ernst-August Sempell und das Hutgeschäft Georg Giese

wegen der Entwicklung der Leeraner Heringsfischerei und der Schifffahrt, wodurch Mützen für die Kapitäne und Seeleute verstärkt nachgefragt wurden, entwickelte sich das Geschäft prächtig. Ernst-August Sempell senior starb am 21. August 1961. Das Hutgeschäft ging an die beiden Kinder über. Die Geschwister Henny und Ernst teilten sich die Leitung. 40 Jahre lang schneiderten, änderten und verkauften sie Mützen und Hüte. Alles in Handarbeit. Zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bauten sich Beziehungen auf. Modistenmeisterinnen oder Verkäuferinnen waren nicht selten über zwanzig oder gar über dreißig Jahre in dem Laden beschäftigt. Auch zu den Lieferanten bestand Verbundenheit. Die Firmen, mit denen schon der Großvater gehandelt hatte, wurden nie gewechselt. Das Hut- und Mützengeschäft Georg Giese war eine gute Adresse. Doch Zeit und Mode änderten sich. Hüte und Mützen wurden immer weniger gefragt. Viele Menschen kauften bald nur noch in der kalten Jahreszeit eine Kopfbedeckung. Zudem waren industriell gefertigte Waren aus den Fabriken billiger. Ab den 1970er Jahren, musste das Winterhalbjahr das Sommerhalbjahr finanziell tragen. Grund zum Klagen hatten die Geschwister jedoch nicht. Finanziell stand das Geschäft auf soliden Beinen. Gesundheitlich ging es ihnen gut. Die Söhne von Ernst wuchsen teilweise im Geschäft auf und sorgten für Leben. Nicht nur für sie sollte dieser Platz Abenteuer-, Lern- und Spielort zugleich sein. Im Herbst 1991 wurde das Hutgeschäft Georg Giese geschlossen. Ein Nachfolger stand nicht bereit. Hüte waren schon zu dieser Zeit kaum noch gefragt. Das Hut- und Mützengeschäft an der Mühlenstraße schloss seine Türen. Henriette Sempell lebte fortan im Altenheim Blinke, in dem sie am 22. Oktober 1996 verstarb. Ernst Sempell blieb zusammen mit seiner Frau Sieglinde in dem gemeinsamen Haus in der Ubbo-Emmius-Straße Leer wohnen. Er starb am 23. Juni 2001. Einem Reporter riet er zum Abschied einmal: „Schreiben Sie bloß was Lustiges. Ich bin ja nicht von Traurighausen.“ Jeder, der ihn kannte weiß, dass er damit recht hatte. Hut ab!


NAPOLEON 1814

RÜCKBLICK NACH 100 JAHREN

Mit dem Abstand von 100 Jahren blickte August Kompert in der Ausgabe vom 7. März 1914 des „Leerer Anzeigeblatt“, auf die Kriegsniederlage Napoleon im Jahr 1814 zurück. Indem er sich auf den Biografen Napoleon bezieht, gibt er auch den Blick in das Innenleben des französischen Kaisers frei. Auszugsweise war zu lesen: Für den furchtbaren Ausgang des russischen Feldzuges hatte Napoleon mit Recht Elemente verantwortlich machen können. Was aber den Gewaltigen ein Jahr darauf im blutigen Völkerringen bei Leipzig niederzwang, das waren Kräfte anderer Art gewesen. Napoleon, der große Rechenmeister, der, wenn man näher zusieht, sich als Kosmopolit offenbart, der glaubte, dass die Völker ihm zufallen müssen, wenn er Kultur und Zivilisation in ihre Lande trug, hatte einen Faktor zu niedrig eingeschätzt; das nationale Gefühl, das eine gewaltige moralische Kraft bedeutet, die, wie Napoleon selbst sagte, mehr als die Zahl den Sieg entscheidet. Auch der Krieg von 1814, die Invasion in Frankreich, war eine Volkssache. Nur widerstrebend ließen sich die Regenten, König Friedrich Wilhelm III., Kaiser Franz, die Fürsten des Rheinbundes, selbst Zar Alexander, zu dem Wagnis herbei, den Löwen in seinem Baue aufzusuchen. Und es sollte in der Tat blutige Kämpfe kosten, bevor man den Titanen bezwang, der hier nochmals alle Zauberkünste seines Genies offenbarte. „Jetzt heißt es, die Stiefel von 1793 wieder anziehen‘, schrieb er in diesen Tagen an einen seiner Generäle. Und wahrlich, kaum minder kritisch als in jenem Revolutionsjahre war die Lage Frankreichs Anno 1814, 290.000 Mann hatten in den ersten Januartagen die Grenzen überschritten. Dabei befand sich die Armee Napoleons in einem traurigen Zustande. Die Neukonstribirten, ‚les Marie-Loises‘, wie man sie nannte, waren Knaben, die zwar begeistert ihr junges Leben dem Imperator opferten, von denen aber mancher seine Flinte kaum zu laden wusste. Dazu kam, dass es trotz aller Steuern an Geld mangelte, so dass eigentlich nur Napoleons Kronschatz in den Kellern der Tuilerien in Betracht kam. Trotz alledem zögerte Napoleon, Frieden zu schließenden ihm die Alliierten, als sie am Rheine standen, anboten. Es wäre ein ehrenvoller Friede gewesen, der Frankreich die alten Grenzen, Rhein und Alpen, beließ. Aber Napoleon scheint, und nicht ganz mit Unrecht, an der Aufrichtigkeit des Feindes gezweifelt zu haben, und man kann den Friedenskongress, der dann in Chatillion tagte, als eine Komödie bezeichnen. Der Kaiser hoffte auf den Sieg, trotz der Übermacht der Alliierten, trotz der Kluft, die ihn von seinem Volke zu trennen begann. Bei Brienne, dem nämlichen Brienne, wo er einst als Schüler die ersten Grundsätze der Kriegskunst erlernt hatte, errang er einen Sieg über Blücher. Allein diesem gelang es, sich mit der Armee des Fürsten Schwarzenberg zu verbinden und Napoleon bei dem Dörfchen La Rothiere (1. Februar) zu schlagen. Ungeheuer war die Erregung im ganzen Lande, als man von dieser Niederlage hörte. In Paris befürchtete man, der Feind könne binnen kurzem vor den Toren stehen und der Stadt das Schicksal Moskaus bereiten. Es war für den Repräsentanten des allwärts ausgreifenden, die Grenzen zwischen Staaten und Ständen nicht achtenden, weltbürgerlichen Revolution schlechthin unmöglich, sich in das Gleichgewichtssystem der vorrevolutionären Zeit einzufügen, und nur

Li.: Generalfeldmarschall Gebhard Leberecht von Blücher, Fürst von Wahlstatt. Quelle: Für die Freiheit - gegen Napoleon. Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation, ed. by Veit Veltzke (Cologne, 2009), p. 83. Re.: Napoleon Bonaparte, Quelle: Wikipedia

durchaus logisch, dass er einen Frieden auf der Basis des alten bourbonischen Territorial-Staates als bloße Kapitulation ansah.‘ Nein, Napoleon dachte noch ganz und gar nicht daran, das Spiel verloren zu geben, noch war der Stolz ungebrochen, und in der Tat brachten ihm die nächsten Tage eine Reihe von Siegen. Jetzt hofft er einen Frieden erlangen zu können, wie er ihn wollte. Als aber die Verbündeten die alten Grenzen und noch drei Festungen, Belfort, Besancon und Hüningen, verlangten, wies er dies anerbieten weit von sich. Nun aber fiel Schlag auf Schlag. Bei Laon (9. März) wurde er von Blücher geschlagen, bei Arcis-fur-Aube (21. März) von Schwarzenberg, und bald darauf erhielt er die Nachricht, von dem Marsche der Alliierten gegen Paris. Er wusste Paris schlecht befestigt. Er übertrug Berthier das Kommando und wandte sich gegen Paris. Allein! Es war zu spät! Er hörte von der Erstürmung des Montmartre, von der Kapitulation Paris‘! Da kehrte er nach Fontainebleau um. Aber noch immer gab er nicht alles verloren. Die Soldaten hielten zu ihm, aber die meisten Generäle waren des Kampfes müde. Am 4. April traten sie vor ihren Herrn, seine Abdankung, die allein Frankreich retten könne, fordernd. Am 12. April unterschrieb er die Abdankungsurkunde, in der er für sich und seine Erben auf die Throne von Frankreich und Italien verzichtet. In der darauf folgenden Nacht soll er in einem Augenblicke der Verzweiflung Gift genommen haben, das aber seine Wirkung nicht tat. Am 20. April nahm Napoleon von seinen alten Bärenmützen Abschied und fuhr von dannen, dem Liliputreich Elba entgegen, das ihm die Mächte als Wohnsitz zugedacht hatten. Europa atmete erleichtert auf. Nun hoffte man sich des großen Ruhestörers auf immer entledigt zu haben. Ein Jahr darauf landete er wieder an Frankreichs Küste, Europa zum letzten verzweifelten Zweikampf fordernd, das ihn nun bei Waterloo endgültig niederrang und auf die einsame, ferne Basaltinsel mitten im Weltmeere verbannte.

leeraner ZEITGEIST :: Rückblick nach 100 Jahren

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WATERBORGS REEPERBAHN Aus millimeterstarken Fasern stellten die Reepschläger in der Seilerei des Leeraner Unternehmens Waterborg Taue mit einem Umfang von bis zu 50 Zentimetern und mehreren hundert Metern Länge her. Quelle: alle Fotos und Abbildungen Sammlung Romann.

Die Seile wurden von Hand zusammengesetzt, hier sind es eher kurze Seile.

„Die Angestellten der Tauschlägerei“ ist zu diesem Bild in der Chronik von „Waterborg & van Cammenga“ zu lesen, die Namen der Männer sind nicht genannt. Sie fertigten bis zu 500 Meter lange Seile und benötigten dafür eine „Reeperbahn“ bis kurz vor das heutige Klinikum.

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leeraner ZEITGEIST :: Waterborgs Reeperbahn

„Waterborg & van Cammenga“, seit Jahrzehnten als Fachgeschäft für Schusswaffen und Zubehör bekannt, ist eines der ältesten Unternehmen in Leer, dessen Inhaber zunächst mit Waffen nichts zu tun hatten. Im Jahr 1731 von Jan Wessels Waterborg gegründet, war das Unternehmen vorerst auf die aufblühende Segelschifffahrt konzentriert. Für immer mehr und immer größere Segelschiffe wurde immer mehr Tauwerk benötigt, damit sie den ihnen zugedachten Aufgaben gerecht werden konnten. Bis zum Jahr 1900 war Waterborg und später Waterborg & van Cammenga als Reepschlägerei bekannt, wobei die Inhaber ihre Geschäftstätigkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts um weitere Bereiche ergänzten, bis man sich Anfang des 21. Jahrhunderts auf das Waffengeschäft konzentrierte. Im Folgenden befassen wir uns mit der Reepschlägerei, die zunächst in der Brunnenstraße und später in der Mühlenstraße betrieben wurde, die damals noch „Oststraße“ hieß. Für die Herstellung von Tauen brauchte man vor allem Platz, je länger die Taue sein sollten, umso mehr Platz war erforderlich, um sie drehen zu können. Nach dem Umzug des Unternehmens an seinen heutigen Standort in der Mühlenstraße reichte dieser Platz, die Reeperbahn, über die damals noch nicht existierende Bürgermeister-Ehrlenholtz-Straße und die Friesenstraße hinaus bis zur Annenstraße, also bis kurz vor den Standort des heutigen Klinikums. Was wir umgangssprachlich „Tau“ nennen, heißt korrekterweise „Tauwerk“, und dies ist der Oberbegriff für eine Vielzahl verschiedener „Taue, Seile und Stricke“ – umgangssprachliche Begrifflichkeiten, die den Fachmann die Stirn runzeln lassen –, die von Jan Wessels Waterborg, seinen Nachfahren und deren aller Mitarbeiter hergestellt wurden. Einer Jubiläumsschrift, die der damalige Unternehmensinhaber Georg Romann. im Jahr 2006 aus Anlass des 275-jährigen Unternehmensjubiläums herausgegeben hat, entnehmen wir die korrekten Bezeichnungen. Demnach wurde zwischen „stehendem“ und „laufendem“ Gut unterschieden. Ersteres waren „Seile“, die zur Befestigung von Masten und anderem an Bord dienten und an ihrem Platz blieben. „Laufendes Gut“ meint die „Seile“ als Arbeitsmittel. Sie wurden beweglich genutzt, beispielsweise zum Setzen der Segel. Alles Tauwerk wurde aus Hanf, Manilagras und später auch aus Draht „geflochten“, besser „geschlagen“. Bis zu 50 Zentimeter Umfang konnten die „Taue“ haben, und sie waren bis zu mehrere hundert Meter lang. Bei aller Vielfalt war ihnen gleich, dass sie aus millimeterdünnen Fasern gesponnen, zu Litzen zusammen gedreht und „verdrillt“ wurden, von Litze zu Litze zum Seil, Seil für Seil zur „Kardeel“, und Kardeel zu Kardeel, so lange, bis die gewünschte Stärke und Länge erreicht waren. Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt etwa ab 1885 verlor die Segelschifffahrt nach und nach an Bedeutung, und damit sanken die Absatzchancen für das Unternehmen. Verschärft wurde die Lage durch die Schiffsbaukrise nach 1879. „Damit wurde die Nachfrage nach Tauwerk und Seilen aus diesem Wirtschaftsbereich wesentlich geringer“, heißt es in der Chronik, „Außerdem verstärkte sich die Konkurrenz des industriellen Tauwerks, das vor allem billiger produziert werden konnte. Auch das Eindrehen von Drähten in die Hanf-Kardeele war eine Technik, die im handwerklichen Betrieb nicht geleistet werden konnte, die aber die Taue wesentlich stärker machte.“


Johann Hero Waterborg führte das Fa- anderen Absatzgebieten umgesehen, aber milienunternehmen in der vierten Genera- auf Dauer konnten diese „Ersatzprodukte“ tion. Mitte des 19. Jahrhunderts erkannte den Umsatzrückgang im Segment Segeler frühzeitig, dass er künftig kaum mehr schifffahrt nicht auffangen. Aus einer Angein der Lage sein würde, die Auswirkungen botsauflistung des Unternehmens aus dem der vielfältigen Veränderungen in der wirt- Jahr 1890 geht hervor, dass sich „Waterborg schaftlichen Umgebung des Unternehmens & van Cammenga“ auch die Landwirtschaft zu erkennen und rechtzeitig unternehme- als Absatzbereich erschlossen hatte. Für risch darauf zu reagieren die Bauern fertigte man oder sogar ihnen vorWagenstränge, Pflugzubeugen. „Daher leinen, Wagenleinahm er 1856 den nen, Schafhalter, Königlich PreuP f e r d e h a l f t e r, TITELFOTO Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 1900, ßischen HafenHalfterstränge, sie wurde aus Anlass der Aufgabe der Seilschlämeister a. D., Schafleinen und gerei gemacht. Dampfmaschinen, die Schiffe Thomas Douwe Gurte – alles aus mit Stahlrumpf antrieben, hatten die Nachfravan Cammengewebtem rusge nach Tauen dauerhaft einbrechen lassen. ga als Teilhaber sischen Hanf –, auf … Durch das sowie Kuhdecken Zusammengehen und Gurte aus von Johann Hero WaJute. Für Privathausterborg und Thomas halte wurden WäscheleiDouwe van Cammenga entstand nach Ein- nen, Bindfaden, Leinen- und Baumwollgarn tragung in das Handelsregister unter dem hergestellt; Fischer konnten Netze, Aalfu25. Februar 1856 die ‚Offene Handelsgesell- ken und Aalreusen beziehen. Außerdem bot schaft’ (OHG) Waterborg & van Cammen- das Unternehmen dem Großhandel Teer, ga“, heißt es in einer Festschrift, die der Pech und Hanf zum Kauf an. Die Schifffahrt damalige Unternehmensin- wurde ebenfalls weiter beliefert. haber Carl Romann aus Es reichte nicht. In der Jubiläumsschrift Anlass des 250-jährigen heißt es: „Trotz diverser Umstellungen in Bestehens des Unter- der Produktion war das Ende der handwerknehmens im Jahr 1981 lichen Reepschlägerei bereits Ende der achtveröffentlichte. ziger Jahre des 19. Jahrhunderts abzusehen. Zwar hatte man Die Firma ‚Waterborg & van Cammenga’ sich frühzeitig stellte etwa im Jahre 1900 die Herstellung na c h von Tauwerk und Seilerzeugnissen ein. Auch die Mitte der achtziger Jahre vorgenommene Erweiterung der Angebotspalette auf Seilerwaren, vor allem für die Landwirtschaft und Heute wird das Unternehmen den Haushalt, war keine dauerhafvon Ralf Hartmann als „Waterte Lösung für den Erhalt der Werkborg – Jagd Sport Freizeit GmbH“, statt. Für das Ladengeschäft scheint Fachhandel für Jagdbedarf, der Einkauf dieser Waren günstiger Schießsportausrüstung und gewesen zu sein als die eigene FerOutdoor-Artikel geführt, das tigung. Für die Firma und ihre Arman von der Bürgermeister-Ehrbeiter ging damit eine fast 170 Jahre lenholtz-Straße aus betritt. dauernde Ära zu Ende.“ Das Ende des Unternehmens bedeutete die Schließung nicht. Es gelang, neue Geschäftsfelder zu Bei Vorlage dieser Anzeige erhalten Sie auf einen erschließen. Unter Artikel aus unserem Stahlwaren-Sortiment anderem hatten die Inhaber am 1. Mai 1887 ein Ladengeschäft eröffnet.

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 Wer lebt von der Hand in den Mund?

 Was ist schwerer? Ein Kilo Gold oder ein Kilo Federn?

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Lösungen ab sofort in unserer App und in der nächsten Ausgabe

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 Kuck mich nicht in diesem Ton an!

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leeraner ZEITGEIST fehntjer ZEITGEIST :::: Unterhaltung Heilgymnastik an der frischen Luft

 Die Pflicht ruft! Sag ihr, ich rufe zurück!

Ich habe ein Loch und mach ein Loch und schlüpfe auch durch dieses noch. Kaum bin ich durch, stopf ich's im Nu, mit meiner langen Schleppe zu.


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19. JAHRHUNDERT

wieder geöffnet!

Damals

ERINNERTE SICH EINE ALTE LEERANERIN

„Wir hatten kürzlich Gelegenheit, mit einer alten Leeranerin über längst vergangene Zeiten zu plaudern. Der trotz ihrer 93 Jahre noch sehr rüstigen und geistig regen Greisin merkte man die Freude an, aus dem Schoß ihrer Erinnerungen berichten zu können“, heißt es in einem im Jahr 1910 im Leerer Anzeigeblatt (LA) erschienenen Artikel. „Beim Plytenberg befand sich in ihrer Jugendzeit der so genannte Wagners Kamp, auf dem 60 bis 70 Bürger unserer Stadt Die Harderwykenburg war ursprünglich von einem Graben umgeben, unter der Aufsicht eines Wär- der bis an die Brunnenstraße und an die reformiert Kirche heranters ihre Kühe weiden ließen. reichte. Foto: OTG An jedem Abend wurden die Kühe auf ein bestimmtes, umfriedigtes Feld am Jahrhunderts (19. Jahrhundert, heg) für alle Fäljetzigen Burfehnerweg getrieben. Der Viehwärter le Lagerstätten für Cholerakranke hergerichtet, erhielt nach alter Sitte am Pfingstfest jedes Jahres die aber glücklicherweise nicht in Benutzung ge– außer seinem Lohn – von jedem, der eben Tiere nommen werden brauchten. Die Burg selbst war auf Wagners Kamp weiden ließ, einen Kros Milch. unbewohnt, nur eine alte Frau hauste in einem Der Verkauf dieser Milch brachte ihm an diesem kleinen Raum eines Anbaus. Tage einen guten Stüber Geld ein. In der jetzigen reformierten Rektorwohnung Nicht fern der Kaakspütte, damals ‚Kaakspüt- befand sich in den oberen Räumen eine Lateinte up de Bülte’ genannt, lag die Posthalterei. Das schule, die der Lehrer Winter leitete. Der TreppenHaus steht heute noch (Brummelburgstraße 18). aufgang war außen am Hause angebracht. Von hier aus gingen jede Woche zwei reitende Interessant sind auch einige alte HäusernaPosten ab, eine auf dem Deich entlang nach Em- men. So hießen nach den Aushängeschildern: Ein den, die andere nach Aurich. Später wurde die Haus in der Nähe der Kaakspütte „Blaues Kreuz“, Posthalterei nach der Kirchstraße (jetzt Tjarks das Siefkesche Haus in der alten Pfefferstraße Wirtschaft), darauf in das gegenüberliegende, (jetzt Schneidermeister Woltering) „Die goldene jetzt Lüppo Müllersche Haus und endlich nach Kuh“ (Waage). Das Haus des Kaufmanns Diekder Mühlenstraße (jetzt H. Spulte) verlegt. Das mann (jetzt Ad. C. Dakes) in der Pfefferstraße hieß damalige königlich hannoversche Postamt war „London“ und das Haus, in welchem sich jetzt das in der Brunnenstraße, wo jetzt das Cafè Oranien Unionhotel befindet, hieß „Witte Düvel“, nach steht (Postmeister Leiner), später am Denkmals- einer an demselben angebrachten Teufelsfratze. platz (jetzt E. Hinrichs Witwe). Dem J. W. Wolffschen Geschäftshause gab man Unsere Erzählerin kann sich auch noch ent- den Namen Simson (nicht Samson, wie heute sinnen, dass die Haneburg teilweise von einem irrtümlich gesagt wird) nach einem AushängeGraben umgeben war, der im Winter fleißig zum schild, welches den Richter Simson mit dem LöSchöfeln benutzt wurde. Neben der Burg befand wen darstellte. Zwei große steinerne Löwen, die sich eine große Bleiche auf der die damals noch später noch lange Jahre vor dem H. Schulteschen lebenden Leeraner Webermeister das Leinen Geschäftshause in der Mühlenstraße gestanden bleichten. Die Lüningsburg (heute als Hardewy- haben, befanden sich vor dem auf dem jetzigen kenburg“ bekannt) war zu der Zeit noch ganz von Lüppo Müllerschen Hause – der alten Posthalterei einem Graben umgeben, welcher sich bis an die – in der Kirchstraße. Zurzeit stehen diese Löwen Löwenapotheke in der Brunnenstraße und bis vor einem Bauernhofe in Landschaftspolder. an die reformierte Kirche hinzog, also die ganze Es wäre interessant, noch mehr über derartige Fläche der jetzigen Baumschule zwischen dem re- alte Leeraner Bezeichnungen zu erfahren. Der unformierten Kirchgang und den Harderwykensteg terzeichnete Verein richtet daher an alle, die aus umfasste. Auf dieser kleinen Insel standen neben dem Schatz ihrer Erinnerungen oder aus sonstider Burg zwei Wirtschaftsgebäude. Aus dem dort gen Quellen hierzu beizutragen vermögen, die befindlichen Brunnen soll einst ein Topf mit Geld Bitte, ihm diesbezügliche Mitteilungen zukomheraufgezogen sein. In den oberen Räumen der men zu lassen.“ Der Verein für Heimatschutz und Burg wurden in den sechziger Jahren des vorigen Heimatgeschichte in Leer. R. Bergmann

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PIONIER DER POCKENIMPFUNG Dr. Christian Gottlob Weiß: Ein vergessener Wohltäter

Im Jahr 1911 war im LA zu lesen: Vor reichlich hundert Jahren starb in unserer Stadt Leer ein Mann, der sich um das Wohl seiner Mitmenschen großen Verdienst erworben hat. Über den Lebensgang dieses heute fast vergessenem Mannes berichtet das ‚Politische Journal für die Provinz Ostfriesland’ in Nummer 69 vom 27. August 1815 das Folgende. Christian Gottlob Weiß, gebürtig aus Erfurt in Thüringen, kam 1760 ohne Vermögen nach Ostfriesland und wohnte zunächst etwa fünf Jahre in Norden. Von da übersiedelte er nach dem Flecken Leer mit der Absicht, sich hier als Arzt niederzulassen. Die Erlaubnis dazu wurde ihm erteilt, nur mit der Einschränkung, dass er keine Obductionen verrichten durfte, weil er werde promoviert noch ein Cursum in Berlin gemacht hatte. Aber was ihm an gelehrter Bildung abging, ersetzte er durch eisernen Fleiß. Sein Eifer in der Beförderung des Guten und Nützlichen erwarben ihm eine ausgebreitete Praxis. Gleich dem edlen Faust in Bückeburg war Doktor Weiß unermüdlich, der natürlichen Blatternimpfung Eingang zu verschaffen, welche damals wenig oder gar nicht versucht wurde. Unwissenheit und Aberglaube, dass man Gott nicht vorgreifen wolle, kämpften mit Macht dagegen. Der für das Menschenwohl so tätige Weiß ließ sich dadurch nicht abhalten, zur Überzeugung der Gegner zu wirken. Es gelang ihm. Im Anfang des Jahres 1769 konnte er bereits 24 von ihm geimpfte und völlig genesene Kinder vorzeigen, wie aus seiner Abhandlung: ‚Etwas von der Rechtmäßigkeit der Inoculation (Impfung)’ hervorgeht. Der Prediger Janssen in Bagband ließ gleich darauf seinen Kindern durch den Doktor Weiß die Blattern einimpfen. Zugleich entschloss sich ein Frauenzimmer im Hause des Predigers, welches 44 Jahre alt war und die Blattern noch nicht gehabt hatte, sich solche einimpfen zu lassen. Alle wurden gänzlich genesen. Kaum war dies geschehen, so verbreiteten böse Gerüchte, der Prediger Janssen sei übel mit der Operation des Doktor Weiß zufrieden und wolle niemand weiter dazu raten. Janssen widerlegte öffentlich dies boshafte Gerücht und wünschte mit religiösem Sinn, dass die Inoculation in ganz Ostfriesland bald allgemein werden möchte, riet auch jeden umso mehr dazu, weil seine Kinder nicht nur völlig genesen waren, sondern auch, ungeachtet sie viele und große Blattern gehabt, nicht einmal Narben behalten hätten. Weiß setzte die Impfung fort und wurde in den Ämtern Leer, Stickhausen und Aurich dazu überall durch die Eingessenen veranlasst. Es wurde nun dies treffliche Mittel zur Erhaltung des Lebens und der Gesundheit allgemein, bis in unsern Tagen die durch den berühmten Doktor Janner bekannt gewordene Vaccination (Impfung mit Virenstamm) jenes Mittel verdrängte. Die Tätigkeit des Doktor Weiß war nicht bloß auf die böse Blatternkrankheit der Menschen beschränkt, sonder sie dehnte sich auch auf die pestartige Rindviehseuche aus. Im Oktober 1769 brach dies landverderbliche Übel zuerst im Amte Emden aus und verbreitete sich bald durch das ganze Land mit wütender Heftigkeit. Wenngleich im Sommer 1770 die Viehseuche etwas nachzulassen schien, so verdoppelte sie doch ihre Wucht im Herbst so sehr, dass bereits im Dezember 47.979 Stück Rindvieh ihr zum Opfer gefallen

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waren. Es wurde alles angewandt, der unglücklichen Seuche Einhalt zu tun. Das Königlich Preußischen Gouvernement, stets wachsam für das Wohl der Untertanen, hatte durch das Oberkollegium Medicum et Sanitatis eine Instruktion, wie bei dem Viehsterben verfahren werden sollte, erlassen. Durch ein königliches Patent wurde dasselbe in allen Wirtshäusern und an allen öffentlichen Gebäuden angeschlagen, und von der Kriegs- und Domänenkammer mit Strenge auf die Befolgung und Nachachtung gehalten. Die Landesstände überließen die Sache dem von ihnen abhängenden Administrsations-Collegio. Letzteres entschloss sich daher, sich von dem berühmten Professor von Douvern ein ärztliches Gutachten erteilen zu lassen. Sobald dieses Gutachten eingegangen war, ließ

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das gedachte Administrationskollegium die Inoculation des gesunden Viehs, um es vor der Seuche zu bewahren, durch den Doktor Weiß, dem die ganze Direction anvertraut wurde, vornehmen. Die Kosten wurden durch eine Societät bestritten, welche das gesunde Vieh wohlfeil einkaufen und nach der Inoculation teuer wieder verkaufen ließ. Weiß gab über den Erfolg öffentlich Nachricht. Da nur wenige Stücke Vieh durchkamen, so wurde von weiteren Versuche abgesehen, zumal die Seuche allmählig nachließ und im Jahre 1771 ganz aufhörte. Durch seine Praxis als Arzt und seine gut öcomomische Einrichtung erwarb sich Weiß ein mäßiges Vermögen. Im Jahre 1760 verheiratet er sich mit Amke Dirks aus Freesen, die anfänglich bei ihm gedient hatte und erzeugte mit ihr ein einziges Kind, das aber gleich nach der Geburt starb. Dankbar gegen das Land, welches ihn mit Liebe und Achtung aufgenommen und in welchem er sein Vermögen erworben, sah er dasselbe als sein zweites Vaterland an, und errichtet am 9. Dezember 1804, im völligen Einverständnis mit seiner Frau, einen Schenkungs-Contract über 10.000 Reichsthaler Preußisch Courant an die Ostfriesische Landschaft zur Unterstützung gering besoldeter hülfsbedürftiger Schulmeister oder Schullehrer protestantischer Religion in Ostfriesland. ER SETZTE DABEI FOLGENDE BEDINGUNGEN FEST:

1. Das Capital der 10.000 Reichstaler behalte er bis an sein Lebensende unter sich. Er behalte sich vor, die Barschaften oder Obligationen, als Bestandteile dieses Capitals, in einem Testamente näher anzuweisen. 2. Im Fall seine Frau überleben ihn möchte, solle sie auf ihre Lebenszeit die Zinsen dieser 10.000 Reichsthaler von der Landschaft zu erheben haben. Wie hoch die Zinsen zu bestimmen, wolle er lediglich der Landschaft überlassen. 3. Nach seinem und seiner Frau Tode verlange er folgende Verwendung der Zinsen des Capitals: a. Von 8.000 Reichsthaler sollten sie unter die hülfsbedürftigen schlecht besoldeten Schulmeister oder Schullehrer protestantischer Religion in Ostfriesland nach Bestimmung der Stände jährlich vertheilet, und; b. die Zinsen von den übrigen 2.000 Reichsthalern so lange wieder zu einem Kapital geschlagen werden, dass sie und das ursprüngliche Geschenk einen Haupt-Stuhl von 20.000 Reichsthalern ausmachen würden. 4. Sollte, sobald dieser Zweck erreicht, die ganze Zinsensumme der 20.000 Reichsthaler jährlich zur Unterstützung der bedüftigsten gering besoldeten Schullehrer protestantischer Religion, oder

Benjamin Jesty, Landwirt von Beruf, lebte von 1736 bis 1816. Er entdeckte per Zufall, dass seine Milchmägde nicht an der Pockenkrankheit litten, wenn sie sich mit Kuhpocken infiziert hatten. Quelle: Wikipedia,

auch, nach Befinden der Stände, zum Theil zur bessern Einrichtung der Schulstuben verwendet werden, damit die den Schullehrern und Kindern schädlichen feuchten und elenden Lehrstuben verbessert würden. 5. Den Ständen sollte es gänzlich überlassen sein, ob sie von dem ostfriesischen Consitorio oder auf andere Art Nachrichten einziehen wollten, welche Schullehrer im Lande vorzüglich einer Unterstützung bedürften. Sie sollten auch ohne Mitwirkung der Consistorii den Betrag der Unterstützung an einzelne bestimmen. 6. Ebenfalls sollte den Ständen die Belegung des Capitals allein überlassen sein.

Weiß bestätigte in seinem am 10. Dezember 1804, also am folgenden Tage nach der Schenkungsurkunde, errichteten Testamente diese seine Schenkung. Die Stände nahmen in der Landrechnungsversammlung des Monats May 1805 dies so ungemein wohltätige und patriotische Geschenk mit dem größten Danke an, versicherten, für die Aufrechterhaltung dieser Stiftung zu sorgen, das dieselbe den immerwährenden Namen des ‚Weißischen Instituts’ führen und seiner künftigen Witwe aus Erkenntlichkeit auf Lebenszeit fünf Prozent Zinsen von dem Capital von 10.000 Reichsthalern zufließen sollten, sobald das Capital der Landeskasse eingezahlt sein würde. Weiß endete seine rühmliche Laufbahn am 22. April 1805, nach einem dreitägigen Krankenlager, an den Folgen eines ihm plötzlich zugestoßenen rheumatischen Fiebers, im 79sten Jahre seines Alters, nachdem er 40 Jahre lang als practicierender Arzt in Leer

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gestanden und während dieses Zeitraums viele glückliche Kuren, mit unverdrossenem Eifer und menschenfreundlicher Thätigkeit, verrichtet hatte. Seine ihn überlebende Witwe zahlte am 11. Juni 1806 das Capital der 10.000 Reichsthaler baar zur Landeskasse. Zur Ehre des Dr. Weiß, zur Nacheiferung anderer, verdient diese preiswürdige Stiftung eine allgemeine Publicität in den vaterländischen Blättern. Soweit unsere Quelle, das Politische Journal für Ostfriesland von 1815. Nach einer Mitteilung des ostfriesischen Geographen Fr. Arends in seiner ‚Geographischen Beschreibung Ostfrieslands und des Harlingerlandes’ scheint die Ostfriesische Landschaft dem Wunsche des Stifters und der von ihr übernommen Verpflichtung nicht lange nachgekommen zu sein. Fr. Arends schreibt nämlich: ‚Die Zinsen wurden der Witwe bis zu ihrem 1811 erfolgten Tode jährlich behändigt, das Kapital selbst aber zu sonstigen dringenden Bedürfnissen verwandt. Die ganze Stiftung scheint in Vergessenheit geraten zu sein. Zu wünschen wäre es, dass die Landschaft alle Mittel anwendete, den wohltätigen Zweck des edlen Stifters zu erfüllen und solches öffentlich bekannt machte; man müsste sich sonst scheuen, wohltätige Institute zu stiften.’ Nicht unwahrscheinlich ist es, dass die von Arends erwähnten dringenden Bedürfnisse während der so genannten Franzosenzeit die Landschaft zur anderweitigen Verwendung des Kapitals nötigten, und nachdem die Stürme dieser Zeit vorübergerauscht waren, wird sich niemand mehr der Weisschen Stiftung erinnert haben.

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Da es eine entsprechend große Landfläche nicht gibt, dürfte klar sein, dass sich die Städter an den vorhandenen Flächen vielfach bedienen. Aus dem Garten oder von viel begangenen Wegen kennen wir das: Wo ein Fußtritt auf den anderen hingesetzt wird, drückt man die Vegetation zunächst platt, und irgendwann wächst dort nichts mehr. Für die Flächen der Welt gilt dies ebenso, wenn es sich im Detail auch als vielschichtiges Problem zeigt. Hungersnöte wie jene in Afrika, wo derzeit zehn Millionen Menschen vom Hungertod bedroht sind, sind letztlich – neben anderen Ursachen – Folge des weltweit unfairen Handels. Deshalb ist es zu begrüßen, dass es in Leer Menschen und Institutionen gibt, die dazu beitragen, die Kreisstadt zur „Fair Trade Stadt“, zur Stadt des fairen Handels zu machen, und die entsprechende und jetzt verlängerte Auszeichnung ist verdient. Sie darf aber nicht davon ablenken, dass es auch in der Ledastadt Produkte zu kaufen gibt, die auf unfairem Handel basieren. Die Augen dafür zu öffnen, bedeutet auch, sich darüber klar zu werden, dass unfairer Handel nicht nur ein Problem der hierfür ausgenutzten Menschen ist. Maximaler Profit durch Billigproduktion ohne Rücksicht auf Ökologie und Lebensbedingung der Menschen in den Herkunftsländern der Ware führt letztlich auch dazu, dass wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen.

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